(Der folgende Text ist ein Auszug aus dem Mitte September erscheinenden Buch „Improvisationstheater. Band 9: Impro-Shows“.)
Wenn wir die Zuschauer nach Vorschlägen fragen, wollen wir natürlich am liebsten Dinge hören, die wir vorher noch nicht zu hören bekamen, die unsere Assoziationskanäle öffnen, kurz – die uns inspirieren!
Stattdessen hört man aber im Improtheater immer wieder dieselben Fragen und dieselben Vorschläge.
„An welchem Ort soll die Szene spielen?“ – „Paris!“
„In welcher Beziehung stehen diese beiden Personen zueinander?“ – „Geschwister!“
„Nennen Sie mir einen Beruf!“ – „Klempner!“
Vorschläge dieser Art werden eingerufen, wenn

  • die Zuschauer dazu aufgefordert werden, rasch das zu sagen, was ihnen als erstes durch den Kopf geht und
  • die Fragen so wie in den Beispielen oben gestellt werden.

Vorschläge wie Paris und Klempner sind im Grunde Prototypen für das, was wir erfragen. Paris ist einfach der Ort, der den meisten Menschen als hoch assoziative Stadt als erstes einfällt (und ist übrigens auch im englischen Sprachraum die geographische Ortsvorgabe Nummer Eins).
Fragt man nach „Berufen“, hört man als Antwort fast immer Handwerksbezeichnungen. Auch wenn es inzwischen in Deutschland wahrscheinlich wesentlich mehr Informatiker als Klempner gibt, hängen die alten Berufsbezeichnungen tief in unserem kollektiven Bewusstsein fest.
Die regelmäßige Antwort „Geschwister“ erklärt sich dadurch, dass zwei Schauspieler, die mit der gleichen Haltung auf der Bühne stehen, eine Art Ähnlichkeit suggerieren, wie man sie eben von Geschwistern kennt. (Oft hört man auch „Zwillinge!“)
Wie lösen wir nun dieses Problem? Da wir die Zuschauer nicht ewig grübeln lassen wollen und auch keine ausgesprochen „originellen“ Vorschläge brauchen, hilft es nichts, ihnen zu sagen, sie sollen uns mit etwas „besonders Schönem“ inspirieren. Vielmehr sollten wir uns vorher selbst fragen: Was wollen wir wirklich vom Publikum hören? Was inspiriert uns?
Wenn wir uns darüber vor der Show Gedanken machen, werden wir kennen, dass uns Städtenamen in der Regel nichts bringen, da wir ja meistens einen Schauplatz für die Szene brauchen. (Improvisierer, die „Paris“ hören, führen die Fragerei oft auf ähnlich Art weiter: „Und wo in Paris?“ Dass hier in 99% der Fälle die Antwort „Eiffelturm“ lautet, dürfte klar sein. Und es vergeht kein Tag, an dem nicht auf irgendeiner Impro-Bühne dieses Planeten eine Szene mit zwei Touristen am Eiffelturm gespielt wird.) Die einfachste Lösung besteht also darin, genau das zu fragen: „An was für einem Schauplatz soll diese Szene spielen?“
Wenn man die berufliche Tätigkeit einer Figur erfragen will, hilft es, sich die Realität zunutze zu machen: Man kann die Zuschauer nach ihrer Tätigkeit fragen. Aber auch das kann einengen: Erstens scheuen sich manche Zuschauer, ihre berufliche Tätigkeit oder ihre Studienrichtung zu nennen, und zweitens kann es einengen, wenn das Publikum eher homogen ist. Um dieses Dilemma zu umgehen, hilft es, bei Vorschlägen, die eine Figur ausstatten sollen, einen kleinen Umweg zu nehmen. Man fordert das Publikum kollektiv auf: „Denken Sie an eine Freundin oder einen Verwandten.“ Nachdem man zwei Sekunden gewartet hat, kann man verschiedene Zuschauer einzeln fragen:
Wie heißt Ihre Person mit Vornamen?
Und Ihre mit Nachnamen?
Wie alt ist die Person, an die Sie gedacht haben?
Was arbeitet, lernt oder studiert sie?
Was macht sie liebenswert?
Ist sie liiert?
Hat sie Kinder?
usw.
Eventuelle Ungereimtheiten lassen sich ausgleichen. Wenn die Person 52 Jahre alt ist und die nächste Zuschauerin antwortet: „Meine Freundin studiert Veterinärmedizin“, dann ist unsere Figur eben schon Veterinärmedizinerin.
Die Frage nach Schauplätzen lässt sich auf ähnliche Weise personalisieren:

  • Wenn Sie an Ihre Kindheit denken: An welchem Ort in ihrer Stadt hielten Sie sich gerne auf?
  • Wo lesen Sie gern?
  • Wo haben Sie sich als Kind gern allein aufgehalten?

Ebenso für Gegenstände:

  • Was liegt auf Ihrem Schreibtisch, was dort eigentlich nicht hingehört?
  • Haben Sie in der letzten Zeit etwas bei Ebay verkauft?

Für Szenen-Titel:

  • Wie heißt der Titel des Liedes, das sie als letztes auf ihrem Musik-Player gehört haben?

Für Dialogzeilen:

  • Hat jemand einen Roman dabei? Schlagen Sie eine zufällige Seite des Buchs auf und lesen Sie den ersten Satz in wörtlicher Rede laut vor.

Die Vorschläge, die man auf diese Weise erhält, wirken plastischer und weniger „ausgedacht“.
Bleibt zu klären: Wie gehen wir mit dem Problem um, dass wir für „Beziehung zwischen zwei Personen“ häufig „Geschwister“ hören? Auch das können wir personalisieren: „Denken Sie bitte an eine Person, die Sie persönlich kennen. (kurze Pause) In welcher Beziehung stehen sie zu ihr?“

Vorschläge oder Fragen personalisieren
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