Freitag, 22. Mai 2015. Langform von Foxy Freestyle „Strangers In The Night“.
Ich lasse mir als Inspiration für meine Figur aus dem Publikum eine Jacke geben. (Das habe ich das letzte Mal wahrscheinlich vor 10 Jahren gemacht.) Ich ziehe die Jacke an und werde der Character. Ab diesem Moment spielt sich die Show (ein zweistündiges improvisiertes Stück) wie von allein. Selten war ich für einen Vorschlag aus dem Publikum so dankbar.
Regeln für Professionalismus
Auch der Professionalismus hat eine düstere Seite. Viele Spieler versuchen, sich an äußeren Regeln festzuhalten, mit der Begründung das sei professionell. Ich habe Spieler erlebt, die, weil sie beabsichtigten, irgendwann ein dreißigsekündiges Lied zu singen, vor jedem Auftritt einen halbstündigen Soundcheck brauchten, (letztlich um ihre Nervosität zu besiegen). Man kann sich an Äußerlichkeiten wie Auftrittsorten, Kleidung, Technik, Moderation, Präsentation, Gruppennamen, Reihenfolge der Impro-Games usw. aufhalten. Ich denke, all diese Dinge verdienen es durchaus, dass man den einen oder anderen Gedanken an sie verschwendet. Aber letztlich sollte der Maßstab dafür, ob man etwas tut oder lässt, nicht darin liegen, ob Gruppe XY dies oder jenes auch tut, ob der oder der irgendwas mal als professionell bezeichnet hat oder ob Dan Richter das in seinem Blog geschrieben hat. Der einzige Maßstab fürs Tun oder Lassen möge euer Herz sein.
Erzähler in der Langform
Der Erzähler am Beginn einer Langform entlastet die Spieler vom Plattform-Bauen, aber eben nicht vollständig. Man achte darauf, was gesagt wurde und ergänze die restlichen Elemente.
Angebote und Reaktionen – Plattformen und Kippen
„An absurd offer is really only as absurd as the reaction it generates. (…) If your partner refuses to be affected, then this is still platform.“ (Salinsky/White – The Improv Handbook)
Das trifft nicht nur auf absurde Angebote zu. Je größer die Reaktion auf das Angebot, desto stärker schwankt die Plattform. Je gleichmütiger die Reaktion, desto „normaler“ ist die etablierte Welt.
Der Film „Leningrad – Die Blockade“ beginnt damit, dass schlecht ausgerüstete Leningrader Zivilisten an die Front gefahren werden und als Kanonenfutter verheizt werden, da selbst taktische Rückzüge verboten sind. Für alle Beteiligten scheint das Normalität zu sein, nur ein Leutnant protestiert schwach. Das für den Zuschauer Haarsträubende ist die Normalität des Films. Für den Zuschauer ist kurioserweise gerade die NKWD-Frau Nina, die die wahnsinnigen Befehle weitergibt und per Waffe durchsetzt, der positive Ausgangspunkt und die Protagonistin der Story.
Ricky Gervais on Comedy
„The least funny thing is someone desperately trying to be funny. Is there anything less funny than a clown?“(12:50)
„Comedy is about empathy. (…) It’s about relationship, and it’s about being precarious. And I think you’ve got to like someone to laugh at them. And Laurel and Hardy nailed that.“(12:00)
„I don’t try to please critics. I don’t even try to please broad audiences. I do things for me and likeminded people.“
Status und Storytelling
Eine der wichtigsten Impro-Techniken besteht darin, sich verändern zu lassen. Wir wollen sehen, wie ein hartherziger Vater, der im Hochstatus agiert, sich erweichen lässt (Ebenezer Scrooge in „Eine Weihnachtsgeschichte“, Don Corleone in „Der Pate“). Wir wollen sehen, wie der verschüchterte Jugendlichene zum Helden wird (Harry Potter, Jim Hawkins in „Die Schatzinsel“, Clarice Starling in „Das Schweigen der Lämmer“ sowie praktisch sämtliche deutschen und russischen Märchen, in denen drei Brüder auftauchen, von denen der jüngste der belächelte Hans bzw. Wanja ist).
Wenn wir in der Lage sind, Status dynamisch zu verstehen und anzuwenden, hilft uns diese Technik, Storys in Gang zu setzen. Fein eingesetzter Status macht eine Szene ohnhin zum Hingucker. Wenn wir beobachten, wie sich das Status-Verhältnis verändert (das muss nicht einmal der soziale, sondern lediglich der theatrale Status sein), wird die Szene interessant. Wenn es uns gelingt, den Wandel von Status über mehrere Szenen zu zeigen – in Statuskämpfen, Statuskippen, wechselndem Status in unterschiedlichen Situationen – bringen wir die Story zum Laufen. Natürlich ist Storytelling in der Regel eine komplexere Angelegenheit, aber dynamischer Status macht die Story sichtbar und spürbar.
Fürs Storytelling können wir uns folgende Status-Faustregeln zunutze machen:
1. Der positive Tiefstatus ist fast immer der Held
Wenn man zwei positive Typen aufeinander prallen lässt, einer ist Hochstatus, der andere Tiefstatus, schlägt das Herz des Publikums fast immer für den Tiefstatus-Character. Vielleicht weil wir sehen wollen, wie jemand wächst, wie ein Held sich aus der Unterwerfung erhebt, wie ein Kind erwachsen wird, wie jemand sich aus den sozialen Fesseln der Familie, der sozialen Zwänge usw. befreit und sein Leben selbst in die Hand nimmt. In der klassischen Heldenreise ist der Held fast immer zunächst ein Held wider Willen. Er muss die Enge, die Bequemlichkeit, das Kindsein hinter sich lassen. Bekannte Typen aus der modernen Film- und Literaturgeschichte wären hier Luke Skywalker, Harry Potter, Frodo, Michael Corleone.
Man kann das in einfachen Impro-Szenen ausprobieren: Stellt zwei positive, hinreichend komplexe Charaktere auf die Bühne, einen Hoch- und einen Tiefstatus, und lasst die beiden ein bis zwei Minuten spielen. In 90 Prozent aller Fälle wird sich das Publikum für das Schicksal des Tiefstatus interessieren.
2. Ein negativer Hochstatus kann sich zur positiven Figur wandeln
Die Wandlung eines negativen Hochstatus zur positiven Figur ist eine der interessantesten aber gleichzeitig auch schwierigsten Varianten des Storytelling. Einen Menschen, der gewohnt ist zu kommandieren und zu dominieren, dabei zu beobachten, wie sein Herz weich wird, wie er Sanftheit und Großmut zulässt, ist im Grunde immer fürs Publikum befriedigend zu sehen. Das Problem ist nur: Der Character darf nicht derart verdorben und widerwärtig sein, dass wir ihm nicht zusehen wollen. Das gute Herz sollte schon irgendwo ein bisschen durchscheinen. Vielleicht spürt man als Zuschauer, dass der Character durch die Umstände zu dem wurde, was er ist. Einen Storytelling-Trick erwähnt hier Peter Blake durch den Titel seiner Drehbuch-Fibel „Save The Cat“: Der zu Beginn eher unsympathische Held sollte zumindest eine winzige gute Tat vollbringen wie zum Beispiel eine Katze zu retten (oder wie in „Der Pate“ eine Katze zu streicheln), so dass wir wenigstens einen kleinen Anknüpfungspunkt haben.
Beispiele gefällig? In „Rain Man“ ist der Held der Story eigentlich nicht der von Dustin Hoffman gespielte Autist, sondern der von Tom Cruise gespielte Unsympath, dessen Weg der Wandlung von einem harten, gierigen Menschen zu einem warmherzigen, liebenden Bruder wir in über zwei Stunden Film beobachten.
Im weltweit bekannten Kinderbuch „Heidi“ ist Heidi natürlich die Hauptfigur, aber sie ist nicht Heldin im eigentlichen Sinne. Vielmehr ist sie eine Art Engel-Figur, die die sie umgebenden Menschen verändert, vor allem natürlich den strengen Alm-Öhi, der schon allein durch Heidis Anwesenheit sanfter wird, und am Ende wieder in die menschliche Gemeinschaft zurückfindet.
Oskar Schindler in „Schindlers Liste“ ist zunächst ein skrupelloser Kapitalist, der die Situation der entrechteten, ghettoisierten Juden für seine Zwecke ausnutzt. Im Laufe der Ereignisse werden nicht nur seine Taten menschlich, sondern auch sein Über-Hochstatus relativiert sich.
Man kann folgendes ausprobieren: Ein Hochstatus wird in einer Handvoll kurzer Szenen gezeigt, in denen er dominant agiert. Aber zwischendurch sehen wir ihn bei einer sympathischen Tätigkeit – einem Hobby, einer spontanen menschlichen Geste usw. Gelingt es uns, diesen Hochstatus so zu improvisieren, dass die Zuschauer ein Interesse daran haben, wie seine Story weitergeht?
3. Der negative Tiefstatus bleibt ein Schurke
Den negativen Tiefstatus verbinden wir mit Verhaltensweisen wie Nörgeln, Lügen, Intrigieren. Wir können hier natürlich mit komischen Figuren spielen, wie z.B. dem jammernden Schwester oder der nörgelnden Ehefrau . In seiner klarsten Form aber bleibt der negative Status vor allem Lügnern und Intriganten vorbehalten. Meine Lieblingsfigur in dieser Kombination aus Tiefstatus und Negativität habe ich schon oben in der Matrix erwähnt: Jago in Shakespeares Tragödie „Othello“ ist ein Zum-Munde-Redner. Er versucht nie, jemanden direkt zu etwas zu zwingen oder gar mit Einschüchterung etwas zu erreichen. Die Manipulation ist hintergründig und eben darum so diabolisch. Im deutschen Theater könnte man Mephistopheles aus „Faust“ so einordnen, dessen Status in fast allen Szenen Tiefstatus ist, allerdings mit markanten Ausnahmen (Auerbachs Keller). Unter den großen Hollywood-Charakteren wäre zum Beispiel der Kriminelle Kint (in „Die üblichen Verdächtigen“), gespielt von Kevin Spacey, ein schöner negativer Tiefstatus, obwohl man auch argumentieren könnte, dass er theatral durchaus positiv spielt und seine Diabolik nur in einigen Momenten aufscheint. Als vielleicht stärkste negative Tiefstatus-Figur wäre Gollum aus der Trilogie „Herr der Ringe“ zu nennen. Das angstvolle Zucken, welches das sich ständig bedroht Fühlen zeigt, die gekrümmte Haltung, der jammernde bis gehässige Tonfall. Wer negativen Tiefstatus lernen will, ist hier an der richtigen Adresse.
4. Positiver Hochstatus
Eine Figur, die als positiver Hochstatus eingeführt wird, ist oft eine Nebenfigur. Denken wir an Mentoren, zum Beispiel die stets lächelnden chinesischen Kampfsport-Meister, durch deren Schule die Helden in Kampfsport-Filmen gehen. Großeltern werden oft als positiver Hochstatus gezeigt, desgleichen in sich ruhende Mütter. Diese Figuren werden sich oft nicht verändern. Sie begleiten die Hauptfiguren nur für eine gewisse Zeit, geben ihnen einen Rat, bewahren sie vor Übel, halten sie zurück usw. Die eigentliche Wandlung geht im Helden selber vor.
Es ist aber auch möglich, dass der positive Hochstatus sich verändert. In einer Tragödie wird er meist zum negativen Hochstatus, seltener zum Tiefstatus. Ich sehe zum Beispiel Shakespeares Macbeth als einen solchen Typen. Er beginnt als strahlender Hochstatus-Held. Sein Status sinkt paradoxerweise in dem Moment, als er allmählich zum Opfer seiner Machtgier wird: Er wird unruhiger, zittriger, sprunghafter. Am Ende bleibt von ihm nur ein mordendes Wrack – pendelnd zwischen Tiefstatus und behauptetem Hochstatus, sich immer weiter in die Düsternis der menschlichen Seele verstrickend.
Status und Definieren
Häufig kann man sehen, dass Hochstatus-Charaktere eher den Inhalt einer Szene definieren als Tiefstatus-Charaktere.
Das Phänomen ist durchaus psychologisch nachvollziehbar. Im Tiefstatus verschließen wir uns körperlich und somit auch tendenziell geistig. Die offene körperliche Haltung des Hochstatus lässt die Gedanken eher fließen.
Dieses Problems sollte man sich auf jeden Fall bewusst sein, wenn man in einen Tiefstatus-Character geht. Springe über deine inneren Barrieren und beteilige dich am Aufbau der Szene!
Scheiter heiter, aber nicht mit meinem Format
Wenn wir bei Foxy Freestyle mit Gästen spielen, laden wir sie dazu ein, eines unserer aktuellen Lieblingsformate zu spielen und im Gegenzug uns in ihr Lieblingsformat einzuweihen, ohne große Probe, nur mit kurzer Besprechung der formalen Details vor der Show. Es zeigt sich, dass alle mit diesem Konzept recht zufrieden sind, mit folgender Einschränkung: Wenn es ein neues Format ist, dass die Gäste gerade in irgendwelchen Workshops unterrichten, sind sie oft geradezu überbehütend mit ihrem Format. Vielleicht weil sie es als ihr kleines Baby betrachten, das noch wachsen muss und das man nicht einfach dem derben Scheitern aussetzen möchte.
Der pro-aktive Held
In einer Geschichte mit Held wollen wir den Helden am Ende nicht nur strahlen sehen, er muss auch etwas dafür gemacht haben. Und auch dieses „Machen“, dieses Sich-aus-der-Tiefe-Herauskämpfen muss gezeigt werden. Es darf nicht „inzwischen“ schon stattgefunden haben.
Komm, wir lassen uns erschießen!
Die Akzeptierfähigkeit eines Impro-Spielers lässt sich ziemlich genau daran ablesen, wie umstandslos er seinen Character erschießen lässt.
Blockierer entwickeln folgende Taktiken.
Anfänger-Blockierer (wenn er den Schuss nicht gar völlig ignoriert): „Ha! Der Schuss ging daneben. Nimm dies!“ (schießt selbst)
Fortgeschrittene Blockierer: „Au! Meine Schulter! Sind Sie wahnsinnig geworden?“
oder: „Ah! Bevor ich sterbe, muss ich dir noch folgendes sagen…“ (Es folgt ein zweiminütiger Monolog.)
Profi-Blockierer kommen wieder als Geist oder Engel.
Nachbemerkung: Bühnen-Rambos knallen natürlich (aus Angst) jeden ab, mit dem sie ein Problem haben. Denen kann man auch mal einen Character in schusssicherem Anzug vorsetzen.
Mach es dir nicht zu leicht.
„If you are not making mistakes, you are not improvising.“ (Patricia Ryan Madson in „Improv Wisdom„)
Kampf – Vorüberlegungen
Egal was für friedliche Täubchen wir privat auch sein mögen, wir werden Gewalt als Thema auf der Bühne nicht dauerhaft aussperren können.
Aber was auch immer wir auf der Bühne darstellen – Sicherheit geht vor. Wir predigen zwar oft, auf der Bühne das Risiko nicht zu scheuen, doch gebrochene Nasenbeine, fehlende Zähne und gequetschte Muskelfasern sollten wir nicht in Kauf nehmen.
Für uns ist dabei wichtig zu erkennen, dass wir nicht wirklich kämpfen. Das klingt fast banal. Aber schwache Improspieler tendieren dazu, die Kontrolle nicht abzugeben. Sie wollen um jeden Preis verhindern, dass ihr Character den Kampf verliert.
Wir sollten uns mal anschauen, welche Funktion ein physischer Kampf auf der Bühne überhaupt hat. Kampforientierte Filme werden ja in Hollywood irritierenderweise „Actionfilme“ genannt. In Wirklichkeit aber steht die Handlung eigentlich bei einem Kampf fast still. Wenn wir an eine beliebige längere Action-Sequenz aus einem Film denken, so dürfte uns auffallen, dass wir am Ende des Kampfes in der Story oft nur ein paar Zentimeter vorangekommen sind. Denn der eigentliche Sinn von Kampf ist Ornament. In diesem Punkt ist Kampf auch mit Tanz verwandt. Es ist packend, einem Kampf zuzuschauen – die Figuren nutzen ihre Körper kraftvoll auf der Bühne. Wenn er gut gespielt ist, ist sein Ausgang einigermaßen offen, wir können als Zuschauer mitfiebern.
Wenn aber der Kampf äußerlich als eine Art Tanz aufzufassen ist, sollten wir ihn auch als Improspieler tänzerisch auffassen. Es geht vielmehr um ein Miteinander, um ein gemeinsames Nutzen der Bühne und der beiden Körper.
Frauen auf der Impro-Bühne – Der Bechdel-Test
Vor Kurzem wurde ich wieder einmal von einer Impro-Spielerin gefragt, wie man es denn vermeiden könne, von den Mitspielern immer nur in weiblichen Klischee-Rollen, also vor allem Geliebte, Ehefrau und Mutter, angespielt zu werden.
Die Frage ist komplexer als es scheint. Zunächst einmal zum Problem selber: Die dramatische Literatur, und das geht bis hin zu heutigen Drehbüchern, vernachlässigt Frauenfiguren. Wenn denn Frauen in herausgehobenen Rollen auftauchen, die nicht allein durch ihr Verhältnis zu einem Mann definiert ist, dann ist oft diese Herausgehobenheit das Thema. Die Comic-Autorin Alison Bechdel formulierte einmal den Bechdel-Test für Kinofilme. In einem annehmbaren Film müssten danach
- zwei Frauen mitspielen, die
- miteinander sprechen, und zwar
- nicht über Männer.
Und jetzt mach mal den Test selber. Wieviele Hollywoodfilme fallen dir ein, die diesen Test bestehen. 20 Sekunden hast du Zeit. Uuuund los!
Unser Bild der Frau im Drama ist durch die Anhäufung der Stereotype verzerrt. In der Konsequenz spielen männliche Improspieler ihre Bühnenpartnerinnen eben immer wieder in den genannten Rollen an. Und andererseits schnappen sich Frauen leider immer wieder diese Rollen. Die oben erwähnte Spielerin war völlig aus dem Konzept, als sie nach immer wiederkehrenden Mäuschen-Rollen auf einmal aus heiterem Himmel von ihrem Partner als Chefin definiert wurde.
Die zwei derzeit bekanntesten Improspielerinnen, nämlich Amy Poehler und Tina Fey, haben diese Falle rechtzeitig erkannt und haben genügend Techniken gefunden, um sie zu umgehen.
Wenn Frauen auf der Impro-Bühne komplexe Rollen bekommen wollen, müssen sie sie sich schnappen. Und Männer sollten ein bisschen mehr Phantasie aufbringen, als sie immer nur als Mutti oder Weibchen anzuspielen.
Flüchtigkeit und Ewigkeit – Leonardo
„Die Malerei ist der Musik deswegen überlegen, weil sie nicht sterben muß, sobald sie ins Leben gerufen ist, wie das der Fall der unglücklichen Musik ist … Die Musik, die sich verflüchtigt, sobald sie entstanden ist, steht der Malerei nach, die mit dem Gebrauch des Firnis ewig geworden ist.“ (Leonardo da Vinci: Frammenti letterarii e filosofici) Spricht nicht auch hier die Eitelkeit des Künstlers, oder die Todesangst des Individuums? Die Angst vor dem Tod erschafft die Hoffnung, wenigstens noch in den Werken weiterzuleben. Da Vincis Mona Lisa wird aber genauso sterben, wie wir das schon beim Abendmahl sehen. Und wenn auch niemand mehr von den improvisierten Opern aus Leonardos Zeit berichten kann, so war das ästhetische Glück der Musiker und Reizpienten doch genauso echt und vielleicht noch intensiver als das der kleinen Besuchergruppen, die für 15 Minuten ins Refektorium hereingelassen werden.
Pantomime – Die Dicke und das Ausmaß von Gegenständen
Wenn wir eine gewöhnliche Flasche anheben, umschließt unsere Hand sie und hält sie fest. Die Flasche bietet unserer Hand Widerstand. Eine gemimte Flasche tut das nicht. Und deshalb neigt unsere Hand dazu, fest zuzugreifen, bis sie zur Faust wird. Die gemimte Flasche verliert so jedes Volumen. Nach außen wirkt es so, als hätte der Schauspieler nur noch eine Salzstange oder eine dünne Pipette in der Hand. Dasselbe gilt für Lenkräder, Gläser, Messer, Koffergriffen, Türklinken, um nur einige der häufigsten Gegenstände zu nennen, die auf Impro-Bühnen regelmäßig verdünnisiert werden. Ich bin der Ansicht, dass selbst bei extrem dünnen gemimten Gegenständen wie Zigaretten, Zeitungen, ja sogar bei einem Blatt Papier die Dicke mitgespielt werden muss.
Bei größeren Gegenständen, die mit beiden Händen getragen werden, tritt das Problem eher selten auf, aber auch hier sollte man sich möglichst um Präzision bemühen.
Eine weitere Schwierigkeit haben wir bei großen Objekten, die wir gar nicht komplett in die Hand nehmen können, wie etwa ein Auto, ein Schreibtisch, ein ausgerolltes Seil. Wie wollen wir hier das Ausmaß der Objekte darstellen? Die gute Nachricht ist: Oft ist es gar nicht nötig, zu zeigen, wie groß ein großer Gegenstand ist. Wenn ich z.B. mime, ein Auto zu fahren, ist pantomimisch meistens eher das Innere des Fahrzeugs interessant, also Lenkrad, Gangschaltung, Sicherheitsgurt usw. Dennoch ist es eigentlich immer gut, eine möglichst spezifische Vorstellung vom Raum und den Objekten zu haben. Es kann also nicht schaden, sich improvisierend darüber klar zu werden, ob man in einem Daihatsu oder einem Mercedes sitzt. Auch wenn das für die Story vielleicht unerheblich ist, wird ein sensibler Spieler ganz automatisch seine Ich-fahre-Auto-Pantomime anpassen, was wiederum eine Außenwirkung hat. Aber wenn ich aus dem Auto aussteige, um etwas aus dem Kofferraum zu holen, wird das Ausmaß des Wagens schon bedeutsam. Ich definiere es quasi durch meinen ganzen Körper: Ich gehe um den Wagen herum. Wenn ich dann noch das Dach definiere, in dem ich eine Cola-Flasche darauf abstelle oder auch nur einfach mit der Hand drauf trommle, wird auch die Höhe des Wagens klar.
Stellen wir uns nun vor, wir breiten ein großes Tischtuch auf einem Tisch aus. Wir können sowohl Tisch als auch Tuch in ihrer Größe definieren mit einem einzigen Mittel: Unserem Blick. Der Blick folgt dem Ende des mimisch geworfenen Tuchs, und damit ist schon alles klar. Dieser Effekt wird von vielen Improspielern unterschätzt. Er ist überaus wirksam und spart auch Zeit, denn wenn ich auf diese Weise die Größe etabliert habe, brauche ich ja nicht mehr extra um den Tisch herumzulaufen.
Auch hier gilt natürlich das Effizienz-Prinzip: Je knapper und je natürlicher die Geste ist, mit der ich den Gegenstand etablieren kann, umso besser.
Sanford Meisner: „Fuck polite!“
„Listen, Philip, you have some kind of cockeyed idea that acting is an imitation of life. (…) You try to be logical, as in life. You try to be polite, as in life. May I say, as the world’s oldest living teacher, ‚Fuck polite!‘ (…) I tell you this: you cannot be an actor and a gentleman.“ (Sanford Meisner in Meisner & Longwell: „Sanford Meisner on Acting“)
„Hör zu, Philip, du hast die etwas schiefe Idee, dass Schauspiel eine Imitation des Lebens ist. Du versuchst, wie im Leben, logisch zu sein. Du versuchst, wie im Leben, höflich zu sein. Darf ich, als der älteste lebende Lehrer, dir sagen: ‚Scheiß auf Höflichkeit!‘ Ich sag dir eines: Du kannst nicht gleichzeitig Schauspieler und Kavalier sein.“
Freeze Tags (English / Deutsch)
Should beginners play Freeze Tags? Both, Johnstone and Spolin rejected that game: Spolin, because actors actually to tend to freeze and stopped breathing. Johnstone, because the game destroys ideas.
I don’t really buy the latter notion. Ideas don’t matter. I teach my students to join the game with no idea at all and look what happens. Also, the co-player has to get used to the feeling that his ideas are changed or even „destroyed“. If you want to practise exploring ideas and building upon them, there are other games.
I take Spolin’s objection more serious. Indeed, even experienced players tend to freeze almost literally. This leads to returning scenes like „Help! We’re stuck on the ground!“ Or „Doctor, I can’t move my arm anymore.“ The body freezes – the mind is searching for a justification, and on the other hand, the mind gets stuck if the body can’t move.
When I teach the game, I tell my students not to freeze, but to stay loosely in the position and to continue breathing. If you’re the one who enters, you don’t have to get exactly into the position. An approximation is okay.
Typical Freeze-Scenes are:
– Dancing lectures: „You’re doing very well. One-two-cha-cha-cha.“
– Any kind of doctor scene or scenes about the body: „Look! What’s that thing that I have on my nose!“
– Photo-model scenes. (The posing is being justified.)
– Mugging scenes. (The „Freeze!“ is being justified.)
– I-give-you-an-object-scenes.
However, I still believe that Freeze Tags are a valuable game. Has anybody ever pointed out that the great advantage of this game isn’t necessarily justification but the huge amount of mini-scenes we can play as a group? It’s a phantastic warm up that gets us into play.
When I teach Freeze Tags to beginners, I let them have their doctor, photo model, and dacing coach scenes. For them it’s the first time. Little by little I set some limits (don’t talk about your body, don’t talk about posing). As a consequence their opportunities expand.
Soll man Freeze Tags (Tag Outs / Abklatschtheater…) überhaupt mit Anfänger spielen? Wie ich hier bereits vor längerer Zeit ausgeführt habe, haben die beiden Impro-Gurus Spolin und Johnstone dieses Game abgelehnt: Spolin, weil es tatsächlich zum Einfrieren führt, man als Spieler nicht mehr atmet. Johnstone, weil es Ideen zerstört.
Johnstones Einwand kann ich nicht recht gelten lassen. Ideen sind unerheblich. Ich lehre auch, ohne Idee in das Spiel zu gehen und zu schauen, was dann passiert. Als Mitspieler muss man sich außerdem daran gewöhnen, dass andauernd unerwartete Ideen präsentiert werden. Zum Gedanken- und Ideen-Fortführen gibt es andere Games.
Schwerer wiegt der Einwand Spolins. Tatsächlich wird das Spiel oft (auch von erfahrenen Spielern) so gespielt, dass beide regungslos einfrieren. Das führt dann zu immer wiederkehrenden Szenen nach dem Schema „Hilfe, wir sind am Boden festgeklebt!“ oder „Herr Arzt, ich kann meinen Arm nicht mehr bewegen.“ Der Körper friert ein – der Geist sucht nach einer Rechtfertigung; und umgekehrt bleibt der Geist stecken, wenn der Körper sich nicht bewegen kann.
Ich unterrichte das Spiel so, dass die Spieler beim „Freeze!“ locker und auch nur ungefähr in der Haltung bleiben. Die Haltung ist auch nur ungefähr zu übernehmen und eher als Inspiration zu verstehen, nicht als sklavisch zu rechtfertigende Position.
Weitere typische Freeze-Szenen:
– Tanz-Unterricht: „Ja, das machen Sie schon sehr gut. Eins, zwei und Cha-cha-cha.“
– Jede Art von Arzt-Szenen und Szenen, die den Körper oder die Körperhaltung thematisieren: „Sehen Sie nur, ich habe hier was auf der Nase!“
– Foto-Model-Szenen: Das Posing wird gerechtfertigt.
– Überfall-Szenen: „Keine Bewegung!“ (Das Stillstehen wird umgekehrt gerechtfertigt.)
– Ich-gebe-dir-einen-Gegenstand-Szenen.
All diese Tücken sind aber hinnehmbar. Denn der große Vorteil des Spiels (hat das eigentlich mal jemand ausgesprochen?) ist, dass wir in kürzester Zeit einen Haufen verschiedener Mini-Szenen spielen können. Es bringt einen also wunderbar ins Spielen.
Wenn ich Anfänger unterrichte, lasse ich sie ruhig auch ihre Arzt-, Tanzlehrer-, Fotografen-Szenen spielen; denn für sie sind sie schließlich neu. Nach und nach setzen wir Grenzen – den Körper nicht thematisieren, das Stillstehen nicht thematisieren – und erweitern durch die Grenzen die Spielmöglichkeiten.
Konfusion auf der Bühne
Nach der Show gerieten wir während des Feedbacks leider in ein Zerreden einer Szene, die jeden von uns ziemlich verwirrte und hinterher mit Müh und Not in die Story eingebunden werden konnte.
Das Publikum hingegen genoss gerade diesen Moment der Konfusion innerhalb einer ansonsten vielleicht zu makellosen Show.
„Alle waren planlos – herrlich!“ (Zuschauerin Anne Kathrin Kaelcke)
Staring & Seeing
„Staring is a curtain in front of the eyes as when the eyes are closed. (…) Those who stare, but do not see, prevent themselves from directly experiencing their environment and from entering into relation with the world – the onstage world as well.“
„Starren ist ein Vorhang vor den Augen, so als wenn sie geschlossen wären. (..) Wer starrt aber nicht sieht, hindert sich selbst daran, die Umwelt zu erleben und mit der Welt (einschließlich der Welt auf der Bühne) in ein Verhältnis zu treten.“
(Viola Spolin: „Theater Games for The Lone Actor. A Handbook“)
Mit der Angst spielen
Schülerin (in einer Pause am 5. oder 6. Workshop-Abend): „Ich muss gestehen, ich habe nach wie vor Angst, wenn ich hier eine Szene spiele. Und das führt dann immer dazu, dass ich ängstliche Charaktere spiele. Geht das irgendwann mal weg? Es ist kein Lampenfieber, nur die Angst, nicht mehr weiterzuwissen.“
Ich: „Das geht sicherlich früher oder später weg. Aber man kann das auch beschleunigen. Spiele in den Szenen mit den Emotionen. Spiele jemand, der mutig, dominant, wütend ist. Und dann spiel auch mal wieder jemanden der Angst hat. Probiere emotionale Extreme aus.“
Eine halbe Stunde später sehe ich die aberwitzigste Szene mit ihr. Die anderen Schüler krümmen sich vor Lachen.
Die Emotionen kommen vor dem Inhalt. Der Inhalt wird dann schon gerechtfertigt.
Don’t prepare?
Es gibt ein wunderschönes kleines Buch von Patricia Ryan Madson „Improv Wisdom“, das die Möglichkeiten beschreibt, Tugenden und Fähigkeiten aus dem Improtheater in den Alltag herüberzuretten.
Der Untertitel (und auch das zweite Kapitel) des Buchs lautet „Don’t prepare. Just Show Up“. Mit anderen Worten: Wir können uns derart in Planungen und Vorbereitungen für die große wichtige Sache verstricken, dass wir vielleicht das Eigentliche vergessen, nämlich dass erst einmal nur unsere Anwesenheit wichtig ist: Für die anderen und für uns selbst. Alles weitere kann improvisiert werden.
Aber je länger die Botschaften des Buchs sich in meinem Kopf sedimentiert haben, umso mehr denke ich, dass Madson hier das Kind mit dem Bade ausschüttet. Sie hat natürlich Recht – es gibt eine Paralyse der Vorbereitung, nicht nur im Alltag, auch im Improtheater: Szenen, die quasi ewig vorbereitet werden durch endlose Publikumsinteraktionen, Storys, die durch endlose Vorgeschichte unanschaubar werden, szenisches Ausweichen, Spieler, die vor der Show eine halbe Stunde überlegen, ob sie das grüne oder das weiße Hemd anziehen sollen, Gruppen, die in Panik geraten, wenn sie sich vor der Show nur fünfzehn statt fünfundvierzig Minuten aufwärmen können. Und wir kennen es auch aus dem Alltag: Frauen, die täglich eine halbe Stunde entscheidungsparalysiert vor dem Kleiderschrank stehen, gefangen in der Angst, für ihr Äußeres beurteilt zu werden, Freunde, die ihren Urlaub dermaßen mit Sightseeing verplanen, dass sie sich geistig für die eigentlichen schönen spontanen Überraschungen einer Reise blockieren.
ABER: Totales Unvorbereitetsein nervt ebenfalls. Wir brauchen ein gewisses Maß an Planung. Wer verpeilt zu Auftritten und Proben kommt, nervt nicht nur seine Mitspieler, sondern beraubt sich in vielerlei Hinsicht auch der eigenen Freude. Planung heißt nicht (und da gebe ich Madson wiederum Recht), dass jedes Detail festgelegt sein muss. Vielleicht ist es nicht so wichtig, welche Schuhe du anziehst, solange sie geputzt sind. Vielleicht ist es nicht so wichtig, vorher zu wissen, welcher Spieler heute die Show anmoderiert, aber sich im Klaren darüber zu sein, mit wem ich heute Abend auf der Bühne stehen werde und welche Art von Show wir spielen werden. Möglicherweise kann ich auch das nicht einmal wissen, weil ich gerade in einer fremden Stadt bin und von Improspielern, die ich nur über Facebook kenne, eingeladen worden bin, irgendeine Improshow mitzuspielen. Aber selbst dann sollte ich mich zumindest geistig und körperlich darauf einstellen: Stelle dich geistig auf die Show ein, statt dir per Handy die Zeit zu vertreiben.
Sei dir klar darüber, was man heute von dir erwartet, und sei dir vor allem darüber im Klaren, was du von dir selbst erwartest.
Die Wahrhaftigkeit unserer Hochstapelei (Peter Handke im Interview mit DIE ZEIT)
Handke: Ich mag keine Könner.
ZEIT: Woran erkennen Sie einen Könner?
Handke: Er weiß genau: in welchem Moment muss ich welche Wirkung erzielen?
ZEIT: Ein Könner ist ein Rechner?
Handke: Man kann nicht können in der Kunst! Früher hat man gesagt; Kunst kommt von Können. Aber Kunst kommt vom Lassen. Kunst bedeutet: das tun, was man nicht kann. (…)
ZEIT: Ist er [der Künstler] auch ein Hochstapler?
Handke: Ja. Man stapelt hoch, und im Hochstapeln erwischt man doch eine Wahrhaftigkeit. Schon sich hinzusetzen und zu sagen, ich schreib jetzt ein Theaterstück, ich schreib jetzt einen Scheißroman (…) ist eine Hochstapelei. Aber weil man der Gefangene der Hochstapelei ist, geht man in ihr weiter – und plötzlich entsteht aus der Hochstapelei eine Realität, die herrlicher ist als jede tägliche Realität.
Mach dich sichtbar… Und dann?
In David Zweigs Buch „Invisibles. The Power Of Anonymous Work In An Age Of Self Promotion“ werden diejenigen geehrt, die ihre Arbeit unsichtbar ausüben, oder noch deutlicher gesagt: deren Existenz uns erst dann ins Gedächtnis gerufen wird, wenn sie ihre Arbeit schlecht gemacht haben: Der Klavierstimmer, der Anästhesist, ein Dolmetscher bei der UNO.
Als Schauspieler und Theatermacher gehören wir natürlich nicht zu dieser Sorte. Aber wir können vielleicht von ihnen lernen. Der Unsichtbare beschäftigt sich mit dem Wesentlichen, dem Kern der Dinge, während wir uns allzu leicht in der Selbstdarstellung verlieren können. Nicht nur in Form von Werbung für die eigene Show, Promo für Improtheater als solches und so weiter, sondern auch für unser Verhalten auf der Bühne. Haben wir etwas zu sagen? Nutzen wir Improvisation? Oder geht es nur darum, unsere Fertigkeiten als Improvisierer zu demonstrieren. Oder wie Oliver Burkeman es ausdrückte: „Sicherlich ist das Leben als Unsichtbarer nicht für jeden geeignet. Aber wenn man sich zu sehr auf das Gegenteil konzentriert, nämlich sich sichtbar zu machen, dann könnte es sein, dass man eines Tages feststellt, dass man nur aus Sichtbarkeit besteht und nichts hat, was wert wäre, gesehen zu werden.
Hier geht es zur äußerst lesenswerten Rezension des Buchs von Oliver Burkeman.
Wie ich mal interviewt wurde
Die bezaubernde Claudia Hoppe lud mich zu einem Gespräch bei Kaffee und Mikrofon ein.
Podcast Nr. 18 – Dan Richter über Impro, Lesebühnen und seinen Blog
00:01:14 Prokrastinieren 3:21
00:04:35 Wie kam Dan zum Impro? 5:48
00:10:23 Dan über Impro-Gruppen-Chemie 10:52
00:21:15 Dans persönlicher Werdegang 2:50
00:24:05 Foxy Freestyle Shows & Formate 14:57
00:39:02 Über die Häufigkeit von Proben und Auftritten 3:21
00:42:23 Kleidung beim Impro 2:26
00:44:49 Dan über Theatersport 5:33
00:50:22 Über Lesebühnen 10:39
01:01:01 Lesebühnen & Impro 3:43
01:04:44 Lesebühnen & Comedy 5:09
01:09:53 Dans Impro-Blog 4:38
01:14:31 Arbeitsroutinen von Künstlern 3:47
01:18:18 Dans Buchveröffentlichungen 3:03
Why everybody should play the „Uke“
Bricolage in „Casablanca“
Wegen des Kriegs durften in den USA nach Einbruch der Dunkelheit keine Filmszenen auf Flughäfen gedreht werden. Das betraf auch die Schluss-Szene von „Casablanca“. Man drehte also im Studio und baute für den Hintergrund ein kleineres Flugzeugmodell aus Balsaholz. Die Komparsen, die die Flugzeugtechniker darstellten, mussten deshalb aus Kleinwüchsigen gecastet werden.
Bricolage at its best.
https://de.wikipedia.org/wiki/Casablanca_(Film)#Trivia
Bad Shows
„The only road to good shows is bad ones. Just go start having a bad time, and if you don’t give up, you will get better.“ (Louis C.K.) Hat er Recht? Ich bin mir nicht sicher. Als Improvisierer sind wir gegenüber anderen Komödianten und Kleinkünstler dadurch im Vorteil, dass wir mit dem Scheitern heiter umgehen können; dass der positive Umgang mit dem Scheitern uns praktisch in die Improwiege gelegt wird. Trotzdem. Einige Shows sind furchtbar. Vor allem wenn man mit dem Auftreten anfängt. Das merkt man, während man sie spielt. Das merkt man, wenn die ersten beiden Zuschauerreihen mit gähnenden oder flüsternden Zuschauern gefüllt sind, von denen die Hälfte während der Pause geht. Und das merkt man auch, wenn man nach über zehn Jahren Impro-Auftritts-Erfahrung eine Show versemmelt, und alles Analysieren über Storytelling, Szenen-Struktur, Schauspiel und Improtechnik einem nicht weiterhilft. Man muss da durch, kann versuchen zu lernen und weiß, es gibt keine 100%ige Garantie in diesem Geschäft, das vom Risiko des Scheiterns lebt.
„Ich bin nicht kreativ“
„Professionellen Künstlern die kreative Fähigkeit zu überlassen, ist so, wie wenn wir unsere Fähigkeiten des Heilens den Ärzten überlassen.“ (Stephen Nachmanovitch: „Free Play“)
Modern ghost storys
Joanna Briscoe über moderne Spukgeschichten.
Die Herausforderung, eine moderne Spukgeschichte zu erzählen darf weder zu viktorianisch oder kontinental-romantisch daherkommen noch das Grauen durch offensichtliche naturwissenschaftliche Erklärung zerstören. Entscheidend ist die Ambivalenz.
http://www.theguardian.com/books/2014/jul/04/how-write-modern-ghost-story
Karl Valentin und Status-Relativierung
Ein schönes Beispiel für Status-Relativierung gibt Karl Valentin in seinem (stummen) Langfilm „Der Sonderling„. Valentin spielt einen arbeitslosen Schneider, der sich in einer der ersten Szenen des Film, bei der Post bewirbt. Ein überaus dicker, herrischer, Hochstatus Postdirektor tritt an ihn heran und führt mit ihm im Stehen eine Art Bewerbungsgespräch. Valentin als klassischer Tiefstatus senkt den Blick, verneint oder bejaht mit hektischen Gesten und sendet Kontrollblicke Richtung Direktor. Dabei fällt ihm dessen schiefe Weste ins Auge. Da er diesen Anblick als Schneider nicht ertragen kann, greift er flugs zu und zerrt sie dem Direktor gerade, nur um nach dieser Übergriffigkeit sofort wieder in unterwürfigen Tiefstatus zu fallen und die Empörung des Direktors über sich ergehen zu lassen. Jedoch: Dessen Weste verrutscht wieder, und Valentins Schneiderseele ist so gequält, dass er erneut zugreift, wie ein hungriges Hündchen sich trotz Zurechtweisung wieder einen Happen stehlen muss. Den anderen derart zu berühren, ist natürlich eine Hochstatus-Geste, die sämtliche zuvor etablierten Tiefstatus-Gesten relativiert, aber erst sie machen die Szene komisch und menschlich.