Mozarts Dur-Kompositionen

In seltsamer Einhelligkeit wird von Musikwissenschaftlern und -liebhabern auf Mozarts Moll-Kompositionen verwiesen, die ein Beleg für seinen persönlichen Schmerz seien und angeblich beweisen, dass er ein ernstzunehmender Komponist sei. Bestes Beispiel: Die „kleine“ g-moll-Sonfonie, die er im Alter von nur 17 Jahren geschrieben hat. Diese Sinfonie ist tatsächlich unglaublich, aber soll denn tatsächlich, alles, was er vorher geschrieben hat, Pillepalle gewesen sein, nur weil es eben heiter ist?
Es erinnert mich an die endlose Diskussion von Komödie und Improtheater.

Berichten Sie Ihr traumatischstes Erlebnis

Um an „Wahrheiten“ heranzukommen, werden Schauspielschüler aufgefordert, sich auf einen Stuhl zu setzen und ihr traumatischstes Erlebnis zu berichten.
John Wright berichtet in „Why is that so funny“, wie eine Schülerin ihm gestand, dass ihre Mitschüler ihr Komplimente für die emotional aufwühlende Geschichte vom Tod ihrer Mutter gaben. In Wirklichkeit aber lebt die Mutter bei bester Gesundheit.
John Wright meint nun, die Übung sei eigentlich sehr gut, nur werde sie durch die übermäßige Betonung von Wahrheit missbraucht. Als ob sich „Wahrheit“ nur im Tragischen fände.
Die Aristotelische Trennung von Komödie und Tragödie lässt sich ja bis heute nachzeichnen, und zwar vor allem in der Geringschätzung der Komödie.
Die improvisierten Dialoge zu Beginn der Chaussee der Enthusiasten basieren eigentlich grundsätzlich auf Wahrem, auf Erlebtem. Und zwar ohne, dass wir uns mal darauf geeinigt hätten. Aber diese Dialoge haben natürlich grundsätzlich einen komischen Dreh. Es wäre völlig unpassend, wenn an der Stelle, einer von uns in Tränen ausbräche. Sicherlich – es geht hier weniger um Schauspiel, aber doch immerhin um eine Bühnenperformance.

Wahrheit und Schmerz

„Komik = Wahrheit + Schmerz“, meint John Vorhaus und belegt das recht überzeugend mit einigen Beispielen.
Auf der anderen Seite braucht man sich nur einmal eine echte Tragödie anzuschauen und man wird feststellen, dass die ohne die Elemente Wahrheit und Schmerz ebensowenig funktioniert.
Wahrheit und Schmerz sind also eher Erzähl-Elemente.
Die Komponente Schmerz bewirkt, dass uns das Thema wirklich erreicht und berührt.
Die Komponente Wahrheit sorgt dafür, dass die Story nicht abgeschmackt, billig, lächerlich, oder an den Haaren herbeigezogen wirkt.

Der Unterschied zwischen der Komödie und der Tragödie liegt dann eher darin, wie die Helden mit der Situation umgehen. Vielleicht eine Frage des Timing – in der Komödie leidet der Held in der Regel sofort und immer wieder. In der Tragödie steuert er blind und oft heiter in sein Schicksal.
Andererseits kennen wir das Slowburn aus den Laurel-und-Hardy-Filmen: Wenn die beiden auf ein Dach klettern, wissen wir schon ab der ersten Sekunde, dass Ollie irgendwann an der Regenrinne hängt.
Oder sollte der Unterschied eher in der Doofheit der Charaktere liegen?
Und was ist mit den Todd-Solondz-Filmen? Hier weiß man gar nicht mehr, ob man lachen oder schluchzen soll.

Blinder Fleck für Talente

Anscheinend bin ich nicht der Einzige, dem es so geht: Man tendiert dazu, beim Unterrichten das überzubetonen, was man selber lernen musste und das zu vernachlässigen, was einem offensichtlich erscheint.
Z.B. erschien mir die Freude, in eine Figur zu schlüpfen, sie nachzuahmen, also der mimetische Instinkt, als völlig normal, so wie Spielen oder Tanzen. Fast undenkbar, dass jemand fragen könnte: Wie jetzt?
Und es gibt auch kleine Talente und Tugenden, auf die man erst mal aufmerksam gemacht werden muss. So sagten mir verschieden Teilnehmer beim Hallenser Festival, das wir Spieler von Foxy Freestyle ein ausgeprägtes Talent zur klanglichen Darstellung hätten. Ich habe das immer für normal gehalten, und erst als ich das hörte, wurde mir klar, dass die meisten Gruppen das fast gar nicht nutzen.

Immer auf die Kleinen – Europäische Rüpelhaftigkeit

Eine Regel von Bob Kennedy aus dem YesAnd-Forum:

Funny at the expense of the lower-status character = churlish. Funny at the expense of the higher-status character = comedy gold. Unless you’re in continental Europe, where it’s the other way around. I think.

Und wahrscheinlich hat er recht. Wie Grissemann schon sagte: Deutsche Comedy ist reaktionär. Der ganze Stefan Raab würde nicht funktionieren, wenn man das Lachen auf Kosten der Schwachen weglassen würde.… Weiterlesen

Limelight

Was für ein Film! Chaplin porträtiert seine eigene Angst, seine eigene Schwäche, seinen eigenen Untergang. Das Mitleid mit Chaplin überwiegt das Mitleid mit Calvero, denn nicht allein Calvero hat Schwierigkeiten mit seinen Gags, sondern auch Chaplin hat nicht mehr das Gefühl für Timing. Was in „The great dictator“ begann, nimmt hier seinen Lauf: Lange Einstellungen, in denen Chaplin monologisiert. Die Bild- und Körpersprache kommt abhanden. Und er hält nicht Schritt mit dem Medium Film. Ein aufs Stichwort geliefertes Telegramm funktioniert zwar noch in den frühen 30ern, in den 50ern ist es billig.
Aber in jeder Szene spricht die Angst Chaplins und gleichzeitig seine Gier nach Leben.

Die traurige Geschichte vom schlechten Komiker

Shaun Landry erzählt die folgende Geschichte über einen Komiker, der in jedem Workshop der Stadt anzutreffen war:
The worse case I have ever seen in my life is a cat who seems to be the king of classes. I don’t think anyone (and granted myself included) has said to him „You will never be a good improviser or stand up comedian“. I see him every once in a while here attempting stand up. God. It’s brutal. No one will tell him the truth. *no one*He ended up opening for a famous comedian. Not because he was any good. Because this very famous comedian is a notorious asshole drunk to deal with. And the bookers decided to screw him by finding the worst standup in town.And it was the guy I’m talking about. It is like picking on the ugly kid with the pretty girl…or some scene from Carrie. Just waiting for the bucket of blood to fall from the Improvisation in San Jose.He was so happy. This is where you sit there and go „is this the moment I burst this happy man’s bubble? NO I CAN’T DO IT. I CAN’T TELL HIM HE GOT THE GIG BECAUSE HE IS HORRIBLE. NO. I’M NOT GOING TO BE THE ASSHOLE HERE“That is what it comes to.Noone wishes to be „The Asshole“ When in actual fact you might be the nicest one in the room for finally telling this guy the truth.I have heard me mumble „I don’t know what will help“ Maybe I should take an inflection class to try to make that sound more upbeat. So I don’t get pounced with the ultimate question „Well, what do you mean?“ For a bunch of people who scream Truth in Comedy, we sure suck at Truth in Real Life.

Immanente Komik des Improtheaters

Allein, dass der Mitspieler auf unerwartete Angebote zu reagieren hat, macht das Improvisationstheater tendenziell komisch. Viele Games betonen auch gerade dieses Element. Aber auch in collagierten Langformen oder im Storytelling ist es oft weniger die Geschichte, die komisch ist, sondern der improvisierende Schauspieler.
In der improvisierten Musik ist das seltsamerweise nicht der Fall.
Vielleicht hat es mit dem von Bergson beschriebenen Effekt des „Mechanismus, der das Lebendige überdeckt“ zu tun.

Karl Valentin – ein Blockierer?

Aus der Impro-Perspektive muss man Valentin wohl als Blockierer oder zumindest als ewigen Nein-Sager bezeichnen. Seine Partnerin muss das Kleinholz seiner Logik wieder zusammensetzen, und er zerstört es umso mutwilliger. Allerdings hält er permanent den improvisatorischen Ball in der Luft. Laut Auskunft von Karlstadt konnte Valentin sich den Text auch nie richtig merken und so ging man immer wieder zu Improvisiertem über, was zu großartigen, nicht erhaltenen Gags führte. Karlstadt beschwor sich selbst während des Aufführens, sich die Gags zu merken, konnte aber anschließend nie eine Zeile rekapitulieren. Traurig, wenn man bedenkt, wie leicht man heutzutage Ton und Film aufnehmen kann.

Karl Valentin Ausstellung im Martin-Gropius-Bau

Gestern Vormittag zur Karl-Valentin-Ausstellung im Martin-Gropius-Bau. Man hätte es wissen können – es waren dann doch hauptsächlich erwartbare Dinge. Unter den Fotos kaum eines, das ich nicht schon kannte. Ein paar wenige beeindruckende Exponate wie eines seiner berühmten Dreiräder mit abgewetztem Sattel.
Ein Brief der Bayrischen Regierung aus dem Jahre 1942, in dem der Stummfilm „Der Sonderling“ von 1929 verboten wird, weil er zu absurd sei. Einiges aus der Ritterspelunke. Vielleicht hat Valentin wirklich seinen Draht zum Publikum verloren, als die grausame Wirklichkeit seine sadistisch-groteske Komik einholte. Er baut einen mittelalterlichen Folterkeller in München, während wenige Kilometer weiter in Dachau tatsächlich systematisch gefoltert wird. Die Menschlichkeit, die sozusagen die Grundlage ist, auf der sich das lustvolle Entsetzen der Groteske entfaltet, geht verloren, die Barbarei hält Einzug, der Krieg, die Bomben auf München macht die Unmenschlichkeit für jeden erfahrbar. Zaghafte Versuche, sich trotzdem zu behaupten, wie in den Feldpostbriefen. Dann der zwangsläufige Rückzug in die Burg und dann nach Planegg.Der Neustart nach dem Krieg geht fast ebenso zwangsläufig in die Hose. Der Humor wirkt schal, die Witze ausgedacht. Es fehlt das Überbordende, die Übertreibung, die Seele. Valentin schwankt zwischen schlecht gemachten moralisierenden Gedichten, anbiedernder Volkstümlichkeit und raren, verzweifelten Versuchen, an die alte Anarchie seiner Komik anzuknüpfen, aber man spürt dass das Herz alt geworden ist.

Loslassen

„That melody is so strong that the softer you play it, the stronger it gets, and the stronger you play it, the weaker it gets.“ (Miles Davis über „Concierto de Aranjuez“ aus „Sketches Of Spain“)
Dies erfordert eine ganz besondere Kraft, nicht nur in der Musik. Gerade in der improvisierten Komödie tendieren die Schauspieler dazu, immer noch einen draufzusetzen, bis die Kraft der Komik ausleiert. Sanfte, konzentrierte Kraft und Sinn für Poesie auch in der Komik, selbst im Derben und Grotesken.

Von Comics Komik lernen

(c) TOM hat im Laufe der letzten Jahre seinen Stil immer mehr verfeinert (wenn man mal von der ewig unkomischen Postoma absieht).Die Pointe liegt meist in dem, was man nicht sieht. Die Impro-Spieler könnten sich mal davon eine Scheibe abschneiden.


(Abbildung nur zu Studienzwecken. Alle Rechte beim Zeichner (c) Tom. Bild wird auf Verlangen unverzüglich gelöscht.)

Gags und Brechungen

Crossover-Impro mit Jochen Schmidt als Autor von der Chaussee der Enthusiasten. Erstaunliches szenisches Engagement. Gutes Gespür fürs Aufeinandereingehen.
Hinterher die Diskussion, wie man mit dem Impuls des Brechens und der Pointe umgeht. Vermutlich eröffnet sich hier noch ein sehr weites Feld, das mit dem Johnstoneschen Verbot des Gagging nicht abgehakt ist. Gags (bzw. Pointen), die das Gesehene auf den Kopf stellen, setzen im Prinzip einen Schluss, es geht nicht mehr weiter oder man muss von vorn anfangen.
Andererseits kann das gegenseitige Brechen der Perspektiven auch im angenehmen Flow geschehen, wie wir es bei den Chaussee-Dialogen erfahren. Es ist auch immer eine Frage des Spannungsbogens. Ein kurzer Sketch kann gut mit einem Gag beendet werden. Derselbe Gag kann tödlich sein, wenn wir uns in einem langen Narrativ befinden oder überhaupt eine Plattform bauen.
Jochen meint, die Frage liege darin, was man überhaupt will: Storys erzählen oder Sachverhalte beleuchten. In jedem Fall ist, so denke ich, der schnelle Gag der billigste. Die Freude an der langen fließenden Improvisation oder Komposition ist anhaltender. Aber dafür braucht sowohl das Publikum als auch das Ensemble Kraft.
Um etwas brechen zu können, muss ich auch erst mal die Kraft haben, etwas aufzubauen.

Das alles sind nur kurze Gedanken. Man müsste es noch genauer analysieren.

Komik des Improvisierens

Steffi Winny beschrieb die Komik des alten Improspiels „Rein/Raus“ so, dass die Spieler zu „Regie-Opfern“ werden. (Zumindest wenn es gut gespielt wird, d.h. schnell und ohne lange Rechtfertigungen, ist das der Fall.)
Im Grunde aber funktioniert ein Großteil der gesamten Impro-Komik auf diesem Prinzip: Der Improspieler macht sich bewusst zum Opfer seiner Mitspieler, zum Opfer der Regeln eines Spiels oder auch – wenn er schnell und transparent genug ist – zum Opfer dessen, was sein Unbewusstes an Inhalten ausspuckt.
An dieser Stelle umfasst Improvisation einen großen Teil des Komikaspekts, den Henri Bergson in „Das Lachen“ („Le rire“) beschrieben hat.