Regeln im Improtheater? Nein. Gewohnheiten!

Ich würde gern auf den Begriff „Regeln“ im Improtheater verzichten, wenn es um allgemeine Dinge wie „Akzeptieren“, „Zuhören“, „Unterstützen des Partners“ usw. geht. (Das bezieht sich nicht auf Spielregeln eines Impro-Games.)

Stattdessen schlage ich den Begriff „gute Gewohnheiten“ vor. Das ist keine Haarspalterei. Schaut mal: Improtheater kann eigentlich per definitionem keine Regeln haben. (De facto legt es sich viel zu viele formale Regeln auf.) Und wenn wir im Modus von „Regeln“ agieren, heißt das auch, dass man Regeln zu befolgen hat, dass man an sie denken muss, aber dabei verlieren wir den Moment. Im Gegensatz dazu müssen gute Gewohnheiten trainiert und internalisiert werden. Über Gewohnheiten muss man nicht nachdenken, man führt sie einfach aus. So wird z.B. jeder, der über einen langen Zeitraum improvisiert, wird automatisch die Angebote seiner Mitspieler akzeptieren, seine Wahrnehmung für sie öffnen usw.

Feedback in Improtheater-Gruppen

(Ergänzung: Diese Gedanken habe ich bearbeitet und weiter ausgeführt im Buch „Improvisationstheater. Band 8: Gruppen, Geld und Management


Szenario Eins: Die Show ist vorbei. Nicht enden wollender Applaus. Zugabe. Begeisterte Zuschauer. Im Backstage liegen sich die Spieler in den Armen. Das geht monate-, manchmal jahrelang gut, bis es irgendwann aus einer Spielerin herausplatzt: „Martin, warum musst du mich immer als deine alte Mutter anspielen! Und wieso blockierst du überhaupt andauernd alle meine Angebote!“ Der arme Martin weiß nicht, wie ihm geschieht, und ruckzuck, rutsch die gesamte Gruppe in eine Krise. Möglicherweise gibt es dann ein längeres gruppeninternes Gespräch, um den Riss wieder zu nähen, aber die Narbe bleibt.
Szenario Zwei: Die Show ist vorbei. Nicht enden wollender Applaus. Zugabe. Begeisterte Zuschauer. Im Backstage sitzen sieben deprimierte Spieler und schütteln die Köpfe: Wie konnte so etwas passieren? Jeder ist mit einem Teil der Show, einer bestimmten Szene, einem Game, einer improvisierten Entscheidung unzufrieden. Mit ernsten Gesichtern gehen sie schließlich aus dem Backstage nach draußen, wo sie vom Publikum unglaubliche Komplimente bekommen: „Ich habe so sehr gelacht, wie seit Monaten nicht mehr.“, „Ihr habt extrem gut zusammengespielt. Und großartige Storys hervorgebracht!“ Die Spieler antworten: „Ach, heute war es eigentlich nicht besonders.“
Zunächst einmal: Auch nach Shows, die eurer Meinung nach nicht gut gelaufen sind: Vergesst nie, weshalb ihr improvisiert – zur Freude des Publikums, zur Freude eurer Mitspieler und zu eurer eigenen Freude! Wenn euch Zuschauer loben, bedankt euch. Niemand hat etwas davon, wenn ihr die Freude der Zuschauer im Nachhinein relativiert.
Die Frage ist: Wie vermeiden wir die beiden Szenarien? Wie verhindern wir, dass sich das Ensemble auseinanderentwickelt? Wie halten wir „die Band“ zusammen? Wie können wir die Show selbst als Antrieb unserer künstlerischen Entwicklung nutzen?
Die Antwort ist: Gebt einander Feedback!
Wenn man sich regelmäßig Feedback gibt, bekommen sowohl die Einzelspieler als auch die gesamte Gruppe die Möglichkeit, sich zu entwickeln. Kleine Gewohnheiten entwickeln sich sonst zu üblen Macken, die schwer abzutrainieren sind. Und die Gruppe leidet dann auf der Bühne und nach der Show.
Das ideale Feedback
Die ideale Situation habt ihr, wenn es einen Trainer bzw. Regisseur gibt (1), der sich während der Show Notizen macht (möglichst in einer der hinteren Reihen, wo ihr nicht jedes Mal seht, wenn er zum Stift greift) und direkt nach der Show Feedbacks gibt. Dabei können folgende Fragen eine Rolle spielen
        Wie hat die Show aufs Publikum gewirkt? Habt ihr die Zuschauer erreicht?
        Hat die Show/das Format als Ganzes funktioniert?
        Was waren schöne Momente des Miteinander?
        Schöne Spielzüge jedes einzelnen Spielers.
        Kritische Anmerkungen.
Das Positive sollte insgesamt für die Gruppe und auch für die einzelnen Spieler überwiegen. Damit meine ich nicht nur, dass es darum geht, eine nette Atmosphäre herzustellen. Sowohl für den Einzelnen als auch für die Gruppe ist es wichtig, das Positive und die Leistungen zu kennen und zu wissen, worauf man aufbauen kann, was gewissermaßen als Fundament dient. Kritik zeigt mir, woran ich arbeiten kann. Wenn wir also hören, dass die einzelnen Szenen gut waren, wir sehr gut aufeinander eingegangen sind und schauspielerisch brilliert haben, dann können wir gleichzeitig mit heiterer Gelassenheit den kritischen Punkt aufnehmen, dass unsere Show durch die zu schnellen Szenenwechsel etwas hektisch wirkte und an diesem Punkt heiter und entschlossen bei der Probe arbeiten.
Der Trainer kann, wenn die Zeit es erlaubt, Raum geben für persönliches Feedback und Fragen der Spieler. Wichtig dabei: Verzettelt euch nicht. Es kann genügen, festzustellen, dass sich Carola in der Eiscafé-Szene von Sven blockiert fühlte. Wir müssen nicht alle unseren Senf dazu geben, ob Sven wirklich blockiert hat oder ob Carola mit dem Blockieren hätte kreativer umgehen können. In der Ideal-Situation bestimmt der Trainer, wie lange die Diskussion geht. Wesentlich länger als 10 Minuten sollte das Nach-Show-Feedback nicht sein, sonst entsteht schnell das Gefühl, die Show wird zerredet.
Etwas ausführlicheres Feedback mit anschließendem Training ist auch bei der nächsten Probe möglich, die idealerweise gleich am nächsten Tag stattfindet (da sind die Eindrücke und Erinnerungen noch einigermaßen frisch).
Dummerweise ist die Ideal-Situation oft nur schöne Fantasie. Viele Gruppen arbeiten ohne Trainer oder Regisseur und funktionieren demokratisch, die nächste Probe ist erst in sechs Wochen, und überhaupt können Sven und Carola, die heute gespielt haben, bei der Probe nicht mitmachen.
Diese Hindernisse sollten euch aber nicht davon abhalten, einander Feedback zu geben.
Wenn ihr ohne Trainerarbeitet, kann es sich lohnen, vor allem in großen Gruppen, festzulegen, wer gerade den Hut aufhat, quasi als Interims-Coach. (2) In solchen Gruppen ist es noch wichtiger, auf positive Atmosphäre zu achten, da meist alle involviert sind und eine negative Gesprächsführung eine fatale Eigendynamik entwickeln kann, die der Sache nicht angemessen ist.
Betont also als erstes, was euch gefallen hat. Lobt vor allem auch diejenigen Mitspieler, die ihr zu kritisieren gedenkt. Betont die Ich-Perspektive. Diese positive Grundhaltung ist nicht nur für die Gruppe, sondern für euch selber auch wichtig. Ein allzu kritischer Blick verzerrt manchmal die Perspektive. Und denk daran: Deine Sicht ist zunächst mal nur deine Sicht. Bleib bescheiden gegenüber der Gruppe, den Mitspieleren, der Kunst.
Also statt „Deine Angebote in der Bahnhofs-Szene waren total wirr und unklar“, lieber: „Ich konnte mit deinem blinden Angebot in der Bahnhofs-Szene nichts anfangen. Es würde mir vielleicht leichter fallen, wenn du manchmal einen gemimten Gegenstand auch benennst.“
Kontraproduktiv und unter der Gürtellinie: „Üb du erst mal Pantomime. Aus deinem ständigen Gehampel wird doch keiner schlau.“
Wenn es also in der Gruppe den Konsens gibt, dass wir einander nicht beschuldigen, dann können wir einen Schritt weiter gehen, hin zu der Grundannahme, dass die Kritik meiner Mitspieler nie als Beschuldigung oder Anfeindung gemeint ist. Wenn dir also ein Feedback zu negativ oder gar verletzend erscheint, bitte deinen Mitspieler einfach, es noch einmal anders zu formulieren.
Jede Gruppe muss ihre eigenen Regeln finden. Um das sensible Gruppengewebe nicht zu belasten, kann man z.B. auch darauf verzichten, überhauptpersönliches Feedback zu geben, sondern es sich zur Regel machen, eher grundsätzlich zu formulieren. „In der Szene an der Tankstelle sind wir nicht richtig zusammengekommen.“
Nehmt persönliches Feedback an, auch wenn ihr vielleicht im konkreten Falle nicht viel damit anfangen könnt. Wenn du meinst, du hast Stephan nicht blockiert, dieser das aber so als Feedback an dich formuliert, dann können ja zwei Wahrheiten durchaus nebeneinander stehenbleiben. Wenn du aber ähnliches Feedback mehrmals und von verschiedenen Seiten hörst, dann könnte es sinnvoll sein, am beschriebenen Verhalten durch Fokus und/oder Training etwas zu verändern.
Seid euch auch in euren Feedbacks darüber im Klaren, dass Improvisation die Möglichkeit des Scheiterns mit sich führt. Auch (und gerade) große Formate können danebengehen, und auch deren Scheitern müssen wir umarmen können.
Seid großzügig. Improtheater zu spielen ist eine komplexe Handlung. Nicht jeder ist immer und auf allen Handlungs-Ebenen zu 100 Prozent auf der Höhe seines Könnens. Habt das gemeinsame Ziel vor Augen (das ihr in der Improvisation sowieso nie ganz erreichen werdet). Wenn klar ist, dass ihr dasselbe wollt, dann ist Scheitern auch leichter zu ertragen, sowohl das eigene als auch das der anderen. Wenn ihr hingegen merkt, dass es tatsächlich unterschiedliche Auffassungen über eure künstlerischen Ziele gibt, dann vertagt diese Diskussion, statt das Show-Feedback damit zu belasten.
Manchmal kann es sinnvoll sein, ein Feedback an die gesamte Gruppe (d.h. inklusive sich selber) zu adressieren, etwa: „Ich habe das Gefühl, dass durch unseren Fokus auf die Storys zur Zeit die Charaktere auf der Bühne etwas flach geraten.“ Haltet mit so etwas nicht hinterm Berg. Aus solchen Gedanken können gute Proben entstehen.
Haltet das Feedback kurz! Man kann sich auf Proben schön verzetteln mit Fragen, wie wer welche Szene gesehen hat. Bleibt knapp und klar. Behaltet die Zeit im Auge.
Feedbacks unmittelbar nach der Show
Wenn es irgendwie möglich ist, dann gebt euch wenigstens ein kleines Feedback unmittelbar nach der Show.
Wichtigste Regel hier: Feedback stets ohne Publikum! Das sollte eigentlich klar sein, aber ab und zu habe ich’s dann doch erlebt, dass sich Spieler dazu verleiten lassen, mit Zuschauern nicht nur Szenen revuepassieren zu lassen, sondern ihre Mitspieler zu kritisieren. Abgesehen vom seltsamen Eindruck, den das hinterlässt, tut es auch dem Vertrauen innerhalb der Gruppe nicht gut. Künstlerisches Feedback braucht einen geschützten Raum.
Unmittelbar nach der Show sollte das Feedback extrem knapp sein. Schließlich wollt ihr ja auch noch mit euren Freunden aus dem Publikum reden, ein Bier an der Bar trinken usw. Wenn ihr nichts Konkretes zu sagen habt, dann belasst es bei „Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, mit euch zu spielen.“
Gebt euch keine Feedbacks in den Pausen. Die Pause in einer Show ist auch für euch zur Erholung und zum Fokussieren auf den zweiten Teil. Eine Kritik hingegen, auch wenn sie emotional abgleitet, bleibt doch im Kopf hängen und kann das Spiel im zweiten Teil stören. Nutzt lieber kleine Warm-Up-Spiele, um für den zweiten Teil in eine gute Stimmung zu kommen. Wenn ihr merkt, dass der erste Teil etwas lahm war, könnt ihr euch in der Pause noch mal einen Energie-Schub geben mit einem physischen Spiel. Oder wenn du persönlich das Gefühl hast, mit einem der Spieler nicht recht zusammengekommen zu sein, dann schlag ihm eine gemeinsame kleine Synchro oder ein „Aus-einem-Mund“ als Warm Up vor.
Wertet niemals vor einer Show die letzte Show aus. Das kann wirklich runterziehen. Schaut vorwärts.
Spezialfall der sehr großen Gruppe
Wenn ihr in einer sehr großen Gruppe arbeitet (ich spreche hier von 12 oder mehr Mitgliedern eines Ensembles), dann könntet ihr vor dem Problem stehen, den künstlerischen Kompass zu verlieren, da die einzelnen Spieler zu verschiedene Bedürfnisse haben. Wichtig bleibt aber, dass ihr beim Feedback eine Sprache sprecht. Also braucht ihr entweder regelmäßige Treffen, in denen ihr euch über den Kurs des Ensembles verständigt oder ihr legt euch auf einen künstlerischen Leiter fest, dessen Funktion sich auch zeitlich beschränken kann (z.B. auf ein Jahr).
Spezialfall des Duos
Der Vorteil eines Duos besteht darin, dass man sich sehr gut kennt, sich schnell aufeinander einspielen kann. Duos haben sich oft schon gefunden, weil zwei Schauspieler gemerkt haben, dass der jeweils andere eine ähnliche Vorstellung vom Umzusetzenden oder Umsetzbaren hat. Oft verstehen zwei Spieler, die lange miteinander improvisieren, einander irgendwann fast blind. Aber genau diese wertvolle Nähe und dieses großartige Einverständnis kann zum Problem werden, wenn das Duo betriebsblind wird.
Auch für Duos sind künstlerische Feedbacks wichtig. Das kann durchaus sparsam betrieben werden. Ein Duo kann viel eher auf das Funktionieren oder Nicht-Funktionieren von gemeinsamen Momenten referieren. Aber dem Duo fehlt ein spezifisches Element, nämlich die kritische Außensicht. Selbst bei einem Trio gibt es, zumindest in Zweierszenen, wenigstens einen Dritten, der ab und zu nicht auf der Bühne steht und das ganze etwas objektiver beurteilen kann. Ich kann Duos nur raten, sich ab und zu Feedback von außen zu holen. Hört auf das, was euch Kollegen sagen, hört auf eure Techniker und eure Musiker. Achtet auf kritische Stimmen aus dem Publikum, gerade wenn sie selten sind.



(1)Ein Trainer oder Regisseur ist weniger involviert als Mitspieler, die sich untereinander Feedback geben und voneinander Feedback bekommen.
(2)Selbst in Gruppen mit Regisseur oder künstlerischem Leiter kann diese Methode sinnvoll sein: Unterschiedliche Feedback-Geber haben unterschiedliche Perspektiven auf Show, Storys, Szenen und Spieler. 
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Freiheit und Grenzen beim Storytelling

Man kann sich die Optionen beim Storytelling wie bei einer umgekehrten Pyramide oder einem Trichter vorstellen: Zu Beginn ist praktisch alles möglich. Wir assoziieren frei und wild. Je mehr aber bereits etabliert ist, umso mehr sind die Möglichkeiten limitiert.
Das beginnt bereits mit dem ersten Angebot. Ich etabliere meinen Mitspieler als „Papa“, dann ist er eben nicht der Pizza-Bote oder der Papst. (Es sei denn, die Story geht genau um einen Typen, der nicht weiß, dass sein Vater der Papst ist oder der Pizza-Bote eigentlich sein Vater.)
Je mehr wir voranschreiten, umso eher sollten wir das bereits Etablierte im Auge behalten. Wir müssen praktisch nur noch einsammeln und verknüpfen.
Wenn Improvisierer gar am Ende noch „erfinden“, wirkt die Story für uns als Zuschauer konstruiert. Das beste Rezept für ein schlechtes Ende: Einfach Aliens einführen, die die ganze Zeit am Werk waren (z.B. im Film „The Forgotten“).

Marina Abramovic – To be an artist, to be present

[Transcript]

„How do you know, you’re an artist? That’s the main question. (…) It’s like breathing. (…) So if you wake up in the morning and you have some ideas and you have to make them and it has become some kind of obsession that you have to create, and you have this urge to create, you’re definitely an artist. You’re not a great artist, you’re an artist. To be a great artist, there are all different kind of rules…“

„The great astists have to be ready to fail which is something not many people do. Because if you have success, then the public accepts you in a certain way, you start somehow involuntarily reproduce the same images, the same type of work. And you’re not risking. Real artists always change the territories. They go to the land where they’ve never been. (…) And there you can fail. That failure actually is what makes this „extra“. The readiness to fail is what makes great artists.“

„As a young one, if you want to be famous and rich, you just can forget about it. It’s not a good idea being an artist. The money and the success is not the aim. It’s just a side effect.“

„I had an old pfrofessor whom I loved very much. He gave me two advices. He said: If you’re drawing with your right hand and you’re getting better and better, and you become vituous, you can do it with closed eyes, you can draw anything you want, the immediately change to the left hand. That was an important advice, because if you become ‚routine‘, that’s the end of everything. And the second great advice, he said to me: ‚In your life time you’ll probably have one good idea, if you’re a really good artist. And if you’re a genius, two good ideas, and that’s it. But be careful with them.“

„When I was young I had a lot of ideas, but they weren’t linear. So I never developed a certain style that would be recognized. So I had this obsession about one thing, and I had to do it. And mostly I would do the work I’m afraid of. If I’m afraid of an idea, this is exactly the point I have to go to. If you do the things you like, you never change, there is nowhere. You will always do the same shit again and again. But if you do things that you don’t know, that you’re afraid of, something really different, then it’s really important to go to that different pattern. (…)
One of my exercises for my students: For three months they had to buy hundreds of sheets of paper and one rubbish can. And every day the will sit on the chair and write good ideas. And the ones they like, they put on the left side of the table, and the ones they don’t like they put in the rubbish. And after three months, they all want to present the good ideas. I’m totally not interested in good ideas. I just took the rubbish cans. And every single idea was incredible, the ones you reject, the ones you don’t want to deal with.“

„It’s also interesting which media you should use. You may be a painter, and if you want to be a performer it doesn’t work. (…) You have to know which tool is best for your expression. So for me, to recognize a good performance artist is really simple: The idea can be totally shit, the execution can be wrong, but it’s just the way how he stands, and that’s it. In the space, you know, how you occupy physically the space, and what that standing does to everybody else looking at that person. That kind of difference really makes the difference. It’s a certain energy. You recognize it right away. And you can learn how to execute things, ideas and all the rest. But it’s about energy you cannot learn. You have to have it. It’s just there, when you’re born.“ [Here I would disagree. I’ve seen students freeing themselves from their own limitations, gaining an extraordinary stage presence. – DR]

„One of the lectures [lessons??] of Robert Wilson when I was doing the theater piece with him. He was saying to the actors and to me: „When you’re standing in one place and you take it to the next movement, you’re not present.“ So this is an incredibly important lesson. When you’re standing in one place, you can’t think of the next step. The next step has to come with your body and mind together. Otherwise you’re missing that moment of presence. So, it’s a hard thing to do, but it’s quite important. There are lots of exercises how to learn that presence.“… Weiterlesen

Arbeitsroutinen von Künstlern XVIII – Der Spaziergang

Der Spaziergang scheint für viele kreative Geister – für Schriftsteller und Musiker mehr als für Maler und Wissenschaftler – ein wichtiger Teil der Tagesroutine zu sein. Sowohl Schriftsteller als auch Musiker müssen den inneren mit dem äußeren Rhythmus harmonisieren. Was ist damit gemeint? Ein Schriftsteller kann eine Grundidee für ein Buch, eine Story, ein Kapitel aus einem Roman im Kopf fertig haben. Ein kreatives Problem besteht aber darin, dass der Prozess des Schreibens mit dem Prozess des Denkens in Einklang gebracht werden muss. Jeder hat schon mal das Gefühl gehabt, dass man nicht so schnell schreiben kann wie einem die Gedanken in den Kopf schießen. Oder auch umgekehrt: Der Schreib-Impuls ist da, aber die Gedanken können nicht mithalten. Ersteres führt zu Schludrigkeiten des Ausdrucks, zweites zu Schreibblockaden.
Spazieren kann den nervösen Geist beruhigen und den lahmen Geist auf Trab bringen. Da wir mit dem Spazieren kein bestimmtes Ziel haben, bleibt der Geist auch eher bei uns als Pflichten nachzuhängen. (Es wäre also Quatsch, einen Künstler-Spaziergang mit Erledigungen zu verknüpfen.)
Spazieren ähnelt in manchem der Gehmeditation. Aber anders als bei dieser erlauben wir unserem Geist zu fliegen: Man kann einen Gedanken eher vorantreiben als auf dem Sessel.
Aber auch zielloses Rumspinnen funktioniert beim Spaziergang eher als beim Spiegeleier-Braten. Dieses ziellose Denken, für das Künstler ja oft gehänselt oder belächelt werden, ist aber ein entscheidender Teil des kreativen Prozesses. Die Impulse, die wir täglich aufsammeln, müssen in unserem Hirn verarbeitet werden, müssen die Möglichkeit haben, sich neu zusammenzusetzen (ähnlich, wie es in Schlafträumen geschieht). Wir brauchen die Möglichkeit, auch Unbrauchbares, Unmögliches zu denken. Der Künstler ist schließlich kein Sachbearbeiter.

***

Fortsetzung der Lektüre Daily Rituals. How Great Minds Make Time, Find Inspiration, and Get To Work

Sergej Rachmaninow (1873-1943)
2 Stunden Üben
4 Stunden Komponieren.
Zeit-Mangel empfand er nur beim Komponieren.

Wladimir Nabokow (1899-1977)
Die Erstentwürfe seiner Romane schrieb er auf Karteikarten, die er in langen Karteikästen aufbewahrte.

Diese Kästen dienten ihm auch als transportable Schreibtische.
Als junger Mann schrieb er vormittags, dabei kettenrauchend.
Später: Aufwachen am Morgen, meist geweckt durch eine Dohle vorm Balkon. Im Bett bleibend – Nachdenken.
8 Uhr Aufstehen, Rasieren, Frühstück, Meditation, Badezimmer.
Mittag gegen 13 Uhr.
Weiterarbeiten ab 13:30 Uhr bis 17:30 Uhr.
Zeitungen. Abendessen 19 Uhr, danach keine Arbeit mehr.
Zu Bett gegen 21 Uhr, dann lesen bis 23:30 Uhr!
Kampf gegen Schlaflosigkeit bis 1 Uhr.
Hobbys: Fernsehen (selten für regelmäßig erfolgreich arbeitende Schriftsteller), Sonnenbaden, Erstellen von Schachrätseln!

Balthus (1908 – 2001 !!)
9:30 Uhr Frühstück
Danach ins Studio, das außerhalb des Dorfs lag.
„Ich habe stets beim Arbeiten geraucht. (…) Ich verstand intuitiv, dass das Rauchen meine Konzentrationsfähigkeit erhöhte und mir erlaubte, in die Leinwand einzutauchen.“
[Sicherlich hätte er es auch anders geschafft, sagen wir, mit einem Lolli, wenn er diese Gewohnheit nicht schon seit seiner Jugend gehabt hätte. Und fast scheint es mir unverantwortlich, dieses Zitat im Zusammenhang mit dem von ihm erreichten hohen Lebensalter aufzuschreiben. Aber so ist das Leben. Und ich vermute, dass sein hohes Alter seiner andauernden Bewegung und seiner Arbeit zuzuschreiben ist.]
Exkurs:
Regionen, in denen die Lebenserwartung extrem hoch ist, beunruhigt mich. Zusammengefasst, sind die Voraussetzung diese:
– andauernde Freundschaften
– geerdete Spiritualität
– überwiegend vegetarische und vielseitige Ernährung,
– natürliche Bewegung, d.h. die alltäglichen Handlungen sind bewegungsreich
– täglicher Lebenszweck – ein täglicher Grund, warum man aufsteht
– tägliche Ruhepause
– gute Familienbeziehungen und -traditionen
– mäßig essen und wenig Alk
– sich in gute Gesellschaft begeben.
(s. Dan Buettner)

16:30 Rückkehr ins Landhaus.
20 Uhr Abendesssen.
Danach Lesen oder Fernsehen.… Weiterlesen

Arbeitsroutinen von Künstlern XVII – Parks und Bibliotheken

Fortsetzung der Lektüre „Daily Rituals. How Great Minds Make Time, Find Inspiration, and Get To Work“

Wenn die Idee so stark ist, dass sie sich fast von alleine bewegt, dass es praktisch nur noch ein Niederschreiben ist, dann kann auch ich fast überall schreiben (ggf. mit einem ordentlichen Paar Ohrstöpsel). Aber wenn das Pflänzchen noch zart ist, der Gedanke auf den Weg gebracht werden muss, dann ist fast jeder Ort eine Zumutung. Im Sommer habe ich mich manchmal in den Park oder den Wald zurückgezogen, um zumindest die ersten Abschnitte per Hand zu schreiben. Den Rest vervollständigte ich per Laptop zu Hause.
Interessant, dass bis auf Karl Marx keiner der hier beschrieben Autoren öffentliche Bibliotheken als Schreibort nutzte. Eigentlich seltsam. Stille wird hier noch mehr als Konvention akzeptiert als „Kein Schweiß auf Holz“ in der Sauna. Vielleicht ist ja genau das das Problem: Man kann es sich nicht richtig gemütlich machen in der Bibliothek, das Sich-Ausbreiten kann von anderen eventuell als Zumutung empfunden werden. Man kann den Text nicht mal laut für sich lesen. Kaffee ist nicht überall erlaubt. Und schließlich war das Schreibgerät des 20. Jahrhunderts – die Schreibmaschine – wohl das Letzte, was in einer öffentlichen Bibliothek erwünscht war.

***

Mark Twain (1835-1910)
Seine schaffensreichsten Phasen hatte Twain während der Sommer der 70er und 80er Jahre auf der Quarry Farm in Upstate New York, vor allem seit man ihm ein Schreibhäuschen (da ist es wieder) gebaut hatte.

Nach herzhaftem Frühstück sofort ins Arbeitszimmer, wo er bis 17 Uhr ununterbrochen arbeitete. Danach Dinner.
Bei dringenden Fragen blies die Familie in ein Signal-Horn, so dass er entscheiden konnte, ob er seine Arbeit fortsetzte oder sich der Familie widmete.
Sonntags keine Arbeit!
Drogen: Konstantes Zigarre-Rauchen.
Verschiedene Mittel ausprobiert, um seine Schlaflosigkeit zu bekämpfen, bis er eines Tages ohne Mittel um 22 Uhr einschlief und dann nie wieder Mittel zu nehmen.
Alexander Graham Bell (1847-1922)
Als junger Mann kam Bell mit nur vier Stunden Schlaf aus und führte das Leben eines Workaholic. Zuliebe seiner Frau änderte er seine Lebensweise, konnte aber gewissen Arbeitsanfällen von Zeit zu Zeit nicht widerstehen.
Vincent Van Gogh (1853-1890!!)
Oft pausenloses Arbeiten von 7 bis 18 Uhr, ohne Essen.
Man beachte den frühen Tod durch Selbstmord (oder Unfall). Mir scheint, dass ungesunde Lebensweise der Künstler auch frühen Tod durch nicht-krankheitsbedingte Todesarten herbeiprovoziert.)
N.C. Wyeth (1882-1945)
Aufstehen 5 Uhr. Dann 90 Minuten Holzhacken!
6:30 herzhaftes Frühstück.
Verdauung während des Schreiben eines Briefs.
Dann an die Arbeit.
Schneller Arbeiter.
Mittag 13 Uhr, wenn die Arbeit gut lief.
Kinder durften nachmittags in sein Atelier, während er schweigend weiterarbeitete.
Georgia O’Keeffe (1887-1986!!)
Aufstehen in der Dämmerung. Feuer anmachen, Tee zubereiten. Wieder ins Bett, dem Sonnenaufgang zuschauen.
1/2 Stunde Morgenspaziergang, um Klapperschlangen auf dem Grundstück aufzustöbern und zu töten.
7 Uhr Frühstück
Arbeit bis zum frühen Abendessen um 16:30, unterbrochen vom Mittag.
So sehr sie alle anderen Tätigkeiten auch schätzte – das Malen war für sie eine Tätigkeit des Einklangs mit der Zeit.

Arbeitsroutinen von Künstlern XVI – vorläufiges Resümé

Fortsetzung der Lektüre Daily Rituals. How Great Minds Make Time, Find Inspiration, and Get To Work
Was lässt sich bis jetzt aus den Routinen der Schriftsteller herausdestillieren:

  1. Habe Routinen. Gleiche Aufstehzeiten, gleiches Frühstück, gleiche Bettzeiten usw. erleichtern es, den Kopf freizuhaben für die wirklich wichtigen Dinge.
  2. Schreib viel in einem Minimum an Zeit. 2-3 Stunden genügen schon. Das dann aber täglich.
  3. Spaziere entweder nach dem Frühstück oder nach dem Mittagessen.
  4. Alkohol lässt dich früher sterben.
  5. Soziale Verpflichtungen, Partys usw. auf ein Minimum reduzieren.
  6. Nickerchen zwischendurch.
  7. Schreib früh am Morgen oder nachts. In den Zeiten ist es am ehesten möglich, soziale Kontakte zu reduzieren.
  8. Wenn du nachts schreibst, dann nur wenn du jung bist und nur für deine ersten ein, zwei Romane, sonst gefährdest du deine Gesundheit und dein Sozialleben.
  9. Wenn du einen Brotjob hast, dann schreib entweder vor der Arbeit oder in der Mittagspause. Reinschrift und Korrekturen am Abend.
  10. Kein Fernsehen. Internet und Telefon beim Schreiben verbannen.
  11. Wenn du auf einem Landgut lebst, dann nutze das Gartenhäuschen.
***
Charles Darwin (1809-1883)
Vom Verfassen von „Der Ursprung der Arten…“ bis zur Veröffentlichung wartete Darwin Jahrzehnte, in denen er an seiner wissenschaftliche Reputation arbeitete, um sich später weniger angreifbar zu machen.
Fast mönchisches in Downhouse, Kent.
Frühstück allein, dann Spaziergang.
Arbeitsbeginn ab 8 Uhr: 90 Minuten.
Danach Post.
10:30-12 Uhr weiterarbeiten.
kurzer Spaziergang.
Mittag, Zeitung.
Nachmittags Briefe beantworten. (Er beantwortete jeden Brief!)
Dritter Spaziergang.
17:30 Ruhe, Abendbrot.
Danach Lesen, Backgammon.
22 Uhr Schlafen.
10 Kinder (die er ja auch irgendwie gemacht haben muss.)
Hermann Melville (1819-1891)
Schrieb täglich 6-8 Stunden.
Jeden Tag Feldarbeit auf seiner Farm, um sich vom Schreiben zu erholen.

Melvilles Farmhaus.
Leo Tolstoi (1828-1910)
„Ich muss täglich schreiben, nicht so sehr um die Arbeit zum Erfolg zu bringen, sondern um nicht aus der Routine zu kommen.
9 Uhr Aufstehen.
Frühstück: zwei rohe Eier! Das war das Einzige, was er bis zum Abend aß.
Schreiben zwischen 9:30 und 17 Uhr. In den späteren Jahren nur bis 14 oder 15 Uhr.
Seine Kinder haben unterschiedliche Erinnerungen daran, ob sie ihn unterbrechen durften oder nicht.
Pjotr Iljitsch Tschaikowski (1840-1893)
Erst im Alter von 45 Jahren (nach endlosen Touren) entwickelte Tschaikowski eine Tagesroutine, die er genoss, um ungestört arbeiten zu können.
7:30 Uhr aufstehen.
Frühstück, Tee, Rauchen, Bibellektüre, auch andere Werke. Das Lesen empfand Tschaikowski als Teil seiner Arbeit.
Erst Korrespondenz (die „unangenehme“ Tätigkeit), dann Komponieren (die „angenehme“).
Spaziergänge wurden aus Gesundheitsgründen peinlich, fast abergläubisch genau auf die Minute eingehalten.
Das Komponieren selber beschrieb Tschaikowski so: Es gehe darum, dem Samen der Inspiration günstige Umstände zu bereiten, aufzuplatzen und zu gedeihen. Alles andere, das Ausführen der Idee finde sich von selbst. (Hier scheint er völlig anders als Beethoven zu arbeiten.)

Arbeitsroutinen von Künstlern XV – Und was zählt eigentlich zur Arbeit?

Fortsetzung der Lektüre Daily Rituals. How Great Minds Make Time, Find Inspiration, and Get To Work

Im ersten Kapitel der Reihe zu den Arbeitsroutinen beschrieb ich den Anteil meiner verschiedenen Arbeits-Bereiche an der Gesamt-Arbeit.
Seit Mai führe ich nun dieses Zeitprotokoll und fast müsste ich mich gegenüber einem normalen Angestellten schämen, wenn ich gestehe, dass meine wöchentliche Arbeitszeit nur ca. 27 Stunden beträgt. Und ich weiß natürlich selber, dass ich auch Zeit verplempere. Andererseits: Führen nicht auch Angestellte Privattelefonate während der Arbeitszeit, erstellen Einkaufslisten, sind „mal kurz“ bei Facebook, gucken nach ihren Privat-E-Mails, erlauben sich ein Schwätzchen mit ihren Kollegen, dehnen die Raucherpause etwas länger aus?
Aber warum bescheißt man das eigene Unternehmen – sich selbst?

***

Friedrich Schiller (1759-1805)
Nachtarbeiter. Der ihn angeblich beflügelnde Duft verfaulender Äpfel ist so legendär, dass ich es schon kaum mehr glauben mag.
Sommers im Gartenhaus. (Da ist es wieder, das Gartenhaus, die Laube, der Pavillon. Das eigene Haus scheint für viele Schriftsteller ein schlechter Ort zum Schreiben zu sein.)
Weitere Drogen: Kaffee, Wein, Schokolade, Tabak und Schnupftabak.

Franz Schubert (1797-1828!!)
Einer der Junggestorbenen.
Arbeitete von 6 Uhr morgens bis 13 Uhr. Dabei andauerndes Pfeiferauchen. Komponierte nie nachmittags. Dann nämlich ins Kaffeehaus, Zeitunglesen.
Im Sommer Spaziergänge in den ländlichen Außenbezirken Wiens. Vermied trotz andauernder Geldnöte andere Arbeiten, wie Klavierunterricht. „Komponieren war für ihn die einzige Arbeit, die zählte.“

Franz Liszt (1811-1886)
4 Uhr morgens Aufstehen, auch nach übermäßigem Alkoholgenuss am Abend zuvor. Den ganzen Tag über Briefe beantworten und Musik ausprobieren.
Starker Alkoholkonsum am Abend.

George Sand (1804-1876)

Täglich ca. 20 Manuskriptseiten, die sie nächtens in einer Art schlaflosem Delirium verfasste. Zur Frage der Drogen meinte sie:
„Inspiration kann durch die Seele sowohl in einer Orgie als auch in der Stille des Waldes erfassen. Aber wenn es daran geht, den Gedanken eine Form zu verpassen, musst du – egal ob auf der Bühne oder in deinem Schreibzimmer – völlig Herr deiner selbst sein.“

Honoré de Balzac (1799-1850)
Er hat einen der seltsamsten Schlafrhythmen: 18 Uhr ins Bett, 1 Uhr Aufstehen und sieben Stunden lang Schreiben. (So kommt er auch auf seine sieben Stunden. Es wirkt auf uns ziemlich kurios, aber wenn man um 23 Uhr zu Bett geht und um 6 Uhr morgens aufsteht, hat man auch nicht mehr oder weniger vom Sonnenlicht des Tages.
8 Uhr ein 90-Minuten-Nickerchen, dann Weiterschreiben.
Massen an Kaffee. Kurz vorm Schlafengehen Besucher empfangen.

Victor Hugo (1802-1885)

Ab seiner Zeit in Guernsey auf den Kanalinseln verfolgte Hugo ein strenges Regime.
Früh aufstehen und zwei rohe Eier zum Frühstück, bis 11 Uhr Arbeiten.
Nachmittags Zeit für Briefe und Familie.

Charles Dickens (1812-1870)
7 Uhr Aufstehen
8 Uhr Frühstück
9 Uhr Schreiben. Totale Stille und Ordnung auf seinem Schreibtisch nötig. Kurze Mittagspause, in der er oft mechanisch dasaß und aß (was auch bei Picasso beobachtet wurde), da er noch von der Arbeit absorbiert war.
14 Uhr weiter schrieben.
Blieb bei seinem strengen Plan auch dann, wenn er statt der üblichen 2.000 Wörter kein einziges zu Papier zu bringen vermochte.

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Arbeitsroutinen von Künstlern XIV – Krankheit

Fortsetzung der Lektüre Daily Rituals. How Great Minds Make Time, Find Inspiration, and Get To Work
Letzte Woche musste ich, nachdem ich den  Montag mit guter Arbeits-Routine abgeschlossen hatte, eine Pause einlegen: In der Nacht packte mich ein furchtbares Fieber. Die Nachwirkungen waren noch bis Donnerstag zu spüren.
Krankheit ist wohl das Schlimmste, was unsere Arbeitsroutine stoppen kann. Entscheidend ist, rechtzeitig wieder anzufangen, und das Gammel-Leben des Kranken nicht in die gesunde Phase mitzunehmen. (Bei einem normalen Büro-Job geht das ja auch nicht.) Schwierig vor allem dann, wenn man nur halb auf den Beinen ist, vielleicht gerade mal eine halbe Stunde etwas lesen kann oder ein paar Mails beantworten und sich dann schon wieder ausruhen muss. Wichtig: Den Flow nicht abreißen lassen. Sich wenigstens ein paar Minuten am Tag Gedanken zum Thema machen, Notizen aufschreiben und vielleicht ein paar ausformulierte Sätze.

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Philip Roth (geb. 1933)
„Schreiben ist keine harte Arbeit, es ist ein Alptraum.“
Das wichtigste Herausforderung für den Schriftsteller, so beschrieb es Roth, liege darin, still zu sitzen in diesem extrem ereignislosen Geschäft.
Nach dem Frühstück Sport.
10-18 Uhr Schreiben in einer abgelegenen Hütte auf seinem 25 Hektar großen Grundstück in Connecticut.
1 Stunde für Mittagessen und Zeitung.
Lebt seit 1994 allein, ohne dass es ihn zu stören scheint.
Seine Ex-Frau Claire Bloom beschreibt ihn als „Psychopath, tablettenabhängig, voller Hass auf Frauen, paranoid, ein Sadist. Und krankhaft geizig.“ Als sie die Scheidung einreichte, verlangte er per Anwalt eine Entschädigung von 60 Milliarden (!) Dollar.
P.G. Woodhouse (1881-1975!)
7:30 Uhr Aufstehen und Calisthenics-Übungen.
Dann Frühstück mit Buch (Krimi oder Humor), Pfeife-Rauchen, Spaziergang mit Hunden.
9 Uhr Schreiben auf Schreibmaschine.
2.500 Wörter in jüngeren, 1.000 in späteren Jahren.
14 Uhr Mittagessen.
Nachmittags Fernsehserie.
Abendessen 18 Uhr mit Martini.
Edith Sitwell (1887-1964)
5:30 Uhr Beginn des Schreibens im Bett. Meist nur vormittags, manchmal auch den ganzen Tag bis zur Erschöpfung.
„Jede Frau sollte einen Tag pro Woche im Bett verbringen.“
Thomas Hobbes (1588-1679!!)
7 Uhr Aufstehen und Frühstücken.
Danach Morgenspaziergang, bei dem er meditierte. (Hobbes ist hier eine der wenigen bemerkenswerten Ausnahmen; denn die meisten Autoren unternehmen diese Spaziergänge eher am Nachmittag.)
Nach Heimkunft Notizen über die beim Spaziergang aufgekommenen Gedanken.
Mittag 11 Uhr. Dann Pfeife und halbstündiger Mittagsschlaf.
Am Nachmittag wurden die Gedanken des Vormittags ausformuliert.
Hübsche Marotte: Laut Singen vorm Schlafengehen, um die Lungen zu stärken.
John Milton (1608-1674)
4 Uhr Bibel Vorlesen lassen.
Danach Kontemplation und Verfassen von Versen im Kopf (Milton war in den letzten Jahrzehnten seines Lebens blind.)
7 Uhr Diktieren der erdachten Verse. Kam der Diener zu spät, beschwerte sich Milton, er müsse endlich „gemolken“ werden.
Danach wieder Vorlesen lassen.
Vormittags Spazieren im Garten.
Mittag.
Nachmittags und Abends Gäste.
21 Uhr Schlafen.
René Descartes (1596-1650)
Lange Schlafen. Aufstehen gegen 11 Uhr. Müßiggang sei wichtig für geistig tätige Menschen.
Nachmittags Spazieren und Konversationen.
Abends Korrespondenz.
[Wann verfasste er seine Werke?]
1649 wurde er an den Hof der schwedischen Königin gebeten, was er annahm. Er ahnte nicht, dass sein vorgeschriebener Tagesablauf Unterricht ab 5 Uhr umfasste. Einen Monat später war Descartes tot.
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)
Als junger Mann schrieb er den ganzen Tag. (Ergebnis laut eigener Aussage: Eine Druckseite. Was wohl heißen muss, dass er viel Zeit aufs Korrigieren verwendete.)
Im Alter nur morgens und auch nur wenige Zeilen.
Er weigerte sich außerdem, zu schreiben, wenn er uninspiriert war. Man möge das nicht forcieren.

Showmaster-Tugenden

Im Fernsehen wird unterschieden zwischen Talkshow-Mastern, Quizshow-Mastern und Unterhaltungsshow-Mastern.

  • Die Grundtugenden des Talkshow-Masters sind Zuhören, Zusammenfassen, Gespräche lenken.
  • Die Grundtugenden des Quizshow-Masters sind Knappheit und Klarheit.
  • Die Grundtugenden des Unterhaltungsshow-Masters sind Spritzigkeit, Überraschung, Schlagfertigkeit.

Unser armer Improtheater-Moderator braucht all diese Fähigkeiten gleichzeitig.

Publikums-Irritationen

In einem Hildebrandt-Nachruf der heutigen taz verweist der Autor auf den Kabarett-Theoretiker Henningsen, der Kabarett so definiert: „Kabarett [ist das] Spiel mit dem erworbenen Wissenszusammenhang des Publikums.“ (Henningsen, Theorie des Kabaretts 1967)
Im Grunde lässt sich das auch auf die Lesebühnen-Texte anwenden. (Obwohl es bei vielen Lesebühnen einen Anti-Kabarett-Reflex gibt, richtet sich der eher gegen das prätentiös-theatrale Element des Kabaretts, in ihrer Form müssen die Lesebühnen im Grunde wohl dazugerechnet werden.)
Und doch wird in viel zu vielen Texten von viel zu vielen Autoren mit dem Publikum gekungelt, der billige, auf Äußerlichkeiten oder Vorurteilen beruhende Witz wird mitgenommen. (Da reicht’s schon, wenn man „Merkel“ sagt oder den Zusammenhang „Latte Machiato – Prenzlauer Berg“ herstellt.
Meine Lieblings-Ausnahmen: Jochen Schmidt, Ahne, und der vor inzwischen sechs Jahren verstorbene Michael Stein.

(Ich könnte sicherlich noch 5-10 Namen nennen, aber dann wäre meine Liste weniger knackig, und die Leserin dieser Zeilen hätte weniger Gelegenheit, darüber zu spekulieren, wer diese anderen 5-10 sind.

Arbeitsroutinen von Künstlern XIII – Familie

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Wenn man sich die mit den Routinen einhergehenden Lebensweisen der Künstler betrachtet, fällt auf, in welch krasser Distanz einige Künstler zu ihren Familien leben: Thomas Manns Anweisung, die Kinder dürften nicht im Haus trappeln, Marx‘ Vernachlässigung von Frau und Kinder und Inkaufnahme von Krankheiten und Tod, die Zurückgezogenheit oder gar der Verzicht auf Familienleben, vor allem bei Schriftstellern erscheint, je nach Perspektive, romantisch oder erschreckend.
Das Problem scheint mir oft, dass man als Schriftsteller nicht ins Büro, ins Atelier oder ins Studio muss. Theoretisch kann man einfach am Küchentisch schreiben. Aber wer das mal versucht hat, weiß, wie schwierig das ist. Selbst das von Woolf geforderte „eigene Zimmer“ ist möglicherweise nicht genug, wenn man nicht die Möglichkeit hat, es abzuschließen, wenn die Kinder hereingepoltert kommen, wenn das Baby schreit oder auch nur die liebende Gattin fragt, wann man Mittag zu essen gedenke. Vor diesem Hintergrund erscheint die Lösung einiger Autoren, sich tatsächlich einen einfachen Büro-Job zu suchen und dann in den Mittagspausen zu schreiben, gar nicht mal so absurd. Einige Lesebühnen-Kollegen haben sich ein Büro gemietet, das sie mit anderen teilten. Ich habe aber noch nie gehört, dass in diesen Büros etwas längeres als eine Lesebühnen-Geschichte oder eine Kurz-Szene für einen Comedy-Sketch entstanden wäre. Denn andere schreibende Kollegen können einen genauso nervös machen wie die Frau. Wenn Büro, dann allein. Im letzten Winter hatte ich das Glück, in den Zeiten, da meine Frau das Kleinkind betreute, eine leerstehende Wohnung, in der es kaum etwas gab als ein Bett, einen Tisch und einen Stuhl gratis nutzen zu dürfen, ein Quasi-Teilzeit-Büro – leider mit WLAN-Verbindung.
So einsam aber die Tätigkeit des Schriftstellers ist, so verrät uns doch die Lektüre, dass sie nicht unbedingt familienfeindlich ist, da man viel mehr als 3-5 Stunden dieser produktiven Einsamkeit dann doch nicht braucht. (Vergleichen wir dies mit Film-Regisseuren, die durch die Gegend fahren müssen oder Musikern, die ständig an anderen Orten auftreten.) Viel beschäftigter als ein Büro-Angestellter ist man dann auch nicht. Und dass einsame Arbeiten zu Workoholismus verführen, ist bekannt.

Louis I. Kahn (1901-1974)
Unterricht an der Uni, nachmittags nach Hause. Abends wieder ins Büro, wo seine Arbeit an Entwürfen begann. Oft schlief er gleich dort.

George Gershwin (1898-1937)
Anfallsartiges Arbeiten, das meist am späten Vormittag begann und sich dann bis in den Abend zog.
Bemerkenswert: Auch er wartete nicht auf Inspiration, sondern arbeitete in der Hoffnung, dass einige Werke inspirierter sein würden als andere.

Joseph Heller (1923-1999)
Heller schrieb sein berühmtes „Catch 22“ in den Abendstunden nach der Arbeit. Er konnte sich keinen besseren Zeitvertreib vorstellen: „Ich kann mir nicht vorstellen, was Amerikaner abends taten, wenn sie keine Romane schrieben.“
Sehr langsamer Entstehungsprozess. Als er seinen Job aufgegeben hatte, lag er manchmal nachmittags im Bett und dachte stundenlang über den Roman nach.
Beim Schreiben hörte er Musik, vor allem Bach. (Eine Marotte, die wir hier bisher noch nicht gefunden haben. Wie konnte er sich dabei konzentrieren?)

James Dickey (1923-1997)
Arbeitete lange Zeit bei einer Werbe-Agentur, seine Gedichte schrieb er zwischendurch, bis sie ihn schließlich feuerten (trotz seiner guten Arbeit).

Nikola Tesla (1856-1943)
Als er für Edison tätig war, arbeitete er von 10:30 morgens bis 5 Uhr am nächsten Morgen. Später arbeitete er auch tagsüber mit runtergezogenen Jalousien.
Obsessionen: Sein Dinner im Waldorf-Astoria musste bestimmten Ansprüchen genügen, wie dem, dass stets 18 Stoff-Servietten bereit lagen, die er alle benutzte und deren Volumen er beim Aufstapeln berechnete.

Glenn Gould (1932-1982)
Hypochonder.
Verschloss sich oft und lange in seiner Wohnung. Machte zu seiner Hauptwachzeit, nämlich nachts, Telefonanrufe bei Freunden, die er zutextete.
Maximal 1 Stunde pro Tag üben.

Louise Bourgeois (1911-2010!!)
Ihr Leben, aber auch ihr Schaffen war von Schlaflosigkeit geprägt: Wenn sie nachts nicht schlafen konnte, stand sie auf und zeichnete auf Karton. Tagsüber arbeitete sie hart, ohne das Gefühl zu haben, etwas zu erreichen.

Chester Himes (1909-1984)
Früh aufstehen, großes Frühstück. Dann bis zum Mittag arbeiten. Danach Post. Wenn es gute Nachrichten sind, dann weiterarbeiten.
Keine Wörterbücher o.ä.
Zigaretten, Whisky, Fleisch.

Flannery O’Connor (1925-1964)
Im Alter von 26 Jahren wurde bei ihr die Erbkrankheit Lupus diagnostiziert. Ein regulärer Tagesablauf wurde für sie zur Überlebensstrategie.
6 Uhr aufstehen, Beten, Frühstück, Heilige Messe.
9 -12 Uhr schreiben.
21 Uhr Schlafen.

William Styron (1925-2006)
Schlafen bis Mittag. Denken bis 13:30 Uhr. Dann Mittagessen.
Besorgungen und Post am Nachmittag, womit er sich langsam in einen Arbeitsmodus begab.
Kein Alkohol beim Schreiben. Aber doch ab und zu, „um den Geist zu lockern“.

Arbeitsroutinen von Künstlern XII – Allein oder mit anderen kreativ werden

Impro-Kollegin Claudia Hoppe machte mich neulich in einem Kommentar darauf aufmerksam, dass bestimmte Formen der Kreativität sich eher im Gespräch entfalten. Das betrifft natürlich besonders Bereiche, in denen die Kreativität kooperativ entfaltet wird. Folgerichtig nehmen besonders Firmen aus dem IT-Bereich diesen Gedanken auf und schaffen kreative Zonen, quasi Spielbereiche. So entstehen Sphären, die im normalen Büro-Alltag bzw. der üblichen Büro-Anordnung nicht möglich gewesen wären. Bei Schriftstellern ist in diesem Zusammenhang (wir haben es hier schon ein paar mal gelesen), dass sie das Geschriebene ihren Freunden oder Familienmitgliedern vortragen und diese manchmal Vorschläge unterbreiten, wie es weitergehen könnte. Von Brecht ist bekannt, dass er von seiner Sekretärin Margarete Steffin erwartete, dass sie das von ihm Diktierte, kommentieren und kritisieren würde. Als er sie einem Schriftstellerkollegen „auslieh“ (ich erinnere mich nicht mehr, wer es war), empfand der ihre Kommentare als unangebracht.
Manches lässt sich aber nur allein erschaffen. Über Gauß las ich in diesen Tagen, dass er im Alter von 18 Jahren eines Morgens eine Stunde lang im Bett mit halbgeschlossenen Augen verbrachte, um einen Lösungsweg für die Konstruktion eines Siebzehnecks nur mit Zirkel und Lineal herauszufinden. Er kam auf diese:

Ich kann mir nicht vorstellen, dass er das im gemeinsamen Gespräch herausgefunden hätte.

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Al Hirschfeld (1903-2003!)
Striktes Arbeits-Regime. Den ganzen Tag über wird gearbeitet in einem isolierten Raum, in dem sich aber immerhin ein Telefon befindet. Abends Freunde, Bekannte, Theater, aber keine Partys.
Am späten Abend Lesen, hauptsächlich Philosophie.
Nach Auskunft seiner Frau arbeitete er sogar im Schlaf, da er oft von seiner Arbeit träumte.

Truman Capote (1924-1984)
Capote arbeitete grundsätzlich im Bett und behauptete, nur in der Horizontalen denken zu können. Auch das Tippen erledigte er im Bett mit Schreibmaschine auf den Knien. Dabei: Kaffee und Zigaretten. Am Nachmittag Tee statt Kaffee.
Obsessionen: Ein riesiger Berg an abergläubischen Verhaltensweisen – keine Arbeit an einem Freitag beginnen, zwanghaftes Addieren von Zahlen, keine Unglückszahl am Telefon wählen usw.

Richard Wright (1908-1960)
Wright wohnte lange Zeit bei der Familie eines kommunistischen Parteifunktionärs und lebte von einem Stipendium. Er stand früh auf, um das häusliche Chaos zu vermeiden und schrieb auf gelbem Schreibpapier mit Füllfederhalter und Tinte. 10 Uhr zurück ins Haus und besprach mit der Hausfrau den weiteren Verlauf des Romans. Danach abtippen des Manuskripts. Nachmittags Bibliothek und Freunde. Abends Weiterarbeiten am Manuskript.

H.L. Mencken (1880-1956)
Morgens Manuskript lesen und Post beantworten. Textbearbeitung am Nachmittag, Schreiben am Abend.

Philip Larkin (1922-1985)
Harte tägliche Arbeit, selten Ausgehen, wenig Freunde treffen, sich betrinken am Abend. Versuchte, jeden Tag gleich zu gestalten.

Frank Lloyd Wright (1867-1959!)
Wright schien völlig absorbiert von Telefonaten, Arbeit mit Studenten, Briefeschreiben usw. In aller Frühe von 4 – 7 Uhr sammelte er seine Ideen und brachte sie zu Papier. Oft arbeitete er unter enormem Zeitdruck. Sein berühmtes Fallingwater entwarf er binnen zwei Stunden, als der Kunde bereits im Auto auf dem Weg zu ihm saß.

Arbeitsroutinen von Künstlern XI – Schreib-Material

Gestern besprach ich hier das Notizbuch. Heute möchte ich kurz die Frage behandeln, wo das eigentliche Schreiben stattfindet. (Ich reduziere hier auf Schriftsteller. Mit Malern und ihren vielfältigen, das Werk bestimmenden Untergründen kenne ich mich zu wenig aus. Interessant wäre noch, wie Komponisten verfahren: Stets auf Notenpapier? Oder ziehen sie sich die Linien lieber auf eigenem Papier? Oder gar am Computer mit einem Komponierprogramm?)

Ich schrieb lange Zeit fast nur am Desktop-Computer, in einer Haltung, die jedem Orthopäden die Tränen in die Augen getrieben hätte: Auf einem Bürostuhl mit Klapplehne, nach hinten gelehnt, die Füße auf dem Tisch, die Tastatur auf dem Schoß. Das hätte noch ewig so weiter gehen können. Das Problem war irgendwann, dass die Internet-Aufgaben zu groß wurden und es mich ablenkte, die Option des Surfens zu haben (schnell bei Wikipedia nachsehen –> oder gibt es zu diesem Thema Foren? –> schnell mal Mails abrufen usw.) Ich schrieb dann meine Texte auf einem nicht internetfähigen Laptop und übertrug sie dann auf den PC zum Speichern und Ausdrucken. Schließlich hatte ich einen Laptop mit WLAN-Funktion und nun besitze ich gar keinen Desktop-PC mehr. Das hat im Laufe der Jahre dazu geführt, dass ich die meisten Texte erst mal per Hand in ein Buch schreibe und dann in einem zweiten Schritt abtippe. Oder, was noch öfter passiert: Ich schreibe den Anfang des Textes per Hand, habe dann gewissermaßen den notwendigen Schreibschwung, schreibe dann auf dem Laptop weiter und tippe dann den ersten Teil nach. Manche Texte, die ich quasi schon von vornherein im Kopf habe, brauche ich nicht vorzuschreiben. Ebenso Blog-Einträge wie diesen oder ähnlich Nicht-Fiktionales. Dialoge und Szenen kriege ich auf Papier nicht so gut hin. Gedichte und Lieder kann ich nur per Hand und Stift schreiben.
So sehr ich gestern Moleskine in der Frage der Notizbücher kritisieren musste, so muss ich sie doch heute für ihre Schreibhefte loben. Das von der DIN-Norm abweichende Format ist genau richtig zum Schreiben und Umblättern, das Papier fühlt sich gut an beim Schreiben, hat für Papier, Kuli, Füller und Stift den richtigen Widerstand. Füller und einige Stifte können teilweise etwas durchsuppen, aber das spielt keine große Rolle, wenn man einseitig schreibt. (Das kommt vielleicht ein bisschen wie eine Umweltsauerei daher, aber die linke Seite freizuhalten, ist wichtig für Kommentare, Korrekturen, Anmerkungen usw.)
Bei Blockaden hat mir im Übrigen immer wieder geholfen, eine andere Schreib-Variante zu finden, womöglich kehre ich demnächst zur Reiseschreibmaschine zurück. Kein Witz. (Cafés erübrigen sich dann allerdings als Schreibort, wobei es in einigen Cafés wegen des Dauergedröhnes wahrscheinlich gar nicht besonders auffallen würde.)

Die meisten meiner Lesebühnen-Kollegen schreiben, nach einer kleinen, nicht-repräsentativen Umfrage zufolge am Computer, einige mit ein paar Notizen neben sich oder am unteren Ende des Textes. Einige sind notorische Schreibheft-Schreiber.
So z.B. Volker Strübing, den man oft im Zosch oder im RAW noch besessen an einem Text rumwurschteln sah. Volker schreibt in sehr, sehr großer Schrift. Die Buchstaben teilweise drei Zentimeter groß. Ebenso große Lücken für Korrekturen. (Auf seinem schönen Blog Schnipselfriedhof findet man immer wieder mal Fotos von Schreibheft-Stapeln, die zeigen, wie sehr er seine Hefte liebt.)
Ahne schreibt seine Zwiegespräche mit Gott in Hardcover-Schreibbücher. Er war einer der letzten, die seine Texte überhaupt digitalisierten. Wenn sie zur billigen Sorte gehören, verziert er sie gern mit Eigen-Deko.
Die kurioseste Form des Schreibens hatte Stephan Zeisig entwickelt: Er schrieb seine Texte mit Bleistift in ein Schreibbuch und überschrieb diesen Text beim Korrigieren mit Kugelschreiber.

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Wallace Stevens (1879-1955)
Wie so viele seiner Schriftsteller-Kollegen arbeitete er nebenbei in einer Versicherungsfirma.
Früh um 6 Uhr aufstehen. Zwei Stunden lesen.
9 Uhr im Büro, 16:30 Uhr Arbeitsende.
5-6 km zu Fuß von und zur Arbeit. Auf diesem Weg schrieb er die Notizen für seine Lyrik, die er im Büro vollendete.

Kingsley Amis (1922-1995)
Spätaufsteher. Bis zum späten Mittag im Pyjama. 13-14 Uhr Schreiben, dann Alkohol und Zigaretten. Wenn dringend nötig, noch ein wenig am Nachmittag Schreiben.
Interessanterweise verschiebt sich die Routine im Alter völlig. Vor 8 Uhr aufstehen, waschen, frühstücken, Zeitung. Arbeiten ab 9:30 an dem Punkt, wo er am Abend aufgehört hat. Minimum: 500 Wörter.
12:30 Bar. 15:30 Mittagsschlaf. 17 Uhr Weiterschreiben mit Scotch. Nach dem Abendessen. Fernsehen. 23 Uhr wieder Scotch und Schlaftabletten.

Martin Amis (geb. 1949)
Schreiben von 9-11 Uhr. Dann Lesen, Tennis, Snooker.

Umberto Eco (geb. 1932)
Oft ohne richtige Schreibroutine. Manchmal stundenlang, dann wieder tagelang gar nichts. Routine auf seinem Landsitz: Morgens am Computer E-Mails, dann Lesen, dann bis nachmittags schreiben. Ins Dorf, wo er Zeitung in einer Bar liest. Abends Fernsehen oder DVD.
„Wenn ich in Mailand oder an der Uni bin, bin ich nicht der Herr meiner eigenen Zeit, es gibt immer jemanden, der mir sagt, was ich tun soll.“

Woody Allen (geb. 1935)
Allen wechselt oft die Räume, um die Energie anzufachen. Manchmal auch auf den Balkon oder auf die Straße.

David Lynch (geb. 1946)
Täglich Transzendentale Meditation.

Maya Angelou (geb. 1928)
Aufstehen 5:30 Uhr. Nach knappem Frühstück um 6:30 Uhr in ein kleines Hotel mit nichts als einem Bett und einem Waschbecken. Mindestens bis 12:30 Uhr Arbeiten. Wenn’s gut läuft, auch länger.
Zuhause noch mal das Geschriebene lesen und dann damit abschließen. Manchmal liest sie es abends ihrem Mann vor, der es aber nicht kommentieren darf. Kommentare nur vom Lektor erwünscht.
„Ich bin total zwanghaft, das gebe ich zu. Ich sehe das aber nicht als etwas Negatives.“

George Balanchine (1904-1983)
Die Ideen kamen ihm beim Bügeln. „Das ist die Zeit, in der ich arbeite.“

Arbeitsroutinen von Künstlern X – Das Notizbuch

Was den Malern der Skizzenblock, ist den Schriftstellern, Wissenschaftlern (und oft auch Musikern) das Notizbuch.
Ich habe es in den letzten 20 Jahren immer wieder mit verschiedenen Notizbüchern probiert. Und mit nur wenigen war ich zufrieden. Es sollte im Idealfall leicht in die Jackentasche, eventuell auch in die Hosentasche passen, stabil genug sein, blanko, und (hier scheitern die meisten) eine Gummi-Halterung für einen kleinen Stift angebracht haben. Das Papier möge angenehm sein und der Einband das Auge nicht beleidigen. Wer in diesem Punkt so sensibel ist wie ich, sollte also um Läden wie McPaper einen weiten Bogen schlagen, wenn es um den Kauf von Notizbüchern geht (die man übrigens ganz aktuell wegen ihrer pinken „Mädchen-Ecke“ überhaupt boykottieren müsste.
Man landet dann allerdings schnell im höherpreisigen Segment. Und wenn man nicht gerade voll auf Magnet-Klappbücher mit Hokus-Pokus-Ornamenten steht, bleibt einem fast nur übrig, auf Moleskine zurückzugreifen, aus denen man immer die wortschwalligen Beipackzettel entfernen muss, in denen einem suggeriert wird, Hemingway und Picasso, hätten diese Bücher schon gekauft, dabei haben sie einfach Notizbücher gehabt. Es gibt aber Alternativen: Zum einen sind es die handschmeichelnden in Leder eingebundenen Notizbücher von Ciak, deren Gummizug quer verläuft und in die deshalb wenigstens ein Bleistift ganz gut passt. Das Papier etwas dicker als üblich. Man muss aber auch mit dem ungewöhnlich breiten Format klarkommen. Ab und zu werden in dem Schrottladen „Nanu Nana“ extrem billige Moleskine-Imitate verkauft, die vom Original nur in wenigen Details und nur beim genauen Hinsehen zu unterscheiden sind. Eine schöne Idee sind auch „Paperback“-Notizbücher, für die wiederverwendbare Lederhüllen angeboten werden.
Ein wichtiges, bisher kaum handhabbares Problem ist für mich, wie ich die Notizen ordnen soll. Grob gesprochen fallen meine Notizen in folgende Bereiche:

  1. Text-Ideen, Gedicht- und Reim-Ideen, Zitate, Erinnerungen, Projekt-Ideen, Kurioses und Aktuelles.
  2. Impro-Ideen: Gedanken zu Theorie, Workshop-Ideen, Format-Ideen, Impro-Projekt-Ideen
  3. Privates: neue Telefonnummern und Notizen zu den dazugehörigen Personen, Geschenk-Ideen. 

Oft habe ich nun mehrere Notizbücher parallel verwendet, abhängig von den jeweiligen Themen oder von der Schmuddelhaftigkeit/dem Adel des in den Notizbüchern verwendeten Papiers. Das Problem war, dass ich dann völlig durcheinanderkam und vieles nicht mehr finden konnte. Oft blieb ein vager Gedanke: Die Notiz befindet sich auf der linken Seite im mittelgroßen roten Ciak-Buch.
Ich bin vor 2 Monaten auf eine neue Idee gekommen:
Kategorie 1) ist die Größte. Ich mache die Notizen auf der rechten Seite des Notizbuchs.
Für Kategorie 2) drehe ich das Notizbuch um und mache ebenfalls Notizen auf der rechten Seite. Wenn sich Kategorie 1) und 2) treffen, ist das Notizbuch voll und wird nicht weiter beschrieben.
Kategorie Nr. 3) ist die kleinste. Es genügt, wenn ich auf den linken Seiten der Kategorie 1)-Seiten diese Notizen schreibe.


Eine Handvoll teils voller, teils halbleerer Notizbücher dieses Jahres.

Von den Notizbüchern abzugrenzen, sind die größeren Schreibbücher oder Schreibhefte, die freilich auch manchmal als Notizbücher für größere Einzelprojekte dienen. Dazu vielleicht später mehr.

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Somerset Maugham (1874-1965)
Drei bis vier Stunden jeden Morgen Schreiben. Setzte sich das persönliche Minimum von 1500 Wörtern.
Marotte: Schreibtisch musste vor einer schwarzen Wand stehen, damit Maugham nicht abgelenkt würde.

Graham Greene (1904-1991)
Um den Roman, der ihm am Herzen lag („The Power and the Glory“) schreiben zu können, legte er diesen beiseite und schuf ein paar melodramatische Thriller, um sich und seine Familie über Wasser zu halten. Um nicht von der Familie abgelenkt zu werden, mietete er sich ein Büro, dessen Adresse und Telefonnummer nur seine Frau kannte! Mit 2 Tabletten Benzedrine hielt er in dieser Phase sich wach und produktiv.
Später nur noch 200 Wörter pro Tag. Keine Drogen. Schreiben von 9 Uhr bis 10:15 Uhr.

Joseph Cornell (1903-1972)
Bis 1940 hatte Cornell als Ernährer der Familie einen Tages-Job, bis dahin arbeitete er abends an seinen Shadow Boxes. Später hin und her gerissen, ob er weitere Tages-Jobs annehmen sollte. Schließlich widmete er sich ausschließlich seiner Kunst und seiner Korrespondenz sowie seinen Besuchern in seinem Werkstattkeller.

Sylvia Plath (1932-1963)
Immer wieder tat sie sich schwer, das Schreiben in ihren Tagesrhythmus einzubauen. Frühes Aufstehen, oft noch müde. Schreiben, wenn die Kinder noch schliefen. Oder nach dem Frühstück. Schlaf mit Beruhigungsmitteln, mit denen sie auch ihrem Suizid auf die Sprünge half.

John Cheever (1912-1982)
Frühaufsteher und Frühschreiber. In der Jugend auch nachmittags.
Marotte: Als er älter wurde, zog er sich wie alle anderen Business-Leute, die in dem East-Side-Manhattan-Gebäude wohnten einen Anzu an und betrat den Fahrstuhl, fuhr mit diesem aber in den Keller, wo er in einem Lagerraum sich seines Anzugs entledigte und in Boxer-Shorts bis 10:30 Uhr arbeitete. Den Rest des Tages spazierte er mit der Tochter oder ging in Bars.
Alkoholproblem.
Sexuelle Obsessionen: „Mit steifem Schwanz kann ich das Kleingedruckte in Gebetsbüchern lesen, mit schlaffem Schwanz nicht mal die Überschriften der Zeitungen.“

W.B.Yeats (1865-1939)
„Ich habe nie mehr als fünf oder sechs gute Zeilen pro Tag geschrieben.“ Dies tat er abends.
Sonst: Lesen von 10 bis 14 Uhr, Mittag, dann wieder lesen bis 15:30 Uhr. Dann Waldspaziergang oder Angeln. Die langen Lesephasen brauchte er, da er sein Geld als Literaturkritiker verdienen musste.

Behind the scenes – UCB New York

Als ich im Jahr 2003 das erste Mal das UCB sah, war ich völlig von den Socken. So cool, unprätentiös, schnell, lustig und intelligent konnte Impro also sein. Man halte sich vor Augen, dass hier an manchen Abenden 3 Shows mit je 10 Improvisierern, darunter auch berühmte Fernseh-Komiker improvisieren – ohne Gage! An einigen Wochentagen wird um 0 Uhr eine Show gratis gespielt. Aber auch die normalen Shows kosten nur 5 Dollar. (Die Herausforderung für den Zuschauer ist nur, herauszufinden, wann die Nachwuchs-Spieler auftreten und diese Shows zu vermeiden (Es wimmelt dann oft von verklemmt-versauten Geschmacklosigkeiten.) Das Tempo ist ungeheuer, die Fähigkeit der Verknüpfung ebenfalls. Man schaue sich dieses 9minütige Video an. Es gibt vor der Show kein Warm Up, die Atmosphäre ist entspannt. Man isst Pizza, trinkt Bier.
Man lasse sich aber nicht täuschen: Diese Spieler haben dermaßen viel Impro und Miteinander im Blut, dass sie die Bühne ungeheuer rocken.
In 60 Minuten (in den USA geht eine Improshow selten länger) hauen die Impro-Spieler gutgelaunt eine energiegeladene Szene nach der anderen raus.

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Arbeitsroutinen von Künstlern IX – Im Zug

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Im Zug zu schreiben ist für mich quasi ein Ding der Unmöglichkeit. Ich weiß nicht, wie es in einem stillen 1.-Klasse-Abteil mit vernünftigem Tisch wäre. Aber auch in der Mitropa kann ich mich nicht konzentrieren. Bestenfalls Notizen für einen Text, manchmal Tagebuch-Einträge, was aber auch schwierig ist, weil man die Schriftart kleinhalten muss, um Mitlesern keine Chance zu geben. Tatsächlich starrte mal ein Business-Typ immer wieder von der Seite ungeniert auf meinen Bildschirm und schaute, fast genervt, weg, als ich ihn anschaute, nur um 5 Minuten später wieder meine E-Mails zu begutachten. Was blieb mir übrig, als ein Word-Dokument anzulegen, Schriftgröße 20 einzustellen und zu beginnen:
Lieber Django!
Neben mir sitzt ein Business-Rotzlöffel, der seine Neugier-Impulse nicht unter Kontrolle hat und nach Ei riecht.

Nichtsdestotrotz arbeite ich im Zug. E-Mails beantworten, Dateien sortieren, Websites aktualisieren. Das geht alles auch offline und erfordert weniger Konzentration.

Pablo Picasso (1881-1973)
Spät ins Bett, spät aufstehen.
Arbeiten ab 14 Uhr bis zur Abenddämmerung.
Bei Mahlzeiten, auch wenn Freunde anwesend waren, sprach er oft wenig und war in Gedanken noch bei seiner Arbeit, auch wenn er sich bemühte, sie zu unterhalten.

Jean Paul Sartre (1905-1980)
„Man kann auch fruchtbar sein, wenn man nicht zu viel arbeitet. (…) Drei Stunden morgens, drei Stunden am Abend. Das ist meine einzige Regel.“
Diese sechs Stunden variierten nach seinen sozialen Bedürfnissen und Verpflichtungen. Meist bis 1:30 Uhr Arbeiten, dann 2 Stunden Mittag mit 1/4 l Rotwein. 15:30 Uhr noch einmal drei Stunden Arbeit, oft mit Simone de Beauvoir.
Drogen: zwei Packungen Zigaretten, dazu Pfeifentabak, Barbiturate, Corydrane (con dem er die zehnfache Menge nahm), Kaffee, Tee, reichhaltiges Essen, Wein, Whisky, Bier, Wodka, Aspirin.

T.S. Eliot (1888-1965)
Für acht Jahre arbeitete Eliot Vollzeit in London in Lloyds Bank, was er gern tat, um sich andere Brotjobs vom Leibe zu halten. Später hasste er diese Arbeit. Später schufen Freunde von ihm einen Fonds über Abonnenten, um ihm ein jährliches Einkommen zu sichern.

Dmitri Schostakowitsch (1906-1975)
Schostakowitsch schien nie zu arbeiten. Er schuf seine Musik im Kopf, probierte sie nur selten am Klavier aus, sondern schrieb sie einfach auf und spielte sie danach auf dem Klavier.
Sport: Fußball.

Henry Green (1905-1973)
Ein seltsamer Tagesablauf.
Als Adliger schrieb er unter Pseudonym und ging außerdem ohne Not einem Brotwerwerb nach, um geistig gesund zu bleiben und Erfahrungen zu sammeln.
10 Uhr im Büro. Start mit einem Gin! Durchs Büro Spazieren und mit Sekretären schwatzen. 11:30 Uhr in den Pub. Ein paar Bier, dann wieder Gin.
Nachmittags im Büro ein bis zwei Seiten.
Abends Freunde und Bekannte treffen.
Nachts lange wach und Ideen ins Notizbuch schreiben.

Agatha Christie (1890-1976)
Christie hatte nach ihrem Erfolg Schwierigkeiten, Journalisten ihren Schreibtisch zu zeigen, da sie keinen hatte. Sie schrieb, wo es gerade möglich war. Sie zog sich irgendwann im Laufe des Tages von Familie oder Freunden zurück um eine oder eine halbe Stunde zu schreiben.

Aus dem Interview von Pam Victor mit David Razowsky

„I’ve never had abad show in 25 years.“ „Listen to your partner. …then listen to your heart… …then let your brain do what it’s supposed to do… …make sentences… …then say those sentences. …then be internally still and await the wonderful response that’s coming your way. That’s your new move.“ „Your ego is not allowed in the room. Your personality is not allowed in the room. Your politeness is not allowed in the room.“ Das komplette Interview hier: http://pamvictor.blogspot.de/2012/12/geeking-out-withdavid-razowsky.html

Arbeitsroutinen von Künstlern VIII – Und mach dann noch’nen zweiten Plan. Gehn tun sie beide nicht.

Fortsetzung der Lektüre Daily Rituals. How Great Minds Make Time, Find Inspiration, and Get To Work
Die schönsten Rituale kollabieren dann doch oft in Ausnahme-Situationen: Krankheiten, dringliche soziale Verpflichtungen, frühe Züge und Flüge, usw.
Im Nachhinein erscheint vieles allerdings doch vorhersehbar: Ist es sinnvoll, den Flug ab 6:30 Uhr zu buchen, nur weil er 20,- Euro billiger ist, einem aber den wertvollen Schlaf raubt? Für Reisen braucht man ohnehin einen Plan B. Auf manchen Flügen kann man schreiben, auf anderen nicht. Einplanen, dass die Reise eher anstrengend ist und man sich genügend Aus-Zeiten für Ruhe und Kreativität setzt. In Zeiten der Krankheit gelingt einem vielleicht nicht immer der große Wurf, aber immerhin Notizen. Lieber locker planen und im guten Fall mehr rausholen, als sich den Kalender dicht an dicht zupacken und dann keinen Puffer mehr haben, wenn der Kindergarten anruft, man müsse das kranke Kind abholen.

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James Joyce (1882-1941)
Aufstehen am späten Vormittag.
Arbeiten am Nachmittag, „wenn der Geist am besten funktioniere“. Allerdings nicht nur Schreiben, sondern auch andere Verpflichtungen, wie Englisch- und Klavierunterricht.
Abends Bars und Restaurants.
Lange Perioden des Nicht-Schreibens.
Aber auch während der späteren täglichen Arbeit an „Ulysses“ blieb er bei diesem Zeitplan.
Schätzte seine Arbeitszeit für diesen Roman auf knapp 20.000 Stunden. (Das wären bei einem Arbeitstag von 7 Stunden – nur für dieses Buch – 20 Stunden pro Seite. Fragt sich, inwieweit man dann noch vom „Bewusstseinsstrom“ sprechen kann.)

Marcel Proust (1871-1922)
Ab 1908 bis zu seinem Tod arbeitete er an „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“. Ab 1910 sozialer Rückzug. Schlafen und Arbeiten im Bett.
Aufwachen (fraglich, inwieweit man von „Aufstehen“ bei ihm sprechen kann) zwischen 15 und 16 Uhr. Entzünden von Asthmapulver, bis das Zimmer völlig verraucht war! Croissant und Milchkaffee. Nach Post und „Frühstück“ erst begann er zu schreiben.
Abends von Zeit zu Zeit Spaziergänge in Bars und Restaurants für Inspirationen.
Weitere Drogen: Koffeintabletten, die er mit Veronal auszubalancieren versuchte.
(Man beachte den recht frühen Tod.)

Samuel Beckett (1906-1989)
Um 1946 begann er eine intensive und gleichzeitig exzessive Lebens- und Arbeitsweise:
Aufstehen am Nachmittag, Rühreier. Dann Schreiben bis zur Erschöpfung. Nachts in Bars von Montparnasse, wo er sich gezielt betrank. Die Dämonen der Dunkelheit, der Einsamkeit, der Erschöpfung sollten ihn zum Schreiben bringen.

Igor Strawinsky (1882-1971)
Aufstehen 8 Uhr morgens, Sport, Arbeit bis 13 Uhr.
Tägliches Komponieren, egal ob inspiriert oder nicht. Auf Tourneen komponierte er nicht (s.o.)
Wenn ihn die Inspiration verließ, behalf er sich mit einem Kopfstand, was, wie er meinte „den Kopf erholt und das Hirn säubert.“


Erik Satie (1866-1925)
Ab 1898 lebte er in Arcueil, von wo er Abends nach Paris spazierte und am nächsten Morgen zurück. Auf dem Weg notierte er seine Ideen. Wann er sie zu Papier brachte, bleibt unklar.… Weiterlesen

Arbeitsroutinen von Künstlern VII – Zeitlöcher

Fortsetzung der Lektüre Daily Rituals. How Great Minds Make Time, Find Inspiration, and Get To Work

Im gestrigen Eintrag zu Margaret Mead tauchte die Frage auf, wie man mit Zeitlöchern umgeht. Zeit, die man nicht mit dem Schaffen nutzen kann, vor allem Wartezeit. Die rote Ampel, der Bus, auf den man wartet, die Schlange in der Kaufhalle. Während ich Zuspätkommen bei Shows, Proben und anderen Kollektiv-Verabredungen als zumindest zu rechtfertigende Zumutung empfinde, bin ich im Laufe der Zeit großzügiger geworden, wenn ich einfach nur warten muss. Ich erinnere mich nicht, wann ich mich das letzte Mal wirklich gelangweilt habe. Denn gerade Situationen, in denen es nichts zu tun gibt, kann man so interessant auffüllen. Für uns Schauspieler zum Beispiel mit (ggf. für andere unsichtbaren) Körper- und Atem-Übungen. Lesen geht fast überall, für mich allerdings tatsächlich mit der Einschränkung, dass ich sitzen kann und einen Bleistift zum Anstreichen dabei habe. (Eine Macke von mir: Ich könnte nie Bücher mit Kugelschreiber oder Text-Marker anstreichen, auch wenn ich mir sicher bin, dass die Anstreichungen nie wieder entfernt werden. Soweit geht meine anerzogene Ehrfurcht vor dem Buch.) Wenn ich in vollen Bahnen stehen muss, schließe ich manchmal die Augen und trainiere mein Gedächtnis, indem ich versuche, mir die anwesenden Passagiere bildlich vorzustellen. Oder ich entwerfe Impro-Übungen mit geschlossenen Augen. Die besten Ideen kommen einem tatsächlich in „bus, bed, bath“ (verschiedene Quellen. Vermute, dass mit „bath“ der bathroom, also das Klo gemeint ist.) Auch die Reifung der Gedanken hat ihren Ort und ihre Zeit.
Im Übrigen ist das tatsächlich ein Grund, dass ich mich scheue, den Führerschein zu machen. Ich wäre wahrscheinlich viel zu sehr mit meinen Gedanken woanders, was nicht nur mein Leben gefährdete. Lesen könnte ich beim Fahren auch nicht. Hörbücher (das darf ich als aktiver der Branche eigentlich nicht sagen) kann ich nicht ausstehen.

Samuel Johnson (1709-1784)
Schrieb offenbar nachts nach 2 Uhr bei Kerzenlicht.
Vormittags im Bett, wo er auch Besuch empfing.
16-2 Uhr außerhalb des Hauses – Bars, Restaurants usw.

James Boswell (1740-1795)
Bemühte sich stets, morgens aufzustehen und an die Arbeit zu gehen, „als ob ein schönes Mädchen auf ihn wartete“. Dabei ging es darum, seine doch recht starke Neigung zu Faulheit und Schlendrian zu überlisten. In guten Zeiten gelang es ihm. In schlechten fühlte er sich „dreary as a dromedary“.

Immanuel Kant (1724-1804)
Von dem, was wir wissen, muss Kants Leben in äußerst geregelten Bahnen verlaufen sein. Immer dieselben Uni-Kurse lehren. Keine Reisen (außer ans nicht weit entfernte Meer). Regelmäßige Nachmittagsspaziergänge. Von Heinrich Heine stammt das Bild, die Königsberger würden ihre Uhren nach seinem Spaziergang stellen. (Wieviel von unserem Kant-Bild stammt eigentlich von Heine?)
Der strikte gesundheitsorientierte Tagesablauf  ist Kants schwacher körperlicher Grundkonstitution geschuldet. Man beachte: Er wurde fast 82 Jahre alt!
Aufstehen 5 Uhr. 2 Tassen schwacher Tee, eine Pfeife. Vorbereitung seiner Vorlesungen, die von 7-11 Uhr dauerten. Danach Mittagessen, die einzige wirkliche Mahlzeit des Tages, oft mit Freunden und Bekannten aus verschiedenen Lebensbereichen. Ab 15 Uhr Spaziergang und Freunde besuchen. Zwischen 19 und 21 Uhr nach Hause, wo er noch schrieb. 22 Uhr Licht aus.
Man beachte diese kurze, späte Schreibphase.

William James (1842-1910)
Mit 28 schrieb er sich die Warnung ins Tagebuch: „Erinnere dich, dass wir nur dann, wenn Gewohnheiten der Ordnung geformt werden, in die wirklich interessanten Tätigkeits-Gebiete voranschreiten können und schließlich wie ein Geizkragen Korn für Korn der willentlichen Entscheidungen ansammeln können; denn wenn auch nur eine Verbindung fehlt, bricht eine unendlich große Anzahl zusammen.“
Der größte Horror war für ihn Entscheidungsunfähigkeit, woran er selber litt.
Moderater Alkoholkonsum. Zigaretten und Kaffee gab er mit Mitte Dreißig auf.
Schlaflosigkeit mit Chloroform (!) bekämpft.

Henry James (1843-1916)
Schrieb zwischen Frühstück und Mittag. Im Alter diktierte er seine Texte, da er an Handgelenkschmerzen litt.
Nachmittags: Tee, Spaziergänge, Lesen.
Sofort nach Beendigung eines Buches begann er ein neues. Die Inspirationen verfolgten ihn.

Franz Kafka (1883-1924)
Lebenslanger Brotberuf. Meiste Zeit bei der „Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt“ von 8-14 Uhr.
Da er mit seiner Familie in beengten Verhältnissen lebte, musste er seine Konzentration auf die Nacht legen, wenn alle anderen schliefen.

Arbeitsroutinen von Künstlern VI – Leiden als Notwendigkeit tiefen künstlerischen Empfindens?

Fortsetzung Daily Rituals. How Great Minds Make Time, Find Inspiration, and Get To Work
Muss man wirklich tiefes Leiden empfinden und womöglich ein auf Leiden gerichtetes Leben führen, um künstlerisch anspruchsvolle Werke zu schaffen? Die Phasen einiger Künstler mögen dies belegen. Nehmen wir Beethoven. Die fünfte Sinfonie („Schicksals-Sinfonie“ ist nur eine Erfindung des Biografen Schindler) wird oft gelesen im Zusammenhang mit der zunehmenden Ertaubung des Musikers und der Überwindung dieses Leidens. Aber man kann auch anders herum fragen: Welche Werke hätte Beethoven wohl geschrieben, wenn er nicht erkrankt wäre? Welche Wege hätte er noch beschreiten können? Wäre Prousts „Suche nach der verlorenen Zeit“ schlechter gewesen, wenn er nicht an Asthma gelitten hätte?
Für einen guten Künstler ist jede Erfahrung eine wertvolle Erfahrung. Leiden kann als plötzliche negative Wahrnehmung ihn wachrütteln. Aber er muss sich nicht mutwillig hineinbegeben. Er braucht aber emotionale Tiefe, Beobachtungsgabe und Empathie.

Steve Reich (geb. 1936)
95 Prozent seiner Werke, so Reich, seien zwischen Mittag und Mitternacht entstanden.
Vorm Mittag: Sport, Beten (davon war bisher bei den anderen Künstlern noch keine Rede), Telefonate.
Besteht auf kontinuierlichem Arbeiten. Inspiration komme nicht vom Himmel herab. Vielmehr seien einige Stücke inspirierter als andere. Beide müsse man schreiben.

Nicholson Baker (geb. 1957)
Hält Routinen für wichtig, die sich aber jedes Mal neu anfühlen. Das könne recht willkürlich sein. Z.B. könne man einfach den neuen Roman in Flip-Flops schreiben.
Beim Schreiben seines ersten Romans machte er in der Mittagspause Notizen. Später beim Autofahren zu einem anderen Job sprach er ins Diktiergerät. Einige Monate später kündigte er und fertigte aus den Notizen seinen Roman.

B.F. Skinner (1904-1990)
Stellte sich den Wecker auf zwei Zeiten: Einmal morgens zum Schreibbeginn. Dann zum Schreib-Ende. Dann notierte er sich statistikversessen die Zahl der geschriebenen Wörter und bastelte daraus eine Grafik. (Gibt es Frauen mit solchen Statistik-Ticks?)
Am späten Vormittag ins Büro: Post. Nachmittags: Schwimmen, Gartenarbeit. Abendbrot. Spätestens 22 Uhr im Bett.
Mindestens einmal nachts Aufwachen. Dann Notizen auf einem Klemmbrett mit Taschenlampe.

Margaret Mead (1901-1978)
Ständiges Arbeiten. Fünf Uhr morgens Aufstehen. Dann sofort 1.000 Wörter vorm Frühstück schreiben. Verspätungen bei Verabredungen hasste sie als Diebstahl an ihrer wertvollen Zeit. Konsequenterweise verabredete sie sich mit jüngeren Kollegen zum Frühstück um 5 Uhr morgens.

Jonathan Edwards (1703-1758)
4 Uhr morgens Aufstehen. Dreizehn Stunden im Arbeitszimmer, unterbrochen von körperlichen Aktivitäten wie Holzhacken, Reiten. Notizen beim Spazieren mit Papier und Tinte. Beim Reiten Gedächtnis-Trick: Zettel an Teilen der Kleidung befestigen, die er mit einem bestimmten Gedanken assoziierte.

Arbeitsroutinen von Künstlern V – Wer abends auftritt

Die bisherigen „Great Minds“ aus dem Buch Daily Rituals. How Great Minds Make Time, Find Inspiration, and Get To Work sind eigentlich alles Künstler oder Wissenschaftler, die schreibend, malend, komponierend, aber auf jeden Fall allein arbeiten. Wieviel schwieriger ist es für uns Impro-Schauspieler, sich den Tag so zu organisieren, dass man nicht in für Körper, Geist und Kunst ungesunde Rituale verfällt. Vor allem, ich erwähnte es schon, kann der Alkohol dem Auftretenden verführerischer vor die Linse geraten als dem stillen Arbeiter. Eine gelungene Aufführung (Show, Konzert usw.) ist eben oft auch eine kleine Party wert. Dem zu entgehen ist schwerer, wenn man vormittags keine wichtigen Termine hat aber auch keinen Roman, kein Gemälde, das auf einen wartet. Schwierig auch, weil die Gewohnheiten sich oft in jungen Jahren ausbilden, wenn man körperlich wesentlich mehr verkraften kann. Das Problem ist aber, dass nicht nur der Körper, sondern auch die Kunst bald darunter leidet. Wer sich nächtens verschleißt, wird den Zufluss zum künstlerischen Geist reduzieren. Schließlich muss auch ein Schauspieler oder ein Musiker lesen und üben, will er nicht stagnieren.
Aktive Schauspieler suchen sich oft morgens Tanz- oder Yoga-Kurse, lesen nachmittags. Ähnliches gilt für Musiker.
Und natürlich gibt es die unwahrscheinlichen Gegenbeispiele. (Warum, so fragt man sich, lebt Keith Richards eigentlich noch?) Doch die Schar derer, die sich unnötigerweise aufgeben, ist groß.

Louis Armstrong (1901-1971)
Den weiter hinten im Buch auftauchenden Armstrong ziehe ich mal wegen des vorangestellten Themas vor.
Praktisch sein gesamtes erwachsenes Leben verbrachte er mit Auftritten und Reisen. Er traf pünktlich 2 Stunden vorm Auftritt am Ort ein – gebadet und eingekleidet, um sich dann in der Garderobe Glycerin mit Honig einzupfeifen. Weitere Drogen: Maalox gegen Magenbeschwerden, eine Spezialsalbe gegen Lippenprobleme, Haschisch, Swiss Kriss.
Lebenslange Einschlafschwierigkeiten. Versuchte sich, mit Musik in den Schlaf zu schaukeln (was mich daran erinnert, wie ich das erste Mal Viktor T. besuchte und dort übernachtete. Zum Einschlafen legte er eine Punk-Kassette ein und ich hielt es für unhöflich, ihn zu bitten, sie irgendwann auszuschalten, also wartete ich 45 Minuten, da sich dann die Kassette wohl abschalten müsste. Tat sie aber nicht, der Rekorder war auf Dauer-Umlauf gestellt.) Irgendwann drückte ich auf „Pause“ und der schnarchende Viktor zuckte schreckhaft zusammen.)
Louis Armstrong starb zwar nicht gerade jung, erreichte aber, wie die meisten Trompeter, kein besonders hohes Alter.

Ann Beattie (geb. 1947)
Schreibt (so sagte sie 1980! im Alter von 30 Jahren) am liebsten von 0 bis 3 Uhr nachts. Das aber auch nicht regelmäßig. Kreative Phasen anfallsartig. Von Schreibblockaden verfolgt. „Ich bin sicherlich launisch und kein besonders glücklicher Mensch.“

Günter Grass (geb. 1927)
Lehnt nächtliches Schreiben ab, da es zu einfach sei. Frühstück zwischen 9 und 10 mit Lesen und Musik. Danach Schreiben, dann Kaffeepause, danach weiter Schreiben bis 19 Uhr.
(Keine Angaben darüber, wann sein doch recht aktives soziales Leben stattfindet/stattfand.)

Tom Stoppard (geb. 1937)
Unorganisiert und prokrastinierend. Kettenraucher. Musste sich an den Schreibtisch zwingen, was ihm in letzter Konsequenz erst in den 80er Jahren gelang. Später wieder Rückfall in alte Gewohnheiten. „Ich arbeite nie morgens, es sei denn, ich bin in großen Schwierigkeiten.“

Haruki Murakami (geb. 1949)
Aufstehen 4 Uhr morgens! 5-6 Stunden durcharbeiten. Nachmittags Laufen, Schwimmen, Post, Lesen, Musik. Schlafen ab 21 Uhr.
„Körperliche Kraft ist genau so wichtig wie künstlerische Sensibilität.“
Einladungen zu Freunden und sozialen Events schlägt er regelmäßig aus, zur Enttäuschung anderer. „Meinen Lesern ist mein Lebensstil egal, solange mein neues Werk besser als das vorherige ist. Und sollte das nicht meine Pflicht und oberste Priorität sein, wenn ich Romanautor bin?

Toni Morrisson (geb. 1931)
Hat immer einen Tages-Job gehabt. Abends Schreiben, dann aber mit höchster Konzentration. Ideen werden tagsüber ausgebrütet. Nicht am Schreibtisch.
In den 90ern ging sie zu morgendlichem Schreiben über.

Joyce Carol Oates (geb 1938)
Schreiben von 8 bis 13 Uhr. Dann Mittagessen, Pause. Weiterarbeiten von 16-19 Uhr, manchmal in der Zeit auch lesen.
Eine der Autorinnen mit dem höchsten Output. Bisher über 60 Romane, 36 Kurzgeschichtenbände, über ein Dutzend Bände Dramen, Lyrik und Essays.
Sie hält sich nicht für besonders produktiv oder effizient, aber für hart arbeitend.

Chuck Close (geb. 1940)
Früher schrieb er nachts. Jetzt im Idealfall drei Stunden vormittags, drei Stunden nachmittags. Telefonate und Meetings möglichst nach 16 Uhr.

Francine Prose (geb. 1947)
Als unbekannte Autorin schrieb sie, während ihre Kinder in der Schule waren. Inzwischen findet sie die vielen sozialen Verpflichtungen unerträglich. „Es scheint, als würde mich die Welt dafür bezahlen, alles mögliche zu machen, AUSSER zu schreiben.
Versucht, sich zum Schreiben aufs Land davonzustehlen und an einem Computer ohne Internet-Verbindung zu schreiben. (Finde mal heute noch so ein Ding.)

John Adams (geb. 1947)
Früh aufstehen. Langer Spaziergang mit Hund. Dann von 9 bis 16 oder gar 17 Uhr arbeiten – mit häufigen Teepausen.
E-Mail-Unterbrechungen.
Setzt sich zufällige Freizeitpunkte, um sich Möglichkeiten für Inspirationen zu geben.

Arbeitsroutinen von Künstlern IV – Orte der Kreativität

Fortsetzung Daily Rituals. How Great Minds Make Time, Find Inspiration, and Get To Work.
Fast alle Schreibenden brauchen „Ein eigenes Zimmer“, wie Virginia Woolf bemerkt, die aus der Perspektive der bürgerlichen Frau des beginnenden 20. Jahrhunderts schreibt. Wie bereits gestern hier schon bemerkt, gehörte Jane Austen zu den Ausnahmen, die so multitaskingfähig waren, einerseits zu schreiben und dabei die offene Tür im Blick zu behalten, um etwaige Störer rechtzeitig zu erspähen. Ähnlich ist die Situation beim Schreiben in der Bahn und in Cafés. Ein Kollege berichtete, er würde sogar beim Fernsehen schreiben (ob er dann mehr als nur Tagebuchnotizen schrieb, weiß ich allerdings nicht).
Für mich ist es schwierig zu schreiben, wenn ich menschliche oder maschinelle Geräusche höre. Cafés kommen insofern für mich nur dann infrage, wenn keine Musik läuft und das Gebrabbel der anderen Gäste und des Personals so leise ist, dass ich sie durch Ohrstöpsel ausblenden kann. Im Moment z.B. sitze ich in einem kleinen Kaufhallen-Café, das vom Rest des Markts separiert ist, aber während ich diesen Satz schreibe, kommt ein älterer jovialer Typ herein, der sich nur rufend zu verständigen vermag. Die Konzentration leidet. Allerdings hält sich die künstlerische Kreativität, die dieser Text benötigt, auch in Grenzen. Prosa, Drama oder Lyrik wären in der Situation kaum möglich. Zuhause kann ich schreiben, wenn das Kind schläft oder nicht da ist. Selbst wenn die Gattin sich um es kümmert, ist mein Gedanke dann doch bei ihm, vor allem wenn es jammert oder weint.
Im Park oder Wald zu schreiben, ist mir im Sommer manchmal möglich, wenn es irgendeine Art von Tisch gibt. Auf Knien bringe ich nur Notizen zustande.

Joan Miró (1893-1983)
Um sich vor Depressionen zu bewahren, trieb Miró exzessiv Sport: Boxen, Seilspringen, Schwedische Gymnastik, Laufen, Schwimmen. Im Sommer floh er die Stadt.
6 Uhr aufstehen und frühstücken. Von 7-12 Arbeiten. Leichtes Mittag. Sport. „Mediterranes Yoga“. 5 Minuten Nickerchen. 14 Uhr Freunde, Briefe, 15-20 Uhr Arbeiten.
Er hasste soziale Ereignisse. „Scheiße! Ich verabscheue diese Eröffnungen und Parties total! Sie sind kommerziell, politisch, und alle reden viel zu viel. Sie gehen mir auf die Titten!“

(Können Maler länger als Schriftsteller? Oder anders gefragt: Erfordert das Schreiben eine höhere Konzentration?)

Gertrude Stein (1874-1946)
Aufstehen gegen 10 Uhr. Schreiben oft im Freien. Kaum mehr als eine halbe Stunde pro Tag.

Ernest Hemingway (1899-1961)
Aufstehen zwischen 5:30 und 6 Uhr, auch nach starkem Trinken. Danach gleich Schreiben bis mittags. Danach sei man „leer und wird wieder gefüllt“.
Hemingway führte eine Liste über seinen Wörter-Output.
Die Geschichte mit den 20 gespitzten Stiften ist eine Legende. „Ich glaube nicht, dass ich je zwanzig Stifte besessen habe.“

Henry Miller (1891-1980)
Als junger Mann schrieb er von Mitternacht bis zum Morgen. Das änderte er in den 30ern in Paris.
Später meinte er, alles, was am Nachmittag geschrieben würde, sei unnötig und kontraproduktiv.
„Ich denke, man sollte von der Schreibmaschine aufstehen und immer noch was zu sagen haben.“

F.Scott Fitzgerald (1896-1940)
Ähnlich wie Austen versteckte Fitzgerald sein Schreiben während seiner Armeezeit hinter einem Buch „Small Problems for Infantry„. Als das aufflog, schrieb er an Wochenenden. Danach schrieb er eher undizipliniert, auf Inspirationen wartend. Romane produzierte er in Schreibanfällen.
Droge: Gin, die ihn letztlich zerstörte.

William Faulkner (1897-1962)
Unterschiedliche Tagespläne. Meist morgens. Aber während seiner Zeit als Nachtschicht-Kraftwerksaufseher an der Uni, schrieb er nachmittags.
Er schrieb gern in der Bibliothek und da diese keinen Schlüssel hatte, entfernte er jedes Mal den Türknauf und nahm ihn mit sich.
Droge: Whiskey am Abend. Widersprüchliche Angaben, ob er beim Schreiben trank.

Arthur Miller (1915-2005)
Meistens morgens, aber ohne echte Routine. Das Geschriebene wird hinterher zerrissen. Es sei denn, es bleibt wirklich etwas hängen. Er sah sich wie ein Mann, der mit einem Eisenstab durch einen Sturm voller Blitze spaziert. (Die Blitze sollen wohl die Eingebungen sein, nicht die Zerreiß-Prozeduren.)

Benjamin Britten (1913-1976)
Arbeitsbeginn 9 Uhr bis Mittag. Nachmittags Briefe oder Spaziergänge, dabei Pläne machen, was als nächstes gearbeitet werden soll.
Morgens kaltes Bad, abends warmes Bad.

Arbeitsroutinen von Künstlern III – Ruhe und Drogen

Fortsetzung der Lektüre von  Daily Rituals. How Great Minds Make Time, Find Inspiration, and Get To Work.
Eine interessante Frage ist, wieviel und wann sich Künstler Ruhe gönnen. Aus der bisherigen Lektüre lässt sich erahnen, dass Nachtschreiber eher in eine Art vormittäglichen Erschöpfungsschlaf sinken. Wir Improtheater-Spieler haben ja auch mit den allermeisten performativen Künstlern gemein, in den späten Abendstunden Kreativität abrufen zu müssen. Das Ignorieren des Tag-Nacht-Zyklus bzw. die Überwindung der biologischen Uhr fordert aber ihren Tribut. Um überhaupt leistungsfähig zu sein, muss man ausgeruht sein. Dies dürfte den Konsum von Drogen bei Bühnenkünstlern miterklären. Man gibt sich den Kick mit Koks bzw. Alkohol, um dann später mit Hasch oder gar Heroin wieder runterzukommen. Die Opfer dieses Lebenswandels sind bekannt. Ich traf mal einen heroin-drückenden jungen Saxofonisten, der meinte, jemand wie Charly Parker hätte ohne die Droge eine solche unglaubliche Musik gar nicht erschaffen können. Sein Weggefährte Gillespie ist der Gegenbeweis, und man fragt sich schon, welche Musik Parker noch hätte erschaffen können, wäre er nicht so jung gestorben.
Die Frage der Erholung betrifft natürlich auch freie Tage. Stephen Nachmanovitch schreibt in Free Play. Schöpferische Improvisation in Leben und Kunst: „Die vielleicht radikalste sozialpolitische Erfindung der letzten viertausend Jahre war der Sabbat. Die Praxis des Sabbat (…) erkennt an, dass wir Raum und Zeit benötigen, die von der Eile und den Belastungen des Alltags frei ist, die wir uns dafür bewahren, in uns zu gehen, für Ruhe, Rückblick und Offenbarung.“
Sich einen Tag in der Woche freizuhalten, kann schwerfallen, wenn Unerledigtes drückt, aber auch wenn man schöne Arbeit auf sich warten weiß. Aber warum soll ausgerechnet der Künstler ein asoziales unreflektiertes Monster sein? Seit dem Frühjahr gelingt es mir nun endlich, mir einen Tag in der Woche freizunehmen (na ja, fast immer). Der Tag dient der Reflexion, dem Besuch von Freunden und der Familie. Kurioserweise ist es – der Sonntag.

Anthony Trollope (1815-1882)
Der ungeheuer produktive Trollope (ich musste bei Wikipedia nachschauen, wer das ist), arbeitete lange Jahre in einem Postamt. Aufstehen: Jeden Morgen stand er um 5:30 Uhr und gewährte sich in diesem Ritual „keine Gnade“. Er war der Meinung, dass man als Schriftsteller nur drei Stunden arbeiten könne, in dieser Zeit aber alles zu leisten habe. Er schrieb mit einer Uhr vor seinen Augen und zwang sich zu 250 Wörtern pro Viertelstunde.
Bemerkenswert: Um überhaupt ins Schreiben einzusteigen, las er die Arbeit des Vortages, um den Klang und den Stil wieder ins Ohr zu bekommen. Wenn er einen Roman vor Ablauf der drei Stunden beendet hatte, begann er sofort wieder einen neuen.

Jane Austen (1775-1817)
Dies gehört zu meinen Lieblingskapiteln. Austen, die in ihrem Leben so gut wie nie alleine war (von Virginia Woolfs „eigenem Zimmer“ konnte sie nur träumen, musste sich ihre Freiräume erkämpfen. Zusätzlich erschwerend: Weder Freunde noch die Dienerschaft durfte wissen, dass sie schrieb. (Ihre Werke wurden anonym veröffentlicht – „by a Lady“.) Im stark frequentierten Gästezimmer verdeckte sie ihre Arbeit unter Löschpapier.
Sie stand früh morgens auf und spielte Klavier. Um 9 Uhr bereitete sie das Frühstück für die Familie vor – ihre einzige Hausarbeit. Abends las sie ihrer Familie aus dem entstehenden Werk vor.

Frédéric Chopin (1810-1849)
Chopin war am produktivsten, wenn er (eigentlich ein Stadtmensch) sich auf dem Lande befand, wo er sich langweilte. Dort stand er spät auf, aß im Schlafzimmer und verbrachte den Tag mit Komponieren, nur von kurzen täglichen Klavier-Unterrichtsstunden unterbrochen. Wenn ihn die Inspiration packte, spielte er die musikalische Idee an und rang mit ihr über Stunden und Tage, in denen er sich in sein Zimmer einschloss und weinte, schrieb, fluchte und auf und ab ging.

Gustave Flaubert (1821-1880)
Aufstehen um 10 Uhr. Wasser, Zeitung, Post, Gespräche mit der Mutter. 11 Uhr Brunch, danach Spaziergang. Geschichts- und Geografie-Unterricht für seine Nichte Caroline. Dann Lektüre. 19 Uhr Abendessen. 21 Uhr Gespräche mit der Mutter. 22 Uhr Schreiben in einem Wort-für-Wort-Kampf, da er unbedingt einen neuen Stil und „das richtige Wort“ finden wollte. Ausstoß: Zwei Seiten pro Woche.

Henri de Toulouse-Lautrec (1864-1901)
Arbeitete nachts: Skizzen in Kabaretts, Bordellen usw.
Hohe Mengen Alkohol. Schlafperioden morgens, früher Nachmittag. Früher Tod durch Alkoholismus und Syphillis.

Thomas Mann (1875-1955)
Aufstehen: 8 Uhr, Frühstück 8:30 Uhr. Arbeitsbeginn: 9 Uhr hinter streng verschlossener Tür. Kinder durften keinen Lärm machen, keine Post, keine Telefonate. Schreib-Ende: 12 Uhr. Was sich bis dahin nicht zu Papier bringen ließ, musste bis zum nächsten Vormittag warten.
Drogen: Zigaretten (max. 12), Zigarren (max. 2). Nach dem Mittagessen Lektüre. 16 Uhr Mittagsschlaf mit Ruhegebot für die Kinder. Dieses Gebot taucht in Beschreibungen seltsamerweise immer wieder auf, als sei es Ausdruck einer Künstlertyrannei. Dabei könnte man es auch umgekehrt sehen: Thomas Mann ließ die Kinder von 12 bis 16 Uhr und nach 17 Uhr Radau machen.

Karl Marx (1818-1883)
Von 9 bis 19 Uhr im Lesesaal des British Museum. Ein anderer Ort wäre als Studierzimmer auch kaum denkbar gewesen, in Anbetracht der ärmlichen Lebensumstände der Familie Marx. Lange Nachtarbeit. Dabei ununterbrochenes Rauchen.
Größte Reue: Geheiratet und seine Frau und Familie auf diese Weise ins Unglück gestürzt zu haben.

Sigmund Freud (1856-1939)
Aufstehen: 7 Uhr. Dann Frühstück und Rasur durch Haus-Barbier. Patienten von 8-12 Uhr. Mittag um 13 Uhr. Dabei oft versunken in Gedanken, auch wenn Freunde anwesend waren. Nachmittagsspaziergang. Abends lesen, schreiben, Lektorierung psychoanalytischer Zeitschriften.
Drogen: Bis zu zwanzig Zigarren täglich.
Jährlich drei Monate Sommerurlaub mit Familie in Kurorten oder Berghotels.

Carl Jung (1875-1961)
In Bollingen sehr spartanisches Leben, das sich vom intensiven Stadtleben mit seinen Therapiestunden, Vorlesungen und Seminaren unterschied: 7 Uhr aufstehen, dann zwei Stunden konzentriertes Schreiben. Denn Rest des Tages: Meditieren, Gäste empfangen, Briefe beantworten. 22 Uhr zu Bett.

Gustav Mahler (1860-1911)
Während seines Lebens war Mahler eher als Dirigent bekannt, das Komponieren für ihn nur eine Nebentätigkeit, der er in den Sommermonaten in einer Villa nachging.
Aufstehen: Vor 6:30 Uhr. Der Diener hatte ihm das Frühstück in die Kompositions-Laube zu bringen, und zwar ohne Mahler zu sprechen oder auch nur zu begegnen. Komponieren bis Mittag. Alma Mahler musste dafür sorgen, dass kein Geräusch an sein Ohr drang.
Lange Nachmittagsspaziergänge am Strand mit Notizbuch und Gattin.
Verbot Alma Mahler das Komponieren!

Richard Strauß (1864-1949)
In Ägypten beschrieb er folgenden Tagesablauf:
Aufstehen 8 Uhr, Bad und Frühstück. Anderthalb Stunden Spaziergang am Nil [unter den Künstlern scheint es nur wenige Frühspaziergänger zu geben). 11-13 Uhr Komponieren. Dann Mittagessen, Lektüre. 15-16 Uhr weiterarbeiten. Dann Tee und Spaziergang. 18 Uhr Briefe schreiben. 19 Uhr Abendessen. 21 Uhr Lesen. 22 Uhr Schlafen.
Drogen: 8-12 Zigaretten pro Tag.

Henri Matisse (1869-1954)
9-12 erste Mal-Sitzung. Dann Mittag, kleiner Mittagsschlaf, Weitermalen bis zum Abend.
Tägliches Arbeiten, auch an Sonntagen. Er erfindet Geschichten, um seine Modelle zu überreden, auch an Sonntagen für ihn zu sitzen. „Die armen Dinger verstehen nicht, dass ich nicht meinen Sonntag opfern kann, bloß weil sie Bräutigame haben.“

(Diesen Blog-Eintrag nach nur 5 Stunden Nachtruhe verfasst. Mit jagenden Gedanken 5 Uhr morgens erwacht, was mir höchstens 2-3 Mal pro Jahr widerfährt.)

Arbeitsroutinen von Künstlern II

Über einige Rituale ist man sich oft wohl gar nicht im Klaren, da man sie für selbstverständlich hält. Für die schlechten Gewohnheiten ist das Auge wahrscheinlich eher blind.
Nach dem Aufstehen muss so schnell wie möglich das Frühstück beginnen. (Eine Gewohnheit, die ich etwas schleifen lasse, seit ich zwei Mal pro Woche das Kind in den Kindergarten bringe.)
Pingelig bin ich hier bis in Fragen des Aufstrichs. Da aber Frühstück bei den meisten Menschen das konservativste Gericht ist, unterscheide ich mich hier in der Ritualisierung wohl wenig von anderen.
Schlechte Gewohnheit: E-Mails und Telefonate am Vormittag bearbeiten, da ich regelrecht spüre, wie die gesamte kreative Energie dann dort hineinfließt oder gar in der Facebook-Hölle verpufft.
Gute Gewohnheit: Nachmittägliches Joggen, Schwimmen gern vor Auftritten, Yoga an schreib-intensiven Tagen, Kraft-Training an freien Abenden.
Gute Gewohnheit: Kein Alkohol auf der Bühne. Seit 2003 keine Zigaretten.
Schlechte Gewohnheit: Überhaupt Alkohol zu trinken (auch wenn ich meine Grenzen zu kennen glaube).
Schlechte Gewohnheit: Eher anfallsmäßiges Schreiben. Zu oft am Nachmittag oder Abend. Nach der bisherigen Lektüre des Buchs sind die produktivsten Stunden aber der Vormittag, vor allem bei Schriftstellern. Mir scheint, dass eher jüngere Autoren dazu tendieren, bis in die Nacht hinein zu arbeiten.

Ingmar Bergmann (1918-2007)
In seinen Schreibphasen stand Bergmann um 8 Uhr auf, schrieb von 9-12. Mittag bis 13 Uhr. Weiter arbeiten von 13-15 Uhr. 1 Stunde Schlaf, dann Spazieren oder Boot fahren. Abends Filme oder fernsehen. „Dallas“ habe es ihm angetan. (Ähnlich arbeiteten seine Landsleute Benny und Björn von Abba, die sich auf dem Lande einschlossen und Dallas-Fans waren.)

Morton Feldman (1926-1987)
Arbeitete anfallsartig. Bei einem Arbeits-Urlaub morgens.
Übernahm einen Kreativitätstrick von John Cage: Einen Gedanken nicht nur notieren, sondern ihn danach gleich noch einmal kopieren, da man dann darüber nachdenke und sich Anschluss-Ideen fänden.

Wolfgang Amadeus Mozart (1756-1791)
Um den kreativen Ausstoß Mozarts wirklich würdigen zu können, muss man sich seine enormen sozialen Verpflichtungen und Belastungen vor Augen halten: Klavierunterricht, Konzerte, Besuche. Komponieren war ihm in der Regel nur abends von 18-21 Uhr möglich, wenn er nicht auftreten musste.

Ludwig Van Beethoven (1770-1827)
Bei Sonnenaufgang aufstehen, Kaffee trinken, dann bis 14 oder 15 Uhr arbeiten, unterbrochen von kurzen Spaziergängen. Am späten Nachmittag, nach dem Dinner, ausgedehnte Spaziergänge, immer mit Stift und Notenpapier. Abends Theater, Kneipe, Freunde.
Sein Biograph und Sekretär Schindler berichtet, dass sich Beethoven andauernd mit Wasser abspritzte und so durch die Wohnung lief.

Sören Kierkegaard (1813-1855)
Morgenschreiber, dann ausgedehnte Spaziergänge durch Kopenhagen.
Schön seine spezielle Droge: Ein Tässchen mit Zucker füllen und dann Kaffee aufgießen. Es entsteht ein brauner Koffein-Sirup.

Voltaire (1694-1778)
Über seine späten Jahre wird berichtet, er habe den Morgen im Bett verbracht, wo er las und seinen Sekretären diktierte. Droge: Kaffee und Schokolade. Ausfahrt in der Kutsche zwischen 14 und 16 Uhr. Dann wieder Arbeit bis 20 Uhr. Unklar, wann er aß.

Benjamin Frankling (1706-1790)

Sein Plan zur Erreichung „moralischer Vollkommenheit“ bestand darin, sich jede Woche eine Tugend vorzunehmen (Mäßigung, Sauberkeit usw.) und dann seine Verstöße dagegen in einem Kalender zu notieren. Nach einer Woche würde die Tugend zur Gewohnheit. Dies gelang ihm wohl auch, bis auf die bemerkenswerte Ausnahme der Tugend Ordnung.
Droge: Kalte Luftbäder.

Anmerkung: Es scheint, dass vor allem die Frühaufsteher auch Nachmittags-Spaziergänger sind.

Arbeitsroutinen von Künstlern I

Obwohl ich unter den mir bekannten Künstlern nicht unbedingt zu den Faulpelzen zähle, fällt es mir doch immer wieder schwer, mir sinnvolle Kreativitäts-Ecken freizuräumen. Die schlimmsten Fallen sind derzeit:
Das Internet: Man schreibt einen Text und will nur „noch mal schnell“ einen Begriff recherchieren. Und schwupps liest man sich bei Wikipedia fest, und wenn man schon mal online ist, kann man ja gleich auch noch Mails abrufen, ins Facebook reinschauen, wo ein geachteter Kollege ein hochinteressantes Video auf Youtube verlinkt, usw. usf.
Momentan gehe ich dem Computer zumindest beim Anlegen eines Textes oft aus dem Weg. Stift und Heft sind genau das richtige Werkzeug. Und ich spiele ernsthaft mit dem Gedanken, mir wieder eine mechanische Schreibmaschine zuzulegen.
Gefangen im Administrativen: Ich muss gestehen, ich organisiere gern. Die Planung des Kantinenlesens etwa – ein Zeitfresser ohnegleichen – macht mir außerordentlich viel Spaß. Und ich gehöre außerdem zur seltenen Rasse, die ihre Steuererklärung gerne macht, die mir wie eine Art Jahresrückblick aus einer bestimmten Perspektive erscheint. Aber so gerne ich diese Dinge auch tue, so weiß ich doch, dass sie mir die Zeit des Wichtigsten – des Kreativseins – rauben. Und so versuche ich (mit mäßigem Erfolg), immer mehr Aufgaben zu delegieren.
Familien-Stress: Die tief verinnerlichte Verantwortung fürs Kind und die Frau können einen sehr leicht aus dem Kreativitätsprozess herausreißen. Der Poet versucht zu fliegen, die Realität holt ihn auf den harten Boden zurück. Wer kann dichten, wenn nebenan das Kind schreit.
Kurioserweise war es der Familienstress, der dazu führte, dass ich mich wieder stärker auf Tagespläne konzentrierte. Nicht immer erfolgreich. Im Dezember letzten Jahres schlief das damals 7 Monate alte Kind morgens und nachmittags jeweils zwei Stunden. Vor- und Nachmittag teilte ich mit der Mutter auf. Eine Woche, nachdem ich einen fast minutiösen Tagesplan aufgestellt hatte, fiel er in sich zusammen, da das Kind seine Schlafgewohnheiten änderte. Derzeit weiß ich den Segen des Kindergartens zu schätzen, aber es kann natürlich jederzeit sein, dass das Telefon klingelt und wir hören müssen: „Ihr Kind hat Fieber, holen Sie es bitte ab.“ (In drei Monaten bisher drei Mal.)
Im Moment versuche ich, vormittags die Gedanken zu sammeln, gehe spazieren, mache Notizen, schreibe Textanfänge. Der Nachmittag ist reserviert für Administratives. Donnerstag werden E-Mails und Telefonate auf ein Minimum reduziert. Abends 3-4 Auftritte und 1-2 Workshops pro Woche. Es bleiben 2-3 Abende, an denen ich zuhause sitze und lese, leider auch zu oft im Internet versinke.
Der Witz ist: Alles, was wir regelmäßig tun, bewusst oder unbewusst, verfestigt sich zum Ritual, zur Routine, über die wir nicht weiter nachdenken. Also müssen wir Künstler uns zeitliche und räumliche Zonen schaffen, in denen wir schreiben, singen, tanzen können, ohne vom „Du musst“ oder „Du könntest aber auch“ gefangen zu werden.
Um einen Überblick über das tatsächliche Arbeiten zu bekommen, führe ich seit Anfang Mai ein zeitlich recht genaues Arbeitsjournal. Das Journal ist in fünf Kategorien aufgeteilt, die in den letzten sechs Monaten folgenden Anteil an der Arbeit einnahmen:
Kreatives Schreiben: 20%
Administrative Arbeiten: 20%
Shows und Auftritte: 43 %
Training: 9%
Workshops: 8%
Um die Wischi-Waschi-Grenze zu Freizeit-Aktivitäten nicht noch mehr verschwimmen zu lassen, habe ich alles exkludiert, was zu sehr in den Freizeit- oder Alltagsbereich lappt: Lesen, Internet-Recherche, Rechnungen begleichen, Treffen mit Kollegen. In den Bereich „Training“ geht alles, was klar der künstlerischen Weiterentwicklung dient, auch wenn ein direkter Nutzen nicht erkennbar ist, wie z.B. Klavier-Üben (ich werde wahrscheinlich nie öffentlich Klavier spielen).
Die Quoten sind derzeit recht zufriedenstellend. Im Vergleich zu den vergangenen Jahren habe ich die Workshop-Aktivitäten (auch wenn das derzeit das Lukrativste ist) deutlich zurückgefahren. Die Liste zeigt natürlich leider nicht die vertane Zeit, in der ich viel lieber hätte üben oder schreiben können.
Eigentlich kann ich nicht jammern: Als Vater mit einem anderthalbjährigen Kind kann ich glücklich sein, in den letzten 18 Monaten nicht nur einigermaßen, sondern sogar recht gut weiterarbeiten zu können. Und auch wenn ich nur noch selten bis um 8 Uhr morgens schlafen kann, so komme ich doch meist auf meine sieben Stunden Nachtschlaf, und im Gegensatz zu den meisten Büro-Angestellten gibt es in meiner Umgebung niemanden, der mir einen ordentlichen Nachmittagsschlaf verübeln würde.

In seinem Buch „Daily Rituals. How Great Minds Make Time, Find Inspiration, and Get To Work“ beschreibt Mason Currey, wie 168 Künstler aus verschiedenen Zeiten und aus unterschiedlichen Kunstdisziplinen ihren Tag strukturieren (oder auch nicht), welche Gewohnheiten ihr Leben und ihre Arbeit kennzeichnen, wie sie Inspirationen finden und unter welchen Umständen sie arbeiteten oder arbeiten.

W.H. Auden (1907-1973)
Frühaufsteher. Arbeitete strikt nach der Uhr. Kreative Zeit 7-11 Uhr. „Nur die Hitlers dieser Welt arbeiten nachts, aber kein ehrlicher Künstler.“ Drogen: Regelmäßig Amphetamine und Wodka Martinis. Nie später als 23 Uhr zu Bett.

Francis Bacon (1909-1992)
Aufstehen bei Tagesanbruch. Malen bis mittags. Nach außen hin scheinbar chaotisches und unordentliches Leben. Malutensilien und Bücher überall auf dem Boden verstreut, regelmäßiger Party-Gänger, reichhaltige Mahlzeiten, exzessiver Alkoholkonsum. ABER: Malen kam vor allem anderem.

Simone de Beauvoir (1908-1986)
Schwierigkeiten mit dem Tagesanfang. 10-13 Uhr und 17-21 Uhr Hauptarbeitszeiten.Wenig Luxus. Beschränkung auf die wichtigsten Dinge im Leben (inklusive Schlaf und Sex) ermöglichen die Arbeit.


Kurios auch: Fotos schreibender Schriftsteller. Welcher Schriftsteller kann schon schreiben, wenn er dabei fotografiert wird? Simone de Beauvoir muss hier für den Fotografen wahrscheinlich auch noch stillhalten und ernst gucken.

Thomas Wolfe (1900-1938)
Hauptarbeitszeit: Ab Mitternacht. Drogen: Enorme Mengen an Kaffee und Tee, sowie Zigaretten. Kuriose Gewohnheiten: Im Stehen auf dem Kühlschrank schreiben; Vorm Schreiben als Inspiration an den Genitalien spielen.

Patricia Highsmith (1921-1995)
Täglich 3-4 Stunden Schreiben am Morgen. („I have ideas as frequently as rats have orgasms.“). Harter Drink vorm Schreiben, um das Energieniveau herunterzufahren. Kettenraucherin. Kurioses Hobby: Ihre Sammlung von Schnecken, die sie bei ihrem Umzug nach Paris illegal ins Land brachte.

(wird fortgesetzt)

Sieben Jahre Brain Pickings

Sieben Jahre Brainpickings Blog. Woher diese junge Frau die Zeit und die Kraft nimmt, soviel zu lesen und zu schreiben, und das neben einem Vollzeit-Job, ist mir unklar. Ihre sieben wichtigsten Lehre aus diesen sieben Jahren:

  1. Erlaube dir den Luxus, deine Meinung zu ändern.
  2. Tue nichts nur um des Geldes, des Status oder der Anerkennung willen.
  3. Sei großzügig.
  4. Schaffe dir Zonen der Ruhe.
  5. Wenn dir Leute sagen, wer du bist, glaube ihnen nicht.
  6. Präsenz ist eine komplizierter und lohnender als Effizienz.
  7. Alles Lohnende braucht seine Zeit.