Morgen sind wir frei

Kommunistischer Iraner nimmt Frau und Kind nach der Revolution mit in den Iran, voller Hoffnung, der Ausgang der Revolution sei offen. Am Ende gelingt es ihr gerade so, mit der Tochter zu fliehen, während der Mann inhaftiert und später im Gefängnis von den Revolutionsgarden ermordet wird.
Die große Stärke des Films ist Katrin Röver, die die Mutter spielt – ein ausgeglichener positiver Character. Dass man weder das alte Ostberlin noch das alte Teheran einfangen kann, führt zu einem Studio-Minimalismus des Films, der aber nicht einmal stören müsste. Die wenigen Außendrehs für die Iran-Szenen wurden in Spanien produziert. Für die Demonstrations-Szenen griff man auf Fernsehbilder zurück. Auch das könnte ein raffinierter Kunstgriff sein.
Aber der Film hat ein paar große Probleme: Erstens bleibt Vieles schablonenhaft und unspezifisch. Die hölzernen Dialoge gehen selten über das hinaus, was man ohnehin schon sieht. Die iranische Zeitung hat keinen Namen, die Schule der Tochter auch nicht, Stadtteile bleiben unbenannt, man weiß nicht, auf welchem Gebiet die Chemikerin überhaupt tätig ist. Irgendwann wird mal Zink in einem Reagenzglas aufgelöst, damit man sieht, dass hier wirklich chemisch gewerkelt wird. Nicht einmal der Name der iranischen Kommunistischen Partei (Tudeh) wird erwähnt. Zweitens: Fast alle Details des Films sind plot-orientiert, wenige nur erzählerisch. Wir sollen glauben, dass das Puppenhaus der Tochter ein wertvolles Geschenk sei, aber es bleibt uneingerichtet, noch gibt es Puppen darin. Am Ende hat es nur dazu gedient, Dokumente zu verstecken. Wie so vieles im Film dient das Detail dem Zweck, ohne dass ihm Gelegenheit gegeben wird, Poesie zu enfalten. Und da, wo sich die Poesie entfalten soll, wird sie gleich wieder zerstört. Das Paar badet (noch in Ostdeutschland) nackt im See. Später im Zelt schenkt er ihr eine Platte des Konzertes, bei dem sie sich kennengelernt haben. Wieder bleibt unerwähnt, was für Musik das war. Nicht dass das für den Plot eine Rolle spielt, aber für den poetischen Überschuss. Drittens versalzen einem die historischen Fehler bzw. Plattheiten gehörig den Genuss. Gleich zu Beginn läuft die Tochter zuhause in kompletter Pionierkleidung herum. Ja, für einen halben Nachmittag ist mir das als Kind auch ein oder zwei Mal passiert, aus reiner Faulheit, mich umzuziehen. Aber einen ganzen Abend lang? Selbst in einem stramm kommunistischen Elternhaus wäre das kaum denkbar (und dabei werden die Eltern durchaus als DDR-kritisch gezeigt). Ich behaupte, dass der Autor/Regisseur Pourseifi dafür nicht einmal hätte recherchieren müssen, sondern nur ein bisschen genauer überlegen. Die Schallplatte, die Omid seiner Frau im Zelt überreicht, hat kein Cover. Wer soll das glauben? Den Vogel schießt Pourseifi aber in einer der letzten Szene ab, als Beate und Omid sich am Teheraner Flughafen voneinander verabschieden. Die beiden küssen sich – wie als Reminiszenz auf die intime Szene am See – inniglich auf den Mund. Das ist zu jener Zeit, als Frauen und Männer verschiedene Ausgänge am Teheraner Flughafen benutzen mussten und jede Berührung zwischen Männern und Frauen in der Öffentlichkeit zumindest unter Verdacht steht, wenn nicht gar illegal ist, völlig unglaubwürdig. (Die älteren iranischen Zuschauer stöhnten bei dieser Szene voller Unbehagen auf.) Darüberhinaus verschenkt der Regisseur genau das Potential, das darin gelegen hätte, die beiden in einer Mikro-Berührung zu zeigen, eben weil wir wissen, welche Innigkeit die beiden eigentlich miteinander verbindet. Die Geschichte hätte ein größeres Budget nicht unbedingt nötig gehabt. Eine sensiblere Hand beim Inszenieren aber gewiss.

262 einhalbte Nacht – Massenmord im Iran

Mal ein Wechsel der Tonart.
Schreibe hier seit über anderthalb Jahren Exzerpte über phantastische Märchen, aber lasse die Gegenwart der Region weitgehend außer acht.

Persien/Iran
Als sich 1982 die absoluten Hardliner in der iranischen Führungsclique durchgesetzt hatten, wurde keine Abweichung mehr geduldet. Selbst jene, die früher die Revolution unterstützt hatten, wurden nun verhaftet oder umgebracht. Tausende wurden unter absurden Anschuldigungen ins Evin-Gefängnis gesteckt und erlitten unglaubliche Folter.
Als sei das nicht genug, wurden sie 1988 noch einmal vor ein Tribunal gestellt, wo man ihnen Abtrünnigkeit vom Islam vorwarf. Beschuldigt zu werden bedeutete, verurteilt zu werden. Verurteilt zu werden bedeutete Tod.
Meine gute alte Freundin Lale Behzadi schrieb in der Online-Ausgabe der ZEIT einen anrührenden Artikel über den Tod ihres Vaters Manoutchehr Behzadi.
Einen Bericht über jene Zeit aus der Sicht seiner Frau, die aus der DDR in den Iran ging, findet sich auf Spiegel Online: „Du wirst sehen, Iran ist wunderschön!“
Im September jähren sich die bis heute unaufgeklärten Massenmorde zum zwanzigsten Mal.

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Keine Nacht heute.

15. Nacht

Allah dankend kraxelt unser dritter Bettelmönch in spe den Berg hinauf bis zur Kuppel, wo er die religiöse Waschung vollzieht, und sich niederlegt und schläft.

Auf Reisen in fremde Länder schickt es sich ja oft, nicht gleich zu fragen, sondern das Merkwürdige erst mal zu beobachten und zur Kenntnis zu nehmen. Und so nahm ich es 1996 eher mit neugieriger Verwunderung zur Kenntnis, als sich bei meiner Reise durch den Iran die einheimischen Männer auf den öffentlichen Toiletten nicht nur die Hände, sondern auch die besockten Füße wuschen. Natürlich wusste ich von der rituellen Waschung, konnte aber dieses Wissen nicht mit der aktuellen Beobachtung verknüpfen.

Im Traum hört er eine Stimme, die ihm komplizierte Anweisungen gibt, die sich so zusammenfassen lassen:

  1. Schieß den Bronzereiter auf der Kuppel mit einem von dir noch auszugrabenden Bogen ab!

  2. Setze dich in das Boot, mit dem gleich darauf ein weiterer Bronzetyp angerudert kommt, da das Meer steigt!

  3. Lass dich von diesem fortrudern und verschweige den Namen Allahs!

Das Gebot etwas nicht zu tun, wirkt natürlich mindestens so stark wie das Gebot, etwas zu tun. Beispiel: Schließen Sie die Augen und denken Sie nicht an einen grünen Gorilla. Wenn Sie sich auf diese Aufgabe konzentrieren, werden Sie selbstverständlich an den Gorilla denken. Vermeiden kann man das, einfach, indem man an etwas völlig anderes denkt, beispielsweise an die Funktionsweise eines Kohlekraftwerks. Ebenso unfruchtbar ist es, Kinder vor etwas zu trösten, vor dem sie Angst haben könnten (was die Angst verstärkt) oder sie negativ zu korrigieren: "Andreas, du Pottsau, lass die Tante in Ruh!" Besser: "Andreas, jetzt kannst du auch mal auf den Onkel hopsen!"
Was ich damit sagen will: In Märchen können wir darauf wetten, dass ein ausgesprochenes Verbot gebrochen wird. Welche narrative Funktion hätte es sonst? Vielleicht sollte mal jemand so ein Kindermärchen schreiben: in dem alle sich an die von den Erwachsenen ausgesprochenen Ge- und Verbote halten. Andererseits traue ich es Schehrezâd zu, dass sie auch noch so einen Joker für uns bereithält. Darüberhinaus scheint ja das (dreimalige!) Verbot, Allahs Namen zu rufen, auf eine teuflische Macht hinzudeuten.

Tatsächlich wird unser Prinz gerettet, wie man es ihm vorhergesagt hat. Aber leider funktionieren seine muslimischen Reflexe zu gut. Er dankt Allah bei seiner Errettung, und das Schiff geht unter. Mit letzter Kraft rettet er sich auf eine Insel. Als sich ein Schiff nähert, klettert er auf einen Baum.
Warum, so fragt man sich, bittet er nicht darum, mitgenommen zu werden.
Zehn schwarze Sklaven öffnen eine Platte im Erdboden und geleiten einen Jungen, Schönen und einen Alten hinein.

Der war zu dem geworden, was von ihm noch übrig war…

Man lässt den Jungen zurück, und als das Schiff fort ist, betritt der Prinz das Gewölbe und freundet sich mit dem Jungen an, dem geweissagt wurde, er würde 40 Tage, nachdem die kupferne Reiterstatue von einem gewissen Adschîb, Sohn des Chadîb herabgeschossen, von ebendiesem Adschîb getötet. Leider handelt es sich bei unserem Prinzen um Adschîb, der seine Identität zwar verschweigt und sich als Diener des Jungen anbietet, ihn aber genau am Stichtag (!) mit einem Melonenmesser aus Versehen umbringt.l

Unklares Entspannungsmittel: Rauchbad aus Weihrauch