(Ergänzung: Diese Gedanken habe ich bearbeitet und weiter ausgeführt im Buch „Improvisationstheater. Band 8: Gruppen, Geld und Management


Keith Johnstone, dem wir einige großartige Techniken und Faustregeln im Improtheater verdanken, bemerkte bei einigen Trainings, dass seine Schüler dazu neigten, zu viele Fragen zu stellen, um selbst nicht definieren zu müssen. Statt nun seinen Schülern das Fragen zu verbieten, ging er der Sache auf den Grund: Was geschieht, wenn wir eine Szene spielen, in der nur Fragen erlaubt sind? Damit erfand er nicht nur einen Klassiker unter den Impro-Spielen, sondern zeigte, wie man mit kreativ mit solchen Problemen umgehen kann – man schafft sich einfach eine kontra-intuitive Regel, die einen schließlich befreit. Wer das Spiel „Nur Fragen“ je gespielt hat, wird lernen, was für Fragen konstruktiv sind und wie man mit unkonstruktiven Fragen konstruktiv umgehen kann.
Es lohnt sich ungeheuer, die Regeln und Lehrsätze, mit denen man im Laufe seiner Impro-Ausbildung konfrontiert wurde, gegen den Strich zu bürsten.

  • Was geschieht, wenn wir nicht Zug um Zug spielen, sondern ein Spieler extrem lange Passagen hat, während der andere fast gar nichts sagt? Oder wenn beide Spieler sich andauernd ins Wort fallen?
  • Was geschieht, wenn wir nicht Ja sagen, sondern ein Spieler so oft wie möglich verneint? 
  • Was geschieht, wenn wir Szenen nicht positiv starten?
  • Was geschieht, wenn sich einer der Spieler nicht verändert.

Es liegt nahe, diese Experimente vornehmlich im geschützten Proben-Setting auszuprobieren und mal diesen, mal jenen Parameter zu verändern: Was geschieht, wenn beide Spieler negativ sind? Was geschieht, wenn nur einer negativ ist usw.?
In den meisten Impro-Gruppen gibt es auch unterschwellige Regeln oder Glaubenssätze, die sich im Laufe der Jahre herausgebildet haben und nur selten hinterfragt werden. Hier ein paar Beispiele solcher Regeln.

  • Obszöne Vorschläge aus dem Publikum wie „Bahnhofsklo“ oder „Pornodarstellerin“ sind freundlich abzulehnen.
  • In der ersten Hälfte der Show müssen Games gespielt werden, damit man in der zweiten Hälfte den Zuschauern eine Langform zumuten kann.
  • Verkaufs-Szenen oder Unterrichts-Szenen sind unbedingt zu vermeiden.
  • Eine Impro-Show braucht ein Warm-Up.
  • In der ersten Minute müssen das Wer, das Wo und das Was etabliert werden.

Vielleicht kommen der Leserin diese Regeln bekannt vor. Es gibt von ihnen Hunderte, und sie entstehen oft aus gutem Grunde: Man scheitert mit einer Szene oder einer Show und bemerkt ein Muster, eben zum Beispiel dass Unterrichtsszenen dazu neigen zu stagnieren. In der Folge versucht man, eine Regel abzuleiten – Keine Unterrichtsszenen! – um solche Hänger zu vermeiden. Aber man muss sich nur die vielen Filme und Dramen vergegenwärtigen, die sich um das Thema Unterricht spinnen, um zu sehen, wie absurd diese Regel ist. Es geht also eher darum, wie man solche Szenen spielt.
Manche Regeln, wie auch jene letztgenannte, erweisen sich übergangsweise als hilfreich: Warum mit Unterrichtsszenen immer wieder scheitern, bevor man ihnen nicht mal ein paar Minuten in einer Probe gewidmet hat. Andere beruhen auf Annahmen übers Publikum oder darüber, wie eine Impro-Show abzulaufen hat. („Die Zuschauer brauchen ein Warm-Up.“) Hier braucht man einen gewissen Mut, das Experiment am lebenden Organismus – der Impro-Show – vorzunehmen.

Regeln brechen
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