Um zu erfahren, wieviele Besucher seinen Blog besuchen, hat Jochen Anfang 2007 einen Besucherzähler des asozialen Service-Anbieters Motigo auf seine Seite gesetzt, der manchmal sogar die Blogseite einfach zugunsten des Werbesponsors schließt. Es müsste einen Zähler geben, der herausfindet, wieviele Besucher Jochen auf diese Weise verschreckt hat.

Do, 28.12.06

Gegen Mittag kommen die Kühlschranklieferanten, und ich frage mich, was ich in diesem Kühlschrank aufbewahren soll. [Nachtrag 2008: Ich frage mich heute, wie ich damals geglaubt habe, mit einem kleineren Kühlschrank auskommen zu können.]
Mein Zimmer steht immer noch voller unaufgeräumter Kisten und Regale. Und in diesem Chaos gelingt es mir trotzdem, für den Abend zwei Geschichten zu schreiben.
Ein sehr schöner Abend, und man merkt Jochen und Volker ihre langen Mail-Diskussionen der letzten Tage nicht an, so erfrischend sind ihre improvisierten Dialoge.
Erstmals nicht zu Fuß von der Chaussee nach Hause. Hatte gehofft, von der Warschauer Brücke bis zur Kiefholzstraße genüge eine Kurzstrecke mit dem Taxi. Irrtum. [Nachtrag 2008: Später fällt mir ein, dass mich im Jahr 2000 einmal Micha Ebeling mit seinem Taxi in der Wühlischstraße aufgegabelt hat, als ich noch jede Woche eine schwere IKEA-Tasche, in der all unser Equipment verstaut war, in und herbugsierte.]

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J.S.: "Sich fremde Eifersucht auch nur vorzustellen, reizt schon die eigene. Will man denn ein Wesen, das man so an sich gebunden hat, daß es nicht mehr wegläuft, selbst wenn es könnte? Infantile Verfügungsgewalt über die Mutter?"

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J.S.: "Nachdem er den Mut aufgebracht hat, seinen eigenen Artikel im Figaro zu lesen, möchte er gleich mehrere Exemplare davon kaufen lassen, um den Artikel in jedem davon noch einmal zu lesen. Er stellt sich die Leserinnen vor, in deren Schlafzimmer er gern eingedrungen wäre, und die zwar seine Gedanken aus der Zeitung nicht verstehen können (wovon er natürlich ausgeht), aber denen sie zumindest seinen Namen zugetragen hat."
Klingt fast nach der "Ballade vom Eisernen Mike" in Boxsport.
Eine verlorene Praxis sei es "Einen Akt der Nächstenliebe vollziehen und eine Prostituierte von der Straße auflesen und sie aus dem Elend der Gosse ziehen." Unklar. Damit reden sich doch seit Jahrhunderten die Freier heraus.

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Fr, 29.12.06

Gehe zum Bäcker und bekomme Angst, wie ich in dieser öden Gegend hier in den nächsten Jahren leben soll. Fast so schlimm wie früher im Nibelungenkiez in Lichtenberg. Immerhin fehlen die Friedrichshainer Hunde.
Noch ein paar Kleinigkeiten aus der Libauer abholen. Dort hab ich noch DSL. Beantworte in der kalten Wohnung E-Mails und surfe bei Youtube. Ein interessantes Interview mit Helge Schneider im ZDF. Eine unerträgliche Moderatorin Anfang Zwanzig stellt ihm bescheuerte Fragen in aufgekratztem Ton, die sogar ihre erste Frage, ob er sich auf seinen Auftritt bei Wetten Dass freut, ablesen muss. Es ist bewundernswert, wie er die Ruhe bewahrt und immer dann am ernsthaftesten ist, wenn sie von ihm einen Scherz erwarten.
Als ich wieder in Treptow bin, setze ich mich in die warme Badewanne. Das scheint hier mein Allround-Trost zu werden.
C. verkündet, weniger Impro spielen zu wollen. [Nachtrag 2008: Sie zieht sich in den folgenden zwei Jahren fast vollständig von der Bühne zurück und widmet sich den Sternen.]
Es ist völlig irre, dass ich mir zu dem Umzugsstress auch noch die Organisation der Silvesterparty aufgehalst habe, wie ich erst jetzt so richtig merke: Ich schaffe es nicht, noch einen Kassierer zu organisieren, und angemessene Reklame geht mir durch die Lappen.
In der Hoffnung, für "Free Play" doch noch einen Verlag zu finden, arbeite ich weiter an der Übersetzung und trage mich ins Übersetzer-Forum u-litfor@tw-h.de ein. [Nachtrag 2008: Eine großartige Mailingliste mit hilfsbereiten und freundlichen Menschen, die überdies informativ, unterhaltsam, vor allem aber nützlich ist, wie ich später feststellen durfte, als ich tatsächlich Free Play übersetzte.]

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Jochen über die Zufälligkeit der Begegnungen mit einer Frau, die er aus Erzählungen seit seiner Kindheit schon lange kennt. "Warum wartet man auf solche zufälligen Begegnungen, statt sie zu forcieren und bewußt Menschen aufzusuchen, die zu Orten gehören, die einem wichtig waren? Herausfinden, wer in der Samariterstraße in unserem Haus gewohnt hat, als ich klein war, vielleicht lebt man in diesen Familien ja auch noch als Geist weiter?"
Vor einigen Tagen feierte eine bekannte Familie den 100. Geburtstag der vor ein paar Jahren gestorbenen Oma. Die andere, im Verwandtschaftsverhältnis durchaus gleichrangige Oma geistert in den Erzählungen der Familie nur als "Die Tote". Das junge Paar kam 1945 flüchtend nach Berlin, an der Zonengrenze täuschte sie mit ausgestopftem Bauch eine Schwangerschaft vor, man ließ sie passieren. Die Tante hatte ein Häuschen (was man heute eher als Bungalow bezeichnen würde) in Tempelhof. Als das Paar bei eiskaltem Wetter eintraf, öffnete niemand die Tür. Sie betraten das Häuschen, und da lag die Tante tot. Man übernachtete trotzdem dort. Was hätte man tun sollen? Am nächsten Morgen stellten die beiden fest, dass die Nachbarn sehr wohl vom Tod der Frau erfahren hatten, denn verschiedene Gegenstände waren gestohlen. Die Verstorbene heißt nun nur noch "Die Tote". Und dies ist wohl die einzige Geschichte, die ihre Enkel noch über sie zu erzählen wissen. Das wird sie nicht gehofft haben.
"Im letzten Jahr ist meine Wahloma gestorben." Frau T. hatte ich auch gekannt, eine äußerst angenehme Frau, die ich für die Offenheit ihres Hauses bewunderte. Zwei Mal hatte ich sie mit Jochen besucht, und erst jetzt und hier erfuhr ich von ihrem Tod.

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Marcel scheint Albertines Tod erzählend bearbeiten zu wollen. Die Geschichte wird zur Geschichte, zum Text. Aber auch beim mündlichen Erzählen zieht man schon die definierenden Linien. Je öfter, desto kräftiger. Das Erzählte wird zur Wahrheit, die sich jeder Relativierung entzieht. Ist das Erzählen dann deshalb therapeutisch weniger wertvoll?

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30.12.06

Die mit einem äußerst kuriosen Blick auf die modernen Welt ausgestattete N. will mir einen 93 MB-Film per E-Mail schicken. In einigen Jahren werde ich darüber lachen, dass mir das heute völlig absurd erscheint, mit meiner provisorischen Modemverbindung und dem limitierten web.de-Speicher.
Der Tag klingt aus mit einem ruhigen, angenehmen Kantinenlesen: Falko Hennig, Volker Strübing, Andrés Atala, Steffi Winny und icke.

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Kein Eintrag bei Jochen.

28.12.-30.12.06
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