Wie man ein kreatives Leben führt – Tips von Tracy Letts

Der Pulitzer-Preis-Gewinner Tracy Letts gibt in diesem Vortrag ein paar Hinweise, wie man ein kreatives Leben führt. (Und er spricht noch nicht einmal vom eigentlichen Schreibprozess.

Tracy Letts v2 from Chicago Ideas Week on Vimeo.

1. Tue nichts.
Gemeint sind Tagträume. „Geh nach Hause. Setz dich auf die Couch. Starre für eine lange Zeit die Wand an. Tue das am nächsten Tag noch mal.“ Die Phantasie geht automatisch auf die Reise.
2. Höre kein Radio.
Im Grunde eine Erweiterung von Punkt 1. Die Phantasie wird viel zu oft unterbrochen durch Geblabber, bis man irgendwann die Gedanken anderer denkt.
3. Geh dir aus dem Weg.
Zensiere deine Gedanken nicht.
4. Höre auf zu trinken.
Alkohol ist ein Feind der Kreativität. Höre einem Betrunkenen zu, und du weißt, was gemeint ist.
5. Masturbiere
Masturbation ist Spielen mit sich selbst – dem eigenen Körper und der eigenen Phantasie.
6. Lüge.
Lügen ist primäre Kreativität. Sei ehrlich zu dir selbst, aber übe dich im Lügen. [Ich bin mir nicht sicher, ob dich das so unterschreiben möchte. DR]
7. Stiehl.
Stiehl fremde Ideen und fühle dich gut dabei.
8. Hol dir Hilfe
Psychothereapie kann dir helfen, Verhaltensmuster zu brechen.
9. Lies Belletristik.
Die beste Möglichkeit, Einsicht in die Denkweise deiner Mitmenschen zu bekommen.
10. Kreiere nicht, es existiert bereits.
Diesen Gedanken übernimmt Tracy Letts von TJ & Dave, die davon ausgehen, eine Szene zu betreten, die bereits existiert und die sie nur freizulegen brauchen.

Geh dir selbst aus dem Weg. Lass die Kreativität ungebremst fließen.

Rückmeldungen („Feedbacks“) in Proben – Die Atmosphäre

Rückmeldung für Szenen sind ein sensibles Feld. Ich höre immer wieder (und habe es auch selbst erlebt) dass  Proben aus dem Ruder gerieten, weil einer der Spieler mit der Menge an negativem Feedback nicht zurande kam. Seid als Team untereinander wohlwollend. Bei allem Willen, die Kunst und die Gruppe voranzubringen: Denkt daran, dass ihr das nur gemeinsam schaffen könnt, dass Spieler unterschiedlich sensibel sind, dass ihr eine Atmosphäre der heiteren Gemeinsamkeit braucht, um überhaupt etwas zu erreichen. Seid nicht genervt, wenn einzelne Mitspieler wieder und wieder in die gleichen Muster verfallen. Die Probe ist ja genau dafür da, an diesen Mustern zu arbeiten. Nichts verändert sich von heute auf Morgen. Wenn ihr zu häufig mit dem Gefühl des Scheiterns die Probe verlasst, dann habt ihr euch womöglich einfach zu hohe Ziele gesteckt.
Umgekehrt muss auch jedem einzelnen Spieler klar sein, dass eine Probe mehr ist als ein lockerer Friseurbesuch. Proben heißt, an sich zu arbeiten. An sich zu arbeiten, heißt unter Umständen, an die Grenzen zu stoßen, die einem die eigenen Gewohnheiten setzen. Und das kann schwierig sein.
Wer immer auch Rückmeldungen zur Szene gibt, seid euch darüber im Klaren,

  • dass eure Mitspieler das Beste geben,
  • dass sie improvisieren, mithin „Fehler“ entstehen können
  • dass ihr negative Rückmeldungen positiv verpackt oder positiv formuliert.

Die positive Verpackung einer negativen Rückmeldung nennt man Sandwich-Technik: Man beginnt mit der positiven Botschaft, d.h. mit einem Lob, fügt die Kritik an und endet mit einem Lob. Die Sandwich-Technik ist vor allem dann ratsam, wenn die Performance insgesamt beurteilt werden soll.
Aber nicht jeder Spieler und nicht jede Situation erfordert ein solches hochsensible Herangehensweise. Manchmal lenkt sie ja auch ab. Wenn wir uns etwa in einer Schauspiel-Übung befinden, in der wir die Klarheit unserer Pantomime ausprobieren wollen, ist es unter Kollegen und Profis nicht nötig, um den heißen Brei herumzureden. Als Spieler wollen wir dann rasch eine klare Rückmeldung: Was hat funktioniert? Was hat nicht funktioniert?

  • „Spiel mal das Fensteröffnen noch einmal, und lass dir mit dem Vorhang noch ein bisschen mehr Zeit.“
  • „Dass es kalt war, hat man sehr gut gesehen. Willst du versuchen, die Darstellung der Kälte noch mehr zu reduzieren und zu verfeinern.“

Der Schlüssel ist: Habt Spaß miteinander. Kritik sollte nie persönlich formuliert und auch nie persönlich gemeint sein.

  • „Kannst du mal was anderes spielen als deine ständige Strenge-Mutter-Rolle?“

Wer so etwas zu hören bekommt, egal wie ausgeglichen, verliert leicht die Lust am Improvisieren. Wie wäre es stattdessen mit:

  • „Versuch doch dasselbe noch einmal, nur dass diesmal die Mutter liebevoll ist.“

Wiederholungen (Replays) in der Probe

Wiederholungen von Szenen (auch „Replays“ genannt) sind in der Improtheater-Szene einigermaßen umstritten. Aber wenn wir uns die populären Varianten anschauen, die als Games aufgeführt werden, nämlich Genre-Replay oder Emotions-Replay, dann ist ziemlich klar, dass diese Spiele in Workshops und Proben erfunden wurden: Eine langweilig improvisierte Szene wurde genommen und den Spielern die Aufgabe gegeben, sie mit dem Fokus „Film Noir“ durchzuspielen. Et voila, schon hat die Szene Pfiff. Dasselbe gilt für Emotionen, Tempi usw. Das heißt, der didaktische Sinn dieser Spiele liegt darin, den Spielern durch einen neuen Fokus die Chance eines erweiterten Erfolgserlebnisses zu geben. Natürlich ist es auch möglich, nach einer langweiligen Szene eine völlig neue Szene zu spielen, diesmal mit neuer Frische und neuem Fokus. Aber der Aha-Effekt ist einfach viel größer, wenn wir sehen, dass aus derselben Anfangssituation, die uns eben noch ins improvisatorische Schlamassel geführt hat, eine schöne Szene werden kann. Das trifft übrigens nicht nur für Impro-Anfänger zu. Ich selber fange in Proben gern noch mal neu an, wenn wir den Kern der Szene, den Fokus noch nicht getroffen haben.
Welche Parameter wir bei einer Wiederholung konstant halten, hängt davon ab, wieviel an der Szene gut war und ab welchem Punkt sie verdorben wurde. Es kann sein, dass die Szene vier Minuten gut lief und dann durch eine Unachtsamkeit oder nachlässiges Spiel einen langweiligen Verlauf nahm. Dann setzen wir einfach an der Stelle ein, an der es gekippt ist. Vielleicht wollen wir aber auch experimentieren: Was passiert, wenn wir die Szene von vornherein schneller spielen? Wie wirkt die Szene, wenn Spielerin A ihren Status leicht erhöht? Wie verändert sich die Szene, wenn wir die Polizistin gar nicht erwähnen? In solchen Fällen kann es durchaus OK sein, die Szene von vorne zu beginnen und nur die Grundsituation beizubehalten.
Es gibt Trainer, die Szenen im Stop-And-Go-Prinzip unterrichten, das heißt alle zwei, drei Sätze wird die Szene unterbrochen, dann wiederholt und weitergespielt. Ein solches Training fördert wenig mehr als das Ego des Trainers, der zeigen kann, was für ein toller Hecht er ist. Wenn du selber Trainer bist, lass den Spielern ein bisschen Ellbogenfreiheit. Improvisation braucht Flow. Es muss nicht alles perfekt sein. Sei dir darüber im Klaren, welchen Fokus die Probe hat. Wenn der Fokus bzw. das Thema des Trainings zum Beispiel emotionale Verbundenheit ist, dann solltest du so viel Großmut besitzen, über pantomimische Schludrigkeiten oder stilistische Ungenauigkeiten hinwegzusehen.
Wiederholungen halte ich für ein sehr wertvolles Werkzeug, aber man kann mit ihnen eine Szene auch zu Tode reiten. Irgendwann fühlt sie sich nicht mehr „frisch“ an. Wenn das soweit ist, dann legt sie beiseite und fangt von vorne an. Und: Manche Szenen eignen sich von vornherein nicht zum Wiederholen. Wenn zum Beispiel ein Spieler nicht recht ins Spiel gekommen ist oder nicht zu seinem Character gefunden hat. Als Faustregel würde ich hier sagen: Sobald sich ein Spieler überhaupt nicht mehr mit der Szene wohlfühlt, lasst sie ins große Impro-Nirvana verdampfen.

Im Moment mit Jacob Banigan

In der Solo-Improvisation zeigt sich, wie sehr du wirklich im Moment der Szene bist. Da man alle Figuren selber spielt, kann man sich nur dann selber überraschen, wenn man nicht nur nicht vorausdenkt, sondern das Vorausdenken auch abzuschalten vermag. Wer schon mal selber gegen sich Schach gespielt hat, weiß, wovon ich rede.
Ich kann zwar nicht in Jacob Banigans Kopf schauen, aber ich denke, dass ihm dieses absolute Im-Moment-Sein in seinem Solo-Impro-Format „Game of Death“ auf beeindruckende Weise gelingt. Jeder Spielzug steht für sich und ist auf seine Weise gut. Nichts wird überstürzt, nichts ist lahm. Alles hat seinen Ort und seine Zeit. Die Übergänge von einer zur anderen Figur wirken geschmeidig, jede Figur ist von den anderen abgegrenzt.
Es gelingt ihm, die Figuren untereinander Gespräche führen zu lassen und sich von dem, was sie sagen, selbst überraschen zu lassen.

Diese geniale Impro-Szene entstand 2013 beim Berliner Impro-Festival. 

Helmut Schmidt über die freie Rede

Ab Min. 24:34 Gaus: „Gehören Sie zu den Debattenrednern, die eher vorformulieren oder es drauf ankommen lassen, dass ihnen die richtige Formulierung einfällt?“
Schmidt: „Das letztere. Ich bin gehandicapt und kann in große Verlegenheit geraten, wenn ich (Ich hab’s einmal gemacht. Ist schon viele Jahre her.) eine Rede vorformulieren würde. Dann verlier ich den Faden zum Papier, weil ich mich inzwischen davon löse und mir alle möglichen Dinge dazu einfallen, die ich dann auszudrücken suche. Und wenn ich mit diesem Gedanken, der mir eingefallen ist, zu Ende bin, dann muss ich ja eigentlich wieder auf das Papier zurück und finde den Faden nicht mehr. Ich hasse das mit vorformulierten Reden.“

Impulse

Wenn es um Impulse geht, hören wir von Impro-Lehrern scheinbar widersprüchliche Aufforderungen:
„Folge deinem Impuls!“
„Widerstehe dem Impuls, negativ zu reagieren!“
„Ignoriere den Impuls, auf der Bühne rumzuzappeln!“
usw.
Die Impulse sind also, will es scheinen, eine etwas schwierige Angelegenheit. Gibt es so etwas wie „gute“ und „schlechte“ Impulse? Gibt es Momente, in denen wir auf unsere Impulse hören sollen und Momente, in denen wir sie lieber ignorieren?

Der Impulsgeber vieler Impro-Anfänger ist leider eine böse Fee namens Angst! Da haben wir die alte Vettel wieder.
Angst verhindert zunächst mal die Wahrnehmung von eigenen Impulsen. Wenn wir befürchten, dass das, was wir sagen oder tun, nichts tauge, dass es peinlich sei, dass es nicht intelligent genug oder nicht feinsinnig genug sei. Die Angst-Bremse verhindert auch, dass wir Impulse wahrnehmen, die Bühne zu betreten, wenn die Szene uns braucht.
Aus diesem Grund ist es durchaus OK, in Anfänger-Übungen oder Aufwärm-Spielen mal die Sau rauszulassen, Obszönitäten zuzulassen, Gewaltphantasien oder irrem Gefasel freien Lauf zu lassen. Hauptsache, es wird impulsiv reagiert.
Ich empfehle hier zum Beispiel:
freie Assoziationen
Ein-Wort-Geschichten in einem derart hohen Tempo, dass die Selbstkontrolle ausgeschaltet wird
fortlaufende Geschichten oder Ein-Wort-Geschichten, in denen Obszönitäten zulässig und vielleicht sogar erwünscht sind.
Zwei alberne Gänge
Tausch/Wechsel
Angstgesteuerte Impulse führen dazu, dass wir die Angebote unserer Mitspieler blockieren oder ignorieren, dass wir negativ werden, dass wir emotionale Wendungen nicht zulassen, dass wir lieber einen schalen Gag produzieren als uns auf eine authentische Reaktion zu verlassen.
Aus diesem Grund spielen wir Games, die unseren Fokus woanders hinlenken:
Wer blockiert, fliegt raus
ABC-Spiel (als Anti-Laber-Spiel)
Buchstaben-Vermeidungs-Spiel
Actio/Reactio
Nun könnte man argumentieren, dass diese Spiele ja unsere Impulse blockieren. Nehmen wir das ABC-Spiel. Mein Partner eröffnet vielleicht mit dem Satz: „Am Dienstag müssen wir Tante Erika besuchen.“ Mein Impuls ist nun: „Es ist schließlich ihr siebzigster Geburtstag.“ Das Format ABC-Spiel verhindert aber, dass ich diesem Impuls nachgebe (Ich bin gezwungen, einen Satz zu sagen, der mit „B“ beginnt). Gerade Improtheater-Anfänger, die bereits Solo-Erfahrungen haben (z.B. als Musiker oder Komiker), stören sich manchmal an dieser Art von Einschränkung. Paradoxerweise aber helfen uns die Games durch ihre Einschränkung die Vielfalt unserer Impulse zu erweitern. Die Games und Übungen helfen uns, den angstbesetzten Impulsen weniger Raum zu geben und stattdessen neue Impulsgeber zu erkennen:
Die positive Reaktion auf Angebote des Mitspielers (statt des Abschmetterns)
Das Weiterentwickeln eines Gedankens (statt der Blockade)
Die emotional authentische Reaktion (statt des Ignorierens des emotionalen Gehalts