Grillen im Juni in Berlin

Luftig lockt die unberührte Wiese
Fachgerecht gehackte Schweineteile.
Bald schwebt eine leichte Kohlenbrise
durch den Park. Verweht nach einer Meile.
Zwölf Familien. Türken und Deutsche.
Fett tropft in die Glut, mit Pilsner löschen.
Wurst im Wanst und Alkohol im Blute.
Karin mampft wie eine fette Stute.
Heute Abend wird er sie verdreschen.
Der Zitronenfalter kann den angebrannten Flügel nicht mehr retten.

Klagelied

Pfeifend saust die Krankheitspeitsche nieder.
„Gewähre Gnade!“, ächzen meine Glieder.
Mein Hirn ein Moshpit. Tanzende Gedanken
hüpfen auf den Nerven eines Kranken.

Beginnt die Heilung mit Verschlimmerung?
Was aß ich heut? Und wen traf ich noch gestern?
Fieberwahn gebiert Erinnerung.
Vision und Wahrheit wie zwei längst zerstrittne Schwestern.

Ängste, Klammern, Multiplikationen.
Trotz Stirnenfeuer will die Peitsche mich nicht schonen.
Halbgläubig hoffend, gleich dem von seinem Herrn geschlagnen Hund
bitt ich mein Kissen: Gott, mach mich gesund.

Oack ne jechn!

Ich hab mir den Fuß gestoßen.
Genauer: Den rechten Zeh.
Den Kleinen, nicht den großen.
Es tut so unfassbar weh.

Am Stuhlbein. Um zehn Millimeter
hab ich mich beim Gehen verschätzt.
Ich dacht, ich sei spät. Jetzt wird’s später.
Ich geb zu, ich bin vorhin gewetzt.

„Wenn du’s eilig hast, nimm den Umweg“,
rät lächelnd mir der Buddhist.
Und „Eile mit Weile!“ ein Deutscher.
Mir tut der Zeh weh. So’n Mist!

Beim Waschen der Füße nach langer Reise

Nun hab ich euch, Füße, in fremden und
bisweilen recht fernen Ländern probiert,
mal mühelos, geschmeidig, vertraut fast,
als wäre ich längst schon dort heimisch.

Doch birgt die Scheinvertrautheit Tücke,
und bald hielt Einsamkeit mich gefangen,
schlimmer als an jenen Gestaden,
wo ich nie Tritt zu fassen vermochte.

So wasch von euch ich den Staub der Fremde,
die ihr mich trugt, oft unbeachtet.
Fremd oder daheim, ihr fragt nicht.
Ihr tragt mich.

Ehegelöbnis

In unserem Zusammenleben
soll Fairness unsre Regel sein.
Man halte nicht den andern klein,
so dass wir zwei zum Glücke streben.
Und sollten wir einander stressen,
so schenken wir uns Raum und Zeit,
dass Friede kommt nach jedem Streit,
Wir wolln das Spielen nicht vergessen.
Die Zärtlichkeit sei unser Netz.
Und Liebe unser Grundgesetz.

Noblesse oblige

Zwanghaft wolln sie alten Glanz bewahrn.
Dinosaurier der modernen Zeiten.
Zähln sich immer noch zu edlen Leuten.
Doch es ist vorbei seit hundert Jahrn.

Während Privilegien entgleiten,
muss man doch in altem Stil verharrn,
darf sich stets nur miteinander paarn
und am Ende übers Erbe streiten.

Dass sich bitte keiner hier beschwere!
Hältst du dich brav an die Etablierten –
Netzwerkarbeit, feine Weine trinken –
können Geld und Macht und Ruhm dir winken,
eine glänzende Finanzkarriere
und ein Foto in der Illustrierten.

Morgendliche Lektion

Meines Spiegels scharfe Reflexionen
lehrn mich unbarmherzige Lektionen.
Ins Gesicht des frühren glatten Jungen
ist die äußre Welt scharf eingedrungen.
„All das ist Erfahrung“, könnt ich mich belügen.
Doch das Alter würd’ die Haut auch so besiegen.
Und so pflügt die Zeit des Antlitz’ Falten.
Lach gequält ich: Alles bleibt beim Alten.
Aber durch des Lächelns heitres Spiel
lern ich: Schenk dir selber Mitgefühl.

Unglaube

Im Lebenswirrwarr dieser Postmoderne
kann man sich leicht im Nirgendwo verlieren.
Wenn wenig gilt, so schaut man in die Ferne.
Ein Glaube hilft, sich klar zu orientieren.

Doch was der Glaube nicht verändern kann,
ist, dass in ander’n auch ein Glaube ruht.
So kommt’s zum Glaubensüberbietungswahn.
Wer wenig glaubt, erzeugt in euch die Wut.

Und wer nicht glaubt, den schlagt ihr einfach tot,
als wüsche fremdes Blut die eignen Sünden rein.
Wenn nicht zu glauben euren Gott bedroht,
wie wacklig muss dann euer Glaube sein.

Sympathie

War’s ein flüchtig Lächeln, das ich glaubt’ zu haschen?
Hallte ihre Stimme in mir nach?
Kurz blieb ich stehen, doch mit raschen
Schritten folgt ich ihr. Und in mir sprach
die Stimme meines Sehnens, meiner Lüste.
Wie töricht diese Stimme ich auch achte –
ich hör ihr zu, obwohl ich’s besser wüsste.
Das Herz schlägt seinen Beat zu irren Tänzen
der Sympathie ganz ohne Konsequenzen.

Kein Wunder

Handaufleger, Homöopathen,
Wunderheiler aller Arten.
Tibet-Salze, Wasser-Schwingung.
Nur der Glaube ist Bedingung.

Schicksals-Lenkung durch die Sterne.
Böse Pharmazie-Konzerne.
Lieber Zuckerkugeln schlucken
als denen Geld in’ Rachen spucken.

Wi-Wa-Wunder bitte sehr.
Ick wunder mir über jar nischt mehr.
Quacksalbern das Ohr geliehn,
die aus der Tasche Geld dir ziehn.

Begegnung am Bahnhof Zoo

Zum Bahnsteig hoch! Mir schmerzten schon die Beine,
so rannte ich. Die Türen gingen zu.
Der Zug fuhr fort, doch ich war nicht alleine.
Am andern Ende dieses Bahnsteigs: Du.

Ein Lächeln, so als kennte man sich ewig.
Drei Stunden, und dann kommt die nächste Bahn.
Spaziern im Zoo. Und vor dem Puma-Käfig
hast du den Tau gewischt aus meinen Haarn.

Du schautest auf den Grund von meinem Wesen.
Ich weiß, ich sah auch deine Seele klar.
So wie verbotnes Tagebücherlesen,
so nackt, so tief und ungeheuer wahr.

Die Zeit! Der Zug! Vorbei am lila Flieder.
Den Bahnsteig hoch! Zum Abschied schnell umarmen.
„Am Sonntag hier!“ Ich sah dich nie mehr wieder.
Und ach, ich kannte nicht mal deinen Namen.

Auf der Suche nach dem Glück

Klar: Wir können unser Glück nicht halten.
Glücklich werden können wir versuchen.
Glück ist flüchtig. Und bald ist’s beim Alten:
Dass wir jedem unsrer Tage fluchen.

Weiser scheint’s, mit Glücklichsein zu starten.
Denn das Werden ist im Sein bereits verborgen.
Vorteil: Ich muss gar nicht lange warten,
ob das Glück kommt vielleicht übermorgen.
Jeder Tag ist meines Glückes Garten,
find mein Glück ich selbst in meinen Sorgen.

Richtig popichtig

Fein geblasen die Oboe!
Stolz neigt sich der Oboist.
Kein Verriss ihm heute drohe,
weil’s so hübsch geraten ist.

Und der Kritiker nückt wüchtig:
„Sein Spiel war heute ziemlich gut.
Jeder Ton präzis und richtig,
wie man’s mit Oboen tut.“

Doch war Richtigkeit im Grunde
nie des Oboisten Ziel.
Spiel’n wir frei wie junge Hunde,
finden wir den eignen Stil.

Der Erfahrungssammler

Wieviel darf ich aus dem reichen Leben kosten?
Tausend Früchte werden überall serviert.
Ja, was ist schon Leben, wenn man’s nicht verziert?
Muss mich ganz trainieren, will ich nicht verrosten.

Bereist die Welt – den Norden, Süden, Westen, Osten.
Erfahrung auf Erfahrung hab ich aufgetürmt.
Wer mich aufgehalten, dem hab ich gezürnt.
Und so finde ich mich auf verlornem Posten.

Erfahrungen hort’ ich wie einen Haufen Plunder.
Ungeordnet bleiben eitle Sensationen.
Wollte ich in diesem Chaosleben wohnen?

Wie genießt man nur des Lebens wahre Wunder?
Innehalten nach dem allzu wilden Tanz.
Der Schmetterling ahnt nichts von seiner Eleganz.

Wannisanmannanmann

(Später Nachtrag zu H. Grönemeyers Reflexionen)

Bist ein Mann, wenn ohne Zagen
du erträgst des Tages Plagen?

Schlägt ein Mann, wenn’s sein muss, frisch
die Faust recht laut mal auf den Tisch?

Oder gilt dem Manne Achtung,
der sich still übt in Betrachtung?

Oder ist nur der ein Mann,
der alles fließen lassen kann?

Doch bisweilen denk ich schlau:
Man ist’s durch Gegenteil – die Frau.

O du heilige Antike

Wenn die Griechen Felder pflügten,
sind sie da in Togen rumgeeiert?
Wurden Gladiatoren angefeuert?
Im alten Rom? Auch wenn sie nicht siegten?

Jeder zweite Römer war ein Krieger,
jeder zweite Grieche Philosoph.
Für die Zivilisation schön doof:
Am Ende blieben die Barbaren Sieger.

Jerusalem, Athen und Babylonien.
Sie hatten’s schwer, doch heute ham wir’s schwerer.
Pyramiden, Rad, Theater, Geld,
mediterranes Wetter, schöne Welt.
Wir finden unser Selbst in jener Ära.
Oder sind’s nur unsre Projektionen?

Wahn des Liebenden

Wie froh bin ich, dem Wahn verfalln zu sein,
ich könnt allein nicht leben.
Ich brauche keinen Therapeuten,
die Heilung würde ich ihm nicht verzeihn.

Im Irrenhaus hab ich’s mir eingerichtet,
die Schlüssel weggeworfen.
Und du bist meine Wärterin,
die treu mir von der Außenwelt berichtet.

Drum bitt ich dich: Gib nie mir diese Chance,
Alleinsein zu erfahren.
Zu wissen, ohne dich wär’s möglich,
würf mich ganz aus der seelischen Balance.