495.-498. Nacht – Omikron und Beförderungs-Erschleichung

495.-498. Nacht – Omikron und Beförderungs-Erschleichung

Sobald die Nachricht über die Omikron-Variante heraus war, äußerten die Virus-Spezialisten, dies sei kein Grund zur Panik. Ich frage mich, wann die mal vor die Kameras treten und sagen: „Meine Damen und Herren! Wir bitten Sie jetzt alle, so richtig panisch zu werden.“
Ansonsten darf man sich durchaus freuen, dass der in Allgemeinwissen  und Popkultur eher unterrepräsentierte Buchstabe Omikron, der sich übrigens „O“ schreibt, auch mal im Rampenlicht steht.
Betrüblich in der letzten Woche: Nachdem ich jahrelang bei meinen abendlichen Fahrten eine mit meiner Frau geteilte Jahreskarte dabei hatte, haben wir sie im Frühjahr abgeschafft, fuhren viel Fahrrad und kauften die wenigen Tickets online. Prenzlauer Allee. Kontrolleure. Ich erkenne sie an ihrem Hochstatus schon beim Einsteigen – diese Haltung, die signalisiert „Der S-Bahn-Wagen gehört mir.“ Sie finden auch prompt ein paar Opfer, aber nicht genügend, um mir einen Zeitvorsprung zu verschaffen. Ich fummle hektisch an meinem Handy, aber der Gorilla brummt: „Ich sehe in der Scheibe, dass Sie versuchen, noch schnell ein Ticket zu kaufen.“ In meinen frühen Zwanzigern, als mir das ein, zwei Mal pro Jahr passierte, bin ich dann meistens mit ausgestiegen und weggerannt. Aber weder habe ich noch diese Schnelligkeit noch den hohen Leidensdruck. Und so steht mein Name jetzt in der Beförderungs-Erschleicher-Datei des VBB.

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495. Nacht

(Fortsetzung von Die Geschichte der Schlangenkönigin)

Bevor die Schlangenkönigin die Geschichte von Bulûkija fortsetzen kann, bittet Hâsib Karîm ed-Dîn sie, ihn wieder an die Erdoberfläche zurückzuführen.

Bei diesem Narrativ könnte auch jedem anderen der Kragen platzen, und man muss sich wundern, dass Schehrezâd nicht um ihr Leben fürchtet.

Die Schlangenkönigin aber prophezeit, dass sobald Hâsib an die Oberfläche käme, er ins Badehaus gehen würde, dort die Waschung vornehmen, und dann wäre es um sie, die Schlangenkönigin, geschehen. Trotz seiner Schwüre, dies nicht zu tun, lässt sie sich nicht umstimmen, da Hâsib ein Sohn Adams sei, der den Bund mit Allah gebrochen habe. Zehn Tage weint er nun, bis er sich schließlich einkriegt und sie resigniert zum Weiterplaudern ermutigt:

„Erzähle mir, wie es Bulûkija erging…“

Bulûkija nimmt Abschied vom König und begegnet auf seinen weiteren Wanderungen den Erzengel Michael sowie vier Engel in Gestalt eines Menschen, eines Raubtieres, eines Vogels und eines Stieres hatte.

(Die Symbole der vier Evangelisten - auch Tetramorph)

Er wandert weiter und gelangt zum Berg Kâf.

Der Erzähler nimmt keinerlei Bezug darauf, dass Bulûkija hier schon mal war.

Auf diesem Berg trifft er, man kann es sich schon denken, wieder einen Engel, dessen Aufgabe es ist, auf Befehl Allahs Dürre oder Überfluss, Krieg oder Frieden zu schaffen.

496. Nacht

Der Engel erklärt weitere Mythen, unter anderem:

„Hinter dem Berge Kâf liegt noch ein Gebirge, das einen Weg von fünfhundert Jahren lang ist, und es besteht ganz aus Schnee und Eis. Dies Gebirge ist es, das die Hitze des Höllenfeuers von der Welt abwehrt.“

497. Nacht

Die Hölle, so ein weiterer Mythos, von dem der Engel erzählt, ist ein Pfand, das Allah der Schlange anvertraut hat:

„Öffne deinen Rachen!“ Und als das Ungeheuer seinen Schlund aufgetan hatte, senkte Allah die Hölle in seinen Bauch und sprach: ‚Bewahre die Hölle bis zum Tage der Auferstehung.'“

Wie wir aber von der Schlangenkönigin erfahren hatten, wohnen doch die Schlangen in der Hölle. Man hat fast den Eindruck, der Erzähler stellt all die Engels- und Höllenmythen nebeneinander, um ihre Inkompatibilität zu demonstrieren.

Bulûkija wandert weiter und trifft auf ein von zwei Wächtern behütetes Tor, das diese ihm nicht öffnen dürfen. Daraufhin bittet er Allah, ihm den Erzengel Gabriel zu senden, der das Tor öffnen möge.
Dies geschieht auch. Und hinter dem Tor befindet sich ein riesiges, von einer Bergkette umgebenes Meer. Auf den Spitzen dieser Berge sitzen, dreimal darfste raten,

Engel, deren Amt es war, zu lobpreisen und zu heiligen.

Er findet schließlich den Weg zum Meer, schmiert sich wieder die Füße mit der Kräutersalbe ein und begegnet anderen, die ebenfalls übers Meer wandeln. Es sind dies die beiden Erzengel Gabriel und Michael. Verwundert wandert Bulûkija weiter.

498. Nacht

Auf der Wanderung begegnet Bulûkija nun einem weinenden Jüngling, der zwischen zwei Grabstätten sitzt.

Hâsib unterbricht die Schlangenkönigin abermals und bittet sie, ihn nach oben zu führen, was sie ihm abermals verwehrt. Er weint,

und alle Schlangen weinten um seinetwillen und begannen für ihn bei der Königin zu bitten. (…) Als nun Jamlîcha – denn also war die Schlangenkönigin geheißen – diese Bitte von ihm hörte, wandte sie sich zu Hâsib und ließ ihn schwören.

Nach über fünfzig Seiten erfahren wir nun ihren Namen, als würde er jetzt noch eine Rolle spielen.

Sie befiehlt einer Schlange, ihn nach oben zu bringen.

Aber als sie schon bei ihm war, um ihn hinauszuführen, sprach er doch noch zu der Schlangenkönigin: „Ich möchte, dass du mir die Geschichte des Jünglings erzählst, bei dem Bulûkija sich niedersetzte.“

492.-494. Nacht – Die 32 besten Beatles-Songs und die sieben Schichten der Hölle

492.-494. Nacht – Die 32 besten Beatles-Songs und die sieben Schichten der Hölle

Soll man sich wirklich die acht Stunden „Get Back“ antun? Wer weiß, vielleicht wird es am Ende traurig, und die Beatles lösen sich auf.
Schon vor einem halben Jahr habe ich eine Liste meiner Lieblings-Songs erstellt. Eigentlich hört man ja im späten Teenager-Alter auf, Lieblings-Irgendetwas zu haben. (Frag mal jemanden nach seinem Lieblingsessen, er soll in drei Sekunden antworten. Fast jeder nennt Kinder-Favoriten – Pizza, Spaghetti, Pommes.) Aber Nerds lieben Listen. Ich bin einer. Also bitte schön:

1. Nowhere Man

2. Strawberry Fields Forever

3. A Day in the Life

4. Eleanor Rigby

5. Penny Lane

6. Help!

7. Girl

8. In My Life

9. Across the Universe

10. For No One

11.The Fool on the Hill

12. Yesterday

13. Here Comes the Sun

14. All My Loving

15. Norwegian Wood (This Bird Has Flown)

16. A Hard Day’s Night

17. I’ve Just Seen A Face

18. The Inner Light

19. I Should Have Known Better

20. Hey Jude

21. Revolution[l]

22. I Want to Hold Your Hand

23. All You Need Is Love

24. Any Time at All

25. She Loves You

26. Here, There and Everywhere

27. Because

28. The End

29. Cry Baby Cry

30. Eight Days a Week

31. If I Fell

32. Within You Without You

Davon ist nur eines auf „Let it Be“ (Across the Universe) erschienen.
Acht Songs sind ursprünglich auf Singles veröffentlicht worden.
Vier auf „A Hard Day’s Night“.
Jeweils drei auf „Rubber Soul“ und „Revolver“, „Abbey Road“ und „Help“.
Zwei auf „Sergeant Pepper…“
Und je eines auf „With The Beatles“, „Beatles For Sale“ und „White Album“.
Keines von „Please Please Me“.
Das entspricht auch fast meiner persönlichen Albums-Rangliste. Mit der Ausnahme, dass sich für meinen Geschmack auf „Help“ zu viel Füllmaterial befindet und auf dem Weißen Album viele schönes Songs, die es lediglich nicht auf meine Top-32-Liste geschafft haben.
Von diesen Liedern sind 16 hauptsächlich von John, elf von Paul, fünf in enger Kooperation der beiden entstanden und nur drei von George.

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492. Nacht

(Fortsetzung von Die Abenteuer Bulûkijas in Die Geschichte der Schlangenkönigin)

Eine der kämpfenden Parteien reitet auf Bulûkija zu und erklärt ihm, zu einer Schar zu gehören, die jährlich auf Befehl Allahs gegen die ungläubigen Geister kämpfe. Sie leben im Weißen Land, das

fünfundsiebenzig Jahre hinter dem Berge Kâf

liege.

Ich habe diese Entfernungsangaben in Zeiteinheiten nie verstanden. In den USA macht es mich regelrecht aggressiv. Was weiß denn mein Gegenüber, wie schnell ich zu Fuß bin oder ob ich überhaupt mit dem Auto fahren will. (Zugegebenermaßen hat man oft keine Alternative zum Auto.)

Die Reiter führen Bulûkija zu ihrem König.

493. Nacht

In großen Schüsseln werden unter anderem gesottene Kamele gereicht.

Dass diese Tiere halal (wenn auch nicht koscher) sind, war mir bisher nicht klar.

Man speist zusammen, und der König erklärt Bulûkija den siebenschichtigen Aufbau der Hölle.

„O Bulûkija, Allah der Erhabene hat die Hölle in sieben Schichten geschaffen, eine über der anderen, und zwischen je zwei Schichten liegt ein Weg von tausend Jahren: Die erste Schicht hat er Dschahannam genannt, und die hat er für die Sünder unter den Gläubigen bestimmt, die ohne Reue sterben. Die zweite Schicht heißt Laẓâ, und die hat er für die Ungläubigen bestimmt. Die dritte Schicht heißt al-Dschaḥîm, und die hat er Gog und Magog zugewiesen. Die vierte heißt as-Sa‘îr, und die ist für das Volk des Teufels. Die fünfte heißt Sakar, und die ist für die, so das Gebet versäumten. Die sechste heißt el-Hatama, und die ist für die Juden und Nazarener bestimmt. Die siebente aber heißt al-Hâwija, und die hat er für die Heuchler bestimmt. Dies sind die sieben Höllenschichten.“

Die Beschreibung ist gewiss nachkoranisch, aber ich frage mich, ob sie eher dem Volksglauben zuzurechnen ist, theologisch ernstgenommen wird oder eine reine Beschreibung des Verfassers der Bulûkija-Story ist.

Es folgt eine ausschweifende Beschreibung der Genealogie des Teufels.

494. Nacht

Der König fährt fort, Bulûkija die Nachkommen des Oberteufels Iblis zu erklären, welche Satane seien.
Nach all den mythologischen Erklärungen bittet Bulûkija nun, von den Geisterreitern in die Heimat gebracht zu werden. Das geht aber nicht so einfach. Allenfalls kann ihm der König eine mit zwei gesottenen Kamelen beladenen Super-Stute überlassen, die Bulûkija an die Grenze dieses Reiches führen könne.

„Hüte dich aber, von ihr abzusteigen oder sie zu schlagen, oder ihr ins Ohr zu schreien, denn wenn du das tust, so wird sie dir den Tod bringen.“

Wären wir bei den Grimms oder irgendeinem anderen europäischen Volksmärchen, so wäre diese Aufforderung eine Garantie dafür, dass Bulûkija genau diese Regel bräche. Aber da diese Geschichte offenbar nur dem Zweck dient, Bulûkija (stellvertretend für alle Zuhörer oder Leser) mit islamischer Mythologie vertraut zu machen und nicht eine kohärente Story zu erzählen, in der der Held die Konsequenzen seines Tuns erfährt, brauchen wir uns keine Sorgen um ihn zu machen.

Nach zwei Tagen schnellen Reitens, in der die Entfernung von 70 Monaten zurückgelegt wurde, trifft er den Bruder des vorherigen Königs – Barâchija.

Meine Lieblingspodcasts, der Berg Kâf, konsequenzloses Erzählen – 489.-491. Nacht

Als 2020 die Covid-Pandemie begann, legte ich mir einige seltsame Gewohnheiten zu. Zum Beispiel begann ich Podcasts zu hören, eine Tätigkeit, die andere anscheinend im Auto ausführen. Bis dahin hatte ich eine gewisse Abneigung gegen dieses Medium. So kann ich immer noch keine Audiobücher ertragen. Das betuliche Geseiere der allseits hochgelobten Theater-Sprecher geht mir auf den Kranz. Allerdings habe ich schon seit langem immer wieder mal (vor allem beim abendlichen Wohnungsputz) exotische Talk-Radio-Stationen gehört und war damit dem, was ich heute bei Podcasts finde gar nicht so weit entfernt. Außerdem glich ich mit Podcasts den Umstand aus, dass ich mich nur noch sehr schwer auf lange Texte, also Bücher, konzentrieren konnte.
Hier meine Erfahrungen und Bewertungen nach anderthalb Jahren:
Beginnen wir mit True Crime. Ich habe keine Ahnung, warum dieses Genre ausgerechnet auf Podcasts so populär ist. Das Äquivalent – True-Crime-Zeitschriften – ist ja eher übersichtlich. Vielleicht lässt es sich ja schöner beim Zuhören gruseln.

Eingestiegen bin ich bei Stern-Crime. Der Podcast nimmt wesentlich die Perspektive der Ermittler ein. Interessante Studiogäste, etwa Kommissare, die von ihrem bedeutendsten Fall berichten oder eine Hundeführerin, die wesentlich zur Aufklärung schwerer Fälle beigetragen hat, machen den Podcast spannend. Mit den Sprechern hatten sie nicht immer ein gutes Händchen – heisere Stimmen, mädchenhaftes Gekicher bei kuriosen Fällen (einmal sogar bei der Beschreibung eines Folterzimmers, in dem junge Frauen gequält wurden) und übermäßig detailliert beschriebene Grausamkeiten haben mich Passagen oder auch ganze Folgen überspringen lassen.

Sprechen wir über Mord mit Holger Schmidt und dem ehemaligen Präsidenten des Bundesgerichtshofs Thomas Fischer.
Interessante Fälle, die vornehmlich aus der juristischen Perspektive diskutiert werden. Man wird aber das Gefühl nicht los, dass die beiden zusammengecastet wurden und nicht so recht miteinander warm werden. Schmidt versucht immer wieder auf die emotionale und anekdotische Ebene zu springen, was Fischer fast immer blockiert. Seine Standard-Antwort: „Dazu kann ich nichts sagen. Ich habe ja die Akten nicht gelesen.“ So sehr ich Fischer schätze, in diesem Podcast ist er eine Fehlbesetzung.

Zeit Verbrechen
Derzeit für mich der beste True Crime Podcast. Sabine Rückert und Andreas Reickert ergänzen sich perfekt. Rückert manchmal etwas emotional und in einem selbstgerechten Ton, aber sie verlässt nie die Sphäre des seriösen Journalismus. Die Experten stets kompetent und auskunftsfreudig. Höhepunkt: Die dreiteilige Serie zum Fall Kachelmann, einem Tiefpunkt der deutschen Justiz.

Es ist ein Klischee, dass man sich mehr für Geschichte interessiert, je älter man wird. Die menschlichen Ereignisse rücken quasi näher. Vom Jahr Null bis heute sind es nur 70-80 Generationen.
Mein Einstieg war hier History of Rome, dem ich aber wegen seines schweren Akzents kaum folgen kann, wenn ich gleichzeitig den Geschirrspüler ausräume.

Hervorragend der nur halbjährlich erscheinende Podcast Fall of Civilisations, mit meiner Lieblingsfolge „The Greenland Vikings“, in der geschildert wird, wie eine Kombination aus kleineren politischen Ereignissen, klimatischen Veränderungen und der europäischen Pest dazu führte, dass eine kleine aber scheinbar stabile Zivilisation in Grönland unterging.

Mein Favorit ist allerdings Geschichten aus der Geschichte mit Daniel Meßner und Richard Hemmer, die einander mit süddeutschem bzw. österreichischen Akzent unbekannte Geschichten aus der Vergangenheit berichten.

Baywatch Berlin ist auf jeden Fall als Comedy Podcast zu loben. Anderthalb Stunden improvisierte gute Laune. Dabei werden alle Ebenen des Humors gleichzeitig bedient – vom dreifachbödigen Kalauer bis zur intellektuellen Anspielung, wie bei zu den besten Zeiten der Chaussee der Enthusiasten. Klaas Heufer-Umlauf, Jakob Lundt und Thomas Schmitt kennen sich jahrelang und sind so aufeinander eingespielt, dass es praktisch keinen Leerlauf gibt. Allerdings sind mir 90 Minuten meist zu viel, so dass ich Baywatch nur noch selten höre.

Ähnlich geht es mir mit The Good Fight von Yasha Monk, der mit einer Halb-Insider-halb-Außenseiter-Perspektive die amerikanischen politischen Konfliktlinien seziert.

Und schließlich empfehle ich den Wirtschafts-Podcast Wohlstand für alle von Ole Nymoen und Wolfgang Schmitt, zwei jungen Wirtschaftswissenschaftlern, die mit außerordentlichem Fachwissen und einem schier grenzenlosen Lektürehunger aktuelle und auch zeitlose Wirtschaftsfragen aus einer dezidiert linken Perspektive behandeln. Ich vermute, man muss diese Perspektive übrigens nicht unbedingt teilen, um den Podcast zu genießen, aber das müsste mal ein Neoliberaler beantworten.

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489. Nacht

Die Schlangenkönigin kehrt zu ihrem Volk zurück und sah,

dass es sehr schlecht um sie stand; denn die Starken waren schwach geworden und die Schwachen waren gestorben. Doch als sie die Schlangen ihre Königin wieder bei sich sahen, waren sie erfreut.

Die Schlangenkönigin will ihre Geschichte schon beenden, doch Hâsib Karîm ed-Dîn besteht auf der Fortsetzung.

Scheherezâd verweist hier quasi auf sich selbst.

Nachdem die Schlangen und Hâsib Karîm ed-Dîn auf den Berg Kâf gewandert sind, um dort zu überwintern, fährt sie fort.

Affân und Bulûkija wandern mit ihren gesalbten Füßen über alle sieben Meere, bis sie an einen grünen Berg kommen, den sie besteigen. In einer Höhle finden sie ein reich verziertes Thronlager, auf dem Salomo liegt. Die Beiden beginnen nun, Beschwörungsformeln zu rezitieren, und Affân nähert sich König Salomos Leichnam. Als er jedoch den Ring von dessen Finger ziehen will, wird er vom Hauch einer Schlange verbrannt.

Unklar, ob es auch eine der bereits erwähnten Schlangen ist.

490. Nacht

Allah lässt nun den Erzengel Gabriel zu Bulûkija herabsteigen, der ihm erklärt:

„… die Zeit Mohammeds liegt noch in weiter Ferne.“

Das erklärt Einiges. Bulûkija ist also ein vorislamischer "Israelit", der aber auf wundersame Weise bereits vom Kommen des Propheten Mohammed erfahren hat.

Nun durchschreitet Bulûkija wieder nacheinander die Weltmeere, und landet auf einer Insel, die in leuchtenden Farben geschildert wird.

Ja, die Insel war ein herrliches Land, ihre Grenzen waren weit gespannt, und viel war des Schönen, das auf ihr sich befand. Es war, als ob der Inbegriff aller Schönheit sie umschlang; und das Singen ihrer Vögel war lieblicher als der Laute Klang…“

Abends sucht er Zuflucht auf einem Baum, wacht aber nachts auf, da sich die wilden Tiere aus dem Wasser und vom Land am Strand treffen.

Man könnte meinen, das habe etwas zu bedeuten, wird aber einfach nur herrlich konsequenzlos berichtet, und man hat im Verlauf der weiteren Geschichte den Eindruck, der Erzähler habe bemerkt, dass er mit diesen Schilderungen eigentlich nicht mehr viel anfangen kann. Für die folgenden sechs Inseln, werden immer weniger Features genannt.

Auf der zweiten Insel isst Bulûkija getrocknete Fische am Strand.

491. Nacht

Bulûkijas „Erlebnisse“ auf den folgenden Inseln ähneln sich in ihrem Nichtvorhandensein. Schließlich erreicht er nach mehreren Monaten die siebente Insel. Und da er Hunger hat, streckt er die Hand nach einem Apfelbaum aus.

Doch plötzlich schrie eine Gestalt aus dem Baum ihn an mit den Worten: „Wenn du dich diesem Baum nahst und etwas von seiner Frucht issest, so spalte ich dich in zwei Stücke!“

Das Verbot wird mit der Ursünde Adams begründet.
Als Bulûkija dem Riesen seine Liebe zu Mohammed eröffnet, bringt dieser ihm zu essen.

Auch diese Begegnung scheint folgenlos zu bleiben.

Nach zehn Tagen der Wanderschaft erblickt er eine Staubwolke.

Als er auf jene Wolke zuschritt, hörte er ein Schreien und Schlagen und gewaltiges Tosen. (…) und er erblickte viel Volks, das auf Pferden beritten war und miteinander kämpfte; und das Blut floss um sie. (…) Bulûkija aber ward von großer Furcht gepackt.

462., 463., 464., 465. Nacht

462. Nacht

Schehrezâd wiederholt die letzte Sequenz der Geschichte:

Nun staune, o König, über die Beredsamkeit dieser Sklavin, über ihr reiches Wissen, ihren Verstand und ihre vollendete Bildung in allen Wissenschaften und den Künsten! Und bedenke auch die Großmut des Beherrschers der Gläubigen Harûn er-Raschîd. (…) Wo fände man wohl nach dem Abassidenkalifen noch solche Freigebigkeit? Die Barmherzigkeit Allahs walte über sie alle jederzeit.

Aber wir wissen schon jetzt, dass König Schehrijâr noch weitere 539 Nächte brauchen wird, um den Wink zu verstehen oder verstehen zu wollen: Beredsame Sklavin! Großmütiger Herrscher! Mein Gott, so schwer ist das doch nicht!

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Ferner wird erzählt

Die Geschichte von dem Engel des Todes vor dem reichen König und vor dem frommen Manne

Einer von den Herrschern der Vorzeit

gemeint ist wohl die vorislamische Zeit

reitet in großem Prunk aus, stolz und übermütig. Ein alter Mann in zerrissener Kleidung nähert sich ihm und legt die Hand an seine Zügel:

„Ich bin der Engel des Todes; ich will deine Seele holen!“

Eine Frist sich zu verabschieden, gewährt ihm der Tod nicht.
Einem Frommen hingegen, der mit der Welt in Einklang lebt, gewährt er die Bitte, noch einmal beten zu dürfen.

Auch das kann eigentlich - so kurz nach der letzten Geschichte - als Warnung an König Schehrijâr verstanden werden.

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Die Geschichte vom Engel des Todes vor dem reichen König

Nachdem ein König riesige Güter angehäuft hat, versammelt er seine Angehörigen und Diener zu einem Mahl, denn jetzt könne er sich endlich seines Wohls erfreuen.

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463. Nacht

Auch hier tritt der Engel des Todes hinzu, und auch hier wird eine letzte Frist oder eine Ersatzperson verweigert:

„Ich bin nur deinetwegen gekommen, um dich zu trennen von den Gütern, die du gesammelt und aufgespeichert hast“

Daraufhin verflucht der König seinen Reichtum.

Nun antwortet der Reichtum (sic!)

„Warum verfluchest du mich? Verfluche dich selber! Allah (…) gab mich in deine Hand, auf dass du dir durch mich eine Wegzehrung schüfest für dein Leben im Jenseits und von mir den Armen und Bedürftigen und Elenden Almosen gäbest…“

Und so stirbt der König, ohne von den Speisen gekostet zu haben.

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Die Geschichte vom Engel des Todes und dem König der Kinder Israel

Ein jüdischer König sitzt auf dem Thron und auch hier erscheint ein hässlicher Mann, der sich als der Engel des Todes entpuppt:

„Ich bin es, der die Freuden schweigen heißt und der die Freundesbande zerreißt.“

Die Formel, mit der hier so viele Erzählungen enden; ähnlich unserem "und wenn sie nicht gestorben sind..."

Der jüdische König bittet um eine Frist,

„damit ich das Geld, das in meinen Schatzkammern ist, seinen rechtmäßigen Besitzern zurückgeben kann!“ (…)
„Weit gefehlt! Das ist dir nicht mehr möglich.“

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464. Nacht

„Du gehst zu dem Zorne des Allgewaltigen ein.“ (…) Da erhob sich ein Getöse unter dem Volk seines Reiches, die Stimmen erklangen, und Weinen und Schreien erschollen.

An dieser Stelle gibt es seltsamerweise zwei Bleistift-Markierungen in meiner Ausgabe, die (so vermute ich zumindest) nicht von mir stammen, die aber auch kurios sind: „Weinen und Schreien“ mit gewelltem Unterstrich und Fragezeichen an der Seite. Was ist so unverständlich oder fraglich an dieser Passage?

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Die Geschichte von Iskandar Dhû erl-Karnain und dem genügsamen König

Mit „Iskandar Dhû el-Karnain“ wird hier Alexander der Große bezeichnet.


„Alexander, der Zweigehörnte“

Auf seinen Reisen kommt Iskandar Dhû erl-Karnain an einem sehr armen Volk vorbei, das sich von „Gräsern und Kräutern“ ernährt und seine Toten direkt vor den Toren der Stadt beerdigt und die Gräber vom Staub befreit.
Iskandar befragt den König, warum sie das so täten. Dieser antwortet, so

„schwindet auch die Liebe zur irdischen Welt aus unseren Herzen, und wir werden nicht durch sie von dem Dienste unseres Herrn, des Erhabenen abgelenkt.“

Auf die Frage nach dem Veganismus, bekommt er die bemerkenswerte Antwort:

„Weil wir es verabscheuen, unsere Leiber zu Gräbern von Tieren zu machen.“

Das Angebot Iskandars, sein Wesir zu werden, lehnt der König des armen Volkes ab:

„Weil alle Menschen deine Feinde sind um deines Reichtums und des Besitzes willen, der dir verliehen war; alle aber sind in Wahrheit meine Freunde wegen der Genügsamkeit und meiner Armut, dieweil ich keinen Besitz habe und auch nichts Irdisches begehre; danach trage ich kein Verlangen.“

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Die Geschichte von dem gerechten König Anuscharwân

Anuscharwân lässt in seinem Königreich verbreiten, er sei krank und könne nur durch einen alten Lehmziegel aus einem zerfallenen Dorfe gerettet werden. Man findet keinen, und Anuscharwân ist zufrieden.

„Da (…) ein jeder Ort bewohnt ist, so steht es gut um das Reich, die beste Ordnung herrscht in allen Dingen, und so konnte die Kultur es zur höchsten Vollkommenheit bringen.“

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465. Nacht

Schehrezâd fährt, nachdem die Anekdote eigentlich schon beendet ist fort, Schehrijâr zu belehren.

Wisse drum, o König – so fuhr Schehrezâd fort – dass (…) es unzweifelhaft wahr ist, was die Gelehrten verkünden und wir in den Aussprüchen der Weisen finden, nämlich: die Religion hängt vom König ab, der König von den Truppen, die Truppen vom Staatsschatze, der Staatsschatz von der Wohlfahrt des Landes, und die Wohlfahrt des Landes von der gerechten Behandlung des Untertanenstandes…

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Die Geschichte von dem jüdischen Richter und seinem frommen Weibe

Ein Richter reist auf Pilgerfahrt nach Jerusalem und vertraut seinem Bruder auch seine Frau an, der sie, sobald der Richter fort ist, zum Ehebruch nötigen will. Sie wehrt sich, und er bezichtigt sie mit bestochenen Zeugen, Ehebruch getrieben zu haben.

Dieses Muster ist doch teilweise heute noch bekannt.

Man steinigt sie, aber ein barmherziger Wandersmann hört nachts das Stöhnen der Frau, die die Steinigung überlebt hat, nimmt sie zu sich und seiner Familie und pflegt sie gesund. Er gibt ihr sein Kind, damit sie sich nächtens seiner annehme. Doch eines Nachts schleicht sich ein „Schelm“ ein, um sie zu verführen. Als sie sich weigert, will er sie erstechen, trifft aber aus Versehen das Kind.
Die Mutter des Kindes verdächtigt die Frau des Richters des Kindsmordes und versucht, sie zu erschlagen, diese kann aber flüchten.
Auf ihrem Weg kommt sie in ein Dorf, wo man einen Mann an einem Baum gekreuzigt hat. Sie bietet die wenigen Dirhems, die sie bei sich trägt als Lösegeld an. Er wird abgenommen und sie heilt ihn.

Da bemerkte Schehrezâd, dass der Morgen begann, und sie hielt in der verstatteten Rede an.

423., 424., 425., 426. Nacht

423. Nacht

Die gelehrte Frau fährt fort:

"Und auch der Prophet – Allah segne ihn und gebe ihm Heil! – hat gesagt: ‚Der Dinge, die ich in eurer Welt am liebsten habe, sind drei: die Frauen, die Wohlgerüche und mein Augentrost im Gebet."

Und sie rezitiert ein Gedicht gegen die Homosexualität:

Des Mannes Sehnsucht nach dem Rücken ist ein Rückgang;
Doch wer die freie Frau liebt, ist ein freier Mann.
Wie schön ergeht es dem, der bei dem Schwarzaug nächtigt,
Der Gattin, deren Blick ihm Seligkeit gewann.

Hier merkt der Übersetzer (Littmann) an: "In fünf weiteren ‚trefflichen Versen‘ werden diese Dinge noch näher ausgeführt; doch diese Verse sind so abstoßend, dass sie sich etwa nur mit Juvenals lateinischen Versen wiedergeben ließen."
Es fragt sich, ob er sich dann überhaupt aufs Übersetzen hätte einlassen sollen. Oder sollte Littmann immer noch von der Angst vor Zensur geprägt gewesen sein, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung aber nicht mehr gegriffen hätte? In der englischen Übersetzung Burtons lauten die Verse so:

Men’s turning unto bums of boys is bumptious;
Whoso love noble women show their own noblesse.
How many goodly wights have slept the night, enjoying
Buttocks of boys, and woke at morn in foulest mess
Their garments stained by safflower, which is yellow merde;
Their shame proclaiming, showing colour of distress.
Who can deny the charge, when so bewrayed are they
That e’en by day light shows the dung upon their dress?
What contrast wi‘ the man, who slept a gladsome night
By Houri maid for glance a mere enchanteress,
He rises off her borrowing wholesome bonny scent;
That fills the house with whiffs of perfumed goodliness.
No boy deserved place by side of her to hold;
Canst even aloes wood with what fills pool of cess!

Nichts da von Schwarzaug und Gattin! Stattdessen krasse Vulgarität. Die letzten zwei Verse hat sich Littmann also aus den Fingern gesogen!

Die Weise schließt an mit den Worten:

"Ihr Leute, ihr habt mich herausgetrieben aus den Regeln der Sittsamkeit und aus den Grenzen der edlen Weiblichkeit, so dass ich hässliche Worte in den Mund genommen, die den Weisen nicht frommen. Doch in den Herzen derer, die edelgeboren, sind die Geheimnisse wie in Gräbern verloren (…)" Darauf schwieg sie und gab uns keinerlei Antwort mehr. Nun machten wir uns auf und verließen sie, erfreut über den Nutzen, den wir durch den Wortstreit mit ihr empfingen, aber traurig, dass wir von ihr gingen.

***

Die Geschichte von Abu Suwaid und der schönen Greisin

Abu Suwaid erblickt in einem Garten

eine alte Frau, die ein schönes Antlitz hatte; doch ihr Haar war schon weiß geworden, und sie kämmte es mit einem Kamme aus Elfenbein.

Er fragt sie, warum sie sich die Haare nicht färbe.

***

424. Nacht

Sie antwortet

Ich färbte, was die Zeiten färbten. Was ich färbte,
War nicht von Dauer; doch es blieb der Jahre Färben.
Als ich noch einst im Kleid der Jugend stolz einherschritt,
Da konnt ich vorn wie hinten Freude mir erwerben.

Ist es so obszön gemeint, wie es dem aufgeschlossenen Leser erscheint? Die Antwort gibt Abu Suwaid selbst:

"Vortrefflich, du edle Greisin! Wie aufrichtig warst du in deiner Sehnsucht nach verbotenem Gut, und wie verlogen wärest du, wenn du behauptetest, dich reue der Übermut!"

***

Die Geschichte von dem Emir Ali ibn Mohammed und der Sklavin Munis

Der Emir kauft die wohlgebildete Sklavin Munis für siebzigtausend Dirhems, nachdem sie folgenden Dialog in Versen miteinander wechseln.

Was sagst du nur von dem, an dem die Krankheit frisst
Um deiner Liebe willen, so dass er ratlos ist.

Sie antwortet:

Wenn wir den, der liebt, in seinem schweren Leid
Der Liebe schaun, so sei ihm unsre Huld geweiht.

und er zeugte mit ihr den Obaidallâh ibn Mohammed, einen Mann, der treffliche Eigenschaften besaß.

Und das war schon die ganze Geschichte.

***

Die Geschichte von den beiden Frauen und ihren Geliebten

Abu el Ainâ berichtet, zwei Frauen im Disput über ihre Geliebten belauscht zu haben. Die eine mit jungem, die zweite mit älterem Geliebten. Die mit dem jüngeren stört sich am stachligen Bart älterer Männer und bevorzugt den Flaum der jungen.

(Im Grunde werden hier nur die Argumente der Frau mit dem reiferen Geliebten wiedergegeben.) Ich wähle hier mal aus:

"Weißt du nicht, dass der Bart für den Mann das gleiche ist, was die Schläfenlocken für die Frau sind? (…) Du Törin, wie könnte ich daran denken, mich unter einen Knaben zu betten, der eilig sein Werk tut und schnell erschlafft? Und von einem Manne lassen, der, wenn er Atem holt, mich umfasst; wenn er eindringt, gemach handelt; wenn er fertig ist, wiederkehrt; wenn er sich bewegt, vortrefflich ist; und sooft er sein Werk beendet hat, wieder von neuem beginnt."

Die Geliebte des Knaben:

"Ich schwöre meinem Geliebten ab, beim Herrn der Kaaba!"

(= Allah)

Hier enden vorerst die Liebes-Anekdoten, und es beginnt endlich mal wieder eine etwas längere Geschichte.

***

Die Geschichte von dem Kaufmanne Ali aus Kairo

Ein reicher Kaufmann in Kairo namens Hasan wird "der Juwelier aus Bagdad" genannt. Er spürt sein Ende kommen und ruft seinen Sohn Ali zu sich.

Wenn man die bisherigen Story-Inhalte verfolgt, müsste ihm der Vater nun Mahnungen auf den Weg geben, die dieser in den Wind schlägt.

***

425. Nacht

Und tatsächlich: Nachdem Hasan ihn seine Ländereien und Güter aufzählt, ermahnt er ihn zu Gottesfurcht, Barmherzigkeit, gutem Umgang, Liebe.

Darauf begann der Kaufmann das Glaubensbekenntnis zu sprechen und Koranverse zu sagen, bis die Stunde da war; dann sprach er zu seinem Sohne: "Tritt nahe zu mir, mein Sohn!" Nun trat Ali nahe zu ihm: Der Vater küsste den Sohn und tat den letzten Seufzer. Seine Seele entfloh seinem Körper, und er ging ein zur Barmherzigkeit Allahs.

Stephen Cave beschreibt vier Story, mit denen wir hoffen, den Tod zu überlisten: 1. Die Elixir- oder Jungbrunnen-Story (inklusive Wundermedizin-Geschichten), 2. Auferstehungs-Story (inklusive Einfrierungs-Storys), 3. Die Geschichte der Seele, 4. Vermächtnis-Storys (an die sich auch einige Künstler-Kollegen klammern).

 

Der Vater wird in einer riesigen Zeremonie bestattet, und Ali hält nicht nur die vorgeschriebenen vierzig Tage Trauerzeit ein, sondern trauert auch noch darüber hinaus und besucht an jedem Freitag das Grab des Vaters.

Zur Zahl 40 gibt es verschiedene Angaben: Sie taucht in vorjudäischen Religionen auf, aber auch in der russischen Orthodoxie, in der muslimischen Praxis und scheint auch den psychologischen Prozess des Trauerns zu umfassen: Man braucht eben so lange, um die Phasen der Trauer soweit durchschritten zu haben, bis sich Akzeptanz festigen kann.

Irgendwann drängen die Freunde ihn, seine Geschäfte wieder aufzunehmen.

Doch wie sie so bei ihn waren, war auch der verfluchte Teufel unter ihnen, der ihnen einflüsterte; und während sie ihn zu überreden suchten, mit ihnen zum Basar zu gehen, versuchte der Teufel ihn so lange, ihnen nachzugeben, bis er einwilligte, mit ihnen das Haus zu verlassen.

Unklar: Wieso sollte es teuflisch sein, nach der vorgeschriebenen Trauerzeit, wieder die Geschäfte aufzunehmen?

***

426. Nacht

Aber sie führen ihn nicht zum Basar, sondern zu einem Garten, wo

sie aßen und waren guter Dinge und saßen plaudernd zusammen, bis der Tag zu Ende war.

Und so bedrängen sie ihn jeden Tag, nötigen ihn zum Weinkonsum, und irgendwann ist Ali mit Einladen dran. Ali verschwendet allmählich sein Geld, obwohl ihn sein Weib an die Ermahnungen des Vaters erinnert.

Sie begaben sich zur Nilinsel er-Rodâ und zum Nilmesser. Dort blieben sie einen ganzen Monat bei Speise und Tran und Saitenklang und Fröhlichkeit.

 

Dieses Leben führt er nun drei Jahre. Als das Geld zu Ende geht, verscherbelt er die Juwelen, dann die Häuser und Grundstücke, dann die Gärten und Landhöfe, dann den Marmor und das Holzwerk aus seinem Haus, und schließlich das Haus selbst. Seine Freunde lassen ihn schließlich, als er arm ist, im Stich.… Weiterlesen

336. – 345. Nacht

Ich habe 666 "friends" bei Facebook. Davon blende ich ca. die Hälfte aus. Vom Rest postet ein Drittel so gut wie nie. Vier Personen, die mich nicht kennen, habe ich "abonniert". So entsteht eigentlich eine hübsche personalisierte Tageszeitung. Nur – die Lektüre müsste man beschränken auf einmal pro Tag. Das Suchtpotential ist ja unbestreitbar.
Ab und zu schaue ich mir E-Mails von vor 10 Jahren an. Erstaunlich, wie oft darin "Microsoft" oder "Bill Gates" als das Synonym für das absolut Böse genannt werden. Wer redet heute noch von Microsoft? Facebook, Google und DER STAAT bedrohen unsere Daten, unsere Identität. Was wird uns in 10 Jahren ängstigen?

*

336. Nacht

Die Dicke beginnt ihren Beitrag zum Battle:

"Der Erhabene sprach: Und er brachte ein fettes Kalb. 336 (…)

Sag deinem Lieb Lebwohl! Die Karawane wandert;
Kannst du das Lebewohl ertragen, o du Mann?
Es ist, als sei ihr Gang im Hause ihrer Nachbarn
Der Fetten Gang; ihr haftet kein Fehl, kein Ekel an.

Und die Weisen sagen: Die Lust liegt in drei Dingen, Fleisch essen, auf Fleisch reiten und Fleisch in Fleisch stecken. Doch was dich angeht, du Dünne, so können deine Beine den Spatzenbeinen und den Ofenstochern gleich erscheinen; du bist ein kreuzförmiges Brett, ein Stück schlechten Fleisches ohne Fett."

Die Dünne rezitiert:

"Ich habe deinen Wuchs mit einem Rohr verglichen;
Ich habe mir dein Bild zum Stern des Glücks gemacht.
In heißer Leidenschaft bin ich dir nachgegangen
Voll Furcht, dass über dir ein böser Späher wacht.

Aber du da, du Fettwanst, wenn du issest, so frisst du nach Elefantenweise. (…) Lässest du Wasser, so spritzest du; lässest du Kot, so birst du, als wärst du ein Schlauch. (…)

So schwer wie die geschwollene Blase ist sie gar;
Zwei aufgetürmten Bergen gleicht ihrer Lenden Paar.
Schleppt sie im Land des Westens sich hin mit ihrem Schritt,
So bebt durch ihre Schwere sogleich der Osten mit."

*

337. Nacht

Die Gelbe:

"Ihr leuchtend Gelb ist wie der Sonne Strahlenschein;
und sie entzückt das Auge wie Golddinare fein.
Der gelbe Safran auch kann ihrem Glanz nicht gleichen.
Ja, selbst der Mond muss ihrer Schönheit weichen."

Die Schwarze rezitiert einen Dichter:

"Wer bringt mir eine Braune von vielbesungnem Wuchse,
Der braunen, schlanken Speere vom Samhar-Rohre gleicht,
it sehnsuchtsvollen Lidern und seidenweichem Flaume,
Die aus dem wunden Herzen des Liebsten nie entweicht?"

*

338. Nacht

Der Herr der Sklavinnen versöhnt sie wieder miteinander und beschenkt sie mit Gewändern und Juwelen.

Gibt es derartige Versöhnungsrituale auch bei Rap-Battles?

Als El-Mamûn diese Geschichte hört, begehrt er sofort diese Frauen und will sie ihrem Herrn abkaufen. Dieser willigt, als man ihm die Nachricht überbringt, tatsächlich ein. Doch nach einigen Wochen, in denen sich der Kalif mit den sechs Grazien vergnügt, reut es ihn und er schickt dem Kalifen ein Lied, der ihm die Sklavinnen zurückschickt und sechzigtausend Dinare obendrauf legt.

Fragen wir nicht, wie es den Sklavinnen bei solchem Hin und Her erging.

***

Die Geschichte von Harûn er-Raschîd, der Sklavin und Abû Nuwâs

Den Kalifen Harûn er-Raschîd plagt wieder einmal die Schlaflosigkeit und er wandelt durch seinen Palast, bis er an ein Gemach kommt, in dessen hinterem Ende er eine schwarze menschliche Gestalt entdeckt. Neben ihr einen Becher Wein.

Als der Beherrscher der Gläubigen das bemerkte, erstaunte er noch mehr in seiner Seele, und er sprach: "Gehört sich dergleichen für einen Schwarzen wie den da?"

Natürlich ist der Verstoß gegen das islamische Saufverbot Weißen wie dem Kalifen vorbehalten.

Drauf trat er näher an das Lager heran und sah, dass die Gestalt auf ihm eine schlafende Sklavin war, die ganz von der Fülle ihrer Haare bedeckt wurde.

Er küsst sie wach, und sie spielt auf einer Laute

einundzwanzig Weisen. Zuletzt kehrte sie zu der ersten Weise zurück.

*

339. Nacht

Die Sklavin berichtet, darunter zu leiden, dass sie, nachdem sie vom Sohn des Kalifen für zehntausend Dirhem gekauft worden war, dessen Ehefrau dafür sorgte, dass sie von seinen Gemächern ferngehalten würde. Der Kalif gewährt ihr eine Bitte:

"Ich erbitte mir von dir die Gnade, dass du morgen nacht bei mir verweilst."
"So Gott will."

Wie sah und sieht man eigentlich diese extreme Polygamie bei muslimischen Herrschern, wo doch der Koran von maximal vier Frauen spricht?

Am nächsten Morgen ruft Harûn seinen Dichter und Begleiter Abu Nuwâs zu sich, der aber in einer Schenke festgehalten wird, wo er tausend Dirhems für

einen schönen Knaben

ausgegeben hat. Der Kammerdiener, nachdem er die Schönheit des (Lust?)Knaben bei einer Art Striptease, der der Brautentschleierung nachempfunden wird 339, selber zuschauen konnte, zahlt die tausend Dirhem aus des Kalifen Kasse. Beide kehren zu diesem zurück, und dieser fordert vom Dichter:

"Sing mir ein Lied, in dem die Worte vorkommen: O Getreuer Gottes, was mag das sein?"

"Das klingt nach einem Lied" nennen wir das Impro-Spiel.

*

340. Nacht

Abu Nuwâs trägt dem Wunsch des Kalifen gemäß ein Lied vor, beschreibt darin jedoch genau dessen Erlebnis mit der schwarzhaarigen Sklavin in der letzten Nacht.

Da rief der Kalif: "Allah strafe dich! Es ist ja, als ob du bei uns gewesen wärest!"

Er führt ihn zur Sklavin und macht ihn dort betrunken,

bis er seiner Sinne nicht mehr Herr war (…) Nun befahl der Kalif der Sklavin, den Becher aus seiner Hand zu verstecken; sie nahm ihm den Becher ab und verbarg ihn zwischen ihren Lenden. Darauf aber zückte der Kalif das Schwert, stellte sich zu Häupten des Dichters auf und stach ihn mit der Schwertspitze (…): "Trage mir ein Lied vor und sage mir darin, wo dein Becher ist, sonst lasse ich dir den Kopf abschlagen."

Eigentlich hat Abu Nuwâs keine Chance; denn da er diese Körperstelle nicht benennen darf ist er so oder so des Todes.

Was ich sage, das ist seltsam;
Die Gazelle war der Dieb!
Sie stahl meines Weines Becher,
Als aus ihm ein Zug mir blieb.
Sie verbarg ihn an dem Orte,
Der das Herze mir betört.
Ihn nenn ich aus Furcht nicht, weil er
Dem Kalifen angehört.

Verärgert und verwundert beschenkt Harûn seinen Dichter mit tausend Dinaren, und damit endet diese "Geschichte".

***

Die Geschichte von dem Manne, der die Goldene Schüssel stahl, aus der er mit dem Hunde gegessen hatte

Ein Mann gerät in tiefe Armut und verlässt Frau und Kind. In einer fremden Stadt folgt er einer Schar vornehmer Leute zu einem Palast, dessen Herr umringt wird von Dienern und Eunuchen,

als ob er einer von den Söhnen der Wesire wäre.

Eine interessante Form der Prachtbeschreibung: Es ist weder der Herrscher noch der Wesir, aber immerhin ein Wesirsohn. Oder sollten Wesirsöhne bekannt für ihre Prunksucht gewesen sein?

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341. Nacht

Schließlich taucht ein vornehmer Mann mit vier Hunden an diesem Hof auf, die er aus goldenen Schüsseln fressen lässt. Der Arme kann sich vor Hunger kaum zurückhalten, aber es überwiegt die Furcht vor den Hunden.

Doch plötzlich sah einer der Hunde ihn an, und da Allah dem Tiere Kenntnis von dem Zustande des Armen verliehen hatte,

Der Arme isst von der Schüssel, und als er fertig ist, schiebt ihm der Hund die Schüssel zu. Der Alte nimmt sie mit, verkauft sie in der Stadt und aus dem Erlös treibt er Handel, so dass sich sein Wohlstand vermehrt. Eines Tages sagt er sich:

"Ich muss nun zu jener Stadt reisen, dorthin, wo der Besitzer der Schüssel wohnt; ich will ihm ein schönes und geziemendes Geschenk bringen und ihm den Preis der Schüssel bezahlen, die mir einer seiner Hunde geschenkt hat."

Doch er muss sehen, dass die Stätte inzwischen in Trümmern liegt.

Wie er sich umwandte, sah er einen armen Mann in einem Zustande, der die Haut erschauern machte und dem selbst der härteste Felsen Mitleid entgegenbrachte.

Es stellt sich heraus, dass dies der ehemalige Besitzer des Palastes ist. Der Händler bietet ihm nun Geld im Werte der Schüssel an.

Aber der Alte schüttelte den Kopf, weinte und klagte, seufzte und sagte: "Du da, ich glaube, du bist von Sinnen! So etwas tut ein verständiger Mann nicht. Wie wäre es möglich, dass ich eine goldene Schale, die einer unserer Hunde dir geschenkt hätte, wieder an mich nähme! (…) Wäre ich auch von grimmiger Not und Sorge beschwert, bei Allah, ich nähme nichts an von dir, und hätte es auch nur eines Nagelspans Wert!"

Der Händler kehrt um und rezitiert:

Nun sind sie alle fort, die Menschen und die Hunde;
Drum ruhe auf den Menschen und den Hunden Friede!

Die Moral der Geschichte etwas undurchsichtig, da sie beide Verhaltensweisen als sittlich gelten lässt.

 

***

Die Geschichte von dem Schelm in Alexandrien und dem Wachthauptmann

In Alexandrien lebt ein Wachthauptmann namens Husâm ed-Dîn.

Der Name taucht in der Geschichte nie wieder auf und ist auch wegen des Anekdotencharakters beinahe irrelevant. Dagegen hätte man es in der vorigen Geschichte schon gern ein wenig konkreter gehabt.

Zu diesem Hauptmann kommt eines Nachts ein Krieger der behauptet, ihm seien tausend Goldstücke im Chân Soundso geraubt worden.

Jetzt geht es wieder mit den Soundsos los. Das Schema, wann etwas konkret benannt und wann im Vagen gelassen, bleibt unklar.

Der Hauptmann befiehlt, alle Bewohner des Châns festzunehmen und Folterwerkzeuge zu bringen, um den Täter zu identifizieren.

So grausam es sein mag – die Folter könnte bei Diebstählen tatsächlich als  Mittel zur Wahrheitsfindung gedient haben: Nur der Täter hat die Möglichkeit, den Ausweg aus der Tortur zu finden, indem er gesteht. (Freilich in der Regel um den Preis einer Hand)

*

342. Nacht

Doch es drängelt sich jemand durch die Menschenmenge, der gesteht, den Beutel gestohlen zu haben und ihn vor dem Krieger und dem Hauptmann ablegt. Die Menge preist ihn daraufhin, und der Schelm sagt, das sei noch gar nichts, er werde den Geldbeutel ein zweites Mal stehlen. Er berichtet lang und breit, wie er den Krieger seit Tagen verfolgt habe und nun nachts zugeschlagen habe. Plastisch erzählt er schließlich:

"Alsbald schlich ich ganz leise zu ihm, schnitt die Satteltasche mit dem Messer auf und nahm den Beutel an mich." Mit diesen Worten streckte er seine Hand aus und nahm den Beutel vor den Augen des Hauptmanns und des Kriegers. Da traten die beiden und all das andere Volk zurück, um ihm zuzuschauen; denn sie glaubten, er wolle ihnen zeigen, wie er den Beutel aus den Satteltaschen genommen hätte. Er aber lief auf und davon und warf sich in einen Teich.

Es folgt eine erfolglose Jagd auf den Dieb.

All das geschah mit Wissen Allahs des Erhabenen.

Wir sind anscheinend mitten in einer Serie von Geld-Anekdoten

***

Die Geschichte von El-Malik en-Nâsir und den drei Wachthauptleuten

Eines Tages ließ Sultan El-Malik en-Nâsir die drei Wachthauptleute von Kairo, Bulak und Alt-Kairo zu sich kommen.

Es könnte Saladin sein, aber auch El-Malik en-Nâsir Muhammad. Den Zusatz haben sich wohl einige gegeben.

"Ich wünsche, dass ein jeder von euch mir das Merkwürdigste berichtet, das er während der Zeit seiner Amtsführung erlebt hat."

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343. Nacht

Die Geschichte des Wachthauptmannes von Kairo

Der Wachthauptmann von Kairo berichtet, er habe lange Zeit versucht, zwei Männer wegen Dirnenliebe, Weingenuss und Zuchtlosigkeit vor Gericht zu stellen, die aber

in allen Fällen von Blutschuld und Leibesverletzungen als rechtsgültige Zeugen auftraten.

Eines Nachts erfährt er von einem Mann:

"Herr, wisse, die beiden ehrenwerten Zeugen sind jetzt an dem und dem Orte in der und der Straße im Haus des Soundso, und sie treiben große Greuel."

Der Wachthauptmann macht sich auf den Weg und wird von den beiden offenherzig empfangen. Sie bieten ihm an, sie sofort zu strafen oder dreihundert Dinar anzunehmen.

Ich sagte mir nun: "Nimm dies Gold von ihnen und beschütze sie noch dies eine Mal; wenn du sie aber das nächste Mal in die Gewalt bekommst, dann zieh sie zur Rechenschaft."

Das Unheil lässt nicht lange auf sich warten. Der Besitzer des Bordells verklagt den Wachthauptmann vor dem Kadi, zeigt einen Schuldschein über dreihundert Dinar vor und bringt die beiden Hurenböcke als Zeugen vor.

Das Zeugnis der beiden wurde vom Kadi als gültig angesehen. (…) Und ich ging tief beschämt von dannen.

*

Die Geschichte des Wachthauptmannes von Bulak

Dieser Wachthauptmann berichtet, einmal dreihunderttausend Dinare Schulden gehabt zu haben.

So verkaufte ich alles, was hinter mir, vor mir und in meiner Hand war.

Das wird wohl heißen: Sein Erspartes, seine Forderungen und sein Bar-Vermögen.

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344. Nacht

Eines Nachts klopft es an seiner Tür, und es ist eine Diebesbande,

halbnackt und mit Fell bekleidet

die sich als edel erweist, ihm ihre Beute aus Gold und Silber zu überlassen. Er dankt es ihnen und lässt sie mit seinen letzten hunderttausend Dinaren ziehen.

Beachtlich: Die cartooneske Darstellung der Diebe mit Fell. Vielleicht als Klischee damals verbreitet wie die maskierten Räuber bei Micky Maus.

Am nächsten Morgen stellt er freilich fest, dass er mit vergoldetem Kupfer hereingelegt worden war.

*

Die Geschichte des Wachthauptmannes von Alt-Kairo

Einst ließ ich zehn Diebe hängen, jeden an einen besonderen Galgen, und ich schärfte den Wächtern ein, gut auf sie achtzugeben.

Am nächsten Morgen sieht der Hauptmann, dass nun an einem Galgen zwei Männer hängen. Die Wächter gestehen, geschlafen zu haben, und einer der Gehängten soll gestohlen worden sein. Und so ergriffen sie einen zufällig des Wegs kommenden Bauern, den sie, aus Furcht, bestraft zu werden, aufhängten, bloß damit die Zahl der Gehängten stimme. Der Wachthauptmann befiehlt, den Reisesack des Bauern zu öffnen.

Und siehe da, in ihm befand sich die zerstückelte Leiche eines Mannes! Wie ich das nun sah, sprach ich verwundert zu mir selber: "Preis sei Allah! Dieser Bauer ist doch nur deshalb gehängt, weil er den Mord da begangen hat! Und dein Herr ist nicht ungerecht gegen seine Diener."

Die Schuld wird externalisiert. Das formalisierte Rechtsverständnis, wonach die Wächter sich schuldig gemacht haben, wird aufgehoben zugunsten eines magisch-religiösen: Allah wird’s schon richten.

 

***

Die Geschichte vom Geldwechsler und dem Dieb

Eine Bande von Dieben beobachtet einen Geldwechsler mit dickem Geldbeutel, und einer von ihnen wettet, den Beutel stehlen zu können. Sie folgen ihm bis zu seinem Haus, wo er den Beutel auf dem Sims ablegt.

Rasch drang der Dieb hinein, ergriff den Beutel, eilte zu seinen Kumpanen zurück und erzählte ihnen, was geschehen war.

*

345. Nacht

Er kann sich seiner Tat noch nicht recht rühmen, denn seine Kumpane wenden ein, dass nun die Sklavin, die dem Geldwechsler Wasser holen sollte, statt des Diebes bestraft würde.

"Ja wenn du ein echter Schelm bist, so musst du die Sklavin vor Prügel und Strafe bewahren."

Ein interessantes Feld: Die Ehre der Verbrecher. Ein Dieb ist ja per se jemand, dem man nicht vertrauen kann. Und dennoch bildet sich anscheinend in jeder dauerhaften Verbrechergemeinschaft auch eine Art Kodex, so wie wir es auch hier beobachten: Bestiehl ruhig den Reichen, aber lass nicht jemand anderen dafür büßen.

Der Dieb kehrt zurück zum Haus des Geldwechslers, der gerade sich anschickt, die Sklavin zu verprügeln, und gibt ihm den Geldbeutel zurück mit den Worten, der Herr habe den Beutel auf dem Basar liegengelassen.

"Ich bin der Diener deines Nachbarn in der Basarhalle."

Als sich der Geldwechsler wieder abwendet, um dem scheinbaren Diener eine Quittung für dessen Herrn auszustellen, stiehlt der Schelm das Geld zum zweiten Mal.

Und die Sklavin war vor der Strafe bewahrt.

***

Die Geschichte vom Wachthauptmanne von Kûs und dem Gauner

Zum Wachthauptmann von Kûs in Ägypten kommt ein Mann, der sich als Straßenräuber zu erkennen gibt.

"Ich will jetzt von meinem Tun ablassen und unter deiner Führung zu Allah dem Erhabenen zurückkehren."

In der Truhe befinden sich Gegenstände im Wert von vierzigtausend Dinaren. Er erbittet tausend in bar,

"damit ich durch sie ein Kapital gewinne, das mir dazu verhilft, mich zu bessern, und es mir möglich macht, von dem bösen Tun abzulassen."

Der Hauptmann willigt ein angesichts der

Juwelen, Edelmetalle, Siegelsteine und Perlen.

152. Nacht

Comic-Regal. Elftes Buch von rechts.

Hannes Hegen: MOSAIK. Die Digedags in Amerika

Erworben: Irgendwann in den 80ern oder 90ern ging dieser Comic vom Besitz meiner Schwester in den meinen über. Sie interessierte sich einfach nicht dafür.
Status: Mehrfach gelesen.
Erster Satz: "An der Mündung des gewaltigen Mississippi, des Vaters der Ströme, liegt New Orleans."
Kommentar: Die ersten Mosaik-Hefte sah ich im Alter von drei Jahren, und es war Liebe auf den ersten Blick. Mrs. Jefferson ("Die Dicke", wie sie in unserer Familie hieß), der Oberschurke Coffins, der starke Pedro, der Bootsmann Smoky, ich hatte sie alle in mein Herz geschlossen. Das Problem war nur, dass die Hefte sehr schwer erhältlich waren. Abos wurden vererbt. Wenn ein neuer Monat begann und ein neues Heft erschien, musste man möglichst früh am Kiosk danach fragen. Die Amerika-Serie ist eine äußerst gelungene Odyssee, die ein reiches Panorama Nordamerikas in den Zeiten des Bürgerkrieges zeichnen: Sklaverei, der Bürgerkrieg, Konflikte mit den Indianern, Goldrausch, Kalifornien, die Schwierigkeiten der westlichen Erweiterung, Panama, Piraterie. Die Digedags selber sind dabei weniger die Helden im eigentlichen Sinne als das Medium, durch das wir diese Reise miterleben. Besonders an Hegen mochte ich den etwas schwerelos anmutenden Stil. Zeitweise glaubte ich wirklich, dass man mit einiger Mühe vier Meter hoch springen könne. Später kamen die Folgen als Bücher heraus. (Von meinen Heften besitze ich kein einziges mehr.) Aus irgendeinem unerklärlichen Grund fehlen in jedem Buch zwei bis vier Seiten, was mit drucktechnischen Problemen allein nicht zu rechtfertigen ist. Hegen selbst gilt übrigens als schwieriger Typ. Aber das ist mir gleich. Wer solch schöne Sachen gemacht hat, kann kein böser Mensch sein. Dem Mosaik ist übrigens eine eigene WIKI gewidmet. Dort findet man auch ein paar Fehler, die mich schon als Kind irritiert haben: Z.B. sprechen die Mexikaner ein Mischmasch aus Spanisch und Italienisch!
Die ersten Folgen der Abrafaxe in Venedig und Österreich kann man noch als gelungen betrachten. Später, ab der Spanien-Folge wurde es nur noch ein Dahingewurschtel. Meine Vermutung, die Serie folge keinem richtigen Skript mehr, sondern würde nur noch Folge für Folge konzipiert, bestätigte einer der Autoren in einem Interview in den 80ern.

***

Die Geschichte vom Sakerfalken und den Raubvögeln

Ein Sakerfalke war ein rechter Tyrann unter den Vögeln. Als seine Stärke ihn verlässt, muss er die Überreste dessen fressen, was ihm die anderen Vögel übriglassen

Da beruhte denn seine Kraft auf List, nicht auf wirklicher Stärke.

(Geschichten, die keine sind)

*

Und so wäre auch der Fuchs, meint der Rabe. Und er erwähnt auch die Geschichte vom Sperling.

"Wie erging es denn dem Sperling?"

Die Geschichte vom Sperling und dem Adler

Ein Sperling beobachtet einen Adler, der ein Lamm fängt. Er versucht, es diesem gleichzutun, verfängt sich aber in der klebrigen Wolle und wird vom Hirten gefangen und seinen Kindern gebracht:

"Dies ist einer, der es einem Höheren gleichtun wollte und dadurch ins Verderben geriet."

Erinnert mich an eines meiner Lieblingsgedichte von Brecht:

Es war einmal ein Adler
Der hatte viele Tadler
Die machten ihn herunter
Und haben ihn verdächtigt
Er könne nicht schwimmen im Teich.
Da versuchte er es sogleich
Und ging natürlich unter.
(Der Tadel war also berechtigt.)

*

So könne es dem Fuchs auch ergehen, meint der Rabe. Der Fuchs wendet sich zähneknirschend ab.

"Ich knirsche nur deshalb mit den Zähnen, weil ich gesehen habe, dass du ein größerer Halunke bist als ich!"

Ende

***

Die Geschichte vom Igel und den Holztauben

Ein Igel bestiehlt eine Holztaubenfamilie, indem er sie zu asketischem, opferreichem Lebenswandel überredet und die Ernte selbst einfährt. Als der Holztauber bemerkt, dass er hereingelegt wurde, sagt er dem Igel:

Hüte dich vor Lug und Trug, auf dass es dir nicht ergehe wie es einst den beiden Gaunern erging, die den Kaufmann überlisten wollten!" "Wie war denn das?", fragte der Igel.

Die Geschichte vom Kaufmann und den beiden Gaunern

Einem Kaufmann folgen zwei Leute,

die zu den Schelmen gehörten.

Sie wollen ihn überfallen und einer dann dem anderen die Beute abluchsen und so vergiften sie sich gegenseitig.

Ende.

Die Geschichte vom Igel und dem Tauber, der diese Geschichte ja als Gleichnis erzählt, wird nicht wieder aufgegriffen.

***

Die Geschichte vom Dieb und dem Affen

Ein Dieb zieht mit einem Affen über den Markt, mit welchem er die Kaufleute ablenkt und einem von ihnen die Ware stiehlt und sie einem anderen Kaufmann weiterverkauft. Dieser trägt das wertvolle Tuch heim und seine Frau schilt ihn wegen der Hehlerei mit dem  Gleichnis vom Weber

Die Geschichte vom törichten Weber

Ein armer Weber überlegt, wie er ein schöneres Handwerk haben könne,

"das weniger Mühe macht, das höher geachtet und besser bezahlt wird, so würde ich mir auch prächtige Gewänder kaufen und mehr geachtet werden."

Auf einem Fest versucht er dann, es einem viel beachteten Gaukler gleich zu tun, kommt dabei zu Fall und bricht sich das Genick.

*

Der hehlerische Kaufmann hört nicht auf die Warnungen seiner Frau,

sondern fuhr fort, Waren zu erstehen und gewöhnte sich daran, von Dieben unter Preis zu kaufen, bis dass Verdacht auf ihn fiel und er umkam.

***

Die Geschichte vom Pfau und vom Sperling

Die Vögel versammeln sich:

"Wir sind jetzt so viele geworden, und viel Streit ist unter uns entstanden. Darum müssen wir einen König haben, der für unsere Angelegenheiten sorgt; dann werden wir uns einig sein, und der Streit wird aufhören."

Bemerkenswerte unausgesprochene Prämissen.

Der Sperling schlägt den Pfau vor, welcher ihn zu seinem Sekretär und Wesir ernennt. Bald darauf entdeckt er einen Vogelfallensteller in der Nähe seines Nests und meldet dies dem Pfau, der ihn beruhigt. Später gerät er ins Netz. Er zitiert darauf einen Dichter:

Was nicht geschehen soll, geschieht auch nie durch Listen;
Doch was geschehen soll, das wird geschehen.
Ja, was geschehen soll, geschieht zu seiner Stunde;
Allein ein Tor kann es doch nie verstehen.

Ende

***

Der König erbittet ein weiteres Märchen, und erstmals bittet Schehrezâd um Aufschub:

"In der kommenden Nacht, wenn der König, dem Allah Macht verleihe, mich am Leben lässt."

147. Nacht

Buch Nummer Elf von links aus dem Regal Theaterstücke und Märchen:

Gerhart Hauptmann: Der Biberpelz. Eine Diebskomödie

Erworben: Unklar.
Status: Reingeblättert.
Erster Satz: "Adelheid!"
Kommentar: Durch das vordergründige Berlinerisch, das einem heute noch in falsch klingenden Kolumnen der Berliner Zeitung oder der Morgenpost so widerlich serviert wird, werde ich jedes Mal derart abgeschreckt, dass ich nicht über Seite 2 hinauskomme.

***

Die Pfauenhenne rät der Ente, bei ihnen zu bleiben, und diese willigt nach einigem Zögern ein, bis eine Staubwolke aufwirbelt und eine Antilope auftaucht, die vor den Menschen flüchtet und sich, als sich der Schreck von Pfauin und Ente gelegt hat, nun auch auf der Insel niederlässt. Sie leben glücklich, bis ein Schiff kommt: Pfauin und Antilope fliehen, doch die Ente wird geschnappt. Dann leben Pfauin und Antilope bis ans Ende ihrer Tage.

Das könnte man verbuchen unter "Geschichten, die keine sind". Wichtiges Kriterium des konventionellen Storytelling ist die Wiedereinführung des einmal eingeführten Materials. Man fragt sich hier: Was soll das?