Begegnung am Bahnhof Zoo

Zum Bahnsteig hoch! Mir schmerzten schon die Beine,
so rannte ich. Die Türen gingen zu.
Der Zug fuhr fort, doch ich war nicht alleine.
Am andern Ende dieses Bahnsteigs: Du.

Ein Lächeln, so als kennte man sich ewig.
Drei Stunden, und dann kommt die nächste Bahn.
Spaziern im Zoo. Und vor dem Puma-Käfig
hast du den Tau gewischt aus meinen Haarn.

Du schautest auf den Grund von meinem Wesen.
Ich weiß, ich sah auch deine Seele klar.
So wie verbotnes Tagebücherlesen,
so nackt, so tief und ungeheuer wahr.

Die Zeit! Der Zug! Vorbei am lila Flieder.
Den Bahnsteig hoch! Zum Abschied schnell umarmen.
„Am Sonntag hier!“ Ich sah dich nie mehr wieder.
Und ach, ich kannte nicht mal deinen Namen.

Auf der Suche nach dem Glück

Klar: Wir können unser Glück nicht halten.
Glücklich werden können wir versuchen.
Glück ist flüchtig. Und bald ist’s beim Alten:
Dass wir jedem unsrer Tage fluchen.

Weiser scheint’s, mit Glücklichsein zu starten.
Denn das Werden ist im Sein bereits verborgen.
Vorteil: Ich muss gar nicht lange warten,
ob das Glück kommt vielleicht übermorgen.
Jeder Tag ist meines Glückes Garten,
find mein Glück ich selbst in meinen Sorgen.

Richtig popichtig

Fein geblasen die Oboe!
Stolz neigt sich der Oboist.
Kein Verriss ihm heute drohe,
weil’s so hübsch geraten ist.

Und der Kritiker nückt wüchtig:
„Sein Spiel war heute ziemlich gut.
Jeder Ton präzis und richtig,
wie man’s mit Oboen tut.“

Doch war Richtigkeit im Grunde
nie des Oboisten Ziel.
Spiel’n wir frei wie junge Hunde,
finden wir den eignen Stil.

Der Erfahrungssammler

Wieviel darf ich aus dem reichen Leben kosten?
Tausend Früchte werden überall serviert.
Ja, was ist schon Leben, wenn man’s nicht verziert?
Muss mich ganz trainieren, will ich nicht verrosten.

Bereist die Welt – den Norden, Süden, Westen, Osten.
Erfahrung auf Erfahrung hab ich aufgetürmt.
Wer mich aufgehalten, dem hab ich gezürnt.
Und so finde ich mich auf verlornem Posten.

Erfahrungen hort’ ich wie einen Haufen Plunder.
Ungeordnet bleiben eitle Sensationen.
Wollte ich in diesem Chaosleben wohnen?

Wie genießt man nur des Lebens wahre Wunder?
Innehalten nach dem allzu wilden Tanz.
Der Schmetterling ahnt nichts von seiner Eleganz.

Wannisanmannanmann

(Später Nachtrag zu H. Grönemeyers Reflexionen)

Bist ein Mann, wenn ohne Zagen
du erträgst des Tages Plagen?

Schlägt ein Mann, wenn’s sein muss, frisch
die Faust recht laut mal auf den Tisch?

Oder gilt dem Manne Achtung,
der sich still übt in Betrachtung?

Oder ist nur der ein Mann,
der alles fließen lassen kann?

Doch bisweilen denk ich schlau:
Man ist’s durch Gegenteil – die Frau.

O du heilige Antike

Wenn die Griechen Felder pflügten,
sind sie da in Togen rumgeeiert?
Wurden Gladiatoren angefeuert?
Im alten Rom? Auch wenn sie nicht siegten?

Jeder zweite Römer war ein Krieger,
jeder zweite Grieche Philosoph.
Für die Zivilisation schön doof:
Am Ende blieben die Barbaren Sieger.

Jerusalem, Athen und Babylonien.
Sie hatten’s schwer, doch heute ham wir’s schwerer.
Pyramiden, Rad, Theater, Geld,
mediterranes Wetter, schöne Welt.
Wir finden unser Selbst in jener Ära.
Oder sind’s nur unsre Projektionen?

Wahn des Liebenden

Wie froh bin ich, dem Wahn verfalln zu sein,
ich könnt allein nicht leben.
Ich brauche keinen Therapeuten,
die Heilung würde ich ihm nicht verzeihn.

Im Irrenhaus hab ich’s mir eingerichtet,
die Schlüssel weggeworfen.
Und du bist meine Wärterin,
die treu mir von der Außenwelt berichtet.

Drum bitt ich dich: Gib nie mir diese Chance,
Alleinsein zu erfahren.
Zu wissen, ohne dich wär’s möglich,
würf mich ganz aus der seelischen Balance.

Erzähler und Lächlerin

Im Restaurant, da sitzt ein Typ,
der hat sich selbst am liebsten lieb.
Die Frau, die mit am Tische sitzt,
recht höflich ihre Ohren spitzt.
Doch bald schon lächelt sie gequält,
da er ja nur von sich erzählt.
Wie er einmal beim Attaché…
Sie rührt gelangweilt im Kaffee.
… und mit dem Botschafter per Du.
Sie lächelt, doch sie hört kaum zu,
und sieht ihn freundlich dabei an,
wenn er erzählt, der Gockelhahn.

Solche Frau’n ich nicht versteh.
Zieh ihm eine rein und geh!

Spielplatz April Ungemütlich

Eine kühle Brise weht durch den Spielplatz.
Im feuchten Sand ein verlornes Muschelförmchen.
Lustlos wird die Babyschaukel ausprobiert.
Die Hose eingesaut beim Rutschen,
was der Mutter egal ist,
weil ihr alles egal ist,
weil sie müde ist,
keine Türkin.
Ein Zweijähriger hackt auf die Buddelumrandung.
„4. Dezember 19..“ Granit.
Friedhofsschrott.
Musste das jemand in einem Amt genehmigen?
Schaut dieser Jemand jetzt aus dem Fenster und
sieht denselben Nieselregen
wie ich?

Ein feines Mahl

Sanfter Dampf dem Barschfilet entweicht.
Schwarzgrün schlängelt sich die Algenpasta.
Ein 12er Sauvignon passt fast ins Raster,
wenn man gleich vor dem Barsch ihn reicht.

Die Nudeln weich, der Wein wirkt heut recht leicht,
den Gaumen kitzelt’s wie ein böses Laster.
Mango-Mousse in Schal’n aus Alabaster.
Und endlich dem Gourmet ein „Öps“ entschleicht.

Aus der Küche dringt profanes Klirr!
„Die Rechnung bitte, wenn ich mich nicht irr.“
Aus der Tür mit Männlein – dumpfer Mief.

„Nun komm, Schatz!“ – „Warte doch, dein Hut sitzt schief.“
Am Taxistand Gedrängel und Gewirr.
Der Koch wischt drinnen Gräten vom Geschirr.

An den Narren

Woher kommt die Zuversicht?
Woher kommt die Blindheit?
Alt, und kennst das Leben nicht,
steckst du in der Kindheit.

Mutig sollen wir dich nennen
und wir täten’s auch,
könnten wir nur mal erkennen:
Geist führt deinen Bauch.

Dumme Taten schaden doppelt,
wenn ein Mächtiger sie tut.
Kopf und Herz und Hand entkoppelt.
Leichtsinn ist des Dummen Mut.

Schnurzgedicht

Ich kannte mal ein Mädchen,
das war so schlau und schön,
aus einem Schweizer Städtchen.
Wer könnt da widerstehn.

So stilvoll und bescheiden,
so herzlich und so nett.
Und jeder konnt sie leiden
und wollt mit ihr ins Bett.

Dann lernte sie mich kennen
und fragte mich recht lieb:
„Komm, willst du mit mir pennen?“
„Nee. Du bist nicht mein Typ.“

Am Ende noch mal kurz:
(Ich hoff, ihr könnt’s erfassen.)
Man muss zusammenpassen.
Der Rest ist ziemlich schnurz.

Bewunderung einer Schauspielerin

Ich weiß, wo sich des Schreitens Anmut
paart mit irrem Spieldrang hellen Geistes.
Sie mimt, die Kartoffeln zu wässern auf leerer Bühne
– Greisin im Garten, gehasst vom Sohn.
Wo lockend lächelnd die kindhafte Dame
ihr Recht aufs Paradies zu erwirken sucht,
dann auf dem U-Bahn-Sitz röchelt.
Und selbst als alle lauthals klagen
ihr Leid über ’ne tote Ballerina,
bleibt ihr Schweigen am Grabe kräftiger.
Grazer Witz zerstäubt.
Des Zaubers Wirken wagt man nicht zu stören.
Gefesselt vom Wogen des Todesspiels.

Einer

Ach, könnt’ mein Auge lächeln mit der Welt.
Die Tränen rinnen.
Und nichts, nichts kann ich
heute beginnen.

Ach, graden Rückens lief ich gern durchs Leben.
Ich wandre gebeugt.
Von Gram und Schwächlichkeit
mein Gehen zeugt.

Ach, könnt ich freien Herzens singen.
Ich bleibe stille.
Und so auch ich die Welt
mit Unglück fülle.

Besitz-Anzeige

Besitze einen Ahornschrank
und fünftausend Bücher,
Kleidung, Nahrung, eine Bank
und Geschirrhandtücher.

Besitze Geld und auch zwei Brillen
und wahrscheinlich Bürgerrechte.
Ich besitze einen Willen.
Aber ist’s der echte?

Tauch ich abends in den Fluss
bin ich ganz befreit.
Alles Haben, alles Muss
nimmt hinweg die Zeit.

Übung in Zuversicht

Narzissen trotzen letzter Kälte.
Die Ringeltaube legt ihr Ei.
Der Winter bricht nun ab die Zelte.
Die Zeit der Düsternis – vorbei.

Die Birken hinterm Schrottplatz grünen.
April wagt kecke zwanzig Grad.
Mein Zug fährt sicher auf den Schienen.
Auf Feldern keimt die erste Saat.

Wenn Hass und Trug den Tag versauen,
dann such ich mir Stabilität
und lerne so erneut Vertrauen
und Hoffnung, ohne die nichts geht.

Volksbank

Taxi-Halte. Die Volksbank. KW.
Ich wart auf den Zug. Im Pappbecher Tee.
Ein klingelnder Kasten im Bahnhofs-Bistro.
im Brandenburger Nirgendwo.
Düdelidüt und Klackerdiklocker,
So lockt die Box den alten Zocker.
Das Gerät wird gefüttert. Seine Nahrung sind Münzen.
Mit Lebenszeit zahlt der Alte die Zinsen.
Das Geld reicht dreißig Minuten lang.
Gleich ist es alle. Er schielt schon zur Bank.