8. Juni 2011
"Mississippi Delta is shining like a national guitar"
Wie spät ist es, als wir aufstehen? Die Uhr zeigt 7 an, das heißt, in Berlin ist es jetzt 14 Uhr. Das kann man schon mal als guten Versuch abhaken, den Jetlag zu überwinden.
Was also ist die Liste der Städte, von deren Flughäfen ich abflog oder auf denen ich landete? (Um nicht das Abholen des Freunds aus Tempelhof und das Rumlungern auf dem ungenutzten Flughafen in Sunyani mitzuzählen.)
Berlin, Minsk, Leningrad, Istanbul, Esfahan, Teheran, Amsterdam, New York City, Sofia, Lagos, Accra, Budapest, Sarajevo, Rom, London, Valetta, Paris, Wien, Chicago, München, Phuket, Antalya, Palma de Mallorca, Prag, Odessa, Zürich, Catania, Jekaterinburg, Krasnojarsk, Shanghai, Peking, Detroit, Philadelphia, Charlottesville, Seattle, New Orleans.
Mein erster Flug am 12. November 1989 nach Leningrad, drei Tage nach Mauerfall – an meinem Geburtstag – eine gebuchte Jugendtouristreise. Zwischen 1990 und 1996 bin ich nur ein einziges Mal geflogen – als ich in Moskau krank wurde und mir die Ärzte nicht helfen konnten.
Wir spazieren 500 Meter zu einem kleinen Frühstücks-Restaurant, dass sehr familiär wirkt. Die Angestellten (bis auf einen kleinen älteren Mann alle schwarz) verbreiten eine ungezwungene gute Laune. Ich überwinde mich, unbekanntes Essen auszuprobieren: "French Toast with Strawberries and Bacon". Es schwimmt in Fett und wenn man Honig drüber laufen ließe würde es nicht süßer werden. Aber ich bin zufrieden. Refill-Coffee gibt’s immer dann, wenn der Kaffee bestenfalls mittelmäßig ist.
Spazieren durchs French Quarter. Derselbe Eindruck wie damals 1997: Am Morgen danach riecht es nach Schmutzwasser und Reinigungsmittel. Wie eine mittags erwachende Stadt. Hutkauf am Hafen. Unsicher, ob der Preis angemessen oder Abzocke ist (schließlich befinden wir uns im Touri-Zentrum). Lasse mich dann von dem Gebot der Zweckmäßigkeit leiten.
Das Gute am Zu-Zweit-Reisen: Man lässt sich zu Dingen überreden, die einem sonst spontan nicht in den Sinn kämen. Aber die Dampferfahrt hätte ich wohl auch mitgenommen. Natchez Steamboat ist der älteste Original-Dampfer. Wir überqueren eine 70 Meter tiefe Stelle des Mississippi.
Zum ersten Mal fahren wir an Katrina-ruinierten Gebäuden vorbei. Das French Quarter war wegen seiner höheren Lage weitgehend verschont geblieben.
Spazieren durchs Zentrum. Eine üppige Frau geht an uns vorbei und trägt etwas vor sich her, das Steffi und ich unabhängig voneinander und ohne die Vokabel je in diesem Zusammenhang gebraucht zu haben, im Geiste als "Balkon" bezeichnen. Kurz danach schlendere ich allein weiter und höre, wie ein Straßenkünstler sie für ihre Brüste lobt: "Nice breasts!" In Berlin wäre das die Garantie für eine Ohrfeige oder eine rüde Erwiderung. Hier erntet er ein geschmeicheltes "Oh! Thank you!"