Der Spaziergang scheint für viele kreative Geister – für Schriftsteller und Musiker mehr als für Maler und Wissenschaftler – ein wichtiger Teil der Tagesroutine zu sein. Sowohl Schriftsteller als auch Musiker müssen den inneren mit dem äußeren Rhythmus harmonisieren. Was ist damit gemeint? Ein Schriftsteller kann eine Grundidee für ein Buch, eine Story, ein Kapitel aus einem Roman im Kopf fertig haben. Ein kreatives Problem besteht aber darin, dass der Prozess des Schreibens mit dem Prozess des Denkens in Einklang gebracht werden muss. Jeder hat schon mal das Gefühl gehabt, dass man nicht so schnell schreiben kann wie einem die Gedanken in den Kopf schießen. Oder auch umgekehrt: Der Schreib-Impuls ist da, aber die Gedanken können nicht mithalten. Ersteres führt zu Schludrigkeiten des Ausdrucks, zweites zu Schreibblockaden.
Spazieren kann den nervösen Geist beruhigen und den lahmen Geist auf Trab bringen. Da wir mit dem Spazieren kein bestimmtes Ziel haben, bleibt der Geist auch eher bei uns als Pflichten nachzuhängen. (Es wäre also Quatsch, einen Künstler-Spaziergang mit Erledigungen zu verknüpfen.)
Spazieren ähnelt in manchem der Gehmeditation. Aber anders als bei dieser erlauben wir unserem Geist zu fliegen: Man kann einen Gedanken eher vorantreiben als auf dem Sessel.
Aber auch zielloses Rumspinnen funktioniert beim Spaziergang eher als beim Spiegeleier-Braten. Dieses ziellose Denken, für das Künstler ja oft gehänselt oder belächelt werden, ist aber ein entscheidender Teil des kreativen Prozesses. Die Impulse, die wir täglich aufsammeln, müssen in unserem Hirn verarbeitet werden, müssen die Möglichkeit haben, sich neu zusammenzusetzen (ähnlich, wie es in Schlafträumen geschieht). Wir brauchen die Möglichkeit, auch Unbrauchbares, Unmögliches zu denken. Der Künstler ist schließlich kein Sachbearbeiter.

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Fortsetzung der Lektüre Daily Rituals. How Great Minds Make Time, Find Inspiration, and Get To Work

Sergej Rachmaninow (1873-1943)
2 Stunden Üben
4 Stunden Komponieren.
Zeit-Mangel empfand er nur beim Komponieren.

Wladimir Nabokow (1899-1977)
Die Erstentwürfe seiner Romane schrieb er auf Karteikarten, die er in langen Karteikästen aufbewahrte.

Diese Kästen dienten ihm auch als transportable Schreibtische.
Als junger Mann schrieb er vormittags, dabei kettenrauchend.
Später: Aufwachen am Morgen, meist geweckt durch eine Dohle vorm Balkon. Im Bett bleibend – Nachdenken.
8 Uhr Aufstehen, Rasieren, Frühstück, Meditation, Badezimmer.
Mittag gegen 13 Uhr.
Weiterarbeiten ab 13:30 Uhr bis 17:30 Uhr.
Zeitungen. Abendessen 19 Uhr, danach keine Arbeit mehr.
Zu Bett gegen 21 Uhr, dann lesen bis 23:30 Uhr!
Kampf gegen Schlaflosigkeit bis 1 Uhr.
Hobbys: Fernsehen (selten für regelmäßig erfolgreich arbeitende Schriftsteller), Sonnenbaden, Erstellen von Schachrätseln!

Balthus (1908 – 2001 !!)
9:30 Uhr Frühstück
Danach ins Studio, das außerhalb des Dorfs lag.
„Ich habe stets beim Arbeiten geraucht. (…) Ich verstand intuitiv, dass das Rauchen meine Konzentrationsfähigkeit erhöhte und mir erlaubte, in die Leinwand einzutauchen.“
[Sicherlich hätte er es auch anders geschafft, sagen wir, mit einem Lolli, wenn er diese Gewohnheit nicht schon seit seiner Jugend gehabt hätte. Und fast scheint es mir unverantwortlich, dieses Zitat im Zusammenhang mit dem von ihm erreichten hohen Lebensalter aufzuschreiben. Aber so ist das Leben. Und ich vermute, dass sein hohes Alter seiner andauernden Bewegung und seiner Arbeit zuzuschreiben ist.]
Exkurs:
Regionen, in denen die Lebenserwartung extrem hoch ist, beunruhigt mich. Zusammengefasst, sind die Voraussetzung diese:
– andauernde Freundschaften
– geerdete Spiritualität
– überwiegend vegetarische und vielseitige Ernährung,
– natürliche Bewegung, d.h. die alltäglichen Handlungen sind bewegungsreich
– täglicher Lebenszweck – ein täglicher Grund, warum man aufsteht
– tägliche Ruhepause
– gute Familienbeziehungen und -traditionen
– mäßig essen und wenig Alk
– sich in gute Gesellschaft begeben.
(s. Dan Buettner)

16:30 Rückkehr ins Landhaus.
20 Uhr Abendesssen.
Danach Lesen oder Fernsehen.

Arbeitsroutinen von Künstlern XVIII – Der Spaziergang
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