(Ergänzung: Diese Gedanken habe ich bearbeitet und weiter ausgeführt im Buch „Improvisationstheater. Band 8: Gruppen, Geld und Management„
Heute mal ein heikles Thema
Improgruppen entstehen und vergehen. (Ich selbst habe in einigen Ensembles, die inzwischen ins Impro-Nirvana eingegangen sind gespielt. Und ich habe teilweise aus nächster Nähe mitbekommen, wie Gruppen zerbrachen.)
Nichts besonderes, möchte man meinen. Aber ich habe den Eindruck, dass bei Impro-Ensembles die gruppendynamische Seite viel stärker ist als in anderen Konstellationen, beispielsweise bei Bands oder was ich bei Lesebühnen beobachte.
Ein Grund könnte sein, dass man viel mehr darauf angewiesen ist, nicht nur miteinander zu spielen (das muss eine Band auch), sondern sich persönlich zu öffnen – und das auch noch live.
Die Konflikte sind oft die klassischen: persönliche Animositäten, unterschiedliche künstlerische Ziele, Geld. Dazu kommen leider auch kleinere Auseinandersetzungen über das, was auf der Bühne geschehen ist, geschehen soll. Und im schlimmsten Falle – Quasi-Streit live über das, was gerade geschieht.
Entscheidend ist letztlich, die Konflikte nicht in einen riesigen Topf zu schütten, sondern voneinander zu trennen und anzugehen. Was man z.B. von jemandem persönlich hält, muss die Zusammenarbeit auf der Bühne nicht beeinflussen.
Entscheidend für eine Impro-Gruppe ist letztlich, dass sie dieselben Ziele hat. Das mag zu Beginn noch recht einfach sein: Man will regelmäßig miteinander improvisieren. Doch schon bald zeigen sich erfahrungsgemäß die Differenzen: Wie oft soll man auftreten? Wie oft soll man proben? Will man mit Impro Geld verdienen?
Nach 1-2 Jahren gehen meist die künstlerischen Diskussionen los: Games oder Langformen? Mit welcher Art von Shows ist man zufrieden oder unzufrieden?
Und bald schleicht sich hier und da das Gefühl ein, der oder die passe nicht so recht ins Ensemble.
Es gibt natürlich kein Rezept zur Lösung der spezifischen Probleme von Improgruppen. Aber hier ein paar Beobachtungen der letzten Jahre, die vielleicht hilfreich sein könnten:
- In großen Gruppen genießt die Unterschiede und die sich daraus ergebenden Möglichkeiten, Vielfalt auf die Bühne zu bringen – stilistisch und inhaltlich. Große Schiffe lassen sich aber auch langsamer steuern. Deshalb braucht man manchmal etwas mehr Geduld, wenn sich etwas ändern soll.
- In kleinen Gruppen achtet darauf, flexibel zu bleiben. Haltet die Antennen nach draußen, um Impulse mitzubekommen und evtl. neue Spieler zu rekrutieren, falls mal jemand ausfällt.
- Zerfasert eure Streits nicht in Kleinigkeiten und Prinzipiendiskussionen. Wenn etwa einer meint, mit Impro Geld verdienen zu wollen, während das dem anderen egal ist, weil er sowieso genug verdient, so muss das noch kein Grund sein, sich darüber zu zerstreiten, wenn auf der Bühne alle nach wie vor ihr bestes geben.
- Aller Anfang ist schwer. Werft nicht gleich bei den ersten Problemen alles hin. Bleibt am Ball.
- Tretet vor allem regelmäßig auf. Reine Proben-Gruppen, die „irgendwann, wenn wir gut genug sind“ mal auftreten wollen, zerfasern rasch, weil eben dieses „gut genug“ nie kommen wird. Es ist gut zu proben, aber euer Können schärft ihr vor allem live. Und wenn es 5-10 Minuten in einer Mixed Open Stage ist.
- Klärt Finanzielles. Was geschieht mit Einnahmen? Wovon werden Investitionen bezahlt.
- Auch wenn’s schwer fällt: Manchmal sind klare Worte nötig. Wenn ein Spieler – wie nett er auch sein mag – eure Shows ruiniert, wenn sich keine Fortschritte zeigen, dann trennt euch von ihm. Vielleicht will er ja auch gar nicht auftreten, sondern nur Teil eurer tollen Truppe sein. Vielleicht macht er sich am Licht ganz gut.
- Fragt euch in regelmäßigen Abständen: Was wollen wir? Wenn ihr die gleichen Ziele habt – wunderbar. Wenn nicht, könnt ihr die Differenzen als Gruppe aushalten?
- Nach langer Zeit sind manchmal die Konflikte festgefahren, ohne dass man wirklich sagen könnte, worum es eigentlich geht. Man kann jetzt den Beatles-Weg gehen: Auflösung einer großartigen Truppe wegen Kleinkram. Oder man geht durch die anstrengende Tour der Supervision, wie es Metallica vorgemacht haben.
- Im Zweifel besinnt euch auf das, was euch eint: Improtheater. Spielt ein paar lustige Games bei der Probe. Macht Quatsch.
Schöner Artikel, vielen Dank auch für die Hinweise von einem "alten Hasen"!
hallo dan,
danke für thema und thesen!
ich denke, dass jede gruppe vor allem eine für sie passende form des regelmäßigen konstruktiven feedbacks finden muß, die zudem noch in gesundem (zeitlichen und inhaltlichen) verhältnis zur eigentlichen improarbeit stehen muß.
und da ist die wichtigste herausforderung meines erachtens vor allem, die berühmten "alle gegen eine(n)"-situationen zu vermeiden.
bei uns hat sich dafür die form des speedating-feedbacks (patent angemeldet 😉 ) bewährt: wir setzen uns jeweils in 2er (!) konstellationen gegenüber und formulieren erst positive und dann verbesserungswürdige aspekte am anderen. dann gibts eine kurze rückfragerunde ("habe ich richtig verstanden, dass du findest, das ich manchmal …") und dann wird innerhalb der 2er konstellation getauscht. pro 2er paar 15 min und dann wird solange weitergetauscht, bis alle mit allen im dialog waren (speeddating-setting). die allgemeinen regeln für gutes kritisieren (ich-botschaften, vermeidung von "immer" und "nie" usw) sind hier natürlich aufgrund der von dir beschriebenen emotionalen involviertheit besonders wichtig.
durch das 2er setting kann jede(r) "beurteilte" schnell feststellen, ob bestimmte punkte von allen anderen oder nur von einzelen kritisch (oder auch positiv) wahrgenommen werden und entsprechende rückschlüsse daraus ziehen. niemand verliert das gesicht vor versammelter runde oder muss sich verteidigen. als abschluß kann/sollte dann in großer runde jede(r) noch 1 oder 2 dinge benennen, die sie aus den gesprächen für sich mitnimmt. das kann dann zB beim nächsten mal aufgegriffen werden.
Danke, Arne und Claudia!
Arne, wirklich 15 Minuten pro Paar? Da braucht ihr ja bei 5 Spielern eine Stunde!
ja, die brauchen wir, aber das lohnt sich auf jeden fall. wir machen das auch nicht monatlich, so einmal im quartal ungefähr …
… die Länge des Zeitintervalls kann man ja auch variieren. Ich z.B. würde eher auf fünf Minuten gehen (das "Speed" bei dem "Dating"), geringere Gefahr, ins Schwafeln zu verfallen (erst recht, wenn Leute sich vorher keine Platte machen, weil es ihnen eigentlich egal ist – autsch, da haben wir doch gleich schon den 1. Punkt für's 1. Speed-Dating 😉 ). Ansonsten super Methode, werde ich bei uns auch mal vorschlagen.
… übrigens empfinde ich "Ich-Botschaften formulieren" als eine der schwierigsten Sachen überhaupt… Da es eben nicht einfach ist "Ich finde, Du machst XY" oder "Ich habe das Gefühl, dass bei Dir XY", sondern es darum geht: "Was macht das mit mir?" Und das herauszufinden (und vor allem, es zu formulieren!!) finde ich alles andere als trivial.
Danke für alle diese Tips!
Ich bilde mir ja auch immer ein, dass speziell positives Feedback, welches zuerst die Stärken des Mitspielers hervorhebt und in welches dann die Schwächen "eingewickelt" sind, besonders motivierend ist.
Ich hoffe immer, dass neben aller Kritik besonders ein Lob am rechten Platz den Gruppengeist stärken kann.
Eventuell schärft es ja auch die Selbsterkenntnis der Spieler über die eigene Rolle/den eigenen Anteil in der Gruppe (z.B. X kann besonders gut Tiefstatus spielen, Y ist immer gut als Moderator oder Z kann gut Geschichten erzählen).