Samstag, 18.4.09
Kein Wecker, es ist 11 Uhr. Der Workshop, so bete ich, fängt bestimmt 14 Uhr an, nicht 12 Uhr. Ganz bestimmt 14 Uhr. Ich habe Kopfschmerzen. Da kann der Workshop nicht schon um 12 Uhr anfangen! Wunschdenken funktioniert auch dann nicht, wenn man es braucht. Aufs Nötigste beschränken. „Steffi, machst du mir eine Stulle?“ Ich putze mir die Zähne. Da wir heute Abend auftreten und ich zwischendurch nicht mehr zurückkomme, muss ich mich auch rasieren. Eine ASS schlucke ich, und drei weitere stecke ich mir zur Sicherheit ein.
Das Chemically Imbalanced Theater ist weiter entfernt als ich geglaubt hatte. Die Straßennamen nutzen einem ja nicht viel, wenn die Straßen länger als 10 Meilen sind. 1420 W. Irvin Park Avenue. Zum Glück gibt es Google Maps, und wir dürfen Davids Laptop benutzen. Inzwischen ist es heiß geworden. Eiskaltes Wasser, das man kaum trinken kann, hilft nicht wirklich gegen diesen Durst. Das wussten die Araber schon.
Andy Eninger leitet den Workshop „Solo Improvisation“. Ich hatte lange überlegt, ob ich lieber zu Mick Napier gehe, der Storytelling lehrt, oder Susan Messings Workshop zu Spezifizität. In Berlin wird es für mich immer schwieriger, passende Workshops zu finden, die einen nicht unterfordern. Entweder man ist in einer Gruppe mit Teilnehmern, die gravierende Schwierigkeiten in den Grundlagen haben oder man muss auf spezielle Themengebiete, wie etwa Action Theater, ausweichen. Und die Lehrer, die mich in Berlin noch interessieren, kann man an zwei Fingern abzählen.
Ich bin natürlich zu spät. An der Eingangstür ein großes Hinweisschild, dass alle Autos, die auf dem riesigen Parkplatz gegenüber geparkt werden, abgeschleppt werden. Man ist gerade bei der Vorstellungsrunde und soll sagen, warum man ausgerechnet diesen Kurs gewählt hat. Diese letzte Frage blende ich bei meinen Workshops immer aus. Ich denke immer, dass die Motivation gern auch diffus oder banal sein oder sich sogar im Laufe des Workshops verändern kann. Wer mehr erzählen will, kann das in der Pause tun. Obwohl ich Andys Impro-Nummern gar nicht für besonders witzig halte, lerne ich doch viel. Es hat sich gelohnt. Sag Ja-Und zu den eigenen Ideen, physisch werden, präzise sein. Und dass man sich überhaupt mal wieder asprobieren kann, hilft viel. Verbal stehe ich allerdings mit meinem Kater ganz schön auf dem Schlauch. Zwischendurch muss ich mich setzen.
16 Uhr. Vor der Tür kriegt einer der Schüler einen Schreianfall. Wo denn sein Auto sei, er habe es doch auf dem riesigen Parkplatz gegenüber geparkt. Tja, das sei nun abgeschleppt. Warum muss ich einen Siehste-Reflex unterdrücken?
Burger King. Whopper Menü. Im Fernsehen wird Baseball übertragen. Wenn ich’s sehe, verstehe ich es dann doch nicht mehr. Vor allem: Warum treffen die den Ball nicht?
Ein riesiger Friedhof auf dem Weg zur U-Bahn-Station. Ein Teil davon nennt sich „Wunders Cemetery“, deutsche Protestanten, teilweise Gräber aus dem 19. Jahrhundert, deutsche Inschriften. Es berührt einen dann doch.
Überbrücke Zeit in einem Buchladen, diesmal aber widerstehe ich.
Show im Playground. Kurz zuvor schlucke ich die letzte der vier ASS. Ein kleines Theater, und tatsächlich hätten wir das Format, das wir vorhatten – nämlich Fotos der Stadt als Bühnenbild zu projizieren – hier wunderbar aufführen können. Nun haben wir uns aber schon auf etwas anderes geeinigt. Eine Lovestory, jeder spielt zwei Figuren mit besonderem Feature. Ich spiele zusätzlich mit Gerda den uralten Großvater der Protagonistin. Steffi spielt zusätzlich die alte Freundin des Protagonistin, die aber auf Deutsch spricht. So gelingt es ns fast, die Nebenfiguren durch die stärkere Charakterisierung noch mehr ins Rampenlicht zu stellen. Steffi spielt hervorragend mit dem Verständnis/Nichtverständnis der Amis für bestimmte deutsche Wörter – manchmal bleibt sie supereinfach: „Ja, das ist gut.“ Und dann, wenn sich die Zuschauer zu sicher fühlen, haut sie ihnen einen Kettensatz in Berliner Akzent an den Kopf. Mit 20 Zuschauern etwas mau besucht, aber es macht Spaß.
Wir schauen uns im Anschluss noch drei weitere Gruppen an, darunter geradezu herausragend Dominizuelean, ebenfalls ein Duo, die eine aus Venezuela, die andere aus der Dominikanischen Republik, die beide große weibliche Komikerinnen sind, wunderbar in ihre Figuren eintauchen. Leider zu schnell vorbei. Wir müssen uns noch eine etwas überladene Show der Monkey 13 anschauen, dann wieder ein Highlight. Parallelogramophonograph (ein schöner Name, den allerdings fast jeder falsch schreibt). Die Gruppe wagt sich in Kostüme und Schminke und führt eine „französische Farce“ auf. Gute Typen, sicherlich viele klare Muster, aber dennoch witzig und frei. Aus Austin, Texas.
Parallelogramophonograph
Dominizuelean
Es ist 0.30 Uhr, als wir müde nach Hause fahren. Ob das auf den noch immer anhaltenden leichten Jetlag oder die lange Nacht zuvor zurückzuführen ist, bleibt unklar.
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Sonntag, 19. April 2009
Was man nicht in amerikanischen Filmen sieht:
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Alles ist mindestens 3°C kälter. Die Räume sowieso, aber auch die Kühlschränke. Steffi erklärt sich das so, dass die Einführung des Gefrierschranks und der Klimaanlage in den 50ern eine Art Statussymbol waren. Ein Haufen Eis = ein Haufen Kohle = ein Haufen Status.
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Die große aufwärts führende Sexte in unsicheren Statements bzw. wenn man unsicher ist, dass einen der andere versteht. Beispiel: Wenn ich sage „I live in Baltimore Street“, könnte es sein, dass der andere nicht weiß, wo die Baltimore Street liegt. Und so schraube ich meine Stimme zwischen „Bal“ und „ti“ eine große Sexte nach oben. „I live in Bal ö timore Street.“ Hinzuzufügen wäre noch, dass dieses stimmrhetorische Mittel fast ausschließlich bei Intellektuellen angewendet wird. Bei unsicheren Intellektuellen noch mehr. In einem Barnes & Noble Bookstore traf ich einen studentischen Mitarbeiter, der jeden Satz auf diese Weise formulierte. (Wenn ich es mir recht überlege, müsste diese Form in einigen Woody-Allen-Filmen zu finden sein.)
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Für eine Industrienation gibt es auffällig viele wacklige Konstruktionen, die fast ein bisschen an Russland erinnern. Obamas Refrain im Wahlkampf, lieber in Brücken und Straßen zu investieren als in den Krieg, wird nun augenfällig.
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Dass die Dollarscheine alle gleich groß sind und im Grunde auch gleich aussehen, fällt einem erst vor Ort wieder ein. Geld wird ja im Film nur kurz in der Transaktion gezeigt, wenn es einem jemand in die Hand drückt. Oder als gigantischer Haufen. Man sieht nie, was da eigentlich für Banknoten im Koffer sind.
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Müll, Müll, Müll. Immerhin gibt es ein paar Ansätze von Mülltrennung. Aber, ähnlich wie nach der Wende, als man überrascht davon war, dass man in jedem Laden eine Tüte gratis hinterhergeworfen bekam, erstaunt auch hier, dass jedes Lebensmittel ca. fünf Mal eingepackt ist – (1) in die eigentliche Verpackung, (2)in die Umverpackung, (3) dann eine kleine Tüte, (4) diese kommt dann in die große Tüte, welche wiederum mit (5) einer weiteren Tüte stabilisiert wird.
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Die Freundlichkeit der Chicagoer. Sechs Jahre war ich nicht da, und die Freundlichkeit der Chicagoer war mir eigentlich nur noch als Abstraktum in Erinnerung. Auch in Filmen sieht man das nicht, da die Interaktionen gegenüber Fremden schwer einzufangen sind. Es wirkt hier, als habe jeder vor jedem Respekt. Und das ist für eine Millionenstadt ungewöhnlich. (Zur Freundlichkeit gegenüber Fremden: Diese wird ja von Deutschen oft als „oberflächlich“ beschrieben. Ein typisches Phänomen von Askription: Wenn jemand zu uns dermaßen freundlich ist, glauben wir, er sende kommunikative Freundschafts-Signale aus. Man erwartet dann eine intimere Form von Vertrauen und ist dann erstaunt, wenn der Fremde sich verabschiedet und nie wieder von sich hörn lässt. Dabei war er einfach bloß netter als der Durchschnittsberliner.
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Chlorgetränke. Wer würde denken, dass im Grunde jedes Getränk, das ein Film-Ami trinkt, nach Chlor schmeckt? Und das liegt daran, dass der Ami, wenn er Cola zu sich nimmt, eigentlich geschmolzene Eiswürfel trinkt, die vor ihrem Schmelzen von einem Schuss Cola umgeben waren und vor ihrem Erstarren fies chloriertes Wasser.
Besonderheiten, die keine sind:
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Nutrition Facts: Auf jedem Lebensmittel sieht man nicht nur die Zutatenliste, sondern auch die Angaben über Kohlenhydrate, Fett, Eiweiß usw. (In der DDR gab es nur diese Angaben.) Erst nach unserer Rückkehr entdecke ich, dass das bei uns auch üblich ist.
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Da überall Fernseher rumhängen, sieht man ständig Sportnachrichten: Baseball, Football, Basketball, Eishockey, manchmal sogar Fußball. Nur Männersport, denke ich. Warum werden hier keine Frauen gezeigt. Wie bei uns, denke ich. Es dauert ein paar Sekunden, bis bei mir klickert, dass Frauensport auch bei uns eine Seltenheit in den Sportnachrichten ist. Ab und zu Tennis, bei olympischen Spielen oder Weltmeisterschaften auch mal Lauf- und Schwimmdisziplinen. Alles andere ist Fußnote.
Steffi hat sich entschieden, im Second City an einer Podiumsdiskussion über Frauen und Improtheater teilzunehmen.
Trotz spärlichen Besuchs der Diskussion, müssen die fünf Männer hinter der Barriere Platz nehmen und während der Veranstaltung ihre Klappe halten. Wie in guten alten Zeiten. Bemerkenswerte Ausnahme der japanische Dolmetscher von Naomi. Steffi wird in den Ankündigungen als „Steffi Foxi“ angekündigt. Die Amis sind seltsame Namen gewöhnt, und Winny klingt für sie sicherlich genauso albern.
Die große Genderdebatte entfällt. Wir erfahren, dass es Frauen im japanischen Improtheater schwerer haben. Ansonsten glauben die meisten Frauen, dass Improtheater eine Atmosphäre der Freiheit bietet – du musst a) akzeptieren (YES) und b) dich einbringen (AND). Kulturwissenschaftler könnten natürlich daraus ein weibliches (Akzeptanz) und ein männliches Prinzip (Engagement) konstruieren, das bleibt aber aus. Männliche Seilschaften seien im Improtheater eher selten. Ich erinnere mich an Ramona Krönke, die vor Jahren einmal sagte, dass es in den Workshops viel mehr Frauen gäbe als in den Gruppen und dass die Gruppen dann auch eher von Männern geleitet würden. Ob sich das, wenn es denn je zugetroffen haben sollte, geändert hat – ich weiß es nicht. Meine Beobachtung ist, dass es zumindest keinen auffälligen männlichen Überhang im deutschen Improtheater gibt.
Schattendiskussion über die Frage, ob die Männer es in den Gruppen akzeptieren würden, wenn die Frauen eine männliche Rolle spielten. Das einzige Mal, dass ein Hauch weiblicher Empörung zu spüren ist. Ich frage mich aber, ob das nicht auch eine Frage ist, wie die Figur angelegt ist. Wenn eine Frau einen Pizzalieferanten spielt, der mit tiefer Stimme „Ich bringe Ihnen die Pizza“ sagt, könnte das genauso gut eine Pizzalieferantin sein, die eben eine tiefe Stimme hat. Außerdem ist es natürlich eine Geschmacksfrage. Ich denke, wenn man genügend männliche und weibliche Spieler auf der Bühne hat, lenkt Überkreuzgegendere eher ab. Wenn dann auch noch Männer Frauen spielen, gerät es dann zur Travestie-Farce, was mal als Schmankerl OK ist, aber auf Dauer eher nervt.
Manchen Leuten begegnet man ständig – dem Fotografen Jerry Schulman, Joe Bill, der immerhin auch das Ende unserer Show gesehen hat und immer eine Mail-Adresse von mir wollte, Jeff Wirth, der Erfinder der Storybox, der überall auftauchte, wo wir waren, und dessen freundlich-ruhige Art mir die eigene Unruhe ins Bewusstsein rückt. Andere wie Matthew Krevat, den ich auch als inspirierenden Schreiber vom YesAnd-Forum kenne, sehe ich gar nicht.
Die Abschluss-Show beginnt mit einer Anfängergruppe, die aus lauter Frauen besteht, was sie aber trotzdem nicht davor bewahrt, sich in Obszönitätskaskaden zu ergehen, Schwanz, Hure, Vagina, Stripper, und selbst das Thema Brautjungfer will man in diesem Kontext gar nicht mehr sehen.
Aber es ist schnell vorbei, und wir werden getröstet mit einem wirklichen Highlight: Die im Improv Olympic beheimatete “ The Improv Shakespeare Co.“ Dagegen wirkt unser Shakespeare-Imitat eher mau. Klare Figuren, einfache Story, Gefühl für Poesie und Symbole. Das Stück „Three kitten from hell“ löst Begeisterungsstürme im Lakeshore Theater aus.
Eine Reihe vor uns sitzen die Spieler von „Parallelogramophonograph“, die auch ein jährliches Festival organisieren, in Austin Texas. Wir meinen, sie wären in Berlin mit ihrer Art von Impro eine Sensation. Sie scheinen skeptisch. Höflicherweise laden sie uns auch nach Texas ein. Unbezahlt, versteht sich.
Bassprov als dritter Act des Abends. Auf der Bühne Marc Sutton, ehrenhalber auch Joe Flaherty und, ich traue meinen Augen kaum, der allgegenwärtige Joe Bill, von dem ich wegen seines unschuldig begeisterten, unarroganten und offenen Verhaltens geglaubt hatte, er sei eher Anfänger. So ertappt man sich selbst beim Denken in Oben/Unten-Kategorien. Die legendäre Bassprov ist im Grunde ein rein verbales Format. Zwei Rednecks (in diesem Fall mit Joe Flaherty drei) sitzen im Boot, angeln, trinken Bier und unterhalten sich über die Lage der Welt. Requisiten: zwei Hocker, zwei Angeln (gemimte Leine), eine riesige Kiste Dosenbier, die im Laufe des Abends tatsächlich getrunken wird. Das Ganze ist flink, anspruchsvoll, witzig, philosophisch, und erinnert in seiner Coolness sehr an die Lesebühnen. Ich bin sofort angeregt, die Dialoge der Chaussee zu erweitern. Vielleicht in anderem Rahmen. Man müsste allerdings ein wenig fokussierter arbeiten. Bei den Chaussee-Dialogen, so witzig sie oft auch sind, ist eben oft noch eine ganze Menge Schlacke dabei.
So sieht Bassprov aus, allerdings ein paar Monate vor dem CIF
Wir gehen heim. Wir müssen früh raus. David bietet uns an, früh aufzustehen und uns zur passenden U-Bahn-Station zu fahren.
It was great meeting you all! I’m reading this through a translator program, so I only get the general gist, but still, thank you for the kind words. And seriously, should you ever want to come to Austin, we will give you stagetime. It’s too late to get into the Out of Bounds festival this year, but you should definitely apply for next year.
Roy, of Parallelogramophonograph
“The Improv Shakespeare Co.“ sind ganz toll – hab ich auch schon erlebt, zusammen mit Jeff Wirth, dem Erfinder der Storybox.
Ach, danke Brigitte, dass dein Kommentar mich nach so langer Zeit wieder hierher versetzt.