Bei der Lektüre einer Impro-Rezension erfährt man als interessierter Impro-Konsument so gut wie gar nichts. Diese Reportagen sind inzwischen zum Sub-Genre des Bratwurstjournalismus verkommen.
„Da blieb kein Auge trocken…“
„Ein Abend, der den Gäste noch lange in den Köpfen bleiben wird…“
„Die Vorschläge aus dem Publikum nehmen kein Ende.“
Inhaltlich gehen Rezensionen so gut wie nie über das hinaus, was die Zuschauer als Vorschläge einrufen: Eine Romanze zwischen Pfarrer und Transvestit. Eine Eifersuchtsszene beim Zahnarzt! Eine chinesische Oper! Ein Krimi im Großhirn!“
Der Impro-Rezensionist berichtet, dass improvisiert wird, niemals übers Wie. Dann weiß der Leser, dass es dieses Theater gibt, und dabei bleibt’s.
In Berlin haben wir die kuriose Situation, dass sich hier inzwischen 40-50 Improtheater etabliert haben, darunter ungefähr sieben, die man zu den Profis rechnen kann. Ausführliche Rezensionen gibt es so gut wie keine. Für ein paar Jahre berichtete die zitty fleißig über das von Gorillas veranstaltete Festival – in geradezu vorhersagbar gleichen Worten.
Hier und da mal eine klitzekleine Ankündigung, wenn es ein größeres Ereignis gibt, wie vor einigen Jahren die Impro-Liga. Aber auch hier keine qualifizierten Berichte.
Dabei gäbe es viel zu berichten – Experimentelles, neue Schauspieler, Impro-Genies und jämmerliches Scheitern. Künstlerische Größe und Warnungen vor Trash. Qualifizierte Kritik eben. Aber so wunderbar Theaterjournalisten über Tanzprojekte schreiben können, ein Auge für Theaterimprovisation haben sie offenbar nicht.
Der Community bleibt nichts anderes übrig als qualifizierte Nabelschau, wie wir sie bei Impro-News praktizieren müssen. Und wenn Kollegen einander rezensieren, dann bleibt’s bei Lobhudelei oder Nestbeschmutzung.

Impro-Rezensenten wo seid ihr?
Gute Presse, böse Presse

3 Kommentare zu „Gute Presse, böse Presse

  • 2017-03-08 um 10:10 Uhr
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    Vielen Dank für dieses Herauslehnen. Mir hat es sehr gefallen. Meine Augen sind glücklicherweise völlig trocken geblieben, sonst verschwimmt immer alles:-)
    Bei den Lobhudeleien sollte vielleicht noch erwähnt werden, dass manche Gruppen evtl. auch ihre Rezensionen selbst schreiben. Und dann ist es für manche Gruppen auch nur schwer verständlich, dass beim Improtheater, wo ja alles möglich ist, einfach jeder den Längsten hat…
    Rezensenten, wo seid Ihr? Hm, die Experten sind oft eben auch selbst auf der Bühne. Ich stelle mir das so vor, dass Rezensenten viel schauen (ggf. auch Eintritt zahlen) und Zeit dafür aufwenden zu wissen, wie Impro geht, ohne selbst ein Profikarriere anzustreben (um eben die Unparteilichkeit zu gewährleisten). Ein wneig Wertschätzung für jede Person und jede Art Impro wäre auch hilfreich. Systemische Rezensenten mit Branchenkenntnis gesucht. Menschen, die wissen, was es heißt, im Moment zu sein, ohne sich darin zu fangen. Die die Qualität des Spiels am Anspruch der direkt Beteiligten messen (ist der Vertrag zwischen Gruppe und Publikum erfüllt?). Hach, das wäre schön. Mir fallen ein paar Leute ein, die das Zeug dazu haben. Die meisten nutzen ihre Fähigkeiten auf der Bühne, als Coaches oder in ganz andere Bereichen…

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  • 2017-03-13 um 16:28 Uhr
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    Wir in Kassel bekommen etwa 1 X im Jahr Besuch von einem Kritiker der Lokalzeitung. Die Beiträge sind in der Regel wohlwollend, aber die Kritiker haben leider idR keine Ahnung von Improtheater. Wir freuen uns über die positive Kritik, die ja als solche eine kleine, kostenlose Werbung ist. Aber gehaltvoll sind die Beiträge nicht. Die Spieler und die Spiele werden kurz beschrieben, meist wird noch Bewunderung über die Fantasie der Spielenden eingeflochten. Das liegt auch daran, dass die Kritiker – meist wechselnde freie Mitarbeiter – eine Improshow zum ersten Mal sehen.
    Es müsste eine Improkritikerschule geben oder einen Pool von spezialisierten Kritikern – freien Mitarbeiter, die selbst Improtheater spielen – die speziell beauftragt werden.

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