Der Penner

In schlechten Lebenslagen schlechte Freunde
und sich auch leider oft noch falsch entschieden.
Am U-Bahnhof mit flachem Blick

Die Mühe und den Weg zu oft gemieden.
Zu oft genommen, was dir unterkam
Du lebst den Krieg und wolltest doch nur Frieden.

Frei wie ein Vogel! hatt’st du dir geschworen.
Du sitzt in einer vollgepissten Hose.
Die Freiheit ging die Tag für Tag verloren.

Und ihr, die jetzt an ihm vorüberhastet,
glaubt wohl, dass diesem niemand helfen kann.
Dabei sitzt euch die kleine Münze lose.

Denn alles, was ihm bleibt: Barmherzigkeit.

Abschied

Am leeren Bahnhof mit gepackten Taschen.
Ein kalter Wind.
Die Hoffnungen, du kämst zum Überraschen,
verschwunden sind.

Im Regionalexpress zehn fette Sachsen
und ein Kind.
Und als fürs Kind ich mach zwei halbe Faxen,
wird’s ernst geschwind.

Und unter mir rumort das Bahngetriebe.
Die Scheiben: Blind.
Hab keine Hoffnung, dass ich deine Liebe
je wiederfind.

Frage ruhig

Frage ruhig, mein Sohn.
Das geht voraus dem Wissen.
Wer klug sein will, wird fragen müssen,
und Wissen ist der Lohn.

Hör nie zu fragen auf.
Wissen lässt sich nicht vollenden.
Lässt du’s mit dem, was ist, bewenden,
so zahlst du später drauf.

Bezweifle, was ich sag.
Bezweifle das, was du schon weißt,
denn schließlich irrt der Mensch doch meist.
Und frage jeden Tag.

Erkenntnis

Aus wildem Traume hat’s mich hochgerissen.
Ich war hellwach (zerwurschtelt war mein Kissen)
und wusste: Ich hab neues Wissen.

Das Wissen war von ungeheurer Klarheit.
Und voll vom Glück der so gewonn’nen Wahrheit
legt ich mich wieder. Morgen hieß es: Arbeit!

Die Sonne weckte mich. Ich: voller Frust.
Mein nächtlich Wissen schien nicht sehr robust.
Und doch weiß ich: Ich hab’s gewusst.

Grazie

Ein zarter Nabel, eine gelbe Socke,
ein freies Lächeln ohne jedes Ziel,
ein Kaffeefleck am T-Shirt und die braune Locke,
die keck auf deine Schulter fiel.

Ein leises Summen, so wie in Gedanken,
ein irritierter Käfer auf dem Knie,
ein weiter Blick, ein Lächeln ohne alle Schranken,
als wärst du eine Phantasie.

Ein schlankes Schlüsselbein, geschwungne Brauen,
ein Lächeln, das noch niemand eingezäunt,
es könnte niemand dies perfekte Bild versauen,
nur der da neben dir, dein Freund.

Erde. Vormittag. Frühlingsbeginn

Des Bärlauchs Frische würzt den kleinen Wald:
Du üppig-früher Bote zeugst vom Werden.
Die Sonne heuer kämpft, der März noch kalt.
Auch dies – ein kleiner Fleck auf unsrer Erden.

Ein Jogger eifrig durch die Pfade schnauft.
Am Rand des Waldes wird Benzin verkauft.
An der Einfallsstraße: Durstge Wagen.
Auch diese muss der Erdenball ertragen.

Und während ich von meinem Wäldchen schwärm,
umfängt mich knatternder Motorenlärm.
Und mir wird flau im Kopf und in den Beinen.

Der Lauch, der März, der Jogger, das Zerstören.
Es muss wohl alles doch dazugehören.
Ich weiß nicht, soll ich lächeln oder weinen.

August 1990

Die Sonne schien golden ins Fenster des Zugs auf die Krim.
Beim alten Natschalnik gibt’s Tee. Nun nimm.
Bis in die tiefste Nacht hatten wir gesungen.
Der Portwein, und Vitja, Gitarre und Bier.
Mir hat’s nach erblühender Freiheit geklungen.
War das schon der Dnjepr? Max Maslow im Schlaf.
Spiel noch mal das Lied vom Tank in Afghanistan.
Nimm Max’ Gitarre. Ob ich das darf?
Ich döse.
Noch fünfeinhalb Stunden nach Simfi per Bahn.

Morgenmediation

Wieder dampft die Morgenwiese.
Langsam steigt die Sonn empor.
Eine laue Frühlingsbrise
säuselt neckend in mein Ohr.

Noch sind meine Pläne vage,
froher Mut bestäubt die Seel’.
Keine Mühe, keine Plage.
Kein Geschrei entweicht der Kehl’.

Atme tief – dies ist das Leben.
Meinem Glück ich Danke sag.
Fröhlich kann ich mich erheben.
Komm, du schöner frischer Tag.

Stärke

Zu Mittag schwamm er immer hinaus.
Nach dreißig Minuten war er verschwunden.
Sie sagten, der Sascha kennt sich aus.
Stets hat er zurück noch gefunden.

Wir scherzten: „Jetzt ist er in der Türkei.“
(Das wären fünfhundert Kilometer.)
Nach neunzig Minuten kam er wieder herbei.
Doch einmal wurde es deutlich später.

Wir starrten hinaus auf das Schwarze Meer,
wartend auf Sascha, der lieb uns und teuer.
Die Scherze verstummten, das Sprechen fiel schwer.
Doch er wartete oben am Lagerfeuer.

Wie kamst du hierher? Wie hast du’s geschafft?
Sascha, der Schwimmer! Welch eine Kraft!

Er schwieg, dann weinte und lachte er.
Dann ging er schlafen und ließ uns stehen.
Wir erfuhren nie, was Sascha gesehen
dort draußen beim Schwimmen im Schwarzen Meer.

Offenheit

„Wir wollen immer offen bleiben.
Man sagt, was man im Herzen trägt.“
Fast wollte sie’s vertraglich schreiben,
von ihrer Offenheit geprägt.

Doch zu viel Offenheit kann stören,
wie wir bald erfahren mussten.
Denn manches will man gar nicht hören,
was tief dort ruht im Halb-Bewussten.

Die Offenheit muss sich wohl paaren
mit unsrer Wohlgesonnenheit,
sonst liegt man sich nur in den Haaren.
Und Nörgelei, die macht sich breit.

Strategien

Wir pflegten, uns zu bezirzen
mit heimlichen Strategien.
Es könnte die Liebe würzen.
Doch wir haben’s uns nie verziehen.

Die Liebe verträgt kein Planen,
sie braucht die Ehrlichkeit nur.
In vorgeschriebene Bahnen
presst sie kein Plan und kein Schwur.

*

Nichts gab’s mehr zusammenzuraufen.
So geht’s, wenn die Liebe verliert.
Wir standen vorm Scherbenhaufen.
Wir hatten uns ausmanövriert.

Liebesgrund

„Sag, Mädchen, warum liebst du?
Gibt es da einen Grund?“
„Ich glaube, ich bin einfach
nur wahnsinnig gesund.“

„Hast du nicht Angst, dein Lieben
dich nur unglücklich macht?“
„Es liebt nicht, wer vorm Lieben
noch lange nachgedacht.“

„Bist du für wahre Liebe
nicht eigentlich zu jung?“
„Fürs Lieben braucht ja niemand
eine Entschuldigung.“

„Ich wag es kaum zu fragen:
Bin ich es, den du liebst?“
„Ach, lieber alter Knabe,
ich glaube, bei dir piepst’s.“

Mittelstand (ménage à trois)

Sie fand sich plötzlich wieder in der Mitte
– da der, dort jener. „Dass mir das geschieht!
Ich hielt mich nie für derart angebrüht.“
zwar nicht die Lachende, gleichwohl die Dritte.

Aus dem Dilemma führen keine Schritte.
Mit Dreien ist es stets das alte Lied:
Du kannst es managen, solang es glüht.
Am Ende halfen nur noch klare Schnitte.

Sie löste sich von einem, denn sie fand,
es sei nur fair, schenk ich ihm reinen Wein.
Und mit dem anderen ein sichres Band.

Auch den verließ sie, denn er ward zum Schwein.
Einst war’s die Mitte, jetzt der Rand der Wand.
Zu dritt ist’s besser noch als ganz allein.

Namensgebung

Ach, wie sollen wir dich nennen,
der du grad geworden bist?
Tun wir so, als ob wir kennen
den, der uns geboren ist.
Dürfen dir den Namen geben,
denn wir schenkten dir das Leben.

Großes Zweifeln, Diskutieren,
ob der Name wirklich passt.
Namensbücher brav studieren.
Nicht, dass du den Namen hasst.
Wählen aus den wirklich schönen.
Du musst dich dann dran gewöhnen.

Lesen

Wie kann ich, was ich heut mit Freuden les, behalten?
Mich packt die Freude, die Erkenntnis, wenn’s gelesen,
doch hinterher ist’s oft, als wär es nie gewesen.
Ach, könnte ich nur mein Gedächtnis klar entfalten.

Ich würd mein Denken und mein Singen ausgestalten.
Die Augen reib ich, leg das Büchlein auf den Tresen,
denn mein Versprechen, stets zu lesen, gilt es einzulösen.
Könnt ich mein Wissen, wie ein Archivar verwalten!

Soll ich denn die Lektüre ständig wiederholen,
so wie ein Kind – ’s liest hundertmal dasselbe Buch.
Doch will ich mehr. Und das ist wohl mein Fluch.

Als hätt das neue Wissen altem Platz gestohlen.
Ich fresse, statt zu lesen, es bleibt Zeitvertreib.
Nur wenn man’s neu verknüpft, es wirklich bleibt.

Entfremdete Arbeit

Man sagte mir: Bedenk das Maß,
zuerst die Arbeit, dann der Spaß,
halt beide Welten treu getrennt,
sonst hast dein Leben du verpennt.
So quält’ ich mich den ganzen Tag
und tat am Abend, was ich mag,
als müsst von meinen Plackerei’n
ich jedes Mal mich neu befrei’n.
Heut weiß ich, ich erreich mein Ziel,
wenn meine Arbeit gleicht dem Spiel.

Nur dann ist unser Leben gut,
wenn man auch mag, was man so tut.

Zweifel

Wenn du von schönen Zeiten sprichst,
in die wir gleiten, sobald unsre Gegner
vernichtet sind,
zweifle ich.

Wenn du von Schwingungen sprichst
und davon, dass ich meine Zweifel
über Bord werfen soll,
zweifle ich.

Wenn du von deiner Liebe sprichst,
die alle Grenzen zwischen uns
überwindet,
zweifle ich
nicht.

Der kranke Meister

Als der Lehrer vom Schlag getroffen,
war er schon neunzig und man hat ihn gepflegt,
voller Bangen, keiner wagte zu hoffen,
dass der Gelähmte sich je wieder regt.

Und Thay, der stets lehrte, wie Körper und Geist
für achtsame Menschen in Einheit verbleiben,
dass Leiden nicht gleich Verzweiflung heißt,
musste die Kunst bei sich selbst auch betreiben.

Lächelnd hat er stets ums Leichtsein geworben
und ward von der Sangha als Meister verehrt.
Und als er dann zehn Jahre später gestorben,
hatte er sie auch durchs Schweigen belehrt.

Gutsein

Gutsein ohne Gutseins Folgen zu bedenken
und blind die Schritte ins Verderben lenken.
Auf Justizias Waage:
Die Taten deiner Tage.
Nach welcher Seite wird sich’s senken?

Paralysiert mich dieses Denken doch am Ende?
Hält jedes Handeln doch parat die eigne Wende.
Ist’s doch banaler?
Der Pfad des Gutseins schmaler?
Ich wünsch mir Mut: Komm, nimm dein Leben in die Hände.

Verliebt

Jetzt weiß ich es: Sie liebt mich.
Denn sie hat’s mir gesagt.
Ein solches Glück, das gibt’s nicht
im heut’gen Liebesmarkt.

Ich kann mein Glück kaum fassen.
Ich schrei es vom Balkon.
Solln mich die andern hassen.
Ich sing den Liebs-Song

Ihr schöbet hundert Früste,
(Ich weiß, was sie mir gibt)
wenn einer von euch wüsste:
Ich bin ja so verliebt.

Quelle der Moral

Das neuste Ding in der Biologie:
Auch Affen kennen die Moral.
Sie sprechen nicht darüber, und doch wissen sie:
Es ist nicht gut, wenn einer etwas stahl.

Sie brauchen dafür Gott nicht, keinen Dekalog
und keinen, der sie stets belehrt.
Die Überbauten, die der Mensch stets mit sich zog,
die warn ja wohl von Anfang an verkehrt.