Obwohl ich unter den mir bekannten Künstlern nicht unbedingt zu den Faulpelzen zähle, fällt es mir doch immer wieder schwer, mir sinnvolle Kreativitäts-Ecken freizuräumen. Die schlimmsten Fallen sind derzeit:
Das Internet: Man schreibt einen Text und will nur „noch mal schnell“ einen Begriff recherchieren. Und schwupps liest man sich bei Wikipedia fest, und wenn man schon mal online ist, kann man ja gleich auch noch Mails abrufen, ins Facebook reinschauen, wo ein geachteter Kollege ein hochinteressantes Video auf Youtube verlinkt, usw. usf.
Momentan gehe ich dem Computer zumindest beim Anlegen eines Textes oft aus dem Weg. Stift und Heft sind genau das richtige Werkzeug. Und ich spiele ernsthaft mit dem Gedanken, mir wieder eine mechanische Schreibmaschine zuzulegen.
Gefangen im Administrativen: Ich muss gestehen, ich organisiere gern. Die Planung des Kantinenlesens etwa – ein Zeitfresser ohnegleichen – macht mir außerordentlich viel Spaß. Und ich gehöre außerdem zur seltenen Rasse, die ihre Steuererklärung gerne macht, die mir wie eine Art Jahresrückblick aus einer bestimmten Perspektive erscheint. Aber so gerne ich diese Dinge auch tue, so weiß ich doch, dass sie mir die Zeit des Wichtigsten – des Kreativseins – rauben. Und so versuche ich (mit mäßigem Erfolg), immer mehr Aufgaben zu delegieren.
Familien-Stress: Die tief verinnerlichte Verantwortung fürs Kind und die Frau können einen sehr leicht aus dem Kreativitätsprozess herausreißen. Der Poet versucht zu fliegen, die Realität holt ihn auf den harten Boden zurück. Wer kann dichten, wenn nebenan das Kind schreit.
Kurioserweise war es der Familienstress, der dazu führte, dass ich mich wieder stärker auf Tagespläne konzentrierte. Nicht immer erfolgreich. Im Dezember letzten Jahres schlief das damals 7 Monate alte Kind morgens und nachmittags jeweils zwei Stunden. Vor- und Nachmittag teilte ich mit der Mutter auf. Eine Woche, nachdem ich einen fast minutiösen Tagesplan aufgestellt hatte, fiel er in sich zusammen, da das Kind seine Schlafgewohnheiten änderte. Derzeit weiß ich den Segen des Kindergartens zu schätzen, aber es kann natürlich jederzeit sein, dass das Telefon klingelt und wir hören müssen: „Ihr Kind hat Fieber, holen Sie es bitte ab.“ (In drei Monaten bisher drei Mal.)
Im Moment versuche ich, vormittags die Gedanken zu sammeln, gehe spazieren, mache Notizen, schreibe Textanfänge. Der Nachmittag ist reserviert für Administratives. Donnerstag werden E-Mails und Telefonate auf ein Minimum reduziert. Abends 3-4 Auftritte und 1-2 Workshops pro Woche. Es bleiben 2-3 Abende, an denen ich zuhause sitze und lese, leider auch zu oft im Internet versinke.
Der Witz ist: Alles, was wir regelmäßig tun, bewusst oder unbewusst, verfestigt sich zum Ritual, zur Routine, über die wir nicht weiter nachdenken. Also müssen wir Künstler uns zeitliche und räumliche Zonen schaffen, in denen wir schreiben, singen, tanzen können, ohne vom „Du musst“ oder „Du könntest aber auch“ gefangen zu werden.
Um einen Überblick über das tatsächliche Arbeiten zu bekommen, führe ich seit Anfang Mai ein zeitlich recht genaues Arbeitsjournal. Das Journal ist in fünf Kategorien aufgeteilt, die in den letzten sechs Monaten folgenden Anteil an der Arbeit einnahmen:
Kreatives Schreiben: 20%
Administrative Arbeiten: 20%
Shows und Auftritte: 43 %
Training: 9%
Workshops: 8%
Um die Wischi-Waschi-Grenze zu Freizeit-Aktivitäten nicht noch mehr verschwimmen zu lassen, habe ich alles exkludiert, was zu sehr in den Freizeit- oder Alltagsbereich lappt: Lesen, Internet-Recherche, Rechnungen begleichen, Treffen mit Kollegen. In den Bereich „Training“ geht alles, was klar der künstlerischen Weiterentwicklung dient, auch wenn ein direkter Nutzen nicht erkennbar ist, wie z.B. Klavier-Üben (ich werde wahrscheinlich nie öffentlich Klavier spielen).
Die Quoten sind derzeit recht zufriedenstellend. Im Vergleich zu den vergangenen Jahren habe ich die Workshop-Aktivitäten (auch wenn das derzeit das Lukrativste ist) deutlich zurückgefahren. Die Liste zeigt natürlich leider nicht die vertane Zeit, in der ich viel lieber hätte üben oder schreiben können.
Eigentlich kann ich nicht jammern: Als Vater mit einem anderthalbjährigen Kind kann ich glücklich sein, in den letzten 18 Monaten nicht nur einigermaßen, sondern sogar recht gut weiterarbeiten zu können. Und auch wenn ich nur noch selten bis um 8 Uhr morgens schlafen kann, so komme ich doch meist auf meine sieben Stunden Nachtschlaf, und im Gegensatz zu den meisten Büro-Angestellten gibt es in meiner Umgebung niemanden, der mir einen ordentlichen Nachmittagsschlaf verübeln würde.
In seinem Buch „Daily Rituals. How Great Minds Make Time, Find Inspiration, and Get To Work“ beschreibt Mason Currey, wie 168 Künstler aus verschiedenen Zeiten und aus unterschiedlichen Kunstdisziplinen ihren Tag strukturieren (oder auch nicht), welche Gewohnheiten ihr Leben und ihre Arbeit kennzeichnen, wie sie Inspirationen finden und unter welchen Umständen sie arbeiteten oder arbeiten.
W.H. Auden (1907-1973)
Frühaufsteher. Arbeitete strikt nach der Uhr. Kreative Zeit 7-11 Uhr. „Nur die Hitlers dieser Welt arbeiten nachts, aber kein ehrlicher Künstler.“ Drogen: Regelmäßig Amphetamine und Wodka Martinis. Nie später als 23 Uhr zu Bett.
Francis Bacon (1909-1992)
Aufstehen bei Tagesanbruch. Malen bis mittags. Nach außen hin scheinbar chaotisches und unordentliches Leben. Malutensilien und Bücher überall auf dem Boden verstreut, regelmäßiger Party-Gänger, reichhaltige Mahlzeiten, exzessiver Alkoholkonsum. ABER: Malen kam vor allem anderem.
Simone de Beauvoir (1908-1986)
Schwierigkeiten mit dem Tagesanfang. 10-13 Uhr und 17-21 Uhr Hauptarbeitszeiten.Wenig Luxus. Beschränkung auf die wichtigsten Dinge im Leben (inklusive Schlaf und Sex) ermöglichen die Arbeit.
Kurios auch: Fotos schreibender Schriftsteller. Welcher Schriftsteller kann schon schreiben, wenn er dabei fotografiert wird? Simone de Beauvoir muss hier für den Fotografen wahrscheinlich auch noch stillhalten und ernst gucken.
Thomas Wolfe (1900-1938)
Hauptarbeitszeit: Ab Mitternacht. Drogen: Enorme Mengen an Kaffee und Tee, sowie Zigaretten. Kuriose Gewohnheiten: Im Stehen auf dem Kühlschrank schreiben; Vorm Schreiben als Inspiration an den Genitalien spielen.
Patricia Highsmith (1921-1995)
Täglich 3-4 Stunden Schreiben am Morgen. („I have ideas as frequently as rats have orgasms.“). Harter Drink vorm Schreiben, um das Energieniveau herunterzufahren. Kettenraucherin. Kurioses Hobby: Ihre Sammlung von Schnecken, die sie bei ihrem Umzug nach Paris illegal ins Land brachte.
(wird fortgesetzt)