Vor ca. zwei Jahren improvisierten wir (Foxy Freestyle) ein zweistündiges Stück im Stil von Tennessee Williams. Ein Titel und zwei, drei Vorschläge zu Beginn waren alles, was wir uns vom Publikum geben ließen. Das Stück war in unseren Augen und anscheinend auch in den Augen der meisten Zuschauer großartig. Ein Zuschauer hinterließ allerdings in einem Online-Bewertungs-Forum die kritische Bemerkung:
„Sehr schönes Theaterstück. Aber leider kein Improvisationstheater. Denn wenn das improvisiert gewesen wäre, dann wären die Schauspieler ja Genies.“
Lächelnd nahmen wir diese schöne Kritik zur Kenntnis.
Through the lense of others…
Let’s try not to copy too much other peoples‘ styles, genres, attitudes.
Let’s find our own voice.
Let’s be inspired by other artists works, not suffocated.
„The great difference between great movies and passable ones: When passable movies observe human experience, they observe it not through the lense of real life but through the lense of other movies.“
(4:30 Min)
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Die Adlerperspektive
Wie wichtig der Blick von außen auf die Szene ist, habe ich hier schon oft angesprochen. Diese Adlerperspektive (bisweilen auch „drittes Auge“ genannt) ist entscheidend für unsere Orientierung innerhalb einer Szene.
Für manche Spieler ist die Forderung nach einer Außensicht irritierend: „Dann ist man ja nicht mehr im Moment! Man verliert doch die Figur!“
Aber das ist nicht notwendigerweise so. Um ein Beispiel aus dem Alltag zu geben: Angenommen, ich treffe mich mit einem Kollegen zum Brunch und dabei plaudern wir über unsere neusten Ideen und Projekte. Wenn ich dabei achtsam bin, bin ich mir meines Essens bewusst, ich bin mir über die Beziehung zu meinem Kollegen ebenso klar wie über den Inhalt unseres Gesprächs. Aber außerdem ist mir natürlich der Rahmen dieses Settings klar, nämlich wo wir uns befinden und dass die Zeit verstreicht.
Multitasking ist für uns im Alltag meistens normal, wir haben es über Jahre unbewusst trainiert. In einer Impro-Szene bewegen wir uns in anderen Kategorien: Die Rolle, die Tätigkeit, die Beziehung zum Anderen, das Genre, der Inhalt – all das wird kollaborativ und spontan erschaffen. Für Impro-Anfänger kann das ungewohnt sein und sich wie Jonglieren mit fünf Bällen anfühlen. Durch fortwährendes Üben verliert sich dieses Gefühl der Überforderung nach und nach. Unsere Aufmerksamkeit kann mehrere Elemente gleichzeitig wahrnehmen, da sie uns einzeln und für sich genommen keine große Schwierigkeiten bereiten.
Die Adlerperspektive beizubehalten bedeutet nicht, zu wissen oder zu steuern, wo die Szene hingeht. Vielmehr geht es um das Bewusstwerden des gesamten Bühnengeschehens: Was passiert hier gerade? Und in welchem Kontext steht das?
Wenn ich die Adlerperspektive einnehme, wird mir bewusst, was die Szene braucht: Ausbreiten der Handlung oder Vorantreiben? Szenenwechsel oder Fortführen der Szene? Verschärfen des Inhalts oder Auflösung? Beschleunigung oder Entschleunigung?
Blinde und Schlafende improvisieren
Wenn irgend möglich: Augen halbwegs offenhalten.
Als „Schlafender“ solltest du durch den Schlitz halbgeschlossener Augen sehen.
Als „Blinder“ starr geradeaus sehen. Üben!
Rechtfertigen als Bloßstellen
Erstaunlich häufig benutzen Improspieler die Technik des Rechtfertigens, um kleine Fehler ihrer Mitspieler oder Unzulänglichkeiten der Szene herauszustellen.
- Der Spieler soll einen Franzosen spielen und kommt mit dem französischen Dialekt nicht klar. Die Mitspielerin: „Mit dem Dialekt sind Sie aber kein richtiger Franzose, oder?“
- Ein Spieler bittet zwei Mitspieler ins Auto einzusteigen. Da aber nur zwei Stühle auf der Bühne sind, müssen die beiden hinten stehen. Der Spieler: „Wir haben in unserem extra hohen Auto absichtlich die hinteren Sitze entfernt.“
- Ein Spieler mimt eine Tasse etwas ungeschickt. Die Mitspielerin: „Na, Sie haben ja eine extrem lange dünne Tasse!“
Bloßstellungs-Rechtfertigen wie in diesen Beispielen führt mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Lachern im Publikum. Das Problem dabei ist nicht nur, dass es ein bisschen unkollegial ist, die Mitspieler bloßzustellen, sondern dass diese Formen des Rechtfertigens uns von dem Game oder aus der Story wegführt. Der Improspieler kommentiert das Spiel statt es zu spielen, er stellt sich über das Spiel. Die Zuschauer werden von der Szene abgelenkt und fokussieren nunmehr auf einen minimalen oder auch nur scheinbaren Fehler, den sie sonst hingenommen oder nicht einmal wahrgenommen hätten.
Die Hauptfigur im Film „Der Pate“
Im Film „Der Pate“ ist lange überhaupt nicht klar, wer die Hauptfigur ist. Durch seine zentrale Position (und durch den Titel des Films) könnte man zunächst vermuten, es sei der Pate selbst. Doch Don Corleone thront zu sehr über allem. Er gleicht eher einem Heiligen oder einem (dunklen) Engel als dass er der Held sein könnte. Der älteste Sohn Sonny könnte der Held sein, da er in Schwierigkeiten gerät, seiner Rolle gewachsen zu sein und sein Temperament zu zügeln. Zieh-Sohn Tom ist der Emporkömmling. Falls er der Held würde, müsste es sich in dem Film darum drehen, ob es ihm als Außenseiter gelingt, durch seinen kühlen Kopf die Familie zu retten und sich so an ihre Spitze zu setzen. Fredo hätte das Potential zum Underdog-Helden, wenn der Film als Komödie angelegt wäre. Connie ist zu passiv, um Heldin zu sein. Bleibt Michael Corleone, der zunächst recht wenig in Erscheinung tritt und der mit der Familie nichts zu tun haben will. Große Pläne werden ausgeheckt, Verräter umgebracht, neue Geschäftsideen abgewogen, ein Film-Mogul erpresst, und von Michael ist weit und breit keine Spur, er amüsiert sich mit seiner Freundin. Es dauert fast eine Film-Stunde, bis sich Michael definitiv als Hauptfigur zu erkennen gibt: Er übernimmt Verantwortung für die Familie. Erst im engeren Sinne, als er seinen Vater im Krankenhaus vor den Mördern beschützt. Später im weiteren Sinne (d.h. für die Familie als Mafia-Organisation), als er sich willens, fähig und bereit erweist, einen Mord zu planen und zu begehen.
Szenen-Übergänge
Eine Sonderform des Szenen-Endes ist der Szenen-Übergang: In einem improvisierten mehr-szenigen Stück endet die Szene, indem eine neue Szene beginnt.
Die meisten der bereits genannten Techniken können auch für Szenen-Übergänge genutzt werden, insbesondere Black, starke Sätze, Abgänge.
Es kommen aber noch eine Handvoll Techniken hinzu.
Auswechseln
- Luisa und Fred spielen eine Szene zwischen Lehrerin und Vater eines abwesenden Mädchens. Auf dem Höhepunkt der Szene springt Daniela auf die Bühne, wechselt Luisa aus und spielt mit Fred eine Tochter-Vater-Szene derselben Story.
So weit, so simpel. Die Frage ist nur: Wie deutlich muss und wie subtil kann der Wechsel sein?
Klatsch-Stop-Tip
Dieses Auswechseln ist mit dem einfachsten Impro-Spiel verwandt – dem Stop-Spiel (alias Freeze Tag). Die außenstehende Spielerin ruft: „Stop!“ und/oder klatscht in die Hände. Daraufhin halten die Spieler auf der Bühne inne. Die Auswechslerin tippt ihre Partnerin leicht an, diese geht rasch ab, und die nächste Szene kann beginnen.
Der große Vorteil dieser Technik ist ihre Eindeutigkeit für Mitspieler und Zuschauer. Als Spieler auf der Bühne weiß ich, dass die Szene nun vorbei ist. Und die Zuschauer sind dadurch, dass die Technik höchst transparent ist, Zeugen des amüsanten Impro-Prozesses.
Wenn man auf diese Weise spielt, sollte man sehr, sehr schnell spielen. Es wirkt quälend, wenn man als Zuschauer erleben muss, wie ein außenstehender Spieler die Szene per Stop anhält, dann erst mal einen Augenblick überlegt, wen er denn ablösen will, dann gemütlich auf die Bühne stiefelt und die abgeklatschte Person auch noch irritiert von der Bühne stolpert. Seid hier also flink und klar!
Leichtes Tippen
Stoppen und Klatschen sind zwar eindeutige Zeichen, aber vergleichsweise rohe Techniken. Für erfahrene, aufmerksame Spieler genügt es, wenn die außenstehende Person die Bühne betritt und einen der beiden leicht antippt, um mit dem anderen weiterzuspielen. Denn schon dass sie die Bühne betritt ist für mich als Spieler ein Achtungs-Zeichen. Werde ich dann auch noch angetippt, verdünnisiere ich mich ins Off.
Geschmeidiger Wechsel
Sind sämtliche Spieler auf einem hohen Aufmerksamkeits-Level, kann man sogar auf das Antippen verzichten. In unserem Beispiel würde es genügen, dass Daniela in einem klaren Moment, zum Beispiel nach einem starken Satz von Luise, die Bühne betritt und Fred anspielt, etwa indem sie sich bühnenpositionell vor Luise stellt und den nächsten Satz an ihn richtet. Wenn das Zusammenspiel geschmeidig ist, wird Luise selbst abgehen. Diese Technik erfordert hohe Aufmerksamkeit und ein ähnliches Gespür für Timing, was oft nur durch langes Miteinanderspielen erreicht werden kann. Andererseits ist es auch (ähnlich wie bei guten Jazz-Musikern) unter Impro-Spielern möglich, die noch nie zuvor miteinander auf der Bühne gestanden haben, falls sie ähnlich „ticken“.
Und natürlich kann es Situationen geben, in denen es auch für aufmerksame Spieler nicht eindeutig ist, wer nun abgehen soll. Dann wird einem niemand ein feines kleines Abtippen übelnehmen.
Zwei oder mehr Spieler auswechseln
Die Technik des Spieler-Auswechselns beschränkt sich natürlich nicht auf einen Spieler. Angenommen Daniela will die folgende Szene weder mit Luise noch mit Fred spielen, sondern solo beginnen, kann sie natürlich beide Spieler auswechseln. Sie kann sie abtippen oder ihnen auch per „Bühnenfeger“ das Zeichen zum Verlassen geben.
Die subtile Variante wäre hier: Daniela stellt sich einfach vor die beiden und beginnt ihre Soloszene. Die aufmerksamen Mitspieler wissen bereits bei Danielas Betreten der Bühne Bescheid und verziehen sich elegant.
Mehrere Auswechslerinnen
Was ich hier für eine Auswechsel-Spielerin beschrieben habe, gilt selbstverständlich auch für mehrere. Luise und Fred (oder einer von ihnen) können also von Daniela und Evi (oder noch mehr Spielerinnen) abgelöst werden.
Wenn Evi also den Impuls hat, zusammen mit Daniela die Bühne zu betreten, soll sie sich nicht zurückhalten. Nach Danielas Klatsch/Stop! (oder analog: während ihres Impulses, die Bühne zu betreten) könnten gar zehn Spielerinnen die Bühne füllen – mit oder ohne Fred.
Wenn zwei Spieler im Off Augenkontakt miteinander aufnehmen, um den gemeinsamen Impuls des Wechsels zu erspüren, kann das nur hilfreich sein.
Etwas umstritten ist die Frage, ob es legitim ist, sich aus dem Off oder beim Auf-die-Bühne-Gehen einen Mitspieler herbeizuwinken. Dieser Spielzug ist nicht besonders verbreitet. Manche Spieler empfinden ihn auch als etwas übergriffig, sie vertrauen lieber den eigenen Impulsen. Ich denke aber, dass er durchaus hilfreich sein kann und ein Zeichen des wohlwollenden Miteinanders ist, solange nicht der Herbeiwinker dem anderen komplett die eigenen Ideen aufzwingt.
Hinzukommen
Man mag sich bei unserem Beispiel fragen: Wie können denn Fred und Luise wissen, ob Daniela uns ablösen will oder ob sie die Szene betritt und mitspielt, wenn sie nicht einen von uns abtippt?
Zum einen kann es sich aus der inhaltlichen Dynamik der Szene ergeben. Wenn die Auswechslerin aufmerksam ist, wird sie an einer Stelle die Bühne betreten, die schon einen Anhaltspunkt dafür gibt, ob die Szene zu Ende ist oder ob sie mit einer neuen Figur weitergespielt wird.
Im Improtheater hat sich hier folgende Konvention etabliert:
– Betritt die neue Figur hinter den Spielern die Bühne, wird die Szene weitergespielt.
– Betritt die neue Figur vor den Spielern die Bühne, beginnt eine neue Szene.
Diese Konvention halte ich für intuitiv und praktikabel. Denn nur wenn die Figur vor mir steht, kann ich das Auswechsel-Angebot richtig deuten. Betritt die Figur hinter mir (also für mich schlecht sichtbar) die Bühne, kann ich mich hingegen darauf verlassen, dass mir demnächst ein entsprechendes Angebot gemacht wird.
Übergänge durch den Erzähler oder Moderator
So wie der Erzähler ein Ende setzen kann, ist ihm natürlich auch ein Übergang möglich. Zwei Sätze genügen schon, um eine Verbindung zwischen beendeter und neuer Szene zu schaffen.
„Irene konnte ihr Glück kaum fassen. Doch als sie am Abend nach Hause kam, erlebte sie eine böse Überraschung…“
Die Rolle des Erzählers ermöglicht es uns darüberhinaus, nicht nur die Übergänge zu markieren, sondern auch Zeit- und Ortswechsel (hier: „am Abend“ und „zu Hause“) anzuzeigen, was die Schauspieler entlastet, die dies nicht pantomimisch oder verbal improvisierend etablieren müssen.
In reduzierter Form kann das in Game-Formaten auch ein Moderator oder Regisseur übernehmen:
„Fünf Stunden später!“
oder
„Zur selben Zeit am Bahnhof!“
Moderatoren oder Regisseure werden also eher intervenieren als ausführlich erzählerisch eingreifen.
Szenen-Übergänge ohne Mitspieler aus dem Off
Nicht immer sind außenstehende Mitspieler zur Hand. Besonders in kleinen Konstellationen kommt es vor, dass niemand im Off steht, der uns „erlösen“ könnte, und am deutlichsten in Zweier-Teams.
Positionswechsel
Wir können einen szenischen Wechsel sehr klar verdeutlichen, wenn beide Spieler gleichzeitig ihre Position auf der Bühne ändern. Das erfordert ein bisschen Übung, vor allem aber ein gutes Miteinander. Beiden Spielern muss klar sein: Jetzt ist es Zeit für einen Szenenwechsel. Was beinahe wie magische Gedankenübertragung klingt, ist im Grunde „nur“ eine hohe Aufmerksamkeit für die Dynamik und den Rhythmus letzter Sätze und für die Körpersprache.
Aber wie kann das Publikum wissen, dass wir nicht in der gegebenen Szene einfach auf eine andere Position gehen? Wir müssen die Positionen in einer anderen Körperspannung wechseln. Wir treten aus der Haltung unseres Characters heraus in unser Schauspieler-Ich, wechseln rasch (ohne zu hetzen) die Position, gehen dort wieder in den alten (oder einen anderen) Character und beginnen die neue Szene.
Die Technik ist nicht allzu schwer, aber man sollte sie ein bisschen ausprobieren.
Hilfestellungen
Eine Szene nur durch Positionswechsel und Character-Ein-und-Ausschalten zu verändern, ist freilich eine subtile Angelegenheit. Wenn man als Duo nicht besonders aufeinander eingespielt ist oder wenn andere Faktoren ablenken (z.B. kleine Bühne, unerfahrenes Publikum), kann man sich durchaus ein paar Hilfestellungen gönnen.
– Einer der Spieler kann aus der Rolle heraustreten und als Regisseur den Szenenwechsel markieren: „Zur selben Zeit vorm kaiserlichen Pferdestall.“
– Beide Spieler rotieren gleichzeitig um ihre eigene Achse und beginnen eine neue Szene. Ich gebe zu, dass diese Technik ein bisschen dick aufträgt, aber sie ist energiegeladen, optisch wirkungsvoll und recht eindeutig.
– Man kann einen deutlichen verbalen Hinweis für einen Ort- oder Zeitwechsel im Dialog verpacken:
„Woher ich diese Narbe habe? Das kann ich Ihnen sagen…“
oder
„Wo mag jetzt wohl Sergej stecken? …“
Wie man eine Szene beendet – Techniken
1. Durch den Techniker
Black
Wenn man einen halbwegs guten Improvisierer an der Technik zu stehen hat, kann man ihm die völlige Freiheit lassen, durch Blacks, das heißt durch Herunterfahren des Bühnenlichts, Zäsuren zu setzen oder Szenen zu beenden. Die Methode ist alt aber wirkungsvoll und ziemlich elegant, da die Schauspieler Schauspieler bleiben können und nicht in die Rolle des Editors springen müssen.
Licht
Statt das Licht auszuschalten, kann der Techniker auch den umgekehrten Weg gehen und aus einer dunkel beleuchteten Szene in die volle Beleuchtung springen, vielleicht sogar mit Einspiel-Musik. Das ist natürlich eher am Ende einer Show sinnvoll oder als Übergang zwischen Theater-Sport-Szenen.
Vorhang
Einen Vorhang über der Szene zu senken stammt aus der Zeit vor dem elektrischen Licht, ist aber natürlich immer noch eine effektvolle Methode, falls man das Glück hat, in einem großen Theater mit Vorhang zu spielen. Und auch dann würde man wohl nicht nach kurzen Games, sonder nur nach größeren Stücken das Pathos des Vorhangs nutzen.
2. Durch Spieler von außen
Insbesondere in flotten Formaten wie Theatersport oder in game-lastigen Shows dominieren kleine Techniken, die leicht einzusetzen sind und dem Publikum schnell klarmachen, dass hier das Ende der Szene ist (d.h.: Ihr dürft jetzt klatschen).
Handschranke
Derzeit ist die Handschranke wohl die am häufigsten angewandte Methode, eine Szene zu beenden. Ein Spieler von außen oder der Moderator winkt die Szene ab. Daraufhin setzt der Techniker das Black oder die relativ eindeutige Geste steht für sich.
Bühnenfeger
Ein Spieler läuft von außen quer über die Bühne (eventuell kombiniert mit Handschranke) und signalisiert somit sowohl für Mitspieler als auch fürs Publikum das Ende der Szene.
„Ende der Szene!“
Am besten aus dem Off übers Mikro gesprochen, aber auch als verbale Verstärkung der Handschranke.
Erzähler von außen
In Formaten, die mit einem Erzähler operieren, kann dieser leicht mit einer beendenden Formel oder einem entsprechenden Sprachgestus das Ende markieren.
„Ist das Haus von Doktor Nansen wirklich verflucht? Wir wissen es nicht. Aber seit jenen Ereignissen im Frühjahr 2016 hat es niemand mehr zu betreten gewagt.“
oder
„Ich bin ein durchschnittlicher Niemand, ich werd’ den Rest meines Lebens wie irgendein Trottel verbringen.“ (Goodfellas)
Zu beachten
- Nach einer temporeichen Szene oder nach einem Gag sollte das Black sehr schnell gefahren werden. Eine stimmungsvolle Szene kann man auch langsam ausblenden.
- Respektiert ein von außen gesetztes Ende. Nach einem Black oder einer Handschranke weiterzureden oder gar „Nein, noch nicht!“ zu rufen, ist nicht nur äußerst unelegant, sondern auch ein Blockieren eurer Mitspieler. Egal wie geil eure Idee war, die ihr noch bringen wollt, Publikum und Mitspieler werden sich eher an eure mangelnde Kooperation als an eure tolle Idee erinnern.
- Es ist etwas unelegant, die eigene Szene mit Handschranke zu beenden. Ich rate dazu, das nur im Notfall, zum Beispiel wenn ihr zu zweit spielt, einzusetzen. Den eigenen Schluss-Gag zu behandschranken sollte man lieber seinlassen, da es zu sehr nach „Beklatscht mal bitte meinen tollen Gag“ aussieht.
Szenen selbst beenden
Der Abgang
Ich weiß nicht, woran es liegt, aber aus irgendeinem seltsamen Grunde scheuen die meisten Improspieler davor zurück, eine Szene einfach dadurch zu beenden, dass sie die von der Bühne abgehen. Wollen sie Ihre Partner nicht im Stich lassen? Fürchten sie, das Publikum zu enttäuschen? Oder ist die Bühne irgendwie magnetisch?
Man setzt mit einem Abgang ein starkes Ende, vorausgesetzt, er ist klar und selbstbewusst und wirkt nicht so wirkt als fliehe man vor einer unguten Szene.
Der Abgang ist natürlich auch immer ein Angebot für die Mitspieler und die Techniker – entweder eine neue Szene zu beginnen oder ein Black zu setzen.
Starker Satz
Wenn wir uns Shakespeares Stücke anschauen, sehen wir leicht, wie er die Szenen beendet: Während der Szenen sprechen die Figuren in ungereimten fünfhebigen Jamben . Der Reim hingegen markiert das Ende. Zum Beispiel
Edmund
Den Eifer, mit Vergunst, meld‘ ich sogleich
Dem Herzog, und von jenem Brief dazu.
Dies scheint ein groß Verdienst und soll mir lohnen
Mit meines Vaters Raub, den Gütern allen:
Die Jungen steigen, wenn die Alten fallen.
Damit ein Satz stark ist, muss er zwei Bedingungen erfüllen:
Erstens sollte er nicht zu offen sein. Eine beiläufig gestellte Frage oder ein Satz aus einem nonchalanten Smalltalk sind nicht kräftig genug. „Das schmeckt ja wunderbar. Kann ich noch etwas vom Obstsalat haben?“ wäre zu sehr Routine-Gelaber. Man muss jetzt nicht in Panik verfallen und das Hirn mit der Suche nach einem starken/guten Satz zermartern. Beruhigt euch: Starke Sätze müssen nicht unbedingt weise, lustig oder smart sein. Sie brauchen lediglich eine gewisse Energie. Im Grunde sind sie nicht besonders schwer zu finden. Man kann zum Beispiel in einem letzten Satz eine Erkenntnis äußern.
„Wenn eine Maschine den Wert des Lebens schätzen lernen kann, dann können wir es vielleicht auch.“ (Terminator II)
oder
„Niemand ist vollkommen.“ (Manche mögen’s heiß)
Man kann das Geschehen der letzten Szene zusammenfassen.
„Louis, ich glaube das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.“ (Casablanca)
Oder einen in die Zukunft gerichteten Satz sagen:
„Geht, heißt die Truppen feuern!“ (Hamlet)
Zweitens, sollte der Satz gestisch verdeutlichen, dass es sich um einen Schluss-Satz handelt (oder handeln könnte). Ein vielleicht etwas billig scheinender Trick ist, den Satz mit einem gewissen Pathos Richtung Publikum zu sprechen. Wir verstärken das Pathos, indem wir die Stimmhöhe senken, das Tempo drosseln und etwas lauter werden.
ÜBUNG
Zwei Spieler auf der Bühne. Es ist die Schluss-Szene eines langen Stückes, dessen Plot in drei Sätzen vorgegeben wird.
In der Szene werden die letzten zwei bis vier Sätze gesprochen. Diese Sätze sollten nichts erklären, wiederholen oder etablieren, sie können vielmehr ins Blaue behauptet sein, wie bei einem Fernsehfilm, in den man in den letzten Minuten gezappt hat.
Einer dieser Sätze ist der allerletzte Satz und wird Richtung Publikum gesprochen. (Dabei nicht das Publikum direkt anstarren, sondern eher leicht darüber „Richtung Zukunft“.)
Starke Gesten und Handlungen
Der letzte Satz einer Szene muss noch nicht das Ende der Szene sein. Vielmehr kann sie auch mit einer starken Geste oder Handlung enden.
- In Brechts „Mutter Courage und ihre Kinder“ verliert die Marketenderin ein Kind nach dem anderen an den Krieg. Am Ende zieht sie ihren Wagen, den wir während des gesamten Stücks gesehen haben, allein über die Bühne.
Hier machen wir als Zuschauer die Erfahrung von Abgeschlossenheit. Ein Objekt oder ein Ort wird wiedereingeführt und bekommt nun durch die inzwischen abgelaufene Handlung eine neue Bedeutung. Bisweilen kommt es vor, dass man zwar spürt, dass das Stück zu Ende ist, aber man weiß nicht recht, wie man den Sack zuknoten kann. Ein einfacher Trick besteht darin, wieder an den ganz zu Anfang etablierten Ort wieder zu gehen. Fast jeder wird die Abgeschlossenheit dann deutlich spüren.
- In „Der Pate“ wird die Tür zwischen dem neuen Mafia-Boss, dem gerade ein Capo die Hand küsst, und seiner Frau geschlossen. Ind ihr Blick verrät, dass sie erst jetzt versteht, wen sie da geheiratet hat.
Wir hören vom handküssenden Capo nur die ehrfürchtigen Worte: „Don Corleone!“ Die folgende Geste des Türe-Schließens verstärkt die schockierende Erkenntnis: Der nette College-Boy ist nun ein Mafiaboss und die Frau hat hier nichts zu sagen. Das tragische Ende dieses Liebespaares ist komplett.
- In Chaplins „The Pilgrim“ läuft der Tramp an der US-mexikanischen Grenze entlang mit einem Bein auf der US-, mit dem anderen auf der mexikanischen Seite. Hier verfolgt ihn das Gesetz, dort verfolgen ihn die Banditen.
In diesem Beispiel ist das Ende eine Mischung aus Klischee und Gag. Das Klischee ist der Tramp, der in die unbekannte Zukunft verschwindet, während die Kamera ausblendet. Der Gag, dass sich Chaplin mit gespreizten Beinen über die Grenze läuft, entlässt die Zuschauer mit einem zufriedenen Lachen.
Demnächst hier: Szenen-Übergänge
Wie man eine Szene beendet – Der Beat
Hier kommt eine kleine Serie zum Thema „Szenen beenden“. Wir starten mit einem Grundbegriff – dem BEAT.
Wenn wir eine Szene sezieren würden und uns die einzelnen Sequenzen anschauen, dann erkennen wir rasch, dass wir es mit kleinen Sinneinheiten zu tun haben. Fast jeder Impro-Spieler, der schon einmal Freeze Tags gespielt hat, ist eigentlich mit diesem Gefühl vertraut: Es gibt kleinste szenische Einheiten, die schon nach drei oder vier Sätzen vollendet sein können.
„Richie, meine Mutter kommt heute Nachmittag zu Besuch.“
„Gut, Katja. Dann sag ihr bitte, dass sie diesmal meine Glas-Figurinen nicht anfassen soll.
„Sie hat sie doch nur geputzt.“
„Sie soll sie nicht putzen, nicht anfassen, nicht anatmen. Sie soll sie eigentlich auch nicht anschauen.“
Die kleinste szenische Einheit nennen wir einen Beat. In der hier skizzierten Szene könnte man argumentieren, dass der erste Beat sogar schon nach der Bitte, die Glasfigurinen nicht zu berühren, vorbei ist. Das Ende des ersten Beats wäre markiert mit einem starken Angebot: Denn natürlich wollen wir nun sehen, was für ein Typus Katjas Mutter ist, wie sie alles betatscht und gerade für gläserne Objekte einen besonderen Fimmel hat. Der zweite Beat wäre nach „nicht anschauen“ vorbei, was im Grunde ein Gag ist.
Ich weiß, die Definition „kleinste szenische Einheit“ hilft einem erst mal praktisch nicht besonders weiter. Es bedarf einer gewissen Übung, um ein Gefühl dafür zu entwickeln, wo eine Szene beendet werden könnte. Und die beste Übung sind meiner Meinung nach die guten alten Freeze Tags (Stop-Spiel). Bald wird man sehen, dass sich szenische Einheiten immer dann einstellen, wenn eine Routine gebrochen wird.
Schauen wir uns folgendes Beispiel an:
„Richie, meine Mutter kommt heute Nachmittag zu Besuch.“
„Gut, Katja. Lass uns schon mal den Tisch decken.“
„Ja, sehr gut. Ich das Geschirr und du das Besteck?“
„Ja. Und wir können auch schon ein bisschen dekorieren, oder?“
„Klar. Da wird sie sich bestimmt freuen.“
Wir haben hier nichts als Routine. Nichts, was die Prämisse „Mutter kommt zu Besuch“ in einem anderen Licht erscheinen ließe oder was die Beziehung der Charaktere veränderte. Das ist für eine Weile auch nicht unbedingt schlecht, solange wir die Plattform bauen. (Wir etablieren ein freundliches Pärchen, das sich auf den Besuch eines geliebten Menschen freut und ihn liebevoll begrüßt. Die Fallhöhe ist enorm hoch.) Man möchte nur hoffen, dass die beiden sich sehr bald vom Plattformbau und dem dialogisch flachen Gerede verabschieden. Denn bisher gibt es keinen echten Beat. Und wenn die Szene weiter so dahinfließt, wird es auch immer schwerer, einen zu setzen.
Wenn man als Außenstehender merkt, dass die Spieler in der Routine festhängen, ist es sinnvoll, lieber beizeiten einen Beat zu markieren, als die Spieler verhungern zu lassen. Im skizzierten Beispiel:
- könnte der Musiker nach dem letzten Satz unheildräuende Musik anspielen, um der ganzen Szene eine neue Bedeutung zu geben,
- könnte eine Spielerin von außen an der Tür klingeln und das zu frühe Eintreffen der Mutter andeuten
- könnte eine Regisseurin mit dem Satz „Fünf Stunden später“ die nächste Szene einleiten.
Das heißt, wir können die Beats auch von außen markieren, indem wir
- die Szene emotionalisieren,
- ihr durch ein neues Angebot eine neue Wendung geben,
- die Szene beenden.
David Grohl – Passion & responsibility – Leidenschaft und Verantwortung
„Some of my favourite drummers would be considered some of the worst of all time because their tempo fluctuates so much, or there is inconsistency – but it’s the passion that interests me. I can’t do a solo. I never practise by myself. It’s like, I’d never really dance alone.
As a drummer, it’s your responsibility to make sure this thing gets off the ground, but you don’t expect any thanks. You’re there to serve the song; you’re there to get people to move. They might not really know why they’re dancing, but it’s you.“
David Grohl (Nirvana, Them Crooked Vultures)
Einige meiner Lieblingsschlagzeuger gelten als die schlechtesten aller Zeiten, weil ihr Tempo so wacklig ist oder weil es widersprüchlich ist, aber mich interessiert nur die Leidenschaft. Ich kann nicht mal ein Solo. Ich übe auch nie alleine. Ich würde ja auch nicht alleine tanzen.
Als Schlagzeuger bist du dafür verantwortlich, dass das Ding abhebt, aber du darfst keinen Dank erwarten. Du bist dafür da, dem Lied zu dienen. Du bist dafür da, dass sich die Leute bewegen. Sie wissen vielleicht nicht warum sie tanzen, aber sie tun es wegen dir.“
Ziellosigkeit: Wie Charaktere uninteressant werden
Ellen Brock ist eine Lektorin, die netterweise online Tips für Schriftsteller verfasst. Darunter finden sich natürlich auch einige Rosinen für uns geschichten-improvisierende Schauspieler, wie dieser hier:
Die Leser (d.h. in unserem Fall die Zuschauer) verlieren das Interesse an der Hauptfigur, wenn diese keine klaren Ziele hat. Das wiederum ist dann der Fall, wenn die Ziele im Ziel der Gruppe untergehen, denn dann geht die Hauptfigur in der Gruppe selbst unter. Der Protagonist braucht eigene Ziele und eine eigene Motivation.
Der zweite Grund ist, dass sich die Ziele ständig und beliebig verändern, weil es keine zugrundeliegende Motivation des Charakters gibt.
Ausführlich hier:
Warum es sinnvoll ist, sich beim Erschaffen von Charakteren auf den Körper zu verlassen
Ich halte den Zugriff auf die Körperlichkeit für den effektivsten und überraschendsten Weg, einen Charakter spontan zu entwickeln. Im Gegensatz zu konzeptionellen Zugriffen, zum Beispiel auf Sprache, Psychologie und szenischer Notwendigkeit eines Prototypen, können wir auf unseren Körper viel unmittelbarer zugreifen. Unsere Körperlichkeit kann in einer Szene eine Eigendynamik entfalten, die uns selbst überrascht, die uns in diesen immer wieder gesuchten Prozess des Flows führt, in dem wir einfach das tun, was offensichtlich ist, ohne unser Hirn mit Konzepten zu irgendwelchen Charakteren zu verknoten oder uns von Strukturen gefangennehmen zu lassen.
Das Hirn verarbeitet körperliche Wahrnehmung und Emotionen in der Amygdala. Konzepte und Überlegungen haben im Großhirn ihr Zuhause. Die Amygdala arbeitet um ein Vielfaches schneller als das Großhirn. Ihre Botschaften werden auch schneller ans Großhirn gesendet als umgekehrt. Das heißt für uns: Unserem Körper wird von selber klar, was gerade los ist, und zwar noch bevor das Großhirn eine Beschreibung oder einen Namen dafür gefunden hat.
Die Angst sucht Schutz bei Invaliden
Eine Weile eröffnete die eigentlich recht energetische A. ihre Szenen häufig mit greisen halbblinden, schwerhörigen und lahmfüßigen Mütterchen. Als wir sie darauf ansprachen, war ihr das zunächst gar nicht bewusst. Sie beklagte sich vielmehr, dass wir sie nicht deutlich genug anspielten. Später wurde ihr selber klar, dass eine gewisse Furcht, etwas behaupten zu oder etablieren zu müssen, ihr Unterbewusstsein dazu drängte, solche Rollen zu wählen.
Emotionale Veränderung: Shift & Switch
Lass dich emotional berühren!
Wie wichtig die affektive Elastizität für uns ist, sieht man, wenn sie fehlt: Die Figur eines Spielers, der sich überhaupt nicht von den Angeboten seiner Mitspieler berühren lässt, bleibt starr und uninteressant. Igeln sich sogar beide Spieler ein, erstarrt die Szene in emotionaler Bedeutungslosigkeit.
Wenn Spieler vermeiden, sich berühren zu lassen, hat das wie bei vielen Idiosynkrasien der Improvisation mit der Angst vor dem Unbekannten zu tun, mit der Angst, die Kontrolle über das Ego zu verlieren. Und umgekehrt liegt für den freudigen Improspieler gerade darin der Reiz: Sobald ich mich emotional verändere, beschreite ich unbekanntes Territorium. Ich bin im Moment des Entstehens. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft fließen zusammen in einen Prozess.
Veränderung findet auf der emotionalen Ebene (ebenso wie im Storytelling oder bei Statusveränderungen) entweder sanft als Verschiebung oder als plötzlicher Wechsel statt. Sehen wir uns folgenden Dialog zwischen Mutter und Tochter an:
- (leise) Hallo Mama! Ich bin wieder da.
- Na, Sarah? Sind wir nicht ein bisschen zu spät?
- Tut mir leid. Ich habe den Bus verpasst.
- Ich bitte dich! Du bist zwei Stunden zu spät! Was hat das mit dem Bus verpasst.
- Es hat geregnet, und da bin ich zu Jakob gegangen.
- Zu Jakob? Jetzt wird mir einiges klar! Ich habe deine Unzuverlässigkeit langsam satt! Es kotzt mich an!!
- (weint) Mama, bitte…!
- Mal sind es eine halbe Stunde wegen dem Regen, jetzt sind es zwei Stunden mit dem Bus! Und dann ausgerechnet Jakob, dieser Penner! Schäm dich!!
- (schluchzt) Mama!! Jakob hatte einen epileptischen Anfall und musste ins Krankenhaus.
- (geschockt) Was?
- Ich habe ihn begleitet.
- (mitleidsvoll) Oh, Sarah, das tut mir so leid.
Wir sehen, wie die Mutter ihren leichten Ärger immer weiter verschärft (Verschiebung), bis die Nachricht von Jakobs Anfall den emotionalen Wechsel auslöst.
Nun schauen wir uns dies an:
- (fröhlich) Hallo Mama! Ich bin wieder da.
- (neckt) Na, Sarah? Sind wir nicht ein bisschen zu spät?
- (sarkastisch) Tut mir leid. Ich habe den Bus verpasst.
- (panisch) Oh Gott! Du hast den Bus verpasst? Das heißt, dass du Daniel nicht getroffen hast, der dir die Dokumente geben sollte.
- (überlegen) Die habe ich ihm längst abgeluchst. Und zwar gratis!
- (ängstlich) Sarah! Heißt das, du steckst mit Jakob unter einer Decke?
- (nervös) Was weißt du von Jakob?
- (triumphierend) Hahaha! Ich weiß alles über ihn. Er hat es mir gestanden. Jakob, kommst du mal bitte?
In dieser Szene wechseln die Emotionen ständig (sie könnte einem Impro-Game entstammen). Sie mag zwar noch einigermaßen plausibel sein. Aber lange wird man dieses Hin und Her wohl kaum aushalten, weder als Zuschauer noch als Spieler. Mit anderen Worten, wir brauchen die Veränderung, aber wir brauchen sowohl Phasen der Verschiebung als auch Phasen des Wechsels.
Working with P!NK
„It has a lot to do with P!NK. I think, she creates an environment that is inclusive, that is loving, and I think, she really encourages that on her stage. And she encourages that in her audience.“ (Pinks Background-Sängerin ca. 17:30)
Improtheater als Sensation oder Selbstverständlichkeit?
„So was haben Sie noch nicht gesehen! So was werden Sie nie wieder sehen! Denn alles, was auf dieser Bühne geschieht, entsteht in diesem Moment. Ob Krimi oder Oper, ob Märchen oder Shakespeare-Drama – wir schütteln alles aus dem Ärmel! Ein Feuerwerk an Premieren! Ein Blumenstrauß berührender und zwerchfellerschütternder Szenen…“
Kommt dir das bekannt vor? Im Moment, da ich dies schreibe, ist die Wahrscheinlichkeit gar nicht mal so gering, dass deine Improgruppe so oder ähnlich für sich wirbt. Seit über dreißig Jahren wird Improtheater in Deutschland gespielt, es wird in Volkshochschulen und Manager-Seminaren improvisiert, es gibt in fast jeder deutschen Großstadt mindestens eine regelmäßig auftretende Impro-Gruppe, es gibt Impro-Formate im deutschen Fernsehen. Sollen wir in einer Zeit, in der Improtheater längst aus der Nische herausgefunden hat, es immer noch ankündigen, als käme der Feuerschlucker ins Städtchen?
Close vs. Johnstone pt 2 – an answer to Ian Parizot
Ian Parizot from Montreal commented on my last post on the differences between Johnstone and Close.
1. I think that the theories two gurus both have their blind spots. For example, Keith Johnstone’s format Theatersports is a playfully competitive, yet highly funny form which makes it possible for a performer to fail gracefully and still be entertaining. On the other hand it leads some performers to be competitive or to play dumb – to fail for the sake of failure. Del Close’ Harold focuses on Group Mind which is a good thing but it undervalues contrast and may lead less talented performers to dull copying scenes or a foreseeable Harold structure.
2. Contrary to Ian, I think it’s valuable to learn all kinds of styles. I think it should be obvious, but I spell it out. Knowing different approaches and styles has many advantages. First of all, I can get along easier with other performers, for example f I perform with a UCB alumni, I know that I have to keep my eyes open for certain game structures. If I play with a large Harold team, I know that they’re very likely up to group games. I know how I’m expected to behave when my Theatersports team wins or loses. But even more important, knowing different styles gives me a better grip to understand theater in all of its forms. There’s more than just one approach to comedy. There’s more than just one approach to creativity. To give a common example: The Beatles in Hamburg had to play all kinds of styles; when the drunk audience demanded a Bossa Nova, they played a Bossa Nova or at least they played it the next night. It was precisely that multi-style approach and their openness for new sounds that enabled them to create their music which was different from every other pop band. In film you can think Stanley Kubrick, in literature think Goethe.
„Spiel mit all deiner Intelligenz“ (Del Close) versus „Sei Durchschnitt“ (Keith Johnstone)
„Spiel mit all deiner Intelligenz“ (Del Close) versus „Sei Durchschnitt“ (Keith Johnstone)
Stehen diese beiden Aufforderungen nicht in einem gewissen Widerspruch zueinander? Wahrscheinlich schon. Allerdings muss man sich auch anschauen, an wen sie sich richten. Keith Johnstones oberstes Ziel ist es, den Spieltrieb wachzukitzeln, die Kontrolle auszuschalten und sich aufs Ungewisse einzulassen und dabei eben auch Surreales zuzulassen, wenn nicht sogar zu erstreben. Unser ins erwachsene Denken eingebaute Zensor, unser Bestreben nach Sicherheit und Perfektion steht da im Wege, und viele der von ihm erfundenen Spiele richten sich darauf, diesen Zensor auszuschalten. Wenn wir es „richtig“ machen oder „gut“ sein wollen, blockieren wir den Fluss unserer Assoziationen. Das gedankliche Abwägen nach dem besten Satz macht uns unspontan, wir frieren physisch ein. Wenn ich mir aber sage, dass ich gar nicht „gut“ sein muss, sondern einfach nur eine durchschnittliche Leistung erbringen soll, dann mindert das den Erwartungsdruck, und ich lasse es zu, dass ich mich selbst überrasche.
Del Close hingegen, soweit ich das beurteilen kann, hält sich mit derlei Vorüberlegungen gar nicht erst auf. Auch ist ihm weniger an Surrealem gelegen als an lebensnaher Comedy, aus der sich Wahrheiten entfalten können. Damit uns dies aber gelingt, müssen wir unseren Verstand einschalten, da uns das völlig freie Assoziieren in wirklichkeitsfremde oder klischeegesättigte Bereiche trägt. Wenn du Schwierigkeiten hast, spontan zu sein, dann schöpfe einfach aus deinem Leben. Wenn du kein Leben hast, dann mach eine Pause mit Impro und besorg dir eins. Close hatte, wenn man den Berichten über seine Workshops vertrauen darf, keine Probleme damit, wenn Szenen mäßig ausfielen, wohl aber damit, wenn jemand sich prätentiös gab oder sich weigerte, sich zu engagieren.
Ich glaube aber, dass man trotz dieser Widersprüche von beiden Lehrern profitieren kann. Johnstones Ansatz ist zunächst mal sehr gut für Anfänger gedacht und für Spieler, denen die Selbstkontrolle (und die Kontrolle ihrer Partner und der Szene) immer wieder auf die Bremse tritt. Del Close’ Ansatz steht für intelligentes Spiel (was nicht bedeutet, dass man einen Hochschulabschluss braucht, um intelligente Comedy zu produzieren).
Ich bringe es auf die Formel: „Denken ohne nachzudenken“. Sei wach und nutze sämtliche, dir zur Verfügung stehenden Assoziationskanäle. Ruhe dich nicht auf Klischees aus, aber hab keine Angst vor ihnen. Mit diesem Doppelansatz nutzen wir sowohl unsere Erfahrungsintelligenz als auch unsere Phantasie. Beides zusammen erweitert unsere Spielmöglichkeiten enorm. Sei durchschnittlich! Nutze all deine Intelligenz!
„Be average!“ versus „Play at the top of your intelligence!“
Keith Johnstone: „Be average!“
Del Close: „Play at the top of your intelligence!“
These two requests seem to contradict each other. But we should look a little deeper: Who are the addressees? And what are the situations?
Keith Johnstone’s foremost goal is to tickle our playfulness, to cut off our controls to let us dive into the unconscious, and hence to accept if not even reach for the surreal. However, we have a censor implemented into our adult thinking, we urge for security and perfection. Many of Johnstone’s games are focused on playing tricks on that censor. If we want to be “good” or if we want to do it “right”, we block our stream of associations. If we try to evaluate our lines, we become unspontaneous, we almost freeze physically. But if I tell myself that I don’t have to be “good”, that I just have to perform on an average level, it relieves me from any high expectations. I will give myself permission to surprise myself.
As far as I can see, Del Close, didn’t take such preliminary considerations. Also, he didn’t care too much about surrealism but about true-to-life comedy where some valuable truth can unfold. However, if we want to go that way, we have to turn on our intelligence, because limitless free association might lead us into unrealistic strange lands or into the realm of boring clichés. If you have problems with being spontaneous, just draw on your own real life experience. If you don’t have a real life, stop improv and get one. If I can trust the few reports on Del Close’ workshops, he didn’t have problems with mediocre scenes, but he did have problems if you got pretentious or if you refused to commit.
Anyway, I think there’s no need to decide for one of those impro gurus. We can learn from both of them and integrate their insights into our own systems. First of all, Johnstone’s approach is very useful for beginners and for actors who get repeatedly blocked by their need to control themselves, the scene and their partner. Close stands for intelligent improvisation (which, of course, doesn’t mean that you have to get a university diploma in order to perform intelligent comedy).
I reduce it to the formula: “Think, don’t ponder!” Be awake and use all your channels of association. Don’t go for the cliché, but don’t fear it. I think with this double approach we can use our empirical intelligence as well as our imagination. Putting the two approaches together expands our improvisational options enormously. Be average! Play at the top of your intelligence!
Linke Indianer
Bühnengesetz: „Indianer kommen immer von links.“
Das so viel bedeutet wie: Auftritte, die von hinten links (vom Zuschauer aus gesehen) kommen, wirken kraftvoll und dynamisch.
Schmerzhafte Gruppengründung aus Workshops
(Ergänzung: Diese Gedanken habe ich bearbeitet und weiter ausgeführt im Buch „Improvisationstheater. Band 8: Gruppen, Geld und Management„
Oft passiert es, dass sich ganze Workshop-Klassen selbständig machen. Das fühlt sich oft zunächst ganz gut an, da man den positiven Schwung aus den Impro-Kursen in die Gruppe mitnimmt. Aber dieser Automatismus schlägt manchmal zurück, da vieles unausgesprochen bleibt, über das sich eine Gruppe verständigen sollte. Eine Workshop-Gruppe ist etwas anderes als ein regelmäßig auftretendes Ensemble. Die Trennungen, die sich hier vollziehen, sind oft schmerzhaft, da man einander oft mag und gemeinsam in die Geheimnisse der Improvisation eingedrungen ist. Aber um wieviel schmerzhafter ist es, wenn man sich in einer bestehenden Gruppe von Mitgliedern trennen muss! Jede, wirklich jede Gruppe, die aus einem Workshop hervorgegangen ist, muss diesen Schritt früher oder später gehen. Geht man ihn während eines bestehenden Workshops, gerät die Chance, die kameradschaftliche Grundlage zu erhalten, zwar ins Wanken, wird aber nicht zerstört. Der Rausschmiss eines Mitglieds führt fast immer zu gegenseitigen Verletzungen. Zwei Fragen muss man sich hier stellen: 1. Will man mit dieser oder jener Person zusammen auf der Bühne stehen? 2. Kann diese Person das auch dauerhaft leisten? Nur wenn man beide Fragen herzhaft bejahen kann, sollte man die Personen aufnehmen. Dass man sich gegen einen Spieler entschieden hat, muss nicht einmal mit seinen Impro-Fähigkeiten zu tun haben. In einer mir bekannten Gruppe, flossen Tränen, als sich alle darüber im Klaren wurden, dass O., den alle mochten und der ein großartiger Improvisierer war, nicht in den Kreis der Spieler aufgenommen werden konnte, da seine kaputten Stimmbänder verhinderten, dass man ihn überhaupt im Publikum hätte verstehen können. Schließlich gab man ihm den Techniker-Job – eine Lösung, mit der alle gut leben konnten.
Ergänzung 2019: Diese Gedanken wurden später noch ausgeführt in Dan Richter: „Improvisationstheater. Band 8: Gruppen, Geld und Management“
Impro-Journalisten, wo seid ihr?
Journalisten neigen ja dazu, Impro-Shows zu ignorieren, wenn nicht gerade ein Festival ansteht, bei dem die Eröffnungsshow besprochen wird oder es in einer Kleinstadt nun endlich auch ein Improtheater gibt.
Die unangenehme Kehrseite dieser Journalisten-Ignoranz sind die ewiggleichen Rezensionen von Impro-Shows: „Das Publikum wälzt sich auf dem Boden vor Lachen, als sich in der zweiten Szene der Detektiv mit einer schizophrenen Katze auf dem Mars eine Opern-Arien-Battle liefert…“ Fast immer beziehen sich die Journalisten in ihren Rezensionen auf absurde Situationen. So gut wie nie verstehen sie die Mechanismen der Improvisation, was letztlich dazu führt, dass sie kein Beurteilungs-Instrumentarium dafür haben, ob eine Impro-Show gut oder schlecht war. Sie gleichen Richard-Wagner-Fans auf einem Hip-Hop-Konzert. Sie erkennen nicht, ob die Spieler gut zusammengespielt haben, ob sie ein Händchen fürs Narrativ haben. Sie wissen nicht die Feinheiten des improvisierten Bewegungs-Ablaufs zu schätzen. Komisches Timing und Narrativ sind ihnen wurscht. Hauptsache „Fünf-vier-drei-zwei-eins! Und alles war improvisiert.“
Falls es da draußen einsame Journalisten mit Impro-Kenntnis gibt, verzeiht mir bitte diese Tirade. Ich bin auf eurer Seite.
Einer musste ja die Lederhosen tragen
(Ergänzung: Diese Gedanken habe ich bearbeitet und weiter ausgeführt im Buch „Improvisationstheater. Band 8: Gruppen, Geld und Management„
In einem Interview mit Ray Manzarek, dem Keyboarder der Doors, meinte dieser: „Einer musste ja die Lederhosen tragen. Und das war Jim Morrison.“ Eine College-Studentin namens Milagros, deren Impro-Gruppe im College in den Pausen kurze Show-Einlagen spielte, berichtete begeistert von einem ihrer Mitspieler der immer in alten Militäruniformen spielte (in denen er im Übrigen auch zum Unterricht kam). Er war der, der im Doorsschen Sinne „die Lederhosen trug“.
In Bekleidungsfragen sind viele Impro-Gruppen entweder total nachlässig oder sie hecheln einem imaginären Professionalitäts-Bild hinterher. Wieder einmal hilft der Blick Richtung Pop-Bands. Bis Anfang der 1960er Jahre wurden Bands für Albumcover-Fotos und Fernsehauftritte in Anzüge gesteckt. Man sehe sich nur die allerersten Cover der Beatles und der Rolling Stones an. Wahrscheinlich wurden die Bands nicht einmal gefragt. Schon ein halbes Jahrzehnt später regierten lange Haare, Ponchos, Bandanas und bunte Hosen die Pop-Szene. Und noch einmal fünf Jahre später sah man Männer mit nackten Oberkörpern im Fernsehen rocken. Auf eine Impro-Gruppe in Heavy-Metal-Kluft warte ich bis heute.
Namen von Improgruppen. Dein Baby ist hässlich
(Ergänzung: Diese Gedanken habe ich bearbeitet und weiter ausgeführt im Buch „Improvisationstheater. Band 8: Gruppen, Geld und Management„
- Ulmeneule
- Trimble
- Ragang
- Wortbildung
- Carter
- Werfenweng
- Aalberse
- Ukrainische Eishockeyliga 1997/98
- Rezaei
- DX
- Seid nicht zu witzig
Der Impuls liegt nahe, mit dem Namen schon zu suggerieren, dass den Zuschauer etwas Lustiges erwartet. Das Problem ist nur, dass sich die Witzigkeit abnutzt, wenn man den Namen ein paar Mal gehört hat. Was beim vierten Bier in der Kneipe todlustig gewirkt hat, hört sich für Außenstehende, die sich überlegen, ob sie ins Improtheater oder doch lieber ins Kino gehen wollen, oft nur albern. - Geht behutsam mit Wortspielen um.
Der Schritt in die Wortspielhölle ist schnell getan. Ich habe nicht grundsätzlich etwas gegen Wortspiele , aber wenn man sie überhaupt im Namen nutzen will, dann bitte subtil. Schlimmer als Wortspiele sind Wortspiele mit „Impro“ im Namen. Ich bitte hiermit all die hundert Gruppen, die das betrifft, um Entschuldigung, aber allein die Tatsache, dass es in Deutschland über hundert sind, sollte neuen Gruppen zu denken geben.
Spielt mit Wörtern, die Assoziationen hervorrufen, die nicht zu eindeutig und nicht zu platt sind. - Macht nicht zu viel Sinn
- Prüft, ob es euren Namen schon irgendwo gibt.
Es kommt doch tatsächlich vor, dass sich Gruppen denselben Namen wählen. Das ist nicht weiter verwunderlich. Oft entstehen Namen, weil eine Gruppe, die es als solche noch gar nicht richtig gibt, für ihren ersten Workshop.Auftritt schnell einen braucht. Hat man sich erst mal provisorisch auf einen geeinigt, wird man ihn schwer wieder los. - In den 30er Jahren gründeten Erika und Klaus Mann das Kabarett „Die Pfeffermühle“. Seitdem gibt es diese Zwangsneurose von Kabarett und Comedy, sich irgendwie „scharf“ nennen zu wollen. Tappt nicht in diese Falle. Ihr werdet sofort mit angestaubtem Sozialdemokraten-Kabarett assoziiert.
Namen von Impro-Gruppen wimmeln außerdem von Assoziationen mit Maschinen und Tempo. Kann man machen, muss man nicht. Wenn ich eine Black-Metal-Band gründen würde, müsste ich mir ja auch überlegen, ob ich die zweimillionste mit dem Wort „Death“ im Namen sein will. - Fragt euch, ob ihr zu einer Vorstellung einer Gruppe mit diesem Namen gehen würdet.
Herbie Hancock: Wie Miles Davis aus Gift Medizin machte
„Right in the middle of his solo, I played the wrong chord, a chord that (…) sounded like a complete mistake. I did it and I put my hands around my ears. And Miles paused for a second, and then he played some notes that made my chord right, that made it correct, which astounded me. (…) Miles was able to make something that was wrong into something that was right. I couldn’t play for a minute. But what I realize only now is that Miles didn’t hear it as a mistake. He heard it as something that happened, just an event. And so that was part of the reality of what was happening at that moment, and he dealt with it. And since he didn’t hear it as a mistake, he felt it was his responsibility to build something that fit, and he was able to do that. And that taught me a big lesson not only about music but about life. We can look at the world as we would like it to be as individuals. You know, make it easy for me, that idea. You can look for that. But I think the important thing is that we grow. And the only we can grow is a mind that is open enough to be able to accept, to be able to experience situations as they are, and turn them into medicine, turn poison into medicine. Take whatever situation you have and make something constructive happen with it.“
„Mitten während seines Solos spielte ich einen falschen Akkord, einen Akkord, der wie ein totaler Fehler klang. Ich legte meine Hände auf meine Ohren. Miles hielt für einen Moment inne, und dann spielte er ein paar Noten, die meinen Akkord richtig klingen ließen, was mich total erstaunte. Miles war in der Lage, etwas Falsches zu etwas Richtigem zu machen. Ich konnte für eine Minute gar nichts mehr spielen. Aber erst jetzt wird mir klar, dass Miles das gar nicht als Fehler hörte. Er hörte es als etwas, dass gerade geschah, irgendein Ereignis. Es war quasi Teil der Wirklichkeit, die gerade geschah und mit der er umging. Und das lehrte mich eine wichtige Lektion nicht nur über die Musik, sondern übers Leben. Wir können die Welt so betrachten, wie wir sie gerne hätten, wir als Individuen. So nach dem Motto: Hauptsache für mich wird es einfacher. Danach kann man suchen. Aber ich glaube, das Wichtige ist, dass wir wachsen. Und die einzige Möglichkeit zu wachsen besteht darin, dass unser Geist offen genug ist, um die Situationen, so wie sie sind akzeptieren zu können, erleben zu können, und sie in Medizin zu verwandeln. Gift in Medizin zu verwandeln. Egal in welcher Situation du dich befindest, lass daraus etwas Konstruktives entstehen.“
Wie man ein kreatives Leben führt – Tips von Tracy Letts
Der Pulitzer-Preis-Gewinner Tracy Letts gibt in diesem Vortrag ein paar Hinweise, wie man ein kreatives Leben führt. (Und er spricht noch nicht einmal vom eigentlichen Schreibprozess.
Tracy Letts v2 from Chicago Ideas Week on Vimeo.
1. Tue nichts.
Gemeint sind Tagträume. „Geh nach Hause. Setz dich auf die Couch. Starre für eine lange Zeit die Wand an. Tue das am nächsten Tag noch mal.“ Die Phantasie geht automatisch auf die Reise.
2. Höre kein Radio.
Im Grunde eine Erweiterung von Punkt 1. Die Phantasie wird viel zu oft unterbrochen durch Geblabber, bis man irgendwann die Gedanken anderer denkt.
3. Geh dir aus dem Weg.
Zensiere deine Gedanken nicht.
4. Höre auf zu trinken.
Alkohol ist ein Feind der Kreativität. Höre einem Betrunkenen zu, und du weißt, was gemeint ist.
5. Masturbiere
Masturbation ist Spielen mit sich selbst – dem eigenen Körper und der eigenen Phantasie.
6. Lüge.
Lügen ist primäre Kreativität. Sei ehrlich zu dir selbst, aber übe dich im Lügen. [Ich bin mir nicht sicher, ob dich das so unterschreiben möchte. DR]
7. Stiehl.
Stiehl fremde Ideen und fühle dich gut dabei.
8. Hol dir Hilfe
Psychothereapie kann dir helfen, Verhaltensmuster zu brechen.
9. Lies Belletristik.
Die beste Möglichkeit, Einsicht in die Denkweise deiner Mitmenschen zu bekommen.
10. Kreiere nicht, es existiert bereits.
Diesen Gedanken übernimmt Tracy Letts von TJ & Dave, die davon ausgehen, eine Szene zu betreten, die bereits existiert und die sie nur freizulegen brauchen.
Geh dir selbst aus dem Weg. Lass die Kreativität ungebremst fließen.
Rückmeldungen („Feedbacks“) in Proben – Die Atmosphäre
Rückmeldung für Szenen sind ein sensibles Feld. Ich höre immer wieder (und habe es auch selbst erlebt) dass Proben aus dem Ruder gerieten, weil einer der Spieler mit der Menge an negativem Feedback nicht zurande kam. Seid als Team untereinander wohlwollend. Bei allem Willen, die Kunst und die Gruppe voranzubringen: Denkt daran, dass ihr das nur gemeinsam schaffen könnt, dass Spieler unterschiedlich sensibel sind, dass ihr eine Atmosphäre der heiteren Gemeinsamkeit braucht, um überhaupt etwas zu erreichen. Seid nicht genervt, wenn einzelne Mitspieler wieder und wieder in die gleichen Muster verfallen. Die Probe ist ja genau dafür da, an diesen Mustern zu arbeiten. Nichts verändert sich von heute auf Morgen. Wenn ihr zu häufig mit dem Gefühl des Scheiterns die Probe verlasst, dann habt ihr euch womöglich einfach zu hohe Ziele gesteckt.
Umgekehrt muss auch jedem einzelnen Spieler klar sein, dass eine Probe mehr ist als ein lockerer Friseurbesuch. Proben heißt, an sich zu arbeiten. An sich zu arbeiten, heißt unter Umständen, an die Grenzen zu stoßen, die einem die eigenen Gewohnheiten setzen. Und das kann schwierig sein.
Wer immer auch Rückmeldungen zur Szene gibt, seid euch darüber im Klaren,
- dass eure Mitspieler das Beste geben,
- dass sie improvisieren, mithin „Fehler“ entstehen können
- dass ihr negative Rückmeldungen positiv verpackt oder positiv formuliert.
Die positive Verpackung einer negativen Rückmeldung nennt man Sandwich-Technik: Man beginnt mit der positiven Botschaft, d.h. mit einem Lob, fügt die Kritik an und endet mit einem Lob. Die Sandwich-Technik ist vor allem dann ratsam, wenn die Performance insgesamt beurteilt werden soll.
Aber nicht jeder Spieler und nicht jede Situation erfordert ein solches hochsensible Herangehensweise. Manchmal lenkt sie ja auch ab. Wenn wir uns etwa in einer Schauspiel-Übung befinden, in der wir die Klarheit unserer Pantomime ausprobieren wollen, ist es unter Kollegen und Profis nicht nötig, um den heißen Brei herumzureden. Als Spieler wollen wir dann rasch eine klare Rückmeldung: Was hat funktioniert? Was hat nicht funktioniert?
- „Spiel mal das Fensteröffnen noch einmal, und lass dir mit dem Vorhang noch ein bisschen mehr Zeit.“
- „Dass es kalt war, hat man sehr gut gesehen. Willst du versuchen, die Darstellung der Kälte noch mehr zu reduzieren und zu verfeinern.“
Der Schlüssel ist: Habt Spaß miteinander. Kritik sollte nie persönlich formuliert und auch nie persönlich gemeint sein.
- „Kannst du mal was anderes spielen als deine ständige Strenge-Mutter-Rolle?“
Wer so etwas zu hören bekommt, egal wie ausgeglichen, verliert leicht die Lust am Improvisieren. Wie wäre es stattdessen mit:
- „Versuch doch dasselbe noch einmal, nur dass diesmal die Mutter liebevoll ist.“
Wiederholungen (Replays) in der Probe
Wiederholungen von Szenen (auch „Replays“ genannt) sind in der Improtheater-Szene einigermaßen umstritten. Aber wenn wir uns die populären Varianten anschauen, die als Games aufgeführt werden, nämlich Genre-Replay oder Emotions-Replay, dann ist ziemlich klar, dass diese Spiele in Workshops und Proben erfunden wurden: Eine langweilig improvisierte Szene wurde genommen und den Spielern die Aufgabe gegeben, sie mit dem Fokus „Film Noir“ durchzuspielen. Et voila, schon hat die Szene Pfiff. Dasselbe gilt für Emotionen, Tempi usw. Das heißt, der didaktische Sinn dieser Spiele liegt darin, den Spielern durch einen neuen Fokus die Chance eines erweiterten Erfolgserlebnisses zu geben. Natürlich ist es auch möglich, nach einer langweiligen Szene eine völlig neue Szene zu spielen, diesmal mit neuer Frische und neuem Fokus. Aber der Aha-Effekt ist einfach viel größer, wenn wir sehen, dass aus derselben Anfangssituation, die uns eben noch ins improvisatorische Schlamassel geführt hat, eine schöne Szene werden kann. Das trifft übrigens nicht nur für Impro-Anfänger zu. Ich selber fange in Proben gern noch mal neu an, wenn wir den Kern der Szene, den Fokus noch nicht getroffen haben.
Welche Parameter wir bei einer Wiederholung konstant halten, hängt davon ab, wieviel an der Szene gut war und ab welchem Punkt sie verdorben wurde. Es kann sein, dass die Szene vier Minuten gut lief und dann durch eine Unachtsamkeit oder nachlässiges Spiel einen langweiligen Verlauf nahm. Dann setzen wir einfach an der Stelle ein, an der es gekippt ist. Vielleicht wollen wir aber auch experimentieren: Was passiert, wenn wir die Szene von vornherein schneller spielen? Wie wirkt die Szene, wenn Spielerin A ihren Status leicht erhöht? Wie verändert sich die Szene, wenn wir die Polizistin gar nicht erwähnen? In solchen Fällen kann es durchaus OK sein, die Szene von vorne zu beginnen und nur die Grundsituation beizubehalten.
Es gibt Trainer, die Szenen im Stop-And-Go-Prinzip unterrichten, das heißt alle zwei, drei Sätze wird die Szene unterbrochen, dann wiederholt und weitergespielt. Ein solches Training fördert wenig mehr als das Ego des Trainers, der zeigen kann, was für ein toller Hecht er ist. Wenn du selber Trainer bist, lass den Spielern ein bisschen Ellbogenfreiheit. Improvisation braucht Flow. Es muss nicht alles perfekt sein. Sei dir darüber im Klaren, welchen Fokus die Probe hat. Wenn der Fokus bzw. das Thema des Trainings zum Beispiel emotionale Verbundenheit ist, dann solltest du so viel Großmut besitzen, über pantomimische Schludrigkeiten oder stilistische Ungenauigkeiten hinwegzusehen.
Wiederholungen halte ich für ein sehr wertvolles Werkzeug, aber man kann mit ihnen eine Szene auch zu Tode reiten. Irgendwann fühlt sie sich nicht mehr „frisch“ an. Wenn das soweit ist, dann legt sie beiseite und fangt von vorne an. Und: Manche Szenen eignen sich von vornherein nicht zum Wiederholen. Wenn zum Beispiel ein Spieler nicht recht ins Spiel gekommen ist oder nicht zu seinem Character gefunden hat. Als Faustregel würde ich hier sagen: Sobald sich ein Spieler überhaupt nicht mehr mit der Szene wohlfühlt, lasst sie ins große Impro-Nirvana verdampfen.
Im Moment mit Jacob Banigan
In der Solo-Improvisation zeigt sich, wie sehr du wirklich im Moment der Szene bist. Da man alle Figuren selber spielt, kann man sich nur dann selber überraschen, wenn man nicht nur nicht vorausdenkt, sondern das Vorausdenken auch abzuschalten vermag. Wer schon mal selber gegen sich Schach gespielt hat, weiß, wovon ich rede.
Ich kann zwar nicht in Jacob Banigans Kopf schauen, aber ich denke, dass ihm dieses absolute Im-Moment-Sein in seinem Solo-Impro-Format „Game of Death“ auf beeindruckende Weise gelingt. Jeder Spielzug steht für sich und ist auf seine Weise gut. Nichts wird überstürzt, nichts ist lahm. Alles hat seinen Ort und seine Zeit. Die Übergänge von einer zur anderen Figur wirken geschmeidig, jede Figur ist von den anderen abgegrenzt.
Es gelingt ihm, die Figuren untereinander Gespräche führen zu lassen und sich von dem, was sie sagen, selbst überraschen zu lassen.