Die Freigiebige

Du gabst mir Halt, warst mir ein Boot, Decke zur Nacht.
Dein Arm. Und ein Busen schwang mir vorm Maul.
Geschlagener Falbe wurde rasch erwärmt.

Ein Atem. Mund zu Mund.

Aus einem müden Manne – Achill erwacht,
heiß bittet er um mehr.
Freigiebig tränkt sie mein Fell mit warmer Nässe,
bis bald sie selber wund und dürstend jammert.

Acht solcher Nächt und Tage, dann war ich gesund.
Entließen einander. Dankbar der eine.

Menschenkenntnis

Zweierlei Fähigkeiten brauchst du im Umgang mit Menschen.
Wohl dir, wenn du beide beizeiten zu nutzen verstehst.
Die eine – den Leuten ins Herz zu schaun – braucht Erfahrung
und mehr noch – das Mitgefühl für das Leiden und Streben des anderen.
Den feinen Sinn dafür entwickeln manche erst spät.
Die andre – frisch zu sehen ein jedes Menschengesicht
und fallenzulassen all das, was man glaubt, längst schon zu wissen,
sich also zu lösen von der Ersten, die so schwer erworben.
Schätz keine gering. Dein Wissen werde dir nicht zum Hochmut,
die Frische zur Narrheit nicht. Vereint helfen sie dir und andern.

Rache

Wir hätten gerne Rache genommen.
Denn schließlich hatte sie uns verraten.
Doch hurtig war sie uns doch noch entkommen.
Wir gingen zur Feier in Hassemers Garten.

Mir selbst war an Rache nicht viel gelegen,
ja, wie hätten wir uns denn rächen sollen?
Simones Verrat schien mir ziemlich verwegen,
vielleicht hat sie uns provozieren wollen.

Am Abend beim Feiern sah ich sie wieder.
Halb saß, halb lag sie auf Oliver drauf.
Fassungslos setzte mein Weinglas ich nieder.
Jörg meinte: „Sei nicht so neidisch, Dan. Sauf!“

Die Zigarette

Letzte Krümel aus der Tüte
rasch ins Paper eingerollt,
angezündet, bis sie glühte,
hab es selber so gewollt.

Dachte, man könnt Freundschaft zeigen,
wenn man sich ’ne Kippe teilt.
Wenn die Räuchernebel steigen,
hab ich mich dran aufgegeilt.

Und für alle, die es wissen
wollen, hier, damit ihr’s wisst:
Keine Fluppe will ich missen,
was ’ne glatte Lüge ist.

Der Weise

Wenn andre stritten, schwieg Bernardo sanft,
doch sparte später nicht die Schlichterworte.
Und schlug ihn Kummer, war’s ihm wie ein Spiel:
Was kann ich lernen aus des Schicksals Schlingern?
Wo er sich aufhielt, wohnte Heiterkeit,
die noch verblieb, wenn er gegangen war.
Nun ist er fort. Für immer oder lang?
Wir fragen täglich: Was würd’ er jetzt tun?
Geschenk, den Weisen Freund zu nennen.
Wir warn schon alt; Bernardo zweiundzwanzig Jahr.

(Ich weiß noch diesen Geruch…)

Ich weiß noch diesen Geruch:
Der frische Schnee, Holz und Abort.
Bevor man hinausging der Spruch:
Bleib nicht zu lange noch fort!
Beim Bäcker – Kaninchen in Ställen.
Den Roggenmehlsack schleppt Fritz.
In den Eimer neben den Fellen
ist munter ihr Blut reingespritzt.
Ich weiß noch, das alte Mariechen
durfte zwei Eimer Wasser sich holen.
Im Federbett nachts konnt ich riechen:
Den schwindenden Rauch der Kohlen.
Bei Stille im nächtlichen Dunkel
ein Schluckauf mir Abwechslung bot.
Ich weiß noch der Alten Gemunkel:
Schon gehört? Die Frieda ist tot.
Ich weiß noch: Die Wanne aus Zink.
Fürs Bad mit Gas Wasser erhitzt.
Oma mit Tränen zum Abschied winkt,
die Hand leicht am Zaun gestützt.

Anpassung

Fremde Länder, Sprachen und Gebräuche,
auf welche Weise füllt man sich die Bäuche?
Welche Kleidung, welche Religionen?
Mit welchen Bräuchen wird man dich verschonen?
Mit welcher Hand wird Essen angefasst?
Bleibst du ganz starr? Hast du dich angepasst?
Was ist hier Ernst? Und wo beginnt der Scherz?
In der Fremde öffne weit dein Herz.
Hast du an Flexibilität gespart?
Dein Ich wird in der Starre nicht gewahrt.
Und wenn wir beide wieder sind vereint,
bin ich dir hoffentlich auch fremd und Freund.

Bitte

Nur noch einmal dreh das Rad, Fortuna, mir!
Und gib ihm Schwung, dass es nicht stehenbleibe.
Denn geplagt hab ich mich lange schon.
Jetzt mag irres Spiel für mich entscheiden.

Und sollt dabei ich stürzen, ganz zerbrechen,
statt zu wachsen und zu strahlen, wie’s geplant,
So werd ich dir nicht zürnen, Wilde.
Ich nehm’s, wie auch die Münze fallen mag.

Leise Klage

Schwer das Lid und müd die Hand, ganz vergeblich.
Klammes Denken, untergetauchtes Weh des
noch nicht Toten, hauche die Klage in das
Lärmen der Nächte,

die nur da sind, um Raum zu verleihen allen
leidenden Wanderern und Festgefrornen der Stadt,
wo jedes Lachen ein Hohn ist dem, der verlernte
zu lieben.

Zu matt um zu klagen, die Träne vertrocknet,
bevor sie geweint. Niemandes Ohr zu erreichen.
Der Arm, der dich getröstet, verschwunden
in einer der Nächte.

Wer? Wie? Was?

Wenn ich alle meine Fragen,
die mich quälten nachts im Bette,
die mir auf der Zunge lagen,
immer auch gestellet hätte,

wäre ich vielleicht nicht klüger,
denn die schlauen Weisheitsriesen
haben oft als Wahrheitsbieger
manche Frage abgewiesen.

Und so heißt es: Sich gedulden
und zu warten eine Runde,
wenn sie dir die Antwort schulden.
Jede Frag hat ihre Stunde.

Heimkehr

Nach fünfundachtzig Wochen ist er frei.
Nervös fährt er nach Hause mit dem Bus.
So schnell, so langsam ging die Haft vorbei.
Was soll ich tun? Was darf? Was muss?

Der Hausflur riecht nach Seife und nach Rauch.
Der Schlüssel klemmt wie immer in der Tür.
Und aus der Küche dringt ein zarter Hauch
von Sellerie, Kartoffeln und von ihr.

Jasmin hält jetzt wahrscheinlich Mittagsschlaf.
Die Bücher unberührt noch im Büro.
Ob er Jasmin und Janek wecken darf?
Vielleicht. Doch erst mal geht er schön aufs Klo.

Verlust. Aus einer anderen Zeit

Wir hatten Roger gern in unsrer Mitte.
Sein Scharfsinn half uns, wenn’s ums Leben ging.
In andren Kompanien fiel jeder Dritte.
Vielleicht war schlau, wer so am Leben hing.

Und nach dem Kriege wurd er Apotheker
– ein kleiner Laden, eine kleine Stadt.
Er lebte fromm und friedlich wie ein Quäker,
der nie das Morden je gesehen hat.

Sein Tod war uns wie eine neue Eiszeit.
Wer hat verstanden, was uns Roger gab?
Wir sahen damals seine Schläue, nicht die Weisheit.
Denn beides nahm sich Roger mit ins Grab.

Abendlied

Der Sternenhimmel wölbt sich überm See.
Ich sitz am Steg und sag dem Tag Adé.
Erlös die müden Füße von den Schuhn.
Nur kurz, dann dürfen auch die Augen ruhn.

Der Wind schlief ein. Das Schilf, es flüstert nur.
Und innehält ein jede Kreatur.
Ein Fröschchen klatscht ins Wasser aus Versehn.
Wir alle eins im großen Weltverstehn.

Und sachte binde ich mir meine Schuh.
Ich stehe auf und gehe nun zur Ruh.
Ein letzter Blick. Ich sag dem Tag Adé.
Der Sternenhimmel wölbt sich überm See.

Erfolg

Sieh an, du hast Erfolg gehabt,
und du sprichst laut (wir bleiben still):
„Ein jeder kann erfolgreich sein,
wenn er es wirklich schaffen will.“

Ich kenne diese Leier schon:
Aus eigner Kraft wurd alles dein.
Bei Misserfolg sind andre Schuld.
Erfolgreich bist nur du allein.

So klopfst du stolz dir auf die Brust.
Ich hör dir zu und denke leis.
Das Einzge, das allein man schafft,
ist allenfalls der eigne Scheiß.

Scham

Eine Hütte, eine Insel und ein See in Kanada
Proviant für vierzehn Tage. Außer uns war keiner da.
Aßen, lasen, spielten, liebten, grade wie es uns bekam.
So vertraut, so dicht und innig ging verloren jede Scham.

Ach, wie war der Abend trübe, als das Boot zurück uns fuhr.
Unser unbefangnes Leben – hinterließ es eine Spur?
Mit der Zivilisation wurden wir nur langsam warm.
So vertraut, so dicht und innig ging verloren jede Scham.