47. Nacht

Wirklich kämpfen die beiden, und zwar auf Wunsch der Alten hin sogar nackt, lediglich ein Tuch zwischen die Beine gezogen. Die junge Maid ist stärker als das alte Weib. Sie

hob sie mit beiden Händen hoch; die Alte aber rang, um sich aus ihren Händen zu befreien, und dabei fiel sie auf den Rücken. Da ragten ihre Beine hoch in die Luft, und deutlich waren ihre Haare im Mondschein zu sehen; und sie ließ zwei gewaltige Winde fahren, von denen der eine den Staub auf der Erde aufwirbelte, während der andere bis zum Himmel dampfte.

Nach einem etwas schwer verdaulichen Mahl geschah mir in der Schule ähnliches, als wir Judo kämpfen mussten. Allerdings verhalf mir dieses versehentliche Hilfsmittel zu einer guten Note, da ein Gegner seine Umklammerung löste und ich ihn daraufhin überwältigen konnte (falls meine Winde das nicht schon erledigt hatten).

Die alte Dhât el-Dawâhi bleibt besiegt liegen, während die Maid sich wieder anzieht.

Als nun die Mädchen gefesselt am Boden lagen und die Maid allein dastand, sprach Scharkân bei sich: "Jeder Zufall hat seinen Grund. Es war doch nur mein Glück, dass mich der Schlaf überfiel und das Ross mich hierher trug; vielleicht sollen diese Maid und die anderen, die bei ihr sind, noch meine Beute werden."

Etwas unangemessen wild reitet er mit gezücktem Schwert und "Allah ist der Größte" brüllend, auf das Mädchen zu, das natürlich ob dieser Grobheit etwas erstaunt ist und ihm eröffnet, dass, sobald sie einen Schrei ausstoße, 4.000 Krieger zur Stelle sein würden.
Scharkân, immer noch etwas deppert, fordert die 10 Mädchen als Beute. Das Mädchen schlägt vor, miteinander zu ringen. Wer gewinnt, bekommt den anderen als Beute. Scharkân ist einverstanden, mit der Bedingung, dass er sich loskaufen würde. Das Mädchen nimmt ihm einen Eid über die Vereinbarung ab.
Die Schönheit des Mädchens blendet Scharkân. Sie ruft ihm zu

"Oh Muslim herbei, und lass uns ringen, ehe der Morgen anbricht!", und streifte den Ärmel in die Höhe, der frischem Rahm gleich war, so dass die ganze Wiese durch seine Weiße hell ward; und Scharkân war geblendet.

Tatsächlich werden seine Glieder angesichts ihrer Schönheit so schwach, dass es für sie ein Leichtes ist, ihn zu werfen und sich auf ihn zu setzen. Sie schenkt ihm das Leben.

Scharkân stand auf und schüttelte den Staub von seinem Kopfe gegen die Geschöpfe aus der krummen Rippe47.

Dann fordert er sie ein zweites Mal heraus, da er, wie er meint nicht wegen ihrer Stärke sondern wegen ihrer Schönheit besiegt worden war. Das Mädchen ist einverstanden, löst aber zuvor die Fesseln der anderen 10 Griechinnen, die den Kampf nun aus sicherer Entfernung beobachten, den Scharkân, wie zu erwarten, wieder verliert. Und beim dritten Mal ebenso, obwohl ihm die Maid die wichtigsten Künste und Kniffe des Ringkampfes in Erinnerung ruft:

  • Finte

  • Vorgriff

  • Armgriff

  • Fußgriff

  • Schenkelbiss

  • Fußstoß

  • Beinverschluss

Scharkân gesteht ihr nun, verliebt zu sein und bittet darum, sie begleiten zu dürfen. Sie gewährt es ihm, und reiten über eine Zugbrücke ins Kloster. Scharkân glaubt nun, das Kameradschaftsrecht als auch das Gastrecht genießen zu dürfen. Er bittet sie, mit ihm

in das Land des Islam zu ziehen.

Sie ärgert sich über diese Grobheit und wirft ihm vor, sie betrügen zu wollen, denn dort käme sie nicht nur in Sklaverei, sondern auch in Konkubinenschaft.47a Die Maid lässt nun ihren ganzen Ärger heraus und offenbart, dass sie weiß, dass muslimische Reiter das Land überfallen haben.

nicht wie ein königliches Heer, sondern wie Horden, die sich zusammengerottet haben.

Auch von des Königs Sohn Scharkân habe sie gehört

"Ich wollte nur, dass der Messias ihn in meine Hände gäbe, in ebendiesem Kloster, dann träte ich ihm in Manneskleidung entgegen und würde ihn gefangennehmen und in Fesseln legen."

Bemerkenswert: Dies ist die erste Geschichte, in der das Christentum (noch?) nicht verächtlich gemacht wird. Im Gegenteil: Der Moslem erscheint als einfältiger Grobian. Die Christin als stark, schön und gewitzt. Außerdem bleibt die Kritik am Islam unwidersprochen stehen.

 

47 Anspielung auf Schöpfungsgeschichte. Moses 2.21,22

47a Anspielung auf Koran Sure 4, Vers 3, 28/29

46. Nacht

Die Geschenke der Gesandten an den König bestehen aus

fünfzig der erlesensten Mädchen aus Griechenland und aus fünfzig Mamluken und Gewändern aus Brokat und mit Gürteln aus Silber und Gold; jeder Mamluk trug in seinem Ohr einen goldenen Ring mit einer Perle, die tausend Goldstücke wert war. Die Mädchen waren gleichfalls geschmückt, und sie trugen Stoffe, die sehr viel Geld wert waren.

Der König berät sich nun mit seinen Wesiren. Der älteste unter ihnen namens Dandân46 rät ihm zu, das Heer auszurüsten und den König von Konstantinopel zu unterstützen, unter anderem,

weil der König von Griechenland dir Geschenke gesandt hat, die du angenommen hast.

Geschenke als Erpressung. Keine verlorengegangene Praxis, sondern selbst in scheinbar unkomplizierten Zusammenhängen wie auf Studentenpartys zu beobachten: Man bringt eine Flasche Wein als Geschenk mit und erkauft sich durch dieses Geschenk das Recht, mitzusaufen. In familiären und intimen Beziehungen wird es noch komplizierter. Je liebevoller und ausgesuchter das Geschenk, umso höher die Erwartungshaltung. Der Fluch der Geschenke-Reziprozität.
Auf unserer Tour durch Sibirien werden wir mit Werken der örtlichen Autoren beschenkt – fast alles Dichterinnen. Glauben die wirklich, wir könnten das alles lesen und verstehen oder würden uns da durcharbeiten? Allein in Omsk ein halbes Kilo Gedichte:

Der König erwidert lobend:

„Von deinesgleichen sollten die Könige sich Rat holen, und es erscheint mir angebracht, dass du die Vorhut des Heeres führst.“

Ob das wirklich eine Ehre ist für einen Mann in dem Alter? Aber man wünschte es sich schon für jeden, der zum Krieg rät, egal ob sie Cheney, Wolfowitz, Huntington oder auch Dandân heißen.

Man stellt ein Heer von zehntausend Reitern zusammen plus Fußvolk und Tross.

Als drei Tage verstrichen waren, zog das Heer in die Vororte der Stadt Bagdad.

Wozu? Um zu lagern?

Dann zieht man los und eilt 21 Tage lang. Das Heer lagert in einem Flusstal. Da man sich in der Nähe zum Feind befindet, kundschaftet Scharkân die Lage persönlich aus. Irgendwann wird er müde und schläft ein, während das Pferd weitergeht. Zu Mitternacht bemerkt er, dass er sich in der Nähe eines Klosters befindet. Dort spielen zehn Mädchen miteinander

Die Wiese strahlt in herrlichem Glanze
Der weißen Jungfrauen dort.
Noch lieblicher wird ihre Schönheit und Anmut
Durch sie, der herrlichen Tugenden Hort.
Jede der Jungfrauen nimmt gefangen
Durch zarte Bewegung und Blicke so weich.
Sie lassen Haare herunterhangen
Dichten Trauben der Reben gleich.
Sie bezaubern mit ihren Augen,
Senden treffsicher Pfeile aus.
Sie schreiten dahin, und sie besiegen
Mannenführer, erprobt im Strauß.

Strauß?

Eine von ihnen sagt auf arabisch (!):

„Beim Messias, nein, das ist von euch nicht fein. Aber jede, die von euch noch ein Wort spricht, werfe ich zu Boden und binde ihr die Hände auf dem Rücken mit ihrem eigenen Gürtel zusammen.“

was sie auch tatsächlich tut. Da tritt ein altes Weib hervor

und sagte wie im Zorn zu ihr: „Du Metze, freust du dich, wenn du die Mädchen zu Boden wirfst? Siehe, ich bin ein altes Weib, und doch habe ich sie vierzigmal geworfen! Was hast du also zu prahlen? Aber wenn du die Kraft hast, mit mir zu ringen, dann tue es; dann werde ich dich fassen und dir den Kopf zwischen die Füße legen.“

46 Dandân (= دندان) bedeutet „Zahn“ und war das erste Wort, das ich auf Persisch konnte, nachdem Ralf aus dem Wörterbuch ein Wort herausgesucht hatte, das meinem Namen ähnelte.

45. Nacht

Nachdem Ghânim dem Kalifen seine Geschichte erzählt hat, macht er ihn nun zu seinem Vertrauten und bittet um Entschuldigung, die dieser natürlich gewährt.

Wäre ja mal eine schöne Wendung, wenn das nicht geschähe.

Dann gab er den Befehl, ihm einen Palast anzuweisen, und er verlieh ihm Gehälter, Einkünfte und Schenkungen, die sich auf eine hohe Summe beliefen.

Vielleicht ist es auch die Maßlosigkeit von Gunst und Drohung, die den Kalifen jedes mal wie einen irren Gott erscheinen lassen.

Darauf ließ er ihn mit seiner Mutter und seiner Schwester dort einziehen; und als der Kalif vernahm, dass seine Schwester Fitna an Schönheit eine wahre "fitna", das heißt eine Verführerin war, da erbat er sie von Ghânim zur Ehe.

Fragt sich, ob das für Fitna eine schöne Aussicht ist, als Vögelchen im goldenen Käfig zu sitzen.

So heiraten der Kalif Fitna und Ghânim Kût el-Kulûb am selben Tag.
Der Kalif lässt die Geschichte für seine Archive aufzeichnen.

Ende

***

Die Geschichte des Königs Omar ibn en-Numân und seiner Söhne Scharkân und Dau el-Makân und dessen, was ihnen widerfuhr an Merkwürdigkeiten und seltsamen Begebenheiten

In Bagdad herrscht

vor dem Kalifat des Abd el-Melik

d.h. also vor 685 n.Chr.

ein König namens Omar ibn en-Numân, der die persischen Könige und die oströmischen Kaiser besiegt hat.

Er war König aller Länder und Gott hatte ihm alle Menschheit unterstellt.

Gegenden, die seiner Herrschaft untertan sein sollen:

  • das nahe und das ferne Indien

  • China

  • das Land des Hidschâz

  • Jemen

  • die Inseln von Hinterindien und China

  • Mesopotamien

  • Sudan

  • die Inseln des Weltmeeres

  • Die weltberühmten Ströme der Erde: Jaxartes, Oxus45, Nil, Euphrat

Scharkân heißt der Sohn des Königs, der, obwohl mit vier Frauen verheiratet, sonst keine Kinder hat. Und dieser Scharkân wird zu einem stattlichen Mann, dem sich keiner zu widersetzen vermag. Außer den vier Frauen hat er noch 360 Nebenfrauen, für jeden Tag im Jahr eine. Und von diesen wird dann doch eine Griechin namens Sophia schwanger. So sehr der Vater nun hofft, sein Nachkomme möge männlich werden, so sehr befürchtet Scharkân dies, da er annimmt, ein männlicher Nachkomme würde seine Herrschaft streitig machen, und so beschließt er, falls es ein Junge wird, diesen zu töten.

Dieser Scharkân schraubt sich ja gleich zu Beginn der Geschichte, die, soweit ich das sehen kann, uns in den nächsten Wochen begleiten wird, in unsere Herzen.

Die Sklavin gebiert eine Tochter, man überbringt Scharkân die Nachricht, und er beruhigt sich, nicht wissend, dass die Sklavin noch einmal Wehen bekommt und nun einen Jungen zur Welt bringt.
Man nennt das Mädchen Nuzhat ez-Zamân ("Wonne der Zeit") und den Jungen Dau el-Makân ("Licht des Hauses").

Vier Jahre später bittet eine Gesandtschaft des christlichen Königs Afridûn von Konstantinopel den Omar ibn en-Numân um Unterstützung in einem Feldzug gegen den Fürsten des armenischen Cäsarea. Dieser habe nämlich dem König Afridûn eine Schiffsladung geraubt, auf denen sich drei straußeneigroße Juwelen, die nutz- und schutzbringend sind, wenn man sie einem neugeborenen Kind um den Hals hängt.

Fragt sich natürlich, wie ein Neugeborenes die Last eines straußeneigroßen Juwels tragen soll

Zwei Feldzüge seien schon fehlgeschlagen, nun bitte man

den König von Bagdad und Chorasân

um Hilfe.

Ich rate mal, wie es weitergeht: Während Scharkân in die Kämpfe verwickelt wird, gefangen genommen und zuhause für tot erklärt wird, übernimmt sein Halbbruder in Bagdad die Macht. Die Brüder ziehen gegeneinander in den Krieg. Verbrüderung oder Kampf um Leben und Tod.

 

 

45 Altertümliche Bezeichnungen: Jaxartes = Syrdarja, Oxus = Amudarja

 

44. Nacht

Kût el-Kulûb befiehlt dem Basarvorsteher, seiner Frau zu sagen, diese möge die beiden Frauen baden und pflegen.

Unklare Sozialhierarchie: Eine Sklavin des Kalifen kann dem Basarvorsteher Befehle erteilen! D.h. die Nähe zum Hofe des "Beherrschers der Gläubigen" lässt einen über die Geschlechterhierarchie und über die Hierarchie Sklave/Freier hinauswachsen.

Die beiden werden also gebadet und neu eingekleidet,

so dass sich die Spuren ihres Standes deutlich zeigten.

Zu dritt besuchen sie Ghânim.

Ghânim ibn-Aijûb aber, der verstörte Sklave der Liebe, hörte sie plötzlich den Namen Kût el-Kulûbs nennen; da kehrte das Leben in ihn zurück.

Nachdem Ghânim erfahren hat, was inzwischen geschehen ist, lässt man ihn pflegen, badet ihn und füttert ihn mit Brühen, Galgantwasser, Kükenfleisch, Apfelsaft und Scherbet.
Der Kalif erfährt von Kût el-Kulûb, dass man Ghânim gefunden habe, und dieser schickt Dscha’far, um ihn zu holen.

Wie wird dieser Wesir über den Kalifen denken? Beim letzten Mal wurde er losgeschickt, um Ghânims Haus zu plündern.

Siehe, da kam auch schon Dscha’far auf seinem nubischen Maultier.

Als Ghânim dann vor den Kalifen tritt, spricht er folgende Verse:

Sei mir gegrüßt, o König von hocherhabener Würde,
der du deiner Wohltat Gaben stets verteilest reich an alle!
Sie geben keinem anderen als dir den Namen des Kaisers
dir, dem mächtigen Herrscher, dem Herrn der Ruhmeshalle.
Es legen die Könige, wenn sie dir grüßend nahen,
Der Kronen Edelsteine auf deine Schwelle hin,
Und wenn dann ihre Augen dein Antlitz nur erblicken,
So werfen sie sich zu Boden mit ehrfurchtsvollem Sinn.
O Majestät, du verleihest ihnen in deiner Gnade
Hohe Ehrenstellen und deiner Herrschaft Macht.
Zu eng für deine Heere wurden Ehre und Menschheit;
Drum schlage deine Zelte hoch in der Sterne Pracht.
Dich möge der Könige König erhalten in seiner Liebe
Dein sei ein festes Herz und dein ein trefflicher Rat!
Du breitetest deine Gerechtigkeit über die ganze Erde,
Bis sie den Fernen gleichwie den Nahen umfasset hat.

Und das an einen, der ihm Reichtum, Weib und Gesundheit raubte!

Als er seine Verse beendet hatte, war der Kalif entzückt, denn ihm gefiel die Feinheit seiner Sprache und die Lieblichkeit seiner Rede.

43. Nacht

80 Tage lang lässt der Kalif Kût el-Kulûb im dunklen Zimmer. Dann kommt er daran vorbei und vernimmt ihre Klage:

"O Ghânim! (…) Du handeltest gut an einem, der schlecht an dir gehandelt hat. (…) Aber wahrlich, du wirst mit dem Beherrscher der Gläubigen och vor einem gerechten Richter stehen, und du wirst dein Recht von ihm erhalten an dem Tage, an dem er Herr in seiner Majestät und Allgewalt der Richter ist und die Engel die Zeugen sind."

Der Kalif lässt sie von seinem Eunuchen Masrûr zu sich holen und entschuldigt sich auf Kalifenart bei ihr:

"Es gibt keine Majestät und es gibt keine Macht außer bei Allah! Erbitte dir eine Gnade, sie soll dir gewährt werden."

Sie erbittet ihren Geliebten Ghânim. Und der Kalif verspricht:

"Wenn er vor mich tritt, so will ich dich ihm schenken als das Geschenk eines Großherzigen, der seine Gabe nicht widerruft."

Man will diesen aufgeblasenen Gockel mal irgendwann stürzen sehen 43. Sollte er sich nicht wenigstens an der Suche nach Ghânim beteiligen, so wie er auch dessen Verfolgung beauftragte?

Kût el-Kulûb  sucht nun nach Ghânim, besucht die Ältesten der Gemeinde und verteilt Almosen in Ghânims Namen.

Unklar: Rolle der Gemeindeältesten in Bagdad

Auch dem Vorsteher des Basars (der, wie wir wissen, Ghânim pflegt) erhält eine Spende mit dem Auftrag, sie unter den Fremdlingen zu verteilen. Dieser stellt ihr die etwas sonderbare Frage:

"Herrin, willst du zu mir in mein Haus kommen und dir einen fremden Jüngling dort ansehen, der schön und anmutig ist?"

Sie lässt sich von einem Knaben dorthin führen, pflegt Ghânim, ohne ihn zu erkennen, da er immer noch dünn wie ein Zahnstocher ist, und kehrt zum Palast zurück.

Seltsames Verhalten eigentlich: Warum kommt sie überhaupt mit, wenn sie nicht glaubt, dass es Ghânim sein könnte. Und wenn sie andererseits diese Vermutung hegt, so könnte sie ja mal etwas genauer hinschauen, denn er trägt ja immer noch die Kleider, von damals, oder, wie es der Basarvorsteher ausdrückt:

"Bei Allah, er stammt von guten Leuten und trägt die Spuren des Wohlstandes."

Kurz darauf treffen auch Ghânims Mutter und Schwester ein, und auch sie sind

in härene Gewänder gekleidet und tragen deutlich die Spuren des Wohlstandes und Glückes an sich.

was offenbar auch ein entscheidender Grund ist, warum sie vom Basarvorsteher aufgenommen werden. Reichtum scheint mit göttlicher/natürlicher Noblesse gekoppelt zu sein. Und es ist für den Einzelnen eine von Allah anzurechnende Tugend, die Dinge wieder ins Lot zu rücken – also dem Edlen zu helfen, wenn ihm das Glück abhanden kam. Aristoteles, dessen Schriften unter Dscha’far eingeführt wurden, argumentiert, dass aus den getrennten Teilen des zusammenhängenden Ganzen auch immer ein Regierendes und ein Regiertes hervorgeht. Oder – wie Luhmann das hochmittelalterliche Denken in Bezug auf menschliches Handeln und Natur beschreibt: "Beides ist zwar Natur, aber während das Feuer immer heiß ist, wenn es brennt, und die brennbaren Dinge immer verbrennt, erreicht der Adelige nicht immer die seiner Natur entsprechende Perfektion, und dies obwohl die Natur immer in Richtung vom Imperfekten aufs Perfekte nimmt." 43a

…die beiden haben jede einen Brotbeutel um den Hals hängen; ihre Augen sind voller Tränen und ihr Herz voller Betrübnis.

Einen Brotbeutel mussten wir als Kinder im Alter von 5-8 Jahren tragen, und unser Herz war ob dieses umständlichen Utensils und manchmal fraglichen Inhalts ebenfalls oft voller Betrübnis. Designt waren sie wie unsere Schultaschen – außen Leder, innen Plaste. Wurstklappstullen und Äpfel.
Schön der Tag, als wir unsere Stullen ganz normal in der Schultasche transportieren durften (in meinem Fall in ausgewaschenen Milchtüten, wie sie in Ostberlin typisch waren). Und ich habe nicht einmal ein Foto davon. Stattdessen – wie es eben üblich ist – einen Haufen Urlaubsfotos.

Die beiden klagen über ihren verlorenen Sohn und Bruder Ghânim. Kût el-Kulûb darauf:

"Seid getrost, denn dieser Tag ist der erste eures Glücks und der letzte eures Unglücks! Seid nicht mehr traurig!"

 

43 Der historische Harûn er-Raschîd aber starb (ohne gestürzt zu werden) wenige Jahre nachdem er die Barmekiden-Familie ihrer Positionen beraubt und ihre Mitglieder hingerichtet oder eingesperrt hatte. Der Fluch kam, wenn man so will, über Harûns zwei Söhne, unter denen er das Reich aufteilte, das damit instabil wurde.

43a s. Niklas Luhmann: Gesellschaft der Gesellschaft. 2. Teilband, S. 917, Frankfurt/M. 1998

42. Nacht

Eines Tages geht der Kalif zum Frauengemach hin und legt sich zum Schlafen nieder. Eine Sklavin fächelt ihm am Haupt Luft zu, eine zweite knetet ihm die Füße.

Rar gewordenes Inventar: Frauen, die zur Stelle sind, wenn man sie braucht, und dann auch noch wissen, was zu tun ist.

Als die Sklavinnen glauben, der Kalif schlafe, unterhalten sie sich über Kût el Kulûb und die Füßekneterin berichtet der Luftzufächlerin von deren Schicksal und lässt auch noch die erstaunliche Information heraus:

"Ich habe die Fürstin Zubaida hören sagen, sie sei bei einem jungen Kaufmann aus Damaskus, genannt Ghânim ibn Aijûb."

Woher kann die Fürstin das denn wissen?

Klar, dass der Kalif über diese Information nicht erfreut ist:

Da ergrimmte er gewaltig, und er stand auf und berief die Emire des Reiches; und mit ihnen kam der Wesir Dscha’far el-Barmeki 42 (…): "Dscha’far, geh mit einer Schar Bewaffneter hinunter und frage nach dem Haus des Ghânim ibn Aijûb: fallt über das Haus her und bringt ihn her mit meiner Sklavin Kût el-Kulûb."

Man umstellt das Haus.

Da waren der Wesir und der Präfekt und die Wächter und die Mamluken mit gezückten Schwertern und umgaben das Haus, wie das Weiße des Auges das Schwarze umgibt.

Währenddessen essen Ghânim ibn Aijûb und Kût el-Kulûb Fleisch. Kût el-Kulûb entdeckt die Bewaffneten und rät Ghânim ibn Aijûb, sich als Bote zu verkleiden und mit dem Fleischkorb auf dem Kopf das Haus zu verlassen. Das tut er auch

Und der Allbehüter nahm sich seiner an, so dass er den Gefahren und Nöten entrann.

Die Schergen plündern das Haus

Plünderungen im Islam?

und Dscha’far führt Kût el-Kulûb zum Kalifen;

der aber ließ Kût el-Kulûb in ein dunkles Zimmer bringen und gab ihr eine alte Frau zu ihrem Dienst; denn er war überzeugt, dass Ghânim sie verführt und bei ihr geschlafen hätte.

Unklar: Worauf bezieht sich das "denn"? Bekommt sie als sozusagen entwertete Sklavin nur eine alte Frau? Oder deutet das dunkle Zimmer auf eine Art Karzer hin? Die ganze Story wirft ein seltsames Licht auf die impulsive Gefühlswelt des Kalifen, der eben noch einen Monat um Kût el-Kulûb trauerte und sie nun einsperrt.

Dem Statthalter in Damaskus, Sulaimân ez-Zaini 42a, gibt er einen Brief mit, in dem dieser aufgefordert wird, ihm Ghânim ibn Aijûb zu schicken, sobald dieser in Damaskus auffordere. Da das zunächst nicht möglich ist, gibt der Statthalter dem Volk einen Freibrief, das Haus, in dem noch Mutter und Schwester von Ghânim ibn Aijûb wohnen, zu plündern.
Inzwischen erreicht Ghânim ibn Aijûb erschöpft eine Moschee und bricht dort zusammen.

Aber das Herz zitterte ihm vor Hunger, und da er schwitzte, so liefen ihm Läuse über die Haut, sein Atem wurde stinkend, und sein ganzes Aussehen wurde verändert. Als nun die Bewohner jenes Dorfes zum Frühgebet kamen, fanden sie ihn dort, liegend in Qualen, hager vom Hunger und doch noch mit den Zeichen einstigen Reichtums.

Und so sehen ihn auch zwei Bettlerinnen – Mutter und Schwester – die ihn aber nicht wiedererkennen.
Man bindet ihn auf ein Kamel, das man einem Treiber gibt, der es nach Bagdad führt, wo er Ghânim ibn Aijûb vor das Tor eines Hospitals legt.

Als die Leute durch die Straßen zu gehen begannen, da erblickten sie ihn, der so dünn war wie ein Zahnstocher.

Der Vorsteher des Basars vertreibt die Schaulustigen:

"Ich will mir durch dieses arme Geschöpf das Paradies gewinnen; denn wenn sie ihn in das Hospital aufnehmen, so werden sie ihn in einem einzigen Tage töten." Dann ließ er ihn durch seine Sklaven in sein Haus tragen, ließ ihm ein neues Bett bereiten, neue Kissen darauf legen und sagte zu seiner Frau: "Pflege ihn sorgsam."

Neue Information: Durch Barmherzigkeit kann man sich also auch im Islam den Weg ins Paradies bahnen.
Unklar: Warum würde man ihn im Hospital binnen eines Tages töten? Sind die Zustände dort so miserabel oder die Pfleger so mordlüstern?

Die Frau des Basarvorstehers

gab ihm einen Becher Wein zu trinken und sprengte Rosenwasser über ihn.

Wein als Medizin

 

 

42Bisher wurde Dscha’far in der Übersetzung immer eingedeutscht "der Barmekide" genannt.
Die Barmekiden waren eine persische edle Familie, die den Abbasiden zur Macht verhalf und ihnen in hohen Staatsämtern diente. Später, gegen Ende der Regierungszeit von Harûn er-Raschîd, fielen sie in Ungnade. Dscha’far war der Sohn des Vertrauten von Harûn, Yahya, und selber, wenn überhaupt, nur kurze Zeit Wesir. Im Jahr 806 fiel die Familie in Ungnade, entweder wegen Amtsanmaßungen oder (romantisch aber unwahrscheinlich) wegen eines Liebesverhältnisses zwischen Dscha’far und Harûns Schwester.
Dem historischen Dscha’far wird außerdem unterstellt, die griechische Wissenschaftstradition in Bagdad eingeführt zu haben, und, nachdem er von gefangenen Chinesen in die Geheimnisse der Papierherstellung eingeweiht worden war, in Bagdad die erste Papiermühle errichten zu lassen.

42a Dessen Sohn haben wir schon in der38. Nacht kennengelernt, wo Harûn ihn als Statthalter von Basra (!) absetzt. Sein Sohn soll Statthalter von Damaskus gewesen sein.

41. Nacht

Ghânim ibn Aijûb führt die Schöne in der Kiste nach Hause,

wo alles noch fein säuberlich steht – die Aufregung um einen möglichen Überfall war also umsonst –

er kauft ihr Essen, Kerzen, Wein, Wohlgerüche,

und als die Maid ihn sah, da lachte sie und küsste ihn und umschlang seinen Hals Und sie begann ihn zu streicheln, so dass seine Liebe noch stärker wurde und sein Herz ganz beherrschte.

Aber es bleibt beim anständigen Tändeln. Ebenso am nächsten Tag, und als Ghânim sie um das Letzte bittet, erwidert sie

"das steht dir nicht zu; den auf der Schnur meiner Hose steht ein harte Wort!"

Er respektiert das, und einen Monat lang fahren sie fort in diesem unschuldigen Liebesspiel, bis er eines Nachts dir Worte auf der Schnur liest:

"Ich bin dein und du bist mein, o Nachkomme des Propheten.41a)"

Nun berichtet das Mädchen, es heiße Kût el-Kulûb.

Nach einem Monat erst sagt sie ihm ihren Namen!

Sie sei die Geliebte Harûn er-Raschîds. Die Herrin Zubaida41 ist eifersüchtig auf das junge Mädchen, lässt es mit Bendsch betäuben und von den drei Sklaven, die sie bestochen hatte (ebenso wie die Türhüter), fortbringen und in das Grabmal legen.

Fragt sich nur, woher Kût el-Kulûb diese Informationen hat, wenn sie doch betäubt gewesen ist.

Als Ghânim ibn Aijûb die Worte der Kût el-Kulûb vernahm und erfuhr, dass sie die Geliebte des Kalifen war, da wich er zurück; denn ihn befiel eine heilige Scheu vor der Kalifenmacht, und er setzte sich abseits von ihr in einem Winkel des Raumes nieder.

Des Liebenden Herz verzehrt sich in Sehnsucht nach der Geliebten;
Und ihre herrliche Schönheit raubt ihm den Verstand.
Einst ward ich gefragt: "Wie schmeckt die Liebe?" Ich gab zur Antwort:
"Die Liebe ist süß, und doch knüpft sie an Leiden ihr Band."

Er hält sich weiterhin zurück, doch am nächsten Tag bietet sich Kût el-Kulûb ihm an:

"Stille dein Begehr an mir!" Er aber unterbrach sie: "Ich nehme meine Zuflucht zu Allah! Das darf nie sein. Wie darf sich der Hund an die Stelle des Löwen setzen?" (…) Doch ihre Liebe zu ihm wuchs dadurch, dass er sich zurückhielt.

Dies scheint mir eines der schwierigsten Aspekte des Flirtspiels: Wie lange und wie stark hält man sich zurück? Ein wenig sich zieren, kann sie (oder ihn) ja auch schar machen, aber irgendwann ist der Zug auch abgefahren, und der andere wirft sich einem Draufgänger an den Hals, der sich um Tändelei nicht schert.

Die Fürstin Zubaida indessen sorgt sich, der Kalif könne etwas von der Missetat mitkriegen, und so wendet sie sich um Rat an eine alte Frau. Diese empfiehlt ihr, eine Holzpuppe anfertigen zu lassen, sie einzuwickeln und sie in der Mitte des Palastes beerdigen zu lassen und dem Kalifen gegenüber zu behaupten, Kût el-Kulûb sei gestorben.

"Will der Kalif die Laken abnehmen lassen, um sie zu sehen, so hindere du ihn daran und sage: "Der Anblick der Nacktheit ist nicht erlaubt."

Tatsächlich befällt den Kalifen große Trauer, als er von seiner Reise zurückkommt, allerdings auch Argwohn, und tatsächlich will er die Leiche auspacken lassen, was ihm aber verwehrt wird. So trauert er einen Monat an ihrem Grab.

 

 

41 Bekannt aus den Nächten 27 und 28 (Geschichte des Verwalters)

41a) Harûn er-Raschîd ist mitnichten ein Nachkomme Mohammeds. Das trifft nur auf die ersten vier Kalifen zu. er-Raschîd gehörte der Dynastie der Abassiden an, die die Ummayaden abgelöst hatten.

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40. Nacht

Kafûr läuft seinem Herrn entgegen und berichtet, dessen Frau wäre gestorben, woraufhin dieser in großes Geheul ausbricht und nach Hause rennt. Auf dem Weg begegnet ihm sein Weib, die beiden wundern sich. Und Kafûr beömmelt sich wie über einen gelungenen Aprilscherz. Als sein Herr, nachdem er erfährt, dass sich Kafûr auch noch aktiv an der Zerstörung des Mobiliars beteiligt habe, bei ihm beschwert und ihm droht, das Fleisch von den Knochen zu reißen, gibt Kafûr schlaumeierisch zur Antwort, sein Herr habe ihn ja mit dieser Bedingung gekauft, und dies sei erst die halbe Lüge, der zweite Teil folge später in diesem Jahr. Daraufhin will der ihn einfach nur noch loswerden:

"Oh Hund, Sohn eines Hundes!", reif mein Herr, "verfluchtester aller Sklaven, ist dies alles nur eine halbe Lüge? Wahrlich, ist es doch ein ganzes Unheil! Geh von mir, du bist frei in Allahs Namen!"

Die erstaunliche Antwort hierauf: Der Sklave Kafûr will gar nicht freigelassen werden, da die eine Lüge ja noch aussteht. Erst wenn die eingelöst ist, will er verkauft werden. Freilassen darf ihn der Herr aber nicht,

"denn ich kenne kein Handwerk, durch das ich mir meinen Lebensunterhalt verdienen kann; und diese meine Forderung an dich ist gesetzlich, die Rechtsgelehrten haben sie im Paragraphen von der Freilassung aufgeführt."

Sklavenmentalität als die andere Seite der Sklaverei.

Nach einer Prügelstrafe

ließ mein Herr mich in meiner Ohnmacht und holte einen Barbier, der mich entmannte und die Wunde ausbrannte.

wodurch wir von einer weiteren, eher unappetitlichen Aufgabe der Barbiere erfahren. Aber wer mag sich dann noch von einem solchen Mann rasieren lassen, wenn er weiß, was mit dem Messer nur wenige Stunden vorher geschah. Ohne großer Freud-Fan zu sein: Wer hier keine Kastrationsangst verspürt, ist kein Mann.

Dann nahm er mich und verkaufte mich um einen hohen Preis, da ich jetzt Eunuch war.

Beachtlich: Eunuchen teurer als unkastrierte Sklaven!

Hier zur Rolle der Sklaverei im Islam

Die Zandsch genannten Sklaven waren schwarzhäutige Sklaven aus Afrika, die den Muslimen nicht ebenbürtig galten. Wegen ihrer krassen Unterdrückung erhoben sie sich im Jahr 869 in Basra und nahmen die Stadt zwei Jahre später ein.

***

Dem dritten Eunuch ist nicht nach Erzählen zumute, er erwähnt nur lapidar:

"Ich habe sowohl meine Herrin wie den Sohn meines Herrn gemissbraucht."

Dann klettert er über die Mauer und öffnet sie von innen.

Seltsam ich dachte, das sei schon in der 39. Nacht geschehen.

Die drei schaufeln eine Grube und legen die Kiste hinein, dann verschwinden sie. Am nächsten Morgen, gräbt Ghânim die Grube mit den Händen auf, öffnet die Kiste und entdeckt darin eine schlafende Maid.

Als sie den Wind roch und die Luft in ihrer Nase, da nieste sie. Dann würgte und hustete sie, und aus ihrem Halse fiel eine Pille von kretischem Bendsch.

Bendsch = Cannabis

Als sie nun wusste, wie es um sie stand, rief sie: "Ich bezeuge, dass es keinen Gott gibt außer Allah und dass Mohammed der Gesandte Allahs ist."

Bisher habe ich es hier kaum notiert, aber das Glaubensbekenntnis taucht in beinahe jeder Geschichte auf.

Das Mädchen gibt ihm Instruktionen, sie wieder in die Kiste zu legen und per Maultier oder Kamel in sein Haus zu bringen, wo sie ihm ihre Geschichte erzählen würde.

Schon glühte die Liebe zu ihr in seinem Herzen, denn sie war ein Mädchen, wert zehntausend Goldstücke, und trug Schmuck und Gewänder, die ein großes Vermögen wert waren.

Ob der Schmuck und die Gewänder ihren Teil zu dieser Liebe beitrugen?

39. Nacht

Die beiden Kinder des Kaufmannes erben unter anderem

hundert Kamellasten von Seidenstoffen, Brokaten und Moschusblasen; und auf jedem Ballen stand geschrieben: "Dies ist bestimmt für Baghdad."

Ghânim ibn Aijûb reist nun tatsächlich nach Bagdad, um dort Handel zu treiben. Seine Reise ist glücklich. Nach einer Ruhepause begibt er sich mit einem Stoffballen zum

Laden des Marktvorstehers, dem er das Bündel übergab. Der öffnete es, zog die Stoffe hervor und verkaufte sie mit einem Nutzen von zwei Dinaren auf jeden Dinar des Einkaufspreises.

Diese Makler- und Marktvorsteherfunktion wird mir nicht so recht klar: Was ist denn dessen Funktion? Ist es die Glaubwürdigkeit? Wird der Marktvorsteher nur in bestimmten Fällen aktiv?
Außerdem unklar: Der "Nutzen von zwei Dinaren" – Ist das der Gewinn oder der Erlös?

Er tat so ein volles Jahr lang.

Nach einem Jahr findet er den Basar verschlossen, weil einer der Kaufleute verstorben ist. Man bewegt ihn dazu, zur Trauerfeier mitzugehen. Als die Gruppe ankommt, sehen sie,

dass die Verwandten des Verstorbenen über der Gruft ein Zelt errichtet und es mit Lampen und Wachskerzen versehen hatten.

Seltsamer Brauch: Zelt über der Gruft.

Die bislang größte Trauerfeier an der ich teilnehmen durfte, war 1997 in Ghana. Ähnlich wie der Held dieser Geschichte, wurde ich da hineingezogen, ohne zu wissen, was mich erwartete: Der Onkel einer Kollegin, ein Dorf-Häuptling, hatte das Zeitliche gesegnet. Und da er recht populär war, fanden sich zirka 2.000 Menschen zu seiner Beerdigung ein. Für die Anwesenden war es eine besondere Ehre, dass sich auch ein Deutscher eingefunden hatte. Man bekam 1/8 Apfel als Leichenschmaus. Das Merkwürdigste aber: Ich habe zu keinem Zeitpunkt einen Sarg oder eine Urne gesehen. Ich weiß bis heute nicht, wo der Verstorbene beerdigt wurde.

Ghânim ibn Aijûb ist in Sorge über sein Haus, das vielleicht von Räubern überfallen werden konnte. Als er sich endlich frei machen kann, schafft er es doch nicht mehr rechtzeitig: Die Tore der Stadt sind verschlossen.

Er fand ein Heiligengrab: vier Mauern schlossen es ein, drin war ein Palmbaum, und es hatte ein Tor aus hartem Stein. Und da das Tor offen stand, ging er hinein.

Er kann nicht einschlafen, geht noch einmal hinaus und entdeckt einen Lichtschein, der sich auf ihn zubewegt. Aus Angst klettert er auf die Palme. Zum Glück, denn es sind drei schwarze Sklaven namens Kafûr, Sawâb und Buchait.

Und bisher haben schwarze Sklaven noch immer Unglück über die Helden unserer Erzählungen gebracht.

Sie wundern sich über das verschlossene Tor, aber Buchait meint:

"Wie dumm seid ihr! Wisst ihr nicht, dass die Besitzer der Gärten öfters von Baghdad aus hierher kommen? Wenn dann der Abend sie überrascht, so treten sie hier ein und schließen das Tor, aus Furcht, Schwarze wie wir könnten sie fangen, braten und verzehren.

Kannibalismus als weiteres Laster schwarzer Sklaven, neben der bisher erwähnten Gier, Hinterhältigkeit, Hurerei und Schmutzigkeit.

Nun klettert einer über die Mauer, öffnet den beiden, und da sie müde sind, lassen sie die Arbeit ruhen (und offenbar auch den Gedanken an etwaige Eindringlinge auf der Palme) und erzählen sich die Geschichten über ihre Entmannung.

Die Geschichte des Eunuchen Buchait

Buchait wurde im Alter von fünf Jahren aus seiner Heimat geraubt und einem Unteroffizier verkauft. Als Kind darf er mit dessen Tochter spielen. Als er zwölf Jahre alt ist und sie zehn, kommt sie aus dem Bad. Es folgt die bisher drastischste Beschreibung einer sexuellen Beziehung:

Nun begann sie mit mir zu spielen und ich mit ihr. (…) So richtete sich mein Glied auf, bis es einem großen Schlüssel gleich ward. Sie stieß mich zu Boden, so dass ich auf den Rücken fiel, setzte sich mir rittlings auf die Brust und fing an sich auf mir herumzuwinden, bis mein Glied entblößt war. Als sie es aufrecht dastehen sah, nahm sie es in die Hand und begann damit, vor ihrer Hose an den Lippen ihrer Scham zu reiben. (…) Und ehe ich mich dessen versah, zerriss mein Glied ihr die Hose und vernichtete ihr Mädchentum.

Die Sache wird dem Vater verschwiegen, und die Mutter des Mädchens gibt vor, die Angelegenheit zu vergessen, bis zum Tag der Hochzeit, als man den Sklaven schnappt und "verschneidet".

In der Hochzeitsnacht schlachteten sie eine Taube und sprengten Blut in ihr Hemd.

Die Geschichte des Eunuchen Kafûr

Der Makel des noch kindlichen Sklaven Kafûr besteht darin, dass er jedes Jahr einmal lügt. Doch ein Kaufmann erwirbt ihn dennoch für 600 Dirhems. Als eines Tages der Kaufmann mit seinen Kollegen speist, befiehlt er dem Sklaven aus seinem Hause etwas zu holen. Dort angekommen, behauptet er, der Kaufmann sei von einer umstürzenden Mauer erschlagen worden. Angesichts dieser Botschaft verzweifelt die Gattin es Kaufmanns und beginnt das Geschirr zu zerdeppern,

zerbrach die Fenster und Läden, beschmierte die Wände mit Lehm und blauer Farbe und rief: "Heda, Kafûr! Komm, hilf mir und reiß den Schrank um, zerbrich die Gefäße und dies Porzellan und alles andere dazu!"

Er gehorcht, und nun erfahren auch die Freunde und Verwandten vom angeblichen Unglück.

Und sie folgten mir mit unverschleierten Gesichtern und unbedeckten Köpfen.

So ziehen sie zum Präfekten, um ihm alles zu berichten.

38. Nacht

Nûr ed-Dîns Verwunderung, warum ein Fischer einem Statthalter in Basra Aufträge erteilen könne, ist verständlich, doch Harûn er-Raschîd redet sich heraus:

"Ich lernte mit ihm in derselben Schule und unter demselben Lehrer, und ich war Klassenerster. Seither ist ihm das Glück hold gewesen, so dass er Sultan wurde, während Gott ihn erniedrigte und mich zum Fischer machte."

Die sonst an derartigen Stellen so typische Nachfrage: "Wie war das denn?" bleibt uns und dem Kalifen hier erspart.

Nûr ed-Dîn entfernt sich nun mit dem Brief Richtung Baghdad und lässt Enîs el-Dschelîs tatsächlich zurück.

Dieses Verhältnis scheint mir immer noch unklar: Ist sie nun seine Geliebte oder wirklich nur eine Art Entertainment-Sklavin? Ihr gemeinsames Spiel deutet er auf eine Intimbeziehung hin, andererseits haben sie nie geheiratet oder ein derartiges Ziel ins Auge gefasst, und es ist auch stets von der Sklavin die Rede. Aber: Wenn er sie als Sklavin und somit als wertvolles Objekt betrachtet, warum sollte er sie einem verlausten Fischer überlassen?

Der Kalif gibt sich Scheich Ibrahim zu erkennen.

Da wurde er plötzlich wieder nüchtern, warf sich zu Boden und sprach die Verse:

Vergib mir die Sünde, in die mein Fuß hineingeglitten!
Der Sklave erwartet ja von seinem Herrn die Huld.
Ich habe gestanden, und das gebot mein Vergehen.
Doch wo ist nun, was dir gebietet verzeihende Huld?

Man möge dem Scheich die schlechten "Reime" verzeihen. Improvisation in betrunkenem Zustande zahlt sich selten aus.

Der Kalif aber vergibt ihm seine Ausfälle und lässt Enîs el-Dschelîs in seinen Palast führen, wo er ihr ein Zimmer zuweist.
Als Nûr ed-Dîn in Basra ankommt, ist der Sultan einigermaßen erstaunt über das Schreiben des Kalifen, da dieser ihm darin befiehlt, sein Amt niederzulegen und es Nûr ed-Dîn zu übergeben.

Dann berief er die vier Kadis und die Emire.

"Die vier Kadis?" Heißt das, es gab nicht mehr Richter in Baghdad? Oder sind das die vier Leib-Kadis?

doch der schurkische Wesir el-Mu’in ibn Sâwa zerreißt das Schreiben und frisst es. Seine Handlung begründet er damit, dass das Schreiben nicht echt gewesen sei, und Nûr ed-Dîn ein Betrüger. Er schlägt vor, Nûr ed-Dîn in Begleitung nach Baghdad zu schicken, um die Echtheit zu prüfen. Der Sultan ist einverstanden, aber el-Mu’in ibn Sâwasperrt Nûr ed-Dîn in seinen Privatkerker und gibt dem Kerkermeister den Befehl, ihn zu foltern. Doch der Kerkermeister behandelt Nûr ed-Dîn freundlich.
Vierzig Tage später kommt ein Geschenk des Kalifen an, und der Sultan (der sich schon einmal als etwas vergesslich gezeigt hatte), gibt nun den Befehl, Nûr ed-Dîn zu enthaupten.

Doch als die Leute den Ausrufer hörten, trauerten alle und weinten, die Kinder in der Schule und die kleinen Kaufleute in ihren Läden; und einige wetteiferten, Plätze zum Zusehen zu finden, und andere gingen zum Gefängnis, um ihm das Geleit zu geben.

Obwohl Nûr ed-Dîn ihn warnt und mahnt, spottet der Wesir mit den Dichterworten

Ein Mann, der seinen Feind noch überlebt
Um einen Tag, erreicht, was er erstrebt.

Schließlich führten sie ihn unter das Fenster des Palastes und setzten ihn dort auf das Blutleder

Unklares Inventar: Blutleder.

Doch naht hier zum rechten Zeitpunkt die vierzehnte Kavallerieabteilung Dscha’far, der Barmekide, der Wesir des Kalifen, der mit seiner Schar eine Staubwolke aufwirbelt.
Denn inzwischen war folgendes geschehen:

Dreißig Tage hatte der Kalif nicht mehr an das Geschenk des Nûr ed-Dîn Alî gedacht (…) Bis er eines Nachts an dem Gemache der Elîs el-Dschelîs vorüberkam und sie weinen hörte. (…)
Da fragte der Kalif: "Wer bist du?" Sie antwortete: Ich bin die, die Alî ibn Fadl dir zum Geschenk gemacht hat, und ich sehne mich danach, dass du dein Versprechen, das du mir gegeben hast, erfüllen und mich zu ihm mit der Ehrengabe schicken möchtest; jetzt bin ich hier seit dreißig Tagen, ohne die Süße des Schlafes gekostet zu haben."

Diese Herrscher scheinen alle ihren Gedächtnisverlust mit hoher Impulsivität kompensieren zu müssen:

Dscha’far wird nach Baghdad geschickt.

"Wenn du dich auf dem Wege länger aufhältst als nötig, lasse ich dir den Kopf abschlagen."

An diese Drohungen scheint sich Dscha’far gewöhnt zu haben.

In Basra lässt er Sultan und Wesir verhaften und setzt Nûr ed-Dîn als Sultan ein.
Nach einer Frist von drei Tagen – die Zeit der Gastpflicht – reisen alle wieder nach Baghdad. Dort angekommen, verlangt der Kalif, das Nûr ed-Dîn dem Wesir persönlich den Kopf abschlägt. Dieser beginnt zu bereuen und sagt:

"Ich habe nach meiner Natur gehandelt, handle du nach deiner Natur." Da warf Nûr ed-Dîn das Schwert aus der Hand, blickte den Kalifen an und sprach: "O Beherrscher der Gläubigen, er hat mich mit seinen Worten entwaffnet."

Eine Szene, die an Karl May erinnert.

Aber immerhin hat der Kalif noch den Schwertträger Masrûr, der seine Arbeit ohne Federlesen verrichtet. Nûr ed-Dîn verzichtet auf die Königswürde von Basra, und so gibt ihm der Kalif Elîs el-Dschelîs zurück, überhäuft die beiden mit Geschenken, macht Nûr ed-Dîn zu seinem Tischgenossen, der nun ein schönes Leben führt,

bis ihn der Tod ereilte.

***

Die Geschichte von Ghânim ibn Aijûb, dem verstörten Sklaven der Liebe

Für meinen Geschmack wäre es mal wieder Zeit für ein paar Dämonen und Zaubereien. Dieser Titel klingt nach einer weiteren Liebes-Anekdote mit hübschen Damen, die ihre Anbeter auf die Schippe nehmen. Aber lasst uns sehen.

In Damaskus stirbt ein reicher Kaufmann, der einen Sohn,

dem Monde gleich in der Nacht seiner Fülle und dazu von lieblicher Rede; dieser hieß Ghânim ibn Aijûb, der verstörte Sklave der Liebe. Und der hatte eine Schwester, die hieß Fitna, ein Mädchen, einzig an Schönheit und Lieblichkeit.