Zugabe herbeiprovozieren – oder verhindern

Das Licht geht aus, die Schauspieler verbeugen sich, bekommen vielleicht noch Einzelapplaus und gehen ab. Da tönen die ersten Rufe: „Zugabe! Zugabe!“ – und verpuffen, weil das Saallicht bereits angeschaltet wurde.
Wenn man Zugaben-Applaus wünscht, sollte man schnell von der Bühne gehen und den Applaus sich entfalten lassen. Bei einer guten Show mit begeistertem Publikum, wird der rhythmische Applaus fast automatisch einsetzen. Sobald der Wille des Publikums deutlich genug ist, lasse man sich nicht lange lumpen, bedanke sich und spiele die Zugabe.
Will man keine Zugabe, schalte man das Saallicht an und (wenn möglich) auch die Hintergrundmusik, der Applaus versiegt dann meist rasch. In den etwas unangenehmen Situationen, in denen ein Teil des Publikums weiterklatscht, während die andere Hälfte schon aufsteht, solltet ihr ebenfalls auf die Zugabe verzichten und das ebenfalls durch Saallicht und Musik markieren.

(Dies ist ein Auszug aus “Improvisationstheater. Band 9. Impro-Shows“)

Gute und schlechte Zugaben

Gute und schlechte Zugaben

Die Show ist wunderbar gelaufen, ihr habt zu zehnt gespielt. Und nun kommt der Moderator auf die Idee, dass alle noch gemeinsam ein Lied singen sollen, zu dem jeder eine Strophe beitragen soll. Das Lied zieht sich in die Länge, die Hälfte der Spieler hat keine Lust auf Singen oder es klingt grausam. Am Ende gehen die Zuschauer mit dem Gefühl nach Hause, dass es zwar insgesamt recht nett war, aber man müsse es sich nicht so schnell noch mal antun.
Eine gute Zugabe ist knapp und spritzig und entlässt die Zuschauer noch mit einem kleinen Extra-Lachen. Gerade bei großen Besetzungen lassen sich Moderatoren vom Gedanken der „Gerechtigkeit“ dazu verleiten, jedem einzelnen Spieler noch mal angemessen viel Raum zu geben, um sich ein letztes Mal zu entfalten. Lieber zwei, drei kleine Freeze-Tag-Szenen von 15 Sekunden als ein ausuferndes Rein-Raus-Spiel mit dem gesamten Riesen-Ensemble.
Als Zugabe eignen sich zum Beispiel:

  • knackige Gag-Spiele, die kürzer als eine Minute sind,
  • eine Kaskade von „Was-danach-geschah“-Szenen aus den verschiedenen Storys,
  • ein kurzer Abschluss-Monolog einer zentralen Figur
  •  ein Game, das das Format abschließt. So könnte das Sieger-Team eines Theatersport-Matches als Einwort-Geschichte erzählen, was die Mitglieder nach diesem phänomenalen Sieg als nächstes für Ziele haben.

(Dies ist ein Auszug aus “Improvisationstheater. Band 9. Impro-Shows“)

Zugabe im Improtheater – Ja oder Nein?

Zugabe im Improtheater – Ja oder Nein?

Als erstes sollte man sich fragen: Wollen wir überhaupt eine Zugabe? Für manche scheint diese Frage absurd, gehört die Zugabe doch „irgendwie zur Show dazu“. Und tatsächlich kann eine Zugabe wie ein kleines Dessert nach einem Hauptgang wirken. Besonders in einer game-orientierten Kurzform-Show kann ein besonders flottes Game oder ein „Best Of“ die Show abrunden.
Aber stellen wir uns vor, ihr habt eine Langform gespielt, deren Ende überaus gelungen war. Das Publikum ist gerührt, amüsiert, erschüttert. Der Abend ist „rund“. Was kann dann noch kommen?
Am Ende von Comedy-Filmen werden manchmal Ausschnitte von Versprechern, Schnitzern und Malheuren gezeigt. Bei „Das Schweigen der Lämmer“ oder „Schindlers Liste“ würde man das nicht tun.
Aber auch eine comedylastige Impro-Show profitiert nicht immer von einer Zugabe. Man lasse sich nicht vom lange klatschenden Publikum in die Irre führen. Gerade deutsches Publikum neigt zum Klatsch-Exzess. Es ist, als wollten die Zuschauer den schönen Moment auf ewig ausdehnen. Aber sind sie mit Zugabe tatsächlich glücklicher?
Ich denke, man sollte eine Zugabe nur spielen, wenn
– das Format viele kleine Storys und Szenen beinhaltet,
– die Zugabe die Show wirklich abrundet,
– wenn es das Publikum wirklich will.

[Dies ist ein Auszug aus „Improvisationstheater. Band 9. Impro-Shows„]

Im Off – Die Paukisten-Haltung

(Dieser Artikel ist ein Auszug aus meinem Buch „Improvisationstheater. Band 3: Die Magie der Szene„)

Ich bin immer wieder beeindruckt von den Paukisten in Sinfonie-Orchestern, die manchmal eine halbe Stunde auf ihren Einsatz warten müssen. Am Klang der Aufführung würde sich wohl nichts ändern, wenn sie in der „Wartezeit“ in der Kantine Kaffee trinken würden. Aber sie sind permanent wach und aufmerksam. Sie sind Teil der Aufführung.

Diese Wachsamkeit und Präsenz des Paukisten brauchen wir im Off, da jederzeit die Möglichkeit besteht, dass unser Einsatz auf oder hinter der Bühne gefragt ist. Unsere innere geistige Grundhaltung sollte so sein wie die auf der Bühne: Ich unterstütze die Szene.

Im Off unterstützen wir die Szene:

  • durch Nichteinmischung,
  • durch eine wohlwollende, ermutigende und offene Grundhaltung,
  • durch Off-Unterstützung wie Geräusche, Off-Stimmen usw.,
  • indem wir Enden setzen und Übergänge schaffen oder
  • indem wir uns entscheiden, die Szene zu betreten.

Die geistige Haltung des Unterstützens hat eine körperliche Entsprechung: Wir brauchen eine wachsame Ruhe.

Das heißt, erstens sollte man nicht zu unterspannt sein. Manche Spieler fallen im Off in eine Zuschauerhaltung. Sie lehnen sich zurück und lassen sich von der Szene berieseln, als säßen sie vorm Fernseher und als habe das alles nichts mit ihnen zu tun. Das aber ist viel zu passiv. Auf diese Weise distanzieren sie sich körperlich und geistig vom kreativen Schwung. Wir müssen wachsam genug sein, um jederzeit einspringen zu können. Im Off haben wir den Luxus, uns ganz dem Adlerblick für die Szene zu widmen. Wir sehen alles, ohne dabei involviert zu sein. Aber im richtigen Moment stoßen wir dazu.

Zweitens sollten wir ruhig bleiben. Wenn das Off vom Zuschauerraum aus zu sehen ist, irritieren unruhige Spieler von dort das Publikum. Denn schließlich lenkt jede Bewegung vom Geschehen auf der Bühne ab. Die äußere Unruhe ist oft gepaart mit einer inneren Unruhe. Unruhige Spieler warten oft nur darauf, schnell selber wieder spielen zu können. Sie hören nicht recht zu, gehen zu früh auf die Bühne und mischen sich in Szenen ein, in denen sie nichts verloren haben, verpassen dann aber den Moment, in dem man sie wirklich braucht.

Sei bereit. Sei wach. Sei der Paukist.

 

Brauchen wir überhaupt Vorschläge und Vorgaben aus dem Publikum?

Brauchen wir überhaupt Vorschläge und Vorgaben aus dem Publikum?

(Der folgende Text ist ein Auszug aus dem Mitte September erscheinenden Buch „Improvisationstheater. Band 9: Impro-Shows“.)

Momentan nutzen sicherlich 99 Prozent aller Improtheatergruppen Vorgaben und Vorschläge  aus dem Publikum. Interessanterweise sprechen sich aber einige führende Impro-Lehrer und -Schauspieler gegen die Verwendung von Publikumsvorschlägen aus. Keith Johnstone etwa ist der Meinung, dass das Publikum, wenn man es fragt, generell lustiger sein will als die Schauspieler und dann alberne, teilweise demütigende Vorschläge einruft.  Ebenso wie Johnstone glauben auch TJ & Dave, dass Publikumsvorschläge die Spieler von dem ablenken würden, was gerade in diesem Moment passiert.  Die Arbeit des Impro-Spielers würde dazu degradiert, Vorgaben „abzuarbeiten“.
Auf der anderen Seite stehen jene, die glauben, ohne Vorschläge zu spielen, sei Betrug am Publikum, oder zumindest offenbare man damit eine gewisse Arroganz. Das Aufgreifen des Publikums-Vorschlags sei die beste Art, eine Verbindung zu den Zuschauern herzustellen.
Ich glaube, dass beide Seiten zwar richtige Argumente vortragen, aber dass keine Seite in ihrer Absolutheit Recht hat.

Warum man es dem Publikum zumuten kann, ohne Vorschläge zu spielen
Improvisation entsteht aus dem Moment heraus. Und wenn wir diesen Moment erfassen, den Moment des Spiels, den Impuls der gemeinsamen Kreativität, wenn wir ungehinderten Zugriff auf unsere Assoziationskanäle zulassen und uns von unseren Partnern und unseren eigenen Gedanken überraschen lassen, dann brauchen wir tatsächlich keine Vorschläge aus dem Publikum, um improvisieren zu können. Um das klar zu sehen, brauchen wir nur einen Blick auf die improvisierte Musik zu werfen: Zwar finden sich auch dort inzwischen Musiker, die sich von Vorschlägen des Publikums inspirieren lassen, aber die große Stilrichtung der Impro-Musik des 20. Jahrhunderts, nämlich der Jazz, kommt ohne Publikumsvorgaben aus.
Manche Impro-Spieler wenden ein, erst die Vorgaben würden „beweisen“, dass wir wirklich improvisieren. Das tun sie aber nicht. Zuschauer werden gerade wenn man das betont, skeptisch und suchen dann (ähnlich wie bei Zauberkunststücken) nach den „Tricks“. Die Skeptiker im Publikum überzeugt man am besten dadurch, dass man die Improvisation weniger als Sensation hervorhebt, sondern den Fokus mehr auf den Prozess des Improvisierens bzw. auf die Inhalte lenkt. Unter Umständen muss man sich auch damit abfinden, dass es immer eine Handvoll Skeptiker geben wird.

Nachdem wir mit Foxy Freestyle ein komplettes Stück ohne Unterbrechung anhand von wenigen Publikumsvorgaben im Stil von Tennessee Williams improvisierten, lasen wir anschließend in einem Online-Kommentar zu unserer Show: „Das war ein außergewöhnlich schönes Stück, aber leider nicht improvisiert. Denn wenn das improvisiert gewesen wäre, müssten ja die Schauspieler Genies sein.“

Bei aller unbeabsichtigter Schmeichelei wurde mir hier klar: Wir werden Zuschauer wie diesen nicht überzeugen können, es sei denn, wir appellieren vor solchen Shows kurz an ihr Vertrauen oder wir arbeiten als Impro-Community hart und langfristig daran, das Vertrauen des Publikums in die Improvisation herzustellen. Aber eine Impro-Gruppe kann sich ihr Publikum „erziehen“ kann, wenn sie hartnäckig und mit hoher Qualität Improvisationstheater bietet, das ohne Vorschläge auskommt.
Zum Argument, nur durch Vorschläge könne eine wahre Verbindung zum Publikum hergestellt werden, ist anzumerken: In der Tat schlagen die eingebauten Vorgaben und inspirierenden Vorschläge eine Brücke zum Publikum, aber eben nicht die einzige. Man frage sich selbst: Was begeistert mich als Zuschauer mehr – eine runde, elegante Szene, in der der Flow der Spieler sichtbar wurde? Oder die schiere Tatsache, dass eine Handvoll Vorschläge eingebaut wurden? Die Freude der wenigen Zuschauer, von denen diese Vorschläge kamen, ist nicht zu unterschätzen. Aber die Freude des restlichen Publikums, die Umsetzung eines fremden Vorschlags zu sehen, darf man auch nicht überschätzen.

Was für die Verwendung von Publikums-Vorschlägen spricht
Vorschläge führen uns aus der Komfortzone.
Wenn man viele Jahre improvisiert, stellen sich unweigerlich Muster ein – man etabliert ähnliche Handlungen in ähnlichen Konstellationen an ähnlichen Orten mit ähnlichen Konflikten. Vorschläge aus dem Publikum können einen im positiven Sinne irritieren und zwingen, sich mit neuen Situationen auseinanderzusetzen. (Das setzt eine kluge Fragetechnik voraus, damit nicht immer dieselben Vorschläge zu hören sind.) Die Auseinandersetzung mit neuem Material zwingt uns Improvisierer zu neuen Lösungen und hält das Spiel auf der Bühne frisch.
Zeitersparnis in Kurzformen
In einer Szene, die nur wenige Minuten dauern soll, spart man Zeit, da nicht sämtliche Plattform-Elemente  nach und nach gemeinsam etabliert werden müssen. Wenn man schon weiß, dass wir Mutter und Vater sind, die im Garten den Kindergeburtstag vorbereiten, können wir sofort zum Kern der Szene kommen.
Verbindung zum Publikum
Die Verbindung zum Publikum wird verstärkt, wenn die Vorschläge aufgenommen und kreativ verarbeitet werden. Wir improvisieren dann nicht mehr nur für das Publikum, sondern auch mit dem Publikum. Die Verbindung wird noch intensiver, wenn es um mehr als „Vorgaben“ geht. Denn wenn wir das Publikum nach Vorgaben fragen, wird es versuchen, „originell“ zu antworten. (In mit Vorgaben vollgestopften Szenen sieht man dann „Eine Oper, in der ein Yeti in der Sauna von einem Pinguin rasiert wird“.) Das kann zwar im Einzelfall mal ganz witzig sein, bleibt aber letztlich belanglos. Vorschläge, die auf das Persönliche zielen, haben das Potential, die Storys emotionaler werden zu lassen, da sie dem einzelnen Zuschauer mehr bedeuten und das gesamte Publikum weiß, dass das so ist. Die Vorschläge schlingen also ein einmaliges Band um Publikum und Improvisierer. Es ist, als sei man eine verschworene Gemeinschaft, die ein geheimes Spiel spielt.

Unterbrechung als Option

Als ich begann, regelmäßig Improtheater zu spielen, stellte sich unsere Gruppe eines Tages die Frage: Was geschieht eigentlich, wenn eine Szene für einen von uns inhaltlich unerträglich wird – entweder weil man glaubt, dass den Inhalt dem Publikum nicht zumuten zu können oder weil man gerade selbst in bestimmten Lebensumständen ist, in der man etwa eine Szene über Krebs nicht spielen kann, ohne zu sehr aufgewühlt zu sein? Nachdem wir uns tagelang mit der Frage quälten, beschlossen wir, uns die Option zu erlauben, jederzeit auf die Bühne zu gehen und zu sagen: „Liebe Damen und Herren, an dieser Stelle gibt es eine kleine Pause von zirka zehn Minuten.“ In dieser Pause kann die Gruppe sich kurz die Schwierigkeiten des Einzelspielers austauschen und entscheiden, ob die Szene weitergespielt wird oder ob man gar ein neues Format beginnt.
Nach dieser Entscheidung fiel es mir leichter, mich unbefangen auch an heikle Themen zu wagen, da ich ja ab sofort einen Sicherheitsfallschirm bei mir trug. Ich habe von der Option der Unterbrechung bis heute nie Gebrauch gemacht.

Über-Engagement

Es gibt Spieler, die wunderbare Figuren spielen, ihren Mitspielern zuhören, einen Sinn für gute Storys haben und auch hinter der Bühne angenehme Zeitgenossen sind. Aber trotzdem zögert man, mit ihnen zu spielen, da ihr überbordendes Engagement den Mitspielern kaum Luft lässt. Kaum wird das Licht aufgeblendet, sind sie schon mit ihrer Idee auf der Bühne. Sie geben die Richtung der Story vor, spielen die merkwürdigsten Figuren und dominieren überhaupt das gesamte Geschehen. Wenn eine Szene zwischen zwei anderen Spielern gut läuft, finden sie einen Grund, sich noch irgendwie einzumischen.
Ob du zur Sorte der über-engagierten Spieler gehört erkennst du an folgenden Merkmalen:

  • Bei einer Szene, in der du nicht mitspielst, fragst du dich: „Wie kann ich mich daran beteiligen?“
  • Du bist überwiegend derjenige, der die Szenen beginnt.
  • Die Mitspieler scheinen dir zu langsam.
  • Deine Ideen scheinen dir origineller als die deiner Mitspieler.

Was ist die Lösung? Zunächst einmal: Entspann dich. Der Erfolg einer Show ruht nicht allein auf deinen Schultern. Selbst wenn du deine Stärken kennst, solltest du den anderen die Gelegenheit geben, ihren Platz zu finden. Wenn das für „Lücken“ in der Show sorgt, ist das vielleicht nur deine Wahrnehmung und dein zu hektisches Timing.
Mit vollem Einsatz zu spielen bedeutet auch, zu wissen, wann man sich zurückzunehmen hat. Ein Kunstwerk wird nicht unbedingt besser, indem man immer mehr hinzufügt. Es ist dann perfekt, wenn man mit möglichst wenig Mitteln das beste Ergebnis erzielt hat. Wenn du also meinst (oder von deinen Mitspielern hörst), du seist über-engagiert, dann frage dich: Wie wenig kann ich tun? In Sinfonie-Orchestern sieht man bei einigen Konzerten den Percussionisten mit den Becken, der eine halbe Stunde im Hintergrund wartet, um schließlich beim Finale für den großen Krach zu sorgen. Vielleicht bist du bei eurer nächsten Show dieser Percussionist.

Impro im Off (8) – Der Bühnenschleicher

Schleicht nicht über die Bühne, wenn ihr eigentlich im Off seid. Manchmal steht man tatsächlich auf einer ungünstigen Seite: Zum Beispiel man steht rechts, die gerade szenisch etablierte Tür ist aber links. Sich dann während der Szene auf die andere Seite zu schleichen, lenkt die Zuschauer nicht nur ab, es sieht auch meistens ziemlich dämlich aus.
„Aber wie komme ich dann auf die andere Seite der Bühne?“, fragt der verzweifelte Improvisierer.
Ich wiederhole: Der Improvisierer!
Improvisiere eben einen Grund! Wenn eine Wohnungstür auf der anderen Seite etabliert wurde, dann spiele eben, dass du im Hintergrund das Treppenhaus betrittst. Szenen, die im öffentlichen Raum spielen, kann man als Passagier überqueren – als Spaziergänger, Autofahrer, Polizist usw.
Eine von hibbeligen Spielern viel zu selten genutzte Option: Die großartige Idee, die man eben hatte, fallenzulassen und sehen, was sich von selber anbietet.

(Ende der Impro-im-Off-Serie)

Impro im Off (7) – Szene betreten, um neue Szene zu beginnen

In mehrszenigen Impro-Stücken kommt den Mitspielern im Off auch die Funktion zu, eine Szene zu beenden, indem man eine neue beginnt. Die große Falle, in die man hier leicht tappen kann, ist, die nächste Szene schon zu planen, während man noch im Off ist. Viel wichtiger als der Inhalt der nächsten Szene ist aber das Timing der aktuellen Szene. Das Ende der aktuellen Szene sollte präzise gesetzt werden. Betritt also die Bühne ruhig, um die Szene zu beenden und nicht so sehr, um deine neue Idee hineinzuquetschen. Wenn wir dem Improvisieren genügend vertrauen, dürfte das auch kein Problem sein: Wir haben der Szene zugehört, also wissen wir, worum es geht. Wir sind in die emotionale Welt involviert, also können wir den narrativen Schwung ausnutzen. Wir sind formbewusst, also können wir durch unsere Figuren Kontraste setzen.
Wenn du im Off wach bleibst, dann ist ziemlich klar, was alles noch in der Story fehlt. Du brauchst daher keinen Haufen Ideen zusammenzutragen, sondern musst nur aufmerksam bleiben, für das, was ohnehin schon geschieht.
Generell helfen Kontraste:

  • Spiele einen anderen Schauplatz an, um die Szene reichhaltiger zu gestalten.
  • Gehe in eine andere Körperlichkeit als die bisher auf er Bühne etablierte.
  • Schlüpfe in eine Figur, die das Erzählte abrundet.

Gegen Ende solltest du bereits etablierte Story-Elemente wiedereinführen. Bleib wach! Es liegt alles auf der Hand.

Impro im Off (6) – Was fehlt? Drehtür versus Möwe

Im Off sollten wir uns immer die Frage stellen: Fehlt etwas in der Szene? Und wenn ja, kann und soll ich helfen? In den bereits genannten Beispielen haben wir gesehen, wie man helfen kann, das Thema bzw. die Protagonistin zu finden.
Bisweilen sind die szenischen Fehler oder fehlenden Definitionen kleiner und weniger dringend, etwa
unklarer Schauplatz und unklare Umgebung
unklares Genre
fehlende Namen
mangelnde Körperlichkeit
Man muss aber als Außenstehender nicht bei jeder kleinen Unklarheit auf die Bühne springen.
Ein beliebter Publikums-Vorschlag für einen Schauplatz ist bekanntlich „Strand“. Vermutlich sind viele Impro-Schauspieler unabhängig voneinander einmal auf die Idee gekommen, diesen Vorschlag mit einer kreischenden Möwe zu untermalen. Inzwischen wimmelt die Impro-Welt von Kreisch-Möwen. Sie sind hierzulande schon dermaßen zu einem Impro-Klischee geworden, dass es bei einigen Theatersport-Shows Möwen-Strafpunkte gibt. Lasst die Möwe im Kasten, vor allem wenn die Szene schon läuft. Denn so manche scheinbare Szenen-Unterstützung ist eben keine Unterstützung, sondern lenkt ab und kann eher dem billigen Gagging zugerechnet werden.
Wir können aber durchaus helfen, die Atmosphäre zu bereichern, wenn wir den Fokus nicht rauben, sondern den Spielern Anknüpfungs-Punkte geben:

Ein schüchternes Pärchen trifft sich zum Blind Date in einem Café.
–> Ein während des Gesprächs der beiden auftauchender Kellner hilft nicht nur, den Schauplatz plastischer zu machen, sondern gibt den beiden auch Anknüpfungspunkte, um ihren Charakter deutlicher zu machen: Das Aufgeben der Bestellung kann über ihre Figuren mehr verraten.

oder

Ein junger Mann wird nachts in eine verlassene Gegend der Stadt geschickt.
–> Die Mitspieler malen die Atmosphäre aus: Drogenhändler, Bettler, Prostituierte. Diese Typen können reine Szenen-Passagiere im Hintergrund bleiben, aber sie „füttern“ die Szene und den Helden.

Je nach Verlauf der Story können wir als Passagiere den Helden aufbauen oder ihm Probleme bereiten. Eine einfache Technik ist der Drehtür-Auftritt.
Beim Drehtür-Auftritt betritt man die Szene als außenstehender Spieler nur für eine kurze Sequenz, die aus nicht viel mehr als ein, zwei Sätzen besteht. Eine solche Szene kann eine Rückblende sein, eine Phantasie, eine Erinnerung oder auch eine parallele Handlung, die für die anderen Charaktere nicht sichtbar ist. „Drehtür“, weil man, kaum dass man aufgetaucht ist, schon wieder verschwunden ist. Der ursprüngliche Spielpartner bleibt in der kurzen Zeit der Drehtür-Sequenz auf der Bühne.
Drehtür-Angebot als Rückblende:

„Das gesamte Grundstück wollen Sie mir abkaufen?“
„Natürlich. Die Parkraum-Equity AG bietet ihnen 10 Millionen.“
„Dann könnte ich meiner Tochter ihre Karriere als Tänzerin finanzieren.“
–> Drehtür-Angebot Alter Mann auf Sterbebett: „Und denke daran, mein Sohn, dieses Natur-Reservat gehört unserer Familie schon seit 1688. Halt es stets in Ehren.“ (stirbt. Ab.)

Drehtür-Angebote als Rückblende und Parallel-Szene:

„Ihr kennt euch also nur aus dem Internet über diese Flirt App?“„Ja, er ist der charmanteste Typ, den du dir vorstellen kannst?“–> Drehtür-Angebot: Charmanter Junge mit Profil-Foto-Lächeln„Und heute Abend triffst du ihn das erste Mal richtig?“„Ja, wir treffen uns am verlassenen Bootshaus hinter dem stillgelegten Hafen.“„Wie aufregend!“–> Drehtür-Angebot: Charmanter Junge diesmal düster lächelnd, der sich Handschuhe überzieht und seine Waffe einsteckt.

Das Drehtür-Angebot ist ein Montage-Mittel, das aus dem Film entlehnt ist. Es ist sehr effizient und kommt unseren durch den Film geprägten Seh-Gewohnheiten sehr entgegen.

Impro im Off (5) – Wie man eine Szene rettet

Als Improspieler ist es deine große Aufgabe, deinen Mitspielern aus der Patsche zu helfen. Wenn du also aus dem Off bemerkst, dass eine Szene vor deinen Augen kurz davor ist, sich zu verheddern, wirr zu werden, unklar oder bedeutungslos zu werden, dann sollte dein Hirn auf Hochtouren arbeiten, getrieben von der einen Frage: Wie rette ich die Szene?

1) Inhalte verstärken
Manche Spieler verfallen, wenn sie bemerken, dass die Szene abrutscht, in Aktionismus und bieten irgendetwas Lustiges an, was mit der ursprünglichen Szene nur am Rande zu tun hat. Sie wischen quasi das bereits Etablierte beiseite und hoffen, nun mit „etwas Besserem“ die Szene zu retten.

Romina und Thea sind verloren in einer Laber-Szene. Sie haben schon vier verschiedene Themen angesprochen: Ihre Jobs, ihre Töchter, die letzten Wahlen und die Frage, ob die katholische Kirche Feuerbestattung zulassen sollte.
Energievoller Auftritt Markus: „Schatz, unser Pinguin ist aus dem Swimmingpool abgehauen!“

Wenn auch die Energie zu loben ist und man nur hoffen kann, dass die beiden Spielerinnen auf das kuriose Angebot eingehen werden, so muss man doch sagen, dass Markus die Szene nicht eigentlich gerettet, sondern eine völlig neue Szene begonnen hat.
Zuhören! Nicht ausdenken!
Nimm etwas, das bereits in der Szene etabliert wurde und mach das groß. Warum einen Pinguin erfinden, wenn bereits eine Tochter etabliert wurde?

Energievoller Auftritt Markus : „Schatz, Cora ist verschwunden!“

In dieser Szene sind wir als Zuschauer froh, dass Markus die beiden gerettet hat. In der ersten Variante kann er sich allenfalls einiger Lacher sicher sein und der Tatsache, die Szene gekillt zu haben.
Welches Material wiedereingeführt wird, ist ziemlich unerheblich. Tendenziell wohl das, was am meisten emotionalen Schwung verspricht. Der Rest steht uns als später zu integrierendes Material immer noch zur Verfügung.

2) Helden verstärken
Gerade in Anfangsszenen bleibt es zwischen den Spielern manchmal unklar, um wen es geht, selbst wenn sie das Thema schon gefunden haben.

Hannah: Mama, dieses Studium wäre für mich der Traum meines Lebens.
Mutter: Hannah, ich kann dir das nicht finanzieren. Ich brauche das Geld für meine nächste Ausstellung.
Hannah: Ich habe die Zusage vom Dekan von Harvard persönlich.
Mutter: Und ich muss jetzt alles in die Werbung stecken. Diese Ausstellung ist meine letzte Chance.

Das Verhältnis der beiden ist klar. Ebenso der Konflikt. Beide Figuren haben Helden-Potential, aber als Zuschauer werden wir uns kaum für beide Figuren mit derselben Intensität interessieren. Als außenstehende Mitspieler ist unsere Aufgabe, zu sehen, ob es den beiden gelingt, sich bald zu einigen und notfalls helfend einzugreifen. Indem man eine der beiden Figuren stärker fokussiert, wird sie von größerem Interesse, ein Signal, das die Spielerin der anderen Figur hoffentlich erkennen wird.

Hannah: Ich habe die Zusage vom Dekan in Harvard persönlich.
Mutter: Und ich muss jetzt alles in die Werbung stecken. Diese Ausstellung ist meine letzte Chance.
Vater (betritt die Szene, gestisch unterstreichend, er habe zugehört): Dann muss deine Ausstellung eben warten. Die Ausbildung deiner Tochter hat Vorrang.

Dadurch, dass der Vater sich auf die Seite der Tochter stellt und dass er die Mutter direkt anspricht, verstärkt den Fokus auf die Mutter. Denn auch wir fragen uns: Wird die Mutter ihre Karriere zugunsten ihrer Tochter nun endgültig beerdigen oder nicht? Zu diesem Zeitpunkt wäre die Intervention aber auch umgekehrt plausibel:

Hannah: Ich habe die Zusage vom Dekan in Harvard persönlich.Mama: Und ich muss jetzt alles in die Werbung stecken. Diese Ausstellung ist meine letzte Chance.Vater (betritt die Szene): So ist es. Nimm Rücksicht auf deine Mutter. Außerdem wirst du es als Frau in Geometrie immer schwer haben – eine Männerwelt, was will man machen? Bleib noch ein Jahr bei uns in Reutlingen, hilf mir bei der Buchhaltung, und wenn du dann immer noch so versessen auf Mathematik bist, wirst du auch in Stuttgart einen Studienplatz finden.

Impro im Off (4) – Wann betrete ich eine gute Szene?

Trotz der Faustregel, nicht in eine gute Szene reinzugrätschen, kann es sein, dass du in einer guten Szene gebraucht wirst.

1. Zum Szenen-Beenden
Wenn bei euch diejenigen Spieler die Szene abwinken, die nicht an der Szene beteiligt sind, dann ist die Chance groß, dass du derjenige sein wirst, den man dafür benötigt. Hier brauchst du ein gutes Ohr für letzte Sätze: Welcher Satz sticht aus den Übrigen heraus, zum Beispiel dadurch, dass er die „Moral der Geschichte“ zusammenfasst? Aber auch ein Schluss-Gag, eine Pointe oder eine überhöhte Dialog-Zeile können den Schluss markieren.

2. Um die nächste Szene einzuleiten
Die Szene, in der du gerade nicht mitspielst, ist vielleicht nur sehr, sehr kurz, möglicherweise lediglich eine Übergangsszene in einer längeren Story. In solchen Szenen musst du bereit sein, rasch auf die Bühne zu gehen und eventuell einen Mitspieler abzutippen.

3. Um die Szene zu betreten
Betrachten wir die gestern erwähnte Strand-Szene. Nehmen wir die bereits erwähnte Strand-Szene

„Du hast all die Jahre abgesessen? Für mich?“
„Sie hätten dir dafür die doppelte Zeit aufgebrummt.“
„Ach, all die verlorene Zeit unserer Gemeinsamkeit!“
„Wir könnten uns schon bald wiedersehen.“
„Was heißt bald? Komm doch jetzt mit zu mir?“
„Ich darf ja nur tagsüber auf Kurz-Freigang. Ich kann keinen Schritt ohne meine Bewährungshelferin gehen.“
Mitspielerin betritt die Bühne und mimt aus dem Wasser zu kommen und sich abzutrocknen: „Frau Osterberg, es wird Zeit loszufahren.“

Im Gegensatz zum Eisverkäufer verschärft die Bewährungshelferin die Szene.
Die Kunst beim unterstützenden Auftritt besteht darin, den Fokus nicht völlig auf sich zu ziehen, was nicht immer ganz einfach ist, denn jede neue Figur, jede Bewegung lenkt die Aufmerksamkeit der Zuschauer ab.

Impro im Off (3) – Gute Szenen laufen lassen

Maja und Johannes spielen eine Szene am Strand. Sie sind ein Paar, das sich nach langer Trennung zufällig wiederbegegnet. Dabei findet er heraus, dass sie im Gefängnis war, um ihn zu schützen. Die Szene wird emotional intensiv.
„Du hast all die Jahre abgesessen? Für mich?“
„Sie hätten dir dafür die doppelte Zeit aufgebrummt.“
„Ach, all die verlorene Zeit unserer Gemeinsamkeit!“
Roberto betritt als Eisverkäufer die Bühne: „Gelato! Gelato!“ …
Das Publikum lacht, aber die Szene ist hin.
Darauf angesprochen, meint Roberto, die Strand-Szenerie unterstützt zu haben
.

Gerade für aktive Spieler liegt die Versuchung nahe, sich an einer guten Szene beteiligen zu wollen. Und leider spielt auch manchmal die Eitelkeit eine gewisse Rolle: Das Publikum ist bewegt oder lacht, also will man selber von der guten Stimmung etwas abhaben. Aber gute Szenen unterstützt man vor allem dadurch, dass man sie laufen lässt, insbesondere dann, wenn es intensive Zweier-Szenen sind. Auch in Games, die gerade unter den Beteiligten auf der Bühne entstehen, sollte man sich nicht unbedingt einmischen. Deine aktive Rolle als Improspieler besteht hier darin, deinen Mitspielern den Raum zu geben, den sie brauchen.

Impro im Off (2) – Position des Off

Wenn du also auch im Off für die Szene mitverantwortlich bist, bedeutet das, das du auch hören und sehen können musst, was gerade gespielt wird. Nur wenige Theater sind so ausgestattet, dass man sehen und hören kann, ohne selbst gehört oder gesehen zu werden.

Seitenflügel (möglichst leicht schräg zur Bühne)
Diese Version scheint mir die sinnvollste im Improtheater. Man hat einen idealen Blick auf die Bühne, ohne gesehen zu werden und kann ohne Verzögerung die Bühne betreten.
Wenn ihr die rare Möglichkeit habt, euch ein eigenes Theater auszustatten, dann rate ich zu dieser Variante.

Auf der Bühne seitlich stehend.
Dies ist eine akzeptable Variante, wenn es kein bauliches Off gibt. Von der Seite hat man einen sehr guten Einblick.

Am hinteren Bühnenrand.
Die „amerikanische“ Variante. Wird auch häufig im Theatersport und bei Shows mit vielen Spielern praktiziert. Manchmal ist es aus bühnentechnischen Gründen nur so handhabbar. Ansonsten würde ich von dieser Off-Position abraten. Erstens lenkt es die Zuschauer von der Szene ab, wenn sich hinten noch andere Personen befinden, und zweitens ist die Szene von der Rückseite meist schwerer einsehbar als von der Seite.

Warnungen:

  1. Ich rate dringend davon ab, sich hinter dem rückseitigen Vorhang zu verstecken. Meist bekommt ihr dort zu gut wie nichts von der Szene mit. Vertraut nicht auf die Akustik. In einer guten Szene beruht ein Großteil der Angebote auf Gesten und pantomimischem Etablieren.
  2. Ebenso wichtig ist es, die verbalen Angebote auf der Bühne zu verstehen. Vermeidet daher Positionen in schallschluckenden Off-Bereichen. Manche Bühnen sind leider so gebaut, dass man in einigen Nischen, die sich scheinbar als Off eignen, außer undeutlichem Gebrabbel so gut wie gar nichts von der Bühne hören kann.
  3. Ich habe schon die nötige Wachsamkeit angesprochen. Lasst euch also nicht dazu verleiten, euch im Off an Wände zu lehnen, auf Hocker zu lümmeln. Positioniert euch nicht hinter anderen Spielern, wenn ihr dann nicht die Möglichkeit habt, locker auf die Bühne zu gehen.
  4. Die Spieler auf der Bühne sollte einigermaßen klar sein, welche ihrer pantomimischen Angebote von ihren Mitspielern im Off wahrgenommen werden können und welche nicht. Wenn ich also mit großem körperlichem Einsatz mime, ein Loch zu schaufeln, kann ich davon ausgehen, dass das jeder erkennen wird, auch wenn er mich nur von hinten sieht. Wenn ich mir jedoch danach heimlich einen gemimten Ring vom Finger ziehe und ihn ins geschaufelte Loch lege, muss ich dafür sorgen, dass das von allen Mitspielern wahrgenommen wird, da das wahrscheinlich handlungsrelevant ist. Wenn ich dagegen mime, mir nach dem Schaufeln die Hände an einem Tuch abzuwischen, ist das eher Charakter-Arbeit und weniger handlungsrelevant.
  5. Keine Gespräche im Off. Wenn du mit anderen im Off darüber diskutierst, was gerade auf der Bühne stattfindet, wirkt es, als sprecht ihr euch ab. Außerdem verminderst du deine Aufmerksamkeit. Maximal eine Verständnisfrage, etwa wenn man einen Namen nicht richtig verstanden hat, wäre OK.

Impro im Off (1) – Paukistenhaltung

Ich bin immer wieder beeindruckt von den Paukisten in Sinfonie-Orchestern, die minutenlang auf ihren Einsatz warten müssen, im extremen Fall kommen sie erst nach einer Dreiviertelstunde in den letzten drei Minuten des Finales dran. Am Klang der Aufführung würde sich wohl nichts ändern, wenn sie in der „Wartezeit“ in der Kantine Kaffee trinken würden. Aber sie sind permanent wach und aufmerksam. Sie sind Teil der Aufführung.
Diese Wachsamkeit und Präsenz des Paukisten brauchen wir im Off. Im Grunde müssen wir sogar noch wacher, noch präsenter sein, da jederzeit die Möglichkeit besteht, dass unser Einsatz auf oder hinter der Bühne gefragt ist. Unsere innere geistige Grundhaltung sollte so sein wie die auf der Bühne: Ich unterstütze die Szene.
Im Off unterstütze ich die Szene

  • durch Nichteinmischung,
  • durch Off-Unterstützung wie Geräusche, Off-Stimmen usw.,
  • indem ich Enden setze und Übergänge schaffe oder
  • indem ich mich entscheide, die Szene zu betreten.

Die geistige Haltung des Unterstützens hat eine körperliche Entsprechung: Wir brauchen eine wachsame Ruhe.
Das heißt, erstens sollte man nicht zu unterspannt sein. Wenn man mit guten Improvisierern spielt, verfallen einige Spieler im Off in eine Zuschauerhaltung. Sie lehnen sich zurück  und lassen sich von der Szene berieseln, als säßen sie vorm Fernseher, als habe das alles nichts mit ihnen zu tun. Das aber ist viel zu passiv. Wir müssen wachsam genug sein, um jederzeit einspringen zu können. Im Off haben wir den Luxus, uns ganz dem Adlerblick für die Szene zu widmen. Wir sehen alles, ohne dabei involviert zu sein. Aber im richtigen Moment stoßen wir dazu.
Zweitens sollten wir ruhig bleiben. Hibbeligkeit stört natürlich besonders dann, wenn die Off-Spieler vom Zuschauerraum aus zu sehen sind. Denn schließlich lenkt jede Bewegung vom Geschehen auf der Bühne ab. Aber die äußere Unruhe ist oft gepaart mit einer inneren Unruhe. Unruhige Spieler warten oft nur darauf, schnell selber wieder spielen zu können. Sie hören nicht recht zu, gehen zu früh auf die Bühne und mischen sich in Szenen ein, in denen sie nichts verloren haben, verpassen dann aber den Moment, an dem man sie wirklich braucht.
Sei bereit. Sei wach. Sei der Paukist.

Einander glänzen lassen

Improspieler sind nie perfekt. Selbst den erfahrenen, professionellen Spielern unterlaufen grundlegende Fehler: Angebote werden übersehen oder ignoriert, es wird zu unspezifisch gespielt, Figuren werden unsauber angelegt usw. Das heißt aber umgekehrt auch, dass jeder Improspieler nicht nur mit seiner eigenen Imperfektion klarkommen muss, sondern auch mit der Imperfektion des Gegenübers. Zusätzlich zu den Fehlern und Schlampereien unserer Mitspieler müssen wir auch ihre Angebote annehmen, die wir nicht verstehen, die uns sinnlos erscheinen, weil wir den Subtext nicht kapiert haben. Und bei all dem müssen wir den Ball im Spiel lassen.
Wie reagieren wir technisch darauf? Wir nehmen das Angebot an und reagieren groß darauf.

„Es ist fünfzehn Uhr, Lennart. Bist du nicht ein bisschen spät?“„Tut mir leid, Herr Timmermann.“„Und die Degen hast du offenbar auch vergessen!“(Die Degen? Was für Degen?, mag sich der arme Improspieler fragen, der vielleicht eine Mathematikstunde oder die Beichte imaginiert hat. „Degen“ scheint nun wirklich ein etwas wildes Angebot.)„Oh nein! Oh nein! Ich hab die Degen in der U-Bahn liegengelassen! Herr Timmermann, bitte sagen Sie nichts meinen Eltern!“

Durch die große Reaktion wird das Degen-Angebot erst groß und wirkt wie ein genialer Zug im Storytelling. Schauen wir uns das Gegenteil an.

„Es ist fünfzehn Uhr, Lennart. Bist du nicht ein bisschen spät?“
„Tut mir leid, Herr Timmermann.“
„Und die Degen hast du offenbar auch vergessen!“
„Was? Ja. Aber dafür habe ich Ihnen ein paar neue Bibeln für den Kon-firmationsunterricht mitgebracht.“

Der Spieler hängt hier so sehr an seiner Idee, dass er das Angebot des Mitspielers zwar nicht völlig blockiert, aber doch so sehr in die Bedeutungslosigkeit schiebt, dass die Impro-Arbeit des Mitspielers fast nutzlos erscheint.
Unsere große Reaktion auf das Angebot unseres Mitspielers hat auch den Effekt, dass nicht nur das Angebot genial erscheint, sondern auch unser Mitspieler selbst. Und nun stelle man sich eine Show vor, in der sich sämtliche Improspieler permanent gegenseitig wie Genies behandeln. Eine solche Show und eine solche Gruppe wirken wie eine Sensation. Grundlage dafür ist natürlich, dass wir uns unserer Eitelkeiten entledigen müssen. Es geht nicht um die Anerkennung, die ich auf der Bühne bekomme, sondern es geht um die gesamte Show.
Unsere große Reaktion auf das Angebot unseres Mitspielers hat auch den Effekt, dass nicht nur das Angebot genial erscheint, sondern auch unser Mitspieler selbst. Und nun stelle man sich eine Show vor, in der sich sämtliche Improspieler permanent gegenseitig wie Genies behandeln. Eine solche Show und eine solche Gruppe wirken wie eine Sensation. Grundlage dafür ist natürlich, dass wir uns unserer Eitelkeiten entledigen müssen. Es geht nicht um die Anerkennung, die ich auf der Bühne bekomme, sondern es geht um die gesamte Show.
Und so sehen wir, dass die Technik, groß zu reagieren, nur eine Seite der Medaille ist. Wir brauchen auch eine mentale Haltung zu unseren Mitspielern, die sie befreit von der permanenten Selbstkontrolle. Es ist als gehe man mit dem Mantra „Mein Mitspieler ist ein Genie“ auf die Bühne. Eine Show, die mit dieser Kraft gespielt wird, wächst über sich hinaus.

Pseudo-Fragen ans Publikum

„Nennen Sie mir bitte eine Hunderasse!“
„Cocker Spaniel.“

Die Szene beginnt, und wir sehen jemanden mit einem Hund spazieren gehen.
Warum, so frage ich mich als Zuschauer, wurden wir überhaupt nach einer Hunderasse gefragt? Der Improspieler hatte ja offensichtlich ohnehin den Plan, mit einem Hund spazieren zu gehen. Man könnte nun argumentieren, dass es sehr wohl einen Unterschied mache, wenn es zum Beispiel ein Pitbull ist. Aber eben nur, falls dieser Extremfall gewählt wird und auch nur dann, wenn das Element gefährlicher Hund eine Rolle spielt. Der Spieler könnte dann auch fragen: „Soll ich mit einem gefährlichen oder einem ungefährlichen Hund spazieren gehen?“ Und die Antwort auf diese Frage kann man hundertprozentig voraussagen. Also warum geht er nicht gleich, ohne zu fragen, mit einem Pitbull spazieren?

„Ich hätte gern ein Gemüse!“
„Zucchini.“
Die Spielerin beginnt eine Zucchini-Schnippel-Pantomime.

„Warum“, so wollte ich wissen, „fragst du in den Shows immer wieder nach Gemüse?“ – „Weil ich eben die Szenen gern mit Gemüseschnippeln beginne.“ Nun ist es bekannt, dass viele Spieler sich in Eröffnungen auf eine Standard-Pantomime einschießen. Aber soll man daran festhalten? Und wenn, wozu dann noch so tun, als hätte das Publikum irgendeinen Einfluss auf die Szene?

Dildo, Puff und Bahnhofsklo – Vorschläge annehmen und ablehnen

„Wo soll die nächste Szene spielen?“
„Auf dem Bahnhofsklo!“

Was nun? Auch das geschickteste Fragen kann nicht garantieren, dass wir nicht obszöne oder vulgäre Vorschläge aus dem Publikum bekommen. Ob der betreffende Zuschauer den Improvisierern eine besondere Herausforderung stellen will oder ob er besondere Freude an derben Themen hat, lässt sich nicht genau sagen und ist im Grunde auch egal. Die Frage ist, wie die Improvisierer damit umgehen.
Der übliche Rat, den man Improvisierern hier erteilt, lautet, den Vorschlag humorvoll beiseitezuschieben, etwa: „Danke, aber es muss sich ja nicht um Ihren Lieblingsaufenthaltsort handeln.“
Aber warum müssen wir einen Vorschlag wie „Bahnhofsklo“ überhaupt ablehnen? Man weiß natürlich, welche Assoziationen dieser Vorschlag wachruft – Körperausscheidungen, Verruchtheit, Dreck, Billigprostitution, Drogenhandel und -konsum. Aber bedeutet das, dass unsere Szenen davon handeln müssen? Wie wäre es mit folgenden Szenen:
Zwei Männer streiten um eine Frau.
Zwei Polizistinnen diskutieren die ethischen Grenzen beim bevorstehenden Einsatz.
Ein obdachloser Mann sucht mit seinem kleinen Sohn einen Schlafplatz.
Ein Flüchtiger versteckt sich vor der Polizei.
Zwei Angestellte eines Schnellimbiss beenden ihren Arbeitstag.
Keine dieser Szenen muss mit dem unmittelbar Dreckigen zu tun haben. Das Dreckige wäre zwar implizit vorhanden, aber nicht vordergründiges Thema der Szene. Denn wer sagt, dass man bei einer Klo-Szene auf dem Klo sitzen muss? Andererseits kann auch das angedeutet werden, und ich rate dazu, das mal in einer Probe auszuprobieren: Zwei Freunde/Partner/Verwandte sitzen in benachbarten Klo-Kabinen und diskutieren über Gott und die Welt, wie es eben auch manchmal geschieht. Das Thema Klo selbst wird nicht berührt.
Bei eindeutig sexuellen Vorschlägen mag die Sache heikler sein. Aber wer sagt, dass eine Szene in einem Bordell unbedingt sexuell sein muss?
Wir können den Gerichtsvollzieher bei der Arbeit sehen.
Angestellte befüllen ein Aquarium.
Eine Prostituierte führt während ihrer Arbeitspause ein Telefonat mit ihrer Tochter.
Abgesehen davon birgt das Thema Sexualität durchaus Potential für Komik, insofern man es sanft behandelt, denn jede psychologische Klemme, die entsteht, wenn man sich zwischen den persönlichen Bedürfnissen und den sozialen Erwartungen bewegt, ist tendenziell komisch.

Das Comedy-Duo Key & Peele entwickelte einen „sexuellen“ Sketch, der vom Game-Aufbau geradezu aus der Impro-Kiste kommen könnte: Die Frau fragt ihren Mann, ob er die Browser-History gelöscht habe, da sie Schwerigkeiten habe, sich auf dem Laptop einzuloggen. Er verneint dies, aber ein Schweißtropfen läuft über sein Gesicht. Sie vermutet, er habe sich heimlich Pornos angeschaut, was ja OK sei, solange er sich keine Sado-Maso-Filme… Sein Gesicht ist nun völlig verschwitzt. Gut, SM sei ja OK, solange es sich um Frauen handele … Mit jeder Eskalationsstufe steht sein Gesicht immer mehr unter Wasser…



Dieses Beispiel zeigt übrigens auch, wie man mit dem häufigen Vorschlag „Porno“ umgehen kann: Man zeigt nicht den Porno an sich, sondern den Umgang damit. Den Porno-Darsteller, die Konsumenten, das Business.
Die Skepsis gegenüber den Publikums-Vorschlägen kann so weit gehen, dass manche Vorschläge abgelehnt werden, weil man dem Publikum a priori üble Absichten unterstellt.
In einer Show, die ich mit einem Impro-Kollegen besuchte, bat einer der Improvisierer um ein Musik-Genre für seinen nächsten Song. Da wir nicht schon wieder Reggae oder Heavy Metal (die häufigsten Genre-Musikvorschläge) hören wollten, schlug der Freund „Marsch“ vor, was zwar ein eingestaubtes, aber für Improvisierer leicht zu handhabendes Genre bietet. Zwischen Militär- und Trauermarsch entfaltet sich ein recht großer Kosmos. Was tat der Improspieler? Mit einer kurzen Nazi-Assoziation tat er den Vorschlag als dumm und geschmacklos ab. An dieses Gefühl des Von-der-Bühne-Abgekanzelt-Werdens versuche ich mich zu erinnern, sobald ich mich gezwungen sehe, einen Vorschlag abzuweisen.
Man umarme also die Vorschläge wie die Angebote eines Mitspielers und versuche sich mental darauf einzustellen, so wenig wie möglich abzulehnen.
Hier sind Situationen, in denen ich Ablehnungen prinzipiell OK finde:
1. Vorschläge, die an der Kategorie, die man erfragt, völlig vorbeigehen. Wenn wir zum Beispiel nach einer Emotion für die nächste Szene fragen und ein Zuschauer ruft: „Darth Vader!“, so ist es recht offensichtlich, dass die betreffende Person nicht zugehört hat, sondern einfach nur ihren Begriff loswerden wollte.
2. Vorschläge, die die Grenzen des guten Geschmacks extrem überschreiten.
Das hat auch fast immer mit der Form zu tun. Während man in einigen Langformen gewiss auch harte Themen wie Krieg, Aids oder häusliche Gewalt ansprechen kann, so sind sie doch für äußerst gag-lastige Games wie Armrede oder Switch/Change ungeeignet.
3. Vorschläge, die niemanden auch nur ansatzweise inspirieren.
Wenn jemand das bereits erwähnte Buxtehude nennt, aber keiner der Schauspieler noch irgendjemand im Publikum einschließlich des Zurufers kann etwas über Buxtehude sagen,  dann suche man einen anderen Vorschlag.
4. Wiederholungen.
Wenn man für ein kurzes Game in zwei aufeinanderfolgenden Wochen den Schauplatz „Küche“ bekommt, ist das kein Problem. Aber man will wohl kaum zwei Mal hintereinander einen Harold zum Thema „Karussell“ spielen.

Ungeschicktes Erfragen von Vorschlägen

„Ich hätte gerne eine Beziehung!“
„Ich auch.“

Was sonst soll der arme Single-Zuschauer denken? Wir Improvisierer denken in Impro-Kategorien und benutzen Impro-Jargon. Zuschauer erleben dieselbe Show, sehen sie aber durch eine andere Brille. Für uns geht es darum, inspiriert zu werden. Zuschauer aber wissen nicht, was uns hilft und was nicht. Wie wir schon gesehen haben, suchen sie entweder nach der unterhaltsamsten bzw. lustigsten Idee oder nehmen das, was ihnen als erstes durch den Kopf schießt, was dann auf Prototypen hinausläuft.

„Wer ist diese Person?“
„Angela Merkel.“

Wenn man die Frage so stellt, kann man sich dieser Antwort sehr sicher sein (bzw. des prominentesten Politikers, über den das aktuelle politische Kabarett gerade seine Scherze treibt). Für uns als Improvisierer ist dieser Vorschlag spätestens nachdem wir ihn zum dritten Mal gehört haben, völlig wertlos, aber das wissen die Zuschauer nicht, denen täglich in Kabarett-Shows suggeriert wird, Politiker zu verspotten sei die Königsdisziplin der Comedy. Mit anderen Worten: Wer „Merkel“ einruft, will helfen. Wenn wir also Vorschläge hören wollen, die auf soziale Rollen wie Hausbesetzer, Geliebte, Ärztin, Kunde im Matratzenladen, hinauslaufen, müssen wir anders fragen:

Wie sind die Wohnverhältnisse dieser Person?
In welcher Beziehung lebt diese Person?
Was arbeitet sie?
Wo befindet sich diese Person und was macht sie dort?

Manche Fragen laufen immer wieder auf dieselben Klischees hinaus, da sie der Semantik-Psychologie einen Streich spielen. Hier ein typisches Beispiel: Für eine improvisierte Figur, besonders wenn sie die Protagonistin der Szene ist, ist es gut, ein Ziel oder einen Traum zu haben, um die Story voranzutreiben. Warum also nicht den Traum des Helden erfragen!
„Welchen Traum könnte ein Mensch haben?“
„Fliegen.“
Die Antwort ist so bescheuert wie unvermeidlich. In der Frage steckt die zum Klischee geronnene Formulierung „Traum der Menschheit“, auf die man unweigerlich „Fliegen“ assoziiert. Aber in Zeiten, in denen ein Flugticket billiger als eine Monatskarte im Öffentlichen Personennahverkehr ist und praktisch jeder Erwachsene schon die Erfahrung zu fliegen gemacht hat, ist so ein Vorschlag eigentlich ziemlich absurd. Hier würde ich auch zur Biografisierung oder Personalisierung raten:

„Ich bitte Sie, an eine Freundin oder einen Verwandten zu denken. Gibt es im Leben dieser Person eine große Sehnsucht?“

Hört euch zu, wenn ihr mit dem Publikum kommuniziert. Wie verstehen die Zuschauer unsere Fragen. Bleibt klar, einfach und offensichtlich. Wenn man sich neue Fragen für Inspirationen überlegt und darauf mehrmals hintereinander unbefriedigende oder immergleiche Antworten bekommt, klopfe man die Fragen darauf ab, wie sie ein unbefangener Zuschauer versteht und welche Assoziationen sie wecken.
Noch ein Beispiel für personalisiertes, aber dennoch ungeschicktes Fragen:

Wo waren Sie heute Mittag um 13 Uhr?

Man bekommt auf eine solche Frage fast immer dieselben Antworten:
Im Büro.
In der Uni.
Am Mittagstisch.
Zuhause.
Man erinnert sich an bestimmte Dinge eben eher grob. Man weiß noch, dass man im Büro war. Aber ob man gerade auf dem Raucherbalkon, am Schreibtisch, im Meeting oder in der Kaffeeküche war, weiß man eigentlich nicht genau. Man weiß, dass man auf dem Weg zur Arbeit war, aber ob man gerade sich einen Kaffee zum Mitnehmen holte, die Straße überquerte oder im Bus saß, hat man schon vergessen, bzw. die Zeit zum Überlegen genügt in der Show Situation nicht.

„Witzige“ Vorschläge

Intelligentes Fragen eliminiert auch „lustige“ und obszöne Vorschläge. Wenn wir auf die Frage nach einem Ort nicht „Paris“ hören, ruft nämlich mit großer Regelmäßigkeit ein Witzbold „Buxtehude“ oder „Castrop-Rauxel“ rein – zwei Orte, die, ich geb’s ja zu, im Deutschen wirklich ulkig klingen, aber die für niemanden, der nicht zufällig dort wohnt, Assoziationsräume schafft. Und auch unser „Klempner“ ist sowohl Prototyp als auch „lustig“ gemeint. (Der Zuschauer erhofft sich irgendeine peinliche Klo-Szene.)
Viele Improvisierer hassen solche Hans-Lustig-Zuschauer, und ich kann den Impuls der Abneigung auch ein kleines bisschen verstehen: Oft sind diese Witzel-Heinis etwas lauter, etwas gröber und wollen sich als originell gegenüber ihren Freunden präsentieren. Oder sollten das nur Bilder sein, die wir auf diese Zuschauer projizieren? Ein laut gerufenes „Bahnhofsklo!“ klingt einfach dreister als das gleich laut gerufene Wort „Hotel-Lobby!“ Es hilft, sich vorzustellen, dass die Zuschauer uns helfen wollen. Die Zuschauer sind keine Impro-Profis. Sie wissen nicht, welche Art von Vorschlägen uns inspirieren. Sie sind medial abgefüttert mit (meist schlechter) Comedy. Also ist es unsere Verantwortung, so zu fragen, dass wir Vorschläge bekommen, die uns inspirieren.
In eine ähnliche Kategorie fallen auch obszöne oder vulgäre Vorschläge: Dildo, Porno, Mundgeruch, usw. Ich halte es für verkehrt, solche Vorschläge rundweg mit der Annahme abzutun, die betreffenden Zuschauer seien vulgär oder obszön. In den allermeisten Fällen fordern die Spieler solche Vorschläge regelrecht heraus, wenn auch unbewusst. Wenn die Show bereits mit dem Versprechen anmoderiert wird: „Egal was ihr uns hereinruft, wir machen eine Szene draus“, dann wird das Publikum entsprechend konditioniert, sich wirklich schwere Vorschläge auszudenken. Der Hintergedanke ist: Schaffen die das wirklich?
Ähnlich ist es, wenn man die Zuschauer nach dem Alter einer Figur fragt: Sie gehen in die Extreme. Vier Jahre oder neunzig. Nicht dass man mit solchen sehr jungen oder alten Figuren keine Szene spielen könnte, aber als Hauptfiguren lassen sie sich nur sehr schwer behandeln, da sie entweder zu wenig Herr ihrer Umstände sind oder nichts mehr zu verlieren haben.
Wenn einem die Art der Vorschläge egal ist, dann sind diese Ausführungen irrelevant. Will man aber den Zuschauern wirklich etwas mitgeben, lohnt es sich, sanft ihre Wünsche zu entdecken.
Hat man einen hohen Anteil an Stammzuschauern, so kann es auch gelingen, auf lange Sicht das Publikum zu „erziehen“. Wenn sie nämlich merken, dass aus jedem Vorschlag etwas Schönes gemacht wird und Obszönität nicht gerade zum Unterhaltungswert der Show beiträgt, dann reduzieren sich solche Vorschläge mit der Zeit.
Eines der stärksten Mittel, den Schrott-Anteil zu mindern, ist, die Zuschauer direkt und einzeln zu befragen, zum Beispiel indem man sie bittet, sich zu melden, wenn sie etwas vorschlagen wollen. Wer einzeln und direkt gefragt wird, ist auch direkter für seinen Vorschlag verantwortlich als der, der sich im Mob verstecken kann. Sieht man mehrere Wortmeldungen, kann man auch anhand der Körpersprache und anderer äußerer Merkmale aussortieren:
Keine betrunkenen oder kichernden Zuschauer fragen.
Die Alphamännchen in Gruppen ignorieren.
Die letzte Reihe meiden.
Frauen bevorzugen.
Bekommt man dennoch einen „witzigen“ Vorschlag, hilft es, ihn genau als das zu nehmen – als Witz. Man lächelt freundlich darüber, wie über einen Insider-Gag und geht zu einem anderen Zuschauer über.

Mittel gegen häufige Vorschläge – Fragen personalisieren

Wenn wir die Zuschauer nach Vorschlägen fragen, wollen wir natürlich am liebsten Dinge hören, die wir vorher noch nicht zu hören bekamen, die unsere Assoziationskanäle öffnen, kurz – die uns inspirieren!
Stattdessen hört man aber im Improtheater immer wieder dieselben Vorschläge.
„An welchem Ort soll die Szene spielen?“ – „Paris!“
„In welcher Beziehung stehen diese beiden zueinander?“ – „Geschwister!“
„Nennen Sie mir einen Beruf!“ – „Klempner!“
Vorschläge dieser Art werden eingerufen, wenn
1. die Zuschauer dazu aufgefordert werden, rasch das zu sagen, was ihnen als erstes durch den Kopf geht und
2. die Fragen so gestellt werden wie oben.
Vorschläge wie Paris und Klempner sind im Grunde Prototypen für das, was wir erfragen.  Paris ist einfach der Ort, der den meisten als hoch assoziative Stadt als erstes einfällt (und ist übrigens auch im englischen Sprachraum die geographische Ortsvorgabe Nummer Eins).
Fragt man nach „Berufen“, hört man als Antwort fast immer Handwerksbezeichnungen. Auch wenn es inzwischen in Deutschland wahrscheinlich wesentlich mehr Informatiker als Klempner gibt, hängen die alten Berufsbezeichnungen tief in unserem kollektiven Bewusstsein fest, abgesehen davon, dass der Durchschnittszuschauer meist einen Installateur meint, wenn er von Klempner spricht.
Die regelmäßige Antwort „Geschwister“ erklärt sich dadurch, dass zwei Schauspieler, die mit der gleichen Haltung auf der Bühne stehen, eine Art Ähnlichkeit suggerieren, wie man sie eben von Geschwistern kennt. (Oft hört man auch „Zwillinge!“)
Wie lösen wir nun dieses Problem?
Da wir die Zuschauer ja auch nicht ewig grübeln lassen wollen oder ausgesprochen „originelle“ Vorschläge brauchen, hilft es auch nichts, ihnen zu sagen, sie sollen uns mit etwas „besonders Schönem“ inspirieren. Vielmehr sollten wir uns fragen:
Was wollen wir wirklich vom Publikum hören?
Wenn wir uns darüber vor der Show Gedanken machen, so werden wir nämlich sehen, dass uns Städtenamen in der Regel so gut wie gar nichts bringen, da wir ja eigentlich einen Schauplatz für die Szene brauchen.  Die einfachste Lösung besteht also darin, genau das zu fragen: „An was für einem Schauplatz soll diese Szene spielen?“
Wenn man die berufliche Tätigkeit (oder die beruflichen Ziele) einer Figur erfragen will, hilft es, sich die Realität zunutze zu machen: Man kann die Zuschauer nach ihrer Tätigkeit fragen. Aber auch das kann einengen: Erstens scheuen sich viele Zuschauer, ihre berufliche Tätigkeit oder ihre Studienrichtung zu nennen, weil sie fürchten, veralbert zu werden oder weil sie ihre Tätigkeit (im Vergleich zum aufregenden Leben eines Impro-Schauspielers) für langweilig halten. Und zweitens kann das wiederum einengen, wenn das Publikum eher homogen ist.
Ich rate daher dazu, bei Vorschlägen, die eine Figur ausstatten sollen, einen kleinen Umweg zu gehen. Man fordert das Publikum kollektiv auf: „Denken Sie an eine Freundin oder einen Verwandten.“ Nachdem man zwei Sekunden gewartet hat, kann man verschiedene Zuschauer einzeln fragen:
Wie heißt Ihre Person mit Vornamen?
Und Ihre mit Nachnamen?
Wie alt ist die Person, an die Sie gedacht haben?
Was arbeitet, lernt oder studiert sie?
Was macht sie liebenswert?
Ist sie liiert?
Hat sie Kinder?
usw.
Eventuelle Ungereimtheiten lassen sich ausgleichen: Wenn die Person 52 Jahre alt ist und die nächste Zuschauerin antwortet: „Meine Freundin studiert Veterinärmedizin“, dann ist unsere Figur eben schon Veterinärmedizinerin.
Die Frage nach Schauplätzen lässt sich auf ähnliche Weise personalisieren:
Wenn Sie an Ihre Jugend denken: An welchem Ort in ihrer Stadt hielten Sie sich gerne auf?
Wo lesen Sie gern?
Hatten Sie als Kind ein Versteck?
Ebenso für Gegenstände:
Liegt etwas im Kofferraum Ihres Autos, was nicht dahin gehört?
Haben Sie in der letzten Zeit etwas bei Ebay verkauft?
Für Überschriften:
Wie heißt der Titel des Stücks, das sie als letztes auf ihrem Musik-Player gehört haben?
Für Dialogzeilen:
Schlagen Sie eine zufällige Seite Ihres Romans auf und lesen Sie den ersten Satz in wörtlicher Rede laut vor.
Die Vorschläge, die man auf diese Weise erhält, sind dreidimensional und wirken weniger „ausgedacht“.
Bleibt zu klären: Wie gehen wir mit dem Problem um, dass wir für „Beziehung zwischen zwei Personen“ häufig „Geschwister“ hören? Auch das können wir personalisieren: „Denken Sie bitte an eine Person, die Sie persönlich kennen. (kurze Pause) In welcher Beziehung stehen sie zu ihr?“
Ich halte dieses persönliche Fragen überdies auch für eine gute Klammer zum Publikum. Wenn ein Vorschlag, der aus der persönlichen Erfahrungswelt kommt, auf der Bühne umgesetzt wird, entsteht eine Doppelbindung zum Publikum.

Backstage – Nach der Show ist vor der Show

(Ergänzung: Diese Gedanken habe ich bearbeitet und weiter ausgeführt im Buch „Improvisationstheater. Band 8: Gruppen, Geld und Management


Feiert euch! Egal ob du persönlich mit dem Ergebnis zufrieden warst, egal ob die Reaktion des Publikums verhalten oder begeistert war: Ihr habt Großes vollbracht. Aus dem Nichts habt ihr eine komplette Show auf die Beine gestellt.
Bedankt euch bei euren Mitspielern, so wie ihr euch zu Beginn „Toi toi toi!“ gewünscht habt.
Der Übergang von „Nach-der-Show“ in den Alltag sollte genauso geehrt und zelebriert werden wie das Ankommen. Statt also sofort wieder aus dem Backstage zu rennen, sich ein Bier zu schnappen und sich vom Publikum feiern zu lassen, sollte man der Show noch für einen kleinen Moment nachlauschen.
Unmittelbar nach der Show ist das Adrenalin oft noch hoch, die Eindrücke manchmal überwältigend und die Distanz zum Geschehen noch nicht groß genug, um eine gründliche Auswertung vorzunehmen. Ich plädiere allerdings sehr für ein kurzes Feedback.  Die Kunst besteht hier darin, das Positive überwiegen zu lassen, auch wenn es anstrengend war. Bedenkt die drei verschiedenen Perspektiven: Publikum, Mitspieler und Ich. Jeder hat die Show anders wahrgenommen. Selbst wenn wir glauben, an unseren künstlerischen Maßstäben gescheitert zu sein, könnte es dennoch sein, dass das Publikum sich zu Recht über die Show gefreut hat. Und umgekehrt: Selbst wenn ich mich wohlfühle, kann es sein, dass sich meine Mitspieler von mir im Stich gelassen fühlten. Auch wenn drei Zuschauer die Show verlassen haben, können wir uns freuen, in neue Impro-Sphären vorgestoßen zu sein.
Zügelt euren Ärger und das zeitliche Ausmaß des Feedbacks. Mehr als anderthalb Minuten pro Spieler muss es nicht dauern. Bei großen Gruppen sogar weniger.
Beendet die Feedback-Runde mit einem kleinen Ritual und geht dann den Weg zurück, den ihr gekommen seid: Kümmert euch um euer persönliches Wohl, zieht euch um, schminkt euch ab. Packt eure Requisiten und Kostüme weg. Schaut zu, ob Techniker oder andere Assistenten Hilfe brauchen.
Dreht euch um, bevor ihr das Backstage verlasst und hinterlasst es in präsentablem Zustand.

Backstage – In der Pause

(Ergänzung: Diese Gedanken habe ich bearbeitet und weiter ausgeführt im Buch „Improvisationstheater. Band 8: Gruppen, Geld und Management


In Pausen müssen wir den Spagat schaffen, einerseits den Show-Fokus nicht zu verlieren und andererseits wirklich zu pausieren, also uns körperlich und geistig zu erholen.
Eine Pause sollte nicht länger als fünfzehn Minuten dauern, da sonst das Publikum ungeduldig wird. Das bedeutet aber für uns Spieler, dass wir die Pause auch gezielt als solche nutzen sollten, denn diese Zeit geht oft schneller vorbei als man glaubt.
Zunächst gilt es, rasch die körperlichen persönlichen Bedürfnisse zu befriedigen: Ein kurzer Toilettengang und ein Getränk.
Längere Diskussionen gilt es in der Pause auf jeden Fall zu vermeiden, um die zweite Hälfte nicht mit etwaigen Meinungsverschiedenheiten zu belasten. Insofern verbietet sich auch eine Auswertung des ersten Teils in der Pause. Selbst wenn du die erste Hälfte als positiv wahrgenommen hast, solltest du deine Meinung in der Pause erst mal zurückhalten, da deine Mitspieler es unter Umständen auch anders wahrgenommen haben könnten.
Für die zweite Hälfte der Show kann man sich unter Umständen noch ein paar Fokuspunkte ins Gedächtnis rufen, vor allem wenn im zweiten Teil ein anderes Format gespielt wird.
Wenn man ein längeres Stück improvisiert, liegt manchmal die Versuchung nahe, die Story zu besprechen. Ich rate davon dringend ab, da das bisweilen darauf hinausläuft, vorauszugreifen oder verschiedene Perspektiven gegeneinander abzuwägen. Behaltet das Risiko für den zweiten Teil. Allenfalls ein zwei Nachfragen bei akustischen Missverständnissen oder eine Rekapitulation von Namen und grobem bisherigem Storyablauf sind aus Impro-Perspektive angemessen.
Was aber, wenn man sich nach der ersten Hälfte nicht ganz und gar nicht wohlfühlte, etwa weil man das Gefühl hatte, nicht wahrgenommen zu werden? Auch dann verbietet es sich, sämtlichen Frust auf die anderen abzuladen. Wenn du merkst, dass du mit deinem Unwohlsein allein bist, während alle anderen abfeiern, bitte einen Mitspieler um ein Warm-Up-Quickie, um wieder zusammenzukommen. „Peng!“, Reimen, Assoziieren oder Singen bieten sich an: Alles, was schnell geht, gute Laune schafft und die Spieler zusammenführt.
Was aber, wenn sich das schlechte Gefühl auf die ganze Gruppe gelegt hat, weil man das Gefühl hat, gründlich zu scheitern? In solchen Situationen hilft es, erst einmal für einen Moment gemeinsame Stille auszuhalten. Denn das Gute ist selbst in diesen Augenblicken: Wir arbeiten zusammen, nicht gegeneinander. Auch wenn es auf der Bühne Missverständnisse gegeben hat, haben wir ein gemeinsames Ziel. Findet schnell eine neue Energie, einen gemeinsamen Fokus, auf den ihr euch einigen könnt. Diskutiert nicht lange. Findet rasch den kleinsten gemeinsamen Nenner. Das kann unter Umständen bedeuten, dass man sich darauf einigt die Reißleine zu ziehen und den zweiten Teil völlig anders zu gestalten. Aber das empfehle ich nur als allerletzte Notmaßnahme.

Die Adlerperspektive

Wie wichtig der Blick von außen auf die Szene ist, habe ich hier schon oft angesprochen. Diese Adlerperspektive (bisweilen auch „drittes Auge“ genannt) ist entscheidend für unsere Orientierung innerhalb einer Szene.
Für manche Spieler ist die Forderung nach einer Außensicht irritierend: „Dann ist man ja nicht mehr im Moment! Man verliert doch die Figur!“
Aber das ist nicht notwendigerweise so. Um ein Beispiel aus dem Alltag zu geben: Angenommen, ich treffe mich mit einem Kollegen zum Brunch und dabei plaudern wir über unsere neusten Ideen und Projekte. Wenn ich dabei achtsam bin, bin ich mir meines Essens bewusst, ich bin mir über die Beziehung zu meinem Kollegen ebenso klar wie über den Inhalt unseres Gesprächs. Aber außerdem ist mir natürlich der Rahmen dieses Settings klar, nämlich wo wir uns befinden und dass die Zeit verstreicht.
Multitasking ist für uns im Alltag meistens normal, wir haben es über Jahre unbewusst trainiert. In einer Impro-Szene bewegen wir uns in anderen Kategorien: Die Rolle, die Tätigkeit, die Beziehung zum Anderen, das Genre, der Inhalt – all das wird kollaborativ und spontan erschaffen. Für Impro-Anfänger kann das ungewohnt sein und sich wie Jonglieren mit fünf Bällen anfühlen. Durch fortwährendes Üben verliert sich dieses Gefühl der Überforderung nach und nach. Unsere Aufmerksamkeit kann mehrere Elemente gleichzeitig wahrnehmen, da sie uns einzeln und für sich genommen keine große Schwierigkeiten bereiten.
Die Adlerperspektive beizubehalten bedeutet nicht, zu wissen oder zu steuern, wo die Szene hingeht. Vielmehr geht es um das Bewusstwerden des gesamten Bühnengeschehens: Was passiert hier gerade? Und in welchem Kontext steht das?
Wenn ich die Adlerperspektive einnehme, wird mir bewusst, was die Szene braucht: Ausbreiten der Handlung oder Vorantreiben? Szenenwechsel oder Fortführen der Szene? Verschärfen des Inhalts oder Auflösung? Beschleunigung oder Entschleunigung?

Szenen-Übergänge

Eine Sonderform des Szenen-Endes ist der Szenen-Übergang: In einem improvisierten mehr-szenigen Stück endet die Szene, indem eine neue Szene beginnt.
Die meisten der bereits genannten Techniken können auch für Szenen-Übergänge genutzt werden, insbesondere Black, starke Sätze, Abgänge.
Es kommen aber noch eine Handvoll Techniken hinzu.

Auswechseln

  • Luisa und Fred spielen eine Szene zwischen Lehrerin und Vater eines abwesenden Mädchens. Auf dem Höhepunkt der Szene springt Daniela auf die Bühne, wechselt Luisa aus und spielt mit Fred eine Tochter-Vater-Szene derselben Story.

So weit, so simpel. Die Frage ist nur: Wie deutlich muss und wie subtil kann der Wechsel sein?

Klatsch-Stop-Tip
Dieses Auswechseln ist mit dem einfachsten Impro-Spiel verwandt – dem Stop-Spiel (alias Freeze Tag). Die außenstehende Spielerin ruft: „Stop!“ und/oder klatscht in die Hände. Daraufhin halten die Spieler auf der Bühne inne. Die Auswechslerin tippt ihre Partnerin leicht an, diese geht rasch ab, und die nächste Szene kann beginnen.
Der große Vorteil dieser Technik ist ihre Eindeutigkeit für Mitspieler und Zuschauer. Als Spieler auf der Bühne weiß ich, dass die Szene nun vorbei ist. Und die Zuschauer sind dadurch, dass die Technik höchst transparent ist, Zeugen des amüsanten Impro-Prozesses.
Wenn man auf diese Weise spielt, sollte man sehr, sehr schnell spielen. Es wirkt quälend, wenn man als Zuschauer erleben muss, wie ein außenstehender Spieler die Szene per Stop anhält, dann erst mal einen Augenblick überlegt, wen er denn ablösen will, dann gemütlich auf die Bühne stiefelt und die abgeklatschte Person auch noch irritiert von der Bühne stolpert. Seid hier also flink und klar!

Leichtes Tippen
Stoppen und Klatschen sind zwar eindeutige Zeichen, aber vergleichsweise rohe Techniken. Für erfahrene, aufmerksame Spieler genügt es, wenn die außenstehende Person die Bühne betritt und einen der beiden leicht antippt, um mit dem anderen weiterzuspielen. Denn schon dass sie die Bühne betritt ist für mich als Spieler ein Achtungs-Zeichen. Werde ich dann auch noch angetippt, verdünnisiere ich mich ins Off.

Geschmeidiger Wechsel
Sind sämtliche Spieler auf einem hohen Aufmerksamkeits-Level, kann man sogar auf das Antippen verzichten. In unserem Beispiel würde es genügen, dass Daniela in einem klaren Moment, zum Beispiel nach einem starken Satz von Luise, die Bühne betritt und Fred anspielt, etwa indem sie sich bühnenpositionell vor Luise stellt und den nächsten Satz an ihn richtet. Wenn das Zusammenspiel geschmeidig ist, wird Luise selbst abgehen. Diese Technik erfordert hohe Aufmerksamkeit und ein ähnliches Gespür für Timing, was oft nur durch langes Miteinanderspielen erreicht werden kann. Andererseits ist es auch (ähnlich wie bei guten Jazz-Musikern) unter Impro-Spielern möglich, die noch nie zuvor miteinander auf der Bühne gestanden haben, falls sie ähnlich „ticken“.
Und natürlich kann es Situationen geben, in denen es auch für aufmerksame Spieler nicht eindeutig ist, wer nun abgehen soll. Dann wird einem niemand ein feines kleines Abtippen übelnehmen.
Zwei oder mehr Spieler auswechseln
Die Technik des Spieler-Auswechselns beschränkt sich natürlich nicht auf einen Spieler. Angenommen Daniela will die folgende Szene weder mit Luise noch mit Fred spielen, sondern solo beginnen, kann sie natürlich beide Spieler auswechseln. Sie kann sie abtippen oder ihnen auch per „Bühnenfeger“ das Zeichen zum Verlassen geben.
Die subtile Variante wäre hier: Daniela stellt sich einfach vor die beiden und beginnt ihre Soloszene. Die aufmerksamen Mitspieler wissen bereits bei Danielas Betreten der Bühne Bescheid und verziehen sich elegant.

Mehrere Auswechslerinnen
Was ich hier für eine Auswechsel-Spielerin beschrieben habe, gilt selbstverständlich auch für mehrere. Luise und Fred (oder einer von ihnen) können also von Daniela und Evi (oder noch mehr Spielerinnen) abgelöst werden.
Wenn Evi also den Impuls hat, zusammen mit Daniela die Bühne zu betreten, soll sie sich nicht zurückhalten. Nach Danielas Klatsch/Stop! (oder analog: während ihres Impulses, die Bühne zu betreten) könnten gar zehn Spielerinnen die Bühne füllen – mit oder ohne Fred.
Wenn zwei Spieler im Off Augenkontakt miteinander aufnehmen, um den gemeinsamen Impuls des Wechsels zu erspüren, kann das nur hilfreich sein.
Etwas umstritten ist die Frage, ob es legitim ist, sich aus dem Off oder beim Auf-die-Bühne-Gehen einen Mitspieler herbeizuwinken. Dieser Spielzug ist nicht besonders verbreitet. Manche Spieler empfinden ihn auch als etwas übergriffig, sie vertrauen lieber den eigenen Impulsen. Ich denke aber, dass er durchaus hilfreich sein kann und ein Zeichen des wohlwollenden Miteinanders ist, solange nicht der Herbeiwinker dem anderen komplett die eigenen Ideen aufzwingt.

Hinzukommen
Man mag sich bei unserem Beispiel fragen: Wie können denn Fred und Luise wissen, ob Daniela uns ablösen will oder ob sie die Szene betritt und mitspielt, wenn sie nicht einen von uns abtippt?
Zum einen kann es sich aus der inhaltlichen Dynamik der Szene ergeben. Wenn die Auswechslerin aufmerksam ist, wird sie an einer Stelle die Bühne betreten, die schon einen Anhaltspunkt dafür gibt, ob die Szene zu Ende ist oder ob sie mit einer neuen Figur weitergespielt wird.
Im Improtheater hat sich hier folgende Konvention etabliert:
Betritt die neue Figur hinter den Spielern die Bühne, wird die Szene weitergespielt.
Betritt die neue Figur vor den Spielern die Bühne, beginnt eine neue Szene.
Diese Konvention halte ich für intuitiv und praktikabel. Denn nur wenn die Figur vor mir steht, kann ich das Auswechsel-Angebot richtig deuten. Betritt die Figur hinter mir (also für mich schlecht sichtbar) die Bühne, kann ich mich hingegen darauf verlassen, dass mir demnächst ein entsprechendes Angebot gemacht wird.

Übergänge durch den Erzähler oder Moderator
So wie der Erzähler ein Ende setzen kann, ist ihm natürlich auch ein Übergang möglich. Zwei Sätze genügen schon, um eine Verbindung zwischen beendeter und neuer Szene zu schaffen.
„Irene konnte ihr Glück kaum fassen. Doch als sie am Abend nach Hause kam, erlebte sie eine böse Überraschung…“
Die Rolle des Erzählers ermöglicht es uns darüberhinaus, nicht nur die Übergänge zu markieren, sondern auch Zeit- und Ortswechsel (hier: „am Abend“ und „zu Hause“) anzuzeigen, was die Schauspieler entlastet, die dies nicht pantomimisch oder verbal improvisierend etablieren müssen.
In reduzierter Form kann das in Game-Formaten auch ein Moderator oder Regisseur übernehmen:
„Fünf Stunden später!“
oder
„Zur selben Zeit am Bahnhof!“
Moderatoren oder Regisseure werden also eher intervenieren als ausführlich erzählerisch eingreifen.
Szenen-Übergänge ohne Mitspieler aus dem Off
Nicht immer sind außenstehende Mitspieler zur Hand. Besonders in kleinen Konstellationen kommt es vor, dass niemand im Off steht, der uns „erlösen“ könnte, und am deutlichsten in Zweier-Teams.
Positionswechsel
Wir können einen szenischen Wechsel sehr klar verdeutlichen, wenn beide Spieler gleichzeitig ihre Position auf der Bühne ändern. Das erfordert ein bisschen Übung, vor allem aber ein gutes Miteinander. Beiden Spielern muss klar sein: Jetzt ist es Zeit für einen Szenenwechsel. Was beinahe wie magische Gedankenübertragung klingt, ist im Grunde „nur“ eine hohe Aufmerksamkeit für die Dynamik und den Rhythmus letzter Sätze und für die Körpersprache.
Aber wie kann das Publikum wissen, dass wir nicht in der gegebenen Szene einfach auf eine andere Position gehen? Wir müssen die Positionen in einer anderen Körperspannung wechseln. Wir treten aus der Haltung unseres Characters heraus in unser Schauspieler-Ich, wechseln rasch (ohne zu hetzen) die Position, gehen dort wieder in den alten (oder einen anderen) Character und beginnen die neue Szene.
Die Technik ist nicht allzu schwer, aber man sollte sie ein bisschen ausprobieren.

Hilfestellungen
Eine Szene nur durch Positionswechsel und Character-Ein-und-Ausschalten zu verändern, ist freilich eine subtile Angelegenheit. Wenn man als Duo nicht besonders aufeinander eingespielt ist oder wenn andere Faktoren ablenken (z.B. kleine Bühne, unerfahrenes Publikum), kann man sich durchaus ein paar Hilfestellungen gönnen.
Einer der Spieler kann aus der Rolle heraustreten und als Regisseur den Szenenwechsel markieren: „Zur selben Zeit vorm kaiserlichen Pferdestall.“
Beide Spieler rotieren gleichzeitig um ihre eigene Achse und beginnen eine neue Szene. Ich gebe zu, dass diese Technik ein bisschen dick aufträgt, aber sie ist energiegeladen, optisch wirkungsvoll und recht eindeutig.
Man kann einen deutlichen verbalen Hinweis für einen Ort- oder Zeitwechsel im Dialog verpacken:
„Woher ich diese Narbe habe? Das kann ich Ihnen sagen…“
oder
„Wo mag jetzt wohl Sergej stecken? …“

Einer musste ja die Lederhosen tragen

(Ergänzung: Diese Gedanken habe ich bearbeitet und weiter ausgeführt im Buch „Improvisationstheater. Band 8: Gruppen, Geld und Management


In einem Interview mit Ray Manzarek, dem Keyboarder der Doors, meinte dieser: „Einer musste ja die Lederhosen tragen. Und das war Jim Morrison.“ Eine College-Studentin namens Milagros, deren Impro-Gruppe im College in den Pausen kurze Show-Einlagen spielte, berichtete begeistert von einem ihrer Mitspieler der immer in alten Militäruniformen spielte (in denen er im Übrigen auch zum Unterricht kam). Er war der, der im Doorsschen Sinne „die Lederhosen trug“.

In Bekleidungsfragen sind viele Impro-Gruppen entweder total nachlässig oder sie hecheln einem imaginären Professionalitäts-Bild hinterher. Wieder einmal hilft der Blick Richtung Pop-Bands. Bis Anfang der 1960er Jahre wurden Bands für Albumcover-Fotos und Fernsehauftritte in Anzüge gesteckt. Man sehe sich nur die allerersten Cover der Beatles und der Rolling Stones an. Wahrscheinlich wurden die Bands nicht einmal gefragt. Schon ein halbes Jahrzehnt später regierten lange Haare, Ponchos, Bandanas und bunte Hosen die Pop-Szene. Und noch einmal fünf Jahre später sah man Männer mit nackten Oberkörpern im Fernsehen rocken. Auf eine Impro-Gruppe in Heavy-Metal-Kluft warte ich bis heute.

Option Showabbruch

Als ich anfing, Improtheater zu spielen, kam in meiner damaligen Gruppe die Diskussion auf, ob bestimmte Themen nicht zu heikel seien, um die auf die Bühne zu bringen. Der Konsens, den man damals fand, war, dass es darauf ankäme wie man etwas darstelle. Und insgeheim sagte ich mir damals, falls einmal etwas dermaßen geschmacklos, unter der Gürtellinie oder für mich aus persönlichen Gründen unerträglich wäre, hätte man immer noch die Möglichkeit, dem Publikum zu sagen, dass man nun spontan eine kleine Pause einlegte, um dann im Backstage zu besprechen, wie und ob man überhaupt weiterspielen wolle.
Die persönliche Option, die Show einfach abbrechen zu können, hat mir damals viel von meiner Angst genommen. Ich habe sie noch nie nutzen müssen.