462., 463., 464., 465. Nacht

462. Nacht

Schehrezâd wiederholt die letzte Sequenz der Geschichte:

Nun staune, o König, über die Beredsamkeit dieser Sklavin, über ihr reiches Wissen, ihren Verstand und ihre vollendete Bildung in allen Wissenschaften und den Künsten! Und bedenke auch die Großmut des Beherrschers der Gläubigen Harûn er-Raschîd. (…) Wo fände man wohl nach dem Abassidenkalifen noch solche Freigebigkeit? Die Barmherzigkeit Allahs walte über sie alle jederzeit.

Aber wir wissen schon jetzt, dass König Schehrijâr noch weitere 539 Nächte brauchen wird, um den Wink zu verstehen oder verstehen zu wollen: Beredsame Sklavin! Großmütiger Herrscher! Mein Gott, so schwer ist das doch nicht!

*

Ferner wird erzählt

Die Geschichte von dem Engel des Todes vor dem reichen König und vor dem frommen Manne

Einer von den Herrschern der Vorzeit

gemeint ist wohl die vorislamische Zeit

reitet in großem Prunk aus, stolz und übermütig. Ein alter Mann in zerrissener Kleidung nähert sich ihm und legt die Hand an seine Zügel:

„Ich bin der Engel des Todes; ich will deine Seele holen!“

Eine Frist sich zu verabschieden, gewährt ihm der Tod nicht.
Einem Frommen hingegen, der mit der Welt in Einklang lebt, gewährt er die Bitte, noch einmal beten zu dürfen.

Auch das kann eigentlich - so kurz nach der letzten Geschichte - als Warnung an König Schehrijâr verstanden werden.

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Die Geschichte vom Engel des Todes vor dem reichen König

Nachdem ein König riesige Güter angehäuft hat, versammelt er seine Angehörigen und Diener zu einem Mahl, denn jetzt könne er sich endlich seines Wohls erfreuen.

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463. Nacht

Auch hier tritt der Engel des Todes hinzu, und auch hier wird eine letzte Frist oder eine Ersatzperson verweigert:

„Ich bin nur deinetwegen gekommen, um dich zu trennen von den Gütern, die du gesammelt und aufgespeichert hast“

Daraufhin verflucht der König seinen Reichtum.

Nun antwortet der Reichtum (sic!)

„Warum verfluchest du mich? Verfluche dich selber! Allah (…) gab mich in deine Hand, auf dass du dir durch mich eine Wegzehrung schüfest für dein Leben im Jenseits und von mir den Armen und Bedürftigen und Elenden Almosen gäbest…“

Und so stirbt der König, ohne von den Speisen gekostet zu haben.

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Die Geschichte vom Engel des Todes und dem König der Kinder Israel

Ein jüdischer König sitzt auf dem Thron und auch hier erscheint ein hässlicher Mann, der sich als der Engel des Todes entpuppt:

„Ich bin es, der die Freuden schweigen heißt und der die Freundesbande zerreißt.“

Die Formel, mit der hier so viele Erzählungen enden; ähnlich unserem "und wenn sie nicht gestorben sind..."

Der jüdische König bittet um eine Frist,

„damit ich das Geld, das in meinen Schatzkammern ist, seinen rechtmäßigen Besitzern zurückgeben kann!“ (…)
„Weit gefehlt! Das ist dir nicht mehr möglich.“

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464. Nacht

„Du gehst zu dem Zorne des Allgewaltigen ein.“ (…) Da erhob sich ein Getöse unter dem Volk seines Reiches, die Stimmen erklangen, und Weinen und Schreien erschollen.

An dieser Stelle gibt es seltsamerweise zwei Bleistift-Markierungen in meiner Ausgabe, die (so vermute ich zumindest) nicht von mir stammen, die aber auch kurios sind: „Weinen und Schreien“ mit gewelltem Unterstrich und Fragezeichen an der Seite. Was ist so unverständlich oder fraglich an dieser Passage?

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Die Geschichte von Iskandar Dhû erl-Karnain und dem genügsamen König

Mit „Iskandar Dhû el-Karnain“ wird hier Alexander der Große bezeichnet.


„Alexander, der Zweigehörnte“

Auf seinen Reisen kommt Iskandar Dhû erl-Karnain an einem sehr armen Volk vorbei, das sich von „Gräsern und Kräutern“ ernährt und seine Toten direkt vor den Toren der Stadt beerdigt und die Gräber vom Staub befreit.
Iskandar befragt den König, warum sie das so täten. Dieser antwortet, so

„schwindet auch die Liebe zur irdischen Welt aus unseren Herzen, und wir werden nicht durch sie von dem Dienste unseres Herrn, des Erhabenen abgelenkt.“

Auf die Frage nach dem Veganismus, bekommt er die bemerkenswerte Antwort:

„Weil wir es verabscheuen, unsere Leiber zu Gräbern von Tieren zu machen.“

Das Angebot Iskandars, sein Wesir zu werden, lehnt der König des armen Volkes ab:

„Weil alle Menschen deine Feinde sind um deines Reichtums und des Besitzes willen, der dir verliehen war; alle aber sind in Wahrheit meine Freunde wegen der Genügsamkeit und meiner Armut, dieweil ich keinen Besitz habe und auch nichts Irdisches begehre; danach trage ich kein Verlangen.“

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Die Geschichte von dem gerechten König Anuscharwân

Anuscharwân lässt in seinem Königreich verbreiten, er sei krank und könne nur durch einen alten Lehmziegel aus einem zerfallenen Dorfe gerettet werden. Man findet keinen, und Anuscharwân ist zufrieden.

„Da (…) ein jeder Ort bewohnt ist, so steht es gut um das Reich, die beste Ordnung herrscht in allen Dingen, und so konnte die Kultur es zur höchsten Vollkommenheit bringen.“

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465. Nacht

Schehrezâd fährt, nachdem die Anekdote eigentlich schon beendet ist fort, Schehrijâr zu belehren.

Wisse drum, o König – so fuhr Schehrezâd fort – dass (…) es unzweifelhaft wahr ist, was die Gelehrten verkünden und wir in den Aussprüchen der Weisen finden, nämlich: die Religion hängt vom König ab, der König von den Truppen, die Truppen vom Staatsschatze, der Staatsschatz von der Wohlfahrt des Landes, und die Wohlfahrt des Landes von der gerechten Behandlung des Untertanenstandes…

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Die Geschichte von dem jüdischen Richter und seinem frommen Weibe

Ein Richter reist auf Pilgerfahrt nach Jerusalem und vertraut seinem Bruder auch seine Frau an, der sie, sobald der Richter fort ist, zum Ehebruch nötigen will. Sie wehrt sich, und er bezichtigt sie mit bestochenen Zeugen, Ehebruch getrieben zu haben.

Dieses Muster ist doch teilweise heute noch bekannt.

Man steinigt sie, aber ein barmherziger Wandersmann hört nachts das Stöhnen der Frau, die die Steinigung überlebt hat, nimmt sie zu sich und seiner Familie und pflegt sie gesund. Er gibt ihr sein Kind, damit sie sich nächtens seiner annehme. Doch eines Nachts schleicht sich ein „Schelm“ ein, um sie zu verführen. Als sie sich weigert, will er sie erstechen, trifft aber aus Versehen das Kind.
Die Mutter des Kindes verdächtigt die Frau des Richters des Kindsmordes und versucht, sie zu erschlagen, diese kann aber flüchten.
Auf ihrem Weg kommt sie in ein Dorf, wo man einen Mann an einem Baum gekreuzigt hat. Sie bietet die wenigen Dirhems, die sie bei sich trägt als Lösegeld an. Er wird abgenommen und sie heilt ihn.

Da bemerkte Schehrezâd, dass der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an.

Sollen wir am Karfreitag die Beine still halten? 457., 458., 459., 460., 461. Nacht

Erst zwanzig Jahre nach der Wende erfuhr ich von einer Kollegin vom sogenannten Tanzverbot, das in Hessen am Karfreitag herrsche. Bei aller Überraschung tat ich das damals als lokale Rechts-Schrulle ab. Man stößt ja immer wieder mal auf antiquierte Paragrafen, die noch irgendwo herumgeistern und die keinen interessieren, einfach weil sie so gut wie nie zur Anwendung kommen. Aber ich musste erstaunt feststellen, dass es diese seltsame Regel nicht nur in Hessen gibt, sondern in allen Bundesländern. Teilweise durchaus restriktiv und extensiv: Manchmal sind Sportveranstaltungen verboten, in einigen Bundesländern, wie Nordrhein-Westfalen auch Kabarett-Shows und Komödien. Die Restriktionen sind nicht auf Karfreitag beschränkt. In Bayern darf am Aschermittwoch nicht getanzt werden. In Baden-Württemberg ist Tanzen für achtzehn Tage im Jahr untersagt. Das schließt ein: Neujahr, Heilige Drei Könige, Himmelfahrt, Pfingstmontag (Haben die Jünger zu Pfingsten nicht auch getanzt?).

Eine ausführliche Liste der „stillen Feiertage“ geordnet nach Bundesländern findet sich hier.
In Berlin betrifft das Verbot den Karfreitag, den Volkstrauertag und den Totensonntag, jeweils zwischen 4 und 21 Uhr. Bei den letzten beiden weiß ich nie, wann sie stattfinden. Ich höre immer nur am jeweiligen Tag im Radio davon.
Betroffen sind übrigens auch „in Räumen mit Schankbetrieb musikalische Darbietungen jeder Art“. Und das betrifft mich nun persönlich. Mit ein bisschen mehr Geld in der Tasche oder einer robusten Rechtsschutzversicherung würde ich mich da gern mal selbst anzeigen und mich dann bis nach Karlsruhe durchklagen. Die Polizei in Berlin scheint das Ganze auch eher locker zu nehmen. Mir ist zumindest kein Fall bekannt, wo eine Party gesprengt wurde.
Für den diesjährigen Karfreitag kündigt die zitty ca. 75 Partys an. (Konzerte und Theaterstücke mit Musik nicht eingerechnet.) Davon fängt ein Viertel zur inkriminierten Zeit vor 21 Uhr an. Sollte man die alle mal anzeigen, um die Debatte mal voranzutreiben?
Zur Klarstellung: Es ist ja völlig in Ordnung, die Stille des Karfreitags der christlichen Minderheit in Berlin zu schützen. Und ich hielte es auch für unangemessen, an diesem Tag ein Straßenfest vor einer Kirche auszurichten. Aber warum sollte ein Christ (wieviele Christen halten sich eigentlich an das Gebot der Stille?) davor geschützt werden, wenn in einem „Raum mit Schankbetrieb“ Musik dargeboten wird? Welches Szenario schwebte da dem Gesetzgeber vor Augen? Der arme Christ will am Karfreitag noch ein Bierchen trinken gehen, da betritt er die Fire Bar Mitte und muss zu seinem Schrecken feststellen, dass in diesem Musik-Schuppen die Daddy’O-Party läuft? Oder soll hier vielmehr ein angenommener Wert allen Nicht-Christen aufgezwungen werden, in der faulen Annahme, Deutschland sei christlich?
In einer mir bekannten Comedy-Truppe wurde letztens diskutiert, ob man am Karfreitag den Black-Humor-Abend spielen dürfe. Sie entschieden sich dagegen, mit der Begründung, es könne die Gefühle der Religiösen verletzen. Wie zum Donner sollte das gehen? Kann man sich einen hypersensiblen Christen vorstellen, der am Karfreitag in eine „Black Humor Show“ geht und sich dann wundert, dass dann genau das aufgeführt wird? Wer wegen der Ermordung seines Heilands traurig ist, geht doch nicht tanzen oder in eine Comedy-Show. Schlimmer noch als die rechtlichen Vorschriften, die, wie ich unrecherchiert vermute, noch aus der Weimarer Republik oder gar dem 19. Jahrhundert stammen, ist das vorauseilende Katzbuckeln gegenüber religiösen Gefühlen von nicht einmal anwesenden Personen.
In welcher rechtlichen Welt leben wir denn, wenn religiöse Gruppen Handlungen von Personen juristisch verbindlich vorschreiben können? Ich möchte ja bezweifeln, dass die Mehrheit der deutschen Christen diese Gesetze für angemessen halten. Niemand, der nicht tanzen will, wird durch eine Tanzveranstaltung gestört. Niemand, dem am Karfreitag nicht nach Komödien zumute ist, wird gezwungen, sich solche anzuschauen, noch wird seine Religionsausübung in irgendeiner Weise dadurch gemindert, dass jemand anders irgendwo tanzt oder sich amüsiert, während unser Christ betet.
Wir haben es hier nicht einmal mit einem ethischen oder juristischen Dilemma zu tun. Anders gesagt: Wir müssen nicht einmal die Rechte des stillesuchenden Christen gegen die Rechte aller anderen – also der Nicht-Christen und der Christen, die am Karfreitag keine Stille suchen – abwägen. Es ist die in Westdeutschland im Grunde seit der Gründung der Bundesrepublik bestehende Annahme, das Land sei irgendwie christlich verfasst, die uns immer wieder mit abstrusen Normen konfrontiert. Da werden Paragraphen im Nachhinein so eng konstruiert, dass auch ja keine muslimische Lehrerin mit den Schülern konfrontiert wird. Nonnentrachten und Kruzifixe hingegen waren jahrzehntelang kein Problem. Dass zur Religionsfreiheit auch die negative Religionsfreiheit gehört (grob gesprochen: das Recht, von Religion in Ruhe gelassen zu werden), wird immer wieder von Gesetzgebern ignoriert. Mit dem Problem konfrontiert, berufen sie sich dann gern auf die „christliche Prägung“ des Abendlandes. Abgesehen von der Fraglichkeit dieser Terminologie (Was heißt „Prägung“?, Hat nicht auch gerade die Aufklärung das „Abendland“ geprägt?) – wir haben eine ziemlich moderne Verfassung und Rechtsordnung. Wo will man denn hin?
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457. Nacht
Nach nur wenigen weiteren Antworten gibt sich der Astronom (/Astrologe) geschlagen und gibt sein Gewand ab. Harûn er-Raschîd lässt den Philosophen antreten. Dieser fragt ein paar Definitionen ab: Zeit, Unglaube usw. Daraufhin auch noch Fragen zum Islam, die eher wie Rätsel anmuten:
„Nenne mir die fünf, die da aßen und tranken und doch nicht aus Lenden und Mutterleib hervorgegangen waren.“ „Adam, Simeon, die Kamelin des Sâlih, der Widder Ismaels und der Vogel, den Abu Bakr der Wahrhaftige in der Höhle sah.“

Es folgen echte Rätsel und Knobelaufgaben, die die Bezeichnung „Philosophie“ nicht verdienen.

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458. Nacht

Nach einigen weiteren Rätseln gibt auch der „Philosoph“ auf und legt sein Gewand ab.
Schließlich muss en-Nazzâm, der Statthalter er-Raschîds in Basra, selbst ins Gefecht mit Tawaddud.

„Bei Allah“, rief er, „wahrlich, ich werde dich sicher besiegen und zum Gerede der Leute machen, auf dass man von Geschlecht zu Geschlecht über dich spricht!“ Die Sklavin antwortete ihm: „Tu Buße im voraus für deinen Meineid!“
Mit der religiösen Beteuerungsformel seines Schwurs lehnt sich en-Nazzâm tatsächlich weit aus dem Fenster.

Auch seine Fragen sind eher banale Fragen zur Heiligen Schrift oder gleichen Rätseln:

„Tu mir kund, welches dein Anfang und dein Ende ist!“ „Mein Anfang ist ein Tropfen schmutziger Flüssigkeit, mein Ende ist ein Leichnam, der Verwesung geweiht. Mein Anfang ist Staub, und mein Ende ist Staub, wie der Dichter gesagt hat:

Aus Staub geschaffen wurde ich zum Menschen
Und ward in Frag und Antwort sprachgewandt;
Ich kehre heim und bleibe in dem Staube,
Dieweil ich früher aus dem Staub entstand.“
(…) „Sage mir, welches Weib wurde allein vom Manne und welcher Mann allein vom Weibe geboren.“ „Eva von Adam und Jesus von Maria.“
Dass die Muslime die Jungfrauengeburt der Christen akzeptieren, war mir bis eben neu. Sure 3,47. Oder hier der Wiki-Artikel.
Weiter geht es mit Rätseln und Fragen auf dem Niveau von Kreuzworträtsel-Wissen:
„Wieviel Worte sprach Gott zu Mose?“
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459. Nacht

Weiter mit Rätseln und Vers-Rätseln.

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460. Nacht

Schließlich stellt en-Nazzâm ihr eine Falle:

„Sage mir, wer ist vortrefflicher, Alî oder el-Abbâs?“
Es liegt nahe, Alî zu antworten, aber mit dieser Antwort könnte sie den Kalifen Harûn er-Raschîd beleidigen, der praktisch ein Nachfolger des el-Abbâs ist und zur Dynastie der Abbasiden gehört.
Er-Raschîd bemerkt ihr Zögern und erlässt ihr die Antwort. Nachdem en-Nazzâm ihr gut zwanzig Fragen am Stück gestellt hat und sie diese am Stück beantwortet, muss auch er sein Gewand ablegen.
Und er [der Beherrscher der Gläubigen] ließ Meister des Schachspiels, des Kartenspiels und des Tricktrackspieles kommen.
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461. Nacht

Sie spielen drei Mal Schach. Einmal schnell, einmal langsam, und einmal gibt Tawaddud ihm Vorsprung, indem sie ohne Dame, ohne den rechten Turm und ohne den linken Springer antritt. Sie gewinnt jedes Mal mit den schwarzen Figuren.
Auch den Tricktrack-Spieler schlägt sie.

Tricktrack - eine alte Form des Backgammon
Da stand er auf, indem er unverständliche Worte in fränkischer Sprache murmelte, und sagte dann: „Bei der Gnade des Beherrschers der Gläubigen: ihresgleichen gibt es in der ganzen Welt nicht wieder.“
Schließlich betört sie noch alle mit Gesang und dem Spiel auf einer alten, ausgeleierten Laute, der sie aber bezaubernde Töne entlockt.
Der Kalif schenkt ihrem Herrn hunderttausend Dinare und gewährt ihr eine Gnade. Sie erbittet sich die Freiheit, und auch dies wird ihr gewährt mit fünfzigtausend weiteren Dinaren obendrein.

Öffentlicher Raum in der Stadt (Amanda Burden) – 453., 454., 455., 456. Nacht

Worum geht es in einer Stadt überhaupt? Was ist das Entscheidende, wenn man Stadtplanung betreibt?
Ich war fünf Mal in New York City: 1997, 2003, 2009, 2010 und 2011. Der Unterschied, den die Stadt zwischen 2009 und 2011 gemacht hat, war selbst für meine ungeschulten Augen gewaltig: Im Süden Manhattans kann man nun bequem aufs Wasser sehen. Es gibt den neuen legendären Park auf der Highline – einer stillgelegten Bahnstrecke. Das Beeindruckendste aber war, dass in der engen Innenstadt von Manhattan, wo sich die Autos hindurchquälten, man das Autoproblem löste, indem man den Autos Spuren wegnahm! Fußgängerzonen mit Stühlen, Sandkästen, Bäumchen. Auf den Avenues gab es Radspuren! Radspuren!! Und das in einer Stadt, wo die einzigen Radfahrer lebensmüde Fahrradkuriere waren. Mit anderen Worten: Die Radspuren wurden geschaffen, als es für sie noch gar keinen Bedarf gab. Man hat den Bedarf für Fahrräder erzeugt.
Hinter all dem steckt eine Stadtplanerin namens Amanda Burden, deren erstes großes Projekt der Battery Park war. Es geht, so Burden, wenn man eine Stadt plant, nicht um die geometrisch-hübschen Ideen der Designer, sondern um die Perspektive der Menschen, die sich in den geschaffenen Räumen aufhalten. Oder in ihren Worten: „[As a city designer] you don’t tap into your design expertise, you tap into your humanity.“
Man schaue sich die riesigen Freiflächen vor den modernen Bürotürmen an. Wer sitzt da schon gern, selbst wenn eine barmherzige Seele ein paar Bänke hingestellt hat?
Parks errichten, die man nutzen kann, Fahrradspuren für künftige Radfahrer, die Wasserseiten für die Bewohner zugänglich machen, Fußgängerzonen erschaffen, die nicht nur Freiluft-Einkaufszentren sind – für all das braucht man einen langen Atem und Mut. Mut, Investoren auch mal Nein zu sagen. Mut, es sich mit Wählergruppen (wie etwa Autofahrern) kurzfristig zu verscherzen.
Im Vergleich zu New York City ist Berlin gesegnet mit vielen Parks und Freiflächen. Aber man sollte diese nicht als gegeben hinnehmen. Was hätte man z.B. aus dem Regierungsviertel machen können! Die Verkehrspolitik lässt sich in Berlin seit über 50 Jahren von der Autofahrerlobby diktieren. Ich erinnere daran, dass einmal die Straßenbahn durch die gesamte Stadt fuhr. Die Oberbaumbrücke wurde damals nach ihrer Rekonstruktion eröffnet mit der Option, die Straßenbahn mindestens bis zum Schlesischen Tor zu verlängern. Die Gleis-Ansätze sind letzte Zeugen dieses Plans. Die A100 ist zum Prestige-Projekt des Regierenden Bürgermeisters geworden. Die gesamte Debatte über dieses Projekt ist derart ideologisch kontaminiert, dass eine rationale Debatte kaum mehr möglich ist. Jeder will schnell von A nach B kommen und Ruhe vor der eigenen Haustür. Aber beides ist eben nicht gleichzeitig zu haben. Fragt man aber die Stadtbewohner nach Prioritäten, so bevorzugen doch die meisten das ruhigere Wohnen. Die durchschnittliche Geschwindigkeit eines Autos im Stadtverkehr beträgt ohnehin meist nur um die 30 km/h. Schadete es da, gleich in allen Wohngebieten Tempo-30-Zonen einzurichten? Das Ganze natürlich gekoppelt an einen Ausbau des Nahverkehrsnetzes. Wenige werden ihren Auto-Kaufwunsch revidieren, wenn sie außerhalb des S-Bahn-Rings mehr als 15 Minuten auf den Bus warten müssen und dieser dann auch noch mit 15 km/h durch die Gegend zuckelt. (Viel schneller als 20 geht ja auch nicht, da die stehenden Passagiere sonst gefährdet sind.)
Ein weiteres Beispiel für die ideologische Verkrustung der Berliner Debatten ist die Diskussion um das Tempelhofer Feld. Der Senat will Wohnungen bauen. Das ist an sich keine üble Sache. Das Feld ist tatsächlich so groß, dass es Wohnungsbau vertragen könnte, und Wohnungen braucht Berlin, gerade in der Innenstadt, zu der man Nord-Tempelhof, wenn man großzügig ist, ja noch zählen kann. Aber was sonst? Abgesehen vom Problem des sozialen (oder eben nicht-sozialen) Wohnungsbaus bleibt die Frage völlig unbeantwortet, was mit dem Tempelhofer Feld passieren soll. Die Hauptstadtbibliothek? Ach mein Gottchen! Das soll ein Konzept sein?
Aber auch die Bebauungsgegner haben sich bisher nicht besonders von der kreativen Seite gezeigt. Am Besten alles so lassen wie es ist? Wer diese Betonfläche behalten will, muss ein eingefleischter Kite-Roller sein. Ansonsten gibt es doch keine Beschäftigung, die nicht ein bisschen Grün vertragen könnte.
Vor allem müssen groß-kommerzielle Interessen draußengelassen werden. Ein, zwei lizenzierte Cafés, keine Ketten, keine Konzerne, kein Trash.
 
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453. Nacht

Auf die Frage nach der „Gemeinschaft von Mann und Weib“ antwortet die keusche Tawaddud erst, nachdem sie der Kalif dazu auffordert.

„Sie erleichtert den Körper, der voll schwarzer Galle ist, sie beruhigt die Liebesglut, führt zu herzlicher Neigung, weitet das Herz und verscheucht die Trauer der Einsamkeit. Ausschweifung im Liebesgenusse ist in den Tagen des Sommers und der Herbstes schädlicher als zur Zeit des Winters und des Frühjahrs. (…) sie verbannt Sorge und Unruhe, beruhigt das heiße Verlangen und den Zorn und ist gut gegen Geschwüre. (…) Man hüte sich vor der Gemeinschaft mit einem alten Weibe, denn die führt zum Tode.“ (…) „Und welches ist die beste Liebesgemeinschaft?“ „Wenn die Frau noch jung an Jahren ist, von Wuchse zierlich, von Antlitz lieblich, mit schwellender Brust und sich einer edlen Absicht bewusst.“

Das beste Gemüse seien Endivien, die trefflichsten Früchte Granatäpfel und Limonen, die am lieblichsten duftenden Blumen Rosen und Veilchen.
„Wie entsteht der Same des Mannes?“
Die abenteuerliche Antwort ist ein Zitat wert:
„Es gibt im Manne eine Ader, die alle anderen Adern speist. Nun wird der Saft aus den dreihundertsechzig Adern gesammelt, dann tritt er als Blut in den linken Hoden ein; dort wird er durch die Hitze des angeborenen menschlichen Temperamentes zu einer dicken, weißen Flüssigkeit abgekocht, deren Geruch gleich der Palmenblüte ist.“
Gut, dass man nun weiß, wie die Palmenblüte riecht. Unklar bleibt, wozu in dieser Lehre der rechte Hoden dient.
Der Arzt ist erschöpft und Tawaddud besteht wieder darauf, auch ihm eine Frage zu stellen.
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454. Nacht

Sie stellt ihm ein seitenlanges Rätsel, dessen Lösung „Knopf und Knopfloch“ lautet.
Danach muss sie sich einem Astronomen stellen. Dieser fragt sie nach den Hemisphären und den achtundzwanzig Stationen des Mondes.

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455. Nacht

Nach den Planeten befragt nennt Tawaddud:

„Sonne, Mond, Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn.“
Urans, Neptun und Pluto fehlen, da sie erst im 18., 19. und 20. Jahrhundert u.Z. entdeckt wurden.
Weiter schreibt sie den „Planeten“ Häuser und Aszendenzen zu. Der Astronom fragt sie außerdem, ob es morgen Regen gebe. Tawaddud schweigt, und als der Kalif auf einer Antwort besteht, antwortet sie:
„Ich wünsche, dass du mir ein Schwert gibst, mit dem ich ihm den Kopf abschlage; denn er ist ein Ketzer.“
Sie begründet das damit, dass die Wettervorhersage eines der fünf Dinge ist, deren Wissen Allah vorbehalten ist. Der Astronom zieht sich darauf zurück, er hätte sie „auf die Probe stellen wollen.“
Weiter fährt sie fort, astrologische Vorhersagen zu treffen, abhängig davon, an welchem Wochentag das Jahr beginnt, beginnend mit dem Sonntag.
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456. Nacht

Sie fährt fort mit ihren vom ersten Tag des Jahres abhängigen Vorhersagen, die unter anderem

  • den Gedeih von Früchten und Korn
  • die Herrschaft der Könige
  • die Zufriedenheit des Volkes
  • die Rechtschaffenheit der Verwalter
  • die Gesundheit der Tiere und Menschen
  • den Preis bestimmter Lebensmittel
  • die Bevorzugung bestimmter Bevölkerungsgruppen
betreffen.

Top Blues Musicians – 449., 450., 451., 452, Nacht

Meine Top 6 Blues Musiker

Lightnin Hopkins

Lighnin‘ Hopkins war ein zufälliges Kennenlernen. In einem Plattenladen in Camdem-Market fand ich im Juli 1993 ein Platte, deren Cover mich so ansprach, dass ich dachte: Wenn es einen guten Blues-Musiker gibt, dann muss es dieser Typ sein. Ich hatte recht.

 

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Billie Holiday

Billie Holiday war die erste Musikerin, von der ich eine Schallplatte nach der Wende kaufte: Da sie vor allem mit Jazz-Musikern auftrat und aufnahm wird sie auch selber eher in diese Ecke gestellt. Und doch liegt ihr der Blues im Blut. Und so sehr ich die Größe einer Ella Fitzgerald auch anerkenne – mein Herz gehört Billie Holiday. Und das Lied, das sie hier singt, lässt jeden erzittern, der ein Herz und ein Ohr hat.

 

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Janis Joplin

Auch Janis Joplin gilt als Grenzgängerin. Ich kannte ihre großen Hits, als ich (ebenfalls 1993 in London) auf einem ollen Kassettenrekorder die Aufnahme von „Silver Threads…“ hörte. Country-Blues – da kommt die Dame her.

 

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Jesse Fuller

Und dieser Mann war für mich die große Blues-Überraschung überhaupt. Blues, das allenfalls selbstspöttische, aber doch eher traurige Genre wurde zur lustigen Melodie, die einen herzzereißenden Text wiedergab. Und man nahm es ihm ab. Fuller hatte in Kalifornien vom Schuhputzer bis zum Statisten alle Jobs durch, um dann im Alter von 60 Jahren noch eine kurze Blitzkarriere hinzulegen. Es gibt ein Filmchen, wo er vor den großen Blues- und Jazzgrößen seiner Zeit spielt. Ein kleines Publikum, und sie hören ihm alle bedächtig zu.

 

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Howlin‘ Wolf

Über Howlin‘ Wolf bin ich komischerweise in Russland gestoßen. Den hatte ich bisher übersehen, die London Howlin‘ Wolf Session bis dahin nicht für voll genommen. Auf dieser Raubpressung sprang mich ein aggressiver rhythmischer Blues an, wie ich ihn vorher nicht gehört hatte.

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Mick Jagger

Es mag seltsam scheinen, aber er ist für mich der weiße Blues-Sänger. Ja, er hat auch Rock’n’Roll gesungen, sich weit in den Pop-Bereich begeben. Aber an den jungen Jagger in den frühen Stones reicht für mich kein anderer weißer Blues-Sänger heran.

 

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John Lee Hooker

Mit ihm hat für mich alles angefangen. Ich weiß nicht mehr, mit welchem Lied. Mit ihm hört es wahrscheinlich auf. Ich habe seine Lieder rauf und runter gehört: Lil‘ Schoogirl, Mean Black Snake, Boom Boom usw. Ich liebe vor allem seine Folk Blues Sachen, denen man das Elektrische schon anhört. Und die letzte Platte „Boogie Chillen'“ – was für ein großartiger Abgesang! Obwohl für eine Bluesplatte reich instrumentiert ist sie nicht überproduziert. Hooker bleibt er selbst.

 

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Big Bill Broonzy

 

Die Wurzeln des Blues verkörpert für mich – vielleicht noch neben Blind Lemon Jefferson – Big Bill Broonzy. Leicht die Schwere des Lebens besingen. Vor seinem Tod hat er darauf insistiert, dass auf seinem Grabstein nur ja nicht „Jazzmusiker“ stünde.

Es gibt einige „große“ Bluesmusiker, die hier nicht auftauchen – einfach weil ich mit ihnen nichts anfangen kann – vor allem Eric Clapton und B.B.King. Man verzeihe mir.

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449. Nacht

Der Rechtsgelehrte legt sein Gewand ab und nun geht es an die Physiologie. Tawaddud gibt unter anderem Auskunft über die Anzahl der Knochen, die Zusammensetzung Adams aus den vier Elementen, die inneren Organe des Menschen.

„Gut! Nun sage mir, wieviel innere Kammern sind im Kopfe des Menschen?“ „Drei; und sie enthalten fünf Kräfte, die man die inneren Sinne heißt, das sind der gesunde Menschenverstand, die Einbildungskraft, das Denkvermögen, die Vorstellungskraft und das Gedächtnis.“

Sie könnte fast in die moderne Hirnforschung einsteigen.

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450. Nacht

Details des Knochengerüsts kommen auf anderthalb Seiten zur Sprache. Interessant außerdem folgende Auskunft:

„Die Leber ist der Sitz des Mitleids, die Milz des Lachens, die Nieren sind der Sitz der List. Die Lunge dient als Fächer, der Magen als Vorratskammer, und das Herz ist der Stützpfeiler des Leibes.“

Über Hinweise für die Annahmen zu Nieren und Leber wäre ich dankbar.

Tawaddud nennt außerdem diverse „äußere Symptome“.

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451. Nacht

Nachdem die Sklavin auch die inneren Symptome benannt hat, bringt sie medizinisch begründete Speiseregeln zur Sprache: Kopfschmerzen entstünden, wenn man satt etwas esse.

„Wer also lange leben möchte, der nehme sein Frühmal frühe und Nachtmahl nicht spät, er sei sparsam im Verkehr mit Frauen und gebrauche wenig, was schädlich wirken kann. (…)“
„Nun gib mir Auskunft über die Zeit, wann das Einnehmen der Arzneien am nützlichsten ist!“

„Wenn der Saft im Holze rinnt,
wenn die Beere in der Traube Gestalt gewinnt,
wenn die beiden Glückssterne aufgegangen sind,
dann ist die günstigste Zeit genaht, um Arzneien zu trinken
und die Krankheit von sich zu winken.“

Außerdem zitiert Tawaddud Galen, der zu langsamem Verzehr von Speisen riet.

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452. Nacht

Sie fährt fort:

„Der Magen ist das Haus der Krankheit, und Diät ist der Heilung Anfang; denn der Ursprung aller Krankheit ist Indigestion.“ (…)
„Nun sage mir, welche Nahrung am besten ist!“ „Bereitet von Frauen, mühlos zu brauen und leicht zu verdauen.“

Zum Weingenuss befragt, weist sie mehrfach auf die Verbote des Korans hin sowie auf Warn-Gedichte, um dann zu konzedieren:

„Er zerbröckelt die Nierensteine, stärkt die Eingeweide, verscheucht die Sorgen und treibt zur Großmut an; er bewahrt die Gesundheit und fördert die Verdauung, er hält den Leib gesund, vertreibt die Krankheiten aus den Gelenken, reinigt den Körper von schlechten Säften und erzeugt Heiterkeit und Freude; er stärkt die Natur, zieht die Blase zusammen, kräftigt die Leber, öffnet die Verstopfung, rötet die Wangen, säubert den Kopf und das Hirn von Grillen und verzögert das Ergrauen der Haare. Und hätte Allah, der Allgewaltige und Glorreiche, ihn nicht verboten, so gäbe es auf dem Angesichte der Erde nichts, was ihm gliche.“

Der Widerspruch dieser Aussage scheint keiner Erörterung wert.

Lobend äußert Tawaddud sich über die vielfältigen positiven Wirkungen des Schröpfens.

443., 444., 445., 446., 447., 448. Nacht

443. Nacht

Der Gelehrte wendet sich an den Kalifen Harûn er-Raschîd, um zu bezeugen,

„dass diese Sklavin besser in der Gesetzeskunde bewandert ist als ich.“

Mir scheint, bisher wurden eher die Basics verhandelt.

Nun dreht Tawaddud den Spieß um und fragt den Gelehrten nach den Angelpunkten der Religion, den Wurzeln des Islams und den Ästen der Pflichtenlehre im Islam. Letzteres kann er nicht beantworten

Da rief sie: „Leg dein Gewand ab; ich will sie dir erklären.“

Das Gewand soll er der Tradition gemäß ablegen, um sich zu demütigen und deutlich zu machen, dass er es nicht wert ist, das Ehrengewand des Gelehrten zu tragen.

Tawaddud trägt ihm „die zweiundzwanzig Äste“ vor, dann legt er tatsächlich Turban und Gewand ab

und verließ die Versammlung des Kalifen, beschämt von der Sklavin und geschlagen.

Ein zweiter Gelehrter beginnt nun, ihr Fragen zu stellen aus den Bereichen Religion, Wirtschaft, Recht und Moral, so z.B. nach der Gültigkeit einer Warenlieferung und den verdienstlichen Handlungen beim Essen. Zu letzteren gehören

„das Waschen der beiden Hände; das Sitzen auf der linken Hinterbacke; das Essen mit drei Fingern; und dass man von dem isst, was vor einem steht.“

Die guten Sitten beim Essen sind

„dass man kleine Bissen nimmt und wenig auf den Nachbar bei Tische schaut.“

***

444. Nacht

Der Gelehrte fragt Tawaddud über

  • die Grundsätze des Herzens und deren Gegensätze

  • die Bedingungen für die kleinere Waschung

  • den Glauben

  • die Anzahl der Himmelstore

„Nenne mir ein Ding, ein Halbding und ein Unding.“
„Das Ding ist der Gläubige, das Halbding der Scheingläubige, das Unding der Ungläubige.“

Und sehr ausführlich berichtet die Sklavin ihm noch über

die verschiedenen Arten des Herzens.

***

445. Nacht

Und wieder gibt es – nach ausführlicher Beantwortung aller Fragen – die Retourkutsche. Und der Weise scheitert an folgender Frage:

„Nenne mir
[a] die höchste Pflicht,
[b] die Pflicht, die am Anfang aller Pflichten steht;
[c] die Pflicht, deren jede andere Pflicht bedarf;
[d] die Pflicht, die alle anderen Pflichten umschließt;
[e] die verdienstliche Handlung, die in die Pflicht eindringt;
[f] und die verdienstliche Handlung, auf der die Vollendung der Pflicht beruht.“

Auch dieser Gelehrte muss sein Gewand ablegen, nicht ohne dass ihm Tawaddud noch die Antworten zum Merken mit auf den Weg gibt.

„Es handelt sich um [a] die Erkenntnis Allahs des Erhabenen, [b] das Bekenntnis, dass es keinen Gott gibt außer Allah und dass Mohammed der Gesandte Allahs ist; [c] die kleinere Waschung; [d] die Ganzwaschung nach der Befleckung; [e] das Spreizen der Finger beim Waschen und das Kämmen des dichten Bartes; [f] die Beschneidung.“ […]

„Ich rufe Allah zum Zeugen an, o Beherrscher der Gläubigen, dass diese Sklavin gelehrter ist in der Rechtskunde und den anderen Wissenschaften als ich.“

Dabei war von Wissenschaften nicht die Rede. Im heutigen Sinne wären es lediglich religiöse Fragen und Aspekte des Anstands sowie eine banale wirtschaftliche Frage.

Sie fordert den nächsten Gelehrten heraus:

„Wer von euch ist der Meister in Korankunde, der die sieben Lesarten kennt, dazu noch die Grammatik und die Lehre von der Wortbedeutung.“

Auch dies würde heute ja separat behandelt.

Der Gelehrte stellt zunächst rechnerisch anmutende Fragen: nach der Anzahl der Suren, der Verse, der Buchstaben, der Niederwerfungen, der erwähnten Propheten, der mekkanischen und der medinensischen Suren, der Vögel.

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446. Nacht

Tawaddud benennt die im Koran erwähnten Propheten:

„Adam, Noah, Abraham, Ismael, Isaak, Jakob, Joseph, Elisa, Jonas, Lot, Sâlih, Hûd, Schu’aib, David, Salomo, Dhu el-Kifl, Idris, Elias, Johannes, Zacharias, Hiob, Moses, Aaron, Jesus, Mohammed.“

Adam als Prophet!

„Von geflügelten Wesen werden neun genannt […] Die Mücke, die Biene, die Fliege, die Ameise, der Wiedehopf, der Rabe, die Heuschrecke, die Ababîl und der Vogel Jesu – über ihm sei Heil! -, das ist die Fledermaus.“

Es folgen schier endlos Fragen, in welcher Sure sich welche Äußerung befindet.

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447. Nacht

Nun geht’s wirklich in theologische Details. Fragen nach der Bedeutung der Formel „Im Namen Allahs, des barmherzigen Erbarmers“ (Basmala), ihr Vorkommen, ihr ausnahmsweises Nichtvorkommen, ihre Bedeutung, ihre Wirkung auf Mohammed:

„Jetzt bin ich sicher vor drei Dingen, vor dem Versinken in die Erde, der Verzauberung in Tiergestalt und vor dem Ertrinken.“

Alle Fragen beantwortet Tawaddud korrekt, ebenso die nach der Reihenfolge der Offenbarung der Suren.

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448. Nacht

Weitere theologische Fragen, u.a. nach

  • der Zahl der Gefährten des Propheten

  • die Zahl der Leser, deren Lesarten angenommen wurden

  • das Opfern auf Steinplatten [vorislamisch]

  • die Bedeutung der Worte „Du weißt, was in meiner Seele ist; doch ich weiß nicht, was in meiner Seele ist“

  • einer Überlieferung, die auf ed-Dahhâk zurückgeht

Auch hier weiß Tawaddud alle Antworten und stellt dem Gelehrten am Ende eine Frage nach

einem Koranverse, in dem dreiundzwanzig mal der Buchstabe Kâf vorkommt, und von einem anderen, in dem sechzehnmal Mîm vorkommt, und von einem dritten, der einhundertvierzehn ‚Ain enthält, und von einem Abschnitte, in dem die Herrlichkeitsformel fehlt.

Letztere sind die Suren

„‚Genaht ist die Stunde und gespalten der Mond‘, ‚Der Erbarmer‘, und ‚Die Eintreffende‘.“

Auch dieser Gelehrte gibt sich geschlagen.

440., 441., 442. Nacht

Versteher

In diesem Blog war vor knapp zwei Wochen von „Russland-Verstehern“ die Rede. Gemeint waren Journalisten und Politiker, die – vor allem durch fleißiges Benutzen des historischen Zettelkastens – Russlands Völkerrechtsbruch so sehr verstehen wollten, das aus dem Verständnis eine Entschuldigung wurde. Am Abend des Tages, an dem ich den Text geschrieben hatte, schlug ich die ZEIT auf, und da schrie mich das Wort „Russlandversteher“ schon in der Überschrift an. Und nun ist es omnipräsent. Ich wünsche mir im Nachhinein, es nicht benutzt zu haben. Natürlich wäre es leicht, den Blog-Eintrag zu umzuformulieren. Aber es sträubt sich in mir die Aufrichtigkeit gegenüber dem bereits Geschriebenen.
Ja, man muss Russland verstehen, im Sinne von „kapieren“, „begreifen“. Und letztlich habe auch ich das so geschrieben. Die außenpolitischen Husarenstücke von USA und Nato nach der europäischen Zeitenwende 89/90 haben das Völkerrecht zum Spielball willkürlicher Akte werden lassen – man nutzt es, wie es einem passt. Und auch die Anwesenheit von McCain und Westerwelle auf dem Maidan war keine diplomatisch sensible Geste.
Verstehen, aber nicht Entschuldigen. Und Jahreszahlen im Zettelkasten liegenlassen.

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440. Nacht

Die Sklavin Tawaddud wird weiter zu religiösen Themen befragt, u.a.: Gebet, Waschung, Glaube, Vertrauen.

„Wenn er [der Gläubige] aber Allah, den Allgewaltigen und Glorreichen, beim Beginne der Waschung nicht anruft und schweigt, so gewinnen die Teufel Gewalt über ihn, und die Engel wenden sich von ihm; dann flüstern die Teufel ihm arge Gedanken ein, so dass er dem Zweifel verfällt und den Wert der Waschung zunichte macht.“

Interessant doch, wie in der eigentlich monotheistischen Religion der Glaube an Engel, Geister, Teufel soweit hervorlugt, dass man meinen könnte, sie seien in der Vorstellung des Gläubigen ebenbürtige Rivalen Allahs.

„Denn der Prophet – Allah segne ihn und gebe ihm Heil! – hat gesagt: Eine fehlerlose Waschung treibt den Teufel von dannen und vermag die Grausamkeit des Sultans zu bannen.“

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441. Nacht

Weitere Themen, zu denen die Sklavin Tawaddud Fragen beantworten muss: Waschung mit Sand, Bedingungen und Handlungen des Gebets und Armensteuer. Letztere muss entrichtet werden

„von Gold, Silber, Kamelen, Rindern, Schafen, Weizen, Gerste, Hirse, Durra, Bohnen, Kichererbsen, Reis, Rosinen und Datteln.“

Zahlten die Kalifen auch Sekât?

Ein weites Feld eröffnet sich: Das Fasten und seine Gebote.

„Der Gebrauch von Salben und Augenschminke, der Staub der Straße, das Verschlucken des Speichels, der Erguss im Traume oder beim Anblick einer fremden Frau, der Aderlass und das Schröpfen; all das macht das Fasten nicht ungültig.“

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442. Nacht

Das Verhör geht weiter zu den Themen: Gebete der Nacht, Pilgerfahrt. Sie beantwortet alle Fragen ausführlich.

Als der Gelehrte ihre Worte vernommen und dadurch erkannt hatte, dass sie scharfsinnig, einsichtig und von durchdringendem Verstande war und wohlbewandert in der Rechtskunde, der Tradition, der Koran-Auslegung und vielen anderen Dingen, da sprach er bei sich selber: ‚Ich muss sie überlisten, so dass ich sie in der Versammlung vor dem Beherrscher der Gläubigen besiege.‘

Und so fragt er sie nach den wörtlichen Bedeutungen von wudû, salât, ghusl, saum, zakât, haddsch und dschihâd. Als auch dies alles richtig beantwortet wird,

waren die Überführungsversuche des Gelehrten zu Ende.

438.-439. Nacht – Lernen popernen

Lernen popernen

Als wir unsere Tierpark-Runde beenden und uns von einer Tafel über die sieben hier gehaltenen Pelikan-Arten abwenden, frage ich mich spontan, wieviel ich davon behalten habe. Mit einigem Nachdenken kann ich mich an alle sieben erinnern. Heute, einen Tag später, sind es nur noch fünf. Wie bereit ist man überhaupt noch, sich en passant aktiv Wissen anzueignen, wenn es sowieso per Schlauphon abrufbar ist. Ich wette, dass es auch Wissenschaftlern (wenn es nicht gerade Zoologen sind) ähnlich gegangen wäre. Als Kind lief ich damals von Tafel zu Tafel, und merkte mir praktisch alle Tierarten und ihre Besonderheiten.
Im Alter zwischen 20 und 30 lernte ich fünf Fremdsprachen bzw. baute sie aus. Danach nur noch mal kurze zaghafte Versuche, mich an Französisch, Italienisch und Sizilianisch zu versuchen. Die anderen Sprachen bleiben aktiv oder verkümmern, abhängig davon, wie ich mit ihnen konfrontiert werde. Englisch lese und höre ich praktisch täglich. Russisch alle 1-2 Jahre. Bei Spanisch bilde ich mir immer ein, dass ich es jederzeit reaktivieren könnte. Mein Niederländisch ist eine einzige Schummelei, die darauf aufbaut, dass ich flämische Comics zu 90% verstehe. Persisch, das ich über drei Jahre lernte und mit dem ich mich ziemlich gut durch vier Wochen lang durch den Iran schlagen konnte, ist so verkümmert, dass ich mich lediglich an einzelne Vokabeln und einige grammatische Grundlagen erinnere.
Mein Studienfach Soziologie interessiert mich, wenn ich auf die leider inzwischen beinahe als abseitig geltenden Systemtheorie stoße.
Hirnforschung, Philosophie und Psychologie sind zu meinen Steckenpferden geworden. Jura ist es geblieben.
Das Thema Mathematik ist beinahe traurig: Ich war ziemlich gut in Mathematik. So gut, dass ich sie sogar studieren wollte. Wie weit würde ich heute noch mitkommen? Bis zur Differentialrechnung vielleicht?
Theatertheorie nimmt sozusagen aus beruflichen Gründen einen wichtigen Platz ein.
Welche Lernakte sind im Alter von über Vierzig noch bewusst? Wie selektiert man? Ist die Allgemeinbildung ein veraltetes Gut? Wieweit sollte ich Wissen aus der anorganischen Chemie parat haben?
Wichtiger noch: Selbst wenn man nebenbei lernt – über Wikipedia, TED-Vorträge, www.iflscience.com – wieviel behält man davon? Oder stumpft die Konsumtion von Wissen via Internet die Fähigkeit des aktiven Lernens ab?
Oder bin ich zu pessimistisch?

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436. Nacht

Die Sklavin Tawaddud verlangt von Abu el-Husn, sie dem Kalifen Harûn er-Raschîd für zehntausend Dinare anzubieten. Sie sei eigentlich noch mehr wert. Dieser tut das. Der Kalif fragt sie, auf welchen Wissenschaften sie bewandert sei.

Gibt es das in der europäischen Mythologie, in einem Volksmärchen, einer Heiligengeschichte, einer höfischen Erzählung? Dass der Wert einer Frau (genauer Magd) an ihrer Fähigkeit als Wissenschaftlerin gemessen wird?

Tawadduds Aufzählung ihrer Fähigkeiten umfasst eine komplette Buchseite, darunter:

„die Grammatik, die Dichtkunst, die Rechtswissenschaft, die Auslegung der Heiligen Schrift und der Sprachkunde (…), bewandert in der Tonkunst, der Pflichtenlehre, der Rechenkunst (…), der Erdmessung [es folgt eine Dreiviertel-Seite verschiedener Aspekte der Theologie], der  Geometrie, in der Philosophie, der Heilkunde, der Logik, der Synonymik und der Metonymik. (…) die Dichtkunst (…) Wenn ich singe und tanze, verführe ich die Herzen; doch bin ich geschmückt und mit Spezereien gesalbt, so bringe ich tödliche Liebesschmerzen.“

Der Kalif ist einverstanden unter der Bedingung, dass berufene Männer sie prüfen. Als erstes lässt er den Statthalter von Basra, Ibrahim ibn Saijâr en-Nazzâm [Lesenswerter Artikel über ihn bei Wikipedia] rufen, der als beredter Dichter und Philosoph gilt und er möge weitere Wissenschaftler mitbringen.

Gibt es Wissenschaftler eher in Basra als in Bagdad?

Als erstes wird sie von einem Theologen geprüft, den ihre Antworten erstaunen.

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437. Nacht

Die Prüfung dauert an. Sie beantwortet nun u.a. folgende Fragen:

– Was ist der Verstand?
– Wo ist der Sitz des Verstandes?
– Was sind die unerlässlichen Pflichten und die ewig bestehenden Normen?
– Was sind die Erfordernisse des Glaubens?
– Diverse Fragen zur Ausführung des Gebets.

436. und 437. Nacht – Fragen zum Dealerproblem, die ich mir selber nicht beantworten kann

Fragen zum Dealerproblem, die ich mir selber nicht beantworten kann

Erst waren sie weit weg, die Dealer. Hasenheide, Neukölln. Ihre Existenz berührte mich nicht wesentlich mehr als die der Dealer von der 125. Straße in New York City. Hab sie schon mal gesehen. Berührt mich nicht. Und jetzt, seit ein paar Jahren nun also auch im Görlitzer Park. Ich gehe dort joggen, ich fahre dort oft mit dem Fahrrad entlang, und ab und zu fahre ich meinen sprechen- und laufenlernenden Sohn Django dort spazieren. Um die Herren zu ignorieren, sind sie zu präsent. Also bin ich gezwungen, meine widerstreitenden Bedenken und Gefühle unter einen Hut zu kriegen.

  1. Ich kiffe nicht. Insofern kann mir die Anwesenheit der Dealer eigentlich so egal sein wie die eines Nagelstudios. Immerhin – ich habe zwar schon gekifft, mich aber noch nie professionell maniküren lassen. Die akustische Werbung der Dealer „Ss-sss! Some Dope?“ ist zwar aufdringlich, aber auch nicht schlimmer als die ästhetische Beleidigung, die Schaufenster und Ladenschild eines Nagelstudios darstellen. Andererseits:

  2. Nicht nur kiffe ich nicht. Ich halte das Kraut auch größtenteils für schädlich. Man merkt Kiffern an, dass sie kiffen. Gewohnheitsmäßige Kiffer klagen, dass sie nichts gebacken kriegen und bringen ihr Nichts-Gebacken-Kriegen nie in Zusammenhang mit ihrer regelmäßigen Kifferei. Andererseits:
  3. Kiffen sollte legalisiert werden. Gesundheit ist zwar ein schönes soziales Ziel, aber wer sich physisch zerstören will, muss es tun dürfen. Man muss nicht den an dieser Stelle obligatorischen Vergleich mit Alkohol ins Spiel bringen, aber es schadet auch nicht; schließlich zeigt es die Irrsinnigkeit des Hanf-Verbots. Wer den Konsum von Schnaps toleriert und dadurch Sucht, Krankheiten und vorzeitigen Tod von Millionen billigend in Kauf nimmt, kann nicht das zwar ebenfalls krankmachende aber vergleichsweise harmlose Kiffen kriminalisieren. Und man kriminalisiert es auch dann, wenn man den Besitz von Mini-Päckchen toleriert, den kommerziellen Verkauf aber verbietet.
    In Relation zur Gesundheitsfrage erscheint es fast nebensächlich, aber natürlich scheint auch die psycho-soziale Wirkung des Stoffs verträglicher. Zumindest wäre es mir lieber, wenn die acht Hertha-Fans, mit denen ich mir nach einem verlorenen Spiel ihres Vereins den U-Bahn-Wagen teilen muss, gemeinsam eine Riesen-Bong inhaliert hätten als sich pegelsaufend ins Level zwischen Aggressiv Brüllen, Zuschlagen und Kotzen zu manövrieren. Aber:
  4. Die rechtliche Situation ist aber so wie sie ist. Und so stehen die Dealer zu großer Zahl im Görlitzer Park. Jedes Mal, wenn ich denke: ,Ach, das sind jetzt vielleicht doch nur ein paar Leute, die sich sonnen wollen‘, genügt es, den Blickkontakt zu halten. Und prompt werde ich angesprochen, ob ich Dope bräuchte. Wenn ich sage, „zu großer Zahl“, so ist das nicht übertrieben. Es gibt im Görlitzer Park kaum mehr eine Bank, die nicht von dealenden oder sich vom Dealen ausruhenden Afrikanern besetzt wäre.
    Benutzen eigentlich die Grammatik-Feministinnen hier auch ein großes I? Also Dea-lerInnen? Oder ist der in diesen Kreisen übliche Sprech jetzt „Dealende“? Völlig un-nötig. Es sind einfach keine Frauen dabei. Warum, weiß ich nicht. Ebenso wenig wie die geschlechtliche verstehe ich die ethnische Aufteilung prekärer Jobs. Steht irgend-wo geschrieben, dass nur diejenigen Punks, die in katholischen Ländern wie Spanien, Polen und Italien aufgewachsen sind, an Kreuzungen Autoscheiben putzen dürfen? Welcher soziale Mechanismus führt dazu, dass ausgerechnet Pakistani das Rosenverkaufs-Monopol innehaben? Warum sollte Marihuana eine afrikanische Spezialität sein? Anscheinend gibt es einen gewissen Sozial-Magnetismus: Du landest als Afrikaner in Berlin und irgendwann hörst du, dass sich Afrikaner im Görlitzer Park rumtreiben. Also gehst du zu ihnen, und fühlst dich bei ihnen wohler als bei den Verkäufern von Straßen-Magazinen. Und Akkordeon, Trompete und Saxofon hast du auch nicht dabei, um wie die Rumänen als Trash-Folk-Band durch die Öffentlichkeit zu ziehen. Aber:
  5. Fast alle Dealer, so war zu lesen, sind Asylbewerber, stehen also bei ihrer Tätigkeit schon mit einem Bein im Abschiebeknast, sicherlich nicht gerade das, was man sich gewünscht hat, als man sich von Togo aus auf den Weg gemacht hat. Die Gruppen von 10-15 Männern – wieviel mögen sie am Tag verkaufen? Was bleibt an Gewinn übrig? Sind es die größeren Ladungen, die das Geld bringen? Ist es der härtere Stoff, der das Geld bringt? Inzwischen wird ja auch Koks, Heroin und Chrystal Meth ge-dealt, die Depots sind überall – zwischen Schwimmbad, Kuhle, Kinderbauernhof und dem Damm, der bis nach Treptow führt. Dieses Problem wird ein Coffee-Shop jedenfalls nicht lösen. Und über die Legalisierung dieser Substanzen wechsle ich meine Meinung je nachdem, mit wem ich spreche. Außerdem:
  6. Neulich war ein Graffito im Görlitzer Park zu lesen: „Bullen raus! Keine Spießer-überwachung im Görli!“ Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass der Schriftzug von einem der afrikanischen Dealer kam. Im Vergleich zu anderen Orten ist die Polizei im Görlitzer Park ja recht milde zugange. Mal ganz abgesehen davon, dass sie die Depots sowieso fast nie findet. Aber man kommt unweigerlich zur Frage: Wer definiert, was an einem Ort OK ist? Ist es OK, wenn im Görlitzer Park der Grilldreck jede Freifläche bedeckt? Ist es in Ordnung, wenn Hunde in der Größenordnung von Miniponys kleine Kinder anspringen? Ist es in Ordnung, wenn sämtliche Sitzbänke von Dealern besetzt sind? Es ist wie in WG-Debatten – Wen es stört, dass die Socken in der Küche rumliegen, hat schlechte Karten, wenn das allesschlagende Sozial-Gebot Toleranz heißt und durch keine Kompromisse relativiert wird. Und dann das hier:
  7. Gehe mit Django in der Nähe des Spielplatzes spazieren, in dessen Nähe sich eine Dealertruppe sonnt. Warum zum Teufel in der Nähe des Spielplatzes! Hätte ich we-niger Probleme damit, wenn in der Nähe ein Spätverkauf mit Spirituosen stünde? Ich weiß es nicht. Und von allen Richtungen, in die der zweijährige Django laufen kann, wählt er die Richtung Dealertruppe. Die sind anscheinend selber über die unerwartete bewertungslose Neugierde verwirrt. Man schüttelt sich die Hände, stellt einander vor, geht auseinander. Und irgendwie bin ich froh über diese Begegnung. Und dann kurze Zeit später:
  8. Nach langer Zeit gehe ich mal wieder joggen. Nicht durch Kreuzberg. Bleibe bei meiner alten Route durch den Treptower Park und den Plänterwald. Beim Sowjeti-schen Ehrenmal lehnt einer der Afrikaner mit legeren Adidasklamotten an einem Geländer. Geht das jetzt nicht doch zu weit? Meine Empörung über das Dealen in meinem Heimatpark lässt sich moralisch gut befeuern durch die Tatsache, dass wir uns hier in unmittelbarer Nähe eines Friedhofs mit über 2.000 Gefallenen der Roten Armee befinden. Ist das nicht doch recht pietätlos? Soll man was sagen oder nicht? Als ich auf seiner Höhe bin, hat sich die Frage erübrigt: Der Afrikaner legt ein Bein übers Geländer und dehnt sich ausgiebig. Dann joggt er mir hinterher. Kein Dealer, ein Jogger! Joggen in der Nähe des Friedhofs. Auch pietätlos irgendwie?

436. Nacht

Die Alte fährt fort mit einer Anekdote über el-Haddschâdsch ibn Jûsuf, an den eine Petition erging:

"Fürchte Allah und übe keinerlei Bedrückung gegen die Diener Allahs!"

El-Haddschâdsch ibn Jûsuf rechtfertigt sich nun damit, dass ihn Allah über das Volk gesetzt habe wegen dessen (böser) Taten.

"Wenn ich es nicht bin, so ist es einer, der noch schlimmer ist als ich, der noch härter bedrückt und noch grausamer herrscht."

Der arme Tyrann als Schlimmeres-Verhinderer. Ähnliches kennt man heute von Militärdiktaturen. In Wirklichkeit hat er mit seinem Herrschaftsstil so viele gegen sich aufgebracht, dass es immer wieder zu Aufständen kam. Nach seinem Tod wurden 80.000 Menschen aus den Gefängnissen entlassen.

 

***

 

Die Geschichte von der Sklavin Tawaddud

Ein reicher Kaufmann wird alt und gebrechlich, ohne einen Nachkommen zu haben. Nachdem er bei Allah um einen solchen fleht, empfängt eine seiner Frauen von ihm.

Und in der Nacht zum siebenten Tage nach der Geburt des Knaben gab er ihm den Namen Abu el-Husn; die Ammen nährten ihn, die Pflegerinnen hegten ihn, und die Mamluken und Eunuchen trugen ihn, so dass er wuchs und spross und in die Höhe schoss.

Auch für seine Bildung wird gesorgt.

So ward er zur Perle seiner Zeit und zum schönsten Jüngling weit und breit, mit einem Antlitz der Lieblichkeit, einer Zunge der Beredsamkeit, der sich wiegte und neigte im Ebenmaß seiner Gestalt und selbstgefällig dahinschritt in seines Stolzes Gewalt.

Doch dann liegt sein Vater im Sterben, nicht ohne vorher allerlei Mahnungen seinem Sohn auf den Weg zu geben,

bei denen man schon ahnt, dass er sich nicht an sie halten wird.

Nachdem Abu el-Husn eine lange Zeit getrauert hat, reden ihm seine Freunde zu:

"Was dahin ist, ist dahin. Trauer kann nur Mädchen und Frauen gebühren, die im Harem ein abgeschlossenes Leben führen." In dieser Weise redeten sie immer weiter zu ihm, bis er ins Badehaus ging; und auch sie gingen dorthin und machten seiner Trauer ein Ende.

***

437. Nacht

Die bösen Freunde sind es also, die ihn dazu überreden, sein Geld auszugeben. Er fängt an, Wein zu trinken und sein Geld zu verprassen, bis ihm nichts mehr geblieben ist außer einer schönen Sklavin.

Ihr Wuchs betrug fünf Spannen der Hand, und sie war des Glückes Unterpfand.

Ob sich der Übersetzer Littmann hier von dem "Lied der Deutschen" hat beeinflussen lassen?

Ihre Stirn war wie der Neumond im verehrten Monate Scha’bân anzuschauen; sie hatte Gazellenaugen und schön gewölbte Brauen. Ihre Nase war wie des Schwertes Schneide; und ihre Wangen prangten im Anemonenkleide. Ihr Mund schien das Siegel Salomons zu sein; ihre Zähne waren wie Perlenreihn. Ihr Nabel konnte eine Unze Behennussöl fassen; ihr Rumpf war schlanker als der Leib dessen, den die Liebe verzehrt und heimliche Sehnsucht hatte dahinsiechen lassen; und ihre Hüften waren wie der Sandhügel Massen.

Die Tiefe des Nabels als Schönheitskriterium!

Dem Vollmond ist sie gleich, da sich
Zu Fünf und Vier die Vier gesellt.
Ich bin nicht schuld, bin ich durch dich
Ihm gleich, wenn er die Nacht erhellt.

Littmann merkt dazu an: "Das Mädchen ist vierzehn Jahre, der Vollmond vierzehn Tage alt. Der Dichter wird um der Liebe zu dem Mädchen blass wie der Mond."

Nachdem sich Abu el-Husn drei Tage lang seinem Leid hingegeben hat, verlangt sie von ihm, zu Harûn er-Raschîd geführt zu werden.

Rezension „Untergetaucht“ von Marie Jalowicz Simon

Im Jahre 1941 wird die knapp 18jährige Berlinerin Marie Jalowicz zur Zwangsarbeit verpflichtet, weil sie Jüdin ist. Seit ein paar Wochen ist sie Waise und muss sich nun alleine durchschlagen. Als die Gerüchte, die nach Osten Deportierten würden dort ermordet, sich zur Gewissheit verdichten, taucht sie unter. Vier Jahre lang von einer zur anderen Unterkunft – zwanzig Stationen. Einmal nutzt sie sogar die Liebesbeziehung zu einem Bulgaren, um mit ihm nach Sofia zu fahren, in der Hoffnung, in die Türkei zu fliehen, nur um dann wieder zurückkehren zu müssen. Sie kommt unter bei jüdischen Freunden und Freunden von Freunden; bei kommunistischen Arbeiterfamilien; bei Lumpenproletariern, die ein verwanztes Zimmer vermieten wollen; bei einer exaltierten Künstlerin; bei Leuten, die aus purem Anstand Nazigegner sind; und sogar unter Vorwand bei einem eingefleischten Nazi. Es helfen ihr Anpassungsfähigkeit, Chuzpe, Charme und vor allem – das wird sie nicht müde zu betonen – immer wieder Glück.
Sie beendet ihre Zwangsarbeit, indem sie sich mehrmals krankschreiben lässt; und als später ein Brief vom Arbeitsamt kommt, sagt sie dem Briefträger, die Jalowicz sei in den Osten deportiert worden.
Kurioserweise kommt ihr auch die in den Berliner Arbeiter-Wohngebieten verbreitete Schoddrigkeit zugute – Säufer und Prostituierte und Arbeiter pflaumen Nazis an. Als ihr Zweck-Verlobter sie mit dem Stiefel verprügelt und sie ein blaues Auge davonträgt, ist sie regelrecht froh; denn erst jetzt sei ihr der Übergang zum Proletariat auch äußerlich anzusehen.
Und in jeder neuen Situation macht sie sich klar: Was auch immer geschieht, sie wird nicht mitgehen, wenn die Gestapo kommt. Und dann klingelt es tatsächlich eines morgens an der Tür. Sie spielt die Halbblöde, die sich für die lange Zeit der Vernehmung noch von der Nachbarin „’n Stücke Brot borgen will. Dürf ick mir det holn? So in Unterrock …. Naja, mir sieht ja keena früh um sechse, und … na, wegloofen kann ick Ihn’ ja so bestimmt nich.“ Und währen die Vermieterin lenkt den Gestapo-Mann mit weitschweifenden Gesprächen ablenkt, veralbert Jalowicz den unten wartenden Gestapo-Mann auf ähnliche Art und flieht in Unterwäsche in den frühen Berliner Morgen, wo ihr glücklicherweise ein Arbeiter hilft.
Die Odyssee ist spannend und interessant, aber leider doch irgendwie unspannend geschrieben, und es wirkt nicht, als sei es Absicht. Dem Buch liegen 77 von Jalowicz in einem sanft geführten Gespräch besprochene Tonbandkassetten zugrunde. Hätte man es nicht ein wenig straffen können?
Anscheinend begann Marie Jalowicz Simon erst in den 80ern über ihre Erfahrungen ausführlich zu sprechen. Das hat einen seltsamen Effekt: Die Perspektive bleibt die der naiven Zwanzigjährigen. Nicht nur bei ihren Feinden, sondern auch bei fast jedem ihrer Helfer und Freunde lässt sie sich despektierlich über die Äußerlichkeiten aus. Das blonde dicklich e Kind der Freundin einer Helferin wird als „der kleine Germane“ bezeichnet. Eine ebenfalls untergetauchte ungarische Familie kommt in die Wohnung und macht sich „unerträglich in der Küche breit.“ Sie übernimmt die Berliner Schnauze von damals. Nur selten relativiert sie ihre Angriffe. Die Familienfreundin Hannah Koch organisiert ihr über Jahre hinweg Lebensmittel und Geld und lässt sie gegen Kriegsende auch bei sich wohnen. Und doch unterstellt Jalowicz ihr vor allem Eigensucht. „Erst nach und nach begriff ich, dass Hannchen Koch noch etwas anderes belastete: Mit dem Krieg würde auch meine Abhängigkeit von ihr zu Ende gehen. Die grandiose Rolle der Widerstandsheldin, die diese schüchterne Frau aus armen Verhältnissen jahrelang gespielt hatte, war damit vorbei.“ Koch habe Jalowicz gebraucht, um ihre Sucht zu helfen zu auszuleben. Nicht dass man als junger Mensch – vor allem als Mensch in Not – nicht so denken kann, aber als Greisin, die auf ihr Leben zurückblickt, könnte man doch auch versuchen, die Perspektive dieser Menschen zu verstehen. Nach dem Krieg sei ihre Gefühlsverhärtung aufgebrochen. Davon merkt man wenig.
Zwischendurch viel Phrasenhaftes: Jemand „schimpft wie ein Rohrspatz“ usw.
Soziologisch interessant ist denn das Buch auch vor allem, wo es die Berliner Milieus beleuchtet: Da wird gestritten und geschlagen. Frauen müssen arbeiten, werden verprügelt. Nachbarn belauschen einander, tratschen im Hausflur. Pöbelei ist allgegenwärtig. So wirken selbst heutige Schulhofgespräche in Neukölln zivilisierter.
Das Eingesperrtsein in der DDR erwähnt das spätere SED-Mitglied überhaupt nicht.

  • Der jüdische Gynäkologe Benno Heller überredet Dutzende, wenn nicht Hunderte jüdische Frauen, unterzutauchen, bis ihn schließlich eine Jüdin, die das nur widerwillig tut und bei einer furchtbaren Vermieterin landet, verrät, weil sie meint, viel schlimmer als bei dieser Vermieterin könne es im Lager auch nicht sein. Als ihn die Gestapo abholt, ist die ganze Wohnung voller Juden, um die sich aber niemand kümmert.
  • Die in der DDR hochgelobten Kurierdienste der Bästlein-Gruppe waren Kartoffeltransporte von Marie Jalowicz. Überhaupt zweifelt sie am kommunistischen Widerstand, der wenig bewirkte als gegenseitige Selbstvergewisserung.
  • Strategie: Niemals Kontakt zu jüdischen Gruppen suchen. Die äußeren Merkmale der einzelnen Juden würden sie addieren zu einer Stürmer-Karikatur, so dass schließlich alle als Juden erkennbar wären.
  • Nach Konzerten oder Theater warteten jüdische „Greifer“ am Ausgang und verrieten die bürgerlichen untergetauchten Juden.
  • In Magdeburg fällt sie durch ihr Äußeres auf – nicht als Jüdin, sondern als Berlinerin.
  • Eine kommunistische Helferin erwirbt billig „Judenmöbel“. „Wenn ich sie nicht kaufe, nimmt sie ein anderer.“
  • Zwischendurch feiert sie irgendwann Pessach, „indem ich immer wieder den Refrain Dajenu sang.“
  • Ein Trick: Behaupten, man sei lange Koch gewesen. So kommt man an Lebensmittel.
  • Es gab eine „Markthalle“ in der Rigaer Straße. Wo?
  • In einem Haus schlägt ein Nachbar ungefragt Durchbrüche auf den Dachböden, um ihr eine Fluchtmöglichkeit zu geben, falls die Gestapo kommt.
  • Der Holländer schlägt sie, weil sie nicht seine Vorliebe für mit Kaffee-Ersatz und Zucker bestreutes Schwarzbrot teilt.
  • Sie erträgt diverse Vergewaltigungen oder Nötigungen –vorm Untertauchen, währenddessen und auch danach. Einer ihrer Helfer rächt sich so posthum an ihrem Vater, der ein Verhältnis mit seiner Frau gehabt hat.
  • Eine alte schwerhörige Helferin meint, dass 1945 die jungen Männer zum „Volks-Turm“ sollen, wo jeder eine „Panzerfrau“ bekäme.
  • Man halte sich fern von Ämtern und dergleichen: „Gehe nicht zu deinem Fürscht, wenn du nicht gerufen wirscht.“
  • Eine einfache Frau ist so beschränkt, dass sie ihre beiden Töchter Veronika nennt.
  • In den letzten Kriegstagen fährt noch eine S-Bahn nach Kaulsdorf.

Mein Senf zur Krim – 435. Nacht.

Hier, vielleicht etwas spät, mein Senf zur Krim

Was mich in den letzten Wochen am meisten an den Russland-Verstehern genervt hat, war der Verweis auf "Die Geschichte" der Krim, die ja viele im Westen ignorieren würden. Wer sich in der Politik auf Geschichte beruft, will meistens betrügen. Und je kleiner die Jahreszahl, um so sicherer kann man davon ausgehen, dass dieser Satz wahr ist. Wenn es dabei noch um Gebietsansprüche geht, kann man auch noch mit großer Sicherheit davon ausgehen, dass der, der es fordert, ein Verbrecher ist. Ja, die Krim gehörte lange Zeit zu Russland. Na und? Stettin gehörte Jahrhunderte zu Deutschland. In diesen Debatten spielt die Geschichtswissenschaft die Rolle einer Geburtshelfern des Kriegs. Beide Seiten haben immer Gute Gründe, diese oder jene Jahreszahl aus der Wünsch-dir-was-Tombola zu ziehen.
Das Problem ist nur: Wir leben nicht im Früher, sondern im Heute. Und heute gilt die Souveränität der Staaten, einschließlich ihrer Territorialgrenzen, die nur unter bestimmten völkerrechtlichen Bedingungen verändert werden können. Ein Referendum ist da kein hinreichendes Kriterium.
Die moderne Staatenordnung nach dem Ersten Weltkrieg kam mit einem Geburtsfehler auf die Welt: Bei der Zerschlagung der Imperien ist man davon ausgegangen, dass Frieden am besten durch ein ethnisch interpretiertes "Selbstbestimmungsrecht der Völker" gewährleistet sei. Und das zieht sich bis heute als Leitmotiv durch die europäische Politik.
Jugoslawiens Zerfall wurde interpretiert als Explosion eines Kessels, auf den das Tito-Regime den Deckel gehalten habe. Dabei war es der Westen, der den nationalistischen Kräften in die Hände gespielt hat. Als erstes mit der scheinbar harmlosen Anerkennung Sloweniens. "Scheinbar", weil es zwar in Slowenien kaum zu einem spürbaren Krieg gekommen war, aber wer Slowenien anerkannte, konnte ja schlecht den Kroaten die Anerkennung verweigern und so weiter und so fort. (Man stelle sich vor, die Jugoslawen hätten 1991 einen Antrag auf ein Assoziierungs-Abkommen mit der EU gestellt. Wie viel Leid wäre allen erspart geblieben.)
Mit welcher Begründung verweigert man eigentlich den nationlaistischen Basken und Katalanen ihre Unabhängigkeit? Wenn der russischen Regierung so viel am Selbstbestimmungsrecht der Völker läge, sollten sie mal Referenden in Tschetschenien oder Tatarstan abhalten. (Nicht dass ich denke, dass eine Unabhängigkeit in allen diesen Fällen die richtige Wahl wäre.)
So wie früher die Kommunisten sagten: "Wo ein Genosse ist, da ist die Partei", da sagen nun die Russen offenbar: "Wo ein Russe ist, da ist russische Interessens-Sphäre." Die Balten werden sich freuen. Und ist erst einmal die Krim gefallen, dann kann die übrige Ukraine sich schon mal auf was gefasst machen. Militärischen Beistand vom Westen kann keine ukrainische Regierung- ob mit oder ohne Faschisten als Kabinettsmitglieder – erwarten. Für Putin ist das alles auch zuhause wichtig: Er kann die Muskeln spielen lassen und den Russen zeigen, was für ein toller Hecht er ist: Nicht mal der Westen traut sich, ihm ans Rad zu pissen.
Das Völkerrecht erodiert wieder einmal. Das ist schlimmer als es sich anhört. Denn wenn man sich auf nichts gegenseitig Verbindliches mehr berufen kann, gilt nur noch das Machbare. Und das Machbare ist das, was der Stärkere machen kann.
In der Internationalen Politik unterscheidet man zwischen zwei grundlegenden Ansätzen: Dem "Realismus" und dem "Institutionalismus". Die Realisten gehen, kurz gesagt, von einem anarchischen Staatensystem aus. Kooperationen und Verträge sind allenfalls kurzfristiges Mittel zum Zweck. Wer das Interesse, die Macht und die Gelegenheit hat, die Verträge zu brechen, wird das auch tun. Die Institutionalisten hingegen betonen den Wert der Kooperation und völkerrechtlicher Verträge über das kurzfristige Ziel hinaus. Der Witz ist, dass beide Ansätze selbsterfüllende Prophezeiungen sind: Je eher ich bereit bin, der anderen Seite Vertrauen zu schenken, desto eher wird sie mir vertrauen. Umgekehrt, je eher ich bereit bin, mich über die Verträge und Konventionen hinwegzusetzen, umso eher wird das auch mein Gegenüber tun und ich werde in der Annahme des Staaten-Anarchismus bestätigt. Der Realismus ist durch die Kraft der Fakten, die er schafft am längeren Hebel. Ich kann Vertrauen schenken und trotzdem übers Ohr gehauen werden. Aber wenn ich umgekehrt Verträge breche, wird mir keiner vertrauen.
An der Erosion des Völkerrechts hat also der Westen erheblichen Anteil. Vor allem die USA. Die Vereinigten Staaten waren – mit kurzen Ausnahmen wie Wilson, Roosevelt, Carter – nie ein großer Freund des gemeinschaftlich entstehenden und durchgesetzten Völkerrechts. Nach dem Kalten Krieg hat diese Arroganz neue Züge angenommen. Aus lauter Desorientierung rief George Bush sen. zum Aufbau einer neuen Weltordnung. Schön und gut, aber der Ruf ging nicht nach Osten. Die Frage, ob man denn die Nato noch brauche, wenn der Warschauer Pakt sich auflöst, wurde nicht gestellt. Stattdessen wurde aus dem Verteidigungsbündnis ein Interventionsbündnis. Deutschland begann nach und nach die Schleusen zu öffnen: Entlastung der Nato-Einheiten in der Türkei während des 1991er Irak-Kriegs, 1991 in Kambodscha ein paar Sanitätssoldaten (um die Reaktion der Öffentlichkeit zu testen: Wer kann schon etwas gegen Sanitätssoldaten haben), die Awacs-Einsätze, bei denen sogar das Bundesverfassungsgericht eingeknickt ist und die Verfassung derart skandalös aber nachhaltig interpretiert hat, dass die Folgen bis heute spürbar sind und nicht mehr hinterfragt werden.
Präsident Clinton bemühte sich zumindest um internationale Absicherung, auch wenn die Bombardierung Serbiens völkerrechtlich zumindest zweifelhaft war. Unter George W. Bush kamen die Einpeitscher Cheney und Condoleezza Rice zum Zuge. Und mit dem Einmarsch im Irak waren alle Konventionen fallengelassen. Obama zog zwar die Truppen aus dem Irak ab, aber nun zeigt sich, dass das nur eine Frage der instrumentellen Vernunft war – mit dem Trümmerhaufen wollte man nichts mehr zu tun haben, es war schlicht zu teuer und machtpolitisch unsinnig. Aber der Einsatz von Drohnen ist zum neuen Spielzeug billiger völkerrechtswidriger Intervention geworden.
Ja, warum sollte sich Russland unter diesen Bedingungen nicht ermutigt fühlen zuzuschlagen? Der Westen kann nicht mal den Zeigefinger auf Russland richten, ohne dass drei Finger auf ihn zeigen: Die anhaltende Ethnisierung der Außenpolitik; die Selektivität, mit der der Westen auf Menschenrechte pocht oder auch nicht; die militärischen Brüche des Völkerrechts. Russland hatte die Sache ganz offensichtlich schon seit langem vorbereitet: Die Truppen waren bereit, die Abstimmungszettel gedruckt, die Logistik für die Einführung des Rubel stand.
Ach ja: Und die Jahreszahlen hatte man auch parat. 882, 1783. Nur falls jemand fragen sollte.

 

***

435. Nacht

Der Pilger lobt das eigene Land in den höchsten Tönen

"In unserem Land gibt es geräumige Häuser, reife und köstliche Früchte, zahlreiche süße Gewässer, wohlschmeckende Speisen, fettes Fleisch, viele Herden von Kleinvieh…"

Die Alte erwidert:

"… habt ihr nicht einen Sultan,  der über euch herrscht und der euch Unrecht antut, während ihr unter seiner Gewalt steht; der einem jeden von euch, wenn der sich vergeht, seine Habe nimmt und ihn vernichtet; der euch, wenn er will, aus eurfen Häusern vertreibt und mit der Wurzel ausrottet." Der Pilger antwortete: "So mag es wohl sein." Da fuhr die Alte fort: "Wenn dem so ist, so sind, bei Allah, jene Speisen der Köstlichkeit und das Leben in Herrlichkeit, ja all die Freuden und Wonnen bei Tyrannei und Bedrückung nur ein Gift von durchdringender Kraft, während unsere Speisen, die wir hier in Sicherheit genießen, ein Heilkraut sind, das Genesung schafft…"

Kurioserweise richtet sich der Erzähler (oder Schehrezâd) nun direkt an die Zuhörer oder die aktuellen Herrscher: Man brauche einen klugen und starken Herrscher, da das Volk auf Gemeinheit sinne.

Lieber hundert Jahre der Tyrannei des Sultans als ein einziges Jahr der Tyrannei des Volks untereinander. Wenn die Untertanen einander bedrücken, so setzt Allah über sei einen Sultan der Grausamkeit und einen König der Gewalttätigkeit. (…)
Da bemerkte Schehrezâd, dass der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an.

Hiro Onoda versus Pinocchio – 431., 432., 433., 434. Nacht

Onoda versus Pinocchio

Hiro Onoda ist tot. Der Japaner starb am 16. Januar 2014 im Alter von 91 Jahren. Angeblich an Herzversagen. Ich aber tippe auf Schlechtes Gewissen als Todesursache. Im Zweiten Weltkrieg war Onoda als Offizier des militärischen Geheimdienstes auf den Philippinen eingesetzt und kämpfte erbittert weiter. Selbst als die kaiserliche Regierung schon lange kapituliert hatte, fühlte er sich an seinen Eid weiter gebunden. Er war dem japanischen Kaiser treuer als dieser gegenüber seiner eigenen idiotischen Kokutai-Ideologie. Mit drei Kameraden hielt er im philippinischen Dschungel aus und wartete auf den Tag, an dem sich das Blatt wenden würde. Selbst als seine Kampfgefährten flohen oder starben, selbst als Flugblätter mit kopierten Briefen von der Regierung und von seiner Familie auf ihn herabregneten, hielt er durch, denn das konnte ja alles nur ein Trick sein. Eines Tages, so war er sich sicher, würden ihn die kaiserlichen Truppen raushauen, und dann würde man es den Amis so richtig zeigen. 30 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, die Amerikaner waren gerade dabei, gleich nebenan einen anderen Krieg zu verlieren, begegnete er einem japanischen Studenten, der auf der Suche nach Onoda, dem Panda und dem Yeti war. Und jetzt kamen ihm erste Zweifel. Aber erst ein unterzeichneter Befehl seines früheren Vorgesetzten Major Taniguchi konnte ihn dazu bewegen, mit dem Abbrennen philippinischer Reisfelder aufzuhören. Zu dieser Zeit trug er immer noch seine Uniform, sein Katana-Schwert, sein Gewehr sowie etwa 500 Schuss Munition und mehrere Handgranaten bei sich. Für Onoda war es die Demütigung seines Lebens: Vom Geheimdienst-Offizier zum Survival-Robinson, und sein Kaiser hatte ihn vergessen. Vor allem aber war er enttäuscht von sich selbst. Nach all den Jahren hatte er den Eid doch gebrochen.

So wie ich. Ich erinnere mich noch genau. Es war ein sonniger November-Tag im Jahre 1987, als ich bewaffnet und in Uniform schwor, der DDR „zu dienen, den Sozialismus gegen alle Feinde zu verteidigen und mein Leben zur Erringung des Sieges einzusetzen. (…)Sollte ich jemals diesen meinen feierlichen Fahneneid verletzen, so möge mich die harte Strafe des Gesetzes unserer Republik und die Verachtung des werktätigen Volkes treffen.“
Wenn ich heute einkaufen gehe oder S-Bahn fahre, sehe ich die Verachtung in den Augen der Werktätigen: „Ach!“, denkt die Edeka-Kassiererin, wenn sie bekümmert und lustlos meine westdeutschen Waren über den Scanner zieht und mürrisch „23,89“ sagt, „auch so einer, der seinen Eid damals brach und dem wir die ganze Scheiße hier zu verdanken haben.“
In meinen häufigen Alpträumen hält die gesamte DDR-Bevölkerung inne, alle drehen sich zu mir um und schütteln missbilligend die Köpfe. „Aber was hätte ich denn tun sollen!“, schreie ich sie schuldbewusst an. Dabei wird es doch am Beispiel des braven Soldaten Onoda sonnenklar: Harre aus in den Wäldern Ostdeutschlands! Das Volk der DDR ist nicht so geschichtsvergessen wie der abgehobene japanische Kaiser. Der Plänterwald zum Beispiel. Im Vergleich zum philippinischen Dschungel, das muss doch jeder zugeben, wäre es doch ein Kinderspiel, da zu überleben. Gemäßigtes Klima, keine gefährlichen Raubtiere. Und von Schlangen, Spinnen und Malaria-Mücken ausgehende Gefahr hält sich in Grenzen. Ernähren könnte ich mich von Blaubeeren, Pilzen und Eichhörnchen. Und um das Ganze ernährungsphysiologisch abzurunden könnte man sich von Zeit zu Zeit einen Abstecher zu Burger King leisten. Natürlich wäre im locker geforsteten Laubwald die Gefahr hoch, von Spaziergängern entdeckt zu werden. Aber auch dafür gäbe es eine Lösung. Ich könnte mich verkleiden als Jogger und mich unerkannt unter die Einheimischen mischen. Ohne dass sie wüssten, welche Pläne ich wirklich hege, könnte ich mir eine Wohnung in einer der nahegelegenen Straßen Treptows suchen und dort als Schläfer ausharren, bis der Wind sich dreht und die arbeitende Klasse mich ruft. Dann, Agenten des Imperialismus, geht’s euch an den Kragen.

Aber ach, welchen Wert hat denn heute noch ein Eid, ein Schwur, ein Versprechen? Im Februar 1990, kurz bevor das SED-Regime endgültig kollabierte, wurde mein Freund Willy zur NVA eingezogen. Warum er sich nicht einfach nach Westberlin verpisste, wo man dem Ruf zur Waffe bequem ausweichen konnte, ist mir bis heute unklar. Er schwor den zu jener Zeit bereits antiquiert wirkenden Eid, nur um kurz nach den Volkskammer-Wahlen im April erneut auf die DDR vereidigt zu werden, diesmal aber mit dem nach dem Minister benannten um alle sozialistischen Bezüge entschlackten Eppelmann-Eid. Der Anschluss an die alte BRD ließ nicht lange auf sich warten. Nachdem sich Willy von einem Bein-Durchschuss, den ihm ein zu drastischen Späßen aufgelegter Kamerad verpasst hatte, erholt hatte, schwor er: „Ich gelobe, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen.“ Wäre er Soldat auf Zeit gewesen, hätte er den Zusatz „so wahr mir Gott helfe“ anhängen müssen, ein Gott, den Willy für genausowenig existent hielt wie den Weihnachtsmann. Gesetzt den Fall, es gebe diesen Gott trotzdem, so könnte man fragen, ob er dem ungläubigen Willy dennoch hülfe. Aber die „ethisch-religiöse Bindungskräftigung“, wie es in den Kommentaren zum Soldatengesetz heißt, die wäre dahin.
Kritiker der Vereinigung bemerkten damals, dass die DDR sich lieber an Dänemark hätten anschließen sollen, da die dortige Mentalität eher mit der ostdeutschen kompatibel sei, was sich durch den Spruch des dänischen Film-Ganoven „Ich habe einen Plan“ und dem regelmäßigen Scheitern dieser Pläne belegen ließe. Willy, so vermute ich hätte seine Treue auch dem dänischen oder dem marokkanischen Volk geschworen.
Genaugenommen war er mit seinen drei Schwüren pro Jahr nicht einmal besonders produktiv, zumindest wenn man die heutige Schulholf-Schwörerei als Maßstab nimmt. „Chschwöre“, ist die andauernde Beteuerung des Halbstarken, dem man ohnehin kaum glaubt und der gerade deshalb seinen Gesprächspartnern immer wieder versichern muss, gerade dies Mal nun wirklich die Wahrheit zu sagen. Überhaupt scheint das der Schlüssel des Schwörens zu sein: Je größer die Anfälligkeit zum Abhauen und zur Illoyalität, umso eher muss geschworen werden. Wenn Gewehre und Kanonen auf dich gerichtet sind und die Lage aussichtslos scheint, musst du schon ordentlich mit Ehre oder Angst vollgepumpt sein, um nicht Reißaus zu nehmen. Vor Gericht wirkt sich Lügen fatal aus, was auch schon Moses wusste, als er das Lügen im Allgemeinen zwar zuließ, aber das falsch Zeugnis wider den Nächsten ablegen, verbot. Und so wird allenthalben geschworen, sobald vorne einer eine Robe anhat.
„Wo du hörest hohe Schwüre, steht die Lüge vor der Türe.“ Wo geschworen wird, herrschen Macht, Angst, Ungerechtigkeit, Unsicherheit.
Ob die Bundeskanzlerin manchmal, in diabolischen Momenten sich wünscht, sie dürfte den Nutzen vom deutschen Volke abwenden und den Schaden fürs deutsche Volk mehren? Doch dann erinnert sie sich wieder: „Ach ja, ich hab ja damals das Gegenteil geschworen. Dann wird ich wohl mal wieder ans unangenehme Tagwerk der Nutzenmehrung und Schadenabwendung gehen.“
Das in der bundesdeutschen Öffentlichkeit bekannteste Ehrenwort stammt ja bekanntlich vom Oberlügner, dem schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Uwe Barschel. „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, dass die gegen mich erhobenen Vorwürfe haltlos sind.“ Und man erkannte damals, noch während er sprach, diese betont schlaffe Unschulds-Mimik des schlimmsten Lügners der Schule, wenn er vom Direktor ertappt wurde und nach der Unschuldsbeteuerung schnell nach rechts unten schielte.
Aber Barschel war kein Hiro Onoda. Merkel ist kein Hiro Onoda. Ich bin kein Hiro Onoda. Im Vergleich zu Hiro Onoda sind wir alle nichts als kleine Pinocchios. Und das ist vielleicht gar nicht mal so schlimm.

 

***

431. Nacht

Umständlich wie üblich berichtet Ali seiner Frau, was ihm zugestoßen ist, und wir hören es auch noch mal.
Er lässt sich in Bagdad als Kaufmann nieder und wird der berühmteste unter ihnen, so dass auch der König von Bagdad von ihm erfährt.

Was "der König von Bagdad" sein soll, habe ich nicht herausfinden können. Offenbar wohl nicht der Kalif, sonst hätten sie ihn ja so genannt. Infrage käme dann nur die vor- oder nach-abassidische Ära.

Der König lässt ihn jedenfalls holen und lobt ihn:

"Kaufmann, du hast unser Land beglückt!"

Das ist nun eine bemerkenswerte Auffassung für einen König.

Ali schenkt dem König vier goldene Platten voller Edelsteine. Dieser wiederum ist so erfreut, dass er Ali gleich seine Tochter zur Ehe anbieten will.

***

432. Nacht

Die Berater halten die Hochzeit zwischen Ali und der Prinzessin für eine gute Idee, ebenso die Gemahlin des Königs.
Ali und der "Kadi des Diwans" werden geholt.

Der Diwan ist der Hofrat der Regierung. Das wiederum macht es wahrscheinlicher, dass die Geschichte zur Zeit des Osmanischen Reichs spielt, welches ab 1534 n.Chr. Bagdad beherrschte.

Ali wendet ein, er sei ja schon verheiratet und legt dem König nahe, seinen Sohn mit ihr zu vermählen.

"Ich gewähre dir nicht nur diese Gunst, sondern ich mache dich auch zum Wesir."

Wozu? Glaubt der König, ein reicher Mann könne ihm gute Ratschläge geben oder gut mitregieren? Wieder ein schöner Fall von vor-systemischer sozialer Differenzierung: Der Kaufmann wird ohne Umschweife ob seines Reichtums zum Wesir gemacht. Sein scheinbares kaufmännisches Talent soll sich in politisches Geschick übersetzen lassen?

Man feiert die Hochzeit.

Am Ende der dreißig Tage ging Hasan, der Sohn des Wesirs, zur Tochter des Königs ein und freute sich ihrer Schönheit und Lieblichkeit.

Außerdem werden neben dem königlichen Palast zwei weitere Schlösser errichtet – eines für Ali und eines für Hasan und seine Frau.

So blieben sie beieinander in einem Leben der Glückseligkeit.

***

433. Nacht

Der König wird krank, und nach Beratung mit seinen Ratgebern beschließt er, Hasan zu seinem Nachfolger zu ernennen.

"Denn wir wissen, dass er verständig und einsichtig und in allem vollkommen ist, und er kennt den Rang von hoch und gering."

Bisher haben wir von keiner bemerkenswerten Leistung Hasans erfahren außer der Entjungferung der Königstochter. Und selbst der "Kaufmann" und "Wesir" Ali ist nicht einmal durch kaufmännische Leistungen aufgefallen. Seinen Wohlstand verdankt er dem Dämon aus dem Spukhaus. Die Qualifikation, den "Rang von hoch und gering" zu kennen, führt uns auf die Fährte: Wir sind in einer streng stratifiziert differenzierten Gesellschaft. Das Oben und das Unten ist, was zählt. Und das scheint auch in anderen Erzählungen hier immer wieder durch – zum Beispiel wenn ein verarmter Adliger aufgrund seines Verhaltens als hochstehend erkannt wird.

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434. Nacht

Der alte König stirbt.

Und König Hasan, der Sohn des Wesirs, führte die Herrschaft; die Untertanen freuten sich seiner, und alle seine Tage waren eitel Glück. (…) Das Land gedieh, und er blieb lange Zeit hindurch König von Bagdad; und durch die Tochter des alten Königs wurden ihm drei Söhne geschenkt, die nach ihm das Reich erbten und herrlich und in Freuden lebten, bis Der zu ihnen kam, der die Freuden schweigen heißt, und der die Freundesbande zerreißt. Preis sei ihm, der da bleibet in Ewigkeit, und der durch die Macht Trennung und Einigung verleiht.

Das Irritierende an dieser Geschichte ist wieder einmal, dass sie so ganz unserem Verständnis des Storytelling widerspricht, nach dem der Held sein Leiden als Prüfung zu verstehen habe. Es gibt hier aber keinerlei Katharsis – Ali verarmt und kommt durch pures Glück zu Geld. Dies aber war "seit alters her" so vorgesehen. Alis Vater hatte für seinen Sohn gebetet. Und so kann das Ganze auch als Geschichte zum Lobpreis Allahs verstanden werden.

***

Die Geschichte von dem Pilgersmann und seiner Frau

Ein Pilgerer verliert nachts den Anschluss an seine Karawane, verirrt sich, läuft weiter und entdeckt an einem Zelt eine alte Frau mit einem Hund.
Als er sie um Essen bittet, schickt sie ihn in ein benachbartes Tal, um dort Schlangen zu fangen, die man braten könne, was er widerwillig tut. Das Wasser, das sie ihm zum Trinken anbietet, ist von beißender Bitterkeit.

"Ich wundere mich über dich, o Greisin, und darüber, dass du an diesem Orte wohnst und an solcher Stätte verweilst."

Da bemerkte Schehrezâd, dass der Morgen begann und hielt in der verstatteten Rede an.… Weiterlesen

427., 428., 429., 430. Nacht

427. Nacht

Mit dem bisschen Geld, dass die Gattin von einer Freundin leiht, begibt Ali sich auf Reisen, um einen Weg aus der Not zu finden. Von Bulak aus fährt er auf einem Schiff nach Damiette, wo ihn ein Kaufmann aus Mitleid aufnimmt. Dort bleibt er eine Weile;

aber schließlich sagte er sich: "Wie lange soll ich noch in fremder Leute Häuser wohnen?" Darum verließ er das Haus und suchte sich ein Schiff, das nach Syrien fuhr.

Für eine fiktive Geschichte macht diese Episode so gar keinen Sinn, da sie praktisch nur überbrückt. Es sei denn, der Erzähler will zeigen, dass er die Stationen einer Reise bis nach Bagdad kennt; oder dass Ali sich nun aktiv auf die Suche begibt.

Mit etwas Wegzehrung reist er nach Damaskus, wo er wieder von einem "gütigen Mann" aufgenommen wird. Eines Tages erblickt er eine Karawane auf dem Weg nach Bagdad, der er sich anschließt.
Kurz vor Bagdad wird diese von Wegelagerern überfallen. Ali flieht Richtung Bagdad und kommt gerade vor Sonnenuntergang am Haupttor an, wo er dem Torwächter vom Überfall erzählt, allerdings gespickt mit der Flunkerstory, er habe

Waren, Maultiere, mit Lasten, Sklaven und Diener.

Der Torwächter bietet ihm seine Hilfe an und macht ihn mit einem Kaufherren aus Bagdad bekannt, der ihn einkleidet und ihn ins Badehaus führt.

Die Erzählperspektive wechselt nun seltsamerweise bis zum Ende der 427. Nacht:

"Ich ging nun", so erzählte Ali aus Kairo, der Sohn des Kaufmannes Hasan, des Juweliers, "mit ihm ins Badehaus…"

Als sie wieder herauskommen, gibt er ihm einen Sklaven namens Mas’ud mit, er möge am anderen Ende der Stadt sich eines von zwei Häusern für die Unterkunft aussuchen. Allerdings steht ein großes drittes daneben, das der Sklave aber nicht aufschließen möchte:

"Weil es dort spukt. Jeder, der dort nächtigt, ist am andern Morgen tot. Wir öffnen auch nicht einmal die Tür, um den Toten hinauszuschaffen, sondern wir steigen auf das Dach eines der beiden anderen Häuser und holen ihn von dort aus herauf."

Kann ich mir nicht bildlich vorstellen.
Die Richtung der Geschichte scheint sich an dieser Stelle abrupt zu ändern. Von einer Moral-Geschichte in eine Spukgeschichte. Oder sollte beides noch verknüpft werden?
Als Grimm-Sozialisierter denkt man natürlich gleich an "Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen".

Ali besteht darauf, in dem großen Haus zu nächtigen.

Denn ich sagte mir in meinem Herzen: "Das ist es, was ich suche! Ich will dort nächtigen, und dann bin ich morgen früh tot und kann von all dieser Not, die ich leide, ausruhen."

***

428. Nacht

Der Kaufmann willigt nur unter der Bedingung ein:

"Stelle mir eine Urkunde aus, dass ich nicht für dich verantwortlich bin, wenn dir etwas zustößt." – "So sei es!", erwiderte Ali. Darauf ward ein Zeuge vom Gericht geholt, und Ali stellte dem Kaufmann die Urkunde aus; der nahm sie in Empfang und gab dem Ägypter den Schlüssel.

Ali befreit ihn sozusagen per Vertrag von der Haftpflicht. Was mit dem "Zeugen" gemeint ist, ist unklar. Vielleicht eine Art Notar?

Nach der zeremoniellen Waschung, den obliegenden Gebeten und dem Abendessen beschließt er "oben" zu schlafen.

Dort entdeckte er eine prächtige Halle, deren Decke vergoldet und deren Boden und Wände mit buntem Marmor bedeckt waren. Er breitete sein Lager aus und setzte sich nieder, indem er Sprüche aus dem hochherrlichen Koran sprach. Doch ehe er sich dessen versah, rief plötzlich ein Wesen die Worte: "O Ali, o Sohn des Hasan, soll ich dir das Gold hinabsenden?"

Das Gold fließt auf Ali herab, und der Geist erklärt,

"dies Gold ist ein Schatz, der von alters her auf deinen Namen verzaubert war."

Dies ist natürlich nur denkbar, wenn man prädestinativ denkt; denn der Schatz muss ja dort liegen, bevor an Alis Geburt überhaupt nur zu denken war.
Unklar: Ist der Geist, der hier den Schatz bewacht, ebenfalls "von alters her" hier? Ist der Schatz älter als das Haus?

Und deshalb wurden alle anderen Besucher getötet. Der Geist eröffnet ihm, es läge für ihn noch ein Schatz im Jemen, und bittet darum, freigelassen zu werden. Aber Ali verlangt von ihm, den jemenitischen Schatz herbeizuholen und ebenso Weib und Kind. Der Geist bejaht.

Dann nahm er Urlaub von ihm auf drei Tage, innerhalb deren all dies bei ihm sein sollte, und eilte fort.

"Urlaub"? Siehe dazu Grimms Wörterbuch

Am frühen Morgen sucht und findet Ali hinter einer Marmorplatte ein Versteck für den Schatz.
Dann setzt er sich auf die Bank und wartet auf den Sklaven des Hausherrn.

Allein wie der ihn dort ruhig sitzen sah, lief er eilends zu seinem Herrn zurück.

***

429. Nacht

Dem Kaufmann verrät Ali nichts vom Erlebten. Aber nun dreht sich seine Lüge gegenüber Kaufmann und Torwächter zur Wahrheit: Seine Güter treffen innerhalb von drei Tagen ein. Man erblickt eine Staubwolke am Horizont.

die tat sich aber auf, und es erschienen unter ihr Maultiere, Männer, Packleute, Zeltaufschläger und Fackelträger, die singend und tanzend daherkamen.

Ausgestorbene und gleichzeitig unklare Berufe: Zeltaufschläger.
Die Diener kommen singend und tanzend daher, da sie angesichts der Stadt das Ende der Reise (und ihrer Plackerei) feiern.

***

430. Nacht

Die Kaufleute der Stadt schicken ihm Geschenke.

Unklar: Warum tun sie das? Vielleicht, um ihn in ihrer Mitte willkommen zu heißen? Oder eigennützig gedacht: Um sich bei ihm einzuschmeicheln?

Der gastgebende Kaufmann bleibt noch bei Ali, und dieser beauftragt ihn, den Eunuchen und Sklaven mit den Mauleseln Gelegenheit zu geben, sich auszuruhen.

Sie konnten kaum warten, bis er ihnen die Erlaubnis dazu gab, und so nahmen sie alsbald Abschied von ihm, zogen zur Stadt hinaus und flogen durch die Luft zu ihren Stätten davon.

Also sind auch diese Geister?

Als sie allein sind, berichtet Alis Weib ihm, wie sie und ihr Sohn sanft durch die Luft geflogen wurden. Ali zu ihr:

"Das alles ward uns durch die Güte Allahs des Erhabenen zuteil."

Wer den Schatz verzaubert hat und ihn an den Geist gebunden hat, bleibt im Dunklen. Allah selber?

423., 424., 425., 426. Nacht

423. Nacht

Die gelehrte Frau fährt fort:

"Und auch der Prophet – Allah segne ihn und gebe ihm Heil! – hat gesagt: ‚Der Dinge, die ich in eurer Welt am liebsten habe, sind drei: die Frauen, die Wohlgerüche und mein Augentrost im Gebet."

Und sie rezitiert ein Gedicht gegen die Homosexualität:

Des Mannes Sehnsucht nach dem Rücken ist ein Rückgang;
Doch wer die freie Frau liebt, ist ein freier Mann.
Wie schön ergeht es dem, der bei dem Schwarzaug nächtigt,
Der Gattin, deren Blick ihm Seligkeit gewann.

Hier merkt der Übersetzer (Littmann) an: "In fünf weiteren ‚trefflichen Versen‘ werden diese Dinge noch näher ausgeführt; doch diese Verse sind so abstoßend, dass sie sich etwa nur mit Juvenals lateinischen Versen wiedergeben ließen."
Es fragt sich, ob er sich dann überhaupt aufs Übersetzen hätte einlassen sollen. Oder sollte Littmann immer noch von der Angst vor Zensur geprägt gewesen sein, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung aber nicht mehr gegriffen hätte? In der englischen Übersetzung Burtons lauten die Verse so:

Men’s turning unto bums of boys is bumptious;
Whoso love noble women show their own noblesse.
How many goodly wights have slept the night, enjoying
Buttocks of boys, and woke at morn in foulest mess
Their garments stained by safflower, which is yellow merde;
Their shame proclaiming, showing colour of distress.
Who can deny the charge, when so bewrayed are they
That e’en by day light shows the dung upon their dress?
What contrast wi‘ the man, who slept a gladsome night
By Houri maid for glance a mere enchanteress,
He rises off her borrowing wholesome bonny scent;
That fills the house with whiffs of perfumed goodliness.
No boy deserved place by side of her to hold;
Canst even aloes wood with what fills pool of cess!

Nichts da von Schwarzaug und Gattin! Stattdessen krasse Vulgarität. Die letzten zwei Verse hat sich Littmann also aus den Fingern gesogen!

Die Weise schließt an mit den Worten:

"Ihr Leute, ihr habt mich herausgetrieben aus den Regeln der Sittsamkeit und aus den Grenzen der edlen Weiblichkeit, so dass ich hässliche Worte in den Mund genommen, die den Weisen nicht frommen. Doch in den Herzen derer, die edelgeboren, sind die Geheimnisse wie in Gräbern verloren (…)" Darauf schwieg sie und gab uns keinerlei Antwort mehr. Nun machten wir uns auf und verließen sie, erfreut über den Nutzen, den wir durch den Wortstreit mit ihr empfingen, aber traurig, dass wir von ihr gingen.

***

Die Geschichte von Abu Suwaid und der schönen Greisin

Abu Suwaid erblickt in einem Garten

eine alte Frau, die ein schönes Antlitz hatte; doch ihr Haar war schon weiß geworden, und sie kämmte es mit einem Kamme aus Elfenbein.

Er fragt sie, warum sie sich die Haare nicht färbe.

***

424. Nacht

Sie antwortet

Ich färbte, was die Zeiten färbten. Was ich färbte,
War nicht von Dauer; doch es blieb der Jahre Färben.
Als ich noch einst im Kleid der Jugend stolz einherschritt,
Da konnt ich vorn wie hinten Freude mir erwerben.

Ist es so obszön gemeint, wie es dem aufgeschlossenen Leser erscheint? Die Antwort gibt Abu Suwaid selbst:

"Vortrefflich, du edle Greisin! Wie aufrichtig warst du in deiner Sehnsucht nach verbotenem Gut, und wie verlogen wärest du, wenn du behauptetest, dich reue der Übermut!"

***

Die Geschichte von dem Emir Ali ibn Mohammed und der Sklavin Munis

Der Emir kauft die wohlgebildete Sklavin Munis für siebzigtausend Dirhems, nachdem sie folgenden Dialog in Versen miteinander wechseln.

Was sagst du nur von dem, an dem die Krankheit frisst
Um deiner Liebe willen, so dass er ratlos ist.

Sie antwortet:

Wenn wir den, der liebt, in seinem schweren Leid
Der Liebe schaun, so sei ihm unsre Huld geweiht.

und er zeugte mit ihr den Obaidallâh ibn Mohammed, einen Mann, der treffliche Eigenschaften besaß.

Und das war schon die ganze Geschichte.

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Die Geschichte von den beiden Frauen und ihren Geliebten

Abu el Ainâ berichtet, zwei Frauen im Disput über ihre Geliebten belauscht zu haben. Die eine mit jungem, die zweite mit älterem Geliebten. Die mit dem jüngeren stört sich am stachligen Bart älterer Männer und bevorzugt den Flaum der jungen.

(Im Grunde werden hier nur die Argumente der Frau mit dem reiferen Geliebten wiedergegeben.) Ich wähle hier mal aus:

"Weißt du nicht, dass der Bart für den Mann das gleiche ist, was die Schläfenlocken für die Frau sind? (…) Du Törin, wie könnte ich daran denken, mich unter einen Knaben zu betten, der eilig sein Werk tut und schnell erschlafft? Und von einem Manne lassen, der, wenn er Atem holt, mich umfasst; wenn er eindringt, gemach handelt; wenn er fertig ist, wiederkehrt; wenn er sich bewegt, vortrefflich ist; und sooft er sein Werk beendet hat, wieder von neuem beginnt."

Die Geliebte des Knaben:

"Ich schwöre meinem Geliebten ab, beim Herrn der Kaaba!"

(= Allah)

Hier enden vorerst die Liebes-Anekdoten, und es beginnt endlich mal wieder eine etwas längere Geschichte.

***

Die Geschichte von dem Kaufmanne Ali aus Kairo

Ein reicher Kaufmann in Kairo namens Hasan wird "der Juwelier aus Bagdad" genannt. Er spürt sein Ende kommen und ruft seinen Sohn Ali zu sich.

Wenn man die bisherigen Story-Inhalte verfolgt, müsste ihm der Vater nun Mahnungen auf den Weg geben, die dieser in den Wind schlägt.

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425. Nacht

Und tatsächlich: Nachdem Hasan ihn seine Ländereien und Güter aufzählt, ermahnt er ihn zu Gottesfurcht, Barmherzigkeit, gutem Umgang, Liebe.

Darauf begann der Kaufmann das Glaubensbekenntnis zu sprechen und Koranverse zu sagen, bis die Stunde da war; dann sprach er zu seinem Sohne: "Tritt nahe zu mir, mein Sohn!" Nun trat Ali nahe zu ihm: Der Vater küsste den Sohn und tat den letzten Seufzer. Seine Seele entfloh seinem Körper, und er ging ein zur Barmherzigkeit Allahs.

Stephen Cave beschreibt vier Story, mit denen wir hoffen, den Tod zu überlisten: 1. Die Elixir- oder Jungbrunnen-Story (inklusive Wundermedizin-Geschichten), 2. Auferstehungs-Story (inklusive Einfrierungs-Storys), 3. Die Geschichte der Seele, 4. Vermächtnis-Storys (an die sich auch einige Künstler-Kollegen klammern).

 

Der Vater wird in einer riesigen Zeremonie bestattet, und Ali hält nicht nur die vorgeschriebenen vierzig Tage Trauerzeit ein, sondern trauert auch noch darüber hinaus und besucht an jedem Freitag das Grab des Vaters.

Zur Zahl 40 gibt es verschiedene Angaben: Sie taucht in vorjudäischen Religionen auf, aber auch in der russischen Orthodoxie, in der muslimischen Praxis und scheint auch den psychologischen Prozess des Trauerns zu umfassen: Man braucht eben so lange, um die Phasen der Trauer soweit durchschritten zu haben, bis sich Akzeptanz festigen kann.

Irgendwann drängen die Freunde ihn, seine Geschäfte wieder aufzunehmen.

Doch wie sie so bei ihn waren, war auch der verfluchte Teufel unter ihnen, der ihnen einflüsterte; und während sie ihn zu überreden suchten, mit ihnen zum Basar zu gehen, versuchte der Teufel ihn so lange, ihnen nachzugeben, bis er einwilligte, mit ihnen das Haus zu verlassen.

Unklar: Wieso sollte es teuflisch sein, nach der vorgeschriebenen Trauerzeit, wieder die Geschäfte aufzunehmen?

***

426. Nacht

Aber sie führen ihn nicht zum Basar, sondern zu einem Garten, wo

sie aßen und waren guter Dinge und saßen plaudernd zusammen, bis der Tag zu Ende war.

Und so bedrängen sie ihn jeden Tag, nötigen ihn zum Weinkonsum, und irgendwann ist Ali mit Einladen dran. Ali verschwendet allmählich sein Geld, obwohl ihn sein Weib an die Ermahnungen des Vaters erinnert.

Sie begaben sich zur Nilinsel er-Rodâ und zum Nilmesser. Dort blieben sie einen ganzen Monat bei Speise und Tran und Saitenklang und Fröhlichkeit.

 

Dieses Leben führt er nun drei Jahre. Als das Geld zu Ende geht, verscherbelt er die Juwelen, dann die Häuser und Grundstücke, dann die Gärten und Landhöfe, dann den Marmor und das Holzwerk aus seinem Haus, und schließlich das Haus selbst. Seine Freunde lassen ihn schließlich, als er arm ist, im Stich.… Weiterlesen

419., 420., 421. und 422. Nacht

419. Nacht

Schehrezâd fährt fort:

Es ist mir berichtet worden, o glücklicher König, dass el-Amîn, als er die Sklavin anschaute und sah, was auf dem Saume des Hemdes geschrieben stand, nicht mehr länger an sich hielt, sondern ihr nahte und sie küsste. Und er wies ihr ein eigenes Gemach in seinem Palaste an; ferner dankte er seinem Oheim für die Gabe und verlieh ihm die Statthalterschaft von Rai.

Heute heißt diese Stadt Shahr-e Ray und ist ein Vorort von Teheran. (Früher war Teheran ein Vorort von Rai.) Rai war außerdem die Hauptstadt des alten Persien, die Hauptstadt des persischen Teils von Irak und sie ist die Geburtsstadt von Harûn er-Raschîd.

***

Die Geschichte von dem Kalifen el-Mutawakkil und el-Fath ibn Chakân

Als der Kalif el-Mutawakkil krank wird, schickt ihm el-Fath ibn Chakân

eine jungfräuliche Sklavin mit schwellendem Busen, die zu den schönsten Mädchen ihrer Zeit gehörte, dazu ein Kristallgefäß von rotem Godle, auf dem in schwarzen Lettern diese Verse standen:

Wenn der Imam der Krankheit nun entrann
Und Heilung und Gesundheit sich gewann
So kann für ihn kein besser Heiltrank sein
Als hier in diesem Becher dieser Wein.
Wenn er das Siegel löst von meiner Gabe,
So ist das nach der Krankheit schönste Labe!

Der Arzt Juhanna zieht sich daraufhin zurück.

Nach meinen Informationen war Juhanna erst viel später Arzt, nämlich zur Zeit des Mustasim.

Der Kalif nahm den Rat des Arztes an und gebrauchte jene Arznei, ganz wie sie in den Versen vorgeschrieben war. Allah machte ihn gesund und heil.

***

Die Geschichte von dem Streit über die Vorzüge der Geschlechter

Eine weise Frau namens Saijidat el-Maschâjich kommt von Bagdad nach Hama, wo sie

den Leuten von einem Stuhle herunter heilsame Ermahnungen predigte.

Dies betrifft Fragen des Rechts, moralische Fragen, Fragen der Lebensführung usw.
Der Erzähler der Geschichte sucht sie mit einem Freund auf und legt eine Frage

von solcher Art vor, die sich auf den Unterschied zwischen den Rechtsschulen bezog

Sie befindet sich bei diesem Gespräch hinter einem Vorhang, durch den sie allerdings hindurchschmulen kann. Dabei sieht sie, wie der Begleiter das Gesicht ihres jungen Brufders betrachtet.

"Mir scheint, du bist einer von denen, die den Männern den Vorzug vor den Frauen geben." (…) "Weil Allah das Männliche höher gestellt hat als das Weibliche."

***

420. Nacht

Der Begleiter benennt nun Stellen aus dem Koran und den Überlieferungen des Propheten, die ebendiese Position belegen sollen. Die Weise antwortet ihm auf seine langen Ausführungen:

"Du hast gut gesprochen, werter Herr; doch, bei Allah, du hast meinen Beweis wider dich mit der eigenen Zunge kundgetan."

So folgt ein längerer Schlagabtausch zwischen den beiden.

***

421. Nacht

Der Begleiter rezitiert

"Sie ist dem Knaben gleich und wiegt sich in den Hüften
Wie sich der schwanke Reis im Zephirwinde wiegt.

Wenn der Jüngling nicht trefflicher wäre, so wäre doch die Jungfrau nicht mit ihm verglichen worden. Wisse auch – Allah der Erhabene beschütze dich! -, dass der Jüngling leicht gelenkt werden kann; denn er passt sich den Wünschen an; er hat schöne Eigenschaften, und mit ihm lässt sich trefflich leben; denn er ist eher geneigt, zu willfahren als zu widerstreben, zumal wenn der zarte Flaum auf seiner Wange sprießt, wenn seine Oberlippe sich dunkel färbt und wenn der rote Jugendglanz in seinem Antlitz leuchtet, so dass er dem Monde gleicht, der zur Fülle kam."

Nach weiteren Gedichten ist Saijidat el-Maschâjich wieder an der Reihe:

"Ich bitte dich, wie kann ein Jüngling je den Rang einer Jungfrau erreichen? Wer will das Böcklein mit der Kitze vergleichen? Die Jungfrau hat sanfter Rede Gewalt und eine wunderschöne Gestalt; sie gleichet einem Basilikumreis, und ihre Zähne sind wie die Kamille so weiß; sie hat Zöpfe, die wie Halftern hangen, wie Anemonen sind ihre Wangen; ihr Antlitz ist wie ein Äpfelein, und ihre Lippe ist süß wie Wein; ihre Brust ist dem Granatapfel gleich, und ihre Gestalt ist wie ein Zweig so weich. Sie hat einen Wuchs, in dem das Ebenmaß waltet, und ihr Leib ist wohlgestaltet; sie ist wie die Schneide des glitzernden Schwertes so schmal und fein, und ihre Stirn ist blütenrein; sie hat zusammengewachsene Augenbrauen, unter denen tiefschwarze Augen schauen…"

***

422. Nacht

Weiterhin argumentiert sie und zitiert Abu Nuwâs:

Die schlanke Maid, die einem Knaben gleicht,
Taugt für den Wüstling und den Einbrecher.

 

415., 416., 417. und 418. Nacht

415. Nacht

El-Mamûn lässt sich, begleitet vom listigen Abu Isa und einigen Hofleuten auf einer Barke namens "Flieger" zum Haus des Hamid et-Tawîl et-Tûsi, das sie unvermittelt betreten, während er gerade auf einer Rohrmatte sitzt und sich von Sängerinnen bespaßen lässt. Er improvisiert ein Gastmahl

Speisen wurden vorgesetzt, aber die bestanden nur aus Vierfüßlern, kein Fleisch von Geflügel war darunter. Von diesen rührte el-Mamûn nichts an.

Unklar: Gilt Geflügel als besonders edel? Oder hat el-Mamûn eine schwache Konstitution, die ihm die Verdauung von Lamm und Rind verbietet.

Abu Isa erkennt den Unmut des Kalifen und schlägt vor:

"Lass uns jetzt in ein Haus gehen, das für dich gerüstet ist, so wie es sich gebührt."

So gelangen sie zum Eigentümer der von Abu Isa begehrten Sklavin. Er

öffnete ihnen einen Saal, der so schön war, wie ihn noch nie jemand gesehen hatte. Dort waren der Boden, die Pfeiler und die Wände mit vielfarbigem Marmor bekleidet…

Befriedigend sind außerdem die Speisen und die Getränke, darunter auch Dattelmost und das Geschirr.

Die Schenken aber, die jenen Most in den Saal trugen, waren mondengleiche Jünglinge, bekleidet mit alexandrinischen Gewändern, die mit Gold durchwirkt waren; und auf der Brust trugen sie kristallene Falschen, voll mit Rosenwasser, die mit Moschus gemischt waren.

Nach dem Mahl kommen diverse Sängerinnen, eine schöner als die andere. Ein bemerkenswertes Lied geht so:

Die Huris und die edlen Frauen fürchten kein übel Gerede
Gleichwie Gazellen von Mekka, das unverletzliche Wild.
Nach ihren schmeichelnden Worten hielte man sie für Dirnen;
Doch schützet sie der Islam, dass ihnen kein hässlich Wort gilt.

Bemerkenswert, wegen des Versuchs, die Spannung aufzulösen, die sich aus dem Gebot der Frömmigkeit und der durch die islamische Praxis geduldeten "Huris und edlen Frauen": Das Tun ist zwar unislamisch, aber da sie es dem Islam zuliebe tun, ist es islamisch. Wobei ich mir eigentlich nicht mal sicher bin, wozu die Huris im Paradies eigentlich gut sind. Vielfach werden sie als Jungfrauen beschrieben. Bleiben sie das?

***

416. Nacht

Es folgen weitere singende Mädchen.

Was geschieht eigentlich mit ihnen, wenn sie älter werden? Werden sie dann an ärmere Herren verkauft?

Schließlich

trat eine Maid heraus, die gleich einem Weidenzweige war; sie hatte ein verführerisches Augenpaar, und ihre Brauen waren wie zwei Bogen anzuschauen.; auf ihrem Haupte trug sie eine Krone aus Gold von rötlichem Schein, besetzt mit Perlen und Edelgestein. Und darunter eine Binde, auf der in Lettern aus Chrysolith dieser Vers geschrieben war:

Eine Fee, von den Dämonen unterwiesen,
Herzen mit dem Bogen ohne Sehn‘ zu treffen.

Jene Sklavin schritt daher wie ein scheues Reh, selbst die Frommen hätten sie angeschaut mit heißem Liebesweh. Und sie ging weiter, bis sie sich auf einen Schemel setzte.

Schon klar, dass dies Kurrat el-Ain sein muss.

***

417. Nacht

Dem Kalifen fällt auf, dass sich Abu Isa mehr noch als die anderen verändert, so sehr schlägt sein Herz. Er bittet sie um ein Lied, dass sie auch vorträgt.
Inzwischen ist Abu Isa fast zu Tränen erstickt und Kurat el-Ain beginnt nun zu improvisieren.

***

418. Nacht

Mit der Erlaubnis des Kalifen antwortet Abu Isa ihr singend.

Die Verse sind banal und lang. Ich spare mir hier ihre Wiedergabe.

Alî ibn Hischâm sprang auf, küsste ihm die Füße und sprach: "Mein Gebieter, Allah lässt die Erfüllung deiner Bitte kommen; denn Er hat dein Geheimnis vernommen. Er willigt ein, dass du sie mit all ihrem Besitze an Seltenheiten und Kostbarkeiten erhältst, wenn der Beherrscher der Gläubigen kein Verlangen nach ihr trägt." Doch el-Mamûn sagte: "Wenn wir auch Verlangen nach ihr hätten, so würden wir Abu Isa den Vorrang vor uns lassen und ihm zum Ziele verhelfen."

Als Abu Isa

sie dann erhalten hatte, führte er sie freudigen Herzens in sein Haus. Schau, wie großmütig Ali ibn Hischâm war.

Wenn man mit den Erzählungen aus 1001 Nächten so verführe wie mit einigen Werken des 20. Jahrhunderts, so stünde nach der Eliminierung der rassistischen Geschichten eigentlich auch die der Sklaven-Geschichten an. Wieviele blieben dann noch übrig? Zwölf Nächte? Oder geht es den Eliminierern wirklich nur um Worte, Worte, Poporte? Die Bedeutung ist einerlei?

***

Die Geschichte von el-Amîn und deinem Oheim Ibrahîm ibn el-Mahdi

El-Amîn, der Bruder von el-Mamûn, trat einst in das Haus seines Oheims Ibrahîm ibn el-Mahdi.

Hier zur Aufklärung der Verwandtschaftsverhältnisse: Das Besondere – alle drei waren Kalifen in Bagdad und mit Harûn er-Raschîd verwandt. El-Amîn und el-Mamûn waren beide seine Söhne. Ibrahîm ibn el-Mahdi war Harûns Bruder und folgte erst el-Mamûn auf den Thron.
Die Geschichte spielt also zur zur Herrschaftszeit von el-Amîn.

Dort sieht er eine schöne Sklavin, in die er sich verliebt.

Doch als sein Oheim Ibrahîm erkannte, wie es um ihn stand, schickte er ihm die Sklavin zu. (…) Als el-Amîn sie sah, glaubte er, sein Oheim Ibrahîm habe sie bereits erkannt, und darum mochte er ihr nicht mehr beiwohnen. So nahm er sie denn hin, was sie an Geschenken mitgebracht hatte; sie selbst aber sandte er zurück.

Das ist doch wohl bemerkenswert: Egal wie groß die Liebe sein mag – dass ein anderer sie gehabt haben könnte, zerstört diese Liebe.

Der auch als großer Dichter bekannte Ibrahîm ibn el-Mahdi legt ihr ein Hemd an, auf das er schreiben lässt:

Fürwahr, bei ihm, vor dem sich alle Stirnen neigen,
Was unter diesem Saume ist, dass kenn ich nicht.
Auch ihren Mund berührt ich nie; mein einzig Trachten
War, was das Auge sieht und was die Zunge spricht.

Als sie nun wieder bei el-Amîn eintrifft, singt sie zur Laute:

Du nahmst die Gabe nicht und zeigtest, was du denkest;
Dass du dich von mir trennest, ward mir kund und klar.
Doch wenn du Anstoß nimmst an etwas, das vergangen,
Verzeih du als Kalif, was längst schon nicht mehr war.

 

411., 412., 413., 414. Nacht

411. Nacht

Man begräbt die beiden, und der Erzähler berichtet, die Jungfrau sei seine Tochter und der Jüngling sein Neffe gewesen. Auf die Frage, warum er sie nicht vermählt habe, antwortete er:

"Ich fürchtete mich vor Schimpf und Schande; und jetzt bin ich beidem verfallen."

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Die Geschichte von dem irrsinnigen Liebhaber

Abu el-Abbâs el-Murrabâd erzählt von einer Reise nach el-Barîd. Er macht eine Pause in Hesekiel an dem berühmten Kloster, und er hört, darin lebten Irre.
Er betritt das Kloster, und drinnen sitzt ein "Irrer", der die ganze Zeit in Versen von seiner verlorenen Liebe klagt.
Abu el-Abbâs el-Murrabâd meint kalt:

"Sie ist gestorben." Da verfärbte sich sein Antlitz, er sprang auf und rief: "Woher weißt du, dass sie tot ist?" Ich antwortete: "Wenn sie noch lebte, so hätte sie dich nicht so allein gelassen."

Das sieht der Irre ein, legt sich hin und stirbt. Voller Schrecken begräbt man ihn.

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412. Nacht

Als Abu el-Abbâs el-Murrabâd nach Bagdad zurückkehrt, berichtet er die Geschichte dem Kalifen el-Mutawakkil.

Und er sprach zu mir: "Was hat dich dazu bewogen? Bei Allah, wenn ich nicht wüsste, dass du um ihn trauerst, so würde ich dich um seinetwillen strafen!" Und er trauerte um ihn den ganzen Tag über.

El Mutawakkil war ein Kalif aus dem 9. Jahrhundert n.Chr., von dem es auch ein Hunde- und Falkenbuch gibt, das man noch heute erwerben kann. Abu el-Abbâs el-Murrabâd ein damaliger Sprachgelehrter aus Basra.

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Die Geschichte von dem Prior, der Muslim wurde

Abu Bakr Mohammed ibn el-Anbari ist ebenfalls in christlichen Regionen unterwegs. Er rastet beim Lichterkloster nahe Ammûrija. Die Mönche dort sind äußerst gastfreundlich, er wird vom Prior Abd el-Massih empfangen.

Abd el-Massih = "Knecht des Messias"

Am nächsten Tage verließ ich sie, nachdem ich bei ihnen solche Eifer in der Andacht und solche Frömmigkeit gesehen hatte wie sonst noch nie.

Im Jahr darauf trifft er den Prior bei der Pilgerfahrt in Mekka. Dieser berichtet ihm, was zu seiner Konversion geführt hat:
Im Dorf verliebte sich ein muslimischer Jüngling in eine christliche Jungfrau, der immer an derselben Stätte sitzenblieb, um sie sehen zu können. Die Christen

hetzten die Dorfbuben wider ihn, und die warfen so lange mit Steinen auf ihn, bis sie ihm die Rippen zerbrochen und den Kopf eingeschlagen hatten.

Der Prior nimmt sich seiner an und pflegt ihn.

***

413. Nacht

Nachdem die Jungfrau ihn so sieht, bekommt sie doch Mitleid mit ihm:

"Willst du nicht meinen Glauben annehmen, auf dass ich dich mit dir vermähle?" Doch er reif: "Allah verhüte, dass ich den Glauben an die Einheit ablege und mich der Vielgötterei ergebe." Da sprach sie: "So komm zu mir herein, tu mit mir, was du willst, und geh dann in Frieden deiner Wege!" "Nein", erwiderte er, "ich will nicht zwölf Jahre der Anbetung zunichte machen durch die Lust eines einzigen Augenblicks." Darauf sagte sie: "So geh alsbald von mir fort!" Doch er entgegnete: "Das erlaubt mir mein Herz nicht."

Das ist sozusagen der Kern der Geschichte: Der Bursche hält alle Arten von Demütigungen und Schmerzen um der Liebe willen aus. Aber sein Glaube geht ihm noch darüber.

Bei ihrer nächsten Aktion töten ihn die "Dorfbuben".
Die Jungfrau, von schlechtem Gewissen geplagt, träumt nun, dass ihr der Weg ins Paradies versperrt würde, und man gibt ihr im Traum zwei Äpfel.

***

414. Nacht

Einen isst sie, den zweiten findet man bei ihr am nächsten Morgen.

Von nun ab enthielt sie sich des Essens und des Trinkens, und als die fünfte Nacht kam, erhob sie sich von ihrem Lager und wanderte zu dem Grab jenes Muslims. Dort warf sie sich nieder und starb.

Es entsteht ein Streit darüber, ob die Christen oder die Muslime sie bestatten dürfen, und als vierzig Mönche es nicht vermögen, ihre Leiche vom Grab des Jünglings fortzuziehen, einer der muslimischen Scheiche die dann liebevoll mit einem Leichentuch fortträgt, sind die Christen konvertiert:

"Fürwahr, die Wahrheit verdient es, dass man ihr folge."

***

Die Geschichte der Liebe von Abu Isa zu Kurrat el-Ain

Abu Isa, Sohn von Harûn el-Raschîd, verliebte sich in die Sklavin Kurrat el-Ain und diese sich in ihn. Beide tun ihr Geheimnis nicht kund.

Das tat er, weil er stolz und von hohem Ehrgefühl beseelt war, denn er hatte sich die größte Mühe gegeben, sie von ihrem Herrn zu erwerben, aber es war ihm nicht gelungen.

So entschließt er sich zu einer List: Er überredet den Kalifen el-Mamûn dazu, seine Befehlshaber auf die Probe zu stellen,

"so würdest du erkennen, wer eine edle Gesinnung hat und wer nicht."

408., 409. und 410. Nacht

408. Nacht

Ishâk ibn Ibrahîm aus Mosul berichtet weiter:
Als er ruht, kommt ein schwarzer Eunuch mit einem Esel daher, auf dem eine wunderschöne Sklavin sitzt.

Woran erkennt Ishâk, dass es eine Sklavin ist?

Er folgt ihr, und Passanten verraten ihm, dass es sich um eine Sängerin handelt. Sie betritt ein Haus, und als er sich diesem nähert, stehen zwei Gäste vor dem Tor, die gerade eingelassen werden, und Ishâk schlüpft mit hindurch: Der Hausherr nimmt an, er gehöre zu den beiden; die beiden nehmen an, er gehöre zum Hausherrn.
Es werden Speisen aufgetragen, und irgendwann folgt Ishâk

einem Rufe der Natur (…). Da fragte der Hausherr die beiden Männer nach mir; und als sie ihm sagten, sie kennten mich nicht, fuhr er fort: "Er ist wohl ein Schmarotzer; dennoch ist er von feinem Wesen, also behandelt ihn höflich."

Eine seltsame Verschiebung der Erzählperspektive; denn wie kann der abwesende Ishâk wissen, was da gerade gesprochen wird?

Er kehrt zurück, und nun singt die Sklavin:

Sprich zur Gazelle, die nicht Gazelle ist,
Zum Reh, das doch kein Reh, mit schwarzen Äugelein:
Mit seinen Männchenhörnern ist es doch kein Weibchen;
Und was so weiblich schreitet, kann kein Männchen sein.

Weitere Verse folgen, bis Ishâk sie bittet, ein Lied zu wiederholen,

damit ich sie verbessere; aber da wandte sich einer der beiden Männer zu mir: "Wir haben noch nie einen Schmarotzer mit frecherer Stirn gesehen als dich! Bist du mit dem Schmarotzen noch nicht zufrieden, dass du dich auch noch in fremde Sachen einmischen musst? An dir wird das Sprichwort zur Wahrheit: Ein Parasit – Ein Störenfried!"

Schönes Gefluche, vor allem wegen des seltenen Komparativs von "frech".

Man beruhigt ihn, die drei gehen beten. Währenddessen stimmt Ishâk die Instrumente, was die Sklavin bei ihrer Rückkehr bemerkt. Man fordert ihn auf, ein Lied zu spielen.

Dazu sang ich diese Verse:

Ich hatte ein Herz und ich lebte mit ihm;
Da ward es vom Feuer versengt und verbrannt.
Nie ward mir das Glück ihrer Liebe beschert;
Dem Menschen hat Gott es nicht zuerkannt.
Wenn Liebe die Speise, die ich schmeckte, gibt,
So kostet sie sicher ein jeder, der liebt!"

Da bemerkte Schehrezâd, dass der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an.

***

409. Nacht

Alle sprangen auf, setzten sich vor mir nieder und riefen: "Um Allahs willen, unser Gebieter, sing uns noch eine Weise vor!"

Nach einem weiteren Lied und weiterem Bitten um Zugabe, verlangt Ishâk, den "Zänker" hinauszuwerfen, was auch prompt erledigt wird

und aus der Leserperspektive doch ein zweifelhaftes Licht auf ihn wirft.

Dann bittet er auch noch den Hausherrn um die Sklavin. Dieser willigt ein unter der Bedingung, dass Ishâk einen ganzen Monat sein Gast bleibe.
Der Kalif lässt inzwischen nach ihm suchen. Und als dieser einen Monat später erscheint, lässt sein Grimm nach, als er die Sklavin hinter einem Vorhang (!) singen hört, was sie von nun an wöchentlich tun soll.

Also am Vorabend vorm heiligen Freitag!

Zugleich wies er ihr fünfzigtausend Dirhems an. So habe ich, bei Allah, nicht nur mir, sondern auch anderen durch jenen Ritt Gewinn verschafft.

Das wäre auch eine Kategorie: Erzählungen, die vor dem Thron des Kalifen enden. Seine Entscheidungen sind als moralische und rechtliche Leitlinie zu sehen, was dem Zuhörer wohl ein Gefühl von Abgeschlossenheit, i.S.v. "Die Moral von der Geschicht", gibt.

***

Die Geschichte von den drei unglücklichen Liebenden

Al-Utbi berichtet von einer Geschichten-Erzähl-Gesellschaft, in der fröhliche Geschichten ausgetauscht werden, bis die Reihe an einen kommt, der niedergeschlagen wirkt. Befragt, was die Trauer ausgelöst haben mochte, antwortet er:

"Ich hatte eine Tochter, die einen Jüngling liebte, ohne dass wir es wussten. Jener Jüngling aber liebte eine Sängerin; und diese Sängerin liebte meine Tochter.

***

410. Nacht

Der Jüngling hört eines Tages die Sängerin singen:

Wie die Liebe die Menschen erniedrigen kann,
Das zeigen die Tränen der Liebenden an.
Doch wird von bittersten Qualen geplagt,
Wer niemanden findet, dem er sie klagt.

Nachdem der Jüngling die Sängerin um Erlaubnis gebeten hat, sterben zu dürfen, tut er das. Auf die Nachricht von seinem Tod hin stirbt die Jungfrau, und daraufhin die Sängerin, so dass am Friedhof die drei Liebenden gleichzeitig beerdigt werden.

Die Konsequenz der kurz aufeinanderfolgenden Tode erinnert an Grimms Märchen "Wie Kinder Schlachtens miteinander gespielt haben".

***

Der deutsche Übersetzer Littmann bemerkt ihr, dass in Burtons Ausgabe hier eine orientalische Geschichte eingeschoben sei, die in keiner anderen arabischen Ausgabe auftauche und die die schöne Reihe der Geschichten von unglücklich Liebenden störe. Er lasse sie also weg.

***

Die Geschichte der Liebenden vom Stamme der Taiji

El Kâsim, der Sohn des Adî, erzählte von einem Manne aus dem Stamme der Tamîm, dass der ihm berichtet habe…

Das wäre schön zu erfahren, ob der Erzähler sich diese Autorenverschachtelungen ausdenkt oder ob sie einen wahren Kern haben.

Zwei Liebende begegnen einander mit ihren jeweiligen Stammes-Angehörigen an den Wassern des Banu Taiji

Unklar, wo das sein soll.

Die Gruppe hält die jeweils Liebenden auf, doch diese rasen aufeinander zu und stürzen, als sie sich treffen, tot zu Boden.

404., 405., 406. und 407. Nacht

404. Nacht
Die Rechtfertigung des Lehrers ist vielleicht auf Arabisch lustig:
„Ich war in jenem Moment erregt, und meine Gedanken waren beschäftigt, und als ich las, der Kohlendämpfer sei in eine Decke eingewickelt, da meinte ich, er sei tot und man hätte ihn ins Leichentuch gehüllt.“ Die Frau, die den Betrug nicht durchschaute, sprach zu ihm: „Du bist entschuldigt“, nahm den Brief und ging ihrer Wege.
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Die Geschichte von dem König und der tugendhaften Frau
„Ein König“ zieht verkleidet aus und kommt in ein Dorf, wo er eine Frau um Wasser bittet. Als er sie sieht, will er sie verführen, doch sie reicht ihm, während er wartet, ein Buch, in welchem vor Sünden gewarnt wird.
Die Ausgangssituation klingt eigentlich wieder sehr nach Harûn er-Raschîd, aber vielleicht hat der Erzähler das dann doch anonymisiert, um den Herrscher nicht in zu sündhaftem Licht stehenzulassen.
Da erschauderte er und bereute seine Absicht vor Allah, dem Erhabenen.
Als sie am Abend ihrem Mann von der Begegnung erzählt, ergreift den die Eifersucht und
er wagte es nicht mehr, ihr zu nahen.
Die Verwandten der Frau klagen darüber beim König in einer Metapher: Was solle mit einem Mann geschehen, der das gepachtete Land nicht besät. Der Mann wiederum rechtfertigt sich damit, dass der Löwe das Feld betreten habe. Der König wiederum versteht den Wink:
„Du da, der Löwe hat ja dein Land nicht betreten; es ist noch gut zur Saat, drum säe darauf.“
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Der Bericht von Abd er-Rahmân el-Maghribi über den Vogel Ruch
Ein Mann aus dem Volk der Maghribi, den man „den Chinesen“ nennt (weil er lange auf den chinesischen Meeren unterwegs war), ist im Besitz eines Federkiels aus dem Flügel des Vogels Ruch.
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405. Nacht
Im folgenden wird beschrieben, wie die Matrosen ein Ei zerschlagen und riesige Federn und Fleischteile aus dem Küken des Ruch herausnahmen. Der erwachsene Vogel nahm einen Felsen, und nur durch geschickte Segelmanöver konnten sie dem fallengelassenen Stein ausweichen.
Das ganze erinnert sehr an Sindbad, und die Schlachtung des Eis kann man in der sonst recht freien Sindbad-Adaption „Sindbads siebte Reise“ bewundern. Online hab ich keinen Clip davon gefunden, nur den anschließenden Kampf Sindbads mit dem Vogel:
 
Wer vom Fleisch des Vogels esse, bekomme keine grauen Haare.
Und dies ist nur eins der größten Wunder.
***
Die Geschichte von Adî ibn Zaid und der Prinzessin Hind
En-Numân ibn el-Mundhir hat eine Tochter namens Hind.
Als eines Tages der Prinz Adî ibn Zaid nach Hira kommt, verliebt sie sich in ihn und er in sie, ohne dass sie sich wirklich begegnen.
Ihr meine Freunde, erweist mir große Güte
Und lenket eure Schritte zum Land der Täler hin;
Geleitet mich zu Landen, in denen Hind verweilet;
Dann geht und bringt die Kunde von meinem treuen Sinn.

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406. Nacht
Nach vielem Hin und Her durch die Vermittlerin Mârija – einer Freundin Hinds – kommen die beiden mit dem Segen von König Numân zusammen.
***
407. Nacht

Nach drei Jahren aber ergrimmte der König wieder Adî und ließ ihn töten.

Daraufhin lässt Hind Kloster bauen, in dass sie sich zurückzieht bis zu ihrem Tod.
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Die Geschichte von Dibil el-Chuzâi und der Dame und Muslim ibn el-Walîd
Die Geschichte wird aus der Perspektive des Dichters Dibil el-Chuzâi (auch al-Khuzai einem Dichter des 9.Jh. n.Chr. erzählt.
El-Chuzâi steht am Tor von el-Karch, als eine wunderschöne Frau an ihm vorbeigeht, die ihn betört und der er mit dem Vers begegnet:
Aus meinem Auge fließt ein Strom von Zähren;
Und Schlaf will meinem Lid sich nicht gewähren.
Sie antwortet spontan
Das ist dem Mann ein leichtes, wenn die Glut
Aus wunden Augen ihn zur Liebe lud.
So geht es hin und her zwischen den beiden, und gerade dem Dichter imponiert die spontane Dichtkunst dieser Frau, die er einlädt, ihm zu folgen, was sie auch überraschenderweise tut. Da er aber kein Haus hat, bittet er seinen Freund Muslim ibn el-Walîd, ihm das Gastrecht zu gewähren. Dieser sagt zu. Da er aber nichts zu essen zuhause hat, schickt er el-Chuzai mit einem Tuch zum Markt, dass dieser verkaufen und vom Erlös Essen kaufen soll, was der auch tut.
Als er jedoch zurückkommt, nimmt ihm Muslim ibn el-Walîd die Speisen ab, schlägt ihm die Tür vor der Nase zu und höhnt:
„Wer ist es, der diesen Vers gedichtet hat:
Ich schlief in ihrem Arm; indes mein Freund
War trüb im Herzen und an Gliedern rein – ?“
Die Antwort el-Chuzâis:
„Er, der am Gürtel tausend Hörner hat,
die höher ragen als ein Götzenschrein.“
El-Chuzâi endet die Geschichte damit, dass er die Frau nie wieder sah und er noch heute Groll im Herzen verspüre.
***
Die Geschichte von Ishâk aus Mosul und dem Kaufmann
Ishâk ibn Ibrâhim aus Mosul berichtet, eines Morgens des Kalifenpalastes überdrüssig geworden zu sein, weshalb er beschloss auszureiten und seine Diener anwies, niemandem zu sagen, wohin er geritten sei. So reitet er durch die Straßen, bis er nach zur Straße el-Haram kommt.
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402. und 403. Nacht – Wissen und Leben II

5) Seit einer halben Stunde stand er nun schon so da. Jemand musste vergessen haben, die Akkus des vollautomatischen Rugby-Schiedsrichter-Roboters aufzuladen.

*

6) „Essen, Schlafen, Lustmord, Leichen verbuddeln..“ Einen Tag vor seinem 65. Geburtstag wurde Alwin Henning klar, dass er sein gesamtes Erwachsenen-Leben doch recht eintönig verbracht hatte. Es musste doch noch mehr geben, als dieses ewige Essen, Schlafen, Lustmord, Leichen verbuddeln. Aber was?

*

7) Erika Niemann und Holger Pfirsich waren kurz davor auszuflippen: Was hatten die sich in der Design-Abteilung von Robotron dabei wieder gedacht, das Akkufach des Rugby-Schiedsrichter-Roboters so fitzelig unter der Achselhöhle einzubauen? Und dass, wo doch heute der Verein Hacke Hagelberg seinen Titel gegen Hucke Hagenow verteidigen sollte!
*

8) Das war schon erstaunlich mit einer einzigen Wischbewegung auf seinem iPad, das in der neuen Winter-Edition von Apple auf einem praktischen Ziehwägelchen geliefert wurde, konnte Professor Sergej Sergejewitsch Sergejew den bei der diesjährigen Tundra-Schmelze gefundenen Mammut-Penis ganz bequem im vom archäologischen Institut bereitgestellten Penisköcher verstauen. Einfach rein. Und wieder raus. Und rein. Und wieder raus.
*

9) Beim Finale der Rugby-Meisterschaften der fünften Liga Nordost zwischen Hacke Hagelberg und Hucke Hagenow warteten die beiden Mannschaften seit einer geschlagenen Stunde auf den Anpfiff. Sollte es mal wieder ein Problem mit dem Rugby-Schiedsrichter-Roboters geben?

***

402. Nacht

Der Erzähler berichtet, dass Abu Amir den Jüngling betend antrifft und als er ihn am nächsten Tag wieder besucht, ist er tot. Bei ihm findet er den Rubin,

der Tausende von Dinaren wert wahr. Ich sagte mir: „Bei Allah, dieser Jüngling übte die Weltentsagung in vollkommener Weise!“

Den Rubin lässt er Harûn er-Raschîd zukommen, der ihm bestätigt, der Vater des Jünglings zu sein. Nachdem sich Harûn das Grab des Jünglings zeigen lässt, bittet er Amu Amir, sein Freund zu sein. Doch dieser lehnt ab.

Das ist allerdings höchst sonderbar oder gar einmalig: Nicht, dass die Freundschaft des großen Herrschers ausgeschlagen wird, sondern Harûn er-Raschîd, der ja allenfalls mit ein paar Flausen wie Jähzorn ausgestattet ist als nicht freundschaftsfähig darzustellen, zumal er ja andauernd gerühmt wird und anzunehmen ist, dass einige Geschichten, ihm zu gefallen verfasst wurden. Abu begründet:

Ich bin der Fremdling, der bei keinem einkehrt;
Ich bin der Fremdling in der eigenen Stadt;
Ich bin der Fremdling ohne Sohn und Sippe,
Der keinen Freund zu seiner Zuflucht hat.
In den Moscheen kehr ich ein und wohn ich;
Für sie schlägt stets mein Herze ungeteilt.
Preist Gott für seine Huld, den Herrn der Welten,
Solange noch der Geist im Leibe weilt!

Ferner wird erzählt

***

Die Geschichte von dem Schulmeister, der sich auf Hörensagen verliebte

Wieder eine Geschichte aus zweiter (bzw. wenn man Schehrezâd mit einrechnet) aus dritter Hand: Ein Mann berichtet, einen gelehrten Schulmeister kennengelernt zu haben, was allen Vorurteilen zuwider läuft, nach denen Lehrer von Kindern eher ungebildet seien.

Ich erprobte seine Kenntnisse in den Lesarten des Koran, in der Grammatik, in der Dichtkunst und in der Sprachkunde, und siehe da, er war in allem, was von ihm verlangt wurde, bewandert.

Er besucht den Schulmeister mehrmals, und eines Tages findet er ihn krank und trauernd niederliegen, da seine Geliebte gestorben sei.
Es stellt sich heraus, dass es sich nur um einen Character in einem Scherzlied handelte, in die er sich verliebt hatte, als er die erste Strophe gehört hatte, und die er betrauert, als er Tage später die zweite Strophe vernommen hat.

403. Nacht

So überzeugte ich mich, dass er wirklich doch ein dummer Kerl war, verließ ihn und ging davon.

Eine kleine harmlose Anekdote, die möglicherweise durch das Scherzlied einen unübersetzbaren Reiz hat, aber sie verliert ihn auch gleich wieder, da der Lehrer, wenn er gerade in den Schrift- und Dicht-Künsten so bewandert ist, doch zumindest von fiktiven Figuren wissen müsste.

***

Die Geschichte vom törichten Schulmeister

Eine Variante des Obigen mit gleicher Ausgangssituation.
Hier lädt der Schulmeister den Erzähler zu sich nach Hause ein. Und als alle schlafen gegangen sind, hört man durchdringende Schreie aus dem Harem. Der Schulmeister liegt in seinem Blut:

„Als ich dich verlassen hatte, setzte ich mich nieder, um über die Werke Allahs des Erhabenen nachzusinnen. Und ich sagte mir: In allem, was Allah für den Menschen geschaffen hat, liegt ein Nutzen verborgen. Er, dem Preis gebührt, hat die Hände zum Greifen geschaffen, die Füße zum Gehen, die Augen zum Sehen, die Ohren zum Hören, die Rute zum Zeugen und so weiter, nur diese beiden Hoden da haben gar keinen Nutzen. Da nahm ich das Rasiermesser, das ich bei mir hatte und schnitt sie beide hat.“

Dieselbe Moral folgt.

***

Die Geschichte von dem Schulmeister, der weder lesen noch schreiben konnte

Ein Analphabet eröffnet eine Schule und arbeitet, indem er die Kinder in zwei Gruppen teilt. Den einen sagt er „Lies!“ Den anderen: „Schreib!“ So bringen sie es sich gegenseitig bei.

Wie das gehen soll, ist mir ein Rätsel.

Eines Tages bittet ihn eine Frau, ihm einen Brief vorzulesen. Das kann er schlecht ablehnen, also spielt er tiefste Ergriffenheit mit starker Emotionalität vor.

„Lieber Herr, wenn er tot ist, so sagt es mir!“ Er aber schüttelte den Kopf und schwieg. Da fragte die Frau: „Soll ich mein Gewand zerreißen?“ – „Zerreiß es!“, erwiderte er. Weiter fragte sie: „Soll ich mir das Gesicht zerschlagen?“ – „Zerschlag es!“, gab er zur Antwort.

Und so glaubt sie, der Mann sei verstorben. Doch ihre Nachbarn lesen ihr später vor, im Brief stünde, der Mann schicke ihr einen Kohlendämpfer und eine Decke.

401. Nacht – Wissen und Leben I

Klar war die Meisterung des dialektischen Materialismus eine vordringliche Aufgabe. Aber noch vordringlicher war für Achim Hustmann, den Heimleiter der FDJ-Gruppe auf dem Volksgut Hagelberg, herauszufinden, wer ihm den Zettel mit der Aufschrift „Achims Pseudo-Retro-Schnurrbart müffelt nach Ei!“ auf den Rücken geklebt hatte. Er war dermaßen in Rage, dass er nicht sah, wie Almut sich vorbeugte und die Zähne zusammenbiss, um ihr Lachen zu unterdrücken: „Ich weiß es, hihi, ich weiß es.“
***
Klar hätte sich Jessica Schnick über ein iPod noch mehr gefreut. Und selbst für einen klassischen Walkman war das Gerät doch etwas klobig geraten. Und ja, der Sound war ein wenig gewöhnungsbedürftig. Und ja, „Die größten Hits von Roberto Blanco auf singender Säge“ waren jetzt auch nicht das Album, das man ewig rauf und runter hören würde. Aber sie musste gute Miene zum bösen Spiel machen, damit Rüdiger wenigstens heute, an ihrem Geburtstag mal das Maschendrahtgitter von ihrem Fenster im Frauengefängnis Lichtenberg öffnen würde.
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Nach zwei Wochen stellte Jessica Schnick fest: Wenn man nebenbei die Beta-Version von „Unreal Tournament“ ballerte, waren „Die größten Hits von Roberto Blanco auf singender Säge“ eigentlich genau der passende Soundtrack.

***

Dass die Ossis nicht nur faul und gefräßig, sondern vor allem auch in technischen Fragen sich wie die letzten Hinterwäldler benahmen, war in der Regel nur jenen Westdeutschen bekannt, die ab und zu ihre Verwandten in der DDR besuchten.
Oft genügte es, den „DDR-Bürgern“ mit einfachen Aufzieh-Armbanduhren vor der Nase herumzuwedeln, um das berüchtigte ungläubige Ossi-Staunen auszulösen. Vor diesem Hintergrund muss das in der DDR grassierende FKK-Unwesen als Technikflucht verstanden werden.
 
*
401. Nacht
Da lachte der Kalif über die beiden und wies einem jeden tausend Dinare an. Und nun gingen beide, erfreut über das Geschenk des Kalifen, ihrer Wege.
Ferner wird erzählt
Die Geschichte vom frommen Prinzen
Harûn er Raschîd hat einen überaus frommen Sohn, der der Welt entsagt und als Asket lebt. Seine Ratgeber weisen ihn darauf hin, dass der Sohn ihn in seinem härenen Aufzug und mit seinem asketischen Lebenswandel zum Gespött machen könnte. Harûn wendet sich an seinen Sohn mit der entsprechenden Bitte. Dieser
blickte nach einem Vogel, der auf einer der Zinnen des Palastes saß und rief ihm zu: „Du Vogel, bei Dem, der dich erschaffen hat, lass dich auf meiner Hand nieder.“
Der Vogel tut dies. Aber auf der Hand des Kalifen lässt er sich nicht nieder.
Da sagte der Jüngling zu seinem Vater: „Du bist es, der mich durch seine Liebe zur Welt unter den Heiligen entehrt…“
Und so verlässt er seinen Vater und zieht nach Basra, um dort als Erdarbeiter für einen Dirhem und einen Dânik pro Tag zu arbeiten.
(1 Dânik = 1/6 Dirhem)
Ein Basraer berichtet später, dass der Jüngling seine Mauer nur unter der Bedingung reparieren wollte, dass er dafür nur diese Bezahlung bekäme und pünktlich zum Gebetsruf Waschung und Gebet durchführen dürfe.
„Er löste sich den Gürtel und vollzog die religiöse Waschung so schön, wie ich es noch nie gesehen hatte.“
Wie mag das ausgesehen haben?
Der Basraer beobachtet ihn schließlich bei der Arbeit.
„Er nahm eine Handvoll Mörtel und legte sie auf die Mauer; und siehe da, die Steine reihten sich von selbst übereinander. Ich sagte mir: ‚So sind die Heiligen Allahs.'“
Am letzten Tag erscheint der Jüngling nicht zur Arbeit, und der Basraer vernimmt, dass er krank sei. Als er ihn findet, sagt der Jüngling, er würde sterben. Der Basraer möge am nächsten Morgen, wenn er tot sei, die Taschen durchsuchen und das, was er darin fände, dem Kalifen bringen.
Dann sprach er das Glaubensbekenntnis, sandte in beredtesten Worten Dank zu seinem Herren empor und trug diese Verse vor:
„Bring du das Pfand des Mannes, dessen Stündlein naht,
Zu er-Raschîd; der Lohn liegt in der guten Tat.
Und sprich: Ein Wandersmann, der lange inniglich,
So fern, sich sehnte dich zu sehn, begrüßet dich.
Kein Hass und kein Verdruss, fürwahr hielt ihn dir fern:
Der Kuss auf deine Rechte nahte in dem Herrn.
Doch trennte ihn von dir die Seele voll Verlangen.
An Freuden deiner Welt, o Vater, nicht zu hangen.“
Da bemerkte Schehrezâd, dass der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an.

400. Nacht – Lies keine Nachrichten

Einer von Rolf Dobellis Tips lautet überraschenderweise: Konsumiere keine Nachrichten! Sie würden einen ablenken, sowieso nur wenig Inspirierendes beisteuern. Kreative Menschen würden keine Nachrichten sehen, hören oder lesen. Was sein Urteil gerade noch durchgehen lässt, sind "Analysen", was immer auch damit gemeint sein mag.
Für mich klingt das im ersten Moment natürlich wie eine Beleidigung. Man ist doch schließlich auch ein politischer Mensch. Aber doch merkte ich in mir, dass Dobelli da etwas gekitzelt hatte, worauf ich ansprang. Am deutlichsten ist es, wenn man aus dem Urlaub kommt und die vom Nachbarn ordentlich gestapelten Zeitungen durchstöbert. Mit jeder weiteren Zeitung erhöht sich dann der Frust: Was kümmern einen die Spekulationen über den Ausgang der Wahlen in Schleswig-Holstein, wenn die Wahl schon seit zwei Wochen gelaufen ist. Und wenn das jetzt egal ist, war es dann nicht schon damals egal?
Meine Distanz zum realen Politikgeschehen hat sich ja ohnehin immer mehr vergrößert. 1984 konnte ich jeden Minister der Kohlregierung nennen und die Ministerpräsidenten der Bundesländer noch dazu. Heute weiß ich vielleicht gut die Hälfte der Minister unter der letzten Merkel-Regierung und könnte nicht mehr als vier Ministerpräsidenten nennen. Die Gründe sind schnell gefunden: Ich sehe kein fern, und so fällt es schwerer, sich Namen zu merken, wenn die Gesichter und Stimmen fehlen. Am Gesicht würde ich Westerwelle, Schäuble, Van der Leyen, Leutheuser-Schnarrenberger und Rösler erkennen. Länder-Politik überfliege ich in der taz bestenfalls (womit auch meine Abo-Zeitung genannt wäre).
Im Übrigen ist es nicht so, dass mich politische Fragen kalt lassen würden. Ja, der Kalte Krieg ist vorbei, aber nicht einmal die Frage der atomaren Vernichtung ist vom Tisch (Interessiert sich eigentlich noch jemand außer mir für die in Deutschland stationierten Atomraketen?). Ich könnte weiterreden von bedingungslosem Grundeinkommen, Verkehrspolitik, Entwicklungspolitik, ach, es gibt wohl kein Themenfeld, dass mich nicht irgendwie berührt. Aber muss ich dafür tickermäßig die Meldungen lesen, so als sei ich der Pressesprecher eines Politikers, der alle Details kennen und auf alle Fangfragen vorbereitet sein muss?
Was würde man wissen wollen, wenn man nur ein Mal im Jahr für 20 Minuten Nachrichten lesen dürfte? Ich wette, auch noch in fünf Jahren wird ein amerikanischer Außenminister nach Israel reisen, um dort Möglichkeiten für einen neuen Friedensvertrag mit den Palästinensern auszuloten.
Ich sehe also nicht mehr fern. Die Radio-Nachrichten auf Radio Eins geizen mit Informationen. Pro Nachrichtenteil ca. sechs Meldungen, und dabei oft so nebensächliches wie Amokläufe in den USA, so als hätten diese Horror-Nachrichten irgendeine Bedeutung hierzulande oder als seien sie wichtiger als, sagen wir, die Massaker im andauernden Krieg in Kongo, von denen ich bei diesem Sender noch nie etwas gehört habe.
Die taz habe ich seit 1993 abonniert (vielleicht auch seit 1992). Ich mochte und mag die Berichte und Analysen. Verkraften muss ich ein schwaches Feuilleton, einen mageren Lokalteil mit Hang zu Linksradikalismen bis hin zu Gewalt-Verniedlichung, in dem sich nur sehr selten mal ein Rosinchen findet. Wo wird man eigentlich einigermaßen stilvoll über Berlin informiert? Ich will doch nicht die Morgenpost lesen, um zu wissen, was in meinem Stadtbezirk geschieht.
Seit über 10 Jahren lese ich außerdem die "Gehirn und Geist", die ich obendrein archiviere, dabei kommt es höchstens ein Mal im Jahr vor, dass ich ein Exemplar wieder hervorziehe, weil ich mich erinnere, dass da irgendwo ein Artikel zum Thema Autismus, Lernen, Pubertät, Sozialverhalten bei Vögeln oder Hirndoping stand. Dies schreibend überlege ich, ob es nicht doch sinnvoller ist, sich die Zeitschrift runterzuladen (kann man als Abonnent gratis) und dann das Druck-Exemplar umgehend zu verkaufen. Immerhin könnte man in den Exemplaren dann per Suchfunktion stöbern.
Den Rolling Stone hatte ich von 2000 bis 2009 abonniert. Ich hatte die Popmusik der 90er so gut wie möglich ignoriert und dabei so manche Perle übersehen, mit den 00ern sollte mir das nicht noch einmal passieren. Am Ende des Jahrzehnts stellte ich fest, dass ich nun zwar etwas besser informiert war und Perlen entdeckt hatte, die mir sonst verborgen geblieben wären (hervorzuheben ganz besonders Fiona Apple und Laura Veirs), aber Herz und Ohr hingen nun doch viel stärker als zuvor an Klassik und Jazz. Da konnten auch so großartige, mehrseitige Reportagen wie die über die scheinbar wahre Schatzinsel Oak Island oder acht Seiten über die Geschichte des Songs The Lion Sleeps Tonight, was man in dieser Ausführlichkeit weder im Internet erfahren konnte noch in irgendeinem anderen Presse-Erzeugnis.
Als ich von der POS auf die EOS wechselte, war es Pflicht, die "junge welt" zu lesen, um die Propaganda nachhaltiger zu gestalten.
Anfang 1989 abonnierte ich das "Neues Deutschland", da man dort wenigstens sofort wusste, woran man war. Tatsächlich waren die Regionalen oft einen Tag zu spät. (Ein Abonnement wie das für die löbliche Wochenzeitung Wochenpost oder Das Magazin zu bekommen, war völlig illusorisch. So etwas wurde vererbt oder höchstens aus Versehen zugestanden.)
Seit 1990 kaufe ich auch noch regelmäßig die zitty. Im Februar 1990 kostete sie 9 Ostmark, das waren 2% meines Netto-Gehalts, aber sie hatte nicht nur die West, sondern auch die Ost-Kulturprogramme aufgelistet, die allein zu studieren eine Sensation waren. Und ich las sie eigentlich auch zur Hälfte als Comic-Heft. Die Cartoons von Phil, Wächter und Fickelscherer ließen mich vor Lachen unter den Tisch fallen. Heute kämpft die zitty. Holger Fickelscherer ist von der Bildfläche verschwunden, Fil hat sich in "Didi und Stulle" verrannt. Das Kinoprogramm ist mal selektiv, mal tauchen die Film-Infos nicht mehr auf. Ob eine Programm-Info via Monopolist Cinemarketing überhaupt aufgenommen wird, liegt im Ermessen der Redakteure. Man merkt, sie geben sich Mühe, aber wenn man auf den hinteren Teil – die Kleinanzeigen – schaut, dann ist klar, was hier geschehen ist. Kleinanzeigen in der Form haben an Bedeutung verloren (im Grunde auch die Programmhinweise der zitty selbst), aber mit den Kleinanzeigen bricht auch ein wichtiger finanzieller Sockel weg. 1990 kostete die zitty 3 Mark, heute mehr als doppelt so viel. Aber im Fall der zitty gibt es natürlich auch einen subjektiven Grund der Distanzierung: Wenn gerade die Mauer gefallen ist, erscheint einem 21jährigen Westberlin natürlich tausendmal interessanter als einem mittelalten Mann, der obendrein an höchstens einem Tag pro Woche ins Kino oder ins Theater gehen kann.
Als halbwegs frischgebackener Vater sieht man sich ja außerdem in der Pflicht, sich über Fragen der Aufzucht, Erziehung, vermeidbare Elterndramen usw. zu informieren. Die Zeitschrift, auf die sich die Gattin und ich recht schnell einigen konnten, heißt Nido. Im Vergleich zu anderen Eltern-Zeitschriften lächeln einen hier nicht fußballspielende lustig-verstrubbelte Kinder vom Titelbild an, sondern wir sehen auch das Heulen, das Kaputtmachen, die Verzweiflung. Nur den Lifestyle-Scheiß gilt es zügig zu überblättern. Ob Nido nach Auswechslung der Chefredaktion oder vielleicht sogar des halben Teams noch goutierbar sein wird, bleibt abzuwarten.
Das GEO-Abo bekamen wir geschenkt. So etwas lässt man nicht liegen. Aber wieviel Zeit will man in die Lektüre dieses schönen Hefts investieren. (Schönster Artikel des letzten Jahres für mich übrigens der über die Blutbrustpaviane.)
Auch bei selektiver Auswahl der Artikel komme ich derzeit auf eine knappe Stunde Zeitungs- und Zeitschriften-Lektüre. Und schließlich will man ja auch Bücher lesen, bei denen sich zurzeit Sachbücher und Belletristik gerade die Waage halten. Und dann gibt’s auch noch so schöne Blogs wie den von Maria Popova, dieser unglaublichen jungen Frau, der es anscheinend neben ihrem Vollzeit-Job gelingt, jeden Tag ein Buch zu lesen und drei extrem interessante Blog-Einträge zu verfassen, so dass ich schon regelrecht wütend auf sie bin, dass sie sich nicht mehr Zeit lässt.
Mein Entschluss, das taz-Abos zu kündigen steht also zu 90% fest. Aber was ist die Alternative? Man will ja auch nicht als politischer Analphabet durch die Welt wanken. Zwischenzeitlich dachte ich schon, jeden Tag eine andere Tageszeitung zu kaufen. Aber dann bliebe ja immer noch das Problem, dass man mit der Lektüre dieser elenden Zeitungen doch nur Zeit verschwendet. Testhalber bestellte sich die Gattin nun mal DIE ZEIT. Genau das Richtige, dachte ich bis letzte Woche, als ich mich dabei ertappte, einen elend langen Artikel über die Koalitionsverhandlungen zu lesen. Spannend geschrieben, ja sicherlich, aber letztlich doch nur politischer Boulevard, der schon nächsten Monat niemanden mehr interessiert, da wir dann wissen, was bei den Verhandlungen herausgekommen ist. Ich zwinge mich also zur Selektion bei der ZEIT-Lektüre, beginne bei "Wissen" oder "Feuilleton", blättere "Wirtschaft" langsam und "Politik" schnell durch, überlege mir genau, ob ich das "Dossier" lese, schmeiße fast immer "Reisen" weg und überlasse die letzte Seite der Gattin zum Weinen vor Rührung.
In einem Moment des kräftigen Durchatmens bestellte ich vor zwei Wochen ein Jahres-Abo des "Guardian Weekly", eine gute Investition, wie mir bisher scheint. Der Blick auf das politisch und gesellschaftlich Wichtige der Woche aus einer anderen nationalen Perspektive erweitert den Blick, fördert die Fremdsprachenkompetenz und lädt eher zum Denken ein als das ohnehin Bekannte.
Ich könnte die Le Monde Diplomatique der taz beibehalten, aber die lese ich schon lange nicht mehr. Nach der Lektüre dieser "Analysen" geht es mir wie nach dem Lesen französischer Soziologen: Was habe ich jetzt eigentlich gelernt? Die Autoren wabern fast immer im Ungefähren, die Analysen bleiben unscharf, die Fakten könnte man auf einer Viertelseite zusammenfassen.
Vorsichtig taste ich mich an die Neue Zürcher Zeitung heran, die ich mir manchmal dienstags kaufe. Dienstags, weil ich dann immer am Zeitungsstand am U-Bahnhof Frankfurter Tor vorbeikomme, wo sie das Blatt feilbieten. Die liberal-konservative NZZ bläst ein wenig frische Luft ins Hirn, weil man durch die kuriose Schweizer Perspektive sieht, wie Gesellschaft auch funktionieren kann, weil sie über die neue Velo-Verordnung debattieren und erfrischend klar Stellung beziehen.
Mit der neuen International New York Times, die den International Herald Tribune ablöst und eher an die New York Times angelehnt ist, werde ich nicht recht warm. Ein paar mehr New York Nachrichten wären nicht schlecht, weniger Fashion, mehr Analysen.
Das Time Magazine kommt nicht in Frage. Da könnte ich mir auch gleich den Spiegel kaufen.
Eher schon The Economist, von dem ich hier neulich schon verhalten schwärmte.
Eigentlich müsste ich auf die Süddeutsche umsteigen, aber bedenkend, wieviel Zeit ich mit ihr im Urlaub verbracht habe, lasse ich lieber die Finger von ihr.
Vielleicht gelegentlich noch FAZ, El País und eine jener seltsamen Philosophie-Zeitschriften, die sich neu am Markt etablieren.
Die Sonntaz bleibt mir aber erhalten. Man will sich ja auch nicht gemein machen mit den empörten "Ich kündige mein Abo"-Leserbrief-Schreibern, obwohl es mir in den Fingern juckt.

***

Doch als die vierhundertste Nacht anbrach, fuhr sie also fort: …

Masrûr antwortet auf des Kalifs Vorwurf, ihn verspotten zu wollen:

"Nein (…) bei deiner Verwandtschaft mit dem Fürsten der Apostel, ich habe das nicht aus freiem Willen getan…"

Unklar. Petrus kann ja hier wohl nicht gemeint sein. Eigentlich muss man davon ausgehen, dass Masrûr auf die von Harûn behauptete Verwandtschaft mit Mohammed anspielt (die es, wie hier schon erwähnt, nicht gab). Es fragt sich dann nur, in welchem Sinne Mohammed ein Apostel ist. Ein Apostel Allahs?

Masrûr fährt fort, er habe bei einem Spaziergang in der vergangenen Nacht einen Spaßmacher namens Ibn el-Kâribi getroffen,

der das Volk zum Lachen brachte.

Der Kalif befiehlt, ihm diesen Mann zu bringen. Masrûr holt ihn und verlangt aber von ihm insgeheim drei Viertel jenes Geschenks, das der Kalif ihm eventuell geben würde. Nach einigem Gefeilsche einigen sie sich auf zwei vs. ein Drittel.
Ibn el-Kâribi soll also Scherze vor dem Kalifen vortragen, doch der Kalif warnt ihn, er würde ihm Schläge mit einem Sack verabreichen.

Nun erzählte er so lustige Dinge, dass selbst ein Zorniger hätte lachen müssen, und er trug allerlei Arten von Scherzen vor. Doch der Kalif lachte nicht und verzog keine Miene zum Lächeln.

Der scheinbar leere Sack enthält aber vier Kieselsteine,

von denen jeder zwei Pfund wog.

Nach dem ersten Schlag bricht Ibn el-Kâribi zusammen und besinnt sich der Abmachung mit Masrûr. Er verlangt, dass dieser den Rest der Schläge bekommen soll.

Als der Herrscher diese Worte von ihm vernahm, lachte er, bis er auf den Rücken fiel; danach rief er den Masrûr herbei und gab ihm einen Schlag. Der aber schrie auch und rief: "O Beherrscher der Gläubigen, ein Drittel ist genug für mich, gib ihm zwei Drittel."
Da bemerkte Schehrezâd, dass der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an.

399. Nacht – From Red to Blue

Da ist also dieser sehr gute Freund, den ich schon seit fast einem Vierteljahrhundert kenne. Viel gereist sind wir, haben einander beigestanden, und politisch brachte er seinen Zwiespalt mal mit dem Liedvers von Billy Bragg auf den Punkt:
„Should I vote red for my class
or green for my children?“
Dass er sich schließlich im Zweifel immer für Rot (d.h. PDS/Linke) entschied, war klar. Und dann überraschte er mich vor vier Jahren bei einem Spaziergang mit der Ankündigung, FDP gewählt zu haben. Ich glaubte an einen deadpan vorgetragenen Scherz. Aber es war keiner. Über 67 Prozent Steuern würde er zahlen, rechnete er mir vor. (Einkommensteuer und Mehrwertsteuer zusammengerechnet.) Ich konnte meinen Ohren kaum trauen. Er sprach wie die, die er vor 15 Jahren noch kritisierte. Es ging dabei nicht länger um Fragen, wie die Gesellschaft zusammengehalten werden solle, wie man gemeinsam leben solle, und schon gar nicht ging es um Gerechtigkeit.

In den vergangenen vier Jahren wurde er, wenn es um Politik ging, beinahe schweigsam, zu sehr boten die Liberalen eine Hampelmannveranstaltung. Aber als ich ihn vor drei Wochen, kurz bevor wir uns verabschiedeten, fragte, was er diesmal wählen würde, schaute er mich kurz an, zögerte, und meinte dann: „Sag ich nicht.“ Und ich wusste, es würde wieder die FDP, die Partei, die ihm übrigens auch beim Wahlomat angezeigt wurde.
Was ist geschehn, was ist passiert, was hat dich bloß so korrumpiert?, möchte ich da mit „Die Sterne“ fragen.
Nun stand ich im Zeitungsladen am Bahnhof. Auf Reisen kaufe ich Zeitschriften, die ich sonst nicht oder nur selten lese. Was würde der Freund lesen? Kaufe „Die Wirtschaftswoche“, „The Economist“ und das „Handelsblatt“, bestimmt keine schlechte Auswahl für einen international agierenden Bankenberater. Sollte das gesellschaftliche Sein wirklich das Bewusstsein bestimmen?
Keine große Überraschung bot das Handelsblatt. Wirtschaftliche Nachrichten dominieren, Politisches wird mit leicht konservativer Schlagseite beleuchtet. Den Economist kannte ich bereits recht gut und habe ihn auch schätzen gelernt. Die meist sehr gut recherchierten Artikel sind nie namentlich gekennzeichnet, eine heutzutage etwas unverständliche Marotte, die man sich aber leisten kann, wenn man ein erfolgreiches Presseorgan von England aus führt, wo eine kleine Marottenhaftigkeit zum guten Ton gehört. Der Ton hier durchaus liberal, aber stets gut durchdacht, nie vorhersehbar, so unterstützte The Economist Maggie Thatcher, aber auch den linken Londoner Bürgermeister Ken Livingstone. Der Artikel zur Wahl in Deutschland völlig Merkel-geprägt, und (vielleicht nicht ganz so unvorhersehbar) mit ordentlichen Sympathien für die Kanzlerin, die sie auch hier nicht müde werden, „Mutti“ zu nennen. (Alleine zu dieser furchtbaren Vokabel und der damit verbunden sanften Selbstironie müsste ein Artikel geschrieben werden.)
Doch der Hammer kam mit der Wirtschaftswoche, die schon in Bild-Manier aufmacht „Wahltag ist Zahltag. Das kostet sie die Wahl.“ Der Titel-Text zögert in keinem Abschnitt, Zahlen aus dem Zusammenhang zu nehmen, falsche Rechnungen aufzumachen (z.B. indem nur Teile des Steuerkonzepts berücksichtigt werden). In einer Tabelle für Singles, Paare mit Kindern und ohne Kinder werden die Entlastungen und Belastungen aufgelistet. Das Ergebnis steht schon in der Überschrift: „Liberale geben, Sozialdemokraten nehmen.“ Die Tabelle beginnt übrigens bei 20.000 Euro Jahreseinkommen, und so kann man auch fragen, wem denn da genommen und wem gegeben werden soll. Die Linken etwa werden für ihre Pläne im Fließtext so kritisiert: Die Linke „würde sogar geringverdienende Familien zusätzlich belasten. Hier schlägt das Weltbild durch. Um beide Eltern in die Berufstätigkeit zu drängen, soll die traditionelle Rollenverteilung per Steuerrecht (Ehegattensplitting) abgeschafft werden.“ So liest man also ganz nebenbei vom Weltbild der Wirtschaftswoche etwas mit, die dann doch an der „traditionellen Rollenverteilung“ hängt und dazu tendiert, Frauen eher zu entmutigen, sich ins Arbeitsleben zu begeben.
In ihrem Fazit werden alle fünf verglichenen Parteien abgewatscht. Die Linke wolle „einen radikalen Umbau des Systems. Enteignungsgleiche Steuern für Gutverdienende“, die Grünen seien links von der SPD positioniert, die SPD sei vom „wirtschaftsfreundlichen Kurs der Schröder-Ära“ abgekehrt, die CDU tendiert zu „mehr Umverteilung“ (sprich: Auch sie ist demokratischer geworden), und selbst die FDP kriegt, wenn auch mäßig, ihr Fett weg: „Die einstige Drei-Stufen-Partei ist bescheiden geworden. Moderate Entlastungen für alle durch Soli-Abbau“.
Wenn man das jede Woche liest, wird man dann zum FDP-Wähler? Nicht unbedingt. Aber wenn man außerdem gut verdient, sich mit Wirtschafts-Woche-Lesern umgibt, die ebenfalls über zu hohe Steuern mosern, dann vielleicht.
***
Der Dieb bittet den Marktwächter um eine Kerze, setzt sich in den Laden und liest im Rechnungsbuch. Am nächsten Morgen bittet er um Kamele und einen Treiber, lädt vier Ballen auf die Kamele, gibt dem Wächter zwei Dirhem und verschwindet.
Der Eigentümer (um die lange Geschichte kurz zu machen) verfolgt ihn bis
„an den und den Ort“.
Häufige Formulierung, in diesen kurzen Anekdoten, aber genauso könnten sie auch „Kairo“ oder „Basra“ sagen.
Dort findet der nach weiteren Auskünften das Magazin des falschen Kaufmanns, der seinen Mantel auf den Stoffballen abgelegt hat. Der Eigentümer nimmt alles mit, der Dieb aber verfolgt ihn,
bis die Stoffe im Schiff verladen waren. Da sprach der Dieb zum Kaufmann: „Bruder du stehst in Gottes Hut; du hast deine Stoffe wiedererhalten und nichts verloren; nun gib mir auch den Mantel zurück!“ Der Kaufmann musste über ihn lachen, gab ihm den Mantel zurück und belästigte ihn nicht weiter. Darauf zog ein jeder seines Wegs.
Eine sich hinziehende Zweieinhalb-Seiten-Geschichte mit fader Pointe.
***
Die Geschichte von Masrûr und Ibn El-Kâribi
Wieder einmal kann der Kalif Harûn er-Raschîd nicht schlafen.
Nun stand sein Eunuch Masrûr vor ihm, und der musste gerade lachen.
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398. Nacht – Schnell mal Barilla boykottieren?

Was ist das für ein seltsamer Shitstorm? Der Nudelchef Barilla wird gefragt, warum er keine Homo-Paare in seinen Werbespots filmt, und er antwortet, dass für ihn die Familie mit Frau heilig sei und dass er gegen ein Adoptionsrecht für Homopaare sei, da er die Erziehung bei gleichgeschlechtlichen Eltern für schwierig halte.
Die Interviewer lassen nicht locker: Ob er denn keine Angst habe, dass Homosexuelle jetzt andere Nudeln kaufen würden. Barilla lapidar: Mein Gott, wer mit dem Spot nicht leben kann, soll eben andere Nudeln essen.
Und das soll jetzt homophob sein? Vielleicht ein wenig konservativ. Aber er fügt noch hinzu, dass er sogar die Homo-Ehe unterstütze, was in Italien, wo es keinerlei rechtliche Anerkennung für gleichgeschlechtliche Paare gibt, schon revolutionär ist.
Anlass genug, um zum Nudel-Boykott aufzurufen? Als ob es im Kampf gegen die Diskriminierung von Schwulen und Lesben in Italien keine dickeren Bretter zu bohren gäbe.

***

398. Nacht

Kalif el-Mamûn versucht, in die ägyptischen Pyramiden einzubrechen und wendet sehr viel Geld dafür auf, doch nur aus einem kleinen Loch gelingt es ihm, Geld zu holen – genau die Summe, die die Bohrung verursacht hat.
Es folgen Lob und Beschreibung der Pyramiden sowie vier Lobeshymnen, davon das letzte:

Wo ist der Mann, der einst die Pyramiden baute?
Wie hieß sein Stamm? Wann war sein Tag? Wo ist sein Grab?
Die Werke überdauern die Männer, die sie schufen,
Nur kurz, dann kommt der Tod und stürzt auch sie hinab.

Die leise Hoffnung der atheistischen Künstler, wenigstens mit den Werken zu überleben, auch nur eine quasi-religiöse Ausweichbewegung hin zur Schimäre.

*

Die Geschichte vom Dieb und dem Kaufmann

Ein ehemaliger Dieb

hatte sich in aufrichtiger Reue wieder Allah zugewendet und einen Laden eröffnet, in dem er Stoffe verkaufte.

Ein schlauer Dieb zieht sich Kleider an, die denen des Kaufmanns ähneln und nähert sich abends dem Basar.

397. Nacht – Studierendenfutter

Wenn ich mal eine Liste "Bücher, die ich nach langem Hin-und-Her-Überlegen dann doch nicht gekauft oder gelesen habe" anlegen sollte, steht gewiss auch Bernhard Lassahns "Frau ohne Welt" drin. Dabei behandelt er ein Thema, das mir täglich Schmerzen bereitet – die angeblich "geschlechtergerechte Sprache". In den 90ern hatte ich manchmal noch gedacht, das "Innen" wäre als kleine Provokation ganz gut. Dann blieb es. Und dann wurde langsam klar, dass man es nicht aussprechen konnte. Was über Umwege wie die noch beschmunzelnswerten Komplett-Idiotien "Krankenschwesterinnen" führte, erreichte schließlich einen kollektiven Verblödungsschwung, so dass Wörter wie "Student" anscheinend kurz davor sind auszusterben, da der Anpassungsdruck zu hoch und das Sprachgefühl der Abiturienten verkümmert ist. (Studierendenfutter, Professierende)
Rechtsnormen waren wohl schon immer der Kreißsaal sprachlicher Zumutungen, aber die Arroganz, mit der die neue StVO in die Sprache pfuscht, schlägt dem Fass den Boden aus. "Zu Fuß Gehende", "Rad Fahrende" – aus einem Status wird eine permanente Tätigkeit. Die Chuzpe, dann auch die Fußgängerzone zur "Zu-Fuß-Gehenden-Zone" zu machen, brachten die Autoren dann doch nicht auf.
Das Argument der feministischen Sprachkritikerinnen ist immer wieder, mit Sprache würde Macht ausgeübt. Der Fehlschluss besteht darin, dass man eine Inklusion erzeugen will, die die Sprache nicht zu leisten imstande ist. Die Uneindeutigkeiten bleiben. Hörer würden sich, so heißt es, wenn von "Professoren" die Rede ist, sich hauptsächlich Männer vorstellen. Aber liegt das an der Sprache oder an den sozialen Tatsachen, den Diskriminierungen, die zu bekämpfen etwas mehr Anstrengung erfordert als ein Binnen-I zu schreiben?
Und dann kommt Bernhard Lassahn und schreibt "Frau ohne Welt". In der Buchbeschreibung des Verlags heißt es:

"Das feministische Ziel ist längst nicht mehr die Gleichberechtigung der Frau, sondern die Überwindung des Mannes als etwas Vorzeitlichem. Der Feminismus wendet sich gegen Mann und Mutterschaft und damit gegen die Familie. Wer den Feminismus gutheißt, schickt die Frau in eine kinderlose Weltfremdheit, die keine Zukunft hat. Er schadet allen."

Lassahn holt sich bei der Präsentation in unserem guten alten Zebrano-Theater Schützenhilfe ausgerechnet bei Arnulf Baring, Andreas Krause Landt und Monika Ebeling. Wenn man die Hand so weit nach rechts ausstrecken muss, um Gleichgesinnte zu finden, muss ich’s nicht lesen.

*

397. Nacht

Wie zu erwarten war, bleibt der Jüngling auch in der dritten Nacht fern und die Jünglinge wollen ihre Blutrache an Abu Dharr vollstrecken,

"was das Gesetz des Islams vorschreibt."

Man bietet ihnen Wergeld an, aber das lehnen sie ab. Doch im letzten Moment trifft der Jüngling ein:

Wisset ihr nicht, dass keiner dem Tode, wenn er sich einstellt, entrinnen kann? Ich habe mein Wort gehalten, auf dass es nicht heiße, die Treue sein unter den Menschen geschwunden."

Und auch das Ende erinnert uns an Schillers "Bürgschaft", die freilich auch nur eine Bearbeitung der sizilianischen Legende von Damon und Phintias ist.

***

Die Geschichte von dem Kalifen El-Mamûn und den Pyramiden

El-Mamûn, der Sohn des Kalifen Harûn er-Raschîd, reist nach Kairo, um dort die Pyramiden einzureißen und an die in ihnen verborgenen Schätze zu gelangen.

Da bemerkte Schehrezâd, dass der Morgen begann und hielt in der verstatteten Rede an.

396. Nacht – Österreichische Bäuerin als Tom Sawyer und die Geißel der Menschheit

Die Nachrichtenagentur dpa meldet heute, eine pekuniär klamme österreichische Bäuerin habe sich als Domina zwei Sklaven gehalten, die nackt und in Gummimasken für sie schuften mussten und dafür auch noch bezahlten. "Bis einer der Sklaven Betrug witterte und sie bei der Polizei anzeigte."
Nicht aus Schadenfreude hält sich unser Mitleid für diese beiden Arbeiter wider Willen in Grenzen, sondern vielmehr weil sich in diesem skurril-bizarren Fall die Janusköpfigkeit der Arbeit zeigt. Eigentlich kennen wir es schon von Tante Pollys berühmtem Zaun, um dessen Weißung sich Tom Sawyers Freunde reißen, nachdem er es ihnen als reine Freude darstellte. Arbeit ist eben doch ein Bedürfnis, solange es nicht in "Arbeit" ausartet. Und "Arbeit" ist die mühevolle, sinnentleerte Lohnarbeit, man könnte mit dem jungen Marx auch sagen "entfremdete Arbeit". An der Tätigkeit selber hatten die beiden Nudisten und gummiliebhabenden Masochisten offenbar gar nichts auszusetzen, sie verschaffte ihnen sogar Lustgewinn. Dieser ist so groß, dass die beiden bereit sind, so wie Toms Freunde, auch noch zu zahlen, um die Arbeit erledigen zu können.
Diese kleine Episode ist doch ein schönes Argument für uns Kämpfer ums Bedingungslose Grundeinkommen: Das Bedürfnis sich tätig zu entfalten, kann ja hier überhaupt nicht geleugnet werden. Es kommt nur auf die Vorzeichen an. In diesem speziellen Falle ärgerte sich wohl der Nackerte, dass die Dame seines Herzens das Ganze nicht auch als sexuelles Lust-Spielchen ansah, sondern praktisch die Meta-Spielregel änderte und das Ganze für sich zur Lohnarbeit umdefinierte, wobei der Lohn ja de facto ein negativer war.
Vielleicht wäre es mal ein Experiment wert: Würden mehr Menschen dafür zahlen, arbeiten zu dürfen, wenn sie dies nackt erledigen können?
Aber eigentlich haben wir es mit einem ernsten Problem zu tun: Arbeit wird doch der Mehrheit der Bevölkerung als etwas Furchtbares dargestellt, man müsse sich zusammenreißen, sich den ganzen Tag über mit eintönigem, sinnlosem Geracker quälen. Wenn’s Spaß macht, steht die Tätigkeit auch irgendwie im Verdacht, keine richtige Arbeit zu sein. Grob gesprochen, will am Ende keiner arbeiten aber jeder will einen Job.
Und dann zeigt man mit dem Finger auf verblödete Unterschicht-Familien, die sich vorm Fernseher auf der Couch breitmachen und überhaupt keine Lust haben, noch arbeiten zu gehen.
Bedingungsloses Grundeinkommen würde dieses Verhältnis ändern. Nicht von heute auf morgen. Aber es wäre die Grundlage dafür, dass Arbeit nicht mehr als Geißel der Menschheit betrachtet wird.

***

Der Jüngling gesteht, den Vater der beiden anderen jungen Männer erschlagen zu haben, bittet aber der Kalifen Omar, seine Geschichte erzählen zu können.

Wisse denn, o Beherrscher der Gläubigen, ich bin ein echter Vollblutaraber Kind, von denen, die unter dem Himmel die edelsten sind.

Beide Gerichtsparteien sind übrigens die ganze Zeit am Reimen, was vielleicht eine schöne Pflicht in heutigen Strafprozessen wäre.

Der Jüngling berichtet, wie einer seiner Kamelhengste sich über die Mauer eines Gartens beugte, um dort zu fressen, woraufhin der Besitzer des Gartens das wertvolle Kamel erschlug, was den Jüngling so sehr erzürnte, dass er den Kameltöter nun selbst umbringt. Kalif Omar meint, dieses Geständnis schütze ihn nicht vor einem harten Urteil. Der Jüngling ist bereit, das Urteil anzunehmen, bittet aber um drei Tage Zeit, um seinem minderjährigen Bruder das Erbe, das er irgendwo vergraben habe, auszuhändigen. Er würde auch einen Bürgen dalassen.

Das kommt uns doch recht bekannt vor:
"Und willst du mir geben drei Tage Zeit,
bis ich die Schwester dem Gatten gefreit.
Ich lasse den Freund dir als Bürgen.
Ihn magst du, entrinn ich, erwürgen."

Als Bürge soll ausgerechnet Abu Dharr einstehen.

Abu Dharr gilt als einer der ersten vier Muslime und seine Tugend wurde von Mohammed mit der Jesu verglichen.

395. Nacht – kuriose und unkuriose Zeitschriften

„Zeitschriften, die wir euch vorstellen“

In den Jahren 2000 und 2001 stellte ich bei derChaussee der Enthusiasten in unregelmäßigen Abständen „Zeitschriften, die ihr nicht kennt“ vor. Bei einem meiner mäßig inspirierten Aufräumanfälle fielen mir nun wieder die damals gekauften Hefte in die Hand. Das sagt man wohl so, aber eigentlich hatte ich diesen Zeitschriftenstapel immer wieder in der Hand, von Regal A nach Regal B schiebend und mir einredend, das wäre für irgendein „Archiv“ wichtig. Schnickschnack. Ich machte noch schnell ein paar Fotos, und jetzt kommen sie in die Tonne. Die meisten dieser Zeitschriften sind natürlich ausgemachter Schrott. Einige versprachen zumindest Lektüre in Wissensgebieten, an denen ich sonst schnöde vorbeisause. Fast alle pflegen einen typischen Jargon – eine Mischung aus Anbiederei und Fachmännischkeit.

– Der Artikel aus der Zeitschrift REPTILIA kam damals ziemlich gut beim Publikum an. Was ich zu dem Zeitpunkt nicht wusste: Heiko Werning, der außerdem noch Redakteur dieser Zeitschrift ist, wurde kurze Zeit später in der Lesebühnenszene aktiv und ist heute Mitglied bei der Reformbühne und den Brauseboys.
– Gegen wen kämpft man eigentlich? Diese Frage wollte ich mir durch den Kauf der „National-Zeitung“ beantworten. Und man kommt Gewissensbisse schon beim Kauf: Einmal will man nicht für einen Nazi gehalten werden, zum anderen unterstützt man ja mit dem Kauf die NPD. Sehr erstaunlich, dass auf der letzten Seite Bücher von Noam Chomsky beworben wurden, ein jüdischer Linker. Um die bescheuerte Frage der Titelseite „Wie mächtig sind die Juden?“ weiterzuspinnen: Haben die linken Juden jetzt schon die National-Zeitung in ihrer Hand? Wenn man genauer hinschaut: Es sind Bücher, die die amerikanische Außenpolitik nach dem 11. September 2011 kritisieren, und da kann der Nationalist schon mal den Alibi-Juden als Kronzeugen gebrauchen. Ob Chomsky davon weiß?
– Die Zeitschrift BRIDGE ist keine Kartenspielzeitschrift, sondern für Makler gedacht. Und so erfuhr ich, was mein einer Berliner Namens-Doppelgänger in Berlin so treibt.
– Sehr schön auch DER RAUBFISCH. Es fiel mir damals schwer, unter den Dutzenden Angelzeitschriften eine auszusuchen.
– Nicht auf den Fotos zu finden: GEHIRN UND GEIST, die einzige Zeitschrift, die es geschafft hat, gleich nach der Lektüre abonniert zu werden.
– Die kurioseste Zeitschrift fand ich aber „Die Lesertuning Scene“. Eine Zeitschrift, die praktisch von ihren Lesern gemacht wurde: Leser stellen ihre getuneten Karren vor, und zwar stets inklusive am „Ameisenfresser“ lehnenden aufreizenden Mädchen. Vom Technik-Schnickschnack verstand ich kein Wort, aber mich beeindruckte doch die extreme Unprofessionalität der Fotomodelle und ihrer Fotografen.



 

 

***

Der Alte antwortete, er sei auf dem Wege von Basra nach Bagdad, um ein Heilmittel für seine Augen zu finden. Der Kalif befielt Dscha’far, mit dem Alten Scherz zu treiben. Dscha’far rät nach kurzem Zögern dem Alten,

„drei Unzen Windhauch, drei Unzen Sonnenstrahlen, drei Unzen Mondschein und drei Unzen Lampenlicht“

zu nehmen und diese in einem bodenlosen Mörser zu zerstoßen. Der Alte legt sich auf seinen Esel, lässt einen Wind ab und erklärt diesen zum Lohn für Dscha’fars Rat und verspricht ihm außerdem bei Wirkung des mittels ihm eine Sklavin zu schenken, die ihm ein schnelles Ende bereiten soll.

Da lachte Harûn er-Raschîd, bis er auf den Rücken fiel, und befahl, jenem Manne dreitausend Dirhems zu geben.

Mit Geld sich das Recht zum Spotte erkaufen, ob das seinem Gott gefallen haben mag?

***

Die Geschichte vom Kalifen Omar ibn el-Chattâb und dem jungen Beduinen

Der Kalif Omar ibn el Chattâb sitzt auf dem Richterstuhl, als zwei Jünglinge einen dritten Jüngling am Gewand gepackt vor ihn schleifen.

394. Nacht – Meine Besserwissereien

Ich war ein Besser-Ossi
oder Onkel Hain kommt

Ob meine Besserwisserei angeboren oder anerzogen ist, weiß ich nicht. Nature or Nurture – die alte Frage. Da ich meine Eltern schon als kleines Kind damit nervte, sie in kleinen Dingen des alltäglichen Lebens zu korrigieren, muss es wohl in den Genen liegen oder vielleicht an einer Mutation der Muttermilch. Die moralphilosophische Fachwelt streitet ja darüber, ob Besserwisserei der Todsünde des Hochmut zuzurechnen sei. Dagegen spräche, dass es einem ja nur um die Sache geht: Den Fortschritt, die Wahrheit. Man möchte seine Menschen nicht in der Düsternis der Dummheit zurücklassen. So gesehen ist jedes Lehrbuch, überhaupt jedes wissenschaftliche Werk eine besserwisserische Anmaßung. Andererseits bohrt der Besserwissende in der Wunde des Schlechterwissenden. Er nervt den Nichtwissenwollenden, vor allem aber verbessert der Besserwissen in Situationen, die kein Belehren verlangen. Dies zu erkennen ist aber für den Besserwisser fast unmöglich, da es für ihn nichts Dringenderes gibt als die Richtigstellung eines Irrtums, und sei es die Korrektur eines Kommafehlers. Es kostete mich große Mühe zu lernen, mir wenigstens in zwischenmenschlichen Schlüsselsituationen auf die Zunge zu beißen. Vielleicht erkannte ich es mit Anfang 20, als mir meine Freundin beim schönsten Vorspiel zuflüsterte: "Du brauchst heute kein Kondom überziehen."
"Überzuziehen!"
"Was?"
"Es heißt, ‚Du brauchst heute kein Kondom überzuziehen.‘ Wer brauchen ohne zu gebraucht, ist nicht zu gebrauchen."
Ja, ja. Für diese Freundin war ich auch bald nicht mehr zu gebrauchen.
Aber zu lernen, die Angemessenheit der Belehr-Situation zu berücksichtigen, war für mich ein langer dornenreicher Weg – die Dornen dieses Wegs waren meine Besserwis-sereien und die Verletzungen zogen nicht nur die von mir Belehrten sich zu, sondern letztlich immer ich.
Meine ersten Opfer waren meine Kindergarten-Freunde, die ich mit frisch zusammengelesenem unnützem Wissen beballerte: "Welcher Frühblüher bekommt die Blüten vor den Blättern?" Nicht nur kannte die richtige Antwort "Der echte Seidelbast" natürlich niemand, die meisten wussten nicht einmal, was Frühblüher sind, und eine erstaunlich große Minderheit kannte nicht einmal den Unterschied zwischen Blüten und Blättern. Gut waren natürlich auch Fragen, die ich zwar nicht verstand, aber deren Antwort ich wusste: "Was ist die Muttersubstanz von Radium?"
So lernte ich mit fünf Jahren, dass es nicht viel bringt, sich schlauer zu fühlen, wenn die Konsequenz kommunikative Ausgrenzung lautet. Meine nächsten Opfer waren die Lehrer, und das zwölf Jahre lang. Ich wusste nicht alles besser, aber vieles. Talentierte Lehrer nutzten meine Fragen, um den Unterricht zu dynamisieren, während die weniger talentierten jedes Mal verunsichert waren, ob ihr am besten mitarbeitende Schüler, wenn er sich meldete, eine gute Antwort oder eine provokante Frage parat hielt.
Auch in schriftlichen Arbeiten testete ich regelmäßig die Lehrergrenzen aus. Diktat gegen Ende der ersten Klasse: "Onkel Hein kommt" lautete die Überschrift. Ich war in jener Zeit fasziniert von Zwielauten und Umlauten jeglicher Art. Onkel Hein kommt? Soso, das würde mir Frau H. bei der Korrektur nachweisen müssen, dass sie "Hein" so ausgesprochen hatte, dass man ihn nicht mit "ai" schreiben könnte. Andererseits wäre "Heyn" auch nicht schlecht, vielleicht sogar noch provokanter? Ich beließ es bei Hain. Frau H. lobte mich später sogar – ein Bärendienst an der Bildung meines Charakters, in dem es sich der Dünkel bereits gemütlich gemacht hatte. Dieselbe Frau H. ging ebenso ruhig darüber hinweg, dass ich in Mathearbeiten die Variablen nicht x oder y nannte, so wie es andere Kinder taten, sondern diese ausnahmslos mit den Umlauten ä, ö und ü, sowie gelegentlich auch mit ß bezeichnete.
Weniger starknervig war Frau H.s Nachfolgerin, Frau B., die in der sechsten Klasse, es ging im Geographie-Unterricht gerade um Industrie-Gebiete in Polen, mehrere Korrekturvorschläge zur Unterstreich-Form von Überschriften und Zwischenüberschriften ertragen musste. Ihre Stimme tremolierte bereits, als sie meinen unerbetenen Vortrag zum Thema "Zahlen als Unterpunkte. Warum man nicht 2.), sondern entweder 2. oder 2) schreibt" unterbrach, um zum öden Industriethema und der Werft- und Hafenstadt Gdansk zurückzukehren. Ich blätterte in meinem Buch, während B. an der Tafel säuselte und das auf ihrer A5-Karteikarte vorgemalte Tafelbild abmalte. Die Klasse schläferte träumerisch so vor sich hin. Eine kleine Zwischenfrage zum Aufmuntern: "Für den Export welcher Rohstoffe braucht denn Polen den Hafen?" Niemand meldete sich, ich schaute zum Tafelbild. Dort stand Gdanst! Mit T! Für alle sichtbar. Sollte ich wieder mal schlauer sein als die Lehrerin? Dies zu demonstrieren, durfte ich mir nicht entgehen lassen. Ich meldete mich. Frau B. musterte mich scharf: Würde ich wieder provozieren? Ich fühlte mich unschuldig und im Recht, und so muss mein Blick völlig unschuldig gewirkt haben, als ich, nachdem Frau B. mir zunickte: "Ja, Dan?" die Antwort gab: "Gdansk wird aber mit K geschrieben." Nie wieder habe ich B. dermaßen ausflippen sehen: "Das ist ein K. Ein K!!" Sie übermalte das T zum K und echauffierte sich über die gesamte Klasse. Warum habe man ihr, der jungen Absolventin in dieser Schule die trägste Klasse von allen gegeben, in der der Einzige, der überhaupt Energie genug habe, um den Arm zu heben, sich mit der Korrektur unwichtiger Nebensächlichkeiten beschäftige. Auf den Hinweis, dass Orthographie keine unwichtige Nebensächlichkeit sei, holte sie mich als Strafe zur mündlichen Leistungskontrolle an die Tafel. Mit dem aktuellen Stoff – "Industrie in den RGW-Staaten" – konnte sie mich nicht drankriegen, und so stocherte sie in vergangenen Themen herum: Faltengebirge, Glaziale Serie, Oberrheingraben. Die Pausenklingel dröhnte. B. suchte weiter nach Schwachstellen. Fünf Minuten später gab sie auf: "Pause!", und gab mir verdrossen die Eins. Es fühlte sich gut an, Recht behalten zu haben, aber mir war klar: Man hatte mich auf dem Kieker. Die ganze Schulzeit über. An der Uni war ich schon vorsichtiger. Aber trotzdem hielt meine Besserwisserei an: Meine Beziehungen litten darunter. Und sicherlich auch meine Gesundheit. Denn noch kannte ich nicht die Regel, dass die Gastronomie zu den Bereichen zählt, in denen Kritik sich leicht als Bumerang erweist. Den Kellnern ist es wohl einigermaßen egal, ob sie einen Teller ein oder dreimal durchs Lokal tragen müssen. Köche aber reagieren wie beleidigte Pianisten, wenn man ihre Kunst infrage stellt. Bemerkungen wie "Die Bechamelsoße am Spargel ist viel zu dick." oder "Rosmarin passt aber nicht an Geflügel" bringen Köche auf die Palme. Und erst spät erfuhr ich, dass sich diese Küchen-Lamas rächen, indem sie einem die Soße des neuservierten Essens ordentlich mit Eigen-Aule einspeicheln. Auch ein Cartoon des Derbzeichners Werner Brösel bindet meine Zunge wenn’s ans Kritisieren von Restaurant-Gerichten geht: Wir sehen einen Schiffskoch, der freudig sein entblößtes Glied über eine Pfanne hält und darunter den Zweizeiler: "Der Koch in der Kombüse/verfeinert das Gemüse."
Ich habe gelernt, und habe gelernt zu schweigen, wenn ich falsch bedruckte Speisekarten oder orthographisch verhunzte Ladenschilder sehe. Ich zügle mein Maul, wenn Freunde ihr Geld für schützende Kristalle, "belebtes Wasser" und ähnlich geldschneiderischen Schrott ausgeben. Ich achte auf den passenden Ort und die passende Zeit, um auf die Lügen der Homöopathie aufmerksam zu machen. 381 Millionen Euro pro Jahr in Deutschland für Globuli aufgrund einer Hokuspokus-These, für deren Beweis jedem der Physik-Nobelpreis zuerkannt würde, deren Belege allesamt subjektiver Natur sind und deren Effekt genauso durch Wasserschlucken reproduzierbar wären. (Ich kann mich schon wieder nicht halten…)
Aber es gibt eine schöne Spielwiese für Leute wie mich: Immer wieder bestaunen Feuilletonisten die Arbeit und den Antrieb der Wikipedianer. Wie kann eine selbstorganisierte Enzyklopädie funktionieren? Wo nehmen die Macher die Zeit und den Ehrgeiz her? Hier ist die Lösung: Besserwisserei. Ich kann keinen Wikipedia-Artikel lesen, ohne Kommafehler zu korrigieren. Bei Behauptungen, die mir unwahrscheinlich erscheinen, schlage ich mir Stunden um die Ohren, um sie zu veri- oder falsifizieren, selbst wenn mich das Thema an sich nur peripher interessiert. So wurde im deutschen Artikel zum Italo-Amerikanischen Schlagersänger Al Martino behauptet, er sei in den 60ern nach England geflohen, weil er von einem Mafioso namens Luca Brasi verfolgt worden sei. Luca Brasi ist aber der Name eines Knochenbrechers im 70er-Jahre Film "Der Pate", bei dem Al Martino eine Nebenrolle hatte. Hier schien mir etwas durcheinandergebracht worden zu sein. Mehrere Tage verbrachte ich mit der Recherche, bis ich auf ein Zitat in der Augsburger Allgemeinen stieß, das einen amerikanischen Zeitschriften-Artikel falsch übersetzt hatte, der wiederum sehr frei mit der Vita Al Martinos spielte. Ich strich in der Wikipedia einen Halbsatz und mich durchfuhr ein mentaler Orgasmus. Vor einem halben Jahr bin ich wegen meines Fleißes in der deutschen Wikipedia zum Sichter befördert worden. Wiki-Sichter! Seidelbast! Gdansk! Rosmarin! Bechamel! Brauchen nur mit zu! Globuli. Und Onkel Hain! Onkel Hain kommt!

***

Der Mann berichtet den zusammengerufenen Leuten, was geschehen war, woraufhin die Frau den lebenden Fisch präsentiert, der ihn Lügen straft.

Dann erklärten sie ihn für irrsinnig und sperrten ihn ein und lachten ihn obendrein aus. Er aber begann in Tränen auszubrechen und hub an, diese beiden Verse zu sprechen:

Die Alte hat im Schlechten schon hohen Rang erklommen.
Und Zeugen der Gemeinheit stehen in ihrem Gesicht.
Wenn unrein, kuppelt sie; wenn rein, bricht sie die Ehe;
Sie lebt, indem sie kuppelt und auch die Ehe bricht.

***

Die Geschichte von der Weiberlist

In Bagdad geht eine "Tochter der Fröhlichkeit" am Laden eines schönen Jünglings vorbei, über dessen Tür die Worte stehen:

"Es gibt keine List als die List der Männer; denn sie übertrifft die List der Frauen."

Dies reizt sie, ihm das Gegenteil zu beweisen. Am nächsten Tag kommt sie in seinen Laden, vorgeblich, um Stoff zu kaufen. Dann spricht sie zu ihm:

"Sieh doch mal, wie schön ich von Wuchs und Gestalt bin! Kannst du einen Fehl entdecken?" (…) "Nein, meine Herrin."

Daraufhin entblößt sie ihren Busen und ihre Arme.

"Was veranlasst dich, meine Herrin, mir diese schönen Glieder und diese liebliche Gestalt zu zeigen? (…)

Die weiße Wange wird vom Haar umrahmt
Und ist verborgen in der schwarzen Pracht.
Die Wange gleicht dem hellen Tageslicht,
Das Haar ist gleichsam wie die finstre Nacht."

Daraufhin erzählt sie ihm, ihr Vater, der Großkadi verhöhne sie und sage ihr ständig, sie sei hässlicher als die Sklavinnen und bräuchte deshalb keine feinen Kleider. Sie nimmt Abschied von ihm, und

in seinem Herzen regte sich eine tausendfache Sehnsucht.

Er begibt sich zum Kadi und hält um die Hand dessen Tochter an.

"Herzlich willkommen", erwiderte der Kadi, "aber meine Tochter taugt nicht für deinesgleichen, mein Freund."

Doch der Jüngling beharrt darauf, und so wird noch vor Ort der Brautpreis ausgehandelt und die Eheurkunde aufgesetzt. Drei tage später findet die Hochzeit statt.

Als er aber den Schleier von ihrem Antlitz hob und das Kopftuch zurückschlug, da entdeckte er eine ekelhafte, hässliche Gestalt und ein mit allen Fehlern behaftetes Wesen. Und nun bereute er, als ihm die Reue nichts mehr nutzte. (…) Und er ruhte bei seiner Gattin wider Willen.

Ob der Vollzug nachgeprüft wurde? Oder sich der Kadi auf die Aussage seiner Tochter verließ?

Er wird nun von seinen Freunden verspottet. Und als er wieder in seinem Laden sitzt, kommt die junge Frau wieder und bietet ihm an, ihm zu helfen, sofern er die Inschrift über der Tür verändere. Dies tut er:

Es gibt keine List als die List der Frauen; denn ihre List ist die größte.

Sie rät ihm, Trommler und Tänzer zu bezahlen, damit sie ihn am nächsten Tag vorm Gerichtshof des Kadis bejubelten und ihm sagten: ‚Zum Segen, Vetter! Unsere Seele freut sich über das, was du getan hast.‘ Dann möge er ihnen Dirhems zuwerfen.

"Ja, der Rat ist gut", antwortete er.

Weiß er schon, worauf das hinausläuft? Ich hier noch nicht.

Er tut, wie ihm geheißen, und der Kadi wird erbleicht, da die Trommler behaupten, sie seien durch die Heirat als Vettern nun Verwandte des Kadis geworden.

"Weißt du nicht, hoher Herr, dass ich auch zu dieser Zunft gehöre?"

"Allah verhüte, dass dies Ding sich vollende! Wie sollte es erlaubt sein, dass die Tochter des Kadis der Gläubigen bei einem Mann e verbleibe, der zu den Tänzern gehört und niedriger Herkunft ist? Bei Allah, wenn du dich nicht im Augenblicke von ihr scheidest, so lasse ich dich peitschen und auf immer bis zu deinem Tode ins Gefängnis werfen. (…) Du bist ja unreiner als ein Hund oder ein Schwein." (…)
"Sei besonnen, o Gebieter! Denn Allah ist besonnen! Ich könnte mich von meiner Frau nicht scheiden, wenn du mir auch das Königreich Irak schenktest!"

Der Kadi behält seine Drohung bei, und der Jüngling spricht die Scheidung aus. Er kehrt zurück in den Laden und heiratet die listige Jungfrau.

 

***

Die Geschichte von der frommen Israelitin und den beiden bösen Alten

Eine fromme Israelitin wird von zwei Alten bei der Waschung hinterm Gebethaus beobachtet und erpresst, sie möge ihnen zu Willen sein. Sie widersteht, und so veleumden die beiden Alten sie, sie hätte Ehebruch betrieben. Drei Tage steht sie am Pranger, dann soll sie gesteinigt werden. Aber der zwölfjährige Daniel, der spätere Prophet, verhört die beiden Alten getrennt, und sie machen widersprüchliche Angaben zum Tatort.

Da sendete Allah der Erhabene plötzlich einen rächenden Blitz vom Himmel und verbrannte die beiden Alten.

Warum tut er das erst, als deren Schuld durch Daniel bereits bewiesen ist?

Dies war das erste Wunder des Propheten Daniel – auf ihm ruhe Heil.

Diese Geschichte aus alttestamentarischer Zeit wirkt sonderbar deplatziert an dieser Stelle.

***

 

Die Geschichte von Dscha’far dem Barmekiden und dem alten Beduinen

Harûn er-Raschîd geht mit Dscha’far, Abu Nuwâs und dem Tischgenossen Abu Jakûb aus. Da entdecken sie in der Steppe einen Alten.

393. Nacht – Das Bröckeln der Anti-Gentrifizierungsfront

Das Loch in der Anti-Gentrifizierungs-Front

Meine Nachbarschaft ist zugestopft mit Kaufhallen, Supermärkten und Discountern aller Art. Cafés und Restaurants eher weniger, aber Kaufhallen. Dafür hamse wieder Geld, die Treptower. In weniger als 5 Laufminuten erreiche ich:
– zwei Netto
– einen Kaisers
– ein real
– Rewe
– Aldi
– und (dafür braucht man dann schon sieben Minuten) die Biokette LPG
Schon irritierend, als vor wenigen Monaten direkt neben dem Netto auf dem ehemaligen Mauergrundstück die Bagger ankamen und schon bald ein Schild verhieß: „Hier entsteht ihr neuer Edeka!“ Die Graffitisierer sprachen mir aus dem Herzen, als sie dann an die neueröffnete Filiale sprühten: „Kita? Spielplatz? Park? Noch ein Supermarkt! Fuck the system!“
Wem wollten die denn die Kundschaft streitig machen? Mir war klar, ich würde den Edeka, auch wenn er nur bequeme 3 Minuten entfernt lag, boykottieren. Und ich war mir sicher, ich wäre nicht der Einzige. Die Graffiteure hatte ich auf meiner Seite. Am selben Tag hatten sie auch ein in der Karl-Kunger-Straße modernisiertes Haus markiert mit „Privat-Zoo für Reiche“. Ich muss zugeben, dass ich die Aufschrift im zweiten Moment schon nicht mehr verstand. Wenn dieses Haus ein Zoo für Reiche war, wer wurde denn darin gehalten? Die Reichen? Von wem? Von uns? Wer waren die Besucher des Zoos? Wir? Aber ins Haus kam man doch nicht rein. Die Anti-Gentrifizierungsfront hatte noch an der Durchdachtheit ihrer Slogans zu arbeiten.
Der Edeka hatte inzwischen zwei Monate geöffnet. Und ich widerstand der Versuchung nachzuschauen, wie es darinnen aussehen mochte. Ich wählte beim Einkaufen weiterhin zwischen dem billigen Ekel-Netto und den ökokorrekten LPGlern. Ich lege ja schon seit immer etwas mehr hin, um Biofutter zu bekommen, denke aber, dass das manchmal – etwa bei Schnipsgummis oder Bier auch ein wenig zweitrangig ist. Es gibt eben doch ein richtiges Leben im Falschen, hier irrte Adorno. Hunderprozentige Korrektheit gibt es nicht, jeder muss seinen eigenen Kompromiss finden. Und wenn ich Bananen vergessen habe, dann vermeide ich den Umweg zur LPG, und springe eben schnell zu Netto rein, wo man sensuell auf eine böse Probe gestellt wird. Es stinkt nach Verpackungen und Schweiß, der Laden beballert einen mit seiner stechenden Gelb-Orange-Kombi, die Mitarbeiter wurden offenbar aus der Dauerkundschaft gecastet, man bemüht sich um einen freundlichen Umgangston, kann aber die Gehetztheit und, wie mir scheinen will, eine Angst (wovor auch immer) nur schwer verbergen. Hinter der Kasse eine Abstellfläche von einem Achtelquadratmeter, auf die der Kassierer die Lebensmittel in einer Weise abstellt, als wolle er einem sagen: „Beeil dich gefälligst, du Flitzpiepe, und dann sieh zu, dass du hier wegkommst. Ich trete dann immer absichtlich auf meine innere Bremse, denn es gibt nur wenig Schlimmeres fürs innere Gleichgewicht als sich von anderen in Hektik treiben zu lassen. Und leise, während ich Tütchen für Tütchen, Fläschchen für Fläschchen in den Rucksack lege, summe ich leise in mich hinein: „Ich beeile mich nicht. Ich bin es nicht, der hier arbeiten muss.“
Nun begab es sich aber, dass ich dringend Granatapfelsaft benötigte. Fragt nicht warum! Die Zeit war knapp, der nächste Persian-Food-Shop weit und der zwischenmenschliche Druck enorm. Was sollten mir da ein Gelübde über einen Edeka-Boykott, das ich mir nur selber gegeben hatte, und das auch nicht mal bewusst, sondern eher als vage formulierte Idee? Ich versuchte den Gedanken „Ein Supermarkt ist doch wie der andere“ nicht zu denken. Edeka war der Letzte gewesen, der Überflüssigste. Wenn ich jetzt da reinspazierte, müsste es die absolute Ausnahme bleiben.
Bei der Gelegenheit könnte ich noch ein paar Pfandflaschen mitnehmen. Irgendwie hat sich in meinem Kopf der Glaube festgesetzt, dass man den Laden, in dem man die Pfandflaschen abgibt, schädigt. Vielleicht nicht finanziell, aber sie haben den ganzen Aufwand, den Kram hin und herzutransportieren, sich um die Abholung zu kümmern. Ich steckte sie in den Automaten im Vorraum: „Hier, friss! Nimm dies!“ sprach ich, während ich mich wunderte, dass es hier so gar nicht nach Flaschenannahme stank. Rechts neben dem Automaten ein Sammelbehälter für die Pfandbons, die als Spende für zwei soziale Kinderprojekte in unserer Nachbarschaft abgerechnet werden. „Ha! Ihr denkt wohl, auf diese Weise könnt ihr mich ködern!“ Links neben dem Automaten ein Waschbecken! Ich schaute mich um – ja, das war für die Kundschaft gedacht. Nein, auch damit kriegt ihr mich nicht, sagte ich mir, als ich durch die Automatiktür die Halle betrat. Die Halle mit ihren geräumigen Gängen, wo man sich nicht, wenn einem einer mit Einkaufswagen entgegenkommt, zurückweichen oder einen Crash riskieren muss. Die Halle, in der Angestellte ohne zu hetzen mit Augenmaß die Waren einsortierten. Die Halle, in der es eine Ruheecke für Rentner gab und zwei Spielecken für Kinder, und zwar ohne den phantasielosen Plastikdreck, mit dem sonst Kinderecken hingerotzt werden. Zwei Kassiererinnen, auf dem Weg zu ihren Boxen, scherzten leicht miteinander. Jeder hier lächelte. Aber es war nicht das Lächeln, das man etwa von Stewardessen kennt, bei denen man immer vermutet, dass sie am Abend die Klammern hinter den Ohren entfernen müssen, um ihr Gesicht wieder zu entspannen. Es war auch nicht dieses auf Kundenfreundlichkeit getrimmte Diskantgeschnatze aus dem Subways am S Bahnhof Schönhauser Allee, wo einem alle Verkäufer – ob Mann oder Frau – die Ohren vollkeifen: „Soll’s getoastet sein?“ Nicht wie in den Pseudo-Edel-Restaurants in Brandenburg, wo die Kellner in kaum verkautem Berlinerisch andauernd fragen: „Solls noch was sein der Heer?“ Und auch nicht wie die wirklich freundlichen Angestellten der LPG Treptow, die dann doch oft übermüdet wirkten. Diese Leute, das war zu sehen, mochten ihren Beruf, sie mochten ihre Kollegen und sie mochten ihre Kunden. Man nahm es sich sogar heraus, einzelne Kunden zu necken, aber nicht in Bouletten-Olli-Manier, oder im Döner-Ömer-Style, sondern sanft und immer den Ton treffend.
Die Halle. Die Halle, in der ich auch den Granatapfelsaft fand.
Was sollte ich nun mit dieser Halle machen, die ich doch zu boykottieren gedacht hatte? War das nun wieder ein ganz perfider Trick des Kapitalismus, uns an der Nase in der Manege der Globalisierung herumzuführen? Nur weil ich zehn Minuten ohne zu drängeln oder angepöbelt zu werden in Ruhe einkaufen konnte, sollte ich meine Anti-Gentrifizierungs-Prinzipien über den Haufen werfen? Aber muss der Kampf gegen das Böse immer mit Bitterkeit geführt werden? Brecht schrieb: „Auch der Hass gegen das Böse entstellt die Züge.“
Es gibt ein richtiges Leben im falschen. Ich kaufe immer noch selten dort ein. Mal ein laktosefreies Eis, mal ein spezielles Gewürz, Kleinigkeiten eben. Einmal in der Woche esse ich in dem Mini-Café, das sie dort eingerichtet haben und wo Gottseidank keine Musik dudelt, einen Spritzkuchen und mache mir Notizen. Ich weiß nicht, warum der Edeka so funktioniert, wie er funktioniert. Haben sich hier zwanzig alte Kumpel zusammengetan und gesagt: Wir schlagen denen ein Schnippchen und machen alles ganz anders? Vielleicht ist es ja ein Dekret des Konzerns, aber die Freundlichkeit sähe dann sicherlich anders aus. Gekaufte Freundlichkeit wie bei Kaisers. Sicher wäre ja ein Spielplatz an dieser Stelle besser gewesen. Vielleicht, ich wage es kaum zu denken, vielleicht aber ist es auch gut so wie es ist.
 

***
393. Nacht
Tatsächlich sucht der Schuldner die Barmekiden el-Fadl und den uns bereits als Wesir Haruns bekannten Dscha’far auf, die sich wiederum an den Kalifen wenden, der dem Said ibn Sâlim el-Bâhili Dreimillionen und dreihunderttausend Dirhems zukommen lässt.
Betrachte diese edle Art, die sich in den Edlen offenbart.
Natürlich. Der unedle Pöbel behält seine Millionen lieber für sich.
***
Die Geschichte von der List einer Frau wider ihren Gatten
Ein Mann bringt seiner Frau einen Fisch vom Markt und trägt ihr auf, diesen zuzubereiten, während er sich zum Freitagsgebet begibt. Die Frau wird jedoch unterdessen zu einer Hochzeitsfeier eingeladen, legt den Fisch einstweilen in einen Krug und bleibt eine Woche lang fort, während ihr Mann nach ihr sucht. Als sie zurückkehrt, nimmt sie den Fisch aus dem Krug.
Da bemerkte Schehrezâd, dass der Morgen begann und hielt in ihrer verstatteten Rede an.

392. Nacht

Ich kann die Faszination der Katholiken für ihre Religion schon verstehen: So viel undurchschaubarer Hokuspokus, unerklärlicher Sinn und Rituale, die ihren Sinn erst dadurch erhalten, dass man auch auf Nachfrage keine nachvollziehbare Antwort bekommt. Man fühlt sich wieder ein wenig wie ein Fünfjähriger, der ein seltsames Märchen in altertümlicher Sprache erzählt bekommt: „Vor langer Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat, …“
Und nun ist der Papst abgetreten. Fast ein säkularer Akt. Wir erinnern uns noch an den röchelnden Johannes Paul II., der sich in seinem Todesjahr zu Ostern noch mal ans Fenster gewagt hat, um den Segen zu sprechen zu probieren. Man hörte nur ein Grunzen, und die Welt der Katholiken fand ihn so würdevoll und charismatisch.
Diese Würde konnten sie ihm freilich nur im Nachhinein verleihen. Es gab den sportlichen Karol, den Karol, der im Laufschritt eilen musste, sonst hätte er seine eigene Wahl verpasst, den ersten Papst, der um die Welt düste.
Aber einen röchelnden Benedikt, das wollte Ratzinger weder den Mit-Katholiken noch sich selber antun. Bei ihm hätte man bestenfalls Mitleid empfunden.
Und was wird nun, da der Alte zurückgetreten ist, aus dem Fischerring? Zerbrechen darf man ihn erst nach dem Tod des Papstes, aber darf Ratze ihn behalten? Muss man noch „Papst“ zu ihm sagen, so wie man zu Ex-US-Präsidenten auch immer noch „Mr. President“ sagen sollte, wenn man einen knietiefes Fettnapf zu vermeiden sucht.
Achso, der Fischerring:

So sah das Teil von Leo XIII. aus.
 
Und so Leo XIII. selber, der erste Papst, von dem es Film- und Audio-Aufnahmen gab.
***
392. Nacht
Jahja nimmt die Kunde vom mit dem Gelde fortgelaufenen Bettler leicht:
„Bei Allah, hätte er auch sein ganzes Leben bei mir verweilt, bis ihn der Tod ereilt, ich hätte ihm nie meine Spende entzogen, noch ihn um die Wohltat meiner Gastfreundschaft betrogen.“ Keine Zahl kann die Vorzüge des Barmekiden umfassen, und ihre Eigenschaften waren so herrlich, dass sie sich nicht beschreiben lassen. (…)
Die Güte fragt ich: Bist du frei? Sie sagte Nein,
Ich muss dem Sohne Châlids, Jahja, Sklavin sin.
Drauf ich: Bist du gekauft? Sie sagte: Das sei fern!
Als seiner Väter Erbe diene ich ihm gern.
Die Geschichte von Mohammed el-Amîn und Dscha’far ibn Mûsa
Dscha’far ibn Mûsa el-Hâdi besitzt eine schöne Lautenspielerin, auf die Mohammed el-Amîn, der Sohn Zubaidas, ein Auge geworfen hatte. Er bittet Dscha’afr, sie ihm zu verkaufen. Dieser erwidert:
„Du weißt, es geziemt sich nicht für Männer meines Ranges Sklavinnen zu verkaufen und um Nebenfrauen zu feilschen. Wäre sie nicht in meinem Hause aufgewachsen, so würde ich sie dir als Geschenk übersenden.“
Eines Tages speisen und zechen die beiden zusammen, und die el-Badr el-Kabîr spielt für die beiden. Da macht Mohammed den Dscha’far betrunken und nimmt die Schöne mit sich.
Aber er streckte nicht die Hand nach ihr aus.
Als ob das jetzt noch glaubwürdig wäre.
Als Dscha’far den Besuch erwidert, lässt Mohammed die Sklavin für die beiden spielen. Dscha’far unterdrückt seinen Zorn. Daraufhin belohnt Mohammed el-Amîn seinen Freund, indem er dessen Boot voller Silber, Gold, Rubinen und Juwelen füllen lässt.
Solcherart sind die edlen Taten der Vornehmen – Allah habe sie selig.
Die Geschichte von den Söhnen Jahjas ibn Châlid und Sa’id ibn el-Bâhili
Diese Geschichte wird von Sa’id ibn ek Bâhili selber erzählt.
Als Sa’id einmal in Not gerät, wendet er sich an den Weisen Abdallâh ibn Mâlik el-Chuzâ’i, der ihm rät, sich an die Barmekiden zu wenden.
Von diesem Weisen war bereits in der 306. Nacht die Rede.
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„Forget your generalized audience. In the first place, the nameless, faceless audience will scare you to death and in the second place, unlike the theater, it doesn’t exist. In writing, your audience is one single reader. I have found that sometimes it helps to pick out one person—a real person you know, or an imagined person and write to that one.“