Meine Nachbarschaft ist zugestopft mit Kaufhallen, Supermärkten und Discountern aller Art. Cafés und Restaurants eher weniger, aber Kaufhallen. Dafür hamse wieder Geld, die Treptower. In weniger als 5 Laufminuten erreiche ich:
– zwei Netto
– einen Kaisers
– ein real
– Rewe
– Aldi
– und (dafür braucht man dann schon sieben Minuten) die Biokette LPG
Schon irritierend, als vor wenigen Monaten direkt neben dem Netto auf dem ehemaligen Mauergrundstück die Bagger ankamen und schon bald ein Schild verhieß: „Hier entsteht ihr neuer Edeka!“ Die Graffitisierer sprachen mir aus dem Herzen, als sie dann an die neueröffnete Filiale sprühten: „Kita? Spielplatz? Park? Noch ein Supermarkt! Fuck the system!“
Wem wollten die denn die Kundschaft streitig machen? Mir war klar, ich würde den Edeka, auch wenn er nur bequeme 3 Minuten entfernt lag, boykottieren. Und ich war mir sicher, ich wäre nicht der Einzige. Die Graffiteure hatte ich auf meiner Seite. Am selben Tag hatten sie auch ein in der Karl-Kunger-Straße modernisiertes Haus markiert mit „Privat-Zoo für Reiche“. Ich muss zugeben, dass ich die Aufschrift im zweiten Moment schon nicht mehr verstand. Wenn dieses Haus ein Zoo für Reiche war, wer wurde denn darin gehalten? Die Reichen? Von wem? Von uns? Wer waren die Besucher des Zoos? Wir? Aber ins Haus kam man doch nicht rein. Die Anti-Gentrifizierungsfront hatte noch an der Durchdachtheit ihrer Slogans zu arbeiten.
Der Edeka hatte inzwischen zwei Monate geöffnet. Und ich widerstand der Versuchung nachzuschauen, wie es darinnen aussehen mochte. Ich wählte beim Einkaufen weiterhin zwischen dem billigen Ekel-Netto und den ökokorrekten LPGlern. Ich lege ja schon seit immer etwas mehr hin, um Biofutter zu bekommen, denke aber, dass das manchmal – etwa bei Schnipsgummis oder Bier auch ein wenig zweitrangig ist. Es gibt eben doch ein richtiges Leben im Falschen, hier irrte Adorno. Hunderprozentige Korrektheit gibt es nicht, jeder muss seinen eigenen Kompromiss finden. Und wenn ich Bananen vergessen habe, dann vermeide ich den Umweg zur LPG, und springe eben schnell zu Netto rein, wo man sensuell auf eine böse Probe gestellt wird. Es stinkt nach Verpackungen und Schweiß, der Laden beballert einen mit seiner stechenden Gelb-Orange-Kombi, die Mitarbeiter wurden offenbar aus der Dauerkundschaft gecastet, man bemüht sich um einen freundlichen Umgangston, kann aber die Gehetztheit und, wie mir scheinen will, eine Angst (wovor auch immer) nur schwer verbergen. Hinter der Kasse eine Abstellfläche von einem Achtelquadratmeter, auf die der Kassierer die Lebensmittel in einer Weise abstellt, als wolle er einem sagen: „Beeil dich gefälligst, du Flitzpiepe, und dann sieh zu, dass du hier wegkommst. Ich trete dann immer absichtlich auf meine innere Bremse, denn es gibt nur wenig Schlimmeres fürs innere Gleichgewicht als sich von anderen in Hektik treiben zu lassen. Und leise, während ich Tütchen für Tütchen, Fläschchen für Fläschchen in den Rucksack lege, summe ich leise in mich hinein: „Ich beeile mich nicht. Ich bin es nicht, der hier arbeiten muss.“
Nun begab es sich aber, dass ich dringend Granatapfelsaft benötigte. Fragt nicht warum! Die Zeit war knapp, der nächste Persian-Food-Shop weit und der zwischenmenschliche Druck enorm. Was sollten mir da ein Gelübde über einen Edeka-Boykott, das ich mir nur selber gegeben hatte, und das auch nicht mal bewusst, sondern eher als vage formulierte Idee? Ich versuchte den Gedanken „Ein Supermarkt ist doch wie der andere“ nicht zu denken. Edeka war der Letzte gewesen, der Überflüssigste. Wenn ich jetzt da reinspazierte, müsste es die absolute Ausnahme bleiben.
Bei der Gelegenheit könnte ich noch ein paar Pfandflaschen mitnehmen. Irgendwie hat sich in meinem Kopf der Glaube festgesetzt, dass man den Laden, in dem man die Pfandflaschen abgibt, schädigt. Vielleicht nicht finanziell, aber sie haben den ganzen Aufwand, den Kram hin und herzutransportieren, sich um die Abholung zu kümmern. Ich steckte sie in den Automaten im Vorraum: „Hier, friss! Nimm dies!“ sprach ich, während ich mich wunderte, dass es hier so gar nicht nach Flaschenannahme stank. Rechts neben dem Automaten ein Sammelbehälter für die Pfandbons, die als Spende für zwei soziale Kinderprojekte in unserer Nachbarschaft abgerechnet werden. „Ha! Ihr denkt wohl, auf diese Weise könnt ihr mich ködern!“ Links neben dem Automaten ein Waschbecken! Ich schaute mich um – ja, das war für die Kundschaft gedacht. Nein, auch damit kriegt ihr mich nicht, sagte ich mir, als ich durch die Automatiktür die Halle betrat. Die Halle mit ihren geräumigen Gängen, wo man sich nicht, wenn einem einer mit Einkaufswagen entgegenkommt, zurückweichen oder einen Crash riskieren muss. Die Halle, in der Angestellte ohne zu hetzen mit Augenmaß die Waren einsortierten. Die Halle, in der es eine Ruheecke für Rentner gab und zwei Spielecken für Kinder, und zwar ohne den phantasielosen Plastikdreck, mit dem sonst Kinderecken hingerotzt werden. Zwei Kassiererinnen, auf dem Weg zu ihren Boxen, scherzten leicht miteinander. Jeder hier lächelte. Aber es war nicht das Lächeln, das man etwa von Stewardessen kennt, bei denen man immer vermutet, dass sie am Abend die Klammern hinter den Ohren entfernen müssen, um ihr Gesicht wieder zu entspannen. Es war auch nicht dieses auf Kundenfreundlichkeit getrimmte Diskantgeschnatze aus dem Subways am S Bahnhof Schönhauser Allee, wo einem alle Verkäufer – ob Mann oder Frau – die Ohren vollkeifen: „Soll’s getoastet sein?“ Nicht wie in den Pseudo-Edel-Restaurants in Brandenburg, wo die Kellner in kaum verkautem Berlinerisch andauernd fragen: „Solls noch was sein der Heer?“ Und auch nicht wie die wirklich freundlichen Angestellten der LPG Treptow, die dann doch oft übermüdet wirkten. Diese Leute, das war zu sehen, mochten ihren Beruf, sie mochten ihre Kollegen und sie mochten ihre Kunden. Man nahm es sich sogar heraus, einzelne Kunden zu necken, aber nicht in Bouletten-Olli-Manier, oder im Döner-Ömer-Style, sondern sanft und immer den Ton treffend.
Die Halle. Die Halle, in der ich auch den Granatapfelsaft fand.
Was sollte ich nun mit dieser Halle machen, die ich doch zu boykottieren gedacht hatte? War das nun wieder ein ganz perfider Trick des Kapitalismus, uns an der Nase in der Manege der Globalisierung herumzuführen? Nur weil ich zehn Minuten ohne zu drängeln oder angepöbelt zu werden in Ruhe einkaufen konnte, sollte ich meine Anti-Gentrifizierungs-Prinzipien über den Haufen werfen? Aber muss der Kampf gegen das Böse immer mit Bitterkeit geführt werden? Brecht schrieb: „Auch der Hass gegen das Böse entstellt die Züge.“
Es gibt ein richtiges Leben im falschen. Ich kaufe immer noch selten dort ein. Mal ein laktosefreies Eis, mal ein spezielles Gewürz, Kleinigkeiten eben. Einmal in der Woche esse ich in dem Mini-Café, das sie dort eingerichtet haben und wo Gottseidank keine Musik dudelt, einen Spritzkuchen und mache mir Notizen. Ich weiß nicht, warum der Edeka so funktioniert, wie er funktioniert. Haben sich hier zwanzig alte Kumpel zusammengetan und gesagt: Wir schlagen denen ein Schnippchen und machen alles ganz anders? Vielleicht ist es ja ein Dekret des Konzerns, aber die Freundlichkeit sähe dann sicherlich anders aus. Gekaufte Freundlichkeit wie bei Kaisers. Sicher wäre ja ein Spielplatz an dieser Stelle besser gewesen. Vielleicht, ich wage es kaum zu denken, vielleicht aber ist es auch gut so wie es ist.
392. Nacht
Und nun ist der Papst abgetreten. Fast ein säkularer Akt. Wir erinnern uns noch an den röchelnden Johannes Paul II., der sich in seinem Todesjahr zu Ostern noch mal ans Fenster gewagt hat, um den Segen zu sprechen zu probieren. Man hörte nur ein Grunzen, und die Welt der Katholiken fand ihn so würdevoll und charismatisch.
Aber einen röchelnden Benedikt, das wollte Ratzinger weder den Mit-Katholiken noch sich selber antun. Bei ihm hätte man bestenfalls Mitleid empfunden.
Achso, der Fischerring:
So sah das Teil von Leo XIII. aus.
Und so Leo XIII. selber, der erste Papst, von dem es Film- und Audio-Aufnahmen gab.
Ich muss dem Sohne Châlids, Jahja, Sklavin sin.
Drauf ich: Bist du gekauft? Sie sagte: Das sei fern!
Als seiner Väter Erbe diene ich ihm gern.
307. Nacht
Sonntags-Gerichte
1 Brötchen, Sojola-Margarine, Schokocreme*, Honig*
*= Bioprodukt
1 Körnerbrötchen Alsan-Margarine*, Mandelcreme, Honig mit Erdnussmus
1 gekochtes Ei* mit Salz
1 Brötchen, Alsan-Margarine, Ziegenkäse*, Honig*
1/2 Liter Leitungswasser
3 Scheiben Vollkornbrot mit Alsan-Margarine*, Kürbiscreme*, Lachsschinken*, Schweizer Käse*
1/2 Liter Wasser
2 TicTac Minze
0,3 Liter Kaffee, 0,2 Liter Leitungswasser
0,2 Liter Granini Tomatensaft
Krautsalat mit Mais, Möhren, Kopfsalat, Tomate, Gurke, Essig und Öl
0,4 Liter Berliner Kindl
Lammfilet in Wein-Knoblauchsoße, Speckbohnen, Salzkartoffeln, 1 Tablette LactAid
2 cl Kroaten-Schnaps
0,4 Liter Berliner Kindl
0,33 Liter Berliner Kindl
Als der Verwalter des Abdallâh ibn Mâlik bei Jahja eintrifft, findet er ihn im Kreise seiner Tischgenossen. Jahja erbittet einen Tag, um eine schriftliche Antwort zu formulieren. Dann fragt er in die Runde:
"Was verdient jemand, der einen Brief auf meinen Namen fälscht und ihn zu meinem Feinde bringt?"
Sie überbieten sich in ihren Vorschlägen. Jahja aber meint:
"… Was ihr mir ratet, stammt aus niedrigen und hässlichen Anschauungen. (…) Nun hat Allah der Erhabene diesen Mann auserkoren und ihn zu einem Mittel der Versöhnung zwischen uns [d.h. Jahja und Abdallâh] bestimmt."
Jahja verfasst eigenhändig einen Brief, der erste Brief sei keine Fälschung gewesen und der Überbringer aufs höchste zu ehren.
Alternativ zum Emirat wählt der Überbringer nun lieber ein Geschenk:
zweihunderttausend Dirhems, zehn arabische Rosse, fünf davon mit seidenen Decken und fünf mit reichverzierten Prunksätteln,; dazu noch zwanzig Kisten mit Kleidern, zehn Mamluken, die auf Pferden beritten waren, und eine geziemende Anzahl von kostbaren Edelsteinen.
Fragt sich, was sich in solchen sozialen Zusammenhängen "geziemt".
Dankbar reist der Brieffälscher, der vor Angst geschlottert haben muss, zu Jahja, dankt ihm und bietet ihm die Geschenke Abdallâhs an. Dieser bedankt sich selbst:
"denn du hast die Feindschaft, die zwischen mir und jenem hochgeachteten Manne bestand, in Freundschaft und Liebe verwandelt. Und so will ich dir denn das gleiche an Geschenken geben, was Abdallâh ibn Mâlik dir gewährt hat."
***
Die Geschichte von dem Kalifen el-Mamun und dem fremden Gelehrten
Zwei Mal pro Woche versammelt Abbassiden-Kalif el-Mamun die Gelehrten.
Einmal nun, wie er in ihrer Gesellschaft war, trat plötzliche ein fremder Mann in ihren Kreis, der weiße, doch abgeschabte Kleider trug.
Als nun jeder reihum einen Gedanken oder einen Einfall kundgibt, äußert sich auch er.
Und zwar gab er eine treffendere Antwort als alle die Gelehrten; und der Kalif hatte Gefallen an seiner Rede.
.
306. Nacht
Sonnabends-Speise
1/2 Liter Leitungswasser zum Joggen
5 Tassen Kaffee
1 Vollkornbrötchen, Sojola-Margarine, Schokocreme*, Brombeermarmelade*, 1 Tablette LactAid
1 Vollkornbrötchen, Sojola-Margarine, Schokocreme*, Honig*
1 gekochtes Ei mit Salz
1 Vollkornbrötchen, Sojola-Margarine, Hoig*, Brombeermarmelade*
1/2 Liter Wasser, 2 Stück Edelbitter Lindt mild
0,5 Liter Leitungswasser
1 "German" Hot Dog. Mit Sauerkraut und Röstzwiebeln sowie Senf statt Remoulade
0,33 Liter Jever Fun
0,5 Liter Apfelschorle, 0,66 Liter Jever Fun
0,5 Liter Wernesgrüner
Rindergulasch mit Sauerkraut, Klößen, extra Kümmel, Salatblatt, Gurkenscheibe, Tomaten-Achtel, 1 Tablette LactAid
0,33 Liter und 2 cl Malteser
0,33 Liter Berliner Pilsener
1 ASS
0,5 Liter Leitungswasser
*
Als der Kalif von dieser Geschichte erfährt, lässt er den Edelstein zu Jahja zurückbringen, sich wundernd über den Edelmut des Barmekiden.
Aber auch Jahja antwortet ruhig, als er von dem Lästermaul Mansûr hört:
"Sâlih, wenn ein Mensch arm ist, wenn die Brust sich ihm einengt, so soll man ihn nicht tadeln wegen dessen, was seinem Munde entfährt; denn es kommt ihm nicht aus dem Herzen." Und so begann er nach Entschuldigungen für Mansûr zu suchen. Aber Sâlih weinte und rief: "Nie werden die kreisenden Sphären einen Mann gleich dir ins Dasein rufen. Weh, wie traurig, dass ein Mann von so edlem Wesen und solch Hochherzigkeit wie du einst in den Staub gebettet werden soll!" Dann sprach er noch diese beiden Verse:
Tu eiligst jede gute Tat, die du beschlossen;
Denn nicht zu jeder Zeit steht dir das Wohltun frei!
Wie mancher hat gesäumt mit gutem Werk, solang er’s
vermochte; da kam hemmend eigne Not herbei.
***
Die Geschichte von der Großmut Jahjas gegen den Brieffälscher
Zwischen Jahja dem Barmekiden und Abdallâh ibn Mâlik el-Chuzâ-i war eine eifersüchtige Feindschaft um die Gunst beim Kalifen entbrannt, die noch verstärkt wurde, als der Kalif Harûn er-Raschîd dem Abdallâh ibn Mâlik el-Chuzâ-i die Herrschaft über Armenien übertrug.
Zu diesem Abdallâh kommt ein Mann mit einem gefälschten Brief mit der angeblichen Unterschrift Jahjas, in dem dieser scheinbar Abdallâh und seine Männer über alles lobt. Abdâllâh ahnt die Fälschung und droht ihm Prügel an und dass man
dir den Bart schert.
Für den Fall dass er aber die Wahrheit gesagt habe, verspricht er ihm neben vielen Reichtümern das Emirat über einen Teil des Landes.
Er fragt in einem Brief bei seinem Feind Jahja nach.
305. Nacht
Freitags-Futter
Frühstück. 3 Brötchen, mit Brombeer-Marmelade*, Sojola-Margarine, Mandelcreme*, Honig*, Erdnussmus*, Schokocreme*, 1 Liter Kaffee*, 0,3 Liter Wasser, 1 Tablette LactAid
* = Bio-Produkt
2 Stück Lindt Edelbitter mild
1/3 Liter Wasser, Seitenbacher Müsli mit Galia-Melone* und Hafertrunk*
3 Scheiben Kraftballastbrot mit Kürbiscreme*, Lachsschinken*, Ziegenkäse*, 0,3 Liter Wasser
2 Stück Lindt Edelbitter mild
1 TicTac
bei McDonalds 1 McWrap Beef
(furchtbar, nicht wieder kaufen)
0,5 Liter Warsteiner
5 Bruschette
Mäßig zubereitet.
(Doch, ich kann zählen. Eine habe ich verschenkt.)
0,33 Liter Warsteiner
0,5 Liter Leitungswasser
*
Glücklich reist Abu Mohammed der Faulpelz mit Gattin, Geld, Bediensteten und dem Affen nach Hause. Diesen brüllt er an:
"Du Verruchter, warum hast du mich verraten?"
Doch ohne eine Antwort abzuwarten, lässt er ihn in eine Messingflasche sperren.
Harûn er-Raschîd ist erstaunt über diese Erzählung
und er verlieh ihm fürstliche Gaben für sein Geschenk und erwies ihm alle Huld, die ihm gebührte.
***
Die Geschichte von der Großmut des Barmekiden Jahja ibn Châlid gegen Mansûr
Harûn er-Raschîd ruft einen seiner Leibwächter namens Sâlih zu sich. Ein gewisser Mansûr würde ihm eine Million Dirhems schulden. Sâlih bringe ihm nun diese Summe oder den Kopf Mansûrs.
Dieser ist, wie man erwarten kann, nicht amüsiert darüber und nimmt weinend von seiner Familie Abschied. Das dauert Sâlih und er schlägt vor, bei den Barmekiden Hilfe zu suchen. Sie begeben sich zu Jahja ibn Châlid, dem Vater von Dscha’far, der nun seine Söhne bittet, ihm Geld zu senden. Dieses gibt er Mansûr und obendrein einen Edelstein, den er vom Kalifen selber hat.
Seine Rettung vor Augen rezitiert Mansûr auf dem Wege zum Kalifen:
Aus Liebe eilte nicht mein Fuß zu ihnen,
Nein, nur aus Furcht, es träfen mich die Pfeile.
Sâlih tadelt ihn dafür.
42. Nacht
Eines Tages geht der Kalif zum Frauengemach hin und legt sich zum Schlafen nieder. Eine Sklavin fächelt ihm am Haupt Luft zu, eine zweite knetet ihm die Füße.
Rar gewordenes Inventar: Frauen, die zur Stelle sind, wenn man sie braucht, und dann auch noch wissen, was zu tun ist.
Als die Sklavinnen glauben, der Kalif schlafe, unterhalten sie sich über Kût el Kulûb und die Füßekneterin berichtet der Luftzufächlerin von deren Schicksal und lässt auch noch die erstaunliche Information heraus:
"Ich habe die Fürstin Zubaida hören sagen, sie sei bei einem jungen Kaufmann aus Damaskus, genannt Ghânim ibn Aijûb."
Woher kann die Fürstin das denn wissen?
Klar, dass der Kalif über diese Information nicht erfreut ist:
Da ergrimmte er gewaltig, und er stand auf und berief die Emire des Reiches; und mit ihnen kam der Wesir Dscha’far el-Barmeki 42 (…): "Dscha’far, geh mit einer Schar Bewaffneter hinunter und frage nach dem Haus des Ghânim ibn Aijûb: fallt über das Haus her und bringt ihn her mit meiner Sklavin Kût el-Kulûb."
Man umstellt das Haus.
Da waren der Wesir und der Präfekt und die Wächter und die Mamluken mit gezückten Schwertern und umgaben das Haus, wie das Weiße des Auges das Schwarze umgibt.
Währenddessen essen Ghânim ibn Aijûb und Kût el-Kulûb Fleisch. Kût el-Kulûb entdeckt die Bewaffneten und rät Ghânim ibn Aijûb, sich als Bote zu verkleiden und mit dem Fleischkorb auf dem Kopf das Haus zu verlassen. Das tut er auch
Und der Allbehüter nahm sich seiner an, so dass er den Gefahren und Nöten entrann.
Die Schergen plündern das Haus
Plünderungen im Islam?
und Dscha’far führt Kût el-Kulûb zum Kalifen;
der aber ließ Kût el-Kulûb in ein dunkles Zimmer bringen und gab ihr eine alte Frau zu ihrem Dienst; denn er war überzeugt, dass Ghânim sie verführt und bei ihr geschlafen hätte.
Unklar: Worauf bezieht sich das "denn"? Bekommt sie als sozusagen entwertete Sklavin nur eine alte Frau? Oder deutet das dunkle Zimmer auf eine Art Karzer hin? Die ganze Story wirft ein seltsames Licht auf die impulsive Gefühlswelt des Kalifen, der eben noch einen Monat um Kût el-Kulûb trauerte und sie nun einsperrt.
Dem Statthalter in Damaskus, Sulaimân ez-Zaini 42a, gibt er einen Brief mit, in dem dieser aufgefordert wird, ihm Ghânim ibn Aijûb zu schicken, sobald dieser in Damaskus auffordere. Da das zunächst nicht möglich ist, gibt der Statthalter dem Volk einen Freibrief, das Haus, in dem noch Mutter und Schwester von Ghânim ibn Aijûb wohnen, zu plündern.
Inzwischen erreicht Ghânim ibn Aijûb erschöpft eine Moschee und bricht dort zusammen.
Aber das Herz zitterte ihm vor Hunger, und da er schwitzte, so liefen ihm Läuse über die Haut, sein Atem wurde stinkend, und sein ganzes Aussehen wurde verändert. Als nun die Bewohner jenes Dorfes zum Frühgebet kamen, fanden sie ihn dort, liegend in Qualen, hager vom Hunger und doch noch mit den Zeichen einstigen Reichtums.
Und so sehen ihn auch zwei Bettlerinnen – Mutter und Schwester – die ihn aber nicht wiedererkennen.
Man bindet ihn auf ein Kamel, das man einem Treiber gibt, der es nach Bagdad führt, wo er Ghânim ibn Aijûb vor das Tor eines Hospitals legt.
Als die Leute durch die Straßen zu gehen begannen, da erblickten sie ihn, der so dünn war wie ein Zahnstocher.
Der Vorsteher des Basars vertreibt die Schaulustigen:
"Ich will mir durch dieses arme Geschöpf das Paradies gewinnen; denn wenn sie ihn in das Hospital aufnehmen, so werden sie ihn in einem einzigen Tage töten." Dann ließ er ihn durch seine Sklaven in sein Haus tragen, ließ ihm ein neues Bett bereiten, neue Kissen darauf legen und sagte zu seiner Frau: "Pflege ihn sorgsam."
Neue Information: Durch Barmherzigkeit kann man sich also auch im Islam den Weg ins Paradies bahnen.
Unklar: Warum würde man ihn im Hospital binnen eines Tages töten? Sind die Zustände dort so miserabel oder die Pfleger so mordlüstern?
Die Frau des Basarvorstehers
gab ihm einen Becher Wein zu trinken und sprengte Rosenwasser über ihn.
Wein als Medizin
42Bisher wurde Dscha’far in der Übersetzung immer eingedeutscht "der Barmekide" genannt.
Die Barmekiden waren eine persische edle Familie, die den Abbasiden zur Macht verhalf und ihnen in hohen Staatsämtern diente. Später, gegen Ende der Regierungszeit von Harûn er-Raschîd, fielen sie in Ungnade. Dscha’far war der Sohn des Vertrauten von Harûn, Yahya, und selber, wenn überhaupt, nur kurze Zeit Wesir. Im Jahr 806 fiel die Familie in Ungnade, entweder wegen Amtsanmaßungen oder (romantisch aber unwahrscheinlich) wegen eines Liebesverhältnisses zwischen Dscha’far und Harûns Schwester.
Dem historischen Dscha’far wird außerdem unterstellt, die griechische Wissenschaftstradition in Bagdad eingeführt zu haben, und, nachdem er von gefangenen Chinesen in die Geheimnisse der Papierherstellung eingeweiht worden war, in Bagdad die erste Papiermühle errichten zu lassen.
42a Dessen Sohn haben wir schon in der38. Nacht kennengelernt, wo Harûn ihn als Statthalter von Basra (!) absetzt. Sein Sohn soll Statthalter von Damaskus gewesen sein.