Die Uhr zeigt Zwei Punkt Sechsunddreißig.
Wie sich die Stille doch bläht, wo’s krachen und schreien müsst.
Verborgen lauschen die fromm-frechen Nachbarn.
Seit Juni schon haben sie mich auf dem Kieker,
weil sie mich beneiden um meine Gedanken.
Am Schlüsselloch!
Es riecht schon wieder nach Gas. Dagegen bin ich immun.
Die Augen brennen. Auf die haben sie’s abgesehn.
Wo liegt nur die Schere?
Das Meerschweinchen muss in den Müll. Aber nicht jetzt!
Ich darf jetzt auf keinen Fall trinken.
Wenn sie doch schrien!
Nur noch diese Nacht. Dann werden sie weichen vor meinem Verstand.
Vor Gericht
Sie waren ihrer Kraft entladen
nach sieben Tagen vor Gericht.
Der Zorn, wie dichte Pulverschwaden,
verfliegt nur langsam, wenn man ficht.
Das Haus, das Geld, die Zeit, die Kinder.
Wer von uns beiden lebt gesünder?
Und was ich will, bekommst du nicht.
Was kriege ich, was muss ich lassen?
Wann wurd’ das Liebste nur zum Feind?
Was bleibt – gewohnheitsmäßig hassen.
Was war es, das uns einst geeint?
Und nach dem Urteil ward es leise.
Sie saßen beide wie zwei Greise,
zuhaus die Augen leergeweint.
Der Spieler
In jedem Spieler wohnt das Laster.
An jedem Spieltisch wohnt die Qual.
Was er gewonnen hat, verprasst er.
Was er verloren hat – egal.
Geschäfte
Wie schön wär’s, stünde meine Kunst für sich.
Ich müsst nicht dauernd ans Verkaufen denken.
Ich brauch die Kunst, und meine Kunst braucht mich.
Am liebsten würd ich sie leger verschenken.
Der Künstler denk beim Künstlern nicht ans Geld,
das würde seine Kunst nur korrumpieren,
doch lebt auch unser Künstler in der Welt,
und will sich Butter auf die Brote schmieren.
Ich kritzle sorglos Verse in mein Heft.
Soll ich mich nach fiktiven Käufern richten?
Die Kunst bleibt Kunst. Geschäft bleibt auch Geschäft.
Und wer macht schon Gewinne mit Gedichten?
Phantasie
Es wohnt ein Narr in dir, grad zwischen deinen Ohren.
Wenn du die Augen schließt, schleust er dich aus der Zeit.
Dein enggelenktes Denken hat er längst befreit.
Wenn er dich tränkt, dann fühlst du dich wie neugeboren.
Die Hirnartillerie schießt schon aus vollen Rohren.
Und kein Gedanke, den der Narr zu denken scheut.
Es gilt kein Gestern ihm, kein Morgen, nur das Heut.
Und so beschenkt strömt gute Laune aus den Poren.
Käm es drauf an, bräuchtst du nur ihn zum Glücke.
Beneidet, Götter, ihn, der wirklich alles kann.
Hörst du ihn flüstern, lass ihn nur recht nah heran.
Er hüpft charmant und frech in deines Geistes Lücke.
Er sprengt des Denkens Krusten und löst jeden Bann.
Drum mach dich ihm und nicht ihn dir zum Untertan.
Wiederkehr (Abzählreim)
Auf und nieder
Nichts kehrt wieder
Einerlei
Es geht vorbei
Hin und weg
Hat kein Zweck.
Sing die Lieder
Ich komm wieder
Was auch sei,
ich komm im Mai.
Hier der Scheck.
Bin kurz weg.
In Erwartung des Winters
Laue Tage
reiche Ernte,
wolln uns auf das End besinnen.
Trage heim, was du verdientest
Vor es kalt wird, deck dich ein.
Maulwurf, Eichhorn, Fledermaus wolln nicht ohne Nahrung sein.
Sei behend und spute dich. Auch die Herbstzeit wird verrinnen.
Sorge faltet meine Stirn.
Kann ich denn noch Zeit gewinnen?
Seh auch meinen Winter nahen
darf nicht weinen, darf nicht schrein.
Selbst wenn ich als erster geh,
den letzten Kampf ficht man allein.
Sollt es stürmen auch da draußen.
Hauptsach, ich trug Frieden drinnen.
Schnuppre tiefer nun die Düfte, sauge gieriger die Lieb.
Hektischer noch such ich Ruhe, ruhiger wird gleichwohl mein Schritt.
Weiß, es wird kein Morgen geben, wenn ich heute was verschieb.
Lass die trüben Tage ziehen, nehm die klaren Nächte mit.
Manchmal in der Morgenstunde, schauert’s mich und quält’s und beißt’s.
Weiß doch, ich erwart den Winter
kühlen Herzens,
hellen Geists.
Trauerzeit
Die Trauer währte vierzig Tage lang.
Dann nahm das Hochzeitsbild sie von der Wand.
Sie wurde hart. Und ward ihr einmal bang,
so ballte sie zur Faust die rechte Hand.
Die Freunde sagten, man sieht’s ihr kaum an,
es ist, als würde sie ihn nicht vermissen.
Doch eine unbemerkte Träne rann
zuweilen nachts im Schlaf in ihre Kissen.
Spruch
Wohl dem, der seine Emotionen
auch in Not beisammenhält,
dass kein unbedachtes Wort
entweiche in die Welt.
Ein letzter Rat
Nun, da wir uns trennen
und umso besser kennen,
Leere drohend naht.
Um meinen Geist zu stillen,
um unsrer Freundschaft willen,
erbitt ich einen letzten Rat.
Soll das, was uns verbindet
und langsam schon entschwindet,
geheim und innig sein?
Oder solln das Spielen
auch andre Menschen fühlen,
da Lieben Liebe zeugt allein?
Ja, ich kröche…
Ja, ich kröche durch den Schlamm und litte für dich
und einen höh’ren Zweck.
Ohne Schmerzen wird das Leben nicht angeboten.
So viele Analgethika kannste gar nicht fressen.
Ja, eine Narbe hinterlässt jeder Seelenstich,
doch lohnt sich’s, die Tage auszuloten,
ohne sich ängstlich ins Hemd zu nässen.
Wo ist das Limit für unsre Pein?
Wie lang hältst du’s aus im finstern Loch?
Für den Zweck zu leiden – schön und fein,
wann wird der Preis zu hoch?
Am Ende ist das Leben weg.
Empathie
Er spürt die Träne,
die ihre Träne ist.
Hätte er geweint, so wär’s dasselbe.
Stich im Hals, ganz tief.
Ein leichtes Ohrensausen.
Leidet sie, so leidet er,
kann sich des nicht erwehren.
Drückt sein Mitleid ihn zuweilen,
lass ihn allein.
Es heilt ihn.
Narrheit
Ein Narr, wer wider bessres Wissen
den eitlen Pfad zu Ende geht,
wer sinnlos quakt und abgerissen
sich in des Lebens Strudel dreht.
Doch Narrheit mischt das Denken auf.
Das Irre einen Reichtum birgt.
Der grade Weg, der leichte Lauf.
Ein Narr, wer seinen Narrn erwürgt.
Individualität
Ihr Augenglanz, das helle Strahlen ihrer Zähne,
sie gleicht der Birke, die im Winde biegsam steht.
Kein Gott könnt schaffen, was sich dort im Tanze dreht.
Für solche Schönheit gibt es keine Musterpläne.
Ich hielt im Arm sie, schau, da rollte eine Träne.
War sie von mir? Von ihr? Ich fragte nicht. ’s war spät.
Ich sog an ihrer Individualität,
am Duft der ungeheuer schwarzen, weichen Mähne.
*
Dank ich dem Zufall? Deinen Eltern? Deinen Genen?
Muss evolutionäre Sprünge ich erwähnen?
Doch soll ich dich auf deine Gene reduzieren?
Ich hört’, dass man zu dem wird, was man denkt und tut.
Und wenn das wahr ist, tut das, was du tust, mir gut.
Denn auch das Lächeln muss man jeden Tag trainieren.
Faulheit
Hingelegt.
Ausgeruht.
War gar nicht müde.
Nur wahnsinnig faul.
Ausruhn vom Hinlegen ermüdet.
Paradox, wie das Ausruhn anstrengt.
Ich leg mich noch mal hin.
Das Helfer-Paar
Ohne jede Klag
ertrugen sie die Klagen dessen, dem sie halfen.
Nichts konnt sie stoppen, nichts,
wenn wer sie brauchte.
Obschon die zwei von fern betrachtet,
oft Hilfe nötiger hatten als jene.
Es ruhten nicht die Hände noch die Herzen.
Nur selten leiser Zweifel: „Schaffen wir’s auch diesmal?“
Ein Blick zum Andern:
Gewiss. Gewiss.
Popularität des Hasses
In Deutschland war’n Ganoven
einst furchtbar populär.
Sie angelten die Doofen
mit Hass im Wähler-Meer.
Ihr Hass schuf neues Hassen.
Und das war auch ihr Ziel.
Es gäbe schlechte Rassen
in Deutschland viel zu viel.
Die Hetzer wurden schlimmer,
bis über lief das Fass.
Bedenken wir nur immer:
Vorm Morden kommt der Hass.
Bitte
Nur noch einmal dreh das Rad, Fortuna, mir!
Und gib ihm Schwung, dass es nicht stehenbleibe.
Denn geplagt hab ich mich lange schon.
Jetzt mag irres Spiel für mich entscheiden.
Und sollt dabei ich stürzen, ganz zerbrechen,
statt zu wachsen und zu strahlen, wie’s geplant,
So werd ich dir nicht zürnen, Wilde.
Ich nehm’s, wie auch die Münze fallen mag.
Spätsommergewitter
Die Luft riecht elektrisch.
Man spürt den Staub auf der Zunge.
Zwei dicke Tropfen klatschen ins Haar.
Sekunden später fliehen wir nass.
Und sicher aus dem vierten Stock
schreien wir gegen den Wind vom Balkon.
Wir sehen die Blitze, bevor wir sie hörn.
Sie markieren die Stadt als ihr Revier.
Am ächzenden Kran schwingt drohend der Haken.
Unterm geparkten Ford ein Kätzchen,
geflohen vorm Krachen, vorm Wasser.
Zwei durchklitschte Mädchen versuchen vergeblich, es zu locken,.
Sie sind tätowiert bis zum Hals.
Letzte Worte
Sokrates gab seine Kraft
ganz der Geisteswissenschaft,
bis er trank den Todessaft.
Lag im Sterben, ächzte schon.
War es Wahn? War’s Illusion?
„Kriton kriegt den Hahn, mein Sohn.“
Die Ursache
Es war natürlich allen klar,
dass ihr Fremdgehen die Ursache war
für all das Leid, das dann folgte.
Seine Reaktion – verständlich.
Was hat sie gelitten, geweint und gehofft,
als alles noch heil war, ab seine Tür geklopft.
Doch er gab ihr kein Lächeln und sich keine Müh.
Und sie zusammen mit ihm – allein.
Für die Richterin war’s einfach:
Wie löblich, dass sich ein Mann auch um die Kinder kümmert.
Sie hat’s schließlich durchs Fremdgehn verschlimmert.
Er die Kinder. Er das Haus.
Sie zahlt den Unterhalt. Und aus.
Auf der ersten Seite des dritten Hefts
Komm, Lyrik, feinstes meiner Kunstgeschäfte!
Sollst die Gedanken durch die Formen leiten.
Wenn so die Schemen nur mein Denken weiten,
entfalten sich des Dichters pralle Kräfte.
Und wenn ich auch die alten Dichter äffte,
die das, was ich jetzt tu, getan vor Zeiten,
ich öffne gern die jungfräulichen Seiten
des dritten meiner fein linierten Hefte.
Vielleicht gelingt noch mal der große Bogen.
Vielleicht lass ich es mittendrin bewenden,
leis ahnend, dass ich nur mich selbst betrogen.
Bis dahin werd ich mich mit Lust verschwenden.
In vager Hoffnung, dass mir wer gewogen,
hier eine Warnung: Lasst euch ja nicht blenden.
Jetzt fehlte ihr ein Zahn
Er hatte es ja angekündigt.
Ich hätte besser aufpassen sollen.
Und nicht widersprechen.
Er hat auch seine guten Seiten,
zum Beispiel kann er lustig sein.
Manchmal. Wenn wir nicht streiten.
Ich provoziere ihn zu oft.
Ich muss wirklich besser aufpassen.
Er kann ja auch lieb sein.
Der Olli war ja viel schlimmer.
Eigentlich hab ich ihn nicht verdient.
Und die Küche hat er allein renoviert.
Er kann ja manchmal auch lieb sein.
Ich muss nur besser aufpassen.
Und provozieren darf ich nicht mehr.
Schmerz
Ich sink auf meine Knie nieder.
Mir ist, als ob ich heute beten müsst,
als verlör ich die Gabe zu lieben,
und nur ein Gott könnt helfen.
Ach, auch ich schrei aus tiefster Not zu dir.
Du döst gemütlich, trinkst Kakao.
Meine Stimme bleibt leer.
Mir ist, als schwebe mein Gebet
seifenblasengleich hinfort.
Und kaum begann es seine Reise,
ist es geplatzt,
als sei es nie gewesen.
Der Pessimist
Ick kann die Sonne sehen,
die unser Herz erfrischt,
und soll uff Arbeit gehen.
Dit wird doch allet nischt.
Ick gebe mir ja Mühe.
Für wen, frag ick, für wen?
Und ick muss uf die Knie,
wenn die am Zeiger drehn.
Wenn ick dann bei dir liege
und du ins Ohr mir zischt,
dann weeß ick, dit is Lüge.
Dit wird doch allet nischt.
Wahn
Halbe Freunde raunen leise,
doch mit Überzeugungsdrang:
Hinter all der schlimmen Scheise
steht doch ein Zusammenhang.
Und dann packt auch mich das Feuer,
das mir den Verstand fast raubt,
treibt mich in die Paranoia,
wenn man diesen Spuk bald glaubt,
Irre werden kann man nämlich,
wenn man ständig sucht nach Sinn.
Freu mich über jeden Tag, an dem ich
nicht verrückt geworden bin.
Begräbnis
Frapp, frapp, frapp!
Eine Handvoll Sand ins Grab.
Helle Schleife, Blumenstrauß.
Eine Blüte fällt heraus,
die sich heimlich löste.
Frapp, frapp, frapp!
Eine Handvoll Sand ins Grab.
Wir lebendig, du bist tot,
was uns allen einmal droht.
Wer ist wohl der Nächste?
Ruf
Auf seinen Namen ließ er nichts kommen.
Das Wichtigste sei die Reputation.
Wem einmal der gute Ruf genommen,
sei kaum mehr wert als sein eigener Klon.
So ließ er sich von der Vorsicht führen,
um nur nicht den guten Ruf zu verlieren.
*
Er hatte noch vierzehn Tage zu leben.
Die Augen erstarrt, der Leib ein Skelett.
Was sollte ich da ihm an Hoffnung noch geben?
Ich stand am A. Er stand am Z
und quälte sich zum Chefarzt-Erbarmen
und fürchtete immer noch um seinen Namen.
Abschied von Buckow II – Sparsamer Spätsommer
Abschied von Buckow I – Die Perle
Es ruht der See, und faul sind heut die Mücken.
Die Villa duckt sich fast, sie will nicht prahlen.
Sie weiß durch ihre Schlichtheit zu verzücken.
Und könnt ich’s, würd ich dieses Bild wohl malen.
So hübsch der Ort, sie nennen ihn die Perle
in dieser sonst an Reizen armen Gegend.
Am Vormittag beharken rohe Kerle
das Unkraut zwischen Rosen. Wie bewegend!
Vier-Stern-Hotel, hier wird herumgenobelt.
„Sehr wohl, der Herr. Ein Bierschen. Mache ich.“
Doch bleibt man tief im Herzen ungehobelt.
„Salat auch ohne Schinken?“ – „Hamwa nich.“