436. und 437. Nacht – Fragen zum Dealerproblem, die ich mir selber nicht beantworten kann

Fragen zum Dealerproblem, die ich mir selber nicht beantworten kann

Erst waren sie weit weg, die Dealer. Hasenheide, Neukölln. Ihre Existenz berührte mich nicht wesentlich mehr als die der Dealer von der 125. Straße in New York City. Hab sie schon mal gesehen. Berührt mich nicht. Und jetzt, seit ein paar Jahren nun also auch im Görlitzer Park. Ich gehe dort joggen, ich fahre dort oft mit dem Fahrrad entlang, und ab und zu fahre ich meinen sprechen- und laufenlernenden Sohn Django dort spazieren. Um die Herren zu ignorieren, sind sie zu präsent. Also bin ich gezwungen, meine widerstreitenden Bedenken und Gefühle unter einen Hut zu kriegen.

  1. Ich kiffe nicht. Insofern kann mir die Anwesenheit der Dealer eigentlich so egal sein wie die eines Nagelstudios. Immerhin – ich habe zwar schon gekifft, mich aber noch nie professionell maniküren lassen. Die akustische Werbung der Dealer „Ss-sss! Some Dope?“ ist zwar aufdringlich, aber auch nicht schlimmer als die ästhetische Beleidigung, die Schaufenster und Ladenschild eines Nagelstudios darstellen. Andererseits:

  2. Nicht nur kiffe ich nicht. Ich halte das Kraut auch größtenteils für schädlich. Man merkt Kiffern an, dass sie kiffen. Gewohnheitsmäßige Kiffer klagen, dass sie nichts gebacken kriegen und bringen ihr Nichts-Gebacken-Kriegen nie in Zusammenhang mit ihrer regelmäßigen Kifferei. Andererseits:
  3. Kiffen sollte legalisiert werden. Gesundheit ist zwar ein schönes soziales Ziel, aber wer sich physisch zerstören will, muss es tun dürfen. Man muss nicht den an dieser Stelle obligatorischen Vergleich mit Alkohol ins Spiel bringen, aber es schadet auch nicht; schließlich zeigt es die Irrsinnigkeit des Hanf-Verbots. Wer den Konsum von Schnaps toleriert und dadurch Sucht, Krankheiten und vorzeitigen Tod von Millionen billigend in Kauf nimmt, kann nicht das zwar ebenfalls krankmachende aber vergleichsweise harmlose Kiffen kriminalisieren. Und man kriminalisiert es auch dann, wenn man den Besitz von Mini-Päckchen toleriert, den kommerziellen Verkauf aber verbietet.
    In Relation zur Gesundheitsfrage erscheint es fast nebensächlich, aber natürlich scheint auch die psycho-soziale Wirkung des Stoffs verträglicher. Zumindest wäre es mir lieber, wenn die acht Hertha-Fans, mit denen ich mir nach einem verlorenen Spiel ihres Vereins den U-Bahn-Wagen teilen muss, gemeinsam eine Riesen-Bong inhaliert hätten als sich pegelsaufend ins Level zwischen Aggressiv Brüllen, Zuschlagen und Kotzen zu manövrieren. Aber:
  4. Die rechtliche Situation ist aber so wie sie ist. Und so stehen die Dealer zu großer Zahl im Görlitzer Park. Jedes Mal, wenn ich denke: ,Ach, das sind jetzt vielleicht doch nur ein paar Leute, die sich sonnen wollen‘, genügt es, den Blickkontakt zu halten. Und prompt werde ich angesprochen, ob ich Dope bräuchte. Wenn ich sage, „zu großer Zahl“, so ist das nicht übertrieben. Es gibt im Görlitzer Park kaum mehr eine Bank, die nicht von dealenden oder sich vom Dealen ausruhenden Afrikanern besetzt wäre.
    Benutzen eigentlich die Grammatik-Feministinnen hier auch ein großes I? Also Dea-lerInnen? Oder ist der in diesen Kreisen übliche Sprech jetzt „Dealende“? Völlig un-nötig. Es sind einfach keine Frauen dabei. Warum, weiß ich nicht. Ebenso wenig wie die geschlechtliche verstehe ich die ethnische Aufteilung prekärer Jobs. Steht irgend-wo geschrieben, dass nur diejenigen Punks, die in katholischen Ländern wie Spanien, Polen und Italien aufgewachsen sind, an Kreuzungen Autoscheiben putzen dürfen? Welcher soziale Mechanismus führt dazu, dass ausgerechnet Pakistani das Rosenverkaufs-Monopol innehaben? Warum sollte Marihuana eine afrikanische Spezialität sein? Anscheinend gibt es einen gewissen Sozial-Magnetismus: Du landest als Afrikaner in Berlin und irgendwann hörst du, dass sich Afrikaner im Görlitzer Park rumtreiben. Also gehst du zu ihnen, und fühlst dich bei ihnen wohler als bei den Verkäufern von Straßen-Magazinen. Und Akkordeon, Trompete und Saxofon hast du auch nicht dabei, um wie die Rumänen als Trash-Folk-Band durch die Öffentlichkeit zu ziehen. Aber:
  5. Fast alle Dealer, so war zu lesen, sind Asylbewerber, stehen also bei ihrer Tätigkeit schon mit einem Bein im Abschiebeknast, sicherlich nicht gerade das, was man sich gewünscht hat, als man sich von Togo aus auf den Weg gemacht hat. Die Gruppen von 10-15 Männern – wieviel mögen sie am Tag verkaufen? Was bleibt an Gewinn übrig? Sind es die größeren Ladungen, die das Geld bringen? Ist es der härtere Stoff, der das Geld bringt? Inzwischen wird ja auch Koks, Heroin und Chrystal Meth ge-dealt, die Depots sind überall – zwischen Schwimmbad, Kuhle, Kinderbauernhof und dem Damm, der bis nach Treptow führt. Dieses Problem wird ein Coffee-Shop jedenfalls nicht lösen. Und über die Legalisierung dieser Substanzen wechsle ich meine Meinung je nachdem, mit wem ich spreche. Außerdem:
  6. Neulich war ein Graffito im Görlitzer Park zu lesen: „Bullen raus! Keine Spießer-überwachung im Görli!“ Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass der Schriftzug von einem der afrikanischen Dealer kam. Im Vergleich zu anderen Orten ist die Polizei im Görlitzer Park ja recht milde zugange. Mal ganz abgesehen davon, dass sie die Depots sowieso fast nie findet. Aber man kommt unweigerlich zur Frage: Wer definiert, was an einem Ort OK ist? Ist es OK, wenn im Görlitzer Park der Grilldreck jede Freifläche bedeckt? Ist es in Ordnung, wenn Hunde in der Größenordnung von Miniponys kleine Kinder anspringen? Ist es in Ordnung, wenn sämtliche Sitzbänke von Dealern besetzt sind? Es ist wie in WG-Debatten – Wen es stört, dass die Socken in der Küche rumliegen, hat schlechte Karten, wenn das allesschlagende Sozial-Gebot Toleranz heißt und durch keine Kompromisse relativiert wird. Und dann das hier:
  7. Gehe mit Django in der Nähe des Spielplatzes spazieren, in dessen Nähe sich eine Dealertruppe sonnt. Warum zum Teufel in der Nähe des Spielplatzes! Hätte ich we-niger Probleme damit, wenn in der Nähe ein Spätverkauf mit Spirituosen stünde? Ich weiß es nicht. Und von allen Richtungen, in die der zweijährige Django laufen kann, wählt er die Richtung Dealertruppe. Die sind anscheinend selber über die unerwartete bewertungslose Neugierde verwirrt. Man schüttelt sich die Hände, stellt einander vor, geht auseinander. Und irgendwie bin ich froh über diese Begegnung. Und dann kurze Zeit später:
  8. Nach langer Zeit gehe ich mal wieder joggen. Nicht durch Kreuzberg. Bleibe bei meiner alten Route durch den Treptower Park und den Plänterwald. Beim Sowjeti-schen Ehrenmal lehnt einer der Afrikaner mit legeren Adidasklamotten an einem Geländer. Geht das jetzt nicht doch zu weit? Meine Empörung über das Dealen in meinem Heimatpark lässt sich moralisch gut befeuern durch die Tatsache, dass wir uns hier in unmittelbarer Nähe eines Friedhofs mit über 2.000 Gefallenen der Roten Armee befinden. Ist das nicht doch recht pietätlos? Soll man was sagen oder nicht? Als ich auf seiner Höhe bin, hat sich die Frage erübrigt: Der Afrikaner legt ein Bein übers Geländer und dehnt sich ausgiebig. Dann joggt er mir hinterher. Kein Dealer, ein Jogger! Joggen in der Nähe des Friedhofs. Auch pietätlos irgendwie?

436. Nacht

Die Alte fährt fort mit einer Anekdote über el-Haddschâdsch ibn Jûsuf, an den eine Petition erging:

"Fürchte Allah und übe keinerlei Bedrückung gegen die Diener Allahs!"

El-Haddschâdsch ibn Jûsuf rechtfertigt sich nun damit, dass ihn Allah über das Volk gesetzt habe wegen dessen (böser) Taten.

"Wenn ich es nicht bin, so ist es einer, der noch schlimmer ist als ich, der noch härter bedrückt und noch grausamer herrscht."

Der arme Tyrann als Schlimmeres-Verhinderer. Ähnliches kennt man heute von Militärdiktaturen. In Wirklichkeit hat er mit seinem Herrschaftsstil so viele gegen sich aufgebracht, dass es immer wieder zu Aufständen kam. Nach seinem Tod wurden 80.000 Menschen aus den Gefängnissen entlassen.

 

***

 

Die Geschichte von der Sklavin Tawaddud

Ein reicher Kaufmann wird alt und gebrechlich, ohne einen Nachkommen zu haben. Nachdem er bei Allah um einen solchen fleht, empfängt eine seiner Frauen von ihm.

Und in der Nacht zum siebenten Tage nach der Geburt des Knaben gab er ihm den Namen Abu el-Husn; die Ammen nährten ihn, die Pflegerinnen hegten ihn, und die Mamluken und Eunuchen trugen ihn, so dass er wuchs und spross und in die Höhe schoss.

Auch für seine Bildung wird gesorgt.

So ward er zur Perle seiner Zeit und zum schönsten Jüngling weit und breit, mit einem Antlitz der Lieblichkeit, einer Zunge der Beredsamkeit, der sich wiegte und neigte im Ebenmaß seiner Gestalt und selbstgefällig dahinschritt in seines Stolzes Gewalt.

Doch dann liegt sein Vater im Sterben, nicht ohne vorher allerlei Mahnungen seinem Sohn auf den Weg zu geben,

bei denen man schon ahnt, dass er sich nicht an sie halten wird.

Nachdem Abu el-Husn eine lange Zeit getrauert hat, reden ihm seine Freunde zu:

"Was dahin ist, ist dahin. Trauer kann nur Mädchen und Frauen gebühren, die im Harem ein abgeschlossenes Leben führen." In dieser Weise redeten sie immer weiter zu ihm, bis er ins Badehaus ging; und auch sie gingen dorthin und machten seiner Trauer ein Ende.

***

437. Nacht

Die bösen Freunde sind es also, die ihn dazu überreden, sein Geld auszugeben. Er fängt an, Wein zu trinken und sein Geld zu verprassen, bis ihm nichts mehr geblieben ist außer einer schönen Sklavin.

Ihr Wuchs betrug fünf Spannen der Hand, und sie war des Glückes Unterpfand.

Ob sich der Übersetzer Littmann hier von dem "Lied der Deutschen" hat beeinflussen lassen?

Ihre Stirn war wie der Neumond im verehrten Monate Scha’bân anzuschauen; sie hatte Gazellenaugen und schön gewölbte Brauen. Ihre Nase war wie des Schwertes Schneide; und ihre Wangen prangten im Anemonenkleide. Ihr Mund schien das Siegel Salomons zu sein; ihre Zähne waren wie Perlenreihn. Ihr Nabel konnte eine Unze Behennussöl fassen; ihr Rumpf war schlanker als der Leib dessen, den die Liebe verzehrt und heimliche Sehnsucht hatte dahinsiechen lassen; und ihre Hüften waren wie der Sandhügel Massen.

Die Tiefe des Nabels als Schönheitskriterium!

Dem Vollmond ist sie gleich, da sich
Zu Fünf und Vier die Vier gesellt.
Ich bin nicht schuld, bin ich durch dich
Ihm gleich, wenn er die Nacht erhellt.

Littmann merkt dazu an: "Das Mädchen ist vierzehn Jahre, der Vollmond vierzehn Tage alt. Der Dichter wird um der Liebe zu dem Mädchen blass wie der Mond."

Nachdem sich Abu el-Husn drei Tage lang seinem Leid hingegeben hat, verlangt sie von ihm, zu Harûn er-Raschîd geführt zu werden.

427., 428., 429., 430. Nacht

427. Nacht

Mit dem bisschen Geld, dass die Gattin von einer Freundin leiht, begibt Ali sich auf Reisen, um einen Weg aus der Not zu finden. Von Bulak aus fährt er auf einem Schiff nach Damiette, wo ihn ein Kaufmann aus Mitleid aufnimmt. Dort bleibt er eine Weile;

aber schließlich sagte er sich: "Wie lange soll ich noch in fremder Leute Häuser wohnen?" Darum verließ er das Haus und suchte sich ein Schiff, das nach Syrien fuhr.

Für eine fiktive Geschichte macht diese Episode so gar keinen Sinn, da sie praktisch nur überbrückt. Es sei denn, der Erzähler will zeigen, dass er die Stationen einer Reise bis nach Bagdad kennt; oder dass Ali sich nun aktiv auf die Suche begibt.

Mit etwas Wegzehrung reist er nach Damaskus, wo er wieder von einem "gütigen Mann" aufgenommen wird. Eines Tages erblickt er eine Karawane auf dem Weg nach Bagdad, der er sich anschließt.
Kurz vor Bagdad wird diese von Wegelagerern überfallen. Ali flieht Richtung Bagdad und kommt gerade vor Sonnenuntergang am Haupttor an, wo er dem Torwächter vom Überfall erzählt, allerdings gespickt mit der Flunkerstory, er habe

Waren, Maultiere, mit Lasten, Sklaven und Diener.

Der Torwächter bietet ihm seine Hilfe an und macht ihn mit einem Kaufherren aus Bagdad bekannt, der ihn einkleidet und ihn ins Badehaus führt.

Die Erzählperspektive wechselt nun seltsamerweise bis zum Ende der 427. Nacht:

"Ich ging nun", so erzählte Ali aus Kairo, der Sohn des Kaufmannes Hasan, des Juweliers, "mit ihm ins Badehaus…"

Als sie wieder herauskommen, gibt er ihm einen Sklaven namens Mas’ud mit, er möge am anderen Ende der Stadt sich eines von zwei Häusern für die Unterkunft aussuchen. Allerdings steht ein großes drittes daneben, das der Sklave aber nicht aufschließen möchte:

"Weil es dort spukt. Jeder, der dort nächtigt, ist am andern Morgen tot. Wir öffnen auch nicht einmal die Tür, um den Toten hinauszuschaffen, sondern wir steigen auf das Dach eines der beiden anderen Häuser und holen ihn von dort aus herauf."

Kann ich mir nicht bildlich vorstellen.
Die Richtung der Geschichte scheint sich an dieser Stelle abrupt zu ändern. Von einer Moral-Geschichte in eine Spukgeschichte. Oder sollte beides noch verknüpft werden?
Als Grimm-Sozialisierter denkt man natürlich gleich an "Von einem, der auszog, das Fürchten zu lernen".

Ali besteht darauf, in dem großen Haus zu nächtigen.

Denn ich sagte mir in meinem Herzen: "Das ist es, was ich suche! Ich will dort nächtigen, und dann bin ich morgen früh tot und kann von all dieser Not, die ich leide, ausruhen."

***

428. Nacht

Der Kaufmann willigt nur unter der Bedingung ein:

"Stelle mir eine Urkunde aus, dass ich nicht für dich verantwortlich bin, wenn dir etwas zustößt." – "So sei es!", erwiderte Ali. Darauf ward ein Zeuge vom Gericht geholt, und Ali stellte dem Kaufmann die Urkunde aus; der nahm sie in Empfang und gab dem Ägypter den Schlüssel.

Ali befreit ihn sozusagen per Vertrag von der Haftpflicht. Was mit dem "Zeugen" gemeint ist, ist unklar. Vielleicht eine Art Notar?

Nach der zeremoniellen Waschung, den obliegenden Gebeten und dem Abendessen beschließt er "oben" zu schlafen.

Dort entdeckte er eine prächtige Halle, deren Decke vergoldet und deren Boden und Wände mit buntem Marmor bedeckt waren. Er breitete sein Lager aus und setzte sich nieder, indem er Sprüche aus dem hochherrlichen Koran sprach. Doch ehe er sich dessen versah, rief plötzlich ein Wesen die Worte: "O Ali, o Sohn des Hasan, soll ich dir das Gold hinabsenden?"

Das Gold fließt auf Ali herab, und der Geist erklärt,

"dies Gold ist ein Schatz, der von alters her auf deinen Namen verzaubert war."

Dies ist natürlich nur denkbar, wenn man prädestinativ denkt; denn der Schatz muss ja dort liegen, bevor an Alis Geburt überhaupt nur zu denken war.
Unklar: Ist der Geist, der hier den Schatz bewacht, ebenfalls "von alters her" hier? Ist der Schatz älter als das Haus?

Und deshalb wurden alle anderen Besucher getötet. Der Geist eröffnet ihm, es läge für ihn noch ein Schatz im Jemen, und bittet darum, freigelassen zu werden. Aber Ali verlangt von ihm, den jemenitischen Schatz herbeizuholen und ebenso Weib und Kind. Der Geist bejaht.

Dann nahm er Urlaub von ihm auf drei Tage, innerhalb deren all dies bei ihm sein sollte, und eilte fort.

"Urlaub"? Siehe dazu Grimms Wörterbuch

Am frühen Morgen sucht und findet Ali hinter einer Marmorplatte ein Versteck für den Schatz.
Dann setzt er sich auf die Bank und wartet auf den Sklaven des Hausherrn.

Allein wie der ihn dort ruhig sitzen sah, lief er eilends zu seinem Herrn zurück.

***

429. Nacht

Dem Kaufmann verrät Ali nichts vom Erlebten. Aber nun dreht sich seine Lüge gegenüber Kaufmann und Torwächter zur Wahrheit: Seine Güter treffen innerhalb von drei Tagen ein. Man erblickt eine Staubwolke am Horizont.

die tat sich aber auf, und es erschienen unter ihr Maultiere, Männer, Packleute, Zeltaufschläger und Fackelträger, die singend und tanzend daherkamen.

Ausgestorbene und gleichzeitig unklare Berufe: Zeltaufschläger.
Die Diener kommen singend und tanzend daher, da sie angesichts der Stadt das Ende der Reise (und ihrer Plackerei) feiern.

***

430. Nacht

Die Kaufleute der Stadt schicken ihm Geschenke.

Unklar: Warum tun sie das? Vielleicht, um ihn in ihrer Mitte willkommen zu heißen? Oder eigennützig gedacht: Um sich bei ihm einzuschmeicheln?

Der gastgebende Kaufmann bleibt noch bei Ali, und dieser beauftragt ihn, den Eunuchen und Sklaven mit den Mauleseln Gelegenheit zu geben, sich auszuruhen.

Sie konnten kaum warten, bis er ihnen die Erlaubnis dazu gab, und so nahmen sie alsbald Abschied von ihm, zogen zur Stadt hinaus und flogen durch die Luft zu ihren Stätten davon.

Also sind auch diese Geister?

Als sie allein sind, berichtet Alis Weib ihm, wie sie und ihr Sohn sanft durch die Luft geflogen wurden. Ali zu ihr:

"Das alles ward uns durch die Güte Allahs des Erhabenen zuteil."

Wer den Schatz verzaubert hat und ihn an den Geist gebunden hat, bleibt im Dunklen. Allah selber?

379. – 381. Nacht

379. Nacht

Die beiden Wesire der Könige Schâmich und Dirbâs ziehen nun gemeinsam los, um Uns el-Wudschûd zu suchen. Als sie die Insel Dschebel eth-Thekla erreichen, erklärt ihm Ibrahim, hier habe sich dereinst eine Dämonin niedergelassen, um mit ihrem menschlichen Liebhaber in Ruhe leben zu können. Wenn Seefahrer vorbeiführen, hörten sie das Wehklagen der Kinder. Der Eunuch öffnet dem Wesir das Schloss, und dieser erkundigt sich nach dem geistesentrückten Derwischmann im Hof, der natürlich kein geringerer ist als der gesuchte Uns el-Wudschûd. Wesir Ibrahim macht sich auf die Suche nach seiner Tochter, findet sie aber nicht und weint.

Wie er sich nun umwandte, sah er dort zwei Vögel, einen Raben und eine Eule; und da er ein böses Vorzeichen erkannte, begann er, in Seufzer auszubrechen.

Die Wesire geben nun die Suche auf, und in Erwartung seiner Entlassung zieht der Wesir des Königs Dirbâs  zurück und nimmt den mutmaßlichen entrückten Derwisch als Glücksbringer mit.

*

380. Nacht

Uns el-Wudschûd erwacht auf dem Maultierrücken, ohne zu wissen, wo er ist. Der Wesir lässt ihn mit Zuckerscherbett und Rosenwasser aufpäppeln.
Als sie sich der Stadt nähern, wagt der Wesir nicht, sie zu betreten; doch Uns el-Wudschûd antwortet ihm:

"Fürchte dich nicht! Geh zum König und nimm mich mit dir; ich bürge dafür, dass Uns el-Wudschûd kommt."

Als er vor den König geführt wird und dieser ihn fragt, wo Uns el-Wudschûd weilt:

"An einer Stätte, die sehr nah ist."

Uns el-Wudschûd bleibt geheimnisvoll und lässt sich gut einkleiden, erst dann gibt er sich per Gedicht zu erkennen. Die beiden heiraten, und König Schâmich wird darüber informiert und antwortet:

"Dieweil die Eheurkunde bei dir vollzogen ist, geziemt es sich, dass die Hochzeit und Brautnacht bei mir gefeiert werden."

Die Karawane zieht nach Ispahan und

dann ging Uns el-Wudschûd zu El-Ward fil-Akmâm ein und umarmte sie.

Sie rezitieren und weinen,

umarmten sich von neuem, und so blieben sie eng umschlungen, bis sie ohnmächtig niedersanken.

*

381. Nacht

Es wird sieben Tage lang gefeiert. Und am siebenten Tag verteilten sie

Gaben an das Volk, Geld und Kleider, und machten reiche Geschenke. Darauf gab El-Ward fil-Akmâm den Befehl, ihr Bad zu räumen, und sie sprach zu Uns el-Wudschûd: "Du mein Augentrost, es verlangt mich, dich im Bade zu sehen; und wir wollen dort ganz allein sein.

Du der seit alter Zeit mein Herz gewann –
Das Alte geht im Neuen nicht verloren.
O du, der mein Alles in der Welt,
Ich habe keine Freund als dich erkoren.
Komm mit ins Bad, o du mein Augenlicht;
Lass uns den Himmel in der Hölle sehen!
Wir lassen Aloe und Nadd erglühen,
Bis uns die Düfte überall umwehen.
Verziehen sei dem Schicksal alle Huld!
Ich rufe dann, seh ich dich dort vor mir:
Glückauf, mein Lieb, und Segen sei mit dir!

Die Hölle steht als Bild fürs Feuer unterm Bad. Nadd ist eine Mischung aus Ambra, Moschus und Aloe. Wenn jemand aus dem Bad kommt, segnet man ihn.

***

Die Geschichte von Abu Nuwâs mit den drei Knaben und dem Kalifen

Abu Nuwâs allein daheim rüstet zu einem Gastmahl und lädt sich drei Knaben ein, die er zufällig auf der Straße trifft,

noch frei von Bärten, so schön, als wären sie Knaben aus den Paradiesesgärten; ihre Farben waren von verschiedener Art, doch ihre Reize waren gleichmäßig zart. An ihren biegsamen Gestalten wurden Hoffnungen entzündet, so wie ein Dichter von ihnen kündet.

Abu Nuwâs lockt sie mit Versen:

Kommt her zu mir, und geht zu keinem andern!
Mein Haus ist voll von feinstem Proviant.
Ich habe alten Wein von klarer Farbe,
Gekeltert von des Klostermönches Hand.
Auch hab ich feines Fleisch vom jungen Lamme
Und vielerlei Geflügel, das da fleugt.
So esst davon und trinket von dem Weine,
Dem alten, der die Sorgen uns verscheucht!
Vergnüget euch dann einer an dem andern,
Und lasst auch mich in eurem Kreise wandern!

Weil nun die Jünglinge von seinen Versen bezaubert waren, so entschlossen sie sich, seinem Wunsch zu willfahren.

333. Nacht – Back in New York

Nun habe ich – den Nächten nach – ein Drittel hinter mir (in Seiten gerechnet ist es ein bisschen mehr). Und das in viereinhalb Jahren. Wenn ich in dem Tempo weitermache, bin ich 50, wenn ich die 1001 Nächte ausgelesen habe. Aber um sich ihnen im täglichen Rhythmus zuzuwenden, sind sie wirklich nicht ergiebig genug. Weder stilistisch, noch narrativ. Und so setze ich eben von Zeit zu Zeit Atempausen, die sich auch mal über Monate hinziehen können, wie bei der Unterbrechung zur Reihe "Richter liest Schmidt liest Proust". Die gegenwärtige Liebeskorrespondenz gehört für meine Begriffe auch nicht gerade zu den Brüllern unter den bisherigen Storys, sondern ist eher eine Variation der immer wiederkehrenden Motive:
– Der Kalif langweilt sich.
– Ein Gast muss eine Geschichte zum besten geben.
– Mann verirrt sich in einer Stadt und trifft in einem unbekannten Haus eine Schöne.
– Liebeskorrespondenz mit wiederholten Ohnmächten.

Und doch finden sich immer wieder kleine Perlen. Und ich kann mir nicht helfen – die Wucht der Sammlung zieht mich doch immer wieder in ihren Bann. Wenn ich dann eben den Gilgamesch-Epos in diesem Leben nicht mehr schaffen sollte – auch gut.

*

23.-29.6.11

 

Bei diesem Graffito auf einem Schulhof in der 28th Street ist mir erst beim Betrachten des Fotos aufgefallen, dass die bunte Hose dieses doch etwas unglücklich dreinschauenden gelbgesichtigen Burschen aus Phantasie-Flaggen besteht.

 

Wir können von unserem Zimmer auf den Hudson River schauen, was für mich bewegender ist, als wenn es der Atlantik wäre. Aber ich weiß nicht warum.

 

 

Diese typisch stylische Eigen-Reklame fanden wir in einem Bio-Imbiss in der 27th Street. Auch in New York hält man viel auf Dirk Nowitzki.

 

Passend zur "Überflieger"-Lektüre von vor zwei Wochen: Die jüdischen Schneider in New York legten Anfang des 20. Jahrhunderts den Grundstock für die Anwalts-Karrieren ihrer Söhne und Enkel. "The Garment Worker" von Judith Weller. Der Herr mit der Aktentasche bleibt höflicherweise stehen, damit er nicht das schöne Touri-Foto verdirbt.

 

Ich glaubte meinen Augen nicht zu trauen, als ich das entdeckte: Radwege in New York. Im Gegensatz zu Berlin oder überhaupt deutschen Städten braucht es ja einen gewlatigen Nachfragedruck, bis der Radweg gebaut wird. Hier in Manhattan, wo nur Sportfreaks, Fahrradkuriere und Lebensmüde auf dem Rad unterwegs sind, ist ein geradezu autoritärer Wille der Stadtverwaltung unter Bloomberg nötig. Im Grunde erschwert er den ohnehin mühsamen Autoverkehr mit dieser Maßnahme noch mehr. Die New Yorker sind Meister der Anpassung. Mich würde nicht wundern, wenn diese Radwege in 1-2 Jahren tatsächlich auch genutzt werden. Um ein Radfahrer-Foto wie das obenstehende knipsen zu können, muss man im Schnitt fünf Minuten warten.

 

 

Washington Square Park. Ich versuche jedes Jahr aufs Neue, seine Magie zu verstehen. 1997 sah ich über zwei Stunden Komikern, Lyrikern, Rappern und Predigern zu, die sich dort abwechselten. Hier probieren Frauen ihren Trash-Chic aus. Ob wegen des bevorstehenden CSD, trauen wir uns nicht zu fragen. Und ehrlich gesagt, sehen sie dafür auch nicht lesbisch genug aus.

Im ersten Moment suche ich den Witz. Werbung mit possierlichen Tieren – dahinter steckt meistens irgendetwas, das gerade nichts mit Tieren zu tun hat, vor allem, wenn sie in T-Shorts oder Stramplern stecken. Aber diese Werbung sagt nicht mehr als das, was sie sagt: Die Frühjahrskollektion ist da. Für Hunde.

 

Die Upright Citizens Brigade gilt als eine wahre Talente-Schmiede. Amy Poehler wurde hier groß. Matt Besser, Matt Walsh, Ian Roberts. Die Impro-Workshops gelten immer noch als die besten der Stadt. Die Qualität der Shows hat aber, soweit ich das aus den letzten drei Jahren beurteilen kann, erheblich nachgelassen. Wahrscheinlich hängt es vom Tag ab, und man muss wissen, wann wer spielt. Allen gemeinsam ist der schnelle Wortwitz zulasten der räumlichen Szene. Trotzdem immer einen Blick wert. In der Regel muss man sich lange vorher anstellen, um überhaupt noch Karten zu erwischen. Die Straße ist jeden Abend voll von jungen, auf dem Gehweg hockenden Leuten. Die Shows sind jeden Tag ausverkauft. Und es wäre wohl ein leichtes, die Nachfrage über den Preis zu regeln. Aber sie bleiben konsequent bei fünf Dollar! Eine Sensation in dieser Stadt. Selbst bei 200 Zuschauern und drei Shows pro Tag werden sie wohl davon gerade mal die Techniker und die Miete bezahlen können. An Wochenenden gibt es um 0 Uhr außerdem noch eine Gratis-Show. Aber auch hier ist der Preis: Eine Stunde fürs Ticket anstehen.

 

Ein Haus des Gebäudekomplexes, in dem wir wohnen. Die Häuser wurden Anfang der 60er Jahre errichtet. Sie gelten nicht als "Projects", sondern als Werk einer gewerkschaftsnahen Stiftung (sofern ich die organisationsrechtlichen Fragen richtig verstanden habe. Die Mieten dürfen nicht beliebig erhöht werden.

 

Bei meinen Freunden Gogo und Rebecca gibt’s W-LAN. Die vor mir stehende Radfahrer-Wasserflasche habe ich aus der Herberge in Seattle mitgenommen. Sie war herrenlos und hat mich so treuherzig angeschaut.

 

Mit großem Bohei beschwört uns unsere Gastgeberin, dass wir auf jeden Fall den High Lane besichtigen sollten – ein stillgelegter Gleisabschnitt im Westen Manhattans, der parallel zu den Avenues verläuft, nun begrünt wurde und von dem immer mehr Kilometer freigegeben wurden. Ich erwarte etwas wie die Gleisverlängerung vom Görlitzer Park Richtung Treptow. Stattdessen ein Schmalspurgang, dessen einziger Vorteil darin besteht, dass man nicht an jeder Straßenkreuzung halten muss und der Straßenlärm nicht ganz so ohrenbetäubend ist. Sicherlich für viele New Yorker eine Entlastung. Beim parkverwöhnten Berliner hinterlässt es ein Schulterzucken so wie für einen Schweizer die Müggel"berge".

 

 

Nicht nur für die bereits erwähnten Radspuren, auch für die in die schlimmste Verkehrshölle platzierten Fußgängerzonen ist Bürgermeister Bloomberg verantwortlich. Und ich bewundere ihn für seinen Mut, das Risiko auf sich zu nehmen, von der Mehrheit der autofahrenden Bevölkerung dafür gehasst zu werden. Das sollte sich mal ein konsensorientierter Bürgermeister in Berlin wagen!

Central Park. Manchmal denke ich, ich könnte problemlos einen kompletten Sommer täglich schreibend dort verbringen.

 

4 Tracks im "Magnet Theater", das ich im letzten Jahr schon als gute Alternative zum UCB erlebt habe. Ohne weiteres würde ich diese Truppe nach Berlin einladen.

 

Christopher Street Day an der Christopher Street. Und als schließlich dieser Bus vorbeifährt, in dem die Greise aus einem Seniorenheim sitzen, die sich auch an diesem Tag feiern lassen, bin ich doch gerührt. Was für eine Freude, was für ein Triumph muss es für sie sein, all die jungen, glücklichen Menschen zu sehen, die ihr Queer-Sein in dieser Stadt ausleben können.

 

"Homer, Herodot, Sophokles, Aristoteles, Demosthenes, Cicero, Vergil" stehen an der Fassade der Columbia University. Wäre ich schlauer geworden, wenn ich hier (wahrscheinlicher viel zielgerichteter) studiert hätte? Glücklicher womöglich? Ich schwanke in der Beantwortung dieser Fragen.

 

Im äußersten Norden des Central Parks, in den ich nur selten gekommen bin, gibt es auch ein hübsches Freibad, das allerdings erst einen Tag nach unserem Besuch öffnen würde. Das man Ende Juni schon fast täglich um die 30 Grad Celsius maß (rechnet selber nach, was das in Fahrenheit ist), war für die Damen und Herren Schwimmbadbetreiber kein Grund, die Plansche früher zu öffnen. Zu überlegen, wie dieses von innen aufgenommene Foto zustandegekommen ist, überlasse ich den Kniffelrätselratern.

 

 

Brighton Beach auf Coney Island zählt sicherlich nicht zu den idyllischen Gegenden der Stadt, sicherlich aber zu den sehenswerten. Als man für "The Godfather" noch eine historisch glaubwürdige Autofahrtszene brauchte, griff man ins Archiv und montierte Bilder von einer Fahrt unter den typischen Hochbahnschatten hinein. In den Läden und Imbissen wird nur gebrochen Englisch geredet und verstanden. Unsere Pizza kaufen wir in einer Bude, in der alle außer der Verkäuferin Russisch sprechen. Die pakistanische Bedienung im "Subways" ist die unfreundlichste aller Subways-Filialen westlich Brandenburgs, was man vielleicht auf die furchtbaren Arbeitsbedingungen schieben kann. Andererseits, wenn man schon furchtbare Arbeitsbedingungen hat, warum muss man dann den allgemeinen Schlechte-Laune-Pegel auch noch durch Unfreundlichkeit heben?

 

Während ich mich am Brighton Beach durch die düsteren Seiten des Tagebuchs des Stanford Prison Experiments arbeite, geben die Schüler einer Tanz- oder Schauspiel-Schule ihrem Affen Zucker und spinnen sich einen aus. Vielleicht sind es auch einfach sieben äußerst bewegungsbegabte junger New Yorker, aber dafür wirkten sie zu professionell. Das Foto, auf dem außer dieser Dame auch noch ich mit unvorteilhaften Speckröllchen zu sehen bin, habe ich in der Tiefe meiner Datenbanken verschwinden lassen.

 

Ich vor schiefem Horizont. Immer wenn ich hier in Coney Island an alten Menschen vorbeigehe, verlangsame ich meine Schritte, in der Hoffnung, sie jiddisch reden zu hören. So wie ich das noch 2003 erlebt habe. Aber die sterben wohl auch aus. Inzwischen ist der Strand hier in russischer Hand.

 

Ich habe die New Yorker nie so recht verstanden. Sie haben einen großartigen Strand vor der Haustür und nutzen ihn kaum. Kaum jemand geht tiefer als bis zur Hüfte hinein. So gut wie niemand schwimmt. Und dann gibt es noch all diese Verbote. Vor acht Jahren bin ich auch von einem Rettungsschwimmer zurückgepfiffen worden, als ich weiter als 25 Meter im Wasser war. Nachdem ich den Strand verlassen habe, erfahre ich, dass das fast alles seine Berechtigung hat: Die Strömung ist hier sehr gefährlich. Also keine Flossen, keine Luftmatratzen, kein Rausschwimmen. Aber warum gibt es keine Sonnenschirme und keine Strandmuscheln?

So richtig habe ich es nicht verstanden, das Konzept der Congregational Church. Jüdische und christliche Glaubensgemeinschaft unter einem Dach. Unser 75jähriger Freund Ron ist hier sehr gern unter den jungen Leuten, manchmal zum Sabbat.

 

Der High Lane kurz vor Mitternacht. So unprätentiös bin ich wieder mit ihm ausgesöhnt.

 

Amerikanische Zahnkunst.
(Klingt wie ein Zirkuskunststück.)

 

Am letzten Tag noch einmal in den Central Park. Was mal als kleines "Wir spielen Theater im Park" begonnen hat, ist nun ein kommerzieller Renner geworden. Maß für Maß, das ich in diesem Jahr kennengelernt habe, wird gezeigt. Aber es ist der Tag meiner Abreise.

I’ll be back.

*

Budûr überreicht nun den Liebesbrief an ibn Mansûr, der ihn zu Dschubair ibn Umair bringt. Als dieser den Brief liest, fällt er in Ohnmacht.

Doch bald kam er wieder zu sich und rief: "Sohn des Mansûr, hat sie diesen Brief mit eigener Hand geschrieben und mit ihren Fingern berührt?" Ich fragte: "Mein Gebieter, schreiben Menschen vielleicht mit den Füßen?"

In dem Moment tritt Budûr selbst ein.

Sobald er sie erblickte, sprang er auf als ob er gesund wäre, und umarmte sie, wie das Lâm sich um das Alif schlingt.

Sie setzen sich, lassen einen Kadi und zwei Zeugen rufen und sich an Ort und Stelle vermählen. Man gibt ibn Mansûr ein Nachtlager. Und am nächsten Morgen sieht er die beiden kommen

aus dem Bade im Hause, und beide pressten ihre Locken aus.

Dschubair will ihm zum Dank für seine Boten-Dienste dreitausend Goldstücke überreichen, die ibn Mansûr nur unter der Bedingung annehmen will, wenn man ihm berichtet,

"wie es kam, dass die Liebe von ihr zu dir überging, nachdem du ihr so sehr abgeneigt warst."

Dschubair berichtet, dass er beim Neujahrsfest, bei dem alle in der Stadt auf Booten spazierenfahren, er Budûr entdeckte, die von Sklavinnen umringt zur Laute sang:

Kein Feuer brennt so heiß wie das in meinem Innern;
Wie meines Herren Herz – kein Felsen ist so hart.
Mich wundert’s, wie sein Wesen, sich nur zusammenfügte:
Ein Herz von Stein in einem Leibe, weich und zart.

 

301. Nacht

Wir sind, was wir essen? Wenn das so ist, weiß ich wohl kaum, wer ich bin. Gesinnungs-Öko? Imbissfresser? Halb-Vegetarier? Milchzucker-Vermeider? Biertrinker? Süßmaulfrosch? Mal testen.


Frühstück. Drei Vollkornbrötchen mit Sojola-Margarine, Schokokrem*, Honig*, Johannisbeer-Konfitüre*, Erdnussmus*, Ziegenkäse*, 0,4 Liter Kaffee*, 0,2 Liter Leitungswasser, 1 Tablette LactAid (wegen der Laktose in den Brötchen)
* = Bio-Produkt


1/2 Liter Leitungswasser


0,2 Liter Leitungswasser


Ein Vollkornbrötchen mit Sojola-Margarine und Ziegenkäse*. 1 Tablette LactAid.


Ein Kaugummi Wrigley’s Doublemint


Wegen Zahnarztbesuch verspätetes Mittagessen: Zwei Scheiben Haselnuss-Sesam-Vollkornbrot mit Sojola-Margarine, zwei Scheiben Lachsschinken, Omelett aus 2 Eiern*, zwei Stück Galia-Melone*, 0,2 Liter Leitungswasser, 1 Tablette LactAid (wegen Laktose im Brot)


10 Haferkekse*, 0,1 Liter Leitungswasser


0,5 Liter Leitungswasser


Abendessen: Pizza Vegetaria vom griechischen Imbiss mit Paprika, Artischocken und Tomaten, dazu frisch gemahlener Pfeffer*, 2 Flaschen 0,5 Liter Radeberger Pilsener, 2 Tabletten LactAid wegen Laktose im Pizzakäse.
(Vergesse unglücklicherweise, die zweite Tablette zu essen.)


Vorm Schlafengehen: 0,4 Liter Leitungswasser

 

Wir hören also die Geschichte von Abu Mohammed dem Faulpelz;

"denn sie ist gar wundersam, und seltsam ist’s, wie alles kam. Würde man sie mit Nadeln in die Augenwinkel schreiben, so würde sie allen, die sich lehren lassen, ein lehrreich Beispiel bleiben."

Tatsächlich war Abu Mohammed ein Faulpelz und sein Vater ein Schröpfer im Badehause.

d.h. er übte einen schlecht angesehenen Beruf aus.

"Meine Faulheit ging so weit, dass ich, wenn ich an heißen Tagen schlief und die Sonne über mich kam, ich zu faul war, um aufzustehen und von der Sonne in den Schatten zu gehen."

Der Vater stirbt und hinterlässt ihm nichts. Seine Mutter verdient sich bei Leuten und bringt ihm Essen und Trinken. Als sie erfährt, dass Scheich Abu el-Muzaffar nach China reist, gibt sie ihrem Sohn fünf Silberdirhems und fordert ihn auf, diese dem Scheich mitzugeben, damit dieser sie investiere und wenn der Sohn auch dafür zu faul sei, würde sie ihm nie wieder essen oder trinken besorgen. Abu Mohammed wird angst und bange.

"Richte mich auf!" (…) "Bring mir die Schuhe!" (…) "Zieh sie mir über die Füße!" (…) "Heb mich vom Boden auf!" (…) " Stütze mich, damit ich gehen kann!"

All das tut sie für ihn, und er stolpert zum Scheich und überreicht diesem die Dirhems.
Das Schiff fährt nach China, erledigt dort seine Einkäufe, segelt zurück. Aber nach drei Tagen auf dem Meer fällt dem Scheich ein, dass er den Auftrag für Abu Mohammed vergessen hat und will zurücksegeln. Aber seine Reisegenossen halten ihn auf mit dem Versprechen, ihm ein Vielfaches vom Gewinn der fünf Dirhems zu geben.
Sie legen auf ihrer Rückreise auf einer Insel an; dort entdeckt der Scheich einen Händler,

der eine große Zahl Affen bei sich hatte.

Einer dieser Affen wird von den anderen immer wieder gerupft, sobald der Händler nicht hinschaut.
Diesen Affen kauft der Scheich für Abu Mohammed den Faulpelz.
Auf der nächsten Insel

kamen Taucher an Bord, die nach Edelmetallen, Perlen, Juwelen und ähnlichen Dingen tauchten.

Da befreit sich der Affe und springt über Bord, doch gemeinsam mit den anderen Tauchern,

erschien auch der mit ihnen auf der Oberfläche. Er hatte die Hände voller kostbarer Juwelen, und die warf er vor Abu el-Muzaffar nieder. (…)
"Fürwahr in diesem Affen steckt ein großes Geheimnis."

Das Schiff legt auf einer weiteren Insel an,

deren Name die "Insel der Neger" ist; das sind schwarze Leute, die das Fleisch der Menschen fressen. 301

Einige der Kaufleute werden geschlachtet, die anderen harren in Angst, aber der Scheich wird vom Affen befreit.

 

301 Laut Kommentar soll es sich bei dieser Insel um Sansibar handeln. Auf den Extremrassismus dieser Passage geht der Kommentar nicht ein.

293. Nacht

Nachbarschaftshilfe

Ich habe ein ungebrochenes Selbstbild als Nachbar meiner Nachbarn. Ich bin freundlich und grüße selbst die Unfreundlichen, halte Müttern und Alten die Tür auf, musiziere nur in Zimmerlautstärke und nur zu den angemessen Zeiten. Und es gab sogar eine Zeit, in der ich für meine Nachbarn gern Päckchen annahm, wenn diese gerade nicht zuhause waren. Doch irgendwann nahm es überhand – Päckchen, Pakete, sperrige Gegenstände und Frachtgut, für dessen Transport man auch einen Container zumindest in Erwägung hätte ziehen können, stapelten sich in meinem Korridor. Wenn man eine Wohnung bezieht und die Einrichtung plant, ist es von alters her Sitte, Schnipsel der Möbel auf Millimeterpapier hin und herzurücken, um effizienter Raumaufteilung, frischer Atmosphäre und gutem Geschmack zu huldigen. Aber nie bedenkt man bei so etwas, dass Nachbarschaftspakete dieses sensible Arrangement zerstören könnten. Ich nehme an, es lag an der Urlaubssaison. Die Nachbarn waren zu fein, ihr Frachtgut abzuholen. Ich klingelte tags und nachts. Stapeln genügte nicht mehr, ich musste Kartons ins Schlafzimmer verfrachten. Nach zwei Wochen begann es zu stinken. Aber welche Kiste mochte es sein? Da ich mich auf dem Boden des Grundgesetzes bewege, welche das Postgeheimnis heiligt, so wie die Christen den Namen ihres Vaters, der da ist im Himmel, durfte ich nicht prüfen. Nachdem schließlich alle Nachbarn aus dem Urlaub zurückgekehrt waren und ihr Ladungen in Empfang genommen hatten, und ich festgestellt hatte, dass der Geruch von einer toten Maus rührte, die wir mit einem der schwereren Pakete unabsichtlich erschlagen hatten, beschloss ich, dass ab sofort jemand anders als Paketannahmestelle unseres Hauses fungieren sollte. Ich würde einfach nicht mehr die Tür öffnen, wenn es zwischen 10 und 12 klingelte.
Ab sofort musste ich meine Körperreflexe neu justieren. Nicht mehr aufspringen, sobald es klingelt, sondern einfach entspannen und das das Klingeln yogimäßig wegatmen. Doch auch diese Methode hatte ihre Nachteile, schließlich erreichten mich nicht nur die Nachbarpakete nicht mehr, sondern auch die eigenen. "Wir haben Sie am Freitag um 12 Uhr nicht angetroffen. Holen Sie sich Ihre Sendung ab morgen in der Filiale ab." 5 Minuten zur Filiale latschen, 10 Minuten warten und 10 Minuten die unhandliche Lieferung von 500 Postern zurückschleppen. In der Postschlange traf ich drei Nachbarn, die mich böse anstarrten – es schien sich herumgesprochen zu haben, dass ich den Job als Subfilialleiter der Treptower Post hingeworfen hatte. Und ich verstand – ich hatte die Pakete für die Nachbarn angenommen, obwohl sie zuhause waren. Niemand wollte den Annahme-Deppen spielen. Andererseits war das Anstehen bei der Post noch belastender. Dann lieber einen Tag lang Pakete bei sich herumstehen haben, aber nur wenn es sich nicht vermeiden ließe.
10.50 Uhr. Es klingelt an der Tür. Der Postbote. Aber ist er es auch wirklich. Um die Haustür zu sehen, muss ich auf den Balkon. Auf dem Nachbarbalkon steht mein Nachbar und beobachtet die Haustür. Unter mir beobachtet ein Pärchen die Haustür. Ich wage es nicht, nach oben zu schauen, aber ich weiß, dass alle die Haustür beobachten. Und ja – es ist der Postbote. Und ja, er hat einen Haufen Pakete dabei. Wer wird als Erster schwach?
Der alte Herr Fleischhauer aus dem Parterre erbarmt sich und öffnet. 10 Minuten später trifft sich die Mietergemeinschaft zur Paketabholung an seiner Tür. Es geht uns gut.

*

Die Sklavinnen können die Herrin Dunja davon überzeugen, dass Auspeitschen eine dem Vergehen des Unerlaubtwegbleibens angemessenere Strafe ist als Köpfen.
Mohammed lässt sich anschließend von einem Wundarzt behandeln, geht ins Bad und verkauft seinen Besitz, für den er vierhundert Mamluken erwirbt, sich ein Boot bauen lässt und den Kalifen spielt.

"So habe ich nun schon ein ganzes Jahr getan, aber von ihr habe ich noch nie wieder eine Kunde vernommen, noch bin ich ihr auf die Spur gekommen."

Das wirkt nun, mit Verlaub, ein wenig abstrus. Mohammed weiß doch, wo seine Gattin wohnt. Er könnte sie leicht mit einen vierhundert Mamluken aufsuchen und zur Rede stellen. Und welchen Sinn hat das Verkleiden als Kalif?

Harûn er-Raschîd aber ist von der Story gerührt:

"Preis sei Allah, der für jedes Ding eine Ursache geschaffen hat."

Deutet eine solche Aussage auf die Angst, für irgendetwas keine Ursache zu kennen? Erfüllen die deistischen Religionen auch dieses Bedürfnis: Ursachen benennen zu können, für das, was sonst nicht deutbar bleibt? Liegen dann nicht der Astrologie und ähnlichem Aberglaube ähnliche Motive zugrunde, wie Islam und Christentum? Haben sie die gleiche (Knick-knack) "Ursache"?

Harûn und seine beiden Begleiter Dscha’far und Masrûr, immer noch in Kaufmannsverkleidung, bitten um Erlaubnis, gehen zu dürfen. Wieder im Palast, kleiden sie sich um, und der Kalif befiehlt dem Wesir:

"Lass den jungen Mann zu mir kommen."

292. Nacht

Peinliche Bundespräsidentschaftskandidaten

1954: Karl Dönitz
1964: Heinrich Lübke
1979: Karl Carstens
1994: Johannes Rau (heult nach der verlorenen Wahl)

 

Und noch während er sie entjungfert, improvisiert Mohammed ibn Alî die Verse:

Mein Arm umschloss ihren Hals wie der Ring die Ringeltaube;
Und meine Hand erhob den Schleier vor ihrem Gesicht.
Dies war das höchste Glück; und wir umarmten einander
Ohn Unterlass und sehnten uns nach dem Ende nicht.

Ist das etwas, das man mal ausprobieren sollte – Beim Sex Gedichte erfinden?

Dann blieb ich einen ganzen Monat bei ihr, während dessen ich Laden und Sippe und Heim ganz im Stiche ließ.

Eines Tages zieht sich Dunja ins Badehaus zurück und befiehlt ihrem neuen Gatten, auf sie zu warten. Doch kaum ist sie auf der Straße, da kommt eine Alte herein:

"Mein Herr Mohammed, die Herrin Zubaida lässt dich rufen; denn sie hat von deiner Bildung, deinem feinen Wesen und deiner Sangeskunst gehört."

Zur Erinnerung: Zubaida ist die Erstfrau des Kalifen Harûn er-Raschîd, den diese Wendung – er hört sich ja diese Geschichte gerade an – zumindest erstaunen dürfte. Woher, so fragen wir uns allerdings, hat Zubaida von Alî ibn Mohammed erfahren? Etwa über Teilnehmerinnen am Hochzeitsgelage?

Mohammed eilt nun zu Zubaida, um ihr vorzusingen. Und anschließend hurtig zurück zu seiner Gattin Dunja. Leider ist sie schon zurückgekommen und schläft auf ihrem Lager. Er weckt sie mittels Fußreflexzonenmassage. Sie aber versetzt ihm im Aufwachen einen Tritt:

"Du hast dein Versprechen nicht gehalten und bist zu der Herrin Zubaida gegangen. Bei Allah, fürchtete ich nicht das Gerede, so risse ich ihr Schloss über ihrem Haupte nieder! (…) Sawâb, auf, schlag diesem treulosen Verräter den Kopf ab."

Sollen wir diese Reaktion auf unverschuldete Unpünktlichkeit als überzogen werten?

269. Nacht d)

Was ich mal mochte, jetzt aber nicht mehr

  • Vollmilchschokolade

  • Beethoven

  • Fernsehen überhaupt und Talkshows im Speziellen

  • Recht behalten

  • Auf Rockkonzerte gehen

  • Otto Waalkes

 Was ich mal nicht mochte, jetzt aber schon

  • Ingwer

  • Tanztheater

  • Goethe

  • Mozart

  • Ein Telefon besitzen

  • Yoga

  • Soziologische Systemtheorie und Konstruktivismus

 Was ich mal nicht mochte, jetzt aber immer noch nicht

  • Tocotronic

  • Fisch

  • Orgelfugen

  • Samt

  • Kalt duschen

  • Fußballgucken

  • Walt-Disney-Comics

Was ich mal mochte, jetzt komischerweise immer noch

  • Boney M.

  • Honig

  • Früh aufstehen

  • atonale Musik von Hanns Eisler

  • Texte meiner Kollegen der Chaussee der Enthusiasten

  • Zaubertricks

***

Alâ ed-Dîn hört auf seine Mutter, schmeißt Ring und Lampe weg. Ende der Geschichte.

Alâ ed-Dîn besteht darauf, die Lampe zu behalten. In den folgenden Tagen leben sie vom Verkauf der Schüsseln, deren Wert Alâ ed-Dîn nicht kennt. Er nimmt eine nach der anderen zum Basar, und verkauft sie einem Juden,

der gemeiner war als der Teufel.

Für jede Schüssel erhält er einen Dinar und der Jude flucht insgeheim, dass er ihm

nicht einen Dreier gegeben hatte.


Dreier 17. Jh. (Abb. Numispedia)

 


Golddinar 5. Jh. (Abb. Numispedia)

Scheint eine seltsame Übersetzung aus dem Französischen zu sein. Denn der Dreier als Kleinmünze war nur in Norddeutschland gebräuchlich, nicht aber in Frankreich. In China schon gar nicht.

Nachdem die zehn Schüsseln und auch noch der Tisch verkauft sind, rubbelt Alâ ed-Dîn wieder an der Lampe, alles wiederholt sich. Nach dem Verbrauch der Lebensmittel will er wieder die Schüsseln verkaufen, wird aber von einem muslimischen Händler abgefangen, der ihn darüber aufklärt, dass

den Juden das Gut der Muslime, die den einigen Allah, den Erhabenen verehren, als erlaubte Beute gilt.

Man beachte, dass diese antisemitischen Zeilen vom Franzosen Galland verfasst wurden.

Der muslimische Händler gibt ihm siebzig Dinar pro Schüssel, und Alâ ed-Dîn lernt nun auf dem Basar das Handeln, verkehrt auch unter Juwelieren und erfährt so, dass die Steine, die er aus der Höhle geholt hatte, keine Glasmurmeln sind, sondern Edelsteine.
Eines Tages läuft ein Ausrufer durch die Straßen der Stadt und befiehlt allen, sich zu verbergen,

denn die Herrin Badr el-Budûr, die Tochter des Sultans will sich ins Bad begeben. Jeder, der diesen Befehl übertritt, wird mit dem Tode bestraft werden.

Wie lange war wohl die Prinzessin nicht mehr baden?

Um sie zu beobachten, versteckt sich Alâ ed-Dîn hinter der Tür des Badehauses.

Wer streute Zauberschminke wohl auf die Blicke ihr
Und pflückte Rosenblüten wohl von der Wange ihr?
Ein nächtlich Dunkel ziert der Haare schwarze Pracht,
Doch ihrer Stirne Licht erhellt die finstre Nacht.

Die ersten Verse in dieser Erzählung. Man beachte den Primreim der ersten beiden Zeilen.

Alâ ed-Dîn kehrt heim, legt sich nieder und wird liebeskrank.

269. Nacht a) – Jekaterinburg – Betrug fängt im Kopf an

(12.4.07)

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Jekaterinburg – Betrug fängt im Kopf an

Am Jekaterinburger Flughafen empfängt uns Irina. Ich habe noch nie eine russische Reisebegleiterin erlebt, die nicht Irina hieß. Wahrscheinlich eine zwingende Voraussetzung bei der Bewerbung um diesen begehrten Job Womöglich legen russische Eltern per Namensgebung den beruflichen Weg ihrer Nachkommen fest. Gennadis werden Metro-Rolltreppen-Reparateure und Irinas Reisebegleiter für deutsche Touristen.
Der vom Goethe-Institut angeheuerte Fahrer wirkt wie einer jener Schlägertypen des KGB aus amerikanischen Spionagefilmen. Schweigsam, aber irgendwann, wenn er von oben das Kommando bekommt, wird er uns umlegen und seinem Kommissar Bericht erstatten. Bis dahin verhält er sich zugeknöpft und korrekt. Das früher Swerdlowsk genannte Jekaterinburg ist, so berichtet uns der Fahrer-Agent, nach Moskau, Petersburg und Nishni-Nowgorod die viertgrößte Stadt Russlands. Allerdings wird man das in den Städten Omsk, Nowosibirsk und Krasnojarsk, die wir in den nächsten Tagen besuchen, ebenfalls behaupten.
Jekaterinburg scheint sich in der Phase der ursprünglichen Akkumulation zu befinden (s. Karl Marx: Das Kapital Band I): Holzhäuschen, Beton-Glas-Stahl-Konstruktionen und Sowjetfassaden wechseln sich ohne Sinn und Verstand ab. Die Hauptstraßen sind, wie uns auch auch aus anderen russischen Städten bekannt ist, dermaßen breit, dass man als Fußgänger einen halben Tag braucht, um auf die andere Straßenseite zu gelangen. Dabei fuhr zur Zeit ihrer Entstehung höchstens alle zwei Stunden ein PKW den Leninprospekt herunter. Jochen Schmidt argumentiert, es läge an den extrem breiten Flüssen Russlands. Doch warum sind dann die Straßen des am Mississippi-Delta gelegenen New Orleans so wurschtelig schmal? Ich vermute eher, dass die russischen Architekten nach der Oktoberrevolution alle erschossen wurden und man das Relaunch einer Kindergarten-Werkstatt übertrug: Patsche-patsche – fertig ist die Straße. Der weitblickende Stalin ließ die Verantwortlichen erschießen, aber die Straßen wurden dennoch gebaut, denn die seherischen Fähigkeiten des Generalissimus ließen ihn schon damals erahnen, dass der zu hochprozentigem Alkohol neigende Russe als Autofahrer ein großzügig angelegtes Manövrierfeld benötigt.
Das Hotel gehört zu den besten der Stadt. Falko Hennig, der vor kurzem ebenfalls in Russland aufgetreten war, hatte berichtet, dass man ihm die Rezeption per Anruf ein paar Abendhäppchen anbot, die nicht nur aus Kaviar, Wodka und frisch gezapftem Bier sondern auch aus frisch bezopften russischen Mädchen bestanden. Sollte man, nachdem man so oft derartige Angebote auf der Oranienburger Straße abgelehnt hat, sich nicht wenigstens mal nach dem Preis erkundigen. Aber was, wenn es nachher bloß 2,99 Euro kostet? Dann kann man sich schlecht rausreden, das es einem zu teuer wäre. Man könnte ja auch nur mal mit dem zu einer derart erniedrigenden Arbeit gezwungenen Mädchen reden, und das unter „Recherche“ verbuchen, wobei ich natürlich nichts dagegen hätte, wenn mir das arme Mädchen während unseres Gesprächs den Nacken massiert. Oder die Füße, oder den Bauch, oder die Schläfen, den Rücken, die Oberschenkel. Ab welcher Art von Massage würde ich meine Freundin betrügen? Doch eigentlich nur, wenn das Mädchen einen Körperteil berührt, der von meinem Slip eingefasst wird. Aber heißt das, dass Beziehung, Treue und Liebe nur auf Hintern und Genitalien beschränkt sind. Treue oder Betrug – das fängt doch im Kopf an. Und wenn es alles nur eine Frage des Kopfes ist, dann könnte ich auch gleich die Hose runterlassen. Angstvoll schiele ich nach 23 Uhr immer wieder auf das Telefon, aber es bleibt still. Glück gehabt.

***

Die Geschichte von Alâ ed-Dîn und der Wunderlampe
(Aladin)

In einer Stadt in China lebt ein armer Schneider, dessen Sohn Alâ ed-Dîn heißt.

Und dieser Knabe war von seiner Jugend auf ein Tunichtgut und Taugenichts.

Schon dieser Anfang ist anders konstruiert als die bisherigen Erzählungen, und es ist unglaubwürdig, dass Galland die Geschichte woanders als in seinem Kopf „gefunden“ hat:

  • Der Held ist bei 1001 Nacht in der Regel noch gar nicht geboren.

  • Warum hat er einen arabischen Namen, wenn er in China lebt?

  • Warum heißt er genau so wie der Held der vorherigen Geschichte?

  • Tunichtgut und Taugenichts scheinen auch eher vom europäischen Ethos geprägte Bezeichnungen zu sein als typische zu überwindende Eigenschaften.

Alâ ed-Dîn spielt nun auch lieber

mit den anderen Buben, Lehrlingen,

als seinem Vater zu helfen, welcher dann auch stirbt.

Seine arme, unglückliche Mutter aber musste ihn von dem ernähren, was sie durch Spinnen mit eigener Hand verdiente, bis er fünfzehn Jahre alt war.

Spinnen als Handwerk der Ärmsten – auch ein europäisches Motiv?

Eines Tages kommt ein maurischer Derwisch in die Stadt, der Alâ ed-Dîn beobachtet:

„Dieser Knabe da ist ja der, den ich suche.“

Dass der Derwisch ein Maure sein soll, scheint mir ebenfalls eine europäische Projektion. In der Figur des Mauren sammelt sich das Unheimliche, das Exotische, das Dunkle, das Afrikanische verbindet sich mit dem Orient. Der Derwisch wäre eher im persischen Raum zu vermuten, bestenfalls in Ostafrika.

Der Derwisch gibt sich als Oheim Alâ ed-Dîns aus und beklagt den „Tod seines Bruders“. Er erklärt, Alâ ed-Dîn solle nun wie sein Sohn sein, gibt ihm zehn Dinare und kündigt seinen Besuch bei ihm und seiner Mutter an. Die Mutter scheint einigermaßen verwundert über den nie gekannten Oheim, kocht aber am nächsten Tag, als Alâ ed-Dîn wieder mit zwei Dinaren heimkommt ein gutes Essen, um den Mauren zu empfangen.
Langwierig erzählt der Maure (man könnte auch sagen Galland) eine dürre Geschichte, wie er von seinem angeblichen Bruder getrennt wurde und nun nach vierzig Jahren wieder zurückkehrte. Er fragt nach dem Handwerk Alâ ed-Dîns und die Mutter klagt:

„Mühsam spinne ich Baumwolle Tag und Nacht.“

Der Derwisch verspricht Alâ ed-Dîn, ihn zu einem feinen Kaufherrn zu machen. Da

freute er sich sehr; denn er wusste genau, dass diese Herren alle immer feine und saubere Kleider tragen.

Ich kann mir nicht helfen – auch das klingt für mich europäisch.

Am nächsten Tag führt der Maure Alâ ed-Dîn zum Basar, kleidet ihn ein, geht mit ihm ins Badehaus, trinkt mit ihm Scherbett und

zeigte ihm die Stadt, die Moscheen und alles Sehenswerte, was es in dem Orte gab.

Das sollte Alâ ed-Dîn, der Herumtreiber noch nicht gesehen haben?… Weiterlesen

269. Nacht – Strickkleider und Schnarch-Lacher

(12.4.07)

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Strickkleider und Schnarch-Lacher

Angeblich sind die Zwischenansagen des Kapitäns und der Stewardessen auch auf Deutsch. Erkennen kann man es nicht, der Tonfall und der Klang sind dieselben.
Als wir in Moskau ankommen, jammert Jochen, er habe im Flugzeug nicht schlafen können. Somit ist Jochen Schmidt der einzige Mensch, den ich kenne, der auch im Wachsein schnarcht, von ein paar Schnarchlachern abgesehen, deren Vorkommen in meiner unmittelbaren Umgebung in den letzten Monaten zugenommen hat. Ein Schnarchlacher ist ein Mensch, dessen Lachen zwar einigermaßen verhalten klingt, der dann aber beim Luftholen kräftig grunzt. Haben die dafür zuständigen Ärzte den Grund für dieses Phänomen schon mal untersucht? Ich glaube nicht.
Passkontrolle. Jochen wird angeschnauzt, weil er unverschämterweise kein Einreiseformular ausgefüllt hat. „Ot kuda?“, fragt er und will wahrscheinlich wissen, woher man diese Papiere bekommt, ich vermute aufgrund der barschen Reaktion der Flughafenaufpasserin einen Vokabelfehler. Willkommen in Russland.
In der Nähe des Flughafencafés, von dem wir abgeholt werden sollen, legen wir uns auf die Wartebänke zwischen die jemand Videosäulen gebaut hat, auf denen ein Drei-Minuten-Video des World Wildlife Funds läuft. Ein Jaguar und ein Hirsch. Der Hirsch, dann wieder der Jaguar. Der Jaguar im Schnee, der Hirsch im Schnee. Der Hirsch bei Nacht, der Jaguar bei Nacht. Wie in einem Liebesfilm fragt man sich: Kriegen sie sich oder kriegen sie sich nicht? Oder anders gefragt: Unter welchen Umständen kriegen sie sich? Aber der Zuschauer wird enttäuscht. Wie in einer Liebeskomödie aus den 50er Jahren sieht man das Paar erst am Morgen danach. Der Jaguar kaut schon etwas übersättigt an den Hirschresten. Hab ich etwas verpasst? Ich habe in den nächsten 5 Stunden genug Gelegenheit, meine Filmanalyse zu verifizieren, denn der dreiminütige Jaguar-Hirsch-Clip läuft hier als Endlos-Schleife.
Unsere deutsche Begleiterin Dana, die man uns für die nächsten Tage als Beschützerin zugeordnet hat, können wir gar nicht erkennen, so russisch ist sie gekleidet. Aber das ist ein Schicksal, das anscheinend jedem widerfährt, der länger als ein halbes Jahr hier lebt. In der Schule konnte man früher auch die Russischlehrerinnen, die ein Jahr lang in Moskau studiert hatten, an ihrer Vorliebe für unvorteilhafte Strickkleider, altmodische Tropfenformbrillen, unzweckmäßige Plastegürtel und eigenwilliges Naschwerk identifizieren.
Der Binnenflughafen Scheremetjewo 1, zu dem uns Dana lotst, wirkt, als hätten ihn russische Leibeigene vor der Erfindung der zivilen Luftfahrt erbaut. Die slawische Rustikalität des Gebäudes und der hier angebotenen Nahrung kontrastiert auf beeindruckende Weise mit der distinguierten Preisgestaltung der Cafeteria.
Ein gleichzeitig geschäftsmännisch aber auch polit-mafiös wirkender Bartträger, den ich instinktiv-rassistisch als Armenier einordne, setzt sich, drei Russen nehmen neben ihm Platz, und ein Sonnenbrillenträger baut sich ostentativ als Personenschützer am Eingang des Cafés auf. Die drei Russen sind die Idealtypen des russischen Mannes:
1. der fette Alkoholiker-Macho á la Jelzin
2. der fetthaarige Funktionär á la Karpow
3. der Bodybuilder á la Iwan die Kampfmaschine in Rocky IV
Um ein Binnenflugzeug in Russland zu besteigen, muss man sich beim Sicherheits-Check fast bis auf den Leoparden-Schlüpper ausziehen. Ich vermute, dass sie nur von ihrer mangelhaften Durchleuchte-Technik ablenken wollen. Wenn man kein Messer mitnehmen darf, warum gibt es dann in der Ersten Klasse Stahlbesteck und Glasflaschen?
Die Sitzreihen sind diesmal so eng, dass sogar Jochen Probleme hat. Falls sich mein Vordermann anlehnt, werde ich mir die Kniescheiben brechen. Jochen hat den Gangsitz, aber sobald er seine Beine etwas rausschiebt, pfeifen ihn die Stewardessen zusammen. Müssen die eigentlich auch einen Freundlichkeitskurs belegen. Der Umstand, dass sie auf diesem Flug nur sachlich und nicht mürrisch sind, scheint das zu belegen.
Ankunft Jekaterinburg. Die übliche Hektik bei der Landung. Diesmal ist das Flugzeug gerade erst einmal aufgedetscht und noch nicht mit dem Bremsen fertig, als schon einige Eifrige aufstehen. Es nutzt ihnen nichts. Beim Warten aufs Gepäck sehen wir uns alle wieder. Eine Gruppe Kaukasier hat Pech gehabt. Das Gepäck ist auf dem Rollfeld vom Laster gefallen, aber jetzt ist leider Mittagspause in Jekaterinburg, da könne man nichts machen. Kaukasier sind in Russland eben nur Kaukasier und stehen in der sozialen Hierarchie irgendwo zwischen Dieb und Hund. Und so müssen die Kaukasier bis zum nächsten Flug warten und der kommt in fünf Stunden.

Als genuesische König erwacht,

sah er Alâ ed-Dîn und seine eigene Tochter auf seiner Brust sitzen,

die ihn auch noch mit Waffengewalt überreden wollen, zum Islam zu konvertieren.

So könnte im Jahre 2008 ein Horrorfilm beginnen: Ein Staatsoberhaupt wacht auf, und auf seiner Brust sitzt seine plötzlich zum Islam konvertierte Tochter, begleitet von einem grimmigen Moslem.

Da zückte Alâ ed-Dîn den Dolch und durchschnitt ihm die Kehle von Ader zu Ader. Dann schrieb er auf ein Blatt, was sich zu getragen hatte, und legte es ihm auf die Stirn.

Die Prinzessin ist in der Lage, den Zauberstein zu bedienen, den sie reibt. Es erscheint ein Ruhelager, mit dem sie sich in die Lüfte erheben und fliehen. Der Stein versetzt sie außerdem in die Lage,

  • in einem öden Tal Bäume wachsen und einen Fluss fließen zu lassen, an dem sie die religiöse Waschung vollziehen können

  • einen Tisch mit Speisen erscheinen zu lassen

  • einen Ritter erscheinen zu lassen, der die Truppen bekämpft, die der Bruder der Prinzessin ihnen hinterhergeschickt hat

vgl. Tischlein-deck-dich bei Grimms, wo der Reiter seine Entsprechung im Knüppel-aus-dem-Sack hat

Man reist weiter nach Alexandrien, wo sie Ahmed ed-Danaf treffen. Mit dem fliegenden Ruhelager reisen sie über den Umweg Kairo, wo Alâ ed-Din seinen Vater wiedertrifft, nach Bagdad, wo er seinen nun zwanzigjährigen Sohn Aslân zum ersten Mal sieht. Der Kalif führt den Erzdieb Ahmed Kamâkim vor.

Sofort zog Alâ ed-Dîn sein Schwert und schlug ihm den Kopf ab.

Der Kalif lässt den Ehevertrag für Alâ ed-Dîn und die genuesische Prinzessin Husn Marjam schreiben.

Als er dann zu ihr einging, fand er, dass sie eine undurchbohrte Perle war.

Aslân wird zum Hauptmann der sechzig ernannt.

Hier endet die Geschichte, und man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass am Ende Zauberstein und Dämonen quasi hervorgezaubert wurden, um die Handlungsstränge zusammenzuknoten. Die Idee von einer erzählenswerten Geschichte ist hier völlig anders – es geht viel mehr ums Erzählen selbst, die Geschichte von Alâ ed-Dîn ist die einer seltsamen Biografie, weniger die von einer seltsamen Begebenheit.

Ende

Die 269. Nacht wird zwar fortgesetzt, ist aber außergewöhnlich lang, da Galland hier die (wahrscheinlich von ihm selbst erfundene) Geschichte von Alâ ed-Dîn und der Wunderlampe eingefügt hat.… Weiterlesen

251. Nacht – Matti und Bau

Mein Neffe Matti reagiert erstaunlich freudig auf Bau, den "Nüdlüchen Hund"

 

***

Erst von den Dienern erfährt Alâ ed-Dîn, dass sein Vater Vorsteher der Kaufmannsgilde ist,

"und er gilt als Fürst unter den Arabern."

Er gestattet es sogar seinen Sklaven, bis zum Wert von 900 Dinaren, Geschäfte ohne seine Zustimmung abzuschließen.

Sklaven als Prokuristen?

Alâ ed-Dîn bittet nun seine Mutter, seinen Vater umzustimmen, damit er gegenüber den anderen Händlern als Sohn seines Vaters angesehen werde und dadurch in den Genuss dieser Privilegien komme, falls sein Vater stürbe.
Der Vater ist einverstanden. Man ist und trinkt Scherbette. Als sie jedoch nach dem Bad zum Basar gehen, ernten sie misstrauische Blicke, und die Kaufleute wollen ihn absetzen, da sie glauben, er hege

unerlaubte Liebe und Neigung zu ihm.

Als er sie aufklärt, wünschen sie ihm Glück:

"Der Herr behüte die Wurzel und den Zweig!"

verlangen aber ein Geburtsfest für die Kollegen.… Weiterlesen

249. Nacht – Elfentanz und Tortenschlacht

König el-Ghajûr nimmt nach vier Wochen seine Tochter Budûr wieder mit in seine Heimat. Ebenso el-Amdschad, den er zum Herrscher macht. El-As’ad wird zum Herrscher über die Ebenholzinseln, und Kamar ez-Zamân reist mit seinem Vater zurück nach Chalidân, wo er von nun an herrscht.

Unklar bleibt außerdem: Was geschieht mit Hajât en-Nufûs?

Ende

***

 

Da sprach der König: „Schehrezâd, dies ist wirklich eine ganz wundersame Geschichte!“ Doch sie erwiderte: „Hoher König, sie ist nicht wundersamer als

Die Geschichte von Alâ ed-Dîn Abu esch-Schamât

In Kairo lebt ein reicher Kaufmann namens Schams ed-Dîn, dessen Reichtümer uns Schehrezâd aufzählt.

Und er war Vorsteher der Kaufmannsgilde von Kairo.

Er ist mit seiner Frau schon vierzig Jahre verheiratet, doch sie können keine Kinder bekommen. Als er eines Tages die Söhne der anderen Kaufleute betrachtet, beneidet er diese.

Jener Tag aber war ein Freitag, und so ging der Kaufmann in das Badehaus und vollzog die Freitagswaschung.

In diesem Kontext anscheinend religiös besetzt, aber auch in deutschen Arbeiterfamilien kannte man das: Die Arbeitswoche war vorbei. Es wurde gebadet – erst die Kinder, dann die Mutter, am Schluss der Vater. So wie man auch beim Abwasch erst die Gläser, dann die Teller und am Schluss die Töpfe spült.

Meine Großeltern mussten immer noch extra einen großen Wassertopf zum Kochen aufsetzen, um in der großen Zinkwanne zu baden. Ein Badezimmer erschien ihnen als großer Luxus. Ich erinnere mich, dass, wenn mein Großvater uns besuchte, er es für völlig abwegig hielt, an einem anderen Tag als einem Freitag zu baden. Selbst im Urlaub. Aber auch in unserer Familie hielt sich die Tradition des Freitagsbads. Wir Kinder wurden zwar dreimal wöchentlich gebadet. Aber kein Freitag ohne Bad.

Elfentanz und Tortenschlacht

 

Bei uns wurde nicht geduscht, bei uns wurde gebadet. Zwei bis dreimal pro Woche, je nach Verschmutzungsgrad. Die Badetage waren flexibel, nur der Freitag war fix. Am Freitagsbad wurde nichtgerüttelt. Vielleicht ein Überbleibsel aus der proletarischen Tradition meiner Eltern, als Baden ein Topluxus war. Wurde beim Essen in den Familien darauf geachtet, dass das erste Stück und größte Fleisch der Vater bekam, dann die Mutter, die großen und am Schluss die kleinen Kinder, war es beim Baden andersrum: Erst stiegen die Kinder in die Wanne, an deren kleineren Körpern befand sich vermutlich wesentlich weniger Schmutz, dann die Mutter und am Ende der Vater, auf dessen Körper eine Schicht aus Schweiß, Ruß und Schmieröl lag.

Soweit zur Tradition des Freitags. Aber Freitag war bei uns nicht nur Bade-, sondern auch Lern- und Spaß-Tag. Meine ausführlichen Untersuchungen der Konsistenz von Badeschaum, der Einfangbarkeit von Furzblasen mit dem durchsichtigen Zahnputzbecher meiner Schwester, der Luftanhalte- und Seifenblasentest, der meditativen Betrachtung der Finger beim Schrumpeln, fanden spätestens 18.15 Uhr ein jähes Ende. Dann nämlich war die langweiligste Fernsehsendung aller Zeiten namens „Drehscheibe“ vorbei, und es blieben mir noch fünf Minuten, bis „Spaß“ anfing. „Spaß“ war der familieninterne Titel für eine wöchentliche ZDF-Zusammenstellung alter Stummfilme, die offiziell „Väter der Klamotte“ genannt wurde. In diesen fünf Minuten musste ich gewaschen und abgetrocknet sein und im Schlafanzug auf dem Sessel sitzen.

Das Intro war ein Reigen fulminanter Explosionen kindlichen Wahnwitzes: Eine Frau verliert beim Tanz ihren Rock und steht in Unterwäsche da, einer Ritterrüstung wird der Kopf abgeschossen, es wir geschielt, geschüttelt, gestürzt, geschlagen, Menschen fliegen durch die Luft, Flüssigkeiten und Sachbeschädigungen haben einen prominenten Platz in diesem Höllenkurzfilm, dessen Tempo und Schnittfrequenz die Musikvideoclips der 90er Jahre antizipiert. Der Text des Intro-Lieds, dessen Melodie Fröhlichkeit suggerierte und dessen alberne Instrumentierung signalisierte, jetzt komme etwas Ulkiges, bei dem gelacht werden dürfe, gab mir Rätsel auf. Bekannte Floskeln wie „Guten Abend, liebe Leut’“ wechselten sich ab mit einer Kaskade an Fremdwörtern wie „Motto“, „Kapriole“ und „Elfentanz“.

Teilweise thematisierte der Songtext genau das, was zu sehen war – eine Tortenschlacht, einen wilden Löwen. Aber wenn bei der Zeile „Schöne Frauen“ eine alte Transe gezeigt wurde, war selbst einem Fünfjährigen klar, dass das nicht ernstgemeint sein konnte. Bei „Kapriolen“ sah man einen sich in einem fort überschlagenden Radfahrer. Jahrelang waren Kapriolen für mich genau das: Sich in einem fort überschlagende Radfahrer. „Muskelpracht“ – ein Boxer spannt seinen Bizeps so sehr an, dass es aussieht, als röche er an seinem Boxhandschuh, ich glaubte jahrelang, dass das alle Boxer vor einem Kampf täten. Dass der Cowboy in der Zeile „Starke Helden“ mit seinem Revolver zittert, hielt ich auch für üblich unter Revolverhelden. Was ein Elfentanz (ich verstand immer Elfertanz) ist, blieb mir unklar, und statt „Vagabunden“ verstand ich „wohl verbunden“, was auch die beiden nebeneinander ruhenden Penner nahelegten.

Das sich verschiebende Drei-D-Gemälde gehört zu den besten Special Effects der Filmgeschichte, ich habe so etwas nie wieder gesehen.

Die Filme selbst dürften jedem Stummfilmliebhaber Tränen in die Augen getrieben haben, für Kinder waren sie genau die richtige Mischung aus Anarchie und Blödelei: Zunächst wurde alles ins ZDF-20-Minuten-Format gepresst und entsprechend beschnippelt. Was aber mit der Stummheit der Stummfilme tun? Im Fernsehen darf es per definitionem keine Stille geben, sonst weiß der Zuschauer nicht, ob sein Apparat eine Tonstörung hat. Und so kommentierte Hanns Dieter Hüsch jede Szene und verdoppelte das Gesehene: „Hups, Charley, das ging ins Auge!“ – „Dieses Gewicht hält keine Unterhose aus!“

Oder er verlieh den eigentlich stummen Akteuren eine Stimme: „Her mit dem Teller!“ – „Hier nimm die Torte!“ – „Nanu, der Bart ist angeklebt!“ – „Lieber angeklebt als angeschmiert!“

Die Musik des ZDF-Hauskomponisten Fred Strittmatter lud den Filmen eine dritte Ulkigkeitsebene auf, und zwar mit einer Kompositionstechnik, die man Mickymousing nennt und die Leopold Mozart in seinen Kinderkompositionen vorweggenommen hat: Rennt Micky die Treppe runter, vollführt die Musik dieselbe Bewegung, dasselbe bei Ohrfeigen, Ausrutschern, Sprüngen usw. Kein Gag darf unbemerkt bleiben, jede Derbheit muss unterstrichen werden.

Man lernte die Creme de la Creme der amerikanischen Slapstickfilme kennen: Charley Chase, Harold Lloyd, Charley Chaplin und den dicken Fatty Arbuckle, den wir nur „fette A-Backe“ nannten, schon klar, dass man im Fernsehen nicht „Arschbacke“ sagen durfte. Mein Liebling war schon damals Buster Keaton, der keine Miene verzog, wenn sich die Welt der Apparate gegen ihn verschwor.

Beim Abspann poltert ein Fettwanst durch den Kamin und ist mit Spaghetti oder einer schleimigen Suppe beschmaddert. Lächerlicherweise wird ihm von Hüsch dabei der Ruf „Schööön!“ untergelegt, wie übrigens jedem, der sich bei „Spaß“ mit irgendetwas bekleckerte. Und während ich quasi intuitiv die Bedeutung des Wortes Kapriolen lernte, glaubte ich hier, das Wort „schön“ habe noch eine andere, vielleicht anzügliche, nur Erwachsenen verständliche Bedeutung. Vielleicht verhörte ich mich ja auch, und die Schmadderopfer sagten gar nicht „schön“, sondern „Schöb“ oder „Schöm“ oder „schöl“.

Unmissverständlich war jedoch: „Gute Laune, gute Laune, gute Laune Tag und Nacht!“, gebadet, und gereinigt an Körper und Geist ging ich freitags um 19 Uhr gut gelaunt ins Bett.

 

Väter der Klamotte

 Guten Abend, liebe Gäste,
wir erfreuen euch aufs Beste.
Mit Klamotten, Komödianten,
die schon unsre Väter kannten.

Guten Abend, liebe Leut‘,
Lachen ist das Motto heut‘.
Tempo jetzt! Die Zeit verrinnt!
Vorhang auf! Der Spaß beginnt.

Schöne Frauen, wilde Löwen,
Elfentanz und Torten-Schlacht,
starke Helden, Vagabunden,
selten hat man so gelacht.

Süße Worte, Kapriolen,
Wasserstrahl und Muskel-Pracht
machen Spaß am Feierabend.
Gute Laune, gute Laune,
gute Laune, Tag und Nacht.

Tempo jetzt! Die Zeit verrinnt!
Vorhang auf! Der Spaß beginnt.

„Schööööön…“

 

Nach dem Bad

blickte er auf seinen Bart und sah, dass die weißen Haare darin die schwarzen bedeckten, und dachte daran, dass die weißen Haare Vorboten des Todes sind.

Zuhause tritt er den von seiner Frau gedeckten Tisch um und fährt sie an:

„Du bis die Ursache meines Kummers!“… Weiterlesen

230. Nacht

El-Amdschad erfährt, dass er sich in der Stadt der Magier befindet:

"Ihre Bewohner beten zum Feuer anstatt zum allmächtigen König."

Unklar, wer diese Auskunft erteilt, wenn doch alle Bewohner Magier sind. Erinnert an die lügenden Kreter.
Auch unklar: Ob es dieselbe Magier-Stadt ist, in der Kamar ez-Zamân als Gärtner arbeitete

Der Weg zur Ebenholzstadt, so erfährt er, ist

zu Land eine Reise von eine Jahr, zur See aber eine Fahrt von sechs Monaten.

Wieder diese seltsame Zeitverschiebung. Die Brüder waren doch lediglich ein paar Tage unterwegs.

El-Amdschad trifft auf einen muslimischen Schneider, der ihm anbietet, bei ihm zu wohnen.

Nun blieb der Prinz eine Reihe von Tagen bei ihm, während dieser ihn tröstete, ihm Mut zusprach und ihn im Schneiderhandwerk unterrichtete, bis er es gelernt hatte.

Dauert in Deutschland derzeit drei Jahre!

Eines Tages trifft er nach dem Bade

eine Frau von großer Schönheit und Zierlichkeit,

die ihn durch Verse anlockt. Er lockt sie zurück. Ebenfalls durch Verse, bis er schließlich zur Sache kommt:

"Willst du zu mir kommen, oder soll ich zu dir kommen?"

Diese Worte hörte ich 1992 zum ersten Mal.

Sie darauf:

"Die Männer haben den Vorrang vor den Frauen um dessen willen, was Allah den einen vor den anderen vorausgegeben hat."

209. Nacht – Luhmanns Gesellschaft der Gesellschaft und Russenparfum

Mein Laptop-Kabel war defekt. Ich kaufte mir ein neues bei Ebay. Kann man dem Verkäufer vorwerfen, dass das Kabel nach billigem Parfüm stinkt? Ich sehe regelrecht den einsamen dicken Laptop-Kabel-Händler in seiner traurigen mit Laptop-Kabeln zugehängten Wohnung, und stündlich versucht er, sich über seine Existenz mit Parfüm zu trösten. Da aber der Laptop-Kabel-Handel nicht so viel einbringt, langt es nur zu billigem Parfüm.
Ich kann den Laptop nur noch im Batteriebetrieb bedienen und muss die Akkus in meinen Arbeitspausen über besagtes Kabel aufladen. Wichtig: Händewaschen nicht vergessen, sonst träumt man beim Mittagsschlaf von einsamen dicken Laptop-Kabel-Händlern, die sich über ihr billiges Leben mit billigem Parfüm trösten.
Das Tolle am Internet ist, dass man andere an sinnlichen Wahrnehmungen teilhaben lassen kann: Musik, Texte, Bilder, Filme usw. Nur Geruch- und Geschmackswahrnehmungen waren bisher von er Datenfernübertragung ausgeschlossen. Ich habe nun extra das Dateiformat .muff kreiert, dass einfache Gerüche wie z.B. billiges Russenparfüm digital komprimiert speichern kann:
Download: www.danrichter.de/leckerbissen/2008/parfum.muff
Den Muff-Player veröffentliche ich demnächst.

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Regal Soziologie

Elftes Buch von links

Niklas Luhmann: Die Gesellschaft der Gesellschaft

Erworben: 26.1.2003 im 10bändigen Schuber
Status: Von 2003 bis 2006 ca. 1 Seite täglich gelesen.
Erster Satz: "Die folgenden Untersuchungen betreffen das Sozialsystem der modernen Gesellschaft.
Kommentar: Im Nachhinein bereue ich es beinahe, diesen Blog nicht zu "Gesellschaft der Gesellschaft" zu schreiben, sondern manchmal mich durch langwierige Storys über orientalische Liebende, die nicht zueinander kommen, zu fräsen. "Die Gesellschaft der Gesellschaft" ist eines der wichtigsten Bücher, die ich je gelesen habe. Das letzte große von Luhmann zu Lebzeiten fertiggestellte Werk. Er schreibt hier völlig auf der Höhe seiner intellektuellen und stilistischen Fähigkeiten. Die Zeiten des vorsichtigen Stocherns im Moor der neuen Theorie (wie z.B. in "Soziale Systeme) sind vorbei. Er weiß, worum es ihm geht, er bewegt sich sicher in seiner eigenen Theorie und muss sich nicht in einem fort links und rechts mit hölzernen Begriffen und unübersichtlicher Syntax absichern.

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Prinzessin Budûr nimmt ein Bad

Offenbar allein, sonst flöge der Schwindel auf.

Armanûs, der König der Ebenholzinseln ist erfreut über die Ankunft Budûrs, da er glaubt, nun einen Schwiegersohn gefunden zu haben:

"Drum soll sie dein sein, mein Sohn."
(…) Da senkte die Herrin Budûr ihr Haupt und vor Verlegenheit perlte ihre Stirn von Schweißtropfen.

Sie befürchtet, Armanûs würde, falls sie ablehnt und weiterreist, ihr hinterherjagen und sie töten lassen, andererseits käme bei einer Hochzeit die Wahrheit heraus.

Intoleranz gegenüber Homo-Ehe auf den Ebenholz-Inseln

Budûr willigt ein, und der König verpasst ihr die Sultanswürde. Es wird ein Fest gefeiert, die Emire einberufen,

und ein jeder, der sie anblickte, ward durch das Übermaß ihrer Schönheit und Anmut so erregt, dass er seine Hosen nässte.

Die Hochzeit mit Hajât en-Nufûs wird rasch gefeiert, und als die beiden alleingelassen werden, tut Budûr nichts als Trauer-Verse rezitieren und Hajât en-Nufûs auf den Mund zu küssen. Dann dreht sie sich um und schläft.
Am nächsten Tag regiert Budûr und spricht Recht. Sie verleiht den Emiren Ehrengewänder und schafft die Gebühren ab.
Als sich Budûr auch in der zweiten Nacht nicht um die Entjungferung Hajât en-Nufûs‘ kümmert, beklagt sich diese am nächsten Morgen bei ihrem Vater, der ihr verspricht, Budûr in dem Falle der weiteren Penetrations-Veweigerung ihrer Ämter zu entkleiden und sie aus dem Land zu jagen.

 

 

199. Nacht

Endlich sind Kamar ez-Zamân und Marzuwân allein, und dieser berichtet dem Prinzen die ganze Geschichte.

Wenn je ein Freund der Freundin abhold ward,
Und immer in der Abkehr noch beharrt,
So eine und verbinde ich die beiden,
Gleichwie die Zapfen in der Schere Schneiden.

Und beide gingen ins Badehaus, wo sie sich den Leib badeten und sich wuschen.

132. Nacht

Die beiden Jünglinge Azîz und Tâdsch el-Mulûk werden vom Wesir ins Badehaus geführt.

und im Badehaus schien es, als habe der Dichter ihnen die Worte geweiht:

Wohl seinem Badediener, wenn dessen Hand berühret
Den Leib, der wie aus Wasser und Licht geschaffen ward!
Ohn Unterlass übt er sein Handwerk fein behutsam,
Dann ist’s, als gewönne er Moschus vom Leibe wie Kampfer so zart.

Gemeinsam mit dem Vorsteher begeben sie sich zurück zum Markt und gehen vor ihm her.

Nun sah er ihre Hüften sich bewegen, und da begann die Leidenschaft sich in ihm immer stärker zu regen; er schnaubte und schnaufte und konnte sich kaum noch beherrschen, er wollte sie mit den Augen verschlingen und begann, diese Verse zu singen:

Das Herz liest das Kapitel alleinigen Besitzes;
Den Abschnitt über die Teilung mit anderen schlägt es nicht auf.
Kein Wunder ist’s, wenn es ob solcher Last erhebet;
Bewegen sich doch am Himmel die Sphären im Lauf.

und ferner sprach er:

Mein Aug erblickte die zwei, die auf die Erde traten –
Die beiden liebt ich auch, wenn sie ins Aug mir träten

Man stelle sich heute einen Marktvorsteher (Börsenvorstand) vor, der solche Lieder singend den Markt betritt.

Als sie solches von ihm hörten, beschworen sie ihn, mit ihnen wieder ins Bad zu gehen.

Dies nun scheint völlig unklar. Sind sie auf einmal selbst nicht abgeneigt, Dunja hin oder her? Oder sind sie für die erotische Komponente der Verse völlig taub?
Außerdem unklar: Azîz ist ja nun kastriert. Ist dies dem Vorsteher entgangen oder ist es gerade das, was ihn anmacht?

Tâdsch el-Mulûk besteht darauf, den Vorsteher selber waschen zu dürfen.

Früher hätte man gesagt: "Ist ja nur ein Märchen."

Man lobt die Vorzüge des Bades. Und nach diesem Tag spricht sich die Schönheit von Tâdsch el-Mulûk in der Stadt herum.