Korruption

Ich bin die Makrele
und du ein toller Hecht.
Wenn ich von dir was stehle,
bekommst du freilich Recht.

Und hast du Recht bekommen,
dann machst du einen drauf,
bist rasch hierher geschwommen,
frisst meine Schwestern auf.

Du kräftig, wir gebrechlich,
du Massenmörder, du!
Der Richter ist bestechlich
und drückt ein Auge zu.

Das Urteil voller Löcher.
Ich rief: „Mein lieber Specht!
Der Richter – ein Verbrecher –
der war wohl auch ein Hecht.“

(Makrelen gibt’s in Meeren.
Der Hecht lebt gern im Fluss.
Er kann sie nicht verzehren.
Der Reim doch bleiben muss.)

Die Pumper

Die Fäuste fleischig und der Trizeps prall,
als ihr die eignen Körper gründlich wuscht:
Als kämen sie aus einem noblen Stall,
so wurden sie behutsam abgeduscht.
Gegelt und eingecremt, trainiert und fit
glicht ihr den Göttern, die sich selber schufen.
Ich ging mit euch noch bis zur Treppe mit,

ihr keuchtet nach nur einundzwanzig Stufen.

Entsagung

Beim großen Dharma-Haus am Teich,
da traf ich ihn und sprach sogleich:
„Bin gewiss nicht der Erste, der zu fragen wagt:
Warum hast du all dem Schönen entsagt?
Den Frauen, dem Spielen, dem Trinken, dem Tanz?“

„Das Ganze wird halb, und das Halbe wird ganz.“

Dann schwieg er. Ach ja, man weiß ja, wie’s ist,
erwartet man Antworten von ’nem Buddhist.
Das ist nun schon viele Jahre her.
Zu verstehn, was er meinte, fällt mir immer noch schwer.
Und wenn ich kurz glaube, ich wüsste Bescheid,
verfliegt mein Verstehen hinweg in die Zeit.

Lachen

Ich habe gelacht
mit früheren Freunden, die heute mir ferne,
mit denen, die heute mir nah und teuer.
Ich habe gelacht.

Ich habe gelacht
über den Unsinn des Daseins und unser Streben,
das Scheitern des Starken, den Stolz des Dummen.
Ich habe gelacht.

Wenn ich mal sterbe,
und mein Existieren verkürzt auf bebende Schlacke,
so sei mein letztes Atmen
ein Lachen.

Wahrheit

Aus sich verziehndem Nebel taucht’ sie auf so klar,
mit plattem Fahrrad, in orangnem Kleide.
Und ihr Gesicht bezeugte pure Freude
– so ungetrübt, so scharf und ungeheuer wahr.

Ein Blick – als läs sie die behüteten Gedanken.
Spräch ich sie an, so wärn wir bald ein Paar,
denn solch Vertrautheit nie auf Erden war.
Sie bricht des Zweifels und des Hochmuts feste Schranken.

Ich sah die Wünsche, sah die heimlichen Gebete.
Das Lächeln ist ein Feuer, das nicht raucht.
Ich dank dem Gotte täglich, der sie zu mir wehte.

In Liebe will man nicht auf seine Rechte pochen.
Bescheidnes Nehmen, Geben, wie man’s braucht.
Bleibt festzustelln: Ich habe sie nicht angesprochen.

Hunger

Nichts als der Hunger aufeinander,
dabei war’n wir schon voll von des andern Schweiß.
Gehüllt im Wäscheduft: Oleander.
Fauchender Atem, von Gier so heiß.

Als hätte man uns etwas vorenthalten,
als kennten nur wir den wahren Preis.
Jedes Haar, alle Narben, jeder Blick, alle Falten,
bald weißt du von mir mehr, als ich von mir weiß.

Erschöpft in der Küche, die Fenster verhangen,
als ob ein Stück Stoff je den Hunger verbirgt.
Gesättigt und doch ein ewig Verlangen.

Zwei Nächte, ein Tag, was sollte uns Zeit?
Hätt’s länger gewährt, hätten wir uns erwürgt.
Am Ende – zweisame Einsamkeit.

Zeit

Ja, auf Schönes in der Ferne
freuet sich ein jeder gerne.
Doch auch in vergangnen Tagen
schwelgt man doch mit viel Behagen.
Unsre Gegenwart indessen
können wir sehr leicht vergessen.

Hast dich prima abgelenkt
und die Zeit betrogen.
Wenn man nur an andres denkt,
ist das Jetzt verflogen.

Der Mensch

Den größten Teil des Lebens meint
der Mensch, er blieb vom Tod verschont,
da doch die Hoffnung in ihm wohnt,
dass nichts so übel ist, wie’s scheint.

Der Eine glaubt, man würd ja sehn:
Gott hilft uns schon beim Auferstehn.
Der Andre meint, es würd bald geben
’ne Medizin, um fortzuleben.

Doch unser Leben währt am längsten,
wenn wir uns lösen von den Ängsten.
Drum atme und genieß dein Brot.
Am Ende bist du mausetot.

Armut

Ganz langsam kroch die Armut in die Stadt.
Mach einer fror, manch einer wurd’ nicht satt.
Bald schliefen viele unter Brücken,
die Augen müd, die Körper matt.
Und Rücken wärmte sich an Rücken.

Ganz langsam kroch die Armut in die Hirne.
Die Sorge zeigte sich auf jeder Stirne.
Der Hass entflammt. Das Wir verbrennt.
Das Herz wird hart und dumm die Birne,
wenn keiner was dem andern gönnt.

Trost vom Feinde

Als ich in Trauer, reichte mein Feind mir die Hände.
Wie transzendent erschien mir jener Trost,
also ob der heiße Schmerz uns nun verbände,
als brächte der grausame Tod auch die Wende.
Zwei Trauergäste, zusammenzustehen gelost.

Die Zeit ließ den Schmerz verglimmen und bald war’s beim Alten:
Er verabscheute mich, als sei ich die Pest.
Ihm auszuweichen unmöglich. Ich konnt seinen Hass nur verwalten.
Doch ich werde wohl immer in Erinn’rung behalten,
wie er hielt mich zum Trost. So fest. So fest.

Dresche

Prügelst zuweilen dein Kind,
mal ein Klaps, manchmal Dresche.
Schaut es belämmert aus der Wäsche,
die Verhältnisse geordnet sind.

Schlägst es ja nur, wenn du musst,
maßvoll, bewusst
die Grenze gesetzt,
so dass es lernt zu verstehen,
den rechten Weg zu gehen,
und nie, dass es sich verletzt.

All die Gründe – was für ein Mist!
Du schlägst dein Kind fürwahr,
weil du, und das ist sonnenklar,
siebenmal stärker bist.

Undankbarkeit

Wie kannst du Dankbarkeit erwarten?
Geht es um andre oder dich?
Sieh, deine Taten stehn für sich.
In deines Lebens Blumengarten
gedeihen sie ganz ordentlich.

Erwartungen zu unterwandern,
zumal die eignen, scheint mir klug.
Tu und vergiss in einem Zug.
Die Dankbarkeit gilt nie dem andern.
Sie ist dich selber gut genug.

Schuld

Die Freundinnen saßen so freundlich beisammen.
Recht flink trat ich ein wie ein frierendes Frettchen.
Sie schauten kaum auf, als ich rasch meine klammen
Velourschuhe auszog. Ich kam aus dem Städtchen.

Ein lockerer Gruß, denn ich wollt sie nicht stören.
Für mich war’s ein Scherz, für sie klang es wie Hohn.
Fast hätt ich vermutet, sie könnten’s nicht hören.
Die Älteste eilte zum Münztelefon.

Ein Wort gab das andre. Und untereinander
zerstritten sie sich. Während ich nur noch schwieg
und in den Gedanken viel weiter schon wanderte,
herrschte bei diesen Gespielinnen Krieg.

Des Menschen Wert

Wie solln wir eines Menschen Wert erkennen?
Man sagt, es zählt, was Gutes er getan.
Ist er geduldig? Lebt er wie im Wahn?
Wer kann die Kriterien hier benennen?

Versteht er wohl, sein Leben zu genießen?
Vermag zu lindern er des andern Leid?
Ist er bewusst sich der Vergangenheit?
Und kann mit ihm die Freude fließen?

Führt dieses Denken auf die falschen Fährten?
Der Gutes-Tuer mehr wert als ein Kind?
Wir alle, auch der Schurke, Kinder sind.
’s ist sinnlos, Menschen zu bewerten.

Nachtgedanken

Die Augen weit zu nächtlicher Stunde.
Von welchem Traum bin ich aufgeschreckt.
Konfuse Gedanken drehen die Runde,
die tief im Unterbewussten versteckt.

Ich hätte die Palme längst gießen müssen.
Hat Jens mich beleidigt? Oder ich ihn?
Schlaf ich gleich ein oder geh ich jetzt pissen?
Ist 1517 prim?

Wenn niemand mehr stirbt, was bedeutet dann Leben?
Jetzt zähl ich Schäfchen. Bei Drei lass ich’s sein.
Klingling, Es ist Zeit nun, sich zu erheben.
Ich schalt den Wecker aus und schlaf ein.

Nachlass

Du liegst still im Sterbehaus.
Wir leer’n deine Wohnung aus.
Teppich, Schränke, deine Kleider
müssen fort nun, leider, leider.
Ja, du hast daran gehangen.
Was ist damit anzufangen,
wenn die einzge, die’s geliebt,
alle Viere von sich schiebt?
Fünfzig Fotoalben – bitter,
Strickpullover und die Zither,
dein Barrett, die alte Uhr
– all das holt die Müllabfuhr.
Nur dein Bild mit Eugen Schmidt
nehm als Andenken ich mit.
Wir leer’n deine Wohnung aus.
Du liegst still im Sterbehaus.

Lied für Pflaumendorf (Plum Village)

Reicht euch die Hände! Erkenne dich selbst in dem andern.
Nimm dir die Zeit, um mit ihm ein Stück Weges zu wandern.
Lös dich vom Bald.
Was gestern war, ist schon alt.
Lasst eure Liebe mäandern.

Reicht euch die Hände! Nun seht, ihr seid gleich unter Gleichen.
Arme sind reich hier und hilfebedürftig die Reichen.
Nichts zählt dein Gut.
Gut ist nur, was man auch tut.
Davon wolln wir hier nicht weichen.