(Ergänzung: Diese Gedanken habe ich bearbeitet und weiter ausgeführt im Buch „Improvisationstheater. Band 8: Gruppen, Geld und Management„
Ein Blick auf die Fotos verschiedener Impro-Gruppen genügt, um festzustellen, dass die allermeisten Impro-Ensembles aus vier bis zehn Personen bestehen. Und tatsächlich vereinigt diese Gruppengröße mehrere Vorteile.
Organisatorisch:
• In Gruppen von bis zu zehn Mitgliedern funktioniert die Kommunikation noch einigermaßen schnell. Selbst wenn es ein oder zwei E-Mail-Verschlafer in der Gruppe gibt, lässt sich damit leben.
• In kleinen Gruppen lassen sich verschiedene Organisationsmodelle anwenden. Ihr könnt basisdemokratisch arbeiten (was bei zunehmender Größe immer schwieriger wird).
Oder ihr delegiert die künstlerische und geschäftliche Leitung (was bei Trios und Duos nur begrenzt sinnvoll ist).
• Durch Krankheit, Berufs- oder Wohnortwechsel ausfallende Spieler lassen sich relativ leicht ersetzen oder verschmerzen, ohne dass der Charakter der Gruppe völlig verändert wird.
• Da sich in mittleren Gruppen schnell spezifische Rollen herausbilden, kann es zwar immer wieder interne Konflikte persönlicher und künstlerischer Art geben, aber bei einem Mindestmaß an Sensibilität kann man davon ausgehen, dass die Selbstheilungskräfte groß genug sind, um diese Konflikte zu lösen, ohne dass die Gruppe als Ganzes zerstört wird.
Künstlerisch:
• Mit einem mittelgroßen Team hat man ungeheuer viele Möglichkeiten. Man kann z.B. kleine game-orientierte Shows spielen. Mit vier Spielern plus Moderator lässt sich aber auch schon eine satte Theatersport-Show auf die Beine stellen, die sich auch noch erweitern lässt, wenn man Schiedsrichter und mehr Spieler pro Team dazu nimmt. Großformate wie Musical oder Group-Mind-Formate wie Harold lassen sich noch mal ganz anders aufziehen als mit Trios. Dasselbe gilt auch für stilistisch orientierte Langformen.
• Je größer die Gruppe, umso vielfältiger sind die Talente, die der Gruppe zufließen. Charmante Moderatorinnen, geniale Schauspielerinnen, elastische Tänzer, begnadete Geschichtenbastler und blitzschnelle Improvisierer. Die Unterschiede lassen sich mit gutem Willen rasch fruchtbar machen.
Und da sind wir schon bei den Problemen.
• Je mehr Personen beteiligt sind, umso vielfältiger sind nicht nur die Fähigkeiten, sondern auch die Wünsche und Ansprüche. Gerade in demokratisch organisierten Gruppen werden hier rasch unterschiedliche Ziele deutlich. Das heißt: Wenn man die Vielfalt der Talente will, dann muss man auch in gewissem Maße mit unterschiedlichen künstlerischen Zielen leben. Ihr müsst in der Lage sein, Kompromisse zu schließen, ohne eure künstlerische Vision zu verraten. Für das einzelne Mitglied stellt sich die Frage, ob es in der Gruppe seine Vorstellungen von Improtheater weitestgehend umsetzen kann. „Weitestgehend“ heißt, dass ich in Gruppen-Situationen immer Kompromisse schließen muss. Aber wenn dein unabänderliches Ziel darin liegt, die geilste Theatersport-Truppe Europas aufzubauen, während deine Kollegen Theatersport eher langweilig finden, weil sie sich lieber Langform-Impro widmen wollen, dann musst du dich wohl früher oder später nach einer anderen Gruppe umschauen.
• Die Vielfalt der Talente ist auch ein Problem, wenn einzelne Spieler auf Rollen festgelegt werden. Der gute Moderator will vielleicht nicht immer moderieren.
• Je größer eine Gruppe ist, umso schwerer ist der Kahn zu steuern, da Gruppen, sobald man ein Ziel erreicht hat, zu Konservatismus neigen: „Warum soll man etwas ändern, was funktioniert?“ Es wird unter Umständen schwieriger, die Gruppe von neuen Formaten oder alternativen künstlerischen Richtungen zu überzeugen als das unter drei Freunden der Fall wäre. Gruppen sollten sich der Gefahr des Erstarrens bewusst sein und sich immer wieder öffnen: Für neue Ideen, für neue Mitspieler, für externe Einflüsse.
• Mit wachsender Größe erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit der „Unverträglichkeit“ zweier oder mehrerer Spieler. Hier solltet ihr rasch eine gewisse Gruppendisziplin und (auch bei Amateurgruppen) Professionalität einfordern, in dem Sinne, dass persönliche Animositäten hintenangestellt werden und die Improvisation im Vordergrund steht. In einer Gruppe muss nicht jedes Mitglied mit allen anderen befreundet sein. Aber man sollte auf der Bühne miteinander klarkommen und dort Freude miteinander haben. Probleme sollten schnell und sachlich geklärt werden. Lasst keine Intrigen oder Getratsche in den Gruppen zu. Schneller als geahnt kommt es zu Fronten und Loyalitätskonflikten.
• Umarmt eure Gemeinsamkeiten und lernt eure Unterschiede zu schätzen.
Ergänzung 2019: Diese Gedanken wurden später ausgeführt in Dan Richter: „Improvisationstheater. Band 8: Gruppen, Geld und Management“