Amateure und Profis (6) – Professionalität als Falle

(Ergänzung: Diese Gedanken habe ich bearbeitet und weiter ausgeführt im Buch „Improvisationstheater. Band 8: Gruppen, Geld und Management


„Das ist aber überhaupt nicht professionell!“ Irgendwann hört jeder diesen Satz – im Backstage oder bei einer Gruppensitzung, man liest ihn als Argument in einer Online-Diskussion oder im E-Mail-Verkehr.
Wenngleich Professionalität als Haltung eine wichtige Tugend ist, wie wir gesehen haben, so gerät sie auch rasch zum Totschlag-Argument. Das Webdesign, dass einem nicht gefällt, das Outfit eines Kollegen, sogar bestimmte Show-Formate werden mit dem Professionalitäts-Besen vom Tisch gefegt.
Aber: Wenn man sich nur an den Standards anderer Spieler und Gruppen orientiert, erlahmt die eigene Phantasie. Ich frage mich bei manchen auf Hochglanz und Eleganz getrimmten Flyern von einigen Impro-Gruppen, wo denn das Spielerische bleibt. Aus Furcht davor, nicht wie eine Volkshochschul-Theatertruppe rüberzukommen, wirken sie wie Consultants aus dem Londoner Finanzdistrikt. In welcher Profi-Impro-Gruppe würde heute ein Flyer goutiert werden, in der ein Typ mit Perücke in einem Blumentopf sitzt und darüber in Krakelschrift mit Filzstift „Lass knacken, Oppa“ geschrieben steht? Mit diesem Plakat warb einer der erfolgreichsten deutschen Komiker für seine Tour im Jahr 2015 – Helge Schneider.
Schlimmer noch ist es, wenn es um die „Professionalität“ von Impro-Shows geht. Ich habe erleben müssen, wie darum gestritten wurde, ob der Schiedsrichter eines Theatersport-Matches eine Trillerpfeife haben müsse, und beide Seiten warfen der der anderen Unprofessionalität vor. Impro-Konventionen werden verteidigt, Experimente ausgebremst, alles unter dem Deckmantel der Professionalität.
Das große Köln-Concert improvisierte Keith Jarrett auf einem Flügel, der verstimmt war und bei dem die Pedalen klemmten. Aber manche Improtheater-Musiker zicken bei technischen Fragen wie pubertierende Mädchen. So ernst man technische Details auch nehmen soll – als Impro-Künstler muss man auch mit dem Unperfekten umgehen können.
Sound-Checks auf Kleinstbühnen werden mit Verweis auf Professionalität ins Unendliche gezogen, als würde man die Mailänder Scala füllen wollen, nur um schließlich einen halben Song ins Mikro zu gröhlen, bei dem der Techniker auch noch nachjustieren muss.
Und schließlich habe ich auch erlebt, wie das Schauspiel oder die Improvisation von Impro-Spielern als unprofessionell bezeichnet wurde. Der „Unprofessionell!“-Vorwurf ist das hohlste Argument von allen. Eine schauspielerische Geste erzielt ihre Wirkung oder nicht. Ein Impro-Angebot ist stark oder schwach, reichhaltig oder unklar. Ein Satz verständlich oder nicht. Eine Szene temporeich oder lahm. Eine Show lief gut, mittelmäßig oder miserabel. Ein Spieler muss an seiner Präsenz oder seiner Akzeptierfreude arbeiten. Das sind alles Kategorien, mit denen man eine Show, eine Szene oder auch einen Spieler beobachten und nötigenfalls auch beurteilen kann. Aber das Schlagwort „Unprofessionell“ hilft niemandem weiter.

Amateure und Profis (5) – Laien und Dilettanten

(Ergänzung: Diese Gedanken habe ich bearbeitet und weiter ausgeführt im Buch „Improvisationstheater. Band 8: Gruppen, Geld und Management

Als Impro-Laien bezeichnen wir Spieler, die nur gelegentlich auf die Bühne gehen, etwa zum Abschluss eines Workshops. Von ihnen erwartet man keine großen dramatischen Leistungen, und auch die Toleranz des Zuschauers gegenüber dem Scheitern ist ziemlich hoch. Unperfektes Timing, mittelmäßiger stimmlicher Einsatz und grobe Figurenzeichnung, all das vergibt man jemandem gern, der zum ersten Mal auf der Bühne steht, sich aber hundertprozentig engagiert. Bei solchen Gelegenheitsauftritten wird Professionalität in der Regel nicht erwartet. Selbst innerhalb der Gruppe gibt es keinerlei Verbindlichkeiten. Und doch: Niemand wird etwas dagegen haben, wenn man als Laie mit Profi-Tugenden wie Pünktlichkeit, Respekt, Engagement und Verbindlichkeit glänzt.
Unter Dilettantismus verstehen wir wiederholte Stümperei. Wir wissen, dass die Möglichkeit des Scheiterns der Improvisation innewohnt. Aber wer sich nicht soweit mit den grundlegenden Techniken des Schauspiels, des Storytelling und der Improvisation auseinandergesetzt hat, dass das in den weitaus überwiegenden Fällen zu befriedigenden Ergebnissen führt, muss an sich arbeiten.
Von Dilettantismus sind übrigens auch Profis nicht immer völlig frei. Ich habe hier schon mehfrach die Problematik des „Absichtlich-schlecht-Spielens“ besprochen: Manche Impro-Spieler spielen bewusst ein bisschen „drüber“, um Klamauk-Lacher beim Publikum zu bekommen, sie singen bewusst schlecht, um für ihren Mut, überhaupt zu singen bewundert zu werden. Aber letztlich verderben sie dadurch ihre Kunst.
Und schließlich gibt es auch immer wieder Schauspieler, die frisch von der Schauspielschule kommen (und sich somit zu den Profis zählen) und glauben, mit den Impro-Übungen aus ihren Seminaren kurzerhand eine improvisierte Show zusammenbasteln zu können. Sie mögen Schauspiel-Profis sein und verstehen nicht, dass ihre Improvisation dilettantisch ist.

Amateure und Profis (4) – „Haben Sie denn auch eine Ausbildung?“

(Ergänzung: Diese Gedanken habe ich bearbeitet und weiter ausgeführt im Buch „Improvisationstheater. Band 8: Gruppen, Geld und Management


Diese sehr deutsche Frage kommt oft von im Grunde wohlwollenden Zuschauern nach einer Show und bringt so manchen Amateur ins Schwitzen.  Das ist überhaupt nicht nötig. Eure Show und deine persönliche Performance waren gut, mittelmäßig oder schlecht. Und auch wenn eine schauspielerische Ausbildung (und gemeint ist hierzulande ja immer ein Studium an einer Hochschule) einen Aspekt des Impro-Spiels fördert, sagt das noch nichts über die Show oder die persönlichen Leistungen aus. Umgekehrt garantiert ja auch ein Schauspielstudium nicht, dass man anschließend von seiner Kunst leben kann und sich berechtigterweise „Profi“ nennen kann.
Wenn du regelmäßig auf einer Bühne improvisierst, wirst du höchstwahrscheinlich zu-mindest in irgendeiner Form Improtheater-Training genossen haben. Insofern kann die Antwort auf die Frage eigentlich nur „Ja“ sein. Testhalber kann man auch mal „Nein“ antworten, nur um zu sehen, dass die Reaktionen der Fragesteller in der Regel trotzdem positiv sind.

Liebster Award. Ob sich Volker Strübing und Claudia Hoppe kennen, weiß ich gar nicht.

Irgendwie war dieser Hype an mir vorübergegangen. Und so hielt ich Claudias Einladung zum Liebster Award zunächst für eine Mischung aus Kettenbrief und Schmu. Vielleicht ist es das ja auch, aber dann hat sich dieser Award schon davon emanzipiert und verbreitet auf lustige Art Freude unter den Menschen.
Ich wurde also von Claudia Hoppe „nominiert“, was wohl in diesem Zusammenhang einfach heißt, dass sie meinen Blog mag. Und dafür danke ich dir, liebe Claudia.
Zu den Spielregeln gehört, dass man einen anderen Blogger nominiert. Aus Zeitgründen lese ich nur noch sehr wenige Blogs regelmäßig. Einer ist der Blog Schnipselfriedhof meines Kollegen Volker Strübing, mit dem ich jahrelang bei der Chaussee der Enthusiasten auf der Bühne stand. Volker ist wahrscheinlich der vielseitigste Künstler, die ich persönlich kenne. Er schreibt Kurzgeschichten, komponiert, fotografiert, programmiert, dichtet, singt, macht Animationsfilme, und bloggt. Und in allem erkennt man seine Stimme, seine Handschrift. Ich weiß nicht, ob Volker auch kocht. Aber ich glaube, ich würde sogar an von ihm zubereiteten Spaghetti mit Tomatensauce den Volker durchschmecken.
Volkers Blog gewinnt seine Qualität nicht durch ein inhaltliches Alleinstellungsmerkmal, sondern durch die Vielzahl der Themen, Kindererziehung, Richard Wagner, Makroökonomie, die alle durch Volkers sehr spezielles Hirn wandern. Volker, du musst jetzt Fragen beantworten, die du am Ende dieses Artikels findest. Das ist Teil des Spiels.

Aber hier kommen erst einmal meine Antworten auf Claudia Hoppes Fragen.

1. Warum Improtheater?
Ich denke, Improvisationstheater ist eine Kunstform, deren Komplexität tendenziell unterschätzt wird. Der einzelne Improspieler spielt zu jedem Zeitpunkt auf drei Ebenen – mit den Zuschauern, mit seinen Mitspielern und sich selbst. Die Aufgaben sind kolossal: Es werden schauspielerische, erzählerische und Regie-Fähigkeiten verlangt, möglicherweise auch noch Tanz, Musik, Poesie. Dazu kommen noch die improvisatorischen Fähigkeiten: Zuhören, Akzeptieren, Fortführen, Wiedereinführen usw. Das macht Improvisationstheater zu einer aufregenden künstlerischen und persönlichen Herausforderung. Improtheater lässt einerseits eine ungeheure Breite an Themen zu, andererseits ist man gefordert, den Strom des Unbewussten zuzulassen, sein Bestes zu geben, und gleichzeitig „mittelmäßig zu sein“ (wie Keith Johnstone es formulierte). Das heißt, man ist nicht nur künstlerisch gefordert, sondern auch persönlich. Man kann nicht improvisieren, ohne sich der Herausforderung zu stellen, seine Persönlichkeit zu verändern, was das Improvisieren wieder zu einer spirituellen Erfahrung machen kann, die wiederum Einfluss auf das künstlerische Ergebnis hat. (Wenn das jetzt zirkulär klingt, dann hast du richtig gelesen.)

2. Langform oder Games?
Auf der Bühne dominieren bei mir seit inzwischen zehn Jahren die Langformen, die ich sehr schätze, weil sich hier die große Kraft des Improtheaters entfalten kann, die Kreativität erst richtig strömt und den Storys mehr Raum gegeben wird. Games nutze ich in Workshops und Proben. Gute Games sind erstens lehrreich, sie fokussieren auf eine bestimmte Impro-Tugend. Und zweitens sind sie durch ihre bizarren Restriktionen vergnüglich anzuschauen. Ich halte Games im Improtheater für unverzichtbar. Letztlich wird man auch Langformen nur spielen können, wenn man einen Nerv für Games im weiteren Sinne hat, denn jeder guten Szene liegt ein Game zugrunde, ein Hebelpunkt.

3. Liegt der Fokus für Dich beim Impro mehr auf dem „künstlerischen“ Aspekt oder auf der Persönlichkeitsentwicklung?
Seit langem ist es der künstlerische Aspekt (s.o.). Als geistige Quelle war Improtheater für mich vor allem in den ersten Jahren der Praxis ungeheuer bereichernd. Durch das Buch „Free Play“ von Stephen Nachmanovitch bin ich auf die zugrundeliegenden Prinzipien gestoßen, die auszuführen hier zu weit gehen würde. Seitdem ist Improtheater eine von verschiedenen Übungen, die die Persönlichkeitsentwicklung beeinflussen.

4. Mit wem würdest Du gerne einmal Impro spielen?
Tess Degenstein, deren Auftritt mich vor anderthalb Jahren aus einer kleinen Improkrise herausgeholt hat. TJ & Dave. Jacob Banigan, Beatrix Brunschko, Nadine Antler.

5. Welchen Berufswunsch hattest Du als Kind?
Als ich ein kleines Kind war, redete mir mein Großvater ein, Rot-Kreuz-Fahrer wäre ein Traumberuf. Vielleicht hat das mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun, wo dieser Job etwas sicherer war, als sich direkt in den Kampf zu begeben. Ernsthaft wollte ich Lehrer werden, ich hab ständig anderen etwas beigebracht. Auf Umwegen bin ich es ja dann auch zumindest teilweise noch geworden.

6. In welchem Schulfach warst Du richtig gut / schlecht?
Ich war in Mathematik so gut, dass ich es sogar studieren wollte. Deutsch, Musik und Fremdsprachen lagen mir auch, ohne dass damit weitere Ambitionen verknüpft gewesen wären. Komischerweise war ich in Sport ziemlich gut, obwohl ich mich immer für unsportlich hielt, weil ich nicht werfen konnte. Alles, was mit räumlicher Vorstellung zu tun hatte, hat mir Mühe bereitet: Werken, PA, Kunst. Bio und Chemie waren die zwei Fächer, in denen ich büffeln musste. Theater gab es an unserer Schule nicht.

7. Was macht Dir so richtig gute Laune?
Waldspaziergang. Lesen am See. Mit humorvollen Improspielern sich gegenseitig auf der Bühne zu necken. Und natürlich das, was allen Erwachsenen gute Laune macht.

8. Hast Du ein Lieblingslied? Wenn ja, welches?
Ich glaube, das mit den Lieblingssongs hat aufgehört, als ich zwanzig wurde. Der letzte Song, den ich als Lieblingslied bezeichnet habe, war wohl „Buffalo Soldier“ von Bob Marley. Ich will mich aber nicht dem Game verweigern, und so lasse ich mal ein paar Namen fallen, um das Ganze einzukreisen.
Klassik:
Mozart: Credo aus Missa Solemnis KV 337
Verdi: Duett Rigoletto/Gilda
Händel: I know that my redeemer liveth.
Pop:
Eminem: Kill You
Eurythmics: I Saved The World Today
The Beatles: For No-One / In My Life
Sex Pistols: Anarchy In The UK
Ideal: Rote Liebe
AC/DC: Touch Too Much
Jazz:
Charlie Parker: Dexterity
Clifford Brown/Max Roach: Jordu

9. Auf Netflix / im Fernsehen: Filme oder Serien?
Kino wäre schwerer, da ich so gut wie keine Serien gucke. Am meisten beeindruckt haben mich The Wire und The Office (das englische Original). The Wire entfaltet eine ungeheuer reiche und wahrhaftige Geschichte, die keinen wirklichen Protagonisten hat, aber voll von menschlichen Dramen und Tragödien ist. Das englische Office stellt alle  in den Schatten. Man leidet beim Lachen. Im Gegensatz zur amerikanischen Serie wird nichts aufgelöst. In gewisser Weise erinnert das mich an den Karl Valentin.

10. Worauf bist Du besonders stolz?
Darüber mache ich mir eigentlich wenig Gedanken. Es gibt eine Handvoll Dinge, auf die ich im privaten Bereich auf eine Weise froh bin, die dem Gefühl von Stolz sehr nahekommt. Beruflich: Als wir bei der Abschieds-Show der Chaussee der Enthusiasten stehenden Applaus bekamen, wurde mir erstmals so richtig klar, dass wir mit dieser Show in den Jahren 1999 bis 2015 etwas geschaffen haben, das sehr vielen Berlinern und Berlin-Besuchern etwas bedeutet hat. Wir haben Menschen zusammengebracht. Manche Paare haben sich bei uns kennengelernt. Und wir haben unsere vielleicht etwas schräge Perspektive auf das Leben anderen nahegebracht. Manchmal werde ich auf der Straße darauf angesprochen und mit einem Zitat eines der Kollegen konfrontiert. Es war eine Kollaboration, bei der ich froh bin, dabei gewesen zu sein.

11. Wenn eine gute Fee erschiene und Dir einen Wunsch erfüllen würde: Was würdest Du Dir wünschen?
Ich weiß gar nicht, welche Kraft Feen so haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie den Klimawandel aufhalten können, sonst hätten sie es ja schon getan. Eher etwas, das mit einem Blingeling aus ihrem Zauberstab eine klitzekleine Wirkung hat. Vielleicht sollte sie den kleinen Leberfleck auf meinem linken Zeigefinger entfernen, aber das wäre wohl Missbrauch der Feenkräfte. Soll ich sie um Geld bitten? Zu trivial. Um Weisheit, so wie Salomon? Aber was nützt die Weisheit, wenn man sie sich selber nicht erarbeitet? Ich würde der Fee und mir wahrscheinlich einen guten Tag wünschen.

Hier nun die Fragen für Volker.

1. Wer ist dein liebster lebender und wer dein liebster toter Dichter deutscher Sprache?
2. Was würdest du mit einer (plötzlich geschenkten) Million Euro tun?
3. Welche drei Filme, die man gesehen haben muss, hast du nicht gesehen?
4. Was fasziniert dich am Katholizismus am meisten?
5. Ein peinliches Lied aus deiner Jugend, das du immer noch gerne hörst? (Ich habe ein Fragezeichen gesetzt, obwohl es keine Frage ist. Krass.)
6. Welche deutsche Mundart (außer Thüringisch oder Berlinerisch) hörst du gern?
7. Wann ist ein Science Fiction Roman gut?
8. Welche Fremdsprache (außer Englisch und Niederländisch) würdest du gern perfekt sprechen können?
9. Und was, wenn es eine Milliarde Euro sind?
10. In welchen Situationen bist du wie jener legendäre Sachse „zufrieden, ruhig und glücklich“?
11. Was würdest du dem zwölfjährigen Volker raten?

Amateure und Profis (3) – Braucht der Amateur eine „professionelle Haltung“?

(Ergänzung: Diese Gedanken habe ich bearbeitet und weiter ausgeführt im Buch „Improvisationstheater. Band 8: Gruppen, Geld und Management

Die klare Antwort lautet: Kommt drauf an.
Es kommt drauf an, in welchem Kontext du improvisierst, vor welchen Zuschauern, ob Geld bezahlt wird, wie du dich anpreist und wie du wahrgenommen werden möchtest.
Nehmen wir folgendes Szenario: Ihr improvisiert seit ein paar Monaten in abendlichen Proben mit Freunden aus reiner Freude. Und nun werden drei von euch gefragt, ob ihr auf der Geburtstagsparty einer Kommilitonin zwei, drei kleine Games aufführen möchtet. Niemand wird von euch in einer solchen Situation superduperprofessionelles Auftreten erwarten. Selbst eine kleine Verspätung wird man bei einem derart niedrigschwelligen Auftritt zwar persönlich verantworten müssen, aber nicht mit einem Berufs-Ethos in Konflikt kommen. Nichtsdestotrotz kann es auch hier nicht schaden, sich in professionellem Verhalten zumindest zu üben. Man muss nicht eine kleine Party mit einer Riesen-Gala verwechseln, aber wenn man beabsichtigt, vielleicht öfters aufzutreten, sind solche Fingerübungen nicht das Schlechteste.
Denn dass man als Amateur ganz ohne eine gewisse professionelle Einstellung aus-kommt, wäre eine Fehlannahme! Wenn ihr in einer Impro-Gruppe spielt, die auf längere Sicht angelegt ist, braucht ihr professionelle Formen und Umgangsweisen. In dem Mo-ment, wo ihr vor zahlendem Publikum auftretet, darf das Publikum auch eine gewisse Erwartung an Mindeststandards haben.
Und schließlich habt ihr auch eine Verantwortung vor euch selber. Denn die Ansprüche an die Qualität einer Show sind unabhängig davon, ob ihr vom Improvisieren leben könnt. Sie sind auch unabhängig davon, ob die Zuschauer viel oder wenig Geld bezahlen. Und sie sind ebenfalls unabhängig davon, ob ihr an dieser konkreten Show verdient oder nicht. (Letzteres gilt im Übrigen auch für Profis!) Warum sollte man keine Energie in eine Impro-Show stecken! Gerade wenn man nicht davon lebt, sondern nur zum Spaß improvisiert, muss man doch das Bestmögliche aus dieser unbezahlten oder geringvergüteten Zeit machen.

Amateure und Profis (2) – Improtheater als Hobby und warum man Amateur bleibt

(Ergänzung: Diese Gedanken habe ich bearbeitet und weiter ausgeführt im Buch „Improvisationstheater. Band 8: Gruppen, Geld und Management


Was bedeutet es, Improtheater zu spielen, wenn man überhaupt keine Gewinnabsicht damit verbindet?
Zunächst einmal ist es überhaupt keine Schande, als Amateur-Gruppe Improtheater zu spielen oder als Amateur in einer Improtheater-Gruppe zu spielen. Es sagt noch nicht allzu viel über die Qualität der Shows aus. Und es gibt außerdem Gruppen, in denen einige Spieler ihr Geld mit Improtheater verdienen und Spieler, die reine Amateure sind und es vielleicht sogar bleiben wollen. Amateure sind per definitionem Liebhaber ihrer Kunst. Im besten Falle spiegelt sich das auch auf der Bühne wider.
Um Amateur-Spieler oder Amateur-Gruppe zu sein oder zu bleiben, gibt es mehrere Gründe:

  • Die Liebe zum eigenen Job.
    Wenn du einen Beruf hast, der dich erfüllt und den du gern ausübst, der dir und deiner Familie ein gutes Auskommen beschert, dann gibt es doch keinen Grund, diesen aufzugeben, wenn du das mit den zeitlichen Anforderungen, die dein Hobby von dir verlangt, unter einen Hut bekommst.
  • Fehlende Rentabilität
    Wenn man in einer kleinen Stadt einmal pro Monat im Gemeindesaal vor fünfzig Zuschauern bei einem Eintritt von 10 Euro auftritt, dann kann man sich noch so Mühe geben und nach der Decke strecken, die Wahrscheinlichkeit, dass alle Spieler hier irgendwann davon leben werden, sind gering, solange man nicht Grundlegendes ändert.
  • Ungünstiger Markt
    Ein Dorf ist, wie eben beschrieben, ein ungünstiger Markt für Improtheater. Aber eine improgeschwängerte Stadt wie zum Beispiel Chicago ist es eventuell auch. Wenn hinter jeder Ecke ein Impro-Spieler lauert, der auf eine große Impro-Karriere wartet, dann ist die Konkurrenz einfach sehr, sehr hart. Der Vorteil der großen improsatten Städte ist natürlich, dass man leichter auf Gleichgesinnte stößt, mit denen man die eigene Vision durchsetzen kann. Aber dafür brauchst du ein glückliches Händchen und einen langen Atem.
  • Fehlende Risikobereitschaft
    Wenn man bereits einen Job hat, ist es unter Umständen eben auch ein recht hohes Risiko, sich völlig neu zu orientieren, selbst wenn die Aussichten gar nicht übel sind. Wenn man eine Weile Improtheater gespielt hat, unterrichtet, vielleicht auch schon die Fühler Richtung Businesstheater ausgestreckt hat, entwickelt man ein Gefühl dafür, was möglich ist. Man muss aber bereit sein, diesen Sprung zu wagen.
  • Fehlende Qualität
    Dies ist sicherlich ein heikler Punkt. Aber man muss darüber reden. Ich sehe immer wieder, wie sich Impro-Gruppen mit Werbung abrackern, Unsummen in bedruckte Streichholzhefte, Kugelschreiber und T-Shirts stecken, Workshops anbieten und sich Firmen anbieten. Und trotzdem bleiben sie stecken, weil sie nicht genügend an sich selbst arbeiten. Die traurige Nachricht lautet: Dass eine Show improvisiert ist, reicht als Distinktionsmerkmal nicht aus. „Alles ist improvisiert!“ ist keine Schlagzeile mehr. Es müssen noch eine Menge Aspekte dazukommen, die ich hier in anderen Blog-Einträgen schon diskutiert habe: Bühnenpräsenz, inhaltliche Relevanz, darstellerische und erzählerische Eleganz usw.
    Einige Mängel lassen sich auf der Bühne sicherlich mit Frische und Tempo überspielen. Und wenn die Werbung geschickt gemacht ist, funktioniert sie vielleicht sogar für eine Weile. Aber ein Zuschauer, der sich einmal gelangweilt hat, kommt so schnell nicht wieder.

Amateure und Profis (1) – Professionalität als Haltung

(Ergänzung: Diese Gedanken habe ich bearbeitet und weiter ausgeführt im Buch „Improvisationstheater. Band 8: Gruppen, Geld und Management


Mit kaum einem Begriff wird in der darstellenden Kunst und besonders im Improtheater so viel Schindluder getrieben wie mit „Professionalität“. Wenn wir uns den üblichen Sprachgebrauch anschauen, werden unter Professionalität drei verschiedene Dinge verstanden:

  1. Die berufsmäßige Ausübung der Kunst, d.h. dass man seinen Lebensunterhalt damit verdient.
  2. Eine bestimmte routinemäßige Haltung zur Kunst, insbesondere Fokus, Achtsamkeit und das Vermeiden persönlicher Allüren und Zimperlichkeiten.
  3. Die Qualität der Kunst.

Ich verwende hier Professionalität hauptsächlich im ersten und im zweiten Sinne des Wortes. Das hat mit folgenden Überlegungen zu tun. Zunächst ist, wer von seiner Kunst leben kann, ein professioneller Künstler. Das sagt noch nichts über die Qualität dessen aus, was er tut. Man schalte den Fernseher an und schaue sich eine beliebige Mixed Comedy-Show an. Neben einigen Genies sieht man erstaunlich viele Bühnenkünstler, die eine Menge Geld dafür erhalten, Abscheulichkeiten zum Besten zu geben, auf Minderheiten herumzuhacken, Plattitüden über Politiker aufzusagen und Vorurteile des Publikums zu bestätigen. Und doch sind es Profis. Sie haben große Mühen auf sich genommen, ein gewisses Talent mitgebracht und sicherlich auch ein bisschen Glück gehabt, um dorthin zu kommen, wo sie heute sind.
Ähnlich ist es auch in der Improtheater-Szene. Die Tatsache, dass jemand viel Zeit und Mühe in die schauspielerische und die Impro-Ausbildung gesteckt hat, dass er zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist und nun in einem erfolgreichen Ensemble spielt, erhöht zwar die Wahrscheinlichkeit für hohe Impro-Qualität, ein Garant ist sie aber nicht.
Ein berühmtes Beispiel aus der bildenden Kunst ist Vincent Van Gogh, der sich zu Lebzeiten mit seiner Kunst kaum über Wasser halten konnte, heute aber von Kritikern, Liebhabern und dem breiten Publikum ungeheuer geschätzt wird. Und natürlich gibt es solche Künstlertypen und -Gruppen auch im Improtheater: Sie gehen neue Wege, die nur von wenigen verstanden werden, sind aber vielleicht auch nur unfähig oder ungeschickt, ihre Arbeit angemessen zu vermarkten.  Oder sie haben einen Hauptberuf, den sie lieben und von dem sie nicht lassen wollen.
Und umgekehrt: Nur weil du erfolglose Avantgarde betreibst und nicht weißt, wie du dich über Wasser halten kannst, bedeutet das nicht, dass deine Impro-Kunst zu großartig ist, um von anderen verstanden zu werden. Es gibt eben auch miese Avantgarde.

Professionalität als Haltung und Einstellung (d.h. Professionalität im zweiten Sinne) ist eine Voraussetzung, um überhaupt dauerhaft erfolgreich Improtheater ausüben zu können. Sicherlich kann man eine Reihe von Flausen und Mickrigkeiten überspielen, aber sich dauerhaft unprofessionell zu geben, bringt einen nicht auf einen grünen Zweig – weder künstlerisch noch finanziell. Zur professionellen Haltung gehören folgende Facetten.

  1. Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit
    Es fängt damit an, dass du einfach das erledigst, worauf du dich mit der Gruppe geeinigt hast: Pünktlich zu den Proben kommen, Auftritte nicht versäumen, E-Mails lesen und beantworten. Ebenso zuverlässig sei man in der Zusammenarbeit mit Kunden (die z.B. eine Show gebucht haben) und anderen Kooperationspartnern (z.B. den Betreibern der Location) zuverlässig zu erweisen: Termine einhalten, Probleme rechtzeitig und klar kommunizieren.
  2. Kompetenz
    Kompetenz in der Kunst ist nicht etwas, was man irgendwann einmal erlernt hat, sondern sie ist immer wieder zu erneuern. Denn wie jede andere Kunst auch bleibt Improvisationstheater nicht stehen. Wenn du also seit zwanzig Jahren (vielleicht sogar finanziell erfolgreich) deinen alten Stiefel fährst, dann verhältst du dich unprofessionell, weil du deine Kompetenz nicht schärfst.
  3. Rücksicht, Höflichkeit, Respekt und Integrität
    Wer sich einen Ruf als professionell handelnder Improspieler erarbeiten will, sollte andere so behandeln, wie man selbst behandelt werden will. Seid rücksichtsvoll gegenüber Fehlern und Schwächen anderer. Respektiert eure Kollegen – das Barpersonal, die Kassierer und Techniker. Respektiert die Impro-Kollegen inner- und außerhalb eurer Gruppe. Egal, welchen Stil sie spielen, egal ob euch das gefällt, was diese tun, egal ob es Profis oder Amateure sind, respektiert sie! Und (ich wiederhole mich) lästert nie! Seid ehrlich und loyal. Nehmt eure Kollegen in Schutz gegenüber Lästerern. Beklagt euch nicht über frühere Mitspieler.
  4. Engagement
    Engagiert sein ist nicht nur eine Frage des Bühnenverhaltens, sondern auch im Miteinander wichtig. Auch „Kleinigkeiten“, die nicht unmittelbar mit dem Auftritt zu tun haben, werden ernst genommen. Das heißt nicht, dass alle immer zu jeder Kleinigkeit dieselbe Meinung haben müssen. So können wir z.B. unterschiedlicher Meinung sein, ob die Gruppenfotos noch etwas taugen oder ob wir neue brauchen. Die professionelle Haltung zeigt sich darin, dass wir die Frage und die Sorge ernst nehmen.
    Engagement bedeutet darüber hinaus, dass wir Auftritte und Proben ernst nehmen, also pünktlich und ausgeruht erscheinen, dass wir bereit sind, all unsere Fähigkeiten beizusteuern, statt Auftritte nur „abzuarbeiten“, und zwar auch dann, wenn wir dieses Publikum nie wieder sehen werden.
  5. Persönliche Verantwortung
    Je größer die Gruppe und je stärker die Hierarchie, umso einfacher ist es für den Einzelnen, sich zurückzulehnen und einfach mitzusurfen. Wenn zum Beispiel die zwanzig Mitglieder einer größeren Gruppe aufgefordert werden, sich online einzutragen, wann sie proben können, kann man einfach die anderen die Arbeit machen lassen und sich dann an die Gruppenentscheidung dranhängen. Aber professionell ist das nicht, da sich persönliche Verantwortung auch im Kleinen zeigt.
  6. Persönliches so weit wie möglich heraushalten
    Vielleicht ist dies der schwierigste Professionalitäts-Aspekt im Improtheater, denn schließlich ist Improtheater eine sehr persönliche Angelegenheit. Das heißt, wenn wir sensibel spielen, werden wir nicht umhin kommen, große Teile unserer Persönlichkeit anderen zu offenbaren. Im Improtheater wird man seine Kollegen so nah kennenlernen wie in kaum einem andere Beruf. Man erfährt von den Vorlieben und Abneigungen anderer, man lernt ihre Stärken und ihre Schwächen kennen. Entscheidend ist, diese Nähe nicht zu missbrauchen (offenbarte Schwächen zum Beispiel in einer Diskussion als Argumentationswaffe zu nutzen), persönliche Probleme nicht so weit in die Gruppe hineinzutragen, dass sie sie belasten, und Berufliches nicht persönlich nehmen. Und zu guter Letzt: Als professioneller Improspieler musst du im Prinzip mit jedem anderen Improspieler improvisieren können, unabhängig davon, ob du ihn leiden kannst oder nicht, denn hier zählen nur fachliche Aspekte.

*

Ergänzung 2019: Diese Gedanken wurden später ausgeführt in Dan Richter: „Improvisationstheater. Band 8: Gruppen, Geld und Management“

Impro im Alltag – eine Antwort auf Claudia Hoppe

In ihrem Blog-Eintrag vom 23. August 2017 wirft die Berliner Impro-Schauspielerin Claudia Hoppe die Frage auf, wie weit sich die heitere Sicherheit des Improvisierens in den Alltag übertragen lässt. Während wir beim Improtheater-Spielen, insbesondere bei Proben und Workshops, eine sichere Sphäre erschaffen, in der das Scheitern nicht nur toleriert, sondern geradezu gefeiert wird, trifft das ja, so Claudia Hoppe sinngemäß, im Alltag nicht zu: Wir stehen unter Beobachtung, werden kritisiert, und Scheitern ist oftmals eben keine Option.
Ich denke, dass sie hier ein wichtiges, heikles Problem anspricht, mit dem wir als Improspieler immer wieder konfrontiert werden: Auf der Bühne sind wir angstfrei und spontan, und vielleicht können wir den einen oder anderen Aspekt des Improvisierens auch in den Alltag retten, aber letztendlich strampeln wir uns ab wie die meisten anderen auch.
Allerdings haben wir eine Kleinigkeit unseren nicht-improvisierenden Mitmenschen voraus: Die Techniken und Geisteshaltungen, mit dem Scheitern kreativ umzugehen.
Allerdings ist die bewusste Übertragung des Impro-Handwerks nicht ganz so einfach wie man sich das manchmal denkt. Und das beginnt schon beim Improtheater selber. Ja, ein Improtheater-Workshop schafft im Idealfall eine sichere Sphäre. Man kann sich „freispielen“, Dinge ausprobieren, die sich am Ende vielleicht als völlig hirnrissig erweisen, man kann Unkorrektes sagen, ohne dass es einem übelgenommen würde.
Sobald wir als Improspieler auf die Bühne gehen, verlassen wir den sicheren Raum schon ein kleines Stück: Schließlich gibt es keine Garantie dafür, dass das Publikum uns für unsere Aufführung lobt. Eine schlechte Szene zu spielen und darüber herzlich zu lachen, ist das Eine. Aber was ist, wenn man einen ganzen Abend schlecht improvisiert hat? Was, wenn weder das Publikum noch die Mitspieler etwas mit der Leistung anfangen konnten (und du selber vielleicht auch nicht)?
Ich denke, dass Improvisation uns allenfalls die Geisteshaltung lehren kann, mit dem Scheitern umzugehen. Wir selber müssen es ausprobieren. Immer und immer wieder. Es ist nicht etwas, das man einmal gelernt hat und dann beherrscht. Wir selber schaffen uns unsere sichere Sphäre. Wir selber können die Heiterkeit des Scheiterns nach und nach ausdehnen. Wenn ich weiß, dass ich im Kurs ein Quatschlied enthusiastisch improvisieren kann, woraufhin alle klatschen, traue ich mich das vielleicht auch auf der Bühne. Und wenn es dort ein paar Mal funktioniert hat, werde ich nicht verzweifeln, wenn ich beim zehnten Mal keinen Applaus bekomme, sondern im Gästebuch steht: „Ihr seid so peinlich.“

Das Scheitern lernt man nicht nur im watteweichen Impro-Workshop, sondern gerade dadurch, dass man es mit in die harte, kritische Welt mitnimmt. Wenn es mir gelingt, nach und nach die verschiedenen Facetten des Lebens spielerisch aufzufassen, dann verliert das Scheitern seinen Schrecken. Eine Szene ist nur eine Szene. Eine Show ist nur eine Show. Ein Bewerbungsgespräch ist nur ein Bewerbungsgespräch. Eine Liebesnacht ist nur eine Liebesnacht. Und ja: Auch das Leben ist eben nur das Leben. Wir können ihm nichts abverlangen, wir können aber spielen mit dem, was es für uns bereithält. Das ist die so schwer umzusetzende Lektion die wir für den „Alltag“ aus unserem Improtraining herausziehen können.

Impro im Off (8) – Der Bühnenschleicher

Schleicht nicht über die Bühne, wenn ihr eigentlich im Off seid. Manchmal steht man tatsächlich auf einer ungünstigen Seite: Zum Beispiel man steht rechts, die gerade szenisch etablierte Tür ist aber links. Sich dann während der Szene auf die andere Seite zu schleichen, lenkt die Zuschauer nicht nur ab, es sieht auch meistens ziemlich dämlich aus.
„Aber wie komme ich dann auf die andere Seite der Bühne?“, fragt der verzweifelte Improvisierer.
Ich wiederhole: Der Improvisierer!
Improvisiere eben einen Grund! Wenn eine Wohnungstür auf der anderen Seite etabliert wurde, dann spiele eben, dass du im Hintergrund das Treppenhaus betrittst. Szenen, die im öffentlichen Raum spielen, kann man als Passagier überqueren – als Spaziergänger, Autofahrer, Polizist usw.
Eine von hibbeligen Spielern viel zu selten genutzte Option: Die großartige Idee, die man eben hatte, fallenzulassen und sehen, was sich von selber anbietet.

(Ende der Impro-im-Off-Serie)

Impro im Off (7) – Szene betreten, um neue Szene zu beginnen

In mehrszenigen Impro-Stücken kommt den Mitspielern im Off auch die Funktion zu, eine Szene zu beenden, indem man eine neue beginnt. Die große Falle, in die man hier leicht tappen kann, ist, die nächste Szene schon zu planen, während man noch im Off ist. Viel wichtiger als der Inhalt der nächsten Szene ist aber das Timing der aktuellen Szene. Das Ende der aktuellen Szene sollte präzise gesetzt werden. Betritt also die Bühne ruhig, um die Szene zu beenden und nicht so sehr, um deine neue Idee hineinzuquetschen. Wenn wir dem Improvisieren genügend vertrauen, dürfte das auch kein Problem sein: Wir haben der Szene zugehört, also wissen wir, worum es geht. Wir sind in die emotionale Welt involviert, also können wir den narrativen Schwung ausnutzen. Wir sind formbewusst, also können wir durch unsere Figuren Kontraste setzen.
Wenn du im Off wach bleibst, dann ist ziemlich klar, was alles noch in der Story fehlt. Du brauchst daher keinen Haufen Ideen zusammenzutragen, sondern musst nur aufmerksam bleiben, für das, was ohnehin schon geschieht.
Generell helfen Kontraste:

  • Spiele einen anderen Schauplatz an, um die Szene reichhaltiger zu gestalten.
  • Gehe in eine andere Körperlichkeit als die bisher auf er Bühne etablierte.
  • Schlüpfe in eine Figur, die das Erzählte abrundet.

Gegen Ende solltest du bereits etablierte Story-Elemente wiedereinführen. Bleib wach! Es liegt alles auf der Hand.

Impro im Off (6) – Was fehlt? Drehtür versus Möwe

Im Off sollten wir uns immer die Frage stellen: Fehlt etwas in der Szene? Und wenn ja, kann und soll ich helfen? In den bereits genannten Beispielen haben wir gesehen, wie man helfen kann, das Thema bzw. die Protagonistin zu finden.
Bisweilen sind die szenischen Fehler oder fehlenden Definitionen kleiner und weniger dringend, etwa
unklarer Schauplatz und unklare Umgebung
unklares Genre
fehlende Namen
mangelnde Körperlichkeit
Man muss aber als Außenstehender nicht bei jeder kleinen Unklarheit auf die Bühne springen.
Ein beliebter Publikums-Vorschlag für einen Schauplatz ist bekanntlich „Strand“. Vermutlich sind viele Impro-Schauspieler unabhängig voneinander einmal auf die Idee gekommen, diesen Vorschlag mit einer kreischenden Möwe zu untermalen. Inzwischen wimmelt die Impro-Welt von Kreisch-Möwen. Sie sind hierzulande schon dermaßen zu einem Impro-Klischee geworden, dass es bei einigen Theatersport-Shows Möwen-Strafpunkte gibt. Lasst die Möwe im Kasten, vor allem wenn die Szene schon läuft. Denn so manche scheinbare Szenen-Unterstützung ist eben keine Unterstützung, sondern lenkt ab und kann eher dem billigen Gagging zugerechnet werden.
Wir können aber durchaus helfen, die Atmosphäre zu bereichern, wenn wir den Fokus nicht rauben, sondern den Spielern Anknüpfungs-Punkte geben:

Ein schüchternes Pärchen trifft sich zum Blind Date in einem Café.
–> Ein während des Gesprächs der beiden auftauchender Kellner hilft nicht nur, den Schauplatz plastischer zu machen, sondern gibt den beiden auch Anknüpfungspunkte, um ihren Charakter deutlicher zu machen: Das Aufgeben der Bestellung kann über ihre Figuren mehr verraten.

oder

Ein junger Mann wird nachts in eine verlassene Gegend der Stadt geschickt.
–> Die Mitspieler malen die Atmosphäre aus: Drogenhändler, Bettler, Prostituierte. Diese Typen können reine Szenen-Passagiere im Hintergrund bleiben, aber sie „füttern“ die Szene und den Helden.

Je nach Verlauf der Story können wir als Passagiere den Helden aufbauen oder ihm Probleme bereiten. Eine einfache Technik ist der Drehtür-Auftritt.
Beim Drehtür-Auftritt betritt man die Szene als außenstehender Spieler nur für eine kurze Sequenz, die aus nicht viel mehr als ein, zwei Sätzen besteht. Eine solche Szene kann eine Rückblende sein, eine Phantasie, eine Erinnerung oder auch eine parallele Handlung, die für die anderen Charaktere nicht sichtbar ist. „Drehtür“, weil man, kaum dass man aufgetaucht ist, schon wieder verschwunden ist. Der ursprüngliche Spielpartner bleibt in der kurzen Zeit der Drehtür-Sequenz auf der Bühne.
Drehtür-Angebot als Rückblende:

„Das gesamte Grundstück wollen Sie mir abkaufen?“
„Natürlich. Die Parkraum-Equity AG bietet ihnen 10 Millionen.“
„Dann könnte ich meiner Tochter ihre Karriere als Tänzerin finanzieren.“
–> Drehtür-Angebot Alter Mann auf Sterbebett: „Und denke daran, mein Sohn, dieses Natur-Reservat gehört unserer Familie schon seit 1688. Halt es stets in Ehren.“ (stirbt. Ab.)

Drehtür-Angebote als Rückblende und Parallel-Szene:

„Ihr kennt euch also nur aus dem Internet über diese Flirt App?“„Ja, er ist der charmanteste Typ, den du dir vorstellen kannst?“–> Drehtür-Angebot: Charmanter Junge mit Profil-Foto-Lächeln„Und heute Abend triffst du ihn das erste Mal richtig?“„Ja, wir treffen uns am verlassenen Bootshaus hinter dem stillgelegten Hafen.“„Wie aufregend!“–> Drehtür-Angebot: Charmanter Junge diesmal düster lächelnd, der sich Handschuhe überzieht und seine Waffe einsteckt.

Das Drehtür-Angebot ist ein Montage-Mittel, das aus dem Film entlehnt ist. Es ist sehr effizient und kommt unseren durch den Film geprägten Seh-Gewohnheiten sehr entgegen.

Impro im Off (5) – Wie man eine Szene rettet

Als Improspieler ist es deine große Aufgabe, deinen Mitspielern aus der Patsche zu helfen. Wenn du also aus dem Off bemerkst, dass eine Szene vor deinen Augen kurz davor ist, sich zu verheddern, wirr zu werden, unklar oder bedeutungslos zu werden, dann sollte dein Hirn auf Hochtouren arbeiten, getrieben von der einen Frage: Wie rette ich die Szene?

1) Inhalte verstärken
Manche Spieler verfallen, wenn sie bemerken, dass die Szene abrutscht, in Aktionismus und bieten irgendetwas Lustiges an, was mit der ursprünglichen Szene nur am Rande zu tun hat. Sie wischen quasi das bereits Etablierte beiseite und hoffen, nun mit „etwas Besserem“ die Szene zu retten.

Romina und Thea sind verloren in einer Laber-Szene. Sie haben schon vier verschiedene Themen angesprochen: Ihre Jobs, ihre Töchter, die letzten Wahlen und die Frage, ob die katholische Kirche Feuerbestattung zulassen sollte.
Energievoller Auftritt Markus: „Schatz, unser Pinguin ist aus dem Swimmingpool abgehauen!“

Wenn auch die Energie zu loben ist und man nur hoffen kann, dass die beiden Spielerinnen auf das kuriose Angebot eingehen werden, so muss man doch sagen, dass Markus die Szene nicht eigentlich gerettet, sondern eine völlig neue Szene begonnen hat.
Zuhören! Nicht ausdenken!
Nimm etwas, das bereits in der Szene etabliert wurde und mach das groß. Warum einen Pinguin erfinden, wenn bereits eine Tochter etabliert wurde?

Energievoller Auftritt Markus : „Schatz, Cora ist verschwunden!“

In dieser Szene sind wir als Zuschauer froh, dass Markus die beiden gerettet hat. In der ersten Variante kann er sich allenfalls einiger Lacher sicher sein und der Tatsache, die Szene gekillt zu haben.
Welches Material wiedereingeführt wird, ist ziemlich unerheblich. Tendenziell wohl das, was am meisten emotionalen Schwung verspricht. Der Rest steht uns als später zu integrierendes Material immer noch zur Verfügung.

2) Helden verstärken
Gerade in Anfangsszenen bleibt es zwischen den Spielern manchmal unklar, um wen es geht, selbst wenn sie das Thema schon gefunden haben.

Hannah: Mama, dieses Studium wäre für mich der Traum meines Lebens.
Mutter: Hannah, ich kann dir das nicht finanzieren. Ich brauche das Geld für meine nächste Ausstellung.
Hannah: Ich habe die Zusage vom Dekan von Harvard persönlich.
Mutter: Und ich muss jetzt alles in die Werbung stecken. Diese Ausstellung ist meine letzte Chance.

Das Verhältnis der beiden ist klar. Ebenso der Konflikt. Beide Figuren haben Helden-Potential, aber als Zuschauer werden wir uns kaum für beide Figuren mit derselben Intensität interessieren. Als außenstehende Mitspieler ist unsere Aufgabe, zu sehen, ob es den beiden gelingt, sich bald zu einigen und notfalls helfend einzugreifen. Indem man eine der beiden Figuren stärker fokussiert, wird sie von größerem Interesse, ein Signal, das die Spielerin der anderen Figur hoffentlich erkennen wird.

Hannah: Ich habe die Zusage vom Dekan in Harvard persönlich.
Mutter: Und ich muss jetzt alles in die Werbung stecken. Diese Ausstellung ist meine letzte Chance.
Vater (betritt die Szene, gestisch unterstreichend, er habe zugehört): Dann muss deine Ausstellung eben warten. Die Ausbildung deiner Tochter hat Vorrang.

Dadurch, dass der Vater sich auf die Seite der Tochter stellt und dass er die Mutter direkt anspricht, verstärkt den Fokus auf die Mutter. Denn auch wir fragen uns: Wird die Mutter ihre Karriere zugunsten ihrer Tochter nun endgültig beerdigen oder nicht? Zu diesem Zeitpunkt wäre die Intervention aber auch umgekehrt plausibel:

Hannah: Ich habe die Zusage vom Dekan in Harvard persönlich.Mama: Und ich muss jetzt alles in die Werbung stecken. Diese Ausstellung ist meine letzte Chance.Vater (betritt die Szene): So ist es. Nimm Rücksicht auf deine Mutter. Außerdem wirst du es als Frau in Geometrie immer schwer haben – eine Männerwelt, was will man machen? Bleib noch ein Jahr bei uns in Reutlingen, hilf mir bei der Buchhaltung, und wenn du dann immer noch so versessen auf Mathematik bist, wirst du auch in Stuttgart einen Studienplatz finden.

Impro im Off (4) – Wann betrete ich eine gute Szene?

Trotz der Faustregel, nicht in eine gute Szene reinzugrätschen, kann es sein, dass du in einer guten Szene gebraucht wirst.

1. Zum Szenen-Beenden
Wenn bei euch diejenigen Spieler die Szene abwinken, die nicht an der Szene beteiligt sind, dann ist die Chance groß, dass du derjenige sein wirst, den man dafür benötigt. Hier brauchst du ein gutes Ohr für letzte Sätze: Welcher Satz sticht aus den Übrigen heraus, zum Beispiel dadurch, dass er die „Moral der Geschichte“ zusammenfasst? Aber auch ein Schluss-Gag, eine Pointe oder eine überhöhte Dialog-Zeile können den Schluss markieren.

2. Um die nächste Szene einzuleiten
Die Szene, in der du gerade nicht mitspielst, ist vielleicht nur sehr, sehr kurz, möglicherweise lediglich eine Übergangsszene in einer längeren Story. In solchen Szenen musst du bereit sein, rasch auf die Bühne zu gehen und eventuell einen Mitspieler abzutippen.

3. Um die Szene zu betreten
Betrachten wir die gestern erwähnte Strand-Szene. Nehmen wir die bereits erwähnte Strand-Szene

„Du hast all die Jahre abgesessen? Für mich?“
„Sie hätten dir dafür die doppelte Zeit aufgebrummt.“
„Ach, all die verlorene Zeit unserer Gemeinsamkeit!“
„Wir könnten uns schon bald wiedersehen.“
„Was heißt bald? Komm doch jetzt mit zu mir?“
„Ich darf ja nur tagsüber auf Kurz-Freigang. Ich kann keinen Schritt ohne meine Bewährungshelferin gehen.“
Mitspielerin betritt die Bühne und mimt aus dem Wasser zu kommen und sich abzutrocknen: „Frau Osterberg, es wird Zeit loszufahren.“

Im Gegensatz zum Eisverkäufer verschärft die Bewährungshelferin die Szene.
Die Kunst beim unterstützenden Auftritt besteht darin, den Fokus nicht völlig auf sich zu ziehen, was nicht immer ganz einfach ist, denn jede neue Figur, jede Bewegung lenkt die Aufmerksamkeit der Zuschauer ab.

Impro im Off (3) – Gute Szenen laufen lassen

Maja und Johannes spielen eine Szene am Strand. Sie sind ein Paar, das sich nach langer Trennung zufällig wiederbegegnet. Dabei findet er heraus, dass sie im Gefängnis war, um ihn zu schützen. Die Szene wird emotional intensiv.
„Du hast all die Jahre abgesessen? Für mich?“
„Sie hätten dir dafür die doppelte Zeit aufgebrummt.“
„Ach, all die verlorene Zeit unserer Gemeinsamkeit!“
Roberto betritt als Eisverkäufer die Bühne: „Gelato! Gelato!“ …
Das Publikum lacht, aber die Szene ist hin.
Darauf angesprochen, meint Roberto, die Strand-Szenerie unterstützt zu haben
.

Gerade für aktive Spieler liegt die Versuchung nahe, sich an einer guten Szene beteiligen zu wollen. Und leider spielt auch manchmal die Eitelkeit eine gewisse Rolle: Das Publikum ist bewegt oder lacht, also will man selber von der guten Stimmung etwas abhaben. Aber gute Szenen unterstützt man vor allem dadurch, dass man sie laufen lässt, insbesondere dann, wenn es intensive Zweier-Szenen sind. Auch in Games, die gerade unter den Beteiligten auf der Bühne entstehen, sollte man sich nicht unbedingt einmischen. Deine aktive Rolle als Improspieler besteht hier darin, deinen Mitspielern den Raum zu geben, den sie brauchen.

Impro im Off (2) – Position des Off

Wenn du also auch im Off für die Szene mitverantwortlich bist, bedeutet das, das du auch hören und sehen können musst, was gerade gespielt wird. Nur wenige Theater sind so ausgestattet, dass man sehen und hören kann, ohne selbst gehört oder gesehen zu werden.

Seitenflügel (möglichst leicht schräg zur Bühne)
Diese Version scheint mir die sinnvollste im Improtheater. Man hat einen idealen Blick auf die Bühne, ohne gesehen zu werden und kann ohne Verzögerung die Bühne betreten.
Wenn ihr die rare Möglichkeit habt, euch ein eigenes Theater auszustatten, dann rate ich zu dieser Variante.

Auf der Bühne seitlich stehend.
Dies ist eine akzeptable Variante, wenn es kein bauliches Off gibt. Von der Seite hat man einen sehr guten Einblick.

Am hinteren Bühnenrand.
Die „amerikanische“ Variante. Wird auch häufig im Theatersport und bei Shows mit vielen Spielern praktiziert. Manchmal ist es aus bühnentechnischen Gründen nur so handhabbar. Ansonsten würde ich von dieser Off-Position abraten. Erstens lenkt es die Zuschauer von der Szene ab, wenn sich hinten noch andere Personen befinden, und zweitens ist die Szene von der Rückseite meist schwerer einsehbar als von der Seite.

Warnungen:

  1. Ich rate dringend davon ab, sich hinter dem rückseitigen Vorhang zu verstecken. Meist bekommt ihr dort zu gut wie nichts von der Szene mit. Vertraut nicht auf die Akustik. In einer guten Szene beruht ein Großteil der Angebote auf Gesten und pantomimischem Etablieren.
  2. Ebenso wichtig ist es, die verbalen Angebote auf der Bühne zu verstehen. Vermeidet daher Positionen in schallschluckenden Off-Bereichen. Manche Bühnen sind leider so gebaut, dass man in einigen Nischen, die sich scheinbar als Off eignen, außer undeutlichem Gebrabbel so gut wie gar nichts von der Bühne hören kann.
  3. Ich habe schon die nötige Wachsamkeit angesprochen. Lasst euch also nicht dazu verleiten, euch im Off an Wände zu lehnen, auf Hocker zu lümmeln. Positioniert euch nicht hinter anderen Spielern, wenn ihr dann nicht die Möglichkeit habt, locker auf die Bühne zu gehen.
  4. Die Spieler auf der Bühne sollte einigermaßen klar sein, welche ihrer pantomimischen Angebote von ihren Mitspielern im Off wahrgenommen werden können und welche nicht. Wenn ich also mit großem körperlichem Einsatz mime, ein Loch zu schaufeln, kann ich davon ausgehen, dass das jeder erkennen wird, auch wenn er mich nur von hinten sieht. Wenn ich mir jedoch danach heimlich einen gemimten Ring vom Finger ziehe und ihn ins geschaufelte Loch lege, muss ich dafür sorgen, dass das von allen Mitspielern wahrgenommen wird, da das wahrscheinlich handlungsrelevant ist. Wenn ich dagegen mime, mir nach dem Schaufeln die Hände an einem Tuch abzuwischen, ist das eher Charakter-Arbeit und weniger handlungsrelevant.
  5. Keine Gespräche im Off. Wenn du mit anderen im Off darüber diskutierst, was gerade auf der Bühne stattfindet, wirkt es, als sprecht ihr euch ab. Außerdem verminderst du deine Aufmerksamkeit. Maximal eine Verständnisfrage, etwa wenn man einen Namen nicht richtig verstanden hat, wäre OK.

Impro im Off (1) – Paukistenhaltung

Ich bin immer wieder beeindruckt von den Paukisten in Sinfonie-Orchestern, die minutenlang auf ihren Einsatz warten müssen, im extremen Fall kommen sie erst nach einer Dreiviertelstunde in den letzten drei Minuten des Finales dran. Am Klang der Aufführung würde sich wohl nichts ändern, wenn sie in der „Wartezeit“ in der Kantine Kaffee trinken würden. Aber sie sind permanent wach und aufmerksam. Sie sind Teil der Aufführung.
Diese Wachsamkeit und Präsenz des Paukisten brauchen wir im Off. Im Grunde müssen wir sogar noch wacher, noch präsenter sein, da jederzeit die Möglichkeit besteht, dass unser Einsatz auf oder hinter der Bühne gefragt ist. Unsere innere geistige Grundhaltung sollte so sein wie die auf der Bühne: Ich unterstütze die Szene.
Im Off unterstütze ich die Szene

  • durch Nichteinmischung,
  • durch Off-Unterstützung wie Geräusche, Off-Stimmen usw.,
  • indem ich Enden setze und Übergänge schaffe oder
  • indem ich mich entscheide, die Szene zu betreten.

Die geistige Haltung des Unterstützens hat eine körperliche Entsprechung: Wir brauchen eine wachsame Ruhe.
Das heißt, erstens sollte man nicht zu unterspannt sein. Wenn man mit guten Improvisierern spielt, verfallen einige Spieler im Off in eine Zuschauerhaltung. Sie lehnen sich zurück  und lassen sich von der Szene berieseln, als säßen sie vorm Fernseher, als habe das alles nichts mit ihnen zu tun. Das aber ist viel zu passiv. Wir müssen wachsam genug sein, um jederzeit einspringen zu können. Im Off haben wir den Luxus, uns ganz dem Adlerblick für die Szene zu widmen. Wir sehen alles, ohne dabei involviert zu sein. Aber im richtigen Moment stoßen wir dazu.
Zweitens sollten wir ruhig bleiben. Hibbeligkeit stört natürlich besonders dann, wenn die Off-Spieler vom Zuschauerraum aus zu sehen sind. Denn schließlich lenkt jede Bewegung vom Geschehen auf der Bühne ab. Aber die äußere Unruhe ist oft gepaart mit einer inneren Unruhe. Unruhige Spieler warten oft nur darauf, schnell selber wieder spielen zu können. Sie hören nicht recht zu, gehen zu früh auf die Bühne und mischen sich in Szenen ein, in denen sie nichts verloren haben, verpassen dann aber den Moment, an dem man sie wirklich braucht.
Sei bereit. Sei wach. Sei der Paukist.

Positivität = Normalität (auch des Absurden)

Wenn wir von „positiv beginnen“ sprechen, bedeutet das nicht, dass wir eine harmlose Plüschwelt etablieren sollen. Es heißt zunächst nur, dass wir das einmal Etablierte, nicht sofort problematisieren, so seltsam es uns als Spieler auch erscheint.

Anna tischt Spaghetti auf: „Harry! Simone! Das Essen ist fertig.“
Simone setzt sich. Anna setzt sich.
Harry setzt sich und mischt Spielkarten.

In typischen Impro-Szenen wird nun angefangen, an Harry herumzunörgeln: Dass es eine Unverschämtheit sei, beim Essen Karten zu spielen, dass die schönen Spielkarten fleckig würden usw. Die Spieler übertragen ihr eigenes Urteil auf die Situation. Was aber, wenn wir den Flow nutzen? Anna könnte bemerken, dass Simone diesmal mehr Glück haben wird. Simone könnte es bedauern, dass Fabian heute nicht mitspielen kann. Oder: Sie erwähnen das Spiel überhaupt nicht, sondern spielen es einfach! Je unproblematischer die ersten Angebote aufgenommen werden, umso selbstverständlicher fügen sie sich in die Plattform ein. Hier haben wir nun drei Kartenspieler, die sogar beim Essen spielen.
Nicht nur (scheinbar) absurdes Verhalten, sondern auch ein für sich genommen negativer oder problematischer Kontext kann zur „positiven“ Normalität gehören: Der Hitchcock-Film „Fenster zum Hof“ zeigt zu Beginn einen Fotojournalisten in seiner Wohnung, der wegen eines gebrochenen Beins zum Nichtstun verurteilt ist. Das Leiden daran wird kurz etabliert, aber dann geht es zum Eigentlichen der Szene – der Beziehung des Journalisten zu seiner Geliebten.
Es ist also völlig OK, Probleme und schwierige Situationen zu etablieren, die den Hintergrund der Szene und der Story beschreiben:

  • Eine arme Familie kämpft im Alltag hart darum, sich über Wasser zu halten.
  • Ein Pfarrer spricht den Hinterbliebenen sein Beileid aus.
  • Eine Kompanie bereitet sich auf den Angriff vor.

Armut, Tod, Krieg – das ist in diesen Fällen die „positive“ Normalität.
Die Plattform gerät genau dann ins Wanken, wenn die Situation problematisiert wird:

  • wenn die Frau, als ihr Mann sagt, dass er wieder seinen Job verloren hat, hysterisch reagiert,
  • wenn einer der Hinterbliebenen dem Pfarrer vorhält, den Verstorbenen in den Tod getrieben zu haben
  • wenn einer der Soldaten den Befehl verweigert.

Genaugenommen kann auch die hysterische Reaktion, der Vorwurf an den Pfarrer, die Befehlsverweigerung Teil der Plattform sein, wenn das jeweils die Normalität widerspiegelt. Das Plattform-Wanken, an das wir uns Dranhängen, das ist die Story. Alles andere ist Hintergrund.
Eine improvisierte Szene, in der ich mitspielte begann einmal mit einem Missverständnis:

„Könnte ich mal deinen Schal leihen?“Der Mitspieler und der Großteil des Publikums verstanden: „Könnte ich mal einen Schwan ausleihen.“Daraufhin reagierte der Mitspieler mit stoischer Ruhe und langte aus einem Käfig einen Schwan, den er „verlieh“. Die Plattform eines Schwan-Verleihs war geboren.

Aus meiner Erfahrung werden Probleme und Konflikte nicht nur aus einem ängstlich-ablehnenden Impuls heraus zu früh eingeführt, sondern auch weil die Spieler fürchten, das Publikum zu langweilen. Habt Vertrauen in die Routine! Das Etablieren von Plattform und Routine ist immer dann interessant, wenn ihr bei der Sache bleibt. Angenommen, die Routine einer Solo-Szene ist „Haare kämmen“. Ein nervöser Improspieler wird nun oberflächlich Haarekämmen mimen, ohne Emotion, ohne Charakter. Die Darstellung bleibt langweilig, weil er sie selbst für langweilig hält. In Gedanken ist er schon dabei, was er als nächstes tun könnte. Er öffnet das Fenster. Dann raucht er eine Zigarette. Dann putzt er das Badezimmer. Mit anderen Worten: Er springt von einer Handlung zur nächsten, ohne irgendeine ernstzunehmen. Wenn unser Spieler aber beim Haarekämmen bleibt und in die Handlung eintaucht, wird er sie mit Emotion füllen:

  • Er freut sich auf ein Rendezvous.
  • Er ist nervös wegen eines Vorstellungsgesprächs.
  • Er ist ein eitler Dirigent.

Und wenn ich als Improspieler in diese Hintergrundstory und die Emotionen tiefer eintauche, ergibt sich automatisch die nächste Handlung, wenn ich denn mit dem Kämmen fertig bin, z.B.:

  • Der Liebhaber prüft seinen Atemgeruch.
  • Der Bewerber prüft vorm Spiegel die angemessene Begrüßung.
  • Der Dirigent prüft seine dramatische Wirkung.

Rechtfertigen im Improtheater (10) – Rechtfertigen und Miteinander

Kein Kampf um Definitionshoheit beim Rechtfertigen!
Wenn ihr bemerkt, dass ihr verschiedene Perspektiven auf Raum, Beziehung oder Handlung habt und sich eure Angebote sogar widersprechen, dann versucht nicht, das vielleicht grobgeschnitzte Rechtfertigen eurer Partner mit eurer „besseren“ Rechtfertigung auszuhebeln. Auch hier gilt: Akzeptieren! Spielt auch beim Rechtfertigen miteinander, nicht gegeneinander. Es geht hier nicht um Schlauheit oder Cleverness, sondern darum, wieder gemeinsam Boden unter den Füßen zu spüren.

Levi spielt einen Fahrer und Manuela eine Anhalterin.
Levi: „Wo wollen Sie hin?“
Manuela: „Nach Hannover. Nehmen Sie mich mit?“
Levi: „Kein Problem. Da muss ich auch hin.“
Manuela setzt sich eilig hinter ihn und mimt, auf einem Gepäckträger zu sitzen. Levi indessen, der das Fahrradangebot hinter sich nicht gesehen hat, mimt, ein Kfz zu lenken. Die zwei körperlichen Angebote widersprechen sich deutlich. (Das Publikum lacht.) Nur Manuela nimmt den Widerspruch war, Levi hingegen ist lediglich ein wenig irritiert, dass sie sich an seiner Schulter festhält.
Manuela versucht zu klären: „Ich hab’s eilig. Treten Sie in die Pedale.“
Levi steht auf dem Schlauch und versteht das Fahrrad-Angebot nicht. Stattdessen tritt er auf die Pedale und lässt den Motor aufheulen. Manuela realisiert, dass es keinen Sinn hat, auf ihrem Angebot zu beharren und „klettert“ nach vorn auf den Beifahrer-Sitz.

Rechtfertigen als Bloßstellen
Erstaunlich häufig benutzen Improspieler die Technik des Rechtfertigens, um kleine Fehler ihrer Mitspieler oder Unzulänglichkeiten der Szene herauszustellen.

  • Der Spieler soll einen Franzosen spielen und kommt mit dem französischen Dialekt nicht klar. Die Mitspielerin: „Mit dem Dialekt sind Sie aber kein richtiger Franzose, oder?“
  • Ein Spieler bittet zwei Mitspieler ins Auto einzusteigen. Da aber nur zwei Stühle auf der Bühne sind, müssen die beiden hinten stehen. Der Spieler: „Wir haben in unserem extra hohen Auto absichtlich die hinteren Sitze entfernt.“
  • Ein Spieler mimt eine Tasse etwas ungeschickt. Die Mitspielerin: „Na, Sie haben ja eine extrem lange dünne Tasse!“

Bloßstellungs-Rechtfertigen wie in diesen Beispielen führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Lachern im Publikum. Aber es ist nicht nur ein bisschen unkollegial, die Mitspieler bloßzustellen, sondern diese Formen des Rechtfertigens führt uns von dem Game oder aus der Story weg. Der Improspieler kommentiert das Spiel statt es zu spielen, er stellt sich über das Spiel. Die Zuschauer werden von der Szene abgelenkt und fokussieren nunmehr auf einen minimalen oder auch nur scheinbaren Fehler, den sie sonst hingenommen oder nicht einmal wahrgenommen hätten.

Die Szene retten oder den Partner?
Keegan Key beschreibt in einem Interview eine Szene, in der er und ein weiterer Spieler dabei sind, die Plattform zu finden und gerade geklärt haben, dass sie eine Geburtstagsszene vorbereiten, als ein Spieler von außen hinein als Dino-Saurier hineinspringt. Gerettet wurde die Szene von einem vierten Spieler, der mit den Worten: „Tommy, die Kostüme erst, wenn die Kinder da sind“, die Ausgangsszene der beiden rettet und die Rolle des Dino-Spielers zwar integriert, ihn aber dennoch mit sanftem Hinweis von der Bühne fortführt.
Man muss leider zugestehen, dass es Situationen gibt, in denen man sich entscheiden muss: Rette ich das, was bereits in der Szene etabliert wurde oder versuche ich, die absolut szenenfremden Angebote des Mitspielers noch irgendwie zu rechtfertigen? Ideal ist natürlich, wenn beides gleichzeitig gelingt, aber die Bühnenrealität und auch der kleine kreative Kobold in unserem Kopf gibt das nicht immer her.
Die nicht besonders zufriedenstellende Antwort auf das Dilemma lautet: Kommt drauf an!
Erstens kommt es auf den Zeitpunkt der Szene an. Wenn wir noch am Aufbauen sind, neige ich dazu, selbst völlig abseitige Angebote noch irgendwie einzubetten, den Spieler zu retten und so sanft wie möglich dafür zu sorgen, dass wir wieder in dieselbe Richtung segeln. Wenn wir allerdings eine lange Story improvisieren und inzwischen alles auf den Höhepunkt hinausläuft und mein Partner, sei es weil er unkonzentriert war, etwas vergessen hat oder etwas nicht hören oder sehen konnte, die Szene mit etwas völlig Abstrusem füllt, das für alle Mitspieler und Zuschauer offensichtlich fehl am Platze ist, dann würde ich die Möglichkeit offenhalten, die Szene auch mal so zu retten, indem man ein Angebot blockiert. Letztlich rette ich dann auch ihn und seine Rolle in dem Stück.
Zweitens kommt es auf den Grad der Abstrusität an. Kleinere Fehler kann man ignorieren, mittlere Fehler ausbügeln, himmelschreiende Unstimmigkeiten müssen notfalls grob zurechtgerückt werden.
Drittens: Im Zweifel entscheide dich für deinen Partner. Verwende deine kreative Energie, seine Abstrusitäten irgendwie einzubauen.

Rechtfertigen im Improtheater (9) – Wie rechtfertigen wir? Taktik 5 – Rechtfertigen von außen

Als Mitspieler im Off können wir helfen, eine unklare Situation zu klären. Dabei sollten wir aber mehr Zurückhaltung walten lassen, als wenn wir selbst auf der Bühne stehen und bereits Teil der Szene sind. Denn zuerst sind die Spieler auf der Bühne für das Geschehen verantwortlich, das heißt, sie müssen auch für sich selbst entscheiden, wieviel Unklarheit und Noch-nicht-Definiertes sie für ihre Impro-Szene zulassen wollen.

Klänge

Emil und Finn beginnen die Szene damit, dass sie vor etwas fliehen. In ihrem Dialog tapern sie zaghaft um das Thema herum, wovor sie eigentlich fliehen.

Als außenstehender Spieler (oder Techniker) könnte ich hier eine Polizei-Sirene in die Szene jaulen lassen, was die Mitspieler von der Definitionslast befreit (oder ein Wolfsrudel, Pistolenschüsse usw. ).

Als Passagier

Gerda und Rüdiger sitzen auf zwei Stühlen und führen seit einer Weile ein Gespräch. Die Szene ist ganz nett, aber leider haben die beiden anscheinend vergessen, den Ort zu definieren oder trauen es sich nicht.

Als Passagier kann ich rasch Klarheit schaffen, indem ich mit einem Minimal-Angebot den Schauplatz kläre, etwa indem ich die Szene als Kellner betrete (Restaurant) oder als Spaziergänger mit Hund (Park) oder als Fahrkartenkontrolleur (Bahn).
Bisweilen ist einem der Spieler nicht klar, dass der andere auf dem Schlauch steht.

Sie: Sie wollen meinen Sohn wohl am ausgestreckten Arm verhungern lassen, Herr Preißler.
Er: Ich bitte Sie, das würde ich doch nicht tun, Frau Dumblodt.
Sie: Wenn Sie ihm nicht helfen, wird er nie die Matura schaffen.
Er: Die Matura? Ähm, die kann er auch ohne mich schaffen. Er ist stark genug.
Sie: Sie sind doch persönlich für ihn verantwortlich.
Externer Spieler betritt die Bühne im Hochstatus: Herr Preißler, könnten Sie mich heute Nachmittag bei der elften Klasse in Mathematik vertreten?

Der externe Spieler hat realisiert, dass der Spieler des Herrn Preißler nicht mit dem österreichischen Begriff Matura (Abitur) vertraut ist und sich deshalb auch nicht über die Beziehung zur Figur seiner Mitspielerin im Klaren ist. Außerdem ist deutlich, dass die Mitspielerin das Unverständnis von „Herrn Preißler“ nicht erfasst hat. Durch das rechtfertigende Angebot bringt der externe Spieler die Szene wieder ins Lot.
Entscheidend ist, dass ich die Szene nicht kapere, indem ich zu viel Aufmerksamkeit auf mich ziehe. Schließlich geht es nicht um mich, sondern darum, dass der Szene geholfen wird.

Rechtfertigen im Improtheater (8) – Wie rechtfertigen wir? Taktik 4 – Kopieren

Eine einfache Taktik des inneren und äußeren Rechtfertigens ist das Kopieren. Wenn ich die Tätigkeit meines Mitspielers einfach nachmache, feuern meine Neuronen in eine bestimmte Richtung: Das Hirn versucht, dem Ganzen einen Sinn zu geben. Es kann zwar durchaus sein, dass ich nach zwei Minuten Gemimte-Objekte-Stapeln immer noch keine blasse Ahnung habe, was wir hier eigentlich tun. Aber das Kopieren erhöht einfach die Wahrscheinlichkeit, dass mir die Schuppen von den Augen fallen. Außerdem wirkt Kopieren auch nach außen immer wie eine positive Bestätigung. Und selbst wenn ich immer noch eine Weile im Dunkeln tappe, kann das Publikum glauben, wir hätten den totalen Durchblick.
Kopieren bietet sich ganz offensichtlich bei körperlichen und pantomimischen Angeboten an: Mein Partner stapelt etwas, ich staple mit. Mein Partner schießt auf bewegliche Ziele, ich schieße mit. Mein Partner stakst in irgendetwas herum, das ich nicht erkenne, ich stakse mit. Die Pantomime selbst lässt die körperliche Erinnerung wach werden.
Aber auch verbales Kopieren ist möglich. Variieren wir einfach unsere Vogel-Szene:

Sie: Bist du dir sicher, Bertram, dass du kündigen willst?
Er: Ja, Evi. Es ist Zeit für eine Veränderung. Amsel!
Sie: Du würdest mir die gesamte Verantwortung aufhalsen. Drossel!
Er: Du bist nun lange genug dabei. Blaumeise! Sperling!
Sie: Ich habe nicht dein Talent und deinen Blick. Stockente!
Er: Das Einzige, was dir fehlt, ist Selbstvertrauen. Blaumeise! Eichelhäher!

Diesmal kopiert sie das verbale Spiel. Auch wenn wir als Zuschauer noch keine Ahnung haben, was hier los ist, sind wir fasziniert – sowohl vom scheinbar mühelosen Zusammenspiel der beiden Improvisierer als auch von der Szene selbst.

Rechtfertigen im Improtheater (7) – Wie rechtfertigen wir? Taktik 3 – Physisch

Die eleganteste Art, eine szenische Irritation ins Improvisieren einzubauen, ist die körperliche Rechtfertigung. Sie liegt vor allem dann nahe, wenn die Irritation selbst eine körperliche ist.

Der Sohn öffnet nach dem Gespräch mit der Mutter eine schwere Tür.
à Mutter tritt ein, taucht den Finger ins Weihwasser-Becken, bekreuzt sich und kniet nieder.

Spieler A beginnt die Szene mit einem blinden gestischen Angebot: eine schräg vorgehaltene Faust.
à Spieler B hebt ängstlich die Hände und definiert, bedroht zu werden.

Spieler A definiert ein großes Lenkrad, wobei unklar bleibt, was er da lenkt.
à Spieler B mimt, Segeltaue festzuzurren. 

Nach einem kurzen, freundlichen Gespräch zwischen zwei Geschwistern, wechselt A die Tonlage und sagt streng: „Schluss mit den Spielchen. Ich weiß, dass du Mama auf dem Gewissen hast.“
à Spieler B wechselt in den Tiefstatus.

Der große Vorteil des physischen Rechtfertigens besteht darin, dass sie effizient ist. Wir müssen uns nicht verbal mit den Objekten unserer Irritation beschäftigen, sondern halten die Sprache frei für die Beziehungs-Ebene, für Poesie, für Unterschwelliges. Körperliches Rechtfertigen wirkt auch meist gar nicht wie Rechtfertigen, sondern eher wie selbstverständliches Bedienen des bereits Etablierten.

Rechtfertigen im Improtheater (6) – Wie rechtfertigen wir? Taktik 2 – Verbal

Verbales Rechtfertigen bedeutet, dass wir die Dinge einfach benennen und in einen entsprechenden Kontext einordnen. Das kann subtil oder auch überdeutlich platt geschehen.
Noch einmal am Beispiel der Mutter-Sohn-Schwere-Tür-Szene:

„Pfarrer Tschernawski wird uns sicherlich einen guten Rat geben“,

wäre ziemlich subtil, vielleicht sogar noch ein bisschen zu vage, denn ein Pfarrer muss sich ja nicht notwendigerweise in einer Kirche aufhalten. „Kirche“ ist durch diesen Satz noch nicht etabliert worden. „Pfarrer“ ist lediglich ein Hinweis darauf, dass die schwere Tür das Tor einer Kirche sein könnte.

„Gut, dass Pfarrer Tschernawski hier in der Sankt-Mauritius-Kirche auf uns wartet“,

ist schon deutlicher. Mit diesem Satz ist der Schauplatz auf jeden Fall definiert, wenn auch nicht so subtil wie im ersten Beispiel, da niemand wirklich so sprechen würde.

„Die Tür der Sankt-Mauritius-Kirche könnte auch mal wieder geölt werden“,

wäre demonstratives Rechtfertigen. Man verdeutlicht dem Mitspieler, dass man gerade Schwierigkeiten hatte, das Angebot einzuordnen und thematisiert es nun für ihn und das Publikum.
Ich würde in der Regel versuchen, die dritte (demonstrative) Variante zu vermeiden. Es ist zu viel Show-Rechtfertigung dabei. Und schließlich geht es auch nicht um die schwere Tür, sondern um die Beziehung zwischen Mutter und Sohn, von der wir zu sehr ablenken würden.
Manchmal sind aber „grobe“ verbale Rechtfertigungen unvermeidlich, zum Beispiel wenn man kurz davor ist, sich in arge Widersprüche zu verstricken: Nehmen wir folgendes Szenario an:

Die Mutter-Sohn-Szene ist vorbei und abgelöst worden durch eine Szene zwischen Sohn und Pfarrer. Ich betrete die Szene als Mutter, aber der Sohn beginnt mich zu siezen.
„Möchten Sie sich nicht setzen?“

Ich frage mich nun, ob ich meine Mutter nicht klar genug gespielt habe, ob er mich als Mutter ohnehin siezt oder ob es noch eine andere Variante gibt, die mir aber im Moment der Szene nicht einfallen mag. Ich muss also für mich klären: Bin ich die Mutter oder nicht? Das Problem ist: Wir haben nicht viel Zeit, das herauszufinden, denn ich muss schauspielerisch den Character Mutter verstärken oder fallen lassen, je nachdem, worauf wir uns einigen.
Hier würde ich die verbale Holzhammer-Methode durchgehen lassen:

„Sören, komm und setz dich neben deine gute alte Mutter.“

Der Satz mag unelegant sein, aber wir sind wieder auf der gleichen Spur der Szene und haben verhindert, dass wir uns in einem Wirrwarr von seltsamen Prämissen und bizarren Konsequenzen verstricken und am Ende nichts mehr zueinander passt.

Rechtfertigen im Improtheater (5) – Wie rechtfertigen wir? Taktik 1 – Nachfragen

Nachfragen ist eigentlich kein Rechtfertigen im engeren Sinne. Es ist eher eine Taktik, um für sich selbst soweit Klarheit in die Szene zu bekommen, dass man weiterspielen kann. Von Puristen wird diese Taktik bisweilen als zu holperig, negativ, zaghaft und unelegant abgelehnt. Das hat damit zu tun, dass die meisten Improspieler ihre Nachfragen negativ oder zaghaft hervorbringen.

„Was machen Sie denn da? Das geht aber nicht!“
oder
„Ähm, ich verstehe nicht. Wo fahren wir jetzt hin?“

Das Problem ist nicht nur, dass die Unsicherheit und Angst des Spielers hier zu sehr durchscheint. Ein Spieler, der nicht den Mut hat, selbst zu definieren, und stattdessen alles seinen Partnern überlässt, oder jemand, der mit seiner Angst jeglicher Tätigkeit Einhalt gebietet, ist nicht schön anzuschauen (und verschließt auch nach und nach den eigenen Geist).
Um Nachfragen einigermaßen elegant zu gestalten, sollten sie die Szene nicht allzu sehr aufhalten, sondern höchstens kurz pausieren bzw. zu ihrem emotionalen Gehalt beitragen („ausbreiten“). Wie könnte in unserem Vogelzähler-Beispiel die Evi-Spielerin ihre Unklarheit beseitigen, ohne ihren Partner zu doof aussehen zu lassen?

Er: Du bist nun lange genug dabei. Blaumeise! Blaumeise! Sperling!
Sie: Ich habe nicht dein Talent und deinen Blick.
Er: Das Einzige, was dir fehlt, ist Selbstvertrauen. Blaumeise! Eichelhäher!
Sie (immer noch auf dem Schlauch stehend): Ach Bertram, manchmal frage ich mich, was wir hier eigentlich machen.

Der Satz funktioniert sowohl szenisch als auch spielerisch. Szenisch, weil er die emotionale Beziehung der beiden verstärkt. Und spielerisch, weil das Signal an den Mitspieler („Sag mir bitte, was dein Angebot bedeuten soll!“) deutlich genug ist.
Oder denken wir an unsere Mutter-Sohn-mit-schwerer-Tür-Szene.

Er zeigt ihr Bilder in einem Buch, das sie von seiner Mission überzeugen soll.
Mutter: Na schön, Sören. Wenn du es denn unbedingt willst.
Sohn: Danke dir Mama. Dann lass uns jetzt gehen.
Sohn öffnet eine schwere große Tür. Sie folgt ihm. Er zieht sich aus und beginnt zu duschen.
Mutter (die als Spielerin nicht kapiert): Sören, du weißt, ich liebe dich und ich vertraue dir. Aber manchmal werde ich aus dir einfach nicht schlau.

Auch hier funktioniert ihr Angebot auf szenischer und spielerischer Ebene. Wenn du selbst eine subtile Nachfrage hörst, gehe ohne Umschweife darauf ein und hilf der Partnerin aus der Patsche, auch wenn die Sache für alle anderen, inklusive Publikum, schon längst klar ist. Sei klar und frei heraus, statt ihr nur kleine Hinweise zu geben und sie weiter rätseln zu lassen.

Rechtfertigen im Improtheater (4) – Wann rechtfertigen wir?

In Rechtfertigungs-Games rechtfertigen wir logischerweise sofort und ohne Umstände.
Ansonsten hängt der Zeitpunkt des Rechtfertigens davon ab, mit wieviel Unsicherheit die Spieler und die Zuschauer leben können. Schauen wir uns diese kleine Szene an.

Frau und Mann. Beide schauen Richtung Publikum.
Sie: Bist du dir sicher, Bertram, dass du kündigen willst?
Er: Ja, Evi. Es ist Zeit für eine Veränderung. Amsel!
Sie: Du würdest mir die gesamte Verantwortung aufhalsen.
Er: Du bist nun lange genug dabei. Blaumeise! Blaumeise! Sperling!
Sie: Ich habe nicht dein Talent und deinen Blick.
Er: Das Einzige, was dir fehlt, ist Selbstvertrauen. Blaumeise! Eichelhäher!

Wie lange halten die beiden diesen Dialog durch, ohne aufzulösen, warum Bertram am Ende jedes Satzes Vogelarten nennt? Als Zuschauer können wir mit der zunächst etwas bizarren Situation durchaus eine Weile leben (vielleicht sogar länger als die Spieler auf der Bühne). Wenn allerdings die Szene vorbei ginge, ohne dass das seltsame Verhalten Bertrams aufgelöst würde, wären wir irritiert.  Das heißt, beiden dürfte klar sein, dass eine solche Verhaltensweise einer Auflösung bzw. Rechtfertigung bedarf. Aber wann? Das hängt letztlich vom Vertrauen der Spieler und dem Verlauf der Szene ab.
Ein gut eingespieltes Paar oder sehr erfahrene Spieler können die Sache erst einmal laufen lassen, bis sich ein organischer Moment findet. Wenn wir uns aber unsicher sind und außerdem zusätzliche unbekannte Variablen hinzukommen, die das Ganze unübersichtlich werden lassen, rechtfertigen wir lieber schnell.
In dem genannten Beispiel wäre anzunehmen, dass der Spieler des Bertram zumindest eine Vorstellung davon im Kopf hat, was sein Angebot bedeuten könnte. Als Mitspielerin kann ich in diesem Fall etwas entspannen und schauen, ob er es nicht selbst auflöst. Umgekehrt sollte der Bertram-Spieler aufmerksam sein und darauf achten, ob sein doch recht seltsames Angebot verstanden und aufgenommen wird. Falls die Mitspielerin nicht weiter darauf eingeht, könnte es sein, dass das Angebot nicht angekommen ist oder sie einfach auf einen Zug von ihm wartet.


Sie: Ich habe nicht dein Talent und deinen Blick.
Er: Das Einzige, was dir fehlt, ist Selbstvertrauen. Blaumeise! Eichelhäher!
Sie: Du bist es, der mir fehlen wird, Bertram.
Er: Evi, ich bin verheiratet. Sperling! Amsel! Ich korrigiere: Sperling! Star! Vierter Mai, Tegeler See, 12:10 Uhr. Ende der Vogelzählung. (Drückt auf den Knopf seines Diktiergeräts.)

(Wird fortgesetzt.)

Rechtfertigen im Improtheater (3) – Aber sollen wir auch fürs Publikum rechtfertigen?

Über diese Frage werden immer wieder heftige Debatten geführt. Gegner des ostentativen Rechtfertigens meinen, dass das Publikum das zu Rechtfertigende wahrscheinlich ohnehin verstehen würde, wenn die beiden Spieler es verstehen. Mithin sei eine verbale Rechtfertigung nicht nötig. Befürworter führen ins Feld, dass Dutzende Impro-Games genau darauf hinauslaufen: Das Irritierende sofort zu rechtfertigen und in die Szene ein-zubauen. Ein großer Teil der Impro-Komik ziehe ihre Kraft aus dieser sichtbar gemachten Fähigkeit der Improspieler.
Beide Seiten haben auf ihre Weise Recht. Ich denke, es hängt von der spezifischen Impro-Situation ab, in der man sich befindet. In einem Impro-Spiel, das auf verbales Rechtfertigung fokussiert, wäre es idiotisch, genau das nicht zu tun. Und tatsächlich freuen wir uns als Zuschauer, einem Improspieler, der durch ein Angebot kalt erwischt wurde, dabei zuzuschauen, wie er seine gesamte kreative Energie darauf legt, die Irritation kreativ zu verwenden. Wir lachen, wenn wir sehen, wie sich der Improspieler abmüht. Er leidet für uns.
Das Problem ist nur, dass das Lachen des Publikums über diese Irritationen viele Improspieler süchtig macht. Sie vergrößern absichtlich ihre Irritation, thematisieren Fehler und wollen vom Publikum für ihre ach so tolle Situationskomik bewundert werden. Wenn wir jede kleine Irritation auf diese Weise überhöhen, selbst wenn man darauf vertrauen kann, dass sich das Ganze schon bald von selbst ergeben wird, dann bleibt unsere Improvisation eitel und kommt auch zeitlich nicht von der Stelle, weil wir damit beschäftigt sind, jeden einzelnen Schritt zu thematisieren. Wir landen dann in einer Rechtfertigungs-Orgie. Zu viel explizites Rechtfertigen hemmt den Fluss der Szene. Um es kurz zu sagen:

Explizites Rechtfertigen – so viel wie nötig und so wenig wie möglich.

Rechtfertigen im Improtheater (2) – Für sich selbst und den Mitspieler rechtfertigen

Hier zur Erinnerung die Ausgangsszene:
Etabliert sind Mutter und Sohn
Sie diskutieren, ob er einen Job im Amazonas-Dschungel annehmen soll. Dabei zeigt er ihr Bilder in einem Buch, das sie von seiner Mission überzeugen soll.
Mutter: Na schön. Wenn du es denn unbedingt willst.
Sohn: Danke dir Mama. Dann lass uns jetzt gehen.
Sohn öffnet eine schwere große Tür.

Wenn ich für mich selbst das Angebot große, schwere Tür positiv aufgenommen, das heißt innerlich gerechtfertigt habe, gibt es eigentlich keinen besonderen Zwang, die Existenz der großen, schweren Tür irgendwie zu begründen. Sie ist eben da. Fertig. Sie kann die Tür zum Bank-Safe sein, ein Fabriktor, die Tür des Rathauses, höchstwahrscheinlich aber nicht die Tür zum privaten Badezimmer. Vielleicht gibt mir mein Partner in den nächsten Momenten (oder auch erst in fünf Minuten) verbal oder pantomimisch zu erkennen, wo wir uns befinden.

  • „Der brasilianische Botschafter freut sich schon darauf, dich kennenzulernen.“ (Wahrscheinlich sind wir im Botschaftsgebäude.)
  • Sicherheitsschleusen werden passiert und weitere schwere Türen geöffnet. (Gefängnis, Tresorraum oder etwas Ähnliches.)
  • Mutter kniet nieder bekreuzigt sich, erhebt sich und sagt: „Pfarrer Tschernawski wird uns sicherlich einen guten Rat geben.“ (Ah, wir sind in einer Kirche.)

Wenn mein Partner und ich mit dem Flow gehen, wird sich der Ort bald von selbst ganz natürlich herausstellen. Wenn ich aber merke, dass wir beide unsicher sind und vorm Definieren zurückschrecken, dann ist es besser, ein paar Pflöcke füreinander in den Boden zu rammen. Ich sagte eben, dass ich es unwahrscheinlich empfinden würde, dass das Szenario Schwere Tür in einem Badezimmer spielt. Wie aber soll ich dann reagieren, wenn er plötzlich mimt, sich auszuziehen und zu duschen?
Wenn sie ein Angebot nicht einordnen können, gehen die meisten Spieler davon aus, ihr Partner habe noch eine Idee in petto, die das alles erklären wird. Sie beginnen dann, vorsichtig zu spielen, werden langsamer und weniger engagiert, da ihr Geist nur damit beschäftigt ist, ihren Partner zu lesen, um herauszufinden, was zum Teufel er ausheckt. In der Folge kommt die Szene ins Stocken. Vielleicht hat ja der Partner auch gar nichts weiter in petto, sondern will die Szene nur ein bisschen mit einem irritierenden blinden Angebot aufpeppen. Oder seine Pantomime war einfach ein bisschen schludrig und die Tür in seinen Augen gar nicht so schwer, wie es auf mich gewirkt hat. Das Problem ist nun: Wenn mein Kopf die ganze Zeit mit diesen Optionen beschäftigt ist, verliere ich den Moment des Zusammenspiels. Deshalb rate ich dazu, in Situationen wie diesen, in denen die Irritation überhand zu nehmen droht, das Seltsame zu rechtfertigen, auch wenn es unbeholfen oder holprig erscheinen mag:

„René, denkst du bitte dran, nach dem Duschen die Tür des Badesaals zu ölen? Du merkst ja selbst, wie schwer sie inzwischen geht.“

Ob mein Partner „Badesaal“ im Kopf hatte oder nicht, ist egal. Was in meinem oder deinem Kopf vorgeht, ist für die Szene irrelevant. Entscheidend ist, was etabliert wird.
Selbst wenn mein Partner mit seinem vagen Angebot etwas anderes im Sinn gehabt hatte, dürfte er nun froh darüber sein, dass wir beide wieder festen Boden unter den Füßen haben.

Rechtfertigen im Improtheater (1) – Was ist Rechtfertigen?

(Dies ist der erste Teil einer Serie zum Thema Rechtfertigen.)

Um meine Angebote und deine Angebote miteinander zu verzahnen, müssen wir

  • diese Angebote überhaupt erst einmal akzeptieren, 
  • etwas zu den Angeboten hinzufügen
  • Zug um Zug spielen, damit Akzeptieren und Hinzufügen überhaupt möglich werden.

Das Problem ist natürlich, dass wir als Improspieler permanent mit Unerwartetem konfrontiert werden. Das heißt, wir sind praktisch gezwungen, Inhalte einzubauen,

  • mit denen wir nicht rechnen,
  • die mit unserer Konzeption der Szene nicht übereinstimmen
  • die beim ersten Betrachten gar „unpassend“ erscheinen.

Diese Fähigkeit, das Unerwartete szenisch sinnvoll einzubauen, nennen wir Rechtfertigen.
Viele Zuschauer empfinden gerade diese Fähigkeit bei Impro-Schauspielern als genial. Sie vermuten ein geradezu übernatürliches Talent und außerordentliche kreative Begabung dahinter. In Wirklichkeit ist diese scheinbar geniale Fähigkeit vor allem eine Geisteshaltung: Wir müssen auf der Bühne den skeptischen, prüfenden Verstand hinter uns lassen und freudig das Unbekannte mit einem kräftigen „Au ja!“ umarmen.
Das ist natürlich leichter geschrieben als getan. Ich bin der festen Überzeugung, dass auch dieser geistigen Haltung eine körperliche Haltung entspricht: Wenn ich auf ein unerwartetes Angebot hin den Kopf zurückziehe, die Stirne krausziehe und womöglich auch noch den Kopf schüttle, erscheint mir das „seltsame Angebot“ einfach immer dümmer, abseitiger, sinnloser. Wenn ich hingegen freudestrahlend auf es zugehe, nicke, mich auch körperlich für es öffne, feuern die Nervenbahnen im Gehirn und die Wahrscheinlichkeit erhöht sich ungemein, dass sich mir ein Sinn des Angebots auf irgendeine Weise erschließt. Ich schreibe „ein“ Sinn, nicht „der“ Sinn, da ein Angebot nie nur einen Sinn hat. Das heißt, es geht nicht so sehr darum, zu erraten, was mein Mitspieler mit dem Angebot bezweckt, sondern dem Angebot selbst einen Sinn zu verleihen.
Stellen wir uns folgende Szene vor:

Etabliert sind Mutter und SohnSie diskutieren, ob er einen Job im Amazonas-Dschungel annehmen soll. Dabei zeigt er ihr Bilder in einem Buch, das sie von seiner Mission überzeugen soll.Mutter: Na schön. Wenn du es denn unbedingt willst.Sohn: Danke dir Mama. Dann lass uns jetzt gehen.Sohn öffnet eine schwere große Tür.

Wenn ich als Spielerin der Mutter jetzt erwartet habe, dass die beiden sich gerade im Wohnzimmer befinden, dann dürfte ich von dem Angebot öffnet eine schwere große Tür ziemlich überrascht sein. Die Frage ist, wie ich innerlich mit der Irritation umgehe: Wenn ich der Irritation Nahrung gebe oder gar meinen Mitspieler infrage stelle, werde ich nur schwer eine Möglichkeit finden, dieses Angebot zu rechtfertigen, denn dann habe ich mich ja schon längst aus dem Spielmodus verabschiedet.
Um rechtfertigen zu können, muss ich den Fluss des Spielens aufrechterhalten. Ich muss mich von den vorgefassten Vorstellungen und Plänen verabschieden. Meine Aufgabe als Improvisierer ist es nicht, großartige Ideen zu produzieren, sondern aus den Angeboten der Mitspieler etwas Großartiges zu bauen.
Für den Spieler des Sohnes könnte die schwere große Tür etwas völlig Offensichtliches sein oder auch ein blindes Angebot an dich. Wie auch immer – du musst es zunächst für dich innerlich rechtfertigen.
Aber wer im Improtheater von Rechtfertigen spricht, meint meist weniger die innere Rechtfertigung, sondern die äußere. Unter der äußeren Rechtfertigung verstehen wir das explizite Verdeutlichen und Klären des irritierenden Angebots.
Es stellen sich nun drei Fragen: Für wen, wann und wie rechtfertigen wir?
(Wird fortgesetzt.)

Die Improvisation nicht thematisieren

Eine kleine Falle, in die auch Profis immer wieder tappen, ist, die Improvisation als solche zu thematisieren oder indirekt auf sie zu verweisen.

„Herr Schimmelmayer, was werden Sie tun, wenn Sie in drei Wochen in Rente gehen?“
„Ich weiß nicht, was ich tun werde. Ich weiß nicht einmal jetzt, was ich in einer Minute tun werde. Ich bin eher so ein spontaner Typ.“

Im Grunde ist es eine Form das Gagging: Der Spieler nimmt sich aus der Figur und aus Szene heraus und kokettiert mit dem Publikum. Wie so oft beim Gagging ist ihm auch ein Lacher sicher, und wahrscheinlich wird er von einzelnen Zuschauern auch noch für besonders smart gehalten. Das Problem ist nur, dass sich der Spieler hier vom Mitspieler und von der Szene löst und beider wahrscheinlich wieder eine Weile brauchen, um die Tiefe zurückzuerobern.
Eine andere Variante, in der die Improvisation thematisiert wird, ist der Verweis auf die Fehler, sei es die eigenen oder die der Mitspieler. Das nimmt meistens die Form des Über-Rechtfertigens an:

Spieler A läuft durch die Stelle, an der ein paar Minuten zuvor ein Tisch etabliert wurde.
Spieler B: Na, ein Glück haben wir den Tisch vorhin auf die andere Seite des Zimmers geschoben, sonst wärst du ja gerade mitten durch unser Mobiliar gelaufen.
Spieler A: Ja, das passiert mir immer wieder, dass ich durch Möbel und geschlossene Türen gehe. (läuft demonstrativ durch eine Wand.)

Der erste Halbsatz von Spieler B hätte völlig ausgereicht, um den kleinen Fehler geradezurücken. Der Nachsatz „sonst wärst du ja gerade mitten durch unser Mobiliar gelaufen“ eröffnet aber das neue Gagging-Spiel für den Mitspieler, und schon verlieren wir den Kern der Szene.
Geht also sparsam mit euren Rechtfertigungen um. Die Zuschauer wissen, dass ihr improvisiert. Man muss ihnen nicht noch extra zeigen, dass man mit ihnen auf einer Seite steht.

Einander glänzen lassen

Improspieler sind nie perfekt. Selbst den erfahrenen, professionellen Spielern unterlaufen grundlegende Fehler: Angebote werden übersehen oder ignoriert, es wird zu unspezifisch gespielt, Figuren werden unsauber angelegt usw. Das heißt aber umgekehrt auch, dass jeder Improspieler nicht nur mit seiner eigenen Imperfektion klarkommen muss, sondern auch mit der Imperfektion des Gegenübers. Zusätzlich zu den Fehlern und Schlampereien unserer Mitspieler müssen wir auch ihre Angebote annehmen, die wir nicht verstehen, die uns sinnlos erscheinen, weil wir den Subtext nicht kapiert haben. Und bei all dem müssen wir den Ball im Spiel lassen.
Wie reagieren wir technisch darauf? Wir nehmen das Angebot an und reagieren groß darauf.

„Es ist fünfzehn Uhr, Lennart. Bist du nicht ein bisschen spät?“„Tut mir leid, Herr Timmermann.“„Und die Degen hast du offenbar auch vergessen!“(Die Degen? Was für Degen?, mag sich der arme Improspieler fragen, der vielleicht eine Mathematikstunde oder die Beichte imaginiert hat. „Degen“ scheint nun wirklich ein etwas wildes Angebot.)„Oh nein! Oh nein! Ich hab die Degen in der U-Bahn liegengelassen! Herr Timmermann, bitte sagen Sie nichts meinen Eltern!“

Durch die große Reaktion wird das Degen-Angebot erst groß und wirkt wie ein genialer Zug im Storytelling. Schauen wir uns das Gegenteil an.

„Es ist fünfzehn Uhr, Lennart. Bist du nicht ein bisschen spät?“
„Tut mir leid, Herr Timmermann.“
„Und die Degen hast du offenbar auch vergessen!“
„Was? Ja. Aber dafür habe ich Ihnen ein paar neue Bibeln für den Kon-firmationsunterricht mitgebracht.“

Der Spieler hängt hier so sehr an seiner Idee, dass er das Angebot des Mitspielers zwar nicht völlig blockiert, aber doch so sehr in die Bedeutungslosigkeit schiebt, dass die Impro-Arbeit des Mitspielers fast nutzlos erscheint.
Unsere große Reaktion auf das Angebot unseres Mitspielers hat auch den Effekt, dass nicht nur das Angebot genial erscheint, sondern auch unser Mitspieler selbst. Und nun stelle man sich eine Show vor, in der sich sämtliche Improspieler permanent gegenseitig wie Genies behandeln. Eine solche Show und eine solche Gruppe wirken wie eine Sensation. Grundlage dafür ist natürlich, dass wir uns unserer Eitelkeiten entledigen müssen. Es geht nicht um die Anerkennung, die ich auf der Bühne bekomme, sondern es geht um die gesamte Show.
Unsere große Reaktion auf das Angebot unseres Mitspielers hat auch den Effekt, dass nicht nur das Angebot genial erscheint, sondern auch unser Mitspieler selbst. Und nun stelle man sich eine Show vor, in der sich sämtliche Improspieler permanent gegenseitig wie Genies behandeln. Eine solche Show und eine solche Gruppe wirken wie eine Sensation. Grundlage dafür ist natürlich, dass wir uns unserer Eitelkeiten entledigen müssen. Es geht nicht um die Anerkennung, die ich auf der Bühne bekomme, sondern es geht um die gesamte Show.
Und so sehen wir, dass die Technik, groß zu reagieren, nur eine Seite der Medaille ist. Wir brauchen auch eine mentale Haltung zu unseren Mitspielern, die sie befreit von der permanenten Selbstkontrolle. Es ist als gehe man mit dem Mantra „Mein Mitspieler ist ein Genie“ auf die Bühne. Eine Show, die mit dieser Kraft gespielt wird, wächst über sich hinaus.

Benefiz-Shows

Es mag hart klingen, aber Benefiz-Shows sind in den allermeisten Fällen eine Katastrophe. Das hat folgenden Grund: Bei Benefiz-Veranstaltungen versuchen die Veranstalter meistens eine riesige Menge an Künstlern zu gewinnen. Am besten viel, am besten alles, am besten zugleich. Oder sie sind so sehr mit ihrem politischen oder sozialen Anliegen beschäftigt, dass ihr nur noch eine kleine Rolle spielt. Die Folge ist häufig ein organisatorisches und technisches Chaos. Da das Geld als Druckmittel fehlt, sehen sich manche Veranstalter nicht mehr an Vereinbarungen gebunden.

„Ihr müsst jetzt doch parallel zur Band spielen. Aber das stört euch doch nicht, oder? Improvisiert doch einfach, höhöhö.
Es gibt zum Essen doch nur noch kaltes Chili con carne.
Ich weiß, wir hatten Headsets vereinbart, aber ich kann jetzt den Olli nicht erreichen.“

Macht Ausnahmen nur dann, wenn es sich um professionelle Veranstalter handelt, die solche Shows mehrfach organisiert haben und wenn es nicht parallele (musikalische) Veranstaltungen gibt.
Und wer eine Benefiz-Show obendrein Open Air spielt, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit ein hohes Lehrgeld zahlen.