Erzähle mir nichts vom Jenseits und wie’s zu erlangen du strebst.
Strebe nicht, handle! Und wisch von der Wange die Träne mir hier.
Die Lüge
Zwei lange Jahre hat er dich belogen,
in denen du vor Kummer ihn verschontest
und, ihm zu helfen, bei ihm wohntest,
und Trost ihm gabst, wenn seine Sorgen überwogen.
Und jeden Wunsch, auch wenn er überzogen,
du rasch erfülltest und mit Küssen lohntest.
Du hast dich dabei nicht einmal verbogen,
wie du mir gegenüber stets betontest.
Ist diese Zeit durchs Lügen korrumpiert?
Du selber sagst, du hast sie tief genossen.
In seinen Armen hast du Glück gefunden.
Das Glück durch Lug und Lug durch Glück verziert.
Lass los, denn beide sind bereits verflossen.
Vorbei! Was bleibt, sind die gelebten Stunden.
Dachbodenfreundschaft
Genascht Konfitüre aus staubigem Fach
auf dem Boden des Daches klammheimlich zu zweit.
Und Hefte und Schachteln, ein Hakenkreuz.
Die Sonne streng durch das Dachfenster strahlt.
Wir, in dem Glauben, es wär uns verboten,
nach immer größeren Schätzen gespäht,
nicht ahnend, der größte war hier und jetzt
der Augenblick
des wahren, gemeinsamen Abenteuers
der zwei Freunde,
die sich viel später erst wiederbegegnen
fast vierzig Jahre
und kurz nur nickend sich grüßen.
Regen und Notwendigkeit
Der Regen fällt auf Friedas Grab
Früh gab sie ihre Löffel ab.
Der Regen fällt aufs hübsche Beet.
Wenn Hilfe käm, käm sie zu spät.
Es regnet auf den Rosenstrauch.
Vorbei – es war ihr letzter Hauch.
Es regnet auf den Fliederbusch.
Der Posaunist spielt einen Tusch.
Der Regen nässt sein Instrument.
Die Frieda jetzt für immer pennt.
Und nass wird auch ihr brauner Sarg.
Jetzt ist sie hin, einst war sie stark.
Tod und Regen und die Zeit:
Traurig- und Notwendigkeit.
Spielt es am Ende eine Rolle, ob es improvisiert war oder nicht?
Improvisationstheater ist interaktiv. Dadurch entsteht in der Regel eine stärkere Bindung zwischen Publikum und Schauspielern als in nicht-improvisierten Stücken. Offensichtlich wird die Interaktion, wenn die Schauspieler das Publikum nach Vorschlägen oder Vorgaben für eine Szene fragen. Schon in der Situation des Fragens und Antwortens wird die „vierte Wand“ gebrochen. Die Schauspieler spielen keine Rolle, sie sind einfach nur die Schauspieler, die sich auf die Improvisation mit dem Publikum vorbereiten. Der Kunst wird hier der Heiligenschein genommen, die Schauspieler rücken den Zuschauern näher. Sie sind diejenigen, die (stellvertretend für die Zuschauer) das Wagnis der Improvisation eingehen.
Das Publikum wird aber auch durch die Vorschläge konditioniert, genauer gesagt, das Zuschauen des Publikums wird konditioniert. Als Zuschauer fragen wir uns, ob es den Schauspielern gelingen wird, die Eifersuchts-Szene, wie vorgegeben, komplett gereimt vorzutragen, und dann auch noch an einem Königshof. Umso größer die Freude, wenn es tatsächlich funktioniert. Die Freude verdoppelt sich im Übrigen für diejenigen Zuschauer, die die Vorschläge abgegeben haben, denn hier wurde ein persönlicher Wunsch erfüllt. Aber auch der Rest des Publikums ist mit der vorschlagenden Person verbunden. Man wünscht, nicht nur den Schauspielern, sondern auch diesem einzelnen Zuschauer, dass die Szene gelingen möge. Und wenn die Szene schließlich vorbei ist, gibt es ein kollektives Gefühl, dass sich etwas erfüllt hat, der Kreis hat sich geschlossen.
Nun gibt es aber durchaus auch Improvisations-Formate, die ganz ohne Publikums-Vorschläge auskommen oder in denen die Interaktion nur eine sehr geringe Rolle spielt. In diesem Zusammenhang stellte mir ein Impro-Kollege einmal eine provokante Frage: „Stell dir vor, du kommst in eine Theatervorstellung und du bist eine halbe Minute zu spät. Das Stück ist großartig. Spielt es nun am Ende für dich eine Rolle, ob es improvisiert war oder nicht? Wohl kaum, oder?“ Ich konnte die Frage gar nicht recht beantworten und nahm sie nach Hause mit.
Inzwischen denke ich, dass es vielleicht nicht am Ende, aber ganz sicher während der Performance eine Rolle spielt. Denn das Improvisieren selbst schafft die bereits erwähnte Doppelbindung, die dem geskripteten Theater nicht gelingt. In einem geschriebenen Stück sind wir viel tiefer in die Handlung involviert, die Schauspieler verschwinden hinter ihren Rollen. Und da, wo die Regie das zu konterkarieren versucht, etwa durch den Brechtschen Verfremdungseffekt, sehen wir dann eben den Regisseur oder den Autor hervortreten. Im Improvisationstheater hingegen sind wir sowohl an die Figur und die Handlung als auch an die Improvisierer und den Improvisationsprozess gebunden. Wir fragen uns als Zuschauer nicht nur: „Wird der Kleptomane seiner Frau die Wahrheit sagen?“, sondern wir wollen auch wissen: „Welche Entscheidungen treffen die Improvisierer jetzt?“ Diese zusätzliche Denkspur läuft (mal mehr, mal weniger bewusst) immer mit. Man ist daher als Zuschauer in einem improvisierten Stück oder einer improvisierten Szene nicht nur am Fortgang der Handlung oder der Dichte der Dialoge interessiert, sondern man genießt obendrein den Flow, in dem das Spiel improvisiert wird. Insofern ist auch Improtheater ohne Vorgaben aus dem Publikum deutlich interaktiver als das konventionelle Regie-Theater.
Was ist Comedy?
„Comedy ist Wahrheit plus Zeit mal Hampelei dividiert durch einen großen Furz.“
(Tina Fey)
Orgasmus
Als würd’ ein großes Flugzeug Anlauf nehmen,
bevor es in die Höhe steigt,
und niemand könnt’, was jetzt kommt, zähmen.
Der Pfeil im Kopf auf Abflug zeigt.
Ein Schub von wilden Lendenkontraktionen
erwärmt dich bis zum großen Zeh.
Und viele tausend Nervenexplosionen
tun angenehm dem Körper weh.
Du kannst nichts hören und du willst nichts sehen.
Ein buntes Feuer in dir brennt.
Erleuchtungsgleich umfassendes Verstehen
in diesem einen Glücksmoment.
Paris
Wir waren am Eiffelturm angekommen,
dem Bauwerk von erstem Rang,
und hatten schon von weitem vernommen
tausender Stimmen Klang.
Die Handys, die Fotos, das Lachen, das Posen.
Der Turm war ihnen Tapete, wie geil.
Verzweifelte Händler in dreckigen Hosen
boten Miniaturen feil.
An einer Wand hinten bei den Toiletten
steh ich allein und beobachte sacht
die (ungeachtet der tausend Doubletten)
noch immer betörende kühle Pracht.
Betrachtung
In meinen übel trüben Stunden
hab ich noch stets zu dir gefunden,
war deinem Wirken auf der Spur,
du Lebensmeisterin Natur.
Werd ich zum Opfer meiner Launen,
wend ich mich zu dem großen Staunen.
Wer hat noch nie vor dir gekniet,
der deine großen Wunder sieht.
Das kleine Werden und Entstehen,
das große Enden und Vergehen
gehorchen alle dem Prinzip
des Leb und Nimm, des Stirb und Gib.
Improvisationstheater. Band 1 bis 12
Seit 2005 veröffentliche ich in diesem Blog meine Gedanken zum Thema Improvisationstheater, Kreativität und Kunst.
Vor ungefähr zehn Jahren reifte die Idee, daraus ein Buch zu machen. Nach vielen Entwürfen, Verwerfungen und Neuanfängen entschied ich mich, das Werk in mehreren Bänden zu veröffentlichen. Und heute darf ich freudig verkünden:
Der erste Band Improvisationstheater. Die Grundlagen erschien im Oktober 2018 im Verlag Theater der Zeit.
Band 1 Die Grundlagen | Oktober 2018 |
Band 2 Schauspiel-Improvisation | April 2020 |
Band 3 Spiele das Spiel | September 2020 |
Band 4 Szenen improvisieren | Januar 2020 |
Band 5 Storys improvisieren | Juli 2020 |
Band 6 Freie Formen und Collagen | November 2020 |
Band 7 Musikalische Improvisation | März 2021 |
Band 8 Impro-Gruppen | Februar 2019 |
Band 9 Impro-Shows | Juni 2019 |
Band 10 Improtheater unterrichten | Juli 2021 |
Band 11 Impro überall | Januar 2022 |
Band 12 Improspiele für Shows, Proben und Workshops | Oktober 2021 |
Der aufmerksamen Leserin wird nicht entgangen sein, dass sich die Veröffentlichungs-Reihenfolge nicht nach den Bänden richtet. Dies hat mit dem Schreib-Rhythmus des Autors zu tun, und es bleibt uns nichts übrig als das in guter alter Impro-Manier zu akzeptieren.
Der Traum
Ich bin um Drei, grad in der Nacht,
aus einem Traume aufgewacht,
und frag mich nun den ganzen Tag,
ob er etwas bedeuten mag.
Im Dreiecksraum kam durch die Tür
ein kleiner Stier, der wollt zu mir.
Ein zweiköpfiges Lederweib
begehrte meinen nackten Leib.
Der Priester spricht: „’s ist Gottes Ruf.“
Herr Freud: „Das Es die Träume schuf.“
Der Hirnforscher: „Es macht nichts aus.“
Vielleicht lern ich trotzdem daraus.
Ehre
Es lebt ein grausiges Monster, gewandet in feinstem Tuch.
Es ruft mit würdiger Stimme. Sein Rufen ist ein Fluch.
Bösen Blickes, reflexhaft zuckend, ständig beleidigt,
selbstgerecht bis in den Tod eisern verteidigt.
Tief in unsren Herzen hat sich’s eingerichtet.
Die Klauen und Zähne hat schon ein jeder täglich gesichtet.
Es nährt sich vom Dünkel des bis aufs Mark gekränkten Ich.
Wer macht sich frei von ihm? Auch ich hoffentlich.
Erfüllung
Was soll mir das Haben? Was soll mir der Schein?
Was soll ich von anderen anerkannt sein?
Was soll mir der Kitzel? Was soll mir der Stolz?
Das Geld und das Wissen, die Kunst – ach, was soll’s?
Hätt all die Bedürfnisse ich auch gestillt,
sie kämen ja wieder, ich blieb unerfüllt.
Ich lös mich vom Wollen, von geifernder Gier
und such meinen Trost nur im Jetzt und im Hier.
Was soll all das Streben? Es zählt der Moment.
Das Künftige doch sowieso keiner kennt.
Ich löse mich schließlich vom eigenen Bild.
Was bleibt, ist die Liebe, die mich nun erfüllt.
Leichte Alltagsübung (1)
Beobachte eine Person, die dir entgegenkommt. Sobald sie an dir vorbeigelaufen ist, ahme ihre Art zu gehen nach. Nach einer Minute wähle die nächste Person.
Urteilsstrenge
Warum sollten wir nicht prüfen
mit der uns gebotnen Strenge?
Glaubtest du denn, dass wir schliefen,
dass du treibst uns in die Enge?
Ganz gewiss wird dir nicht schmecken
das Urteil, das wir nun vollstrecken.
Meditation
An den Bach
gesetzt.
Halt die Füße rein.
Er fließt, und sie tun nichts.
Könnt ich doch in manchen Lebenslagen
so still und achtsam wie die Füße sein.
Häuptling auf dem panafrikanischen Treffen
Der Arm geschmückt mit fünfundvierzig goldnen Reifen.
Die tiefen Narben auf der Wange sind gewollt.
In stiller Würde lässt er seine Blicke schweifen.
Ein jeder Gast an diesem Tag Respekt ihm zollt.
Er trägt die Hitze stoisch unter seinem Schirme,
den ohne Murr’n ein edler Diener für ihn trägt
Und rinnt ihm doch ein Tropfen Schweiß von seiner Stirne,
verdunstet er, bevor er noch zu Boden fällt.
Ein kleines Lächeln wandert durch die Häuptlingsmiene.
Noch zählt in diesem Land sein Wort und seine Macht.
Denn dass der Chief dem eignen Land und Volke diene,
darüber angestrengt das Müttergremium wacht.
Deliberately bad
In order to play improvisational theater, we need the courage to portray scenes and characters with rough strokes. The sometimes subliminal, sometimes explicit promise „we play everything“ puts the bar enormously high. We play the security adviser of an American president, we improvise a Palestrina-like madrigal or a satire on gender relations, we create a two-hour four-act situated in Poland in the 1920s, we tell Kyrgyz tales and dance improvising in the style of Pina Bausch. These presumptions can be met only with courage and assertion. Of course we will fail again and again, but the audience loves our courage to accept this failure.
It becomes problematic if we take the laughter of the audience as a yardstick for our game. The audience laughs equally about the courage of the failing as well as about the successful comedy of the scene. The laugh about failure is faster to achieve, simply by playing cheap. The courage to accept the rough strokes, the unfinished character is then transformed into farce, into deliberately bad acting.
We deliberately play badly when we
– choose deliberately stupid characters,
– overact emotions and reactions,
– consciously sing or dance badly,
– sacrifice stories and scenes for a gag,
– serve the cliché instead of exploring the specific.
The courage to accept your own limitations and still improvise does not mean that we have to hide our physical, intellectual and artistic abilities in order to be good improvisers.
Improvisers who take the path of deliberately bad play are not particularly brave, but choose the path of the quick laughter for fear of actually daring and then actually being confronted with the limits of their own ability and true failure. They deliberately play badly because they shy away from the unknown because they are afraid of improvisation.
Absichtlich schlecht spielen
Wir brauchen, um Improtheater zu spielen, den Mut, Szenen und Charaktere mit teilweise groben Strichen darzustellen. Das manchmal unterschwellige, manchmal aber auch explizite Versprechen „Wir spielen alles“ legt die Latte enorm hoch:. Wir spielen den Sicherheitsberater eines amerikanischen Präsidenten, wir improvisieren ein Palestrina-artiges Madrigal oder eine Satire auf Geschlechterbeziehungen, wir erschaffen einen zweistündigen Vierakter, der im Polen der 1920er Jahre spielt, wir erzählen kirgisische Märchen und tanzen improvisierend im Stil von Pina Bausch. Diese Anmaßungen lassen sich nur mit Mut und Behauptung einigermaßen erfüllen. Natürlich werden wir auch immer wieder mal scheitern, aber das Publikum liebt unseren Mut, dieses Scheitern in Kauf zu nehmen.
Problematisch wird es dann, wenn wir das Lachen des Publikums als Messlatte für unser Spiel nehmen. Das Publikum lacht gleichermaßen über den Mut des Scheiternden als auch über die gelungene Komik der Szene. Das Lachen übers Scheitern ist aber schneller zu erzielen, nämlich einfach indem wir billig spielen. Der Mut, auch das Grobe, Unfertige hinzunehmen, wird dann umgewandelt ins klamottenhafte Gagging, ins absichtlich schlechte Spielen.
Wir spielen absichtlich schlecht, wenn wir
- Figuren bewusst dumm anlegen,
- Emotionen und Reaktionen überzeichnen,
- bewusst schlecht singen oder tanzen,
- Storys und Szenen für einen Gag opfern,
- das Klischee bedienen, statt das Spezifische zu erkunden
Der Mut, die eigenen Beschränkungen zu akzeptieren und dennoch zu improvisieren, bedeutet nicht, dass wir unsere körperlichen, intellektuellen und künstlerischen Fähigkeiten verbergen müssen, um gute Improvisierer zu sein.
Improvisierer, die den Weg des absichtlich schlechten Spiels gehen, sind nicht etwa besonders mutig, sondern sie wählen den Weg des schnellsten Lachers aus Angst davor, tatsächlich etwas zu wagen und dann womöglich tatsächlich mit den Grenzen der eigenen Fähigkeit und dem echten Scheitern konfrontiert zu werden. Sie spielen bewusst schlecht, weil sie das Unbekannte scheuen, weil sie Angst vorm Improvisieren haben.
Verfall
Das Denken schwand,
vom nahen Tod fast aufgesogen.
Und der Verstand
vom bisschen Leben bald betrogen.
Durch die Räume
deines Hirns Erinnrungsspuren.
Vergangne Träume,
durch die Nervenbahnen fuhren.
In gedehnter Agonie
wird alles verwehen.
Bei einer alten Melodie
bleibst du manchmal noch stehen.
Das Kleine im Großen, das Große im Kleinen
Sie:
Nichts war dir Recht.
Die Zahnpastatube zu schräg,
meine Haare zu lang,
mein Gesang zu hell,
so wurde das Kleine groß,
und das Große
– die Liebe –
klein
und verschwand.
Er:
Du dachtest nur an das Große.
Fürs Kleine blieb dir keine Zeit.
Sprachst von der Kraft der Liebe,
aber wo war der Kuss?
So wurde das Große unerreichbar.
Das Kleine war hier und hatte
nie eine Chance.
Höflichkeit
In leichten Zeiten grüßt sich’s deutlich leichter.
Das Lächeln hat mir mein Gemüt gebastelt.
Der Hass des Andern bleibt im Sommer ziellos.
Wie kann der Tanzende unhöflich sein!
Doch wenn die scharfen, kalten Winterwinde
sich unbarmherzig drängen in die Seele,
dann braucht es freilich Erdung und auch Übung,
die immerhin das Standardlächeln freigibt.
„Guten Tag!“, „Pardon!“ „So ist es Recht.“
Wenn diese sich nicht leicht gebären lassen,
so sei es unter Wehen. Hilf, Vernunft!
Denn ohne Höflichkeit, dies alte Schmieröl,
blieb ich in meinem Käfig ewig sitzen.
Düsternis
Bittres Hirn und bittres Herz
übles Denken, übles Fühlen
ohne Weisheit, ohne Scherz
bist ja nur ein Wicht von vielen.
In des Übelwollens Moor
werden schlackig die Gedanken.
Die, kommt’s dir auch nicht so vor,
langsam immer tiefer sanken.
Richtest dich behaglich ein.
Schuld sind freilich all die andern.
Besser ist es ganz allein.
Und die düstern Bilder wandern.
Müßiggang
Ich beicht es heut, verheimlich es nicht länger:
In meinem Herzen wohnt ein Müßiggänger,
der sich nicht kümmert um die großen Pflichten
und der’s genießt, die Stunden zu vernichten.
Man hat ihm oft vom Fleißigsein gepredigt.
Doch hat das Gute sich meist selbst erledigt.
„Was nutzt’s, wenn ich hier meine Kraft verschwende.
Ihr Emsigen, was braucht ihr meine Hände?“
Der Schlingel sagt, schelt ich ihn manchmal selber:
„Von Arbeit wird die Sonne auch nicht gelber,“
Trotz allem nehme ich sein Dasein heiter.
Sein Mitbewohner ist ein Bauarbeiter.
Anlage
Hast du deine Herzensgüte
lange Jahre brav gepflegt?
Oder war selbst dieses Pflegen
bei Geburt schon angelegt?
Der Penner
In schlechten Lebenslagen schlechte Freunde
und sich auch leider oft noch falsch entschieden.
Am U-Bahnhof mit flachem Blick
Die Mühe und den Weg zu oft gemieden.
Zu oft genommen, was dir unterkam
Du lebst den Krieg und wolltest doch nur Frieden.
Frei wie ein Vogel! hatt’st du dir geschworen.
Du sitzt in einer vollgepissten Hose.
Die Freiheit ging die Tag für Tag verloren.
Und ihr, die jetzt an ihm vorüberhastet,
glaubt wohl, dass diesem niemand helfen kann.
Dabei sitzt euch die kleine Münze lose.
Denn alles, was ihm bleibt: Barmherzigkeit.
Impro-Ketchup
Die Szene läuft wunderbar. Sie ist intensiv, lustig, spannend. Man will wissen, wie das Paar aus seiner Misere kommt, wie die Improvisierer die Situation meistern. Da klingt der Ruf: „Das klingt nach einem Lied.“ Der Pianist haut in die Tasten, und das Pärchen singt ein Duo über die Traurigkeit der Beziehung. Währenddessen stellen sich die Impro-Kollegen in den Hintergrund der Bühne, performen ein kleines synchronisiertes Tänzchen und singt die Begleitstimme: „Du-du-wuat-du-du“. Das Lied ist vorbei, das Publikum jubelt, alle sind happy, alles ist schön. Oder doch nicht? War da nicht etwas? Was ist aus unserer intensiven Impro-Szene geworden? Sie kleckert nun so langsam aus, denn wir haben uns um den entscheidenden Moment gebracht, indem wir ausgewichen sind und ihn zugekleistert haben – in diesem Fall mit Musik.
Diese Tendenz bei Impro-Spielern, Szenen, Games oder auch ganze Shows mit lustigen Impro-Gimmicks zu überschütten, hat der Improvisierer Herbert Kessler „Impro-Soße“ genannt. Jeder mag Ketchup, jeder mag lustige Impro-Gimmicks. Aber so wie Ketchup die Qualität eines feinen Gerichts erheblich mindert, so zerstören auch die Impro-Gimmicks feine Impro-Szenen. Und im Grunde zerstören sie das Improvisieren selbst.
Aber liebt nicht das Publikum die Impro-Gimmicks? Ja, sicherlich. Und manche Leute hauen sich auf jede Mahlzeit Ketchup. Wollen wir gute Köche sein, die feine Gerichte kochen (und ab und zu mal auf den Kinderteller Pommes und Ketchup legen)? Oder geben wir uns mit der Pommesbude zufrieden?
Impro-Ketchup erleben wir nicht nur durch die musikalischen Gimmicks. Wir finden Impro-Ketchup, wenn ein Impro-Schauspieler in einer Szene einen Monolog hält und plötzlich völlig unmotiviert von einem anderen Spieler synchronisiert wird oder jemand hinter ihm „die Arme macht“. Wir finden es, wenn interessante Langformen mit Games „angereichert“ werden. Wir finden es in Hunderten Impro-Konventionen, etwa dem Erklären, was Improtheater ist vor der Show, dem Warm Up des Publikums. Wir finden es, wenn dem Publikum Dutzende sinnlose Aufgaben gegeben werden.
Ich finde unterhaltsame Impro-Games ziemlich witzig. Ich mag Schoko-Eis und auf Pommes passen nun mal Ketchup.
Aber die Besten unserer Zunft sind gerade dabei, die Gimmicks abzuschütteln, wo sie nicht gebraucht werden. Freie Improvisation muss nicht permanent auf sich selbst verweisen, sie braucht keinen Ketchup.
Abschied
Am leeren Bahnhof mit gepackten Taschen.
Ein kalter Wind.
Die Hoffnungen, du kämst zum Überraschen,
verschwunden sind.
Im Regionalexpress zehn fette Sachsen
und ein Kind.
Und als fürs Kind ich mach zwei halbe Faxen,
wird’s ernst geschwind.
Und unter mir rumort das Bahngetriebe.
Die Scheiben: Blind.
Hab keine Hoffnung, dass ich deine Liebe
je wiederfind.
Sag…
Sag, was ist unser Sinn im Leben?
Leben, Leben, Leben, Leben.
Frage ruhig
Frage ruhig, mein Sohn.
Das geht voraus dem Wissen.
Wer klug sein will, wird fragen müssen,
und Wissen ist der Lohn.
Hör nie zu fragen auf.
Wissen lässt sich nicht vollenden.
Lässt du’s mit dem, was ist, bewenden,
so zahlst du später drauf.
Bezweifle, was ich sag.
Bezweifle das, was du schon weißt,
denn schließlich irrt der Mensch doch meist.
Und frage jeden Tag.