Orgasmus

Als würd’ ein großes Flugzeug Anlauf nehmen,
bevor es in die Höhe steigt,
und niemand könnt’, was jetzt kommt, zähmen.
Der Pfeil im Kopf auf Abflug zeigt.

Ein Schub von wilden Lendenkontraktionen
erwärmt dich bis zum großen Zeh.
Und viele tausend Nervenexplosionen
tun angenehm dem Körper weh.

Du kannst nichts hören und du willst nichts sehen.
Ein buntes Feuer in dir brennt.
Erleuchtungsgleich umfassendes Verstehen
in diesem einen Glücksmoment.

Paris

Wir waren am Eiffelturm angekommen,
dem Bauwerk von erstem Rang,
und hatten schon von weitem vernommen
tausender Stimmen Klang.

Die Handys, die Fotos, das Lachen, das Posen.
Der Turm war ihnen Tapete, wie geil.
Verzweifelte Händler in dreckigen Hosen
boten Miniaturen feil.

An einer Wand hinten bei den Toiletten
steh ich allein und beobachte sacht
die (ungeachtet der tausend Doubletten)
noch immer betörende kühle Pracht.

Betrachtung

In meinen übel trüben Stunden
hab ich noch stets zu dir gefunden,
war deinem Wirken auf der Spur,
du Lebensmeisterin Natur.

Werd ich zum Opfer meiner Launen,
wend ich mich zu dem großen Staunen.
Wer hat noch nie vor dir gekniet,
der deine großen Wunder sieht.

Das kleine Werden und Entstehen,
das große Enden und Vergehen
gehorchen alle dem Prinzip
des Leb und Nimm, des Stirb und Gib.

Der Traum

Ich bin um Drei, grad in der Nacht,
aus einem Traume aufgewacht,
und frag mich nun den ganzen Tag,
ob er etwas bedeuten mag.

Im Dreiecksraum kam durch die Tür
ein kleiner Stier, der wollt zu mir.
Ein zweiköpfiges Lederweib
begehrte meinen nackten Leib.

Der Priester spricht: „’s ist Gottes Ruf.“
Herr Freud: „Das Es die Träume schuf.“
Der Hirnforscher: „Es macht nichts aus.“
Vielleicht lern ich trotzdem daraus.

Ehre

Es lebt ein grausiges Monster, gewandet in feinstem Tuch.
Es ruft mit würdiger Stimme. Sein Rufen ist ein Fluch.
Bösen Blickes, reflexhaft zuckend, ständig beleidigt,
selbstgerecht bis in den Tod eisern verteidigt.

Tief in unsren Herzen hat sich’s eingerichtet.
Die Klauen und Zähne hat schon ein jeder täglich gesichtet.
Es nährt sich vom Dünkel des bis aufs Mark gekränkten Ich.
Wer macht sich frei von ihm? Auch ich hoffentlich.

Erfüllung

Was soll mir das Haben? Was soll mir der Schein?
Was soll ich von anderen anerkannt sein?
Was soll mir der Kitzel? Was soll mir der Stolz?
Das Geld und das Wissen, die Kunst – ach, was soll’s?
Hätt all die Bedürfnisse ich auch gestillt,
sie kämen ja wieder, ich blieb unerfüllt.

Ich lös mich vom Wollen, von geifernder Gier
und such meinen Trost nur im Jetzt und im Hier.
Was soll all das Streben? Es zählt der Moment.
Das Künftige doch sowieso keiner kennt.
Ich löse mich schließlich vom eigenen Bild.
Was bleibt, ist die Liebe, die mich nun erfüllt.

Häuptling auf dem panafrikanischen Treffen

Der Arm geschmückt mit fünfundvierzig goldnen Reifen.
Die tiefen Narben auf der Wange sind gewollt.
In stiller Würde lässt er seine Blicke schweifen.
Ein jeder Gast an diesem Tag Respekt ihm zollt.

Er trägt die Hitze stoisch unter seinem Schirme,
den ohne Murr’n ein edler Diener für ihn trägt
Und rinnt ihm doch ein Tropfen Schweiß von seiner Stirne,
verdunstet er, bevor er noch zu Boden fällt.

Ein kleines Lächeln wandert durch die Häuptlingsmiene.
Noch zählt in diesem Land sein Wort und seine Macht.
Denn dass der Chief dem eignen Land und Volke diene,
darüber angestrengt das Müttergremium wacht.

Verfall

Das Denken schwand,
vom nahen Tod fast aufgesogen.
Und der Verstand
vom bisschen Leben bald betrogen.

Durch die Räume
deines Hirns Erinnrungsspuren.
Vergangne Träume,
durch die Nervenbahnen fuhren.

In gedehnter Agonie
wird alles verwehen.
Bei einer alten Melodie
bleibst du manchmal noch stehen.

Höflichkeit

In leichten Zeiten grüßt sich’s deutlich leichter.
Das Lächeln hat mir mein Gemüt gebastelt.
Der Hass des Andern bleibt im Sommer ziellos.
Wie kann der Tanzende unhöflich sein!
Doch wenn die scharfen, kalten Winterwinde
sich unbarmherzig drängen in die Seele,
dann braucht es freilich Erdung und auch Übung,
die immerhin das Standardlächeln freigibt.
„Guten Tag!“, „Pardon!“ „So ist es Recht.“
Wenn diese sich nicht leicht gebären lassen,
so sei es unter Wehen. Hilf, Vernunft!
Denn ohne Höflichkeit, dies alte Schmieröl,
blieb ich in meinem Käfig ewig sitzen.

Düsternis

Bittres Hirn und bittres Herz
übles Denken, übles Fühlen
ohne Weisheit, ohne Scherz
bist ja nur ein Wicht von vielen.

In des Übelwollens Moor
werden schlackig die Gedanken.
Die, kommt’s dir auch nicht so vor,
langsam immer tiefer sanken.

Richtest dich behaglich ein.
Schuld sind freilich all die andern.
Besser ist es ganz allein.
Und die düstern Bilder wandern.

Müßiggang

Ich beicht es heut, verheimlich es nicht länger:
In meinem Herzen wohnt ein Müßiggänger,
der sich nicht kümmert um die großen Pflichten
und der’s genießt, die Stunden zu vernichten.

Man hat ihm oft vom Fleißigsein gepredigt.
Doch hat das Gute sich meist selbst erledigt.
„Was nutzt’s, wenn ich hier meine Kraft verschwende.
Ihr Emsigen, was braucht ihr meine Hände?“

Der Schlingel sagt, schelt ich ihn manchmal selber:
„Von Arbeit wird die Sonne auch nicht gelber,“
Trotz allem nehme ich sein Dasein heiter.
Sein Mitbewohner ist ein Bauarbeiter.

Der Penner

In schlechten Lebenslagen schlechte Freunde
und sich auch leider oft noch falsch entschieden.
Am U-Bahnhof mit flachem Blick

Die Mühe und den Weg zu oft gemieden.
Zu oft genommen, was dir unterkam
Du lebst den Krieg und wolltest doch nur Frieden.

Frei wie ein Vogel! hatt’st du dir geschworen.
Du sitzt in einer vollgepissten Hose.
Die Freiheit ging die Tag für Tag verloren.

Und ihr, die jetzt an ihm vorüberhastet,
glaubt wohl, dass diesem niemand helfen kann.
Dabei sitzt euch die kleine Münze lose.

Denn alles, was ihm bleibt: Barmherzigkeit.

Abschied

Am leeren Bahnhof mit gepackten Taschen.
Ein kalter Wind.
Die Hoffnungen, du kämst zum Überraschen,
verschwunden sind.

Im Regionalexpress zehn fette Sachsen
und ein Kind.
Und als fürs Kind ich mach zwei halbe Faxen,
wird’s ernst geschwind.

Und unter mir rumort das Bahngetriebe.
Die Scheiben: Blind.
Hab keine Hoffnung, dass ich deine Liebe
je wiederfind.

Frage ruhig

Frage ruhig, mein Sohn.
Das geht voraus dem Wissen.
Wer klug sein will, wird fragen müssen,
und Wissen ist der Lohn.

Hör nie zu fragen auf.
Wissen lässt sich nicht vollenden.
Lässt du’s mit dem, was ist, bewenden,
so zahlst du später drauf.

Bezweifle, was ich sag.
Bezweifle das, was du schon weißt,
denn schließlich irrt der Mensch doch meist.
Und frage jeden Tag.

Erkenntnis

Aus wildem Traume hat’s mich hochgerissen.
Ich war hellwach (zerwurschtelt war mein Kissen)
und wusste: Ich hab neues Wissen.

Das Wissen war von ungeheurer Klarheit.
Und voll vom Glück der so gewonn’nen Wahrheit
legt ich mich wieder. Morgen hieß es: Arbeit!

Die Sonne weckte mich. Ich: voller Frust.
Mein nächtlich Wissen schien nicht sehr robust.
Und doch weiß ich: Ich hab’s gewusst.

Grazie

Ein zarter Nabel, eine gelbe Socke,
ein freies Lächeln ohne jedes Ziel,
ein Kaffeefleck am T-Shirt und die braune Locke,
die keck auf deine Schulter fiel.

Ein leises Summen, so wie in Gedanken,
ein irritierter Käfer auf dem Knie,
ein weiter Blick, ein Lächeln ohne alle Schranken,
als wärst du eine Phantasie.

Ein schlankes Schlüsselbein, geschwungne Brauen,
ein Lächeln, das noch niemand eingezäunt,
es könnte niemand dies perfekte Bild versauen,
nur der da neben dir, dein Freund.

Erde. Vormittag. Frühlingsbeginn

Des Bärlauchs Frische würzt den kleinen Wald:
Du üppig-früher Bote zeugst vom Werden.
Die Sonne heuer kämpft, der März noch kalt.
Auch dies – ein kleiner Fleck auf unsrer Erden.

Ein Jogger eifrig durch die Pfade schnauft.
Am Rand des Waldes wird Benzin verkauft.
An der Einfallsstraße: Durstge Wagen.
Auch diese muss der Erdenball ertragen.

Und während ich von meinem Wäldchen schwärm,
umfängt mich knatternder Motorenlärm.
Und mir wird flau im Kopf und in den Beinen.

Der Lauch, der März, der Jogger, das Zerstören.
Es muss wohl alles doch dazugehören.
Ich weiß nicht, soll ich lächeln oder weinen.

August 1990

Die Sonne schien golden ins Fenster des Zugs auf die Krim.
Beim alten Natschalnik gibt’s Tee. Nun nimm.
Bis in die tiefste Nacht hatten wir gesungen.
Der Portwein, und Vitja, Gitarre und Bier.
Mir hat’s nach erblühender Freiheit geklungen.
War das schon der Dnjepr? Max Maslow im Schlaf.
Spiel noch mal das Lied vom Tank in Afghanistan.
Nimm Max’ Gitarre. Ob ich das darf?
Ich döse.
Noch fünfeinhalb Stunden nach Simfi per Bahn.

Morgenmediation

Wieder dampft die Morgenwiese.
Langsam steigt die Sonn empor.
Eine laue Frühlingsbrise
säuselt neckend in mein Ohr.

Noch sind meine Pläne vage,
froher Mut bestäubt die Seel’.
Keine Mühe, keine Plage.
Kein Geschrei entweicht der Kehl’.

Atme tief – dies ist das Leben.
Meinem Glück ich Danke sag.
Fröhlich kann ich mich erheben.
Komm, du schöner frischer Tag.

Stärke

Zu Mittag schwamm er immer hinaus.
Nach dreißig Minuten war er verschwunden.
Sie sagten, der Sascha kennt sich aus.
Stets hat er zurück noch gefunden.

Wir scherzten: „Jetzt ist er in der Türkei.“
(Das wären fünfhundert Kilometer.)
Nach neunzig Minuten kam er wieder herbei.
Doch einmal wurde es deutlich später.

Wir starrten hinaus auf das Schwarze Meer,
wartend auf Sascha, der lieb uns und teuer.
Die Scherze verstummten, das Sprechen fiel schwer.
Doch er wartete oben am Lagerfeuer.

Wie kamst du hierher? Wie hast du’s geschafft?
Sascha, der Schwimmer! Welch eine Kraft!

Er schwieg, dann weinte und lachte er.
Dann ging er schlafen und ließ uns stehen.
Wir erfuhren nie, was Sascha gesehen
dort draußen beim Schwimmen im Schwarzen Meer.

Offenheit

„Wir wollen immer offen bleiben.
Man sagt, was man im Herzen trägt.“
Fast wollte sie’s vertraglich schreiben,
von ihrer Offenheit geprägt.

Doch zu viel Offenheit kann stören,
wie wir bald erfahren mussten.
Denn manches will man gar nicht hören,
was tief dort ruht im Halb-Bewussten.

Die Offenheit muss sich wohl paaren
mit unsrer Wohlgesonnenheit,
sonst liegt man sich nur in den Haaren.
Und Nörgelei, die macht sich breit.

Strategien

Wir pflegten, uns zu bezirzen
mit heimlichen Strategien.
Es könnte die Liebe würzen.
Doch wir haben’s uns nie verziehen.

Die Liebe verträgt kein Planen,
sie braucht die Ehrlichkeit nur.
In vorgeschriebene Bahnen
presst sie kein Plan und kein Schwur.

*

Nichts gab’s mehr zusammenzuraufen.
So geht’s, wenn die Liebe verliert.
Wir standen vorm Scherbenhaufen.
Wir hatten uns ausmanövriert.