Reiz-Reaktion

Ein großer Teil des Improtrainings besteht darin, das Reiz-Reaktions-Schema neu auszurichten: Ich werde mir dabei sowohl der Reize und der Impulse bewusst und kanalisiere sie neu.
Spontaneität heißt ja nicht nur: schnelle Reaktion auf einen gegebenen Reiz, sondern auch verschiedene Reaktionsmöglichkeiten.
So haben z.B. viele Impro-Anfänger oft den Impuls, negativ zu spielen. Das kann man zwar als „spontan“ bezeichnen, verengt aber auf Dauer die Handlungs-Optionen. Wenn sie trainieren positiv zu starten, wird die Improvisation freier.
Oder wie Meister Thich Nhat Than lehrt: „Das erste Ziel ist Froschlosigkeit.“

Keith Richards‘ LIFE (9)

„Auf einmal kam so viel Technologie ins Spiel, dass nicht mal der gewiefteste Tontechniker der Welt wusste, was eigentlich Sache war. Früher hatten die Drums mit einem einzigen Mikro genial geklungen, und jetzt mit fünfzehn Mikros klangen sie, als würde jemand auf ein Blechdach scheißen. Alle haben sich in den technischen Möglichkeiten verrannt, und sie finden erst langsam wieder zurück. In der klassischen Musik wird heute alles neu eingespielt, was in den achtzigern und neunzigern digital aufgenommen wurde. […] Den Bassisten schirmte man hermetisch ab, bis irgendwann alle in ihren Kabäuschen und Kämmerchen saßen, mitten in einem riesigen Studio, das man überhaupt nicht nutzte. Rock’n’Roll, das ist ein Haufen Jungs, die einen eigenständigen Sound erzeugen – zusammen und nicht getrennt. Stereo, Hightech, Dolby, das ist alles Schwachsinn, Mythen, die der eigentlichen Musik völlig zuwiderlaufen. […]
Wenn man aber alles auseinanderreißt, geht etwas Undefinierbares verloren – Spirit, Stimmung, Seele. Für so was gibt es kein Mikrofon.“ (S. 680)

Tom Waits über die Zusammenarbeit mit Keith Richards:
„Jeder liebt Musik. Die Frage ist, ob die Musik dich liebt – das ist das Entscheidende. Man muss Respekt haben vor dem Prozess des Musizierens. Nicht du schreibst die Musik, sie schreibt dich. Du bist ihre Flöte, ihre Trompete, ihre Saite. […]
Ich glaube, heute wird allgemein zu wenig gestaunt. Doch Keith scheint immer noch zu staunen. Manchmal hält er plötzlich inne, hebt seine Gitarre in die Höhe und starrt sie einfach an. Als könne er sich das alles überhaupt nicht erklären.“ (S. 682-4)

Keith Richards‘ LIFE (8)

„Des Öfteren bin ich mit heftigem Fieber aufgetreten, und am Ende der Show war ich geheilt.“ (S. 645/6)
Dieses Phänomen der heilenden Wirkung von Bühnen-Adrenalin habe ich auch schon festgestellt. Nicht bei Fieber-Erkrankungen, aber immerhin bei kleinen Erkältungen.

„Wenn Mick irgendeine Rampe runterläuft und sich immer weiter von der Band entfernt, haben wir keine Ahnung, ob er noch dasselbe hört wie wir. Eine halbe Sekunde Verzögerung, und der Beat ist im Eimer. Wir müssen eine kurze Verzögerung einbauen, sonst singt er ewig weiter wie ein Japaner. Dass ist dann die ganz große Kunst – dafür brauchst du Jungs, die so tight sind, dass sie den Beat anpassen können, und zwar genau so, dass Mick an der richtigen Stelle rauskommt. Die Band wechselt von Off-Beat in den On-Beat und wieder zurück und von vorne, ohne dass das Publikum irgendetwas mitbekommt. Ich lauere darauf, dass Charlie auf Mick schaut, um sich an seiner Körpersprache zu orientieren – nicht an dem Sound, denn das Echo ist viel zu stark – , Charlie legt einen kleinen Stotterer ein, bis Mick bei ihm angekommen ist, und zack, bin ich wieder mit dabei.“ (S. 646/7)

„Um den aufreibenden Tourstress durchstehen zu können, muss man zur Maschine werden: alles ist auf den nächsten Gig ausgerichtet. Man wacht morgens auf, und alle Gedanken sind beim nächsten Konzert. Den ganzen Tag über denkt man daran. […]“ (S. 647)

„Wenn man so vor dem Mikro steht und einen Song komponiert, fühlt man sich fast, als würde man sich an einem Freund festklammern. Geh voraus, Bruder, ich folge dir, um den Kleinkram kümmern wir uns später. Ich brüte nicht tagelang über irgendwelchen Gedichten. Und das Faszinierende ist, wenn du dort vor dem Mikro stehst und weißt, jetzt geht es gleich los, kommt irgendwelches Zeug aus dir raus, das du dir nie erträumt hättest. Aber schon eine Milisekunde später musst du nachlegen, irgendwas, was dazu passt. Du trägst einen Zweikampf mit dir aus. Und plötzlich hat das Ganze einen Rahmen. Natürlich verrenst du dich auf die Art ziemlich oft. Aber du musst dich einfach vors Mikro stellen und schauen, wie weit du kommst, bevor dir die Puste ausgeht.“ (S. 671)

Keith Richards‘ LIFE (7)

„Mick jagte der musikalischen Mode hinterher. Ich hatte jede Menge Ärger mit ihm, weil er dem Geschmack des Publikums auf die Spur kommen wollte. […] Das war nie unsere Arbeitsweise. Lass uns unser Ding einfach so machen, wie wir es immer gemacht haben. Gefällt es uns? Hält es unseren musikalischen Maßstäben stand? Mick und ich hatten unseren ersten Song in einer Küche geschrieben. Größer war die Welt nicht, Wenn wir darüber nachgedacht hätten, wie die Öffentlichkeit das aufnimmt, hätten wir nie eine Schallplatte rausgebracht.“ (S. 602)

„Meine Theorie über den Umgang mit Leuten von Plattenfirmen lautet: außer bei gesellschaftlichen Ereignissen, nie warm werden mit ihnen, sich nie in das tägliche Gelaber reinziehen lassen. Dafür lässt man seine Leute für sich arbeiten. Wenn man Fragen über Budgets oder Werbung stellt, wird man persönlich erreichbar für diese Burschen. Damit schmälerst du deine Macht. Das macht die Band kleiner. Weil dann nämlich folgendes passiert: ‚Jagger ist wieder dran.‘ – ‚Ach, der soll später noch mal anrufen.'“ (S. 606-7)
Den besten Deal hatten sie Mitte der Sechziger für sich bei Decca rausgeholt, als sie sonnenbebrillt, ins Chefzimmer stiefelten und ihren Manager Oldham das Reden überließen. Die Stones im Hintergrund wie eine Schlägertruppe als Drohkulisse.

„Chuck [Berry] hatte jahrelang mit Luschen gespielt, immer mit der billigsten Band der Stadt. Er fuhr mit der Aktentasche vor, nach dem Gig fuhr er gleich wieder weg. Unter dem eigenen Niveau zu spielen, zerstört die Seele des Musikers.
[…] Ich stellte eine Band zusammen, die so gut war wie seine Originalband. Die es schaffte, dass Chuck Berry sich selbst wiederentdeckte.“ (S. 617)

Waddy Wachtel über Keith‘ Soloalbum:
„Keith‘ Vorgehensweise beim Komponieren sah so aus: ‚Stellt ein paar Mikros auf!‘ – ‚Häh? Also gut.‘ – ‚Okay, wir singen das jetzt mal.‘ – ‚Wovon redest du? Was sollen wir denn singen? Wir haben nichts.‘ – ‚Na und? Los, dann denken wir uns eben was aus.‘
So lief das. […] Schmeiß einfach alles an die Wand, mal sehen, was hängen bleibt. Das war im Wesentlichen seine Arbeitsweise. Verblüffend! Und es hat tatsächlich geklappt.“ (S. 627)

„Mick dachte, er müsse immer noch mehr Requisiten und Effekte einbauen, einen Gimmick nach dem anderen. […] Unsewre Megatourneen musste ich ständig zurechtstutzen. Einmal wollte Mick unbedingt Stelzenläufer dabeihaben, aber ich hatte Glück. Bei der Kostümprobe fing es an zu regnen, und sämtliche Stelzenläufer kippten um. Eine fünfunddreißigköpfige Tanzgruppe, die für dreißig Sekunden Honky Tonk Women mit auf Tour kommen sollte, schickte ich unbesehen nach Hause. Tut mir leid Mädels, aber ihr müsst woanders weiterhampeln. Ich meine, wir hätten damit hunderttausend Dollar das Klo runtergespült.“ (S. 641)

Keith Richards‘ LIFE (6)

„Ein aufgeblähtes Ego innerhalb einer Band ist immer ein Problem, vor allem wenn sie schon so lange zusammen ist und eine geschlossene Einheit bildet. Eine Band ist angewiesen auf eine gewisse Integrität, zumindest unter ihren Mitgliedern. Die Band ist ein Team. Alle Entscheidungen müssen zusammen getroffen werden. […]
Mick hatte große Pläne. Wie alle Leadsänger. Das ist eine allgemein bekannte Krankheit, genannt LVS, Lead Vocailst Syndrome. […]
Kombiniert man LVS mit jahrelangem Dauerbombardement an Schmeicheleien, kann es passieren, dass die betreffende Person anfängt zu glauben, was ihr erzählt wird. […] Du vergisst, dass Schmeicheleien zum Job gehören.[…] In dieser Beziehung bin ich eisern. Das wird mir nie passieren.
Mick hat angefangen, seinem eigenen Talent zu misstrauen – ironischerweise scheint das die Wurzel jeder Selbstüberhöhung zu sein. In den Sechzigern war Mick unglaublich charmant und humorvoll. Es war ein elektrisierender Anblick, wie er auf diesen kleinen Bühnen sang und tanzte. […] Er dachte nie darüber nach. Seine Performance war aufregend und trotzdem wirkte sie völlig unangestrengt. […]
Er vergaß, dass ursprünglich er es war, der über Jahre die Trends setzte. […] Wir merken sofort, wenn er unecht wird. Scheiße, Charlie und ich haben diesen Arsch jetzt seit über vierzig Jahren vor Augen. Wir wissen, wann er den Arsch nach Tanzlehrerorder wackelt.“ (S. 599-601)

Notizen aus Keith Richards‘ LIFE (5)

„Beim Komponieren benutzten wir eine Methode, die wir „Vowel Movement“ nannten – sehr wichtig für Songwriter. Die Suche nach dem Wort mit dem passenden Klang. Oft ahnt man noch nicht, welches Wort an welche Stelle kommt, aber man weiß, dass es einen bestimmten Vokal mit dem passenden Klang enthalten muss. Du schreibst etwas, das auf dem Papier gut aussieht, aber es hat noch nicht den richtigen Klang. Dann fängst du an, um die Vokale herum die richtigen Konsonanten zusammenzubasteln. Es gibt die richtige Stelle für ein ooh und die passende Stelle für ein daah. Wenn du das verhunzt, dann klingt es beschissen.“ (S. 355)

„Wie alle meine Songs betrachtete ich auch diesen nicht als meine Schöpfung. Ich habe nur eine verdammt gute Antenne dafür, durch den Raum schwirrende Songs aufzuschnappen.“ (S. 355-6) (Über „You Got The Silver“, das er auch alleine sang.)

Über „Wild Horses“:
„Du stellst dir also ein paar wilde Pferde vor. Was kommt danach? Keine Frage: „couldn’t drag me away“. Das ist das Tolle am Songwriting – es geht nicht um Intellekt. Vielleicht musst du hier und da das Hirn einschalten, aber im Wesentlichen musst du den Moment einfangen.“ (S. 368)

„Warum setzt man sich hin und schreibt einen Song? Vielleicht weil man wachsen will, in das Herz eines anderen Menschen hinein. Weil man sich dort einnisten will oder zumindest eine Reaktion hervorrufen, eine Resonanz.“ (S. 369)

„Ich sah zu wie Mick die Lyrics schrieb [zu „Brown Sugar“]. So was hatte ich noch nicht gesehen. Er hatte einen gelben Schreibblock dabei und kritzelte immer nur eine Strophe pro Seite hin. […] Als drei Seiten voll waren, gingen die Aufnahmen los.“ (S. 370)

„Ums Geld ist es mir sowieso nie gegangen. Am Anfang habe ich mich immer gefragt: Okay, reicht es für neue Saiten? Später dann: Okay, reicht es für die Show, die wir uns vorstellen? Ich denke, für Charlie und auch Mick war und ist es dasselbe. Insbesondere am Anfang. Nicht dass wir was gegen Geld gehabt hätten, aber das meiste floss gleich wieder in die Musik.“ (S. 383)

Die Aufnahmen zu „Exile On Main Street“ liefen im Keller der französischen Villa von Keith.
„Wir testeten ein Kämmerchen nach dem andern. Zur Not konnten wir elektronisches Echo hinzufügen, aber ein natürliches war uns lieber, und das gab es da unten in den aberwitzigsten Variationen. Ich verzog mich mit meiner Gitarre in einen gefliesten Raum, richtete den Verstärker auf irgendeine Ecke und wartete ab, was davon beim Mikro ankam.“ (S. 398)

„Songs sind merkwürdige Kreaturen. Winzige Randbemerkungen bleiben hängen und wollen nicht verschwinden. Ganz ehrlich, bei den meisten Songs kam ich mir vor, als würde ich schlicht eine klaffende Lücke füllen – als hätte dieser Song schon vor Jahrhunderten geschrieben werden müssen. Warum ist das noch niemandem eingefallen. Da fehlt doch was! Ständig suchte ich nach Löchern, die noch niemand gestopft hatte. Das ist meine Aufgabe: Löcher stopfen.“ (S. 405)

„[Wenn du nicht mehr weiter weißt], staunst du, was du alles aus dir rausholen kannst. Vor allem wenn du gleichzeitig den Rest der Band verarschen musst – die denken, du hast einen glasklaren Plan vor Augen, während du völlig im Dunkeln tappst. […] Irgendwas wird dir schon einfallen. Eine Textzeile, ein paar Töne auf der Gitarre, und schon muss die nächste Zeile her. Das ist doch dein Talent, angeblich.“ (S. 405)

„[Ron Wood] war perfekt geeignet für die alte Kunst des weaving, bei der man Rhythmus- nicht mehr von Leadgitarre unterscheiden kann, den Stil, den ich mit Brian entwickelt hatte, das alte Sound-Fundament der Rolling Stones.“ (S. 494)

Notizen aus Keith Richards‘ LIFE (4)

„Ich habe insgesamt nur zweimal mit Pedalen gearbeitet. [Bei „Satisfaction“ und] zum zweiten Mal Ende der Siebziger auf Some Girls. […] Für Satisfaction schwebte mir ein Bläsersatz vor. Also versuchte ich, diesen Sound zu imitieren. Wir hatten eben keine Bläser, weshalb ich mich mit dem vorläufigen Demo begnügen musste. Kurz darauf […] hörte ich uns im Radio. Wir hatten gar nicht mitbekommen, dass Andrew das Scheißteil veröffentlicht hatte.“ (S. 235)

„Wenn man so will hatten viele dieser Songs [auf Aftermath] Anti-Mädchen-Texte. Vielleicht wollten wir sie ein bisschen aufstacheln. Und vielleicht gingen ihnen manche dieser Songs tatsächlich ins Herz, so dass sie begriffen: Wir sind Frauen, und wir sind stark. Meiner Meinung nach waren es insbesondere die Beatles und die Stones, die die Mädchen von ihrem „Ich bin so klein und schwach“-Denken befreiten.“ (S. 240)

„Brian war hin und weg. Er liebte das Bad in der Menge. […] Manchen Menschen musst du nur ein paar Streicheleinheiten verpassen, und schon kriegen sie sich nicht mehr ein. Weiterstreicheln, betteln sie, los, macht schon, und auf einmal heißt es ‚Ich bin ein Star!'“ (S. 251)

(Über den Country&Folk Charakter von Beggars Banquet) „Ich glaube, ich spreche für alle Stones, wenn ich sage, dass uns ziemlich egal war, was die Leute da draußen wollten. Und genau das gehörte zum besonderen Charme der Stones. Die paar Rock’n’Roll Sachen („Sympathy“ und „Street Fighting Man“) reichten aus.“ (S. 317)

„Bei Jumpin‘ Jack Flash und Street Fighting Man hatte ich einen neuen Sound entdeckt, den ich meiner akustischen Gitarre entlocken konnte. Dieser mahlende, dreckige Sound stammte aus den versifften kleinen Motels, wo es für die Aufnahme nichts anderes gab als die neue Erfindung – den Kassettenrekorder. […] Mit der Akustikgitarre übersteuerte man den Philips-Kassettenrekorder bis zur Verzerrung, so dass es sich beim Abspielen wieder wie eine E-Gitarre anhörte. […] Bei Street Fighting Man gibt es, abgesehen vom Bass, den ich später drüberspielte, kein einziges elektrisches Instrument.“ (S. 318-9)
Genau so ahmten wir 1987 den Sound von Jumpin‘ Jack Flash nach.
„Die meisten Bluesmusiker verwenden offene Stimmungen ausschließlich dafür [für den Slide-Effekt]. Ich fand, dass die tiefste Saite störte. Nach einer Weile fand ich raus, dass ich sie gar nicht brauchte. Also nahm ich sie ab und benutzte die fünfte Saite als Grundton.“ (S. 323)

„Es hat was Steinzeitliches, wie wir auf pulsierende Schläge reagieren, ohne es überhaupt zu merken. Wir existieren nach einem Rhythmus von zweiundsiebzig Beats pro Minute. […] Der menschliche Körper spürt diesen Rhythmus auch dann, wenn er gar nicht da ist. Hör dir nur mal Mystery Train von Elvis Presley an. Einer der größten Rock’n’Roll Songs aller Zeiten, und ganz ohne Schlagzeug.“ (S. 325)

„Von all den Musikern, die ich persönlich kannte, hatten zwei die gleiche Einstellung zur Musik wie ich: John Lennon und Gram Parsons. Wir sind der Meinung: In welche Schublade dich die Musikindustrie auch stecken will, es spielt keine Rolle, denn das ist nur ein Verkaufsargument, ein Werkzeug, um dich leichter an den Mann zu bringen. Sie wollen dich in ein Raster bringen, das es ihnen erleichtert rauszufinden, wer sich verkauft und wer nicht. […] Die Musik ist größer als das, sie sollte jeden berühren.“ (S. 331)

Notizen aus Keith Richards‘: LIFE (3)

Bobby Keys: „Man muss sich das vor Augen halten: 1964 galt im amerikanischen Showbiz, was wir den Leuten boten: Mohair-Anzug und Krawatte, schön geschniegelt, der nette Junge von nebenan. Und plötzlich fiel diese Horde englischer Sackratten ein und spielte Buddy Hollys Song! (…) Ich spürte es bis auf die Knochen, und ich musste lächeln und fing an zu tanzen. Sie hatten nicht die gleichen Klamotten ab, sie spielten keine Sets, sie verstießen gegen jede gottverdammte Regel und ließen es krachen. (…)
Einer von ihnen sagte: ‚Warum wechseln wir nicht auch unsere Klamotten?‘ Und ein anderer: ‚Klar, gute Idee.‘ Ich dachte, jetzt holen sie ein paar Anzüge und Krawatten raus, aber sie wechselten nur die Klamotten untereinander. Ich fand das ziemlich cool.“

Notizen aus Keith Richards‘: LIFE (2)

„Wir hungerten, um Charlie [Watts] bezahlen zu können! Buchstäblich. Wir gingen im Supermarkt klauen, um Charlie Watts zu kriegen. Wir haben unsere Essensrationen gekürzt, so sehr wollten wir den Kerl.“ (S. 156)

„Ich habe mich immer sehr wohl auf der Bühne gefühlt, von Anfang an, selbst wenn cih Blödsinn spielte. Man ist ziemlich nervös, ehe man vor so vielen Menschen auf die Bühne steigt, aber bei mir war da immer das Gefühl: ‚Also los, reiß den Käfig auf und lass den Tiger raus.'“ (S. 161)

„Charlie studierte Jimmy Reed und dessen Schlagzeuger Earl Phillips. Wegen des richtigen Gefühls, dem Sparsamen und Minimalistischen. Das hat er sich immer bewahrt.“ (S. 163)

„Ich hätte alles getan, um ins Studio zu kommen. (…) Wir wollten unbedingt wissen, wie wir klangen Darauf kam es uns an, nicht aufs Geld.“ (S. 172)

„Bei unserem Auftritt bei Thank Your Lucky Stars mussten wir diese grässlichen Karojacketts mit Hahnentritt-Muster tragen. Wir warfen sie sofort weg. (…) ‚Wo ist dein Jackett?‘ – ‚Keine Ahnung. Trägt jetzt meine Freundin. Bald hatte er [Manager Andrew Loog Oldham] geschnallt, dass er nicht dagegen ankommen würde. Wenn man eine neue gute Band hatte, durfte man genau eines nicht tun: Die Beatles wiederkäuen. (…)
Andrew Loog Oldham hat die Gesetze des öffentlichen Auftretens revolutioniert – mach alles falsch, zumindest in den Augen von Showbiz und Fleet Street. (S. 173-4)

Negativ starten mal anders

Test auf der Probe: Szenen negativ beginnen und trotzdem interessant werden lassen. Wir probieren:
– Genörgel
– Lauter Streit
– Depression

Es funktioniert, wenn man das Negative nicht auf den Schauspieler rüberschwappen lässt und wenn man das Negative als Plattform bzw. Routine begreift, dass die Charaktere letztlich vereint.
Interessant auch der Bruch dieser Routinen, der automatisch immer ein positiver war.

Erwartungsrahmen

„‚Originell sein‘ heißt, man bringt externes Material in die Szene, wohingegen ‚offensichtlich sein‘ heißt, daszu enthüllen, was latent bereits in der Szene steckt.“ (Keith Johnstone: „Theaterspiele“ aka „Impro for Storytellers“)
Für längere Szenen heißt das auch, dass man vor allem beim Bau der Plattform für den geschaffenen Erwartungsrahmen wachsam sein sollte: Welches Genre wird gespielt? Bzw. mit welchem Genre wird gespielt?

Notizen aus Keith Richards: LIFE (1)

„Wir [Mick & Keith] wussten, dass wir Anfänger waren, aber gleichzeitig wollten wir es unbedingt lernen, und dieses Lernen war zehnmal besser als das in der Schule.“ (S. 113)
Das ist das Entscheidende: Der Entdeckertrieb. Ohne den geht nichts beim Lernen – weder in der Kunst noch in der Mathematik.

„Wenn du deine ersten öffentlichen Auftritte hast, und zwar mit Jungs, die das regelmäßig machen, bist du ganz unten in der Hierarchie. (…) Du musst antreten, und zwar pünktlich, und dein Equipment muss funktionieren. (…) Du musst mithalten können. (…) Scheiße noch mal, du bist jetzt ein Profi. Wenigstens ein halber: ein Profi ohne Gage.“ (S. 125)

„Rückblickend muss ich sagen, dass beim Blues und bei Musik allgemein nichts aus sich selbst heraus entsteht. So toll das auch sein mag, nichts entspringt einem plötzlichen Geniestreich. (…) Sie sind alle voneinander beeinflusst.“ (S. 131)

„Jimmy Reed war ein großes Vorbild für uns. (…) Er hatte etwa zwanzig Nummer-Eins-Hits mit im Grunde immer dem gleichen Song. Er hatte nur zwei Tempi. Aber er verstand die Magie der Wiederholung, der Monotonie, und verwandelte sie in etwas Hypnotisches, Tranceartiges.“ (S. 144)

Über einen unkonventionell gegriffenen H7-Akkord von Jimmy Reed:
„Was er beim H/-Akkord machte, das habe ich nie kapiert, bis eben Mitte der Sechziger, als Bobby es mir in einem Bus irgendwo in Ohio zeigte. (…) „Scheiße! Das ist alles?“ (…) Plötzlich, aus heiterem Himmel hat man’s drauf. Diesen unheimlichen, dröhnenden Ton. Die völlige Missachtung aller musikalischer Regeln.“ (S. 147)

„Unsere Band war sehr zerbrechlich. Niemand rechnete damit, dass wir es weit bringen würden. Wir waren Anti-Pop, Anti-Tanzsaal, wir wollten nichts weiter als Londons beste Bluesband sein und den Pennern zeigen, was Sache ist, weil wir wussten, dass wir das draufhaben.“ (…) Den Gedanken, eine Schallplatte aufzunehmen, hatten wir überhaupt nicht…“ (S. 150)
In der Beziehung kam der Antrieb wohl von einem anderen Impuls als von den Beatles, deren Wille es war, unbedingt berühmt zu werden. Vielleicht ist auch das der Grund, warum sich die kaputten Stones länger gehalten haben als die befreundeten Beatles.

315. Nacht

Meine Zigaretten

– Semper: Die ersten Zigaretten, die ich bewusst roch, da meine Eltern sie rauchten. Eines Tages gab es sie nicht mehr und meine Eltern steigen auf Cabinet um.
Image: Hatten sie eins?

– Karo: Meine erste durchgerauchte Zigarette war eine Karo. Keine bewusste Wahl. Ich rauchte sie einfach, weil Robert, unser Gitarrist, sie bei mir im November 1989 liegengelassen hatte. Damals probten wir in meiner Wohnung. Wie meine Nachbarinnen das aushielten, weiß ich nicht. Schlimm, dass es Karo war, denn je ekliger die Zigarette ist, umso eher geht man der von Allen Carr beschriebenen Selbstüberlistung auf den Leim: Das schmeckt so furchtbar, davon kann ich nicht süchtig werden.
Image: filterlose Hausmeister- und Blueser-Zigarette – nur für harte Jungs

– Orient: Die ersten Zigaretten, die ich annahm, nachdem sie mir angeboten wurden. Auch eine Filterlose.
Image: Ein ebenso furchtbares Kraut wie Karo. Wenn ich mich richtig erinnere, kostete sie aber 2 Mark statt 1,60. Und durch ihre Seltenheit zog man praktisch automatisch die Aufmerksamkeit auf sich, wenn man sie rauchte.

– Marlboro: Die erste Zigarettenpackung, die ich mir selber kaufte. In einem Film im Kino International sagte jemand, nachdem er auf den vollen Aschenbecher angesprochen wurde: "Jetzt ist’s auch egal, jetzt rauch ich mich zu Tode." Ich ging rüber ins Café Moskau, um mir Zigaretten zu kaufen. Die einzige Sorte, die hatten, war Marlboro. Noch vor der Währungsunion kostete die Packung sagenhafte 7 Mark, die ich nach kurzem Zögern zahlte.
Image: Marlboro ging eigentlich gar nicht. Auch wenn ich die Ku-Klux-Klan-Legende nicht glaubte, so wollte man sich an den Untaten von Philipp Morris nicht beteiligen, vom lächerlichen Cowboy Image ganz zu schweigen. Marlboro also nur, wenn nichts anderes in der Nähe war.

– Cabinet. Billig. Angeblich unparfümiert.
Image: Osten, Osten, Osten. Meine Eltern hatten sie geraucht, eigentlich hätte ich aus Abgrenzungsgründen Club vorziehen müssen, aber Club war eine Angestelltenzigarette. F6 und Juwel schmeckten ekelhaft.

– Pall Mall: In den nächsten zehn Jahren griff ich immer wieder zu Pall Mall. Anfänglich zu den filterlosen, später zu den normalen. Und schließlich zu den leichten.
Image: Haben die überhaupt eins? Wenn ja, ist es mir nicht bekannt. Und gerade das machte sie sympathisch. Rauchte man Camel, Marlboro, Lucky Strike oder gar HB, Benson & Hedgess, wurde man sofort in eine Image-Ecke gestellt, die man entweder verteidigen oder cool zur Schau stellen musste. Beides war mir fremd.

– Lexington: Von 1992 bis 1993 rauchte ich fast ausschließlich die in 25er Packungen von Vietnamesen verkauften Lexington.
Image: Ich glaube, Lexington war unbekannt und imagelos. Fast ausschließlich von Vietnamesen verkauft, aber nicht so ossi-mäßig daherkommend wie Golden American, die mich irgendwie an Billigparfüm, Billigschnaps usw. erinnerten.

– R1: Ab Mitte der 90er – ich war schon auf dem Absprung – rauchte ich nur noch Light-Zigaretten. Und die Zahlen 0,1 mg (oder waren es 0,0001? – jedenfalls Nullen und Einsen) suggerierten zehnmal weniger Vergiftung als bei Normalqualm. Im finanziellen Notfall waren’s dann wieder Cabinet Light oder wenn es keine anderen mehr gab, sogar Marlboro Light.
Image: R1 hatten ein seltsames "Ich-rauche-und-bin-trotzdem-gesundheitsbewusst"-Image, von dem es sich zu distanzieren galt. Für so blöde wollte man nun doch nicht gehalten werden. Aber sich mit dickem ungefiltertem Ruß zudröhnen ging eigentlich auch nicht mehr – da gaben Lunge und Kondition deutliche Signale.

– Samson Light Tabak. Zwischendurch natürlich auch immer wieder Tabak, der Samson Light schmeckte (so bildete ich mir wenigstens ein) etwas süßlich, anders als Drum oder Javaanse Jongens. Ich drehte aus Not.
Image???

Und das ist doch der größte Mist: Dass man zusätzlich zu all der Vergifterei sich auch noch diese Gedanken übers Image gemacht hat. Selbst wenn man, wie ich, nicht ans Image glaubte und sich vom Image distanzieren wollte, verbrachte man ja auch in der Hinsicht Zeit mit Selbst-Image-Gestaltung zu.

 

**

Alî Schâr springt auf, sieht, dass Zumurrud verschwunden ist und läuft nun tagelang klagend und Liebes- und Leidensgedichte improvisierend durch die Stadt, währenddessen er sich mit zwei Steinen auf die Brust schlägt. Er schläft in den Gassen, und eines Tages entdeckt er neben seiner Wohnung

seine Nachbarin, eine alte vortreffliche Frau, die sprach zu ihm: "Mein Sohn, Gott gebe dir Genesung! Seit wann bist du irre?"

In der Tat: Vortrefflich!,

Er erwiderte ihr mit diesen beiden Versen:

Sie sprachen: Du rasest in Liebe. Da gab ich ihnen zur Antwort:
Ja nur die Rasenden kennen des Lebens Süßigkeit.
Lasst mich nur immer rasen! Bringt sie, die mich berückte;
Und tadelt mich nicht mehr, wenn sie mich vom Wahnsinn befreit!

Nachdem er ihr die Geschichte erzählt hat, rät sie ihm, einen Juwelierkorb zu kaufen und diesen mit Geschmeide zu füllen.

"ich will ihn auf den Kopf nehmen, wie eine Hökerin, und umherziehen, indem ich in den Häusern nach ihr suche."

Als nun alles bei ihr war, zog sie ein geflicktes Kleid über den Kopf, nahm einen Stab in die Hand und lud den Korb auf.

Sie läuft von Ort zu Ort, bis sie das Haus des Nazareners erreicht, aus dem sie ein Stöhnen vernimmt.

Status nur mit Stimme

Sprechen eine meiner Szenen als Hörspiel ein. Es funktioniert nicht. Nicht im ersten, nicht im zweiten, nicht im dritten Anlauf. Bei der Chaussee kam es gut rüber. Aber etwas fehlte die ganze Zeit. Ich sage zu Andrés: „Probier mal Tiefstatus.“ Und sofort hat die Szene Witz. Wir haben Mühe, die Aufnahmen ohne Lach-Unterbrechung zu Ende zu bringen.

Nutze die Stille

„Ein karger, roher Klang ohne Kinkerlitzchen, ohne Geigen und Damenchor und Schmalz. (…) Hier gab es nichts Überflüssiges, hier lagen die Wurzeln offen, die man irgendwie immer gespürt (…) hatte. Dafür ziehe ich meinen Hut vor Elvis. Die Stille ist deine Leinwand, das ist der Rahmen, in dem du arbeiten musst – versuch bloß nicht, sie zu übertönen.“ (Keith Richards über Elvis‘ „Heartbreak Hotel“ in „LIFE“)

314. Nacht

Alî Schâr lässt sich nun überreden zu essen. Und der Christ holt eine Banane hervor, die er in zwei Hälften teilt.

In die eine tat er gesättigtes Bendsch, das mit Opium vermischt war und von dem ein Quentchen einen Elefanten hätte umwerfen können.

Schneewittchen?

Diese Hälfte gibt er Alî Schâr mit den Worten:

"Mein Gebieter, bei der Wahrheit deines Glaubens, nimm dies!"

Alî Schâr fällt sofort in Ohnmacht.

Sobald der Nazarener das sah, sprang er auf seine Füße so schnell, wie ein grindiger Wolf aufspringt oder wie ein plötzlicher Spruch aus dem Richtersmund erklingt.

Er läuft nach Hause zu seinem Bruder, der der erfolglose Bieter auf die Sklavin Zumurrud gewesen war. Dieser hatte sich nur nach außen als rechtgläubiger Muslim ausgegeben ("Raschîd ed-Dîn"). Und sein jüngerer Bruder hatte ihm nun versprochen, diese zu rauben.

Sein Name aber war Barsûm.

Er lässt sie entführen und beschimpft sie zu Hause:

"Du Metze, du schamloses Geschöpf, du wirst schon sehen, wie ich dich strafe! Beim Messias, bei der Jungfrau, wenn du mir nicht gehorchst und meinen Glauben nicht annimmst, so werde ich dich wahrlich mit allen Folterqualen strafen."

Sie jedoch ruft, bei allen Foltern das islamische Glaubensbekenntnis.

Interessant wäre, aus welcher Zeit diese Geschichte nun stammt bzw. entsprechend religiös eingefärbt wurde.
Bemerkenswert: Der Christ wird "Nazarener" genannt.

Storytellers: Sich zurücklehnen

Randy Dixon rät: „Lehnt euch zurück und lasst die Geschichte sich selbst erzählen.“
Daran knoble ich nun schon seit Monaten.
Nachvollziehbar auf jeden Fall: Mach nicht zu viel Sinn. Erkläre nichts. Die Zuschauer machen sich ihren eigenen Reim drauf.
Andererseits: Es bedarf auch einer gewissen Erzähl-Erfahrung, einer Gewandtheit in Genres und vor allem eines gewissen Grund-Engagements. Einem tendenziell zurückhaltenden Spieler zu raten, sich zurückzulehnen, wäre dann wohl kontraproduktiv, oder?