Armut

Ganz langsam kroch die Armut in die Stadt.
Mach einer fror, manch einer wurd’ nicht satt.
Bald schliefen viele unter Brücken,
die Augen müd, die Körper matt.
Und Rücken wärmte sich an Rücken.

Ganz langsam kroch die Armut in die Hirne.
Die Sorge zeigte sich auf jeder Stirne.
Der Hass entflammt. Das Wir verbrennt.
Das Herz wird hart und dumm die Birne,
wenn keiner was dem andern gönnt.

Trost vom Feinde

Als ich in Trauer, reichte mein Feind mir die Hände.
Wie transzendent erschien mir jener Trost,
also ob der heiße Schmerz uns nun verbände,
als brächte der grausame Tod auch die Wende.
Zwei Trauergäste, zusammenzustehen gelost.

Die Zeit ließ den Schmerz verglimmen und bald war’s beim Alten:
Er verabscheute mich, als sei ich die Pest.
Ihm auszuweichen unmöglich. Ich konnt seinen Hass nur verwalten.
Doch ich werde wohl immer in Erinn’rung behalten,
wie er hielt mich zum Trost. So fest. So fest.

Dresche

Prügelst zuweilen dein Kind,
mal ein Klaps, manchmal Dresche.
Schaut es belämmert aus der Wäsche,
die Verhältnisse geordnet sind.

Schlägst es ja nur, wenn du musst,
maßvoll, bewusst
die Grenze gesetzt,
so dass es lernt zu verstehen,
den rechten Weg zu gehen,
und nie, dass es sich verletzt.

All die Gründe – was für ein Mist!
Du schlägst dein Kind fürwahr,
weil du, und das ist sonnenklar,
siebenmal stärker bist.

Undankbarkeit

Wie kannst du Dankbarkeit erwarten?
Geht es um andre oder dich?
Sieh, deine Taten stehn für sich.
In deines Lebens Blumengarten
gedeihen sie ganz ordentlich.

Erwartungen zu unterwandern,
zumal die eignen, scheint mir klug.
Tu und vergiss in einem Zug.
Die Dankbarkeit gilt nie dem andern.
Sie ist dich selber gut genug.

Schuld

Die Freundinnen saßen so freundlich beisammen.
Recht flink trat ich ein wie ein frierendes Frettchen.
Sie schauten kaum auf, als ich rasch meine klammen
Velourschuhe auszog. Ich kam aus dem Städtchen.

Ein lockerer Gruß, denn ich wollt sie nicht stören.
Für mich war’s ein Scherz, für sie klang es wie Hohn.
Fast hätt ich vermutet, sie könnten’s nicht hören.
Die Älteste eilte zum Münztelefon.

Ein Wort gab das andre. Und untereinander
zerstritten sie sich. Während ich nur noch schwieg
und in den Gedanken viel weiter schon wanderte,
herrschte bei diesen Gespielinnen Krieg.

Des Menschen Wert

Wie solln wir eines Menschen Wert erkennen?
Man sagt, es zählt, was Gutes er getan.
Ist er geduldig? Lebt er wie im Wahn?
Wer kann die Kriterien hier benennen?

Versteht er wohl, sein Leben zu genießen?
Vermag zu lindern er des andern Leid?
Ist er bewusst sich der Vergangenheit?
Und kann mit ihm die Freude fließen?

Führt dieses Denken auf die falschen Fährten?
Der Gutes-Tuer mehr wert als ein Kind?
Wir alle, auch der Schurke, Kinder sind.
’s ist sinnlos, Menschen zu bewerten.

Nachtgedanken

Die Augen weit zu nächtlicher Stunde.
Von welchem Traum bin ich aufgeschreckt.
Konfuse Gedanken drehen die Runde,
die tief im Unterbewussten versteckt.

Ich hätte die Palme längst gießen müssen.
Hat Jens mich beleidigt? Oder ich ihn?
Schlaf ich gleich ein oder geh ich jetzt pissen?
Ist 1517 prim?

Wenn niemand mehr stirbt, was bedeutet dann Leben?
Jetzt zähl ich Schäfchen. Bei Drei lass ich’s sein.
Klingling, Es ist Zeit nun, sich zu erheben.
Ich schalt den Wecker aus und schlaf ein.

Nachlass

Du liegst still im Sterbehaus.
Wir leer’n deine Wohnung aus.
Teppich, Schränke, deine Kleider
müssen fort nun, leider, leider.
Ja, du hast daran gehangen.
Was ist damit anzufangen,
wenn die einzge, die’s geliebt,
alle Viere von sich schiebt?
Fünfzig Fotoalben – bitter,
Strickpullover und die Zither,
dein Barrett, die alte Uhr
– all das holt die Müllabfuhr.
Nur dein Bild mit Eugen Schmidt
nehm als Andenken ich mit.
Wir leer’n deine Wohnung aus.
Du liegst still im Sterbehaus.

Lied für Pflaumendorf (Plum Village)

Reicht euch die Hände! Erkenne dich selbst in dem andern.
Nimm dir die Zeit, um mit ihm ein Stück Weges zu wandern.
Lös dich vom Bald.
Was gestern war, ist schon alt.
Lasst eure Liebe mäandern.

Reicht euch die Hände! Nun seht, ihr seid gleich unter Gleichen.
Arme sind reich hier und hilfebedürftig die Reichen.
Nichts zählt dein Gut.
Gut ist nur, was man auch tut.
Davon wolln wir hier nicht weichen.

Die Freigiebige

Du gabst mir Halt, warst mir ein Boot, Decke zur Nacht.
Dein Arm. Und ein Busen schwang mir vorm Maul.
Geschlagener Falbe wurde rasch erwärmt.

Ein Atem. Mund zu Mund.

Aus einem müden Manne – Achill erwacht,
heiß bittet er um mehr.
Freigiebig tränkt sie mein Fell mit warmer Nässe,
bis bald sie selber wund und dürstend jammert.

Acht solcher Nächt und Tage, dann war ich gesund.
Entließen einander. Dankbar der eine.

Menschenkenntnis

Zweierlei Fähigkeiten brauchst du im Umgang mit Menschen.
Wohl dir, wenn du beide beizeiten zu nutzen verstehst.
Die eine – den Leuten ins Herz zu schaun – braucht Erfahrung
und mehr noch – das Mitgefühl für das Leiden und Streben des anderen.
Den feinen Sinn dafür entwickeln manche erst spät.
Die andre – frisch zu sehen ein jedes Menschengesicht
und fallenzulassen all das, was man glaubt, längst schon zu wissen,
sich also zu lösen von der Ersten, die so schwer erworben.
Schätz keine gering. Dein Wissen werde dir nicht zum Hochmut,
die Frische zur Narrheit nicht. Vereint helfen sie dir und andern.

Rache

Wir hätten gerne Rache genommen.
Denn schließlich hatte sie uns verraten.
Doch hurtig war sie uns doch noch entkommen.
Wir gingen zur Feier in Hassemers Garten.

Mir selbst war an Rache nicht viel gelegen,
ja, wie hätten wir uns denn rächen sollen?
Simones Verrat schien mir ziemlich verwegen,
vielleicht hat sie uns provozieren wollen.

Am Abend beim Feiern sah ich sie wieder.
Halb saß, halb lag sie auf Oliver drauf.
Fassungslos setzte mein Weinglas ich nieder.
Jörg meinte: „Sei nicht so neidisch, Dan. Sauf!“

Die Zigarette

Letzte Krümel aus der Tüte
rasch ins Paper eingerollt,
angezündet, bis sie glühte,
hab es selber so gewollt.

Dachte, man könnt Freundschaft zeigen,
wenn man sich ’ne Kippe teilt.
Wenn die Räuchernebel steigen,
hab ich mich dran aufgegeilt.

Und für alle, die es wissen
wollen, hier, damit ihr’s wisst:
Keine Fluppe will ich missen,
was ’ne glatte Lüge ist.

Der Weise

Wenn andre stritten, schwieg Bernardo sanft,
doch sparte später nicht die Schlichterworte.
Und schlug ihn Kummer, war’s ihm wie ein Spiel:
Was kann ich lernen aus des Schicksals Schlingern?
Wo er sich aufhielt, wohnte Heiterkeit,
die noch verblieb, wenn er gegangen war.
Nun ist er fort. Für immer oder lang?
Wir fragen täglich: Was würd’ er jetzt tun?
Geschenk, den Weisen Freund zu nennen.
Wir warn schon alt; Bernardo zweiundzwanzig Jahr.

(Ich weiß noch diesen Geruch…)

Ich weiß noch diesen Geruch:
Der frische Schnee, Holz und Abort.
Bevor man hinausging der Spruch:
Bleib nicht zu lange noch fort!
Beim Bäcker – Kaninchen in Ställen.
Den Roggenmehlsack schleppt Fritz.
In den Eimer neben den Fellen
ist munter ihr Blut reingespritzt.
Ich weiß noch, das alte Mariechen
durfte zwei Eimer Wasser sich holen.
Im Federbett nachts konnt ich riechen:
Den schwindenden Rauch der Kohlen.
Bei Stille im nächtlichen Dunkel
ein Schluckauf mir Abwechslung bot.
Ich weiß noch der Alten Gemunkel:
Schon gehört? Die Frieda ist tot.
Ich weiß noch: Die Wanne aus Zink.
Fürs Bad mit Gas Wasser erhitzt.
Oma mit Tränen zum Abschied winkt,
die Hand leicht am Zaun gestützt.