Die Voraussetzung für die Hinrichtung des Sklaven ist freilich, dass man ihn findet. Wird er nicht gefunden, muss der Wesir dran glauben. Die Lebensumstände von Ministern scheinen nicht immer beneidenswert gewesen zu sein. Andererseits dürfte es auch heutzutage nicht für jeden erträglich sein, auf der obersten Etage die Karten mitzumischen.
Der Wesir nimmt Abschied von seinen Kindern, am Ende von seiner jüngsten Tochter, die einen Apfel verspeist, von dem sich herausstellt, dass sie ihn vom Sklaven Raihân habe. Er gesteht, genau jener Sklave gewesen zu sein. Und der Wesir muss nicht lange überlegen, was zu tun ist, den ihm fällt noch das Gedicht ein, das ihm rät:
Wenn ein Unheil kommt durch einen Sklaven,
bringe ihn statt deiner ins Gericht.
Denn du wirst noch viele Diener finden,
Doch ein zweites Leben findst du nicht.
Als ich dieses Gedicht vor 20 Jahren das erste Mal in einem Auszug der 1001 Nächte las, verschlug es mir den Atem. Ich kann es seitdem auswendig, auch wenn ich die es einbettende Geschichte vergessen habe.
Der Kalif befiehlt, den Sklaven töten zu lassen, doch der Wesir Dscha’far erbittet, ihm das Leben zu schenken, wenn die Geschichte, die er gleich erzählen würde, noch wunderbarer sei als die soeben erlebte. Der Kalif willigt ein. Und so erfahren wir
Die Geschichte der Wesire Nûr ed-Dîn und Schems ed-Dîn
Der Wesir des Kairoer Sultans stirbt, und so werden seine überaus schönen Söhne – der junge Nûr ed-Dîn und der ältere Schems ed-Dîn – zu gleichen Teilen Wesir. Kurz vor der Abreise des Sultans mit dem älteren beginnen die beiden einen hypothetischen Streit: Wenn, so die Hypothese des Älteren Schems, beide gleichzeitig heiraten sollten und gleichzeitig Kinder bekämen – nämlich Schems eine Tochter und Nûr einen Sohn – dann mögen sie heiraten. Aber wie hoch wäre die Morgengabe, fragt Nûr, die Schems von seinem Sohn in diesem Falle verlange.
Dreitausend Dinare und drei Gärten und drei Ackergüter.
Wer wäre nicht erbost über ein solches Ansinnen. Die beiden trennen sich im Streit, und während Schems mit dem Sultan reist, verlässt Nûr ed-Dîn Kairo mit den Satteltaschen voller Geld auf einer Maultierstute.
Sie war ein stahlgraues Tier, ihren Rücken sah man, einer hohen Kuppel vergleichbar, sich emporrecken; ihr Sattel war aus Gold, ihre Steigbügel waren aus Indien gebracht, auf ihr lag eine Schabracke von persischer Pracht, und sie glich einer Braut geschmückt für die Hochzeitsnacht.
Letzteres erweist sich bestimmt als sinnvoll, denn die Nächte der Steppe sind oft einsam und lang.
Innerhalb von sieben Tagen erreicht er Basra (1.000 km!) , wo ein Wesir auf die Stute aufmerksam wird, mit Nûr ed-Dîn ins Gespräch kommt, ihn zu seinem Nachfolger erklärt und ihn mit seiner Tochter vermählt.