Exzerpt von Blake Snyders berühmter Drehbuchfibel „Save The Cat.“
1. Worum geht’s?
Die Story sollte in einem, höchstens in zwei Sätzen zusammenzufassen sein: Worum geht’s?
Die so zusammengefasste Story sollte eine gewissen Ironie haben.
Beispiel Stirb langsam: Ein Polizist kommt nach LA, um seine Frau zu besuchen, mit der er sich verstritten hat, während ihr Büro von Terroristen besetzt wird.
Wie bei Prousts Madeleine brauchen wir ein mentales Bild, das die ganze Story sich entfalten lässt.
Finde einen Titel, der einen regelrecht anspringt und der ihn von anderen unterscheidet.
Teste deine Idee an Fremden. „Ich habe keine Angst, dass irgendwer meine Idee klauen könnte. Und wer diese Angst hat, ist ein Amateur.“
2. Das Gleiche aber anders
„Du kannst in der Nähe des Klischees bleiben, du kannst es umtanzen, du kannst dich hineinbegeben, es umarmen. Aber im letzten Moment musst du dich abwenden, du musst der Sache einen Dreh geben.“
Snyder gibt uns 10 Filmtypen. Man könnte auch „Genres“ sagen, allerdings sind sie etwas gegen unsere herkömmliche Genre-Kategorisierung gebürstet.
1. Das Monster im Haus
Beispiele: Der weiße Hai, Der Exorzist, Panic Room
Dieses Genre spielt mit Ur-Instinkten: Werde nicht gefressen!
Die Regeln sind einfach:
– Das „Haus“ muss ein klar abgegrenzter Raum sein: Ein Bade-Ort, ein Raumschiff, usw.
– Es wird eine „Sünde“ begangen,
– die das Monster wie einen Rache-Engel erscheinen lässt.
2. Das Goldene Flies
Beispiele: Der Zauberer von Oz, Star Wars, Die glorreichen Sieben
– Äußerlich unternimmt der Held eine Reise, eine Mission.
– Tatsächlich findet die Reise im Inneren statt.
3. Aus der Flasche
Beispiele: Die Maske, Flubber, Und immer grüßt das Murmeltier
– Der Held wünscht sich etwas sehnlichst, das ihm ziemlich schnell erfüllt wird.
-Schon bald zeigt sich aber die dunkle Seite des Wünschens. Der Held muss lernen, dass Wünschen nicht alles ist.
4. Ein Typ mit einem Problem
Beispiele: Schindlers Liste, Terminator, Stirb langsam
– Der Held hat ein Problem.
– Dieses Problem sollte groß sein, und zwar im Verhältnis zum Helden. Der Schurke sei so schurkig wie möglich. (Für Bruce Willis muss es schon ein Terrorist sein, und nicht ein Falschparker.)
5. Übergangs-Riten
Beispiele: About Schmidt, American Pie
– Es geht um wachsenden Schmerz beim Übergang von einem in den nächsten Lebensabschnitt.
– Hier geht es ums Aufgeben, die Akzeptanz des Mensch-Seins.
6. Kumpel-Story
Thelma und Louise, Wayne’s World, Laurel & Hardy, Alexis Sorbas
– Blake Snyder meint, diese Art von Geschichten seien im Grunde Erfindungen des Filmzeitalters, die durch das Problem entstanden sind, dass im Film der innere Monolog wegfällt, den es im Buch oder auf der Bühne noch gab.
– „Das Geheimnis einer guten Kumpel-Story ist, dass es eigentlich eine getarnte Liebesgeschichte ist. Und umgekehrt sind alle Liebesgeschichten Kumpel-Storys mit dem Potential für Sex.“
– Die Helden brauchen einander. Sie müssen ihr Ego aufgeben, um gemeinsam zu gewinnen.
– Oft ist der eigentliche Held der weniger Präsente, der Unsympathischere, der Schwächere: Tom Cruise in Rainman, Paul in Paul und Paula, Basil in Alexis Sorbas
7. Whydunit
Citizen Kane, Chinatown, JFK, jeder Krimi
– Es ist eben kein Whodunit, da uns das Warum viel mehr als das Wer interessiert. Und so
– unternehmen wir eine Reise in die dunkle Welt des Menschseins.
– Im Gegensatz zum Goldenen Flies verändert sich nicht der Held, sondern das Publikum.
8. Der triumphierende Narr
Beispiele: Amadeus, Forrest Gump, Harold-Lloyd-Filme
– Nach außen ist der Held ein Dorftrottel. Wenn man genau hinschaut, ist der Weiseste von uns allen.
– Gegen alle Wahrscheinlichkeit gewinnt der völlig minderbemittelte Narr gegen übermächtige Institutionen
9. Institutionalisiert
Beispiele: Einer flog über Kuckucksnest, Der Pate, American Beauty
– Es geht um Pro und Contra von Gruppenloyalität.
– Häufig erzählt aus der Perspektive des Außenseiters oder des Newcomers.
10. Superheld
Beispiele: Frankenstein, Gladiator, A Beautiful Mind
– Dies ist das Gegenteil von „Ein Typ mit einem Problem“: Hier findet sich eine außergewöhnliche Person in der normalen, der mittelmäßigen Welt wieder.
– Letztlich geht es ums Anderssein.
– Entscheidend ist hier, dass wir eine Sympathie für den Superhelden empfinden.
3. Es geht um jemanden, der…
Das Was bleibt abstrakt, solange das Wer nicht klar ist. Die Figuren dienen dem Inhalt.
Man schaffe einen Helden, der
– den schärfsten Konflikt in der betreffenden Situation anbietet.
– emotional einen langen Weg zurücklegt.
– demographisch am attraktivsten ist (sprich: jung. Denn vor allem junge Leute gehen ins Kino.)
(Die Fokussierung Blake Snyders auf den Kassenerfolg versperrt ab und zu die Sicht auf interessante Themen und künstlerische Ansätze, aber darum geht es ihm auch gar nicht. Anm. Dan Richter)
Auf jeden Fall sollte man nicht allein von der eigenen Wahrnehmung ausgehen oder zumindest die eigene Wahrnehmung nicht für die einzige halten. In diesem Zusammenhang erzählt er die Anekdote seines Vaters, der Werbezeit im Fernsehen verkaufte. Er bot einem wohlhabenden Klienten an, einen Werbe-Clip am Sonntagnachmittag zu schalten. Dessen Antwort: „Sonntags bleibt doch niemand zuhause, um fernzusehen. Da spielen doch alle Polo.“
Der Held sollte einem Urtrieb folgen.
Als Faustregel gilt: Gib mir einen Helden
– mit dem ich mich identifizieren kann,
– von dem ich lernen kann,
– dem ich zwingend folgen muss
– von dem ich glaube, dass er es verdient zu gewinnen;
– bei dem es um etwas Ursprüngliches geht.
4. Let’s Beat it Out
In diesem Kapitel legt Snyder seine Drehbuch-Stuktur an, von der er meint, dass sie einem viel Nachbearbeitung erspare.
Vielleicht ist dies das Kapitel, in dem man am meisten kopieren kann, um Langform-Storytelling auf die Improbühne zu bringen.
The Blake Snyder Beat Sheet
(In den Klammern die Seitenzahlen des 110seitigen Drehbuchs. Bei längerem Drehbuch müssen die Proportionen stimmen.)
1. Eröffnungsbild (1)
Es verleiht dem ganzen bereits eine Stimmung, eine Farbe. Und es korrespondiert mit dem Schlussbild.
2. Das Thema wird benannt (5)
Oft wird das Thema von einer Nebenrolle nebenbei erwähnt. Jeder Film (d.h. auch jedes Stück, jede Geschichte) muss um etwas gehen.
3. Set Up (1-10)
Jede Figur wird in den ersten Seiten eingeführt, mit all ihren Macken. Das Ziel des Helden, die Hindernisse, all das wird hier schon etabliert. Das Set-Up ist die These, des Helden Welt „Davor“.
4. Katalysator (12)
Ein Moment, der alles verändert: Ein Telegramm. Entlassen werden. Die eigene Frau mit jemand anderem im Bett erwischen.
„Lebensverändernde Momente erscheinen oft getarnt als schlechte Nachricht.“
5. Debatte (12-25)
Soll der Held seinen Weg gehen oder nicht?
6. Der Bruch in zwei Teile (25)
Etwas Großes muss geschehen, damit der Held seine Entscheidung treffen kann. Er muss sie allein treffen, und er darf nicht gelockt oder überrumpelt werden.
7. Die B-Story (30)
Die B-Story gibt uns eine Atempause und den Figuren die Möglichkeit, die Hauptgeschichte zu thematisieren, ohne sich darin zu verwickeln. Sie kommt oft als Liebesgeschichte daher.
8. Spaß und Spiel (30-55)
Dies ist der Kern der Geschichte, das was man in den Trailern und auf den Postern sieht. Das, weshalb ich ins Kino gegangen bin.
9. Mittelpunkt (55)
Der Mittelpunkt ist entweder ein Höhe- oder ein Tiefpunkt. Der Held hat einen scheinbaren Sieg gewonnen oder einen scheinbaren Verlust erlitten.
Der Mittelpunkt korrespondiert mit dem Alles-ist-verloren-Punkt (s.u. 11)
10. Die Bösen brechen herein (55-75)
Gerade nach dem Mittelpunkt ist ein geeigneter Zeitpunkt für die Bösen, um mit aller Macht nun die echte Herausforderung zu etablieren.
11. Alles ist verloren (75)
Der Atem des Todes. Der Mentor stirbt, so dass der Schüler erkennen kann: Er trug es selber schon in sich.
Wenn Tod an sich nicht passt, kann es etwas bildliches oder symbolisches sein: Eine Blume, ein Fisch.
12. Die dunkle Nacht der Seele
Der Moment der Hoffnungslosigkeit.
13. Der Bruch in drei Teile (85)
A-Story und B-Story verschmelzen. Die Antwort wird gefunden.
14. Finale (85-110)
Der Held hat seine Lektion gelernt. Die Schurken wurden besiegt. Eine neue Gesellschaft ist geboren.
15. Schluss-Bild (110)
5. Building the Perfect Beast
40 Karten für 4 x 10 Film-Teile.
Jede Szene muss wie ein für sich stehender Film sein.
6. Die unabänderlichen Gesetze der Drehbuch-Physik
1. Save the Cat
Der Held, der ja oft zu Beginn seiner Heldenreise etwas zögerlich ist und vielleicht sogar ein wenig dumm, egoistisch o.ä., braucht einen sympathischen Moment, damit wir als Zuschauer mit ihm sympathisieren, eine Verbindung zu ihm aufbauen können. Ein solcher Moment kann eine kleine, nebensächliche Handlung sein, wie etwa eine Katze aus einem brennenden Gebäude zu retten. Es ist auch möglich, einen negativen Helden (z.B. Vince in Pulp Fiction) aufzupolieren, in dem der Oberschurke (Marsellus Wallace) noch fieser dargestellt wird.
2. Der Papst im Pool
Einleitungen und Erklärungen an sich sind oft öde im Film, dummerweise aber manchmal notwendig. Wir lösen die Situation, in dem wir das Ganze in ein interessantes Setting einbetten. In einem (nicht realisierten?) Drehbuch etwa, musste dem Papst eine Hintergrundgeschichte aufgedröselt werden. Man ließ ihn im Pool baden.
3. Double Mumbo Jumbo
Als Zuschauer verträgt nur man nur ein Stück Magie pro Film. Man kann nicht Außerirdische in einem UFO landen sehen, die dann von Vampiren gebissen werden und jetzt Aliens und Untote sind.
Als schlechtes Beispiel wird Shyamalans Signs angeführt. Aliens überfallen die Erde, und es geht um Mel Gibson’s Glaubensverlust. Gott und Aliens ist ein Schuss Magie zuviel.
(Und eine Double Mumbo Jumbo Pizza will schließlich auch keiner.)
(Anm. DR: Im Juni 2010 sah ich eine Parodie darauf im Magnettheater Improtheater New York: Aliens, die sich als Vampire verkleidet haben, aber in Wahrheit Zombies, ach nein, eigentlich Humanroboter sind.)
4. Laying Pipe
Gemeint sind ewig lange Einführungen, bis wir zum Kern der Sache kommen. Beispiel „Minority Report“ – 40 Minuten Einführung, bis wir erfahren, worum es geht.
(Eine Ausnahme ist definitiv Psycho. Aber Hitchcock darf das.)
5. Black Vet – Zu viel Marzipan
Eine Variante des Double Mumbo Jumbo. Zu viele unwahrscheinliche positiven Eingenschaften des Helden auf einem Haufen.
6. Pass auf, der Gletscher!
Gefahr muss unmittelbar sein. Wenn sie langsam daherkommt wie die Klimaerwärmung oder ein Vulkan, der irgendwann ausbrechen könnte, verliert sie an Wirkung.
7. Der Bogen
„Bogen“ heißt Veränderung der Figuren. Jede Figur verändert sich im Laufe der Handlung mit Ausnahme des Schurken.
8. Keine Presse
Sobald die Presse oder Massenmedien in die kleine Geschichte eindringen, zerstören sie ihre Relevanz.
(Beispiel: Was wäre, wenn die Presse in „E.T.“ aufgetaucht wäre?)
7. Filmkorrekturen
Der Held übernimmt die Führung:
– Der Held braucht ein Ziel.
– Es darf nicht zu einfach sein für den Helden.
– Der Held muss aktiv sein.
– Faustregel: Der Held stellt keine Fragen.
Handlung statt Plot
– Zeige, statt zu erklären.
– Wenn man den Figuren Raum für Handlung gibt, sind sie am besten.
Mach die Schurken böser.
– Dadurch erhöhen sich die Herausforderungen für den Helden.
Bewegung
– Der Plot läuft nicht einfach durch, er verändert sich andauernd.
Kein Small Talk
– Jeder Character muss auf seine spezifische Weise reden.
Dreh am Gefühlsrad
– Nicht auf einer emotionalen Ebene bleiben.
A Limp and an Eye Patch
– Sowohl äußerlich als auch charakterlich sollten die Figuren speziell sein.
Geh einen Schritt zurück:
– Es geht nicht so sehr ums Ziel, als darum, wie der Held zu diesem Ziel gelangt.
…
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