475., 476., 474. Nacht

475. Nacht

Da die belagerten Christen nun den tapferen Muslim gefangen halten, beraten sie, wie sie mit ihm umgehen sollen, da er zu schön sei, um getötet zu werden. Am liebsten würden sie ihn zum Christentum bekehren, aber wie? Einer der Ritter schlägt vor, ihn mithilfe seiner Tochter zu verleiten, denn

„Die Araber haben eine heftige Leidenschaft für die Frauen, und da ich eine Tochter von vollkommener Lieblichkeit besitze, so wird er, wenn er sie sieht, durch sie verführt werden.“

Tatsächlich ist der gefangene Muslim hingerissen, aber als er sah,

was ihm drohte, nahm er seine Zuflucht zu Allah dem Erhabenen, wandte seinen Blick ab, widmete sich der Andacht zu seinem Herrn und begann den Koran herzusagen.

Und so wendet sich der Trick des christlichen Ritters gegen ihn. Sie bittet:

„Erkläre mir den Islam!“

Er lehrt sie alles Grundlegende, woraufhin sie ihn ehelichen will, was wegen fehlender Morgengabe und zweier Zeugen nicht möglich ist. Daraufhin ersinnt sie einen Fluchtplan. Sie lässt ihrem Vater ausrichten, der Muslim sei zur Konvertierung und zur Ehe bereit, will aber aus Gründen des Anstands dies nicht dort tun, wo sein Bruder starb, also müsse das in einem anderen Ort geschehen.

Dies ist mal ein selten gelungenes Mittel des Storytelling - die Wiedereinführung. Wozu sonst war der gefallene Bruder zu Beginn der Geschichte erforderlich?

Der Vater willigt ein, und in dem Dorf nutzen die beiden die Gelegenheit zur Flucht.

*

476. Nacht

Als die beiden Flüchtigen am Morgen ihre religiöse Waschung vornehmen, hören sie Pferdegetrappel und Waffenrasseln.

Da rief er: „Das sind die Nazarener, die uns verfolgen!“

Sie redet ihm Mut zu, und so finden sie Zuflucht im Gebet und die Heerschar erweist sich als von Allah gesandte Engel, die den beiden Trost spenden.
Der Kalif und Feldherr Omar ibn el Chattâb betet an diesem Morgen nur kurz und verlautbart dann:

„Lasst uns hinausgehen, dem jungen Ehepaare entgegen!“ Da verwunderten die Gefährten sich und konnten seine Worte nicht verstehen.

Kurz darauf trifft das Paar in Medina ein.

Omar ibn el-Chattâb werden also hiermit prophetische Fähigkeiten zugeschrieben, die seine Heiligkeit unterstreichen.
(Übrigens war es dieser Kalif, der den "Steinigungsvers" in den Koran einfügte, um die weiterhin bestehende Praxis der Steinigung religiös zu rechtfertigen.)

Die beiden feiern Hochzeit und:

Dann ging der junge Held zu seiner Gemahlin ein, und Allah der Erhabene schenkte ihm Kinder von ihr.

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477. Nacht

Und nun lebten sie immerdar herrlich und in Freuden, bis Der zu ihnen kam, der die Freuden schweigen heißt, und der die Freundesband zerreißt. Ferner wird erzählt

*

Die Geschichte von der Christlichen Prinzessin und dem Muslim

Sîdi Ibrahim el-Chauwâs

[unklar, wer das sein soll]

berichtet, einmal dem Bedürfnis, ins Land der Ungläubigen zu reisen, nicht widerstanden haben zu können. Am Tor einer ihrer Hauptstädte empfangen ihn schwarze Sklaven mit ehernen Keulen, die ihn fragen, ob er Arzt sei, was er bejaht.
Sie erwidern, des Königs Tochter sei krank. Aber wenn einer sich als Arzt ausgebe und sie nicht heilen könne, müsse er sterben.

Was er gewinnt, falls er sie heilt, wird nicht verraten.

Er geht zum König und lässt ihn zu ihr ein. Dabei spricht sie die Verse.

 

„Öffnet die Tür; denn der Arzt ist gekommen!
Schaut auf das seltne Geheimnis in mir!
Oft ist der Nahe doch weit in der Ferne;
Oft ist der Ferne doch nahe bei dir.
Wahrlich, ich lebte bei euch nur als Fremdling;
Jetzo will Gott seinen Trost mir verleihn.
Uns hat die Glaubensgemeinschaft verbunden;
Freund mit dem Freunde; sind wir im Verein.
Als er mich in seine Nähe gerufen.
Hielten die Tadler und Späher uns fern.
Lasst euer Schelten, hört auf, mich zu tadeln!
Weh euch, ich antworte doch nicht, ihr Herrn.
Mich kümmert nicht das Flüchtige, das Unzulängliche;
Mein Ziel ist nur das Bleibende, das Unvergängliche.“

Es wäre interessant, dieses Gedicht mit dem Original zu vergleichen. Zu Beginn werden die Daktylen noch einigermaßen durchgehalten. Am Ende holpert er sich so durch. Absicht oder Zufall?

Es stellt sich heraus, dass der Christin vor vier Jahren die klare Wahrheit [Allah] offenbar wurde.

Wie das geschehen ist, bleibt unklar.

Als ein greiser Diener nach der Unterredung von Arzt und Christin hinzutritt, sagt diese:

„Er hat die Krankheit erkannt und das Heilmittel gefunden.“

473. – 474. Nacht

473. Nacht

Als der Schmied sich bei der Frommen entschuldigt, spricht sie:

„Oh mein Gott, wie du jetzt meinen Wunsch an ihm erfüllt hast, so bitte ich dich, nimm meine Seele zu dir, denn du bist mächtig über alle Dinge.“

Die Verklärung des Todes nimmt im Islam und im Christentum seltsame Züge an. Können wir uns die Seelen-Vorstellung noch als Ausfluss der Todesangst erklären (endgültiger Tod kann nicht sein, weil er nicht sein darf), so nimmt diese Vorstellung vom Tod oft Züge der Sehnsucht an. Und warum auch nicht? Wenn das Leben im Paradies so viel schöner ist, was soll man dann hier? So werden Märtyrer gemacht.

*

Die Geschichte von dem frommen Israeliten und der Wolke

Einem frommen Juden hat Allah eine Wolke untertan gemacht, die ihm überallhin folgt und ihm dient, wenn er trinken oder sich waschen muss. Einmal aber war er

in seinem Eifer nachlässig und Allah hieß die Wolke von ihm enteilen.

Nachts hört er eine Stimme, die ihm befielt, bei einem

König in der Stadt Soundso

darum zu bitten, dass dieser für ihn bete.
Nach einigen Verzögerungen erhält er auch Zugang zum König und dessen Gemahlin, deren

Antlitz leuchtete wie der junge Mond; und sie trug ein Gewand aus Wolle und einen Schleier.

*

474. Nacht

Der König aber trägt nur ein einfaches Gewand aus Filz und betet in einem öden Gebäude, wo er auch aus Palmblättern mit seiner Frau, die auch seine Base ist, Matten flicht, die dann ein fünf Spannen (das sind ca. 1,20 Meter) hoher Sklave auf dem Markt verkauft und für den Erlös einfaches Essen erwirbt.
Nach dem Gebet funktioniert die Wolke wieder für den „Israeliten“, der berichtet:

„Alles, was ich seitdem im Namen der beiden von Allah dem Erhabenen erbitte, gewährt Er mir.“

Wenn es eine Vorherbestimmung gibt, wie kann man dann um etwas bitten, was einem Gott ohnehin gewährt? Theologen meinen, es ginge dabei darum, dass der Betende sich ändert. Aber dann bräuchte er ja nicht um etwas zu bitten.

*

Die Geschichte von dem muslimischen Helden und der Christin

Der Kalif Omar ibn el Chattâb rüstet ein muslimisches Heer wider die Ungläubigen in Damaskus. Zwei besonders tapfere Helden tun sich in der Belagerung hervor. Einer der beiden findet den Märtyrertod, der andere gerät in Gefangenschaft.

Flüchtigkeit und Ewigkeit – Leonardo

„Die Malerei ist der Musik deswegen überlegen, weil sie nicht sterben muß, sobald sie ins Leben gerufen ist, wie das der Fall der unglücklichen Musik ist … Die Musik, die sich verflüchtigt, sobald sie entstanden ist, steht der Malerei nach, die mit dem Gebrauch des Firnis ewig geworden ist.“ (Leonardo da Vinci: Frammenti letterarii e filosofici) Spricht nicht auch hier die Eitelkeit des Künstlers, oder die Todesangst des Individuums? Die Angst vor dem Tod erschafft die Hoffnung, wenigstens noch in den Werken weiterzuleben. Da Vincis Mona Lisa wird aber genauso sterben, wie wir das schon beim Abendmahl sehen. Und wenn auch niemand mehr von den improvisierten Opern aus Leonardos Zeit berichten kann, so war das ästhetische Glück der Musiker und Reizpienten doch genauso echt und vielleicht noch intensiver als das der kleinen Besuchergruppen, die für 15 Minuten ins Refektorium hereingelassen werden.

Pantomime – Die Dicke und das Ausmaß von Gegenständen

Wenn wir eine gewöhnliche Flasche anheben, umschließt unsere Hand sie und hält sie fest. Die Flasche bietet unserer Hand Widerstand. Eine gemimte Flasche tut das nicht. Und deshalb neigt unsere Hand dazu, fest zuzugreifen, bis sie zur Faust wird. Die gemimte Flasche verliert so jedes Volumen. Nach außen wirkt es so, als hätte der Schauspieler nur noch eine Salzstange oder eine dünne Pipette in der Hand. Dasselbe gilt für Lenkräder, Gläser, Messer, Koffergriffen, Türklinken, um nur einige der häufigsten Gegenstände zu nennen, die auf Impro-Bühnen regelmäßig verdünnisiert werden. Ich bin der Ansicht, dass selbst bei extrem dünnen gemimten Gegenständen wie Zigaretten, Zeitungen, ja sogar bei einem Blatt Papier die Dicke mitgespielt werden muss.
Bei größeren Gegenständen, die mit beiden Händen getragen werden, tritt das Problem eher selten auf, aber auch hier sollte man sich möglichst um Präzision bemühen.
Eine weitere Schwierigkeit haben wir bei großen Objekten, die wir gar nicht komplett in die Hand nehmen können, wie etwa ein Auto, ein Schreibtisch, ein ausgerolltes Seil. Wie wollen wir hier das Ausmaß der Objekte darstellen? Die gute Nachricht ist: Oft ist es gar nicht nötig, zu zeigen, wie groß ein großer Gegenstand ist. Wenn ich z.B. mime, ein Auto zu fahren, ist pantomimisch meistens eher das Innere des Fahrzeugs interessant, also Lenkrad, Gangschaltung, Sicherheitsgurt usw. Dennoch ist es eigentlich immer gut, eine möglichst spezifische Vorstellung vom Raum und den Objekten zu haben. Es kann also nicht schaden, sich improvisierend darüber klar zu werden, ob man in einem Daihatsu oder einem Mercedes sitzt. Auch wenn das für die Story vielleicht unerheblich ist, wird ein sensibler Spieler ganz automatisch seine Ich-fahre-Auto-Pantomime anpassen, was wiederum eine Außenwirkung hat. Aber wenn ich aus dem Auto aussteige, um etwas aus dem Kofferraum zu holen, wird das Ausmaß des Wagens schon bedeutsam. Ich definiere es quasi durch meinen ganzen Körper: Ich gehe um den Wagen herum. Wenn ich dann noch das Dach definiere, in dem ich eine Cola-Flasche darauf abstelle oder auch nur einfach mit der Hand drauf trommle, wird auch die Höhe des Wagens klar.
Stellen wir uns nun vor, wir breiten ein großes Tischtuch auf einem Tisch aus. Wir können sowohl Tisch als auch Tuch in ihrer Größe definieren mit einem einzigen Mittel: Unserem Blick. Der Blick folgt dem Ende des mimisch geworfenen Tuchs, und damit ist schon alles klar. Dieser Effekt wird von vielen Improspielern unterschätzt. Er ist überaus wirksam und spart auch Zeit, denn wenn ich auf diese Weise die Größe etabliert habe, brauche ich ja nicht mehr extra um den Tisch herumzulaufen.
Auch hier gilt natürlich das Effizienz-Prinzip: Je knapper und je natürlicher die Geste ist, mit der ich den Gegenstand etablieren kann, umso besser.

Sanford Meisner: „Fuck polite!“

„Listen, Philip, you have some kind of cockeyed idea that acting is an imitation of life. (…) You try to be logical, as in life. You try to be polite, as in life. May I say, as the world’s oldest living teacher, ‚Fuck polite!‘ (…) I tell you this: you cannot be an actor and a gentleman.“ (Sanford Meisner in Meisner & Longwell: „Sanford Meisner on Acting“)

„Hör zu, Philip, du hast die etwas schiefe Idee, dass Schauspiel eine Imitation des Lebens ist. Du versuchst, wie im Leben, logisch zu sein. Du versuchst, wie im Leben, höflich zu sein. Darf ich, als der älteste lebende Lehrer, dir sagen: ‚Scheiß auf Höflichkeit!‘ Ich sag dir eines: Du kannst nicht gleichzeitig Schauspieler und Kavalier sein.“