Steffi war eine großartige Puppenspielerin. Unsere prominenteste Figur war der Pinguin Gerda, der es mehrmals schon auf die Bühne geschafft hat. Manchmal wurden wir gefragt, ob wir auch noch andere Kuscheltiere oder Puppen zuhause hätten. Wir mussten dann schmunzeln, denn es ist eine ganze Armada! Die Pinguin-Diva Gerda war ja nur einer von Dutzenden Pinguinen. Daneben gab es den Tröster-Hund Bau, das liebenswürdige Pferd Röhrt, dessen grobmotorischen Bruder Öhrt, die Puppe Mario (eine Mischung aus Sesamstraßen-Ernie, Pittiplatsch und Adolar), die Eule Schä und noch viele andere. Jede Puppe hatte ihre unverwechselbare Stimme und durfte auch von jedem gesprochen werden. Es ist fast überflüssig zu sagen, dass Steffi schon als Kind viel mit Puppen spielte. Aber sie tat das nicht wie andere Mädchen, sie verstand einfach nicht, wieso man Stunden damit verbringen sollte, Puppen zu kämmen und hübsch zu machen. Ihre Puppen und Kuscheltiere und Minifiguren waren wilde Charaktere, die sich untereinander stritten, laut brüllten oder neckten. In der „Fröschel-Schule“ hatte jeder Schüler einen anderen Charakter, der zum Chaos des Unterrichts beitrug. (Man muss sich diese Welten ähnlich chaotisch wie die des Ali Mitgutsch vorstellen.) Auf Urlaubsfahrten im Auto trällerte Gerda, Opern-Arien und nervte die Familie mit ihren anspruchsvollen Wünschen.
Als ich Steffi kennenlernte, lud sie mich einmal zu sich nach Hause ein, und mein Umgang mit den Kuscheltieren war quasi der Lackmus-Test für eine etwaige Beziehung. Ich muss den Test bestanden haben. Denn als ich wieder gegangen war, riet Gerda Steffi zu, sich auf eine Beziehung mit mir einzulassen. Mit den Figuren Mario und Röhrt hat Steffi Hunderte Gute-Nacht-Geschichten für unseren Sohn erzählt – von den ersten Kita-Parallelwelt-Geschichten Marios über die Storys, die Röhrt von seinen Erlebnissen mit den Beatles erzählte bis hin zu Marios Radio-Live-Sendungen zum Thema Astrophysik. (Mehr als 300 dieser im Schnitt 45 Minuten langen Geschichten gibt es als Audiodateien!)
In den letzten Tagen ihres Lebens konnte Steffi nur noch einzelne Worte sprechen. Später ging auch das nicht mehr. Eine Woche vor ihrem Tod sprach sie einen ihrer letzten vollständigen Sätze mit großer Leichtigkeit – in der Stimme unseres Pinguins Gerda.
Mit dem Gesicht zur Sonne
Heute habe ich das Gesicht eine Minute in die Sonne gehalten, was ich sonst nie mache.
Steffi bekam die schlimme Botschaft ziemlich genau zwei Jahre vor ihrem Tod. Auf Nachfrage sagte die Ärztin: „Rechnen Sie mal mit ein paar Wochen.“ Nach den ersten Tagen des Schocks drehte Steffi den Spieß um. Niemand weiß, wann er stirbt. Ob wir noch ein paar Tage vor uns haben oder einige Jahrzehnte, es kommt darauf an, wie wir die Zeit nutzen. Und so genoss sie das Leben mit noch mehr Freude, als sie das ohnehin immer tat. Manche Freunde fragten: „Willst du noch irgendwas Großartiges erleben? Eine besondere Reise oder ein großes Konzert?“ Aber das traf überhaupt nicht Steffis Punkt, denn es waren die kleinen Dinge, aus denen sie Großartiges zauberte. Alle paar Monate verkleinerten sich der Aktionsradius und die physischen Optionen. Aber sie machte weiterhin ihren Quatsch, spielte mit dem, was da war und genoss das Leben. Sie tanzte, verkleidete sich, kletterte noch rum, solange das möglich war, spielte Basketball, Federball und noch im September Tischtennis. Selbst wenige Wochen, bevor sie ins Hospiz kam, ist sie noch am Rollator gejoggt. Im Hospiz spielte sie mit mir, schon im Rollstuhl sitzend, eine Runde gemimtes Tischtennis. In unserem Herzens-Ort Buckow konnte sie im letzten Sommer nicht mehr schwimmen. Aber sie liebte den See und die Sonne. Und dieses Foto vom Juni 2023 fasst das alles für mich zusammen.
Danke Steffi
Das Leben ein Tanz,
das Leben ein Spiel.
Ganz im Moment.
Der Weg ist das Ziel.
Was Liebe erzeugt,
ist das Lieben allein.
Du schenktest uns Freude
durch dein Freudigsein.
Warum wir Johnstone auch heute brauchen
Keith Johnstones Buch „Improvisation und Theater“ beginnt mit Johnstones Beschreibung der eigenen einengenden Erfahrung als Schüler im England der 50er Jahre. Engstirnige Pädagoginnen versuchten, die Kinder zu Stromlinienförmigkeit zu erziehen. Die Lehrerinnen wussten, wie man ein Bild zu malen oder eine Geschichte zu erzählen hatte. Bestimmte Themen und Wörter durften nicht benutzt werden oder galten als obszön. Dieser ungeheure englische Konservatismus, diese Furcht vor der Freiheit begleitete Johnstone bis in seine Erwachsenen-Jahre, als Theaterstücke noch vom Zensor abgenickt werden mussten. Das Format „Theatersport“ hat unter anderem hier seinen Ursprung: Es war ja nur ein öffentliches Training, behauptete man augenzwinkernd, kein wirkliches Theater.
Für Johnstone war Improtheater auch immer ein Mittel der Befreiung. Der Befreiung des Geistes und der Befreiung der Gesellschaft. Jeder, der über Johnstone oder die Johnstonesche Schule zum Improtheater gekommen ist, hat dieses Gefühl der Befreiung empfunden.
Mehr als andere „Schulen“ des Improtheaters betonte Johnstone die Unvorhersehbarkeit. Er war ein Freund des Risikos. Improtheater, das mit Absicherungen arbeitete (zum Beispiel durchstrukturierte Langformen oder zu gut gespielte Games) waren ihm ein Gräuel. Und diese anarchistische Schlagseite von Keith Johnstone liebe ich am meisten an ihm. Fortgeschrittene und Profi-Improvisierer rümpfen bei Impro-Games manchmal die Nase. So als sei alles, was nicht dem elaborierten Storytelling diene, etwas niederes. Sie sind dermaßen mit ihren Formaten beschäftigt, dass sie das Aufregende von Improtheater – die Unvorhersehbarkeit, das Ungewollte, das Peinliche, das unbewusst entstehende Obszöne, das Groteske – am liebsten ausschalten wollen.
Johnstone bestand sehr auf dem körperlichen Spiel: Wenn wir unseren Körpern die Regie überlassen, gewinnen wir einen Zugang zu unseren Emotionen und schrumpfen tendenziell unseren Zensor, unser Über-Ich. Es gelingt uns weniger, vorauszuplanen. Viele der Johnstone-Games sind auch so angelegt, dass sie die Spieler überfordern sollen. (Und sie funktionieren nicht mehr, wenn man sie beherrscht.)
Das erste Kapitel von Johnstones Buch wird gerne von den Lesern übersprungen, damit sie schnell zum „Eigentlichen“ vorstoßen. Aber auch heute gibt es engstirnige Pädagoginnen in den Schulen, die vorgeben wollen, was gute Kunst sei, die Schnappatmung kriegen, wenn sie böse Wörter hören, die genau wissen, wie eine Erzählung aufgebaut sein muss und welche Themen sie behandeln darf.
Johnstone hat auch jetzt immer noch seine Berechtigung. Wir sollten ihn genau lesen und nicht nur als Lieferant von Games und Status-Regeln sehen.
Berührungen im Anfängerkurs
Wieviel Körperkontakt ist bei Anfängergruppen in Ordnung? In vielen Kursen wird diese Frage oft gar nicht gestellt. Und in den meisten Fällen ergeben sich auch erst mal keine Probleme: Die Schüler improvisieren so wie sie auch im normalen Leben miteinander umgehen: Die freundschaftliche Distanz einer Armlänge wird gewahrt. Allenfalls gibt man sich die Hand. Die Probleme kommen später: Wenn die improvisierten Szenen etwas interessanter werden sollen, muss auch Körperkontakt involviert sein. Aber welche Grenzen sollen hier gelten, wenn man nie darüber geredet hat? Auf einmal gibt es eine Umarmung oder einen Klaps auf den Po, und beides ist überhaupt nicht willkommen.
Ich halte es zunächst so: Vor der ersten Stunde etabliere ich als Lehrer, dass körperliches Spiel gewünscht ist. Allerdings schließen wir die Bikinizone ebenso aus wie Gewalt-Szenen. Wer es darüber hinaus unangenehm findet, an bestimmten Körperteilen berührt zu werden, kann das äußern. Auch ich musste diese Lektion auf die harte Tour lernen: Als ich eingeladen war, auf einem Team-Tag eine internationale Gruppe junger Leute einen Improkurs zu unterrichten, unterließ ich mein Körperkontakt-Intro. Als ich dann nach einer halben Stunde den Klassiker Freeze Tag einführte, zuckte eine Schülerin bei der Demonstration weg, als ich sie nur an der Schulter antippen wollte. Kurz darauf erfuhr ich, dass ein Viertel der Teilnehmer orthodoxe Juden seien, bei denen die Berührung zwischen fremden Männern und Frauen verboten war.
Ein weiterer Grund, die Grenze von vornherein klar zu ziehen, besteht darin, dass manchmal junge Männer die Theaterszene nutzen, um sich auf unangenehme Art an Frauen heranzumachen. In meinen Kursen ist das in den ersten zehn Jahren (als ich in der Beziehung noch etwas wischiwaschi war) zwei Mal passiert.
Zugabe herbeiprovozieren – oder verhindern
Das Licht geht aus, die Schauspieler verbeugen sich, bekommen vielleicht noch Einzelapplaus und gehen ab. Da tönen die ersten Rufe: „Zugabe! Zugabe!“ – und verpuffen, weil das Saallicht bereits angeschaltet wurde.
Wenn man Zugaben-Applaus wünscht, sollte man schnell von der Bühne gehen und den Applaus sich entfalten lassen. Bei einer guten Show mit begeistertem Publikum, wird der rhythmische Applaus fast automatisch einsetzen. Sobald der Wille des Publikums deutlich genug ist, lasse man sich nicht lange lumpen, bedanke sich und spiele die Zugabe.
Will man keine Zugabe, schalte man das Saallicht an und (wenn möglich) auch die Hintergrundmusik, der Applaus versiegt dann meist rasch. In den etwas unangenehmen Situationen, in denen ein Teil des Publikums weiterklatscht, während die andere Hälfte schon aufsteht, solltet ihr ebenfalls auf die Zugabe verzichten und das ebenfalls durch Saallicht und Musik markieren.
(Dies ist ein Auszug aus “Improvisationstheater. Band 9. Impro-Shows“)
Gute und schlechte Zugaben
Die Show ist wunderbar gelaufen, ihr habt zu zehnt gespielt. Und nun kommt der Moderator auf die Idee, dass alle noch gemeinsam ein Lied singen sollen, zu dem jeder eine Strophe beitragen soll. Das Lied zieht sich in die Länge, die Hälfte der Spieler hat keine Lust auf Singen oder es klingt grausam. Am Ende gehen die Zuschauer mit dem Gefühl nach Hause, dass es zwar insgesamt recht nett war, aber man müsse es sich nicht so schnell noch mal antun.
Eine gute Zugabe ist knapp und spritzig und entlässt die Zuschauer noch mit einem kleinen Extra-Lachen. Gerade bei großen Besetzungen lassen sich Moderatoren vom Gedanken der „Gerechtigkeit“ dazu verleiten, jedem einzelnen Spieler noch mal angemessen viel Raum zu geben, um sich ein letztes Mal zu entfalten. Lieber zwei, drei kleine Freeze-Tag-Szenen von 15 Sekunden als ein ausuferndes Rein-Raus-Spiel mit dem gesamten Riesen-Ensemble.
Als Zugabe eignen sich zum Beispiel:
- knackige Gag-Spiele, die kürzer als eine Minute sind,
- eine Kaskade von „Was-danach-geschah“-Szenen aus den verschiedenen Storys,
- ein kurzer Abschluss-Monolog einer zentralen Figur
- ein Game, das das Format abschließt. So könnte das Sieger-Team eines Theatersport-Matches als Einwort-Geschichte erzählen, was die Mitglieder nach diesem phänomenalen Sieg als nächstes für Ziele haben.
(Dies ist ein Auszug aus “Improvisationstheater. Band 9. Impro-Shows“)
Zugabe im Improtheater – Ja oder Nein?
Als erstes sollte man sich fragen: Wollen wir überhaupt eine Zugabe? Für manche scheint diese Frage absurd, gehört die Zugabe doch „irgendwie zur Show dazu“. Und tatsächlich kann eine Zugabe wie ein kleines Dessert nach einem Hauptgang wirken. Besonders in einer game-orientierten Kurzform-Show kann ein besonders flottes Game oder ein „Best Of“ die Show abrunden.
Aber stellen wir uns vor, ihr habt eine Langform gespielt, deren Ende überaus gelungen war. Das Publikum ist gerührt, amüsiert, erschüttert. Der Abend ist „rund“. Was kann dann noch kommen?
Am Ende von Comedy-Filmen werden manchmal Ausschnitte von Versprechern, Schnitzern und Malheuren gezeigt. Bei „Das Schweigen der Lämmer“ oder „Schindlers Liste“ würde man das nicht tun.
Aber auch eine comedylastige Impro-Show profitiert nicht immer von einer Zugabe. Man lasse sich nicht vom lange klatschenden Publikum in die Irre führen. Gerade deutsches Publikum neigt zum Klatsch-Exzess. Es ist, als wollten die Zuschauer den schönen Moment auf ewig ausdehnen. Aber sind sie mit Zugabe tatsächlich glücklicher?
Ich denke, man sollte eine Zugabe nur spielen, wenn
– das Format viele kleine Storys und Szenen beinhaltet,
– die Zugabe die Show wirklich abrundet,
– wenn es das Publikum wirklich will.
[Dies ist ein Auszug aus „Improvisationstheater. Band 9. Impro-Shows„]
Übung Tier-Inspiration
Durch den Raum laufen.
Fokussiere auf deinen Atem und deine Schritte.
Bleibe bei dir selbst.
Wähle ein zufälliges Tier.
Fokussiere auf den Atem dieses Tieres.
Auf den Gang.
Wie sieht dieses Tier die Welt? Ist sie voller Feinde oder voller Opfer? (Vermeidet zu diesem Zeitpunkt Interaktion)
Wie fühlt sich der Bauch dieses Tieres an?
Wie der Hintern?
Spiele mit allen Elementen
Das Wichtigste: Nimm das Tier von innen wahr statt von außen. Also bitte beim Elefanten keine Arm-Rüssel, beim Hasen keine Hand-Ohren.
Entwicklung des Characters aus der Körperlichkeit – Beispiel: Körperteil führt
(Der folgende Text ist ein Auszug aus dem Buch Improvisationstheater. Band 2: Schauspiel-Improvisation)
Konzeptionelle Zugriffe, zum Beispiel auf Sprache, Psychologie und szenische Notwendigkeit eines Prototyps, verlaufen über den präfrontalen Cortex, also denjenigen Bereich des Gehirns, der für rationales Abwägen zuständig ist.
Der Zugriff auf die Körperlichkeit ist für den Spieler der effektivste und der überraschendste Weg, einen Charakter spontan zu entwickeln. Auf unseren Körper und seine sensorischen Signale und emotionalen Kopplungen, die in der Amygdala verarbeitet werden, können wir viel unmittelbarer zugreifen. (Die Amygdala arbeitet um ein Vielfaches schneller als das Großhirn. Ihre Botschaften werden auch schneller ans Großhirn gesendet als umgekehrt. Das heißt für uns: Unserem Körper wird von selber klar, was gerade los ist, und zwar noch bevor das Großhirn eine Beschreibung oder einen Namen dafür gefunden hat.)
Unsere Körperlichkeit kann in einer Szene eine Eigendynamik entfalten, die uns selbst überrascht, die uns in diesen immer wieder gesuchten Prozess des Flows führt, in dem wir einfach das tun, was offensichtlich ist, ohne unser Hirn mit Konzepten zu irgendwelchen Charakteren zu verknoten oder uns von Strukturen gefangen nehmen zu lassen.
Ein Körperteil führt
Hast du schon mal einen dieser hektischen Menschen gesehen, die, sobald sie irgendwo hingehen, mit dem Kopf eigentlich schon da sind? Nicht nur mit den Gedanken, sondern es wirkt, als befinde sich ihre Stirn einen halben Meter vor ihrem Bauch. Weibliche Models hingegen schreiten auf dem Laufsteg mit einem kleinen Stoß des Beckens. Türsteher wiederum scheinen ihre ruhigen Bewegungs-Impulse vom Brustkorb zu bekommen.
Diese Bewegungs-Qualitäten haben einen ungeheuren Effekt, der auch dann noch wirkt, wenn er nur subtil angedeutet wird. Die Bewegungsqualität, die dadurch entsteht, dass sie von einem Körperteil ausgeht, verändert auch die Art, wie man atmet, was leicht einzusehen ist: Ein Bodybuilder atmet anders als ein Model. Das veränderte Atmen hat – wir haben es schon bei der Tier-Inspiration gesehen – einen Einfluss auf die grundlegenden Emotionen und darauf, wie man die Welt wahrnimmt (Diese emotionalen Impulse des Atems sind nun zunächst Impulse an den Spieler, und wir brauchen eine spielerische Haltung, um nicht von ihr weggetragen zu werden.)
Bekannte Beispiele für diese Art von Schauspiel :
• Sharon Stone in „Basic Instinct“ – Hals
• Jimmy Stewart in „Vertigo“ – Knie
• Tom Hanks in „Forrest Gump“ – Brustkorb
Das Auffälligste, ist natürlich zunächst die Körperlichkeit, aber ein Typ wie Forrest Gump wird eben nicht nur durch seine kuriose Körperhaltung seltsam, sondern auch dadurch, wie diese steife Brust-raus-Körperhaltung eben alles andere beeinflusst – seine Sprache, seinen Status und nicht zuletzt vermittelt sie eindringlich die übergroße Anstrengung, die dieser eingeschränkte Mann unternimmt, um unter seinen Mitmenschen respektiert zu werden.
Übung Körperteil führt
Körper lockern.
Raum-Lauf. Fokus auf Atem und das Gehen.
Wähle einen Körperteil, der „führt“.
Nutze den gesamten Raum – alle drei Dimensionen.
Lass dich überraschen, in welche ungewohnten Bewegungen dich dieser Körperteil führt.
Es geht bei dieser Übung noch nicht um Charaktere, sondern um das radikale Ausloten von Bewegungsqualitäten.
Übung Vortrag mit führendem Körperteil
Kleine Lockerung.
Wähle einen Körperteil, der führt, und mime eine kurze Handlung. Achte dabei auf deinen Atem.
Dem Atem folgt die Stimme.
Halte einen physisch lebendigen Vortrag über ein beliebiges Thema.
Der Körper folgt dem Körperteil. Der Atem folgt dem Körper. Stimme und Geisteshaltung folgen dem Atem. Der Inhalt folgt der Geisteshaltung, wenn wir sie verstärken.
Wie können wir das nun auf der Bühne praktisch einsetzen? Zunächst ist es eigentlich immer ein guter Impuls, körperlich zu beginnen. Ganz besonders aber ist das angeraten, wenn man merkt, dass man zu verkopft wird, wenn man anfängt, in Kategorien von Richtig/Falsch oder Gut/Schlecht zu denken.
In einer improvisierten Szene, in der Gina die Bühne mit großen ruhigen Bewegungen ausfüllte, betrat Heike das Bild als kleine, herumfingerndes Mädchen, das die ältere Schwester nervt. Die Szene war komisch, und beide Spielerinnen hatten großen Spaß dabei.
Heike sagte später: „Nachdem ich mich beim Nachdenken über einen möglichen Character ertappt hatte, verließ ich mich auf meinen Körper und ging ins physisch geleitetes Gegenteil. Da mir Ginas Figur Oberarm-gesteuert erschien, folgte ich einfach dem Impuls ,Zeigefinger‘“.
Man sei im Übrigen nicht wählerisch, was den Körperteil angeht. Nimm einfach irgendeinen. Entscheidend ist, dass du mit ihm spielst, dich von ihm überraschen lässt und ihm einen Großteil der Kontrolle der Szene überlässt.
Parallele Szenen statt Freeze Tags als Warm Up
Im Laufe der Jahre hat meine Begeisterung für Freeze Tags immer mehr nachgelassen. Meine beiden Hauptgründe habe ich hier bereits mehrfach genannt: 1. Wer „freezt“, also einfriert, beraubt sich der Körperlichkeit. 2. Es ist eigentlich ein Spiel, das den Flow stört und bereits vorhandene Ideen kaputtmacht. Die außenstehenden Spieler neigen dazu, nicht dem Geschehen zu folgen und stattdessen sich selbst etwas auszudenken. Dennoch habe ich es ab und zu als Warm-Up-Spiel in Workshops eingesetzt, einfach um rasch allen Spielern die Chance zu geben, ein paar kleine Szenen gespielt zu haben.
Vor knapp zwei Jahren habe ich nun völlig damit aufgehört. Stattdessen lasse ich die Spieler sich in Paaren an verschiedene Plätze des Raums stellen. Dann bekommen alle von mir dieselbe Vorgabe (meist einen Ort) und haben 45 Sekunden Zeit, die Szene zu spielen. Danach wechseln die Paare und es startet mit einer neuen Vorgabe eine neue Mini-Szene.
Nach einigen Szenen gebe ich zusätzlich zur inhaltlichen Vorgabe einen Fokus-Punkt, etwa „Achtet auf Status.“ oder „Findet heraus, um wen es geht.“ oder „Spielt die Szene ohne Sprache.“
Auf diese Weise wird die Warm-Up-Zeit deutlich effektiver genutzt und man hat mehr Gelegenheit zum Ausprobieren (und heiter scheitern).
Fürs Publikum oder für dich
Jerry Seinfeld über das Verhältnis Bühnenkünstler – Publikum:
„Wenn es dir gelingt, 5.000 Menschen zum Lachen zu bringen, dann merkst du, du hast etwas sehr Schönes gemacht. Und es stellt sich für dich heraus, dass du mehr gegeben hast als dass du etwas genommen hättest. Das ist eine gesunde Sichtweise. Und ich glaube, dass das essentiell ist, um in diesem Business lange zu überleben. Wenn du es für sie [die Zuschauer] machst, dann wird es dir gut gehen. Wenn du es für dich selbst machst, könnte es ab einem bestimmten Punkt problematisch werden, denn sie werden das durchschauen.“
ca. ab 3:28 Min.
Kann man Impro-Talente früh erkennen?
Gibt es unter Impro-Anfängern ausgesprochene Talente und kann man sie erkennen?
Diese Frage wird mir manchmal von Schülern gestellt und manchmal unter Impro-Kollegen diskutiert.
Die kurze Antwort lautet: Ja, es gibt Talente. Und nein, man kann sie nicht immer erkennen.
Aber die Wahrheit ist natürlich, wie so oft, komplexer und erfordert leider eine etwas längere Antwort.
Zunächst einmal müssen wir klären, was denn überhaupt gemeint ist, wenn wir von „Impro-Talent“ reden. Ganz grob gesprochen zähle ich dazu folgende Grund-Talente:
- Die Fähigkeit zuzuhören,
- Spielfreude,
- Materielle Talente: Schauspiel, Storytelling, Musikalität usw.
Sehr selten, vielleicht bei einem von hundert Schülern, kommt es vor, dass ich glaube, schon in der ersten Stunde ein derart überragendes Talent in all diesen Bereichen zu erkennen, dass ich ihn sofort in eine Klasse mit höherem Niveau eintreten lasse. Aber viele Schüler lassen schon zu Beginn ein beachtliches Talent in einigen Bereichen erkennen. Die Frage ist dann: Wie weit trägt dieses Talent?
Im Märchen „Das hässliche Entlein“ von Hans Christian Andersen stellt sich am Ende heraus, dass die zerzauste Ente, über die sich alle lustig gemacht hatten, eigentlich ein Schwanenküken gewesen war. Und so ist es auch in Impro-Workshops: Man weiß nicht, aus wem sich vielleicht der schönste Schwan seiner Generation entwickeln könnte.
Das hat erstens damit zu tun, dass in unseren Kursen Erwachsene auftauchen, die sich im Laufe ihrer Entwicklung die Spielfreude haben abtrainieren lassen. Es kommt dann darauf an, den Workshop zu einer spielfreudigen Sphäre zu machen, in der man sich freispielen und sich ausprobieren kann und in der es viel positiven Zuspruch gibt. Diesen versteckten Talenten kann man vor allem mit Impro-Games verschiedener Schwierigkeits-Stufen dabei helfen, ihren Schutzpanzer abzulegen und ihr Talent nach und nach zu entfalten.
Zweitens gibt es Schüler, die von vornherein eine große Spielfreude und ein gewisses schauspielerisches Geschick mitbringen, aber zunächst nicht die besten Zuhörer sind, Schwierigkeiten beim Akzeptieren haben und denen es schwerfällt gemeinsam etwas aufzubauen. Hier ist die große Frage, ob sie im Laufe der Kurse bereit sind, ihr Ego abzulegen und die Kraft finden, die sich aus der Gemeinsamkeit ergibt.
Drittens bringen manche Talente zwar eine große Spielfreude mit und sind sensibel gegenüber ihren Mitspielern, aber ihre schauspielerische Fähigkeiten (die wir auch alle als Kinder haben) sind völlig verschüttet. Diesen Schülern fehlt oft die Bühnenpräsenz und sie neigen dazu, nachzudenken, als unmittelbar zu reagieren. Hier gilt es, den Schülern Vertrauen in die eigenen physischen und emotionalen Assoziationen zu geben.
Diese drei Beispiele sind natürlich Idealtypen, und in der Wirklichkeit mischen sich diese Talente. Als Lehrer hat man letztlich nur die Möglichkeit, Türen zu öffnen. Hindurchgehen müssen die Schüler schon selbst. Das bedeutet aber auch, dass sie, wenn sie ihr Talent nutzen wollen, bereit sein müssen, sich zu verändern. Diese Veränderung ist oft mühsam und bisweilen schmerzhaft. Wer etwa Scheitern mit extrem negativen Emotionen verknüpft, wird etwas länger brauchen, um zu erkennen, dass der neue Weg auch mit Scheitern und manchmal sogar mit Frustration verknüpft ist.
Aber wie hoch diese Bereitschaft des Schülers zur Veränderung, das heißt zur Entfaltung seiner Talente ist, lässt sich zu Beginn nicht sagen. Ich habe Anfänger erlebt, die gleich von der ersten Stunde an recht unterhaltsam spielten, aber letztlich nie wirklich weitergekommen sind, weil sie mit sich selbst zufrieden waren. Und ich habe schüchterne „zerzauste Küken“ erlebt, die sich zu wahren Impro-Schwanenkönigen entwickelten.
Abschließend möchte ich noch hinzufügen, dass in einem Impro-Kurs natürlich niemand verpflichtet ist, sich zu einem ausgereiften Impro-Schauspieler zu entwickeln. Wenn die Motivation lediglich darin besteht, einmal pro Woche einen spielerischen Abend mit Gleichgesinnten zu verbringen, ist das völlig legitim.
(Ende der ausführlichen Antwort.)
Was fehlt? – Drehtür versus Möwe
(Dieser Artikel ist ein Auszug aus dem Buch „Improvisationstheater. Band 3: Die Magie der Szene“)
Im Off sollten wir uns fragen: Fehlt etwas in der Szene? Und wenn ja, kann und soll ich helfen? In den bereits genannten Beispielen haben wir gesehen, wie man helfen kann, das Thema bzw. die Protagonistin zu finden.
Bisweilen sind die szenischen Fehler oder fehlenden Definitionen kleiner und weniger dringend, etwa
- unklarer Schauplatz und unklare Umgebung
- unklares Genre
- fehlende Namen
- mangelnde Körperlichkeit
Soll man aber als Außenstehender bei jeder kleinen Unklarheit auf die Bühne springen?
Ein beliebter Publikums-Vorschlag für einen Schauplatz ist bekanntlich „Strand“. Vermutlich sind viele Impro-Schauspieler unabhängig voneinander einmal auf die Idee gekommen, diesen Vorschlag mit einer kreischenden Möwe zu untermalen. Inzwischen wimmelt die Impro-Welt von Kreisch-Möwen. Sie sind hierzulande schon dermaßen zu einem Impro-Klischee geworden, dass es bei einigen Theatersport-Shows Möwen-Strafpunkte gibt. Lasst die Möwe im Kasten, vor allem wenn die Szene schon läuft. Denn so manche scheinbare Szenen-Unterstützung ist eben keine Unterstützung, sondern lenkt ab und kann eher dem billigen Gagging zugerechnet werden.
Wir helfen, die Atmosphäre zu bereichern, wenn wir den Fokus nicht rauben, sondern den Spielern Anknüpfungs-Punkte geben:
1) Ein schüchternes Pärchen trifft sich zum Blind Date in einem Café.
à Ein während des Gesprächs der beiden auftauchender Kellner hilft nicht nur, den Schauplatz plastischer zu machen, sondern gibt den beiden auch Anknüpfungspunkte, um ihren Charakter deutlicher zu machen: Das Aufgeben der Bestellung kann über ihre Figuren mehr verraten.
2) Ein junger Mann wird nachts in eine verlassene Gegend der Stadt geschickt.
à Die Mitspieler malen die Atmosphäre aus: Drogenhändler, Bettler, Prostituierte. Diese Typen können reine Szenen-Passagiere im Hintergrund bleiben, aber sie „füttern“ die Szene und den Helden.
Je nach Verlauf der Story können wir als Passagiere den Helden aufbauen oder ihm Probleme bereiten. Eine einfache Technik ist der Drehtür-Auftritt.
Beim Drehtür-Auftritt betritt man die Szene als außenstehender Spieler nur für eine kurze Sequenz, die aus nicht viel mehr als ein, zwei Sätzen besteht. Eine solche Szene kann eine Rückblende sein, eine Phantasie, eine Erinnerung oder auch eine parallele Handlung, die für die anderen Charaktere nicht sichtbar ist. „Drehtür“, weil man, kaum dass man aufgetaucht ist, schon wieder verschwunden ist. Der ursprüngliche Spielpartner bleibt in der kurzen Zeit der Drehtür-Sequenz auf der Bühne.
- Drehtür-Angebot als Rückblende:
A: „Das gesamte Grundstück wollen Sie mir abkaufen?“
B: „Natürlich. Die Parkraum-Equity AG bietet Ihnen 10 Millionen.“
A: „Dann könnte ich meiner Tochter ihre Karriere als Tänzerin finanzieren.“
à Drehtür-Angebot: Alter Mann auf Sterbebett: „Und denke daran, mein Sohn, dieses Natur-Reservat gehört unserer Familie schon seit 1688. Halt es stets in Ehren.“ (Stirbt. Spieler ab. Zurück zur Verkaufs-Szene.)
- Drehtür-Angebote als Rückblende und Parallel-Szene:
A: „Ihr kennt euch also nur über diese Flirt App?“
B: „Ja, er ist der charmanteste Typ, den du dir vorstellen kannst.“
à Drehtür-Angebot: Charmanter Junge mit Profil-Foto-Lächeln.
A: „Und heute Abend triffst du ihn das erste Mal richtig?“
B: „Ja, wir treffen uns am verlassenen Bootshaus hinter dem stillgelegten Hafen.“
A: „Wie aufregend!“
–> Drehtür-Angebot: Charmanter Junge diesmal düster lächelnd, der sich Handschuhe überzieht und seine Waffe einsteckt.
Das Drehtür-Angebot ist ein Montage-Mittel, das aus dem Film entlehnt ist. Es ist sehr effizient und kommt unseren durch den Film geprägten Seh-Gewohnheiten sehr entgegen.
Tarantino: Storytelling & characters
(Deutsche Übersetzung unten)
(From the Joe Rogan Podcast. 0:56:00)
Quentin Tarantino: „Normally, when I do a movie, I have more or less the story worked out. (…) I’m dealing in genre and sub-genre that even dictates a bit. If I’m writing “Kill Bill”, I pretty much know that at the end of the movie she’s going to kill Bill. But exactly how she’s going to kill Bill and how we feel about it at the end, that’s left open for conjecture. Now I can get to there. But I can assume that that’s going to happen. (…) So normally, I have it worked out. But what I learned through trial and error or, I guess, from experience is: That little mapping out of more or less what happens in the story really only applies till the middle of the story. Because by the time you get to the middle of the story, you know so much more before you ever start to putting pen to paper. I mean, now I know who these people are. Now I am these people, these characters, I am them, they are me. Now I truly know who they are and now I’ve invested in this world to such a degree that the hope is, by the forty percent mark or the fifty percent mark, the characters take it from here. And from that point on, they’re writing the story.
Joe Rogan: “So you’re just essentially thinking through their eyes or thinking through their minds and behaving like them.”
Tarantino: “Yeah. Look, I am the storyteller. So, if I have to steer them in a direction that I think is more interesting or more exciting, well than obviously I can do that, I have the power to do that, but I’m trying not to do that. I figure, if they want to do it, they’re right. That is truth talking to me. And I figure, they should know best.”
Quentin Tarantino: „Normalerweise habe ich, wenn ich einen Film mache, mehr oder weniger die Story ausgearbeitet. (…) Ich beschäftige mich mit Genre und Subgenre, die das Ganze ein bisschen diktieren. Wenn ich „Kill Bill“ schreibe, weiß ich ziemlich genau, dass sie Bill am Ende des Films töten wird. Aber wie genau sie Bill umbringen wird und wie wir am Ende dazu stehen, bleibt offen für Vermutungen. Ich kann jetzt dorthin gelangen und ich kann davon ausgehen, dass das passieren wird. (…) Normalerweise habe ich es also ausgearbeitet. Aber was ich durch Versuch und Irrtum oder, denke ich, aus Erfahrung gelernt habe, ist: Dieses kleine Kartierung aus mehr oder weniger dem, was in der Geschichte passiert, gilt wirklich nur bis zur Mitte der Geschichte. Denn wenn Sie in der Mitte der Geschichte angelangt sind, wissen Sie so viel mehr, bevor Sie überhaupt anfangen, Stift zu Papier zu bringen. Ich meine, jetzt weiß ich, wer diese Leute sind. Jetzt bin ich diese Leute, diese Charaktere, ich bin sie, sie sind ich. Jetzt weiß ich wirklich, wer sie sind, und jetzt habe ich so viel in diese Welt investiert, dass die Hoffnung darin besteht, dass die Charaktere es ab der Vierzig- oder Fünfzig-Prozent-Marke selber übernehmen. Und von da an schreiben sie die Geschichte.
Joe Rogan: „Du denkst also im Wesentlichen durch ihre Augen oder durch ihren Verstand und benimmst dich wie sie.“
Tarantino: „Ja. Schau, ich bin Geschichtenerzähler. Wenn ich sie also in eine Richtung lenken muss, die ich für interessanter oder aufregender halte, na ja, dann kann ich das offensichtlich machen, dann habe ich die Macht dazu, aber ich versuche, das nicht zu tun. Ich denke, wenn sie es tun wollen, haben sie Recht. Das ist die Wahrheit, die zu mir spricht. Und ich denke, sie sollten es am besten wissen.“
Ich denke, dass ist genau die Haltung, die wir auch übernehmen sollten: Kümmere dich um deinen Character. Was will er? Wie ist er drauf? Achte auf Genre, und vor allem zu Beginn auf die Grundlage der Story. Aber vertrau darauf, die Charaktere übernehmen zu lassen.
Im Off – Wie man eine Szene rettet
Der folgende Text ist ein Abschnitt aus dem Buch „Improvisationstheater. Band 3. Die Magie der Szene“.
Als Impro-Spieler ist es deine große Aufgabe, deinen Mitspielern aus der Patsche zu helfen. Wenn du also aus dem Off bemerkst, dass eine Szene dabei ist, sich komplett zu verheddern, wirr, unklar oder bedeutungslos zu werden, dann solltest du dich fragen: Wie rette ich die Szene?
1. Inhalte verstärken
Wenn sie merken, dass die Szene abrutscht, verfallen manche Spieler in Aktionismus und bieten irgendetwas Lustiges an, was mit der ursprünglichen Szene nur am Rande zu tun hat. Sie wischen quasi das bereits Etablierte beiseite und hoffen, nun mit „etwas Besserem“ die Szene zu retten.
Flora und Thea sind verloren in einer Laber-Szene. Sie haben schon vier verschiedene Themen angesprochen: Ihre Jobs, ihre Töchter, die letzten Wahlen und die Frage, ob die katholische Kirche Feuerbestattung zulassen sollte.
Energievoller Auftritt Markus: „Schatz, unser Pinguin ist aus dem Swimmingpool abgehauen!“
Man kann nur hoffen, dass die beiden Spielerinnen auf das kuriose Angebot eingehen werden. Doch man muss sagen, dass Markus die Szene nicht gerettet, sondern eigentlich eine völlig neue Szene begonnen hat.
Zuhören! Nicht ausdenken!
Nimm etwas, das bereits in der Szene etabliert wurde und mach das groß. Warum einen Pinguin erfinden, wenn bereits eine Tochter etabliert wurde?
Energievoller Auftritt Markus: „Schatz, Cora ist verschwunden!“
Während die erste „Rettung“ so wirkt, als sei die Szene gar nicht gespielt worden, sind wir hier froh, dass Markus die beiden gerettet hat, da er die bereits erwähnte Tochter wieder aufgriff. Welches Material wiedereingeführt wird, ist ziemlich unerheblich. Tendenziell wohl das, was am meisten emotionalen Schwung verspricht. Der Rest steht uns als später zu integrierendes Material immer noch zur Verfügung.
2. Helden verstärken
Gerade in Anfangsszenen bleibt es zwischen den Spielern manchmal unklar, um wen es geht, selbst wenn sie das Thema schon gefunden haben.
Etabliert sind Hannah und ihre Mutter.
Hannah: „Mama, dieses Studium wäre für mich der Traum meines Lebens.“
Mutter: „Hannah, ich kann dir das nicht finanzieren. Ich brauche das Geld für meine nächste Ausstellung.“
Hannah: „Ich habe die Zusage vom Dekan von Harvard persönlich.“
Mutter: „Und ich muss jetzt alles in die Werbung stecken. Diese Ausstellung ist meine letzte Chance.“
Das Verhältnis der beiden ist klar. Ebenso der Konflikt. Beide Figuren haben Helden-Potential, aber als Zuschauer werden wir uns kaum für beide Figuren mit derselben Intensität interessieren. Als außenstehende Mitspieler ist unsere Aufgabe, zu sehen, ob es den beiden gelingt, sich rasch zu einigen, wer die Heldin ist und notfalls helfend einzugreifen. Indem man eine der beiden Figuren stärker fokussiert, wird sie von größerem Interesse, ein Signal, das die Spielerin der anderen Figur hoffentlich erkennen wird.
Hannah: „Ich habe die Zusage vom Dekan in Harvard persönlich.“
Mutter: „Und ich muss jetzt alles in die Werbung stecken. Diese Ausstellung ist meine letzte Chance.“
Vater (betritt die Szene, gestisch unterstreichend, er habe zugehört): „Dann muss deine Ausstellung eben warten. Die Ausbildung deiner Tochter hat Vorrang.“
Dadurch, dass der Vater sich auf die Seite der Tochter stellt und dass er die Mutter direkt anspricht, verstärkt den Fokus auf die Mutter. Denn auch wir fragen uns: Wird die Mutter ihre Karriere zugunsten ihrer Tochter nun beerdigen oder nicht? Zu diesem Zeitpunkt wäre die Intervention aber auch umgekehrt plausibel:
Hannah: „Ich habe die Zusage vom Dekan in Harvard persönlich.“
Mutter: „Und ich muss jetzt alles in die Werbung stecken. Diese Ausstellung ist meine letzte Chance.“
Vater (betritt die Szene): „So ist es. Nimm Rücksicht auf deine Mutter. Außerdem wirst du es als Frau in Geometrie immer schwer haben – eine Männerwelt, was will man machen? Bleib noch ein Jahr bei uns in Reutlingen, hilf mir bei der Buchhaltung, und wenn du dann immer noch so versessen auf die Rechnerei bist, wirst du auch in Stuttgart einen Studienplatz finden.“
Im Off – Die gute Szene laufen lassen. Oder nicht?
Der folgende Text ist ein Abschnitt aus dem Buch „Improvisationstheater. Band 3. Die Magie der Szene“
Bei einem Festival sah ich folgende Szene innerhalb einer Langform:
Maja und Johannes spielen eine Szene am Park. Sie sind ein Paar, das sich nach langer Trennung zufällig wiederbegegnet. Dabei findet er heraus, dass sie im Gefängnis war, um ihn zu schützen. Die Szene wird emotional intensiv.
Johannes: „Du hast all die Jahre abgesessen? Für mich?“
Maja: „Sie hätten dir dafür die doppelte Zeit aufgebrummt.“
Johannes: „Ach, all die verlorene Zeit unserer Gemeinsamkeit!“
Lisa betritt als Hundebesitzerin die Bühne und mimt, ein Stöckchen in einen See zu werfen: „Los! Hol Stöckchen!“ …
Das Publikum lacht, aber die Szene ist aus dem Gleichgewicht. Später darauf angesprochen, meint Lisa, das Park-Szenario als Passagier unterstützt zu haben. Dass sie sämtliche Aufmerksamkeit von der Szene auf sich gezogen hatte, war ihr kaum klar gewesen.
Gerade für aktive Spieler liegt die Versuchung nahe, sich an einer guten Szene beteiligen zu wollen. Und leider spielt auch manchmal die Eitelkeit eine gewisse Rolle: Das Publikum lacht oder ist gefesselt von der Szene, also ist die Versuchung für manche Spieler verlockend, von diesem positiven Feedback etwas abhaben zu wollen. Aber gute Szenen unterstützt man vor allem dadurch, dass man sie laufen lässt, insbesondere dann, wenn es intensive Zweier-Szenen sind. Auch in Games, die gerade unter den Beteiligten auf der Bühne entstehen, sollte man sich nicht unbedingt einmischen. Deine aktive Rolle als Impro-Spieler besteht hier darin, deinen Mitspielern den Raum zu geben, den sie brauchen.
Aber es gibt auch Situationen, in denen wir eine gute Szene betreten sollten
1. Zum Szenen-Beenden
Wenn es in eurem Ensemble üblich ist, dass die Spieler im Off die Szene abwinken, brauchst du ein gutes Ohr für letzte Sätze: Welcher Satz sticht aus den übrigen heraus, zum Beispiel dadurch, dass er die „Moral der Geschichte“ zusammenfasst? Aber auch ein Schluss-Gag, eine Pointe oder eine überhöhte Dialog-Zeile können den Schluss markieren.
2. Um die nächste Szene einzuleiten
Die Szene, in der du gerade nicht mitspielst, ist vielleicht nur sehr, sehr kurz, möglicherweise lediglich eine Übergangsszene in einer längeren Story. In solchen Szenen musst du bereit sein, rasch auf die Bühne zu gehen und eventuell einen Mitspieler auszuwechseln.
3. Um die Situation zu verschärfen
Kehren wir zur bereits erwähnten Park-Szene zurück. Hier eine Variante, wie sich Lisa produktiv in die Szene hätte einbringen können.
Johannes: „Du hast all die Jahre abgesessen? Für mich?“
Maja: „Sie hätten dir dafür die doppelte Zeit aufgebrummt.“
Johannes: „Ach, all die verlorene Zeit unserer Gemeinsamkeit!“
Maja: „Wir könnten uns schon bald wiedersehen.“
Johannes: „Was heißt bald? Komm doch jetzt mit zu mir!“
Maja: „Ich darf ja nur tagsüber auf Kurz-Freigang. Ich kann keinen Schritt ohne meine Bewährungshelferin gehen.“
Lisa betritt die Bühne und mimt aus dem See zu kommen und sich abzutrocknen: „Frau Osterberg, es wird Zeit loszufahren.“
Im Gegensatz zur Hundebesitzerin verschärft die Bewährungshelferin die Szene. Die Kunst beim unterstützenden Auftritt besteht darin, den Fokus nicht völlig auf sich zu ziehen, sondern die Hauptfigur zu unterstützen.
Im Off – Die Paukisten-Haltung
(Dieser Artikel ist ein Auszug aus meinem Buch „Improvisationstheater. Band 3: Die Magie der Szene„)
Ich bin immer wieder beeindruckt von den Paukisten in Sinfonie-Orchestern, die manchmal eine halbe Stunde auf ihren Einsatz warten müssen. Am Klang der Aufführung würde sich wohl nichts ändern, wenn sie in der „Wartezeit“ in der Kantine Kaffee trinken würden. Aber sie sind permanent wach und aufmerksam. Sie sind Teil der Aufführung.
Diese Wachsamkeit und Präsenz des Paukisten brauchen wir im Off, da jederzeit die Möglichkeit besteht, dass unser Einsatz auf oder hinter der Bühne gefragt ist. Unsere innere geistige Grundhaltung sollte so sein wie die auf der Bühne: Ich unterstütze die Szene.
Im Off unterstützen wir die Szene:
- durch Nichteinmischung,
- durch eine wohlwollende, ermutigende und offene Grundhaltung,
- durch Off-Unterstützung wie Geräusche, Off-Stimmen usw.,
- indem wir Enden setzen und Übergänge schaffen oder
- indem wir uns entscheiden, die Szene zu betreten.
Die geistige Haltung des Unterstützens hat eine körperliche Entsprechung: Wir brauchen eine wachsame Ruhe.
Das heißt, erstens sollte man nicht zu unterspannt sein. Manche Spieler fallen im Off in eine Zuschauerhaltung. Sie lehnen sich zurück und lassen sich von der Szene berieseln, als säßen sie vorm Fernseher und als habe das alles nichts mit ihnen zu tun. Das aber ist viel zu passiv. Auf diese Weise distanzieren sie sich körperlich und geistig vom kreativen Schwung. Wir müssen wachsam genug sein, um jederzeit einspringen zu können. Im Off haben wir den Luxus, uns ganz dem Adlerblick für die Szene zu widmen. Wir sehen alles, ohne dabei involviert zu sein. Aber im richtigen Moment stoßen wir dazu.
Zweitens sollten wir ruhig bleiben. Wenn das Off vom Zuschauerraum aus zu sehen ist, irritieren unruhige Spieler von dort das Publikum. Denn schließlich lenkt jede Bewegung vom Geschehen auf der Bühne ab. Die äußere Unruhe ist oft gepaart mit einer inneren Unruhe. Unruhige Spieler warten oft nur darauf, schnell selber wieder spielen zu können. Sie hören nicht recht zu, gehen zu früh auf die Bühne und mischen sich in Szenen ein, in denen sie nichts verloren haben, verpassen dann aber den Moment, in dem man sie wirklich braucht.
Sei bereit. Sei wach. Sei der Paukist.
„Die Magie der Szene“ jetzt auch als E-Book
https://www.bod.de/buchshop/improvisationstheater-die-magie-der-szene-dan-richter-9783753419053
Endlich: Das neue Impro-Buch ist fertig
Ich hatte ja geglaubt, ich könnte das Buch „Die Magie der Szene“ schon im Januar 2020 herausbringen. Es war ja schon zu 85 Prozent fertig. Dann gab es eine unglückliche Verzögerung nach der anderen, und schließlich kam der Lockdown: Kein Theaterspielen, keine Workshops. Eigentlich müsste man meinen, das seien die idealen Bedingungen zum Schreiben. Aber denkste. Nicht bei mir. Im Rückblick denke ich, dass mir gerade der externe Antrieb fehlte: der aktive Austausch mit anderen Improvisierern und mit meinen Schülern. Wie viele Andere auch musste ich erst mal einen neuen Arbeitsrhythmus finden, ihn mit Homeschooling und anderen Projekten abstimmen. Vor allem aber musste ich lernen, die neue Situation innerlich zu akzeptieren, was für mich eine größere Herausforderung war als vermutet. Dieses Scheitern am Akzeptieren war mir auch peinlich gegenüber mir selbst, hatte ich mir doch eingebildet, das müsse ja gerade einem professionellen Improvisierer leichtfallen. Und immer wenn ich meinte, jetzt hätte ich die innere Balance gefunden, riss es mir wenige Wochen später wieder die Füße unterm Boden weg.
Aber es wäre zu einfach, nur der Pandemie die Schuld an der Verzögerung zu geben. Ich muss ach gestehen, dass ich auch mit einem formalen Problem zu kämpfen hatte: Das Thema dieses Bandes ist die improvisierte Szene. (Zuvor erschienen „Die Grundlagen„, „Gruppen, Geld und Management“ und „Impro-Shows„. „Impro-Schauspiel“ ist bereits in Arbeit.) Im Improtheater läuft aber am Ende alles auf die improvisierte Szene hinaus. Die Frage war, wie ich das Ganze auf den Kern reduzieren könnte. Und so bestand der Hauptteil meiner Arbeit der letzten anderthalb Jahre an diesem Buch nicht nur darin, die Lücken zu füllen, sondern viel mehr noch, Überflüssiges zu streichen. Dieses „Überflüssige“ sind, wie jeder, der sich mit kreativem Schreiben beschäftigt hat, weiß, oft die Passagen, an denen man hängt, die vielleicht sogar der Ausgangspunkt des Schreibens waren. “Kill your darlings, kill your darlings, even when it breaks your egocentric little scribbler’s heart, kill your darlings.” (Stephen King. „On Writing“)
Dazu kamen Selbstzweifel: Gerade übers szenische Improvisieren ist bereits eine Menge (vor allem im amerikanischen Raum) geschrieben worden. Hatte ich überhaupt noch etwas Sinnvolles zu sagen? Manchmal musste ich das Manuskript über eine Woche liegenlassen, um es mit frischen Augen zu betrachten und mir sagen zu können: „Ja, es lohnt sich. Viele Themen sind so noch nicht in der Impro-Literatur besprochen worden.“
Was ich auch immer wieder als Herausforderung empfinde: Wie sehr lässt man den eigenen Impro-Geschmack einfließen? Das Problem dabei ist, je klarer man hier die Kante setzt, umso dogmatischer wirkt es. Ich habe aber in meinen Büchern (und so auch in diesem) immer wieder versucht, deutlich zu machen, dass Improtheater Dutzende von Ansätzen ermöglicht: Von trashigem Impro-Game bis zur subtil aufgeführten Langform, von flotter Comedy bis ruhigem Melodram. All das ist legitim und bedarf unterschiedlicher Herangehensweisen.
Ich hoffe, dass ich auch mit diesem Band Impro-Spielern helfen kann, ihren Weg zu finden. Über Feedback jeder Art (hier oder anderswo) freue ich mich wie immer.
Die Magie der Szene
In meiner Reihe „Improvisationstheater“ erscheint in den nächsten Tagen der neuste Band „Die Magie der Szene“.
Ich hoffe, es macht euch Spaß, dieses Buch zu lesen. Wie der Titel nahelegt, ergründe ich hier die Techniken, die improvisierte Szenen faszinierend machen. Vom Szenen-Anfang bis zum Ende. Von der Frage des Rechtfertigens bis hin zu heiklen Situationen. Vom Verhalten im Off bis zu Solo-Szenen.
Sobald das Buch im Laden, im Online-Shop oder hier zu kaufen ist, gebe ich Bescheid. Bis dennewitz.
Anthony Hopkins: Monster spielen
ZEIT: „Welches Verhältnis hatten Sie zu Hannibal the Cannibal?“
Anthony Hopkins: „Am Anfang gibt es diese Szene, in der Jodie Foster erfährt, dass sie auf Hannibal Lecter angesetzt wird. Und auf ihre Frage, was das für ein Typ sei, sagt ihr Gegenüber mit erschauernder Stimme: ‚Er ist ein Monster‘. Damit ist das Publikum schon vorgewarnt. Und als mich Jonathan Demme fragte, wie ich mich als Hannibal Lecter zum ersten Mal vor der Kamera präsentieren wollte, sagte ich: ‚Ich will einfach nur dastehen. Denn ich kann sie riechen, wie sie im Flur auf meine Zelle zugeht.'“
ZEIT: „Das heißt, man sollte Monster am besten so beiläufig wie möglich spielen?“
A.H.: „Man muss sie so spielen, als wären sie gute Freunde. In meinem Leben bin ich ein paar wirklich verrückten Menschen begegnet, und das Erschreckende war stets, dass sie so unglaublich normal wirkten.“
Den Helden verstehen
„You go to a movie. You identify the hero. You figure out what the hero wants – poof! you’re the hero. And the way that works is: You don’t look at the hero and think about what he’s doing and evaluate it emotionally and then feel it. What you do is: You specify the hero’s goal and then you map him onto your body and you read off the emotional responses of your own body, and that’s how you understand the hero.“ (Jordan Peterson)
Muss Improtheater lustig sein (Video)
Gibt es Regeln im Improtheater?
Impro studieren, Schauspiel & Impro, Buchempfehlung
Wer/Wo/Was als Regel im Improtheater?
Als Antwort auf mein Video „Was tun beim Blackout?“ fragte mich Reinhard, ob nicht Regeln wie die, dass man rasch das Wo/Wer/Was klären solle oder dass Storys einen Anfang, ein Problem und eine Lösung bräuchten, nicht hinderlich seien für die Improvisation.
Ich habe darauf drei Antworten.
1. Sinn der Regeln
Schauen wir uns zunächst einmal an, was diese Lehrsätze überhaupt für einen Zweck haben: Die meisten Impro-Spieler wollen, sobald das Stadium des unmittelbaren Impro-Games überschritten haben, freier spielen und zumindest kleine, sinnvolle Geschichten improvisieren. Das kann gut gehen, wenn die Improvisierer ein gewisses Gespür für Storys mitbringen oder sich zumindest schon mal theoretisch mit Storystrukturen beschäftigt haben. Falls nicht (und das ist nach meiner Beobachtung bei mindestens der Hälfte aller Impro-Schüler der Fall), brauchen wir ein paar Handreichungen. So wirken Szenen oft lahm und blutleer, wenn die Akteure im Nichts agieren, wenn sie nicht wissen, in welcher Beziehung sie zueinander stehen oder unklar ist, wo sie sich befinden. Sie scheuen dann davor zurück, auch nur ein Objekt physisch zu etablieren, das den Ort klarmachen würde (etwa Hand ins Weihwasserbecken tauchen und sich bekreuzigen) oder das Gegenüber anzusprechen (etwa: „Herr Pfarrer“). Wenn aber Spieler davor zurückschrecken, schon diese simplen Gegebenheiten zu etablieren, werden sie meist auch andere Details im Vagen lassen, anstatt sie zu spezifizieren. Das Allgemeine ist aber der Feind der Kunst, das Spezifische ihr Freund.
2. Verlust des Moments
Wenn man als Impro-Spieler solche Regeln bekommt, kann sich das Spielen zunächst etwas steif anfühlen. Man verliert manchmal den Moment, da man ja an die Regel denkt. Das spricht aber zunächst noch nicht gegen die Regel. Denn alles, was ungewohnt ist und unsere Gewohnheiten verändert, braucht Übung und kann zum Stocken führen. So spielen manche Anfänger bisweilen mit dem Rücken zum Publikum, und man muss sie öfter darauf hinweisen, dass sie so nicht gesehen werden. Beim Klavierlernen gibt es für Anfänger recht bald einen Punkt, an dem sie Fingersätze lernen müssen, was sich auch erst mal „künstlich“ anfühlt. Aber paradoxerweise wir brauchen diese Hinweise, um freier spielen zu können. (Übrigens ist jedes Impro-Game mit einer Regel versehen, die uns in irgendeiner Weise einschränkt. Aber gerade diese Einschränkung ist es oft, die die Kreativität zum Fließen bringt.)
3. Ohne Regel
Haben wir diese Freiheit erlangt, können wir die Hilfsmittel auch wie Krücken von uns werfen. Wenn man um die Wirkung weiß, kann man sich dann zum Beispiel bewusst mit dem Rücken zum Publikum wenden. Und um zum Thema zurückzukommen: Wenn man bereit und in der Lage ist, jederzeit zu definieren und spezifisch zu sein, mit Emotionen, Situationen, Figuren usw. zu spielen, dann kann man auch auf das Wo/Wer/Was als starre Regel verzichten und darauf vertrauen, dass durch die Art, wie wir miteinander spielen, sich die Beziehung schon klären wird, dass durch unsere Körperlichkeit in einem bestimmten Setting sich der Raum auch schon klären wird. (Um ein prominentes Beispiel zu geben: In der Auto-Szene in Pulp Fiction sehen wir nur Jules und Vincent, die miteinander plaudern. Sie scheinen befreundet zu sein, aber erst nach zwei Minuten erfahren wir, dass sie Auftragsmörder sind.) Das Impro-Duo TJ & Dave hat übrigens die Methode, ohne Plattform zu starten, popularisiert: In der fokussierten Wahrnehmung des Gegenübers, entsteht wie von selbst ein Gefühl dafür, wie nah oder fern man zueinander steht (soziale Beziehung) und dafür, ob die Situation emotional aufgeladen oder entspannt ist.
Ich bin also nicht unbedingt dafür, das Wer/Wo/Was komplett aus dem Curriculum zu streichen, aber ich denke, wir sollten diese wie auch andere Regeln nicht dogmatisieren.
Impro-Fragen: Was tun, wenn man nicht mehr weiter weiß?
In den kommenden Wochen möchte ich hier einige Fragen von Impro-Spielern, Impro-Schülern und Interessierten beantworten.
Die erste Frage lautet: „Was machst du, wenn du auf der Bühne nicht mehr weiter weißt?“
Drei Regeln des Duos Joko & Klaas
(Vorbemerkung: Ich werde anscheinend immer mehr bei Medien und Technik zum Spät-Adaptierer. Um Podcasts habe ich immer einen großen Bogen gemacht, und nun bin ich ganz gefangen von Baywatch Berlin, ein Podcast den ich rückwärts höre. Inzwischen bin ich beim Oktober 2020 angekommen. Er ist wunderbar improvisiert, mit genau dem richtigen Mix aus Fokus und Abgedrehtheit, den wir in den besten Momenten auch bei der Chaussee der Enthusiasten hatten. Ende der Vorbemerkung)
Klaas verrät die drei Regeln des Duos Joko & Klaas:
1. Ein-Mann-Veto: Man macht nichts gemeinsam, was einer nicht will.
2. „Alabama“: Das Safe-Word für abgefahrene Aktionen.
3. Keine Verbesserungsvorschläge. Diese Regel bezieht sich, wenn ich es richtig verstanden habe, darauf, sich bei Fernsehproduktionen auf die Rolle des Performers zu beschränken und sich nicht in die Arbeitsbereiche einzumischen, die andere professionell betreuen, selbst wenn man genau sieht, dass man das beim nächsten Mal des besseren Effekts halber anders aufziehen müsste.