Keith Johnstone Interview 25 September 2011 Berlin

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„You don’t become a good storyteller if you only play theater games.“
„You cannot assume that the audience like it just because they laugh. Also, small laughs are useless, they fragment the audience. The only laughs of any value are when the whole audience goes Wooof, like that.“
„Suggestions take away the responsibility from the actors.“
„It doesn’t really work to improvise the structure.“
„I’m not really an expert. I’ve seen two Harolds by the guys who invented them, two by Dave Shepherd and two by Del Close. But I really didn’t understand why they did it.“
„You know that something is wrong if you don’t play for your contemporaries.“
„Maybe it’s all wonderful now. But my suspicion is that the place is full of people trying to make it safe. (…) There are games which are absolutely pointless, like „only questions“. People rehearse questions, so they don’t lose.“
Als sich der sportliche Aspekt im Theatersport bei Loose Moose verselbständigte, kehrte Johnstone ihnen den Rücken zu. Er kam wieder mit der Bedingung, dass die Identifikation mit dem eigenen Team aufhöre, dass die Spieler aufhörten, nach dem Punktestand zu schielen und dass sie bereit sind, sich jedem Team zuteilen zu lassen.
„An improv league is worse than sports between countries. Everybody is desperate to take the rubber chicken or whatever it is, home.“
„Theatersports is disappointing. It’s not political, it’s not social. It’s like a saw that cuts nothing.“
„I don’t like normal theater either. I like good theater an I like good improvised theater. But where the hell do I get it?“
„You need a packed house to enjoy silent movies.“
„If you’re spontaneous you don’t think in words before you do it.“
„My brain is much more clever than I am.“
„You don’t teach students just games. You teach them not to be in the way of what something else wants to do.“

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Johnstone fordert einerseits, dass Improspieler Risiken eingehen sollen und lobt z.B. Rebecca Northan, die mit einem Zuschauer anderthalb Stunden „Blind Date“ auf der Bühne spielt. Andererseits kritisiert er ein Ensemble aus San Francisco, das ein 40minütiges Musical improvisiert und sich fürs Scheitern keine spielerische Sicherheit einbaut.
Johnstone glaubt nicht, dass Vorschläge beweisen könnten, dass alles improvisiert wäre. Damit hat er wohl recht. Allerdings hat das auch mit der Präsentation zu tun. Wenn wir Impro als Sensation wie einen großartigen Zaubertrick darstellen, gibt es wie eben bei Zauberkünstlern immer Skeptiker. Wenn wir aber die Improvisation nur nonchalant erwähnen, werden die Skeptiker weniger. Außerdem spielt auch der Bekanntheitsgrad von Impro in unsere Hände.

Phasen des Sinns für strukturelle Schönheit

„Es gab immer wieder kurze historische Phasen, in denen es einen Schwung an guten Dramatikern gab, gefolgt von langen historischen Perioden, in denen uns die Künstler nichts Nennenswertes hinterlassen haben. Ich denke an die kurze Zeit der antiken griechischen Dramatiker und die Shakespeare-Zeit. In diesen Zeiten wussten die Künstler um die Schönheit von Struktur. Das war es, was den anderen Generationen verlorenging.“ (Keith Johnstone sinngemäß 24.9.11)
Habe dazu noch keine Meinung. Abgesehen davon, dass KJ hier natürlich auch ausblendet, dass es Epochen gab, die für Künstler eher günstig waren und dass es auch sein kann, dass gerade aus der Antike große Werke einfach nicht mehr erhalten sind, so hat der Gedanke doch eine gewisse Kraft.

Keith Johnstone in Berlin

Am 24. Spetember weilte Keith Johnstone in Berlin und stellte im English Theater sein Buch „Wie meine Frau dem Wahnsinn verfiel“ der Öffentlichkeit vor.
Wer gekommen war, um Gedanken zu Improvisation zu hören, war sicherlich enttäuscht. Aber einem 80 Jahre alten Mann darf man sicherlich nicht böse sein, wenn er immer wieder in Erinnerungen an Begegnungen mit Menschen wie Beckett und Gaskill abdriftet. Auch darf man nicht vergessen, dass er zu diesem Zeitpunkt bereits sechs Stunden Unterricht in den Knochen hatte.
Als das Publikum schließlich immer wieder nachhakte, ließ er die Katze aus dem Sack: Er schaue sich seit 25 Jahren keine Impro-Shows an. In den USA sei es besonders schlimm – dort nenne man Impro „Improv“ und glaube, mit unstrukturierten Langformen das Publikum zufriedenstellen zu können. Ihm sei es immer um Struktur gegangen, so wie etwa bei der Commedia dell’arte.
In dem Moment dachte ich: „Armer alter Mann!“ Wenn man schon seit 25 Jahren nicht mehr die Kraft hat, sich Impro-Shows anzuschauen (was ich bei der Masse an geschmacklosem Zeug durchaus verstehen kann), dann muss man doch auch die Würde haben, dazu zu schweigen. Wie kann er sich über amerikanisches Improtheater qualifiziert äußern, wenn er dessen Entwicklung überhaupt nicht kennt? Ich vermute, die Spitze gegen „unstrukturierte Impro“ richtet sich gegen die Aufführungspraxis des Harold. Diese Meinung ist ja durchaus legitim, aber er scheint ja nicht mal zu wissen, was sich in den anderen Bereichen der „strukturierten“ Impro tut.
Ach, Keith, du hast der Welt so viel Gutes gegeben. Reiß es nicht auf den letzten Metern ein.

Marionetten

Ein Klassiker unter den Impro-Games ist das Marionetten-Spiel. Nach langer Zeit mal wieder im Workshop eingebaut und es dann doch schnell gleich fallengelassen. Zumindest in der Form, in der ich es kenne, scheint es mir kontraproduktiv: Zug um Zug, einer wird bewegt und spricht dann. Das Ausharren in der Starre lässt die Spieler zu sehr in den Kopf gehen, statt die Bewegung und den Gestus sie auf natürliche Weise inspirieren zu lassen.
Wer stehenbleibt und nachdenkt, ist immer weniger spontan als der, der sich bewegt.

Melodramatische Tendenzen

Improvisierte Szenen und Stücke, die hinterher sowohl von Publikum als auch Spielern für ungewöhnlich gut befunden werden, haben oft melodramatische Enden. Ein wohliger Seufzer geht durchs Publikum, das Klavier schwillt an…
Auch uns hat diese Tendenz teilweise erwischt. Das wurde mir klar, als wir in den letzten Wochen Liebesszenen einmal in einem Brecht- und einmal in einem Surrealismus-Stück spielten. Melodram ist hier so wesensfremd, dass wir den Schmalz im letzten Moment zerstören mussten.

Ausblenden von Komplexität

Könnte es Beim Einstudieren von Genres hilfreich sein, Deutungen und Interpretationen von Werken bewusst auszublenden? Diesen Eindruck hatten wir vor allem bei Tschechow, Brecht und den Surrealisten.
Tschechow konnten wir knacken, indem wir die politischen Deutungen ausblendeten – die ergeben sich unter Umständen von ganz allein. Wir näherten uns ihm, weil es uns gelang, die Stücke als Komödien aufzufassen, was er, wie wir beim Nachlesen feststellten, ja auch selber getan hatte.
Der Surrealismus trug bei seiner Entstehung seine Deutung schon quasi mit im Gepäck, da sich seine Protagonisten viel mit Psychologie (was damals praktisch dasselbe war wie Psychoanalyse) befassten. Die Schwierigkeit für unseren Schaffensprozess bestand nun darin, die Deutungen nicht schon vorwegzunehmen, was ja das Schaffen eher lähmt. Einige der Mechanismen, mit denen Psychoanalyse arbeitet – wie z.B. freies Assoziieren – sind uns ja sehr vertraut. Wir konnten also frei damit arbeiten, so wie es übrigens auch Bunuel und Dalí auch taten. Schwierig war es auch gerade beim Surrealismus, die genre-bildenden Elemente von den zufälligen Elementen des jeweiligen Künstlers zu unterscheiden. Z.B. also das stilbildende Assoziative des Surrealismus vom künstlertypischen Element der Gewalt bei Bunuel.
Brecht ist vielleicht der Schwierigste von allen gewesen; denn ihn kann man ja nicht von seiner politischen Aussage trennen. Auf die wird er freilich oft reduziert und in den Impro-Kopien entsteht dann ein billiger Agitprop-Abklatsch. Auch muss man viel von Brechts eigenen Theater- und Schauspiel-Vorstellungen ausblenden. Das von Brecht so verachtete Einfühlen in eine Rolle etwa zugunsten der zeigenden Skizze lässt dann oft nur noch eine Schablone übrig, wenn man es missversteht. Den V-Effekt wenden wir sowieso andauernd im Improtheater an. Die Sprache Brechts wäre eine Möglichkeit gewesen, sich ihm zu nähern. Aber auch die ist wieder so flexibel, in jedem Stück, jeder Rolle anders. Also war für uns der Begriff des „Versuchs“ hilfreich. Sowie die Brechtsche Grundfrage: Kann ein Mensch in einer bösen Gesellschaft gut sein? Auch Brecht kommt nicht ohne Helden aus. Aber ihm fehlt jegliches melodramatisches Element.