Abrufbare Songs

Eine Impro-Gruppe hatte einen guten Musiker, der vor allem mit Percussion und Violine umzugehen verstand. Auch seine Art, hier und da kleine, Sounds aus dem Keyboard zu locken, war sehr passend.
Aus irgendeinem völlig bescheuerten Grund sah er sich aber dazu veranlasst, in jeder zweiten Szene auf die Demo-Song-Datenbank des Keyboards zurückgreifen zu müssen. Also nicht nur nicht-improvisierte Musik, sondern schlechte Musik: Verpoppte Beatles-Songs, dämliche Humpta-Polkas usw.
Was für ein Teufel saß diesem guten Musiker im Nacken?

Commitment

Im Film „The Commitments“ erklärt der alte Joey „The Lips“ Fagan seinem Bandkollegen Dean, warum Blues-Musiker ihren Instrumenten oft Frauennamen geben: Es kommt nicht so sehr darauf an, was man auf dem Instrument spielt, sondern wie man es spielt, eben genau wie wenn man mit einer Frau Liebe macht. Dean bläst daraufhin sein Saxofon so zärtlich, dass es auf einmal Charakter hat.

Interview Jack White & Keith Richards

Jack, what did you learn about the Stones when you opened for them?
White: How good they were. You could see the comfort level between them, in Keith’s guitar playing and Ron’s slide playing. It’s impressive, man, when that confidence is exuded. Someone once told me when I first started playing – you get a lot more respect if you act like you own the joint. If you fumble around, you don’t gain respect.
Richards: You could have asked me that question back when we went from clubs to opening for Bo Diddley, Little Richard and the Everly Brothers on one tour [in 1963]. I learned more in those six weeks than I would have learned from listening to a million records.

***

Richards: I loved listening to music – the pure beauty of listening – before I ever learned an instrument. I realize, in a way, that I tainted that beauty, because now I know how certain things are done. But brother, you’ve made your deal now. The only thing you can do is pass it on.
(Ist das wirklich so? Dass man die Schönheit des Kunstgenusses zerstört, wenn man weiß, wie es gemacht wird? Ich glaube eher, der Genuss ist dann auf einer anderen Ebene. – DR)

Amadeus

Den schönen Forman-Film Amadeus nun noch mal im Director’s Cut gesehen.
Interessant ist ja, dass gerade das Ringen Salieris um Ausdruckskraft ihn scheitern lässt. Seine Gebete sind nicht kontemplativ, sondern er fordert Gott heraus. So bleibt sein Verhältnis zur Kreativität ein negatives.

Barack Obama legt die Latte für Hip hop höher. „Keep it real“, sei zwar gut und schön, aber ab und zu ein bisschen Vision täte der Musikrichtung auch ganz gut. Und tatsächlich droht das Genre an immer wieder an den eigenen Klischees zu ersticken: Gangsterkram, Bitches, große Autos und Klunkerketten.

Weiterlesen

Interview mit Janis Joplin

Auf die Frage, was sie anders mache als andere Sängerin antwortet Janis Joplin.
„Ich weiß auch nicht, ich habe mich immer gewundert, weil es für mich so natürlich scheint. Ich weiß nicht, vielleicht gilt es nicht als weiblich, aus sich herauszugehen, in die Musik bis zum Grund einzutauchen, anstatt auf der Oberfläche herumzugleiten, was die meisten Mädchen machen. Uhuhuhu – an der Oberfläche er Melodie, anstatt in das Gefühl der Musik zu gehen.“
„Es geht um eine Haltung, mit der man alles angehen kann (nicht nur Gesang). Das bedeutet, unter die Oberfläche zu gehen – den Rhythmus, die Bewegung zu entdecken, anstatt es nur zu zu berühren oder zu beobachten.“

Auf die Frage, ob man als erfolgreiche Sängerin überhaupt den Blues singen könne:
„Playing isn’t necessarily about misery. Playing isn’t necessarily about happiness, but it’s just about letting yourself feel all those things that you have already on the inside of you. But you all the time push them aside, because they don’t make for a polite conversation. That’s the only reason I can sing, because I just close my eyes and let all the things that are inside come out.“

Weiterlesen

Was ich noch nicht kann

„I always manage to try something I can’t do.“
(Miles Davis über sein Projekt „Sketches Of Spain“).
Je älter wir werden, um so schwerer wird es, gegen eine gewisse Trägheit anzukämpfen. (Gegenüber Kindern sind wir vielleicht manchmal im Vorteil der Dauerhaftigkeit.) Aber der kreative Neugier müssen wir manchmal bewusst Raum geben.

Loslassen

„That melody is so strong that the softer you play it, the stronger it gets, and the stronger you play it, the weaker it gets.“ (Miles Davis über „Concierto de Aranjuez“ aus „Sketches Of Spain“)
Dies erfordert eine ganz besondere Kraft, nicht nur in der Musik. Gerade in der improvisierten Komödie tendieren die Schauspieler dazu, immer noch einen draufzusetzen, bis die Kraft der Komik ausleiert. Sanfte, konzentrierte Kraft und Sinn für Poesie auch in der Komik, selbst im Derben und Grotesken.

Musikwahrnehmung

Eine andere Art, Musik zu betrachten bzw. zu kategorisieren, beschreiben Bogart&Landau im Viewpoints. Bei ihnen geht es zwar darum, welche Musik auf welchem Viewpoints-Level genutzt werden kann, aber auch für Fragen der Perzeption interessant:
1. Stücke ohne Text, die atomsphärisch, repetitiv, offen sind, u.a.

  • Cirque du Soleil
  • Gregorianische Gesänge
  • Penguin Café Orchestra

2. Stücke, die Zeiten, Orte, Bilder und Genres wachrufen:

  • Wolfgang Amadeus Mozart
  • Johann Sebastian Bach
  • Tom Waits
  • John Lurie

3. Musik, die rätselhaft, unvorhersehbar, extrem und aufmerksamkeitsheischend ist:

  • Ludwig Van Beethoven
  • John Zorn
  • Anton Webern
  • Einstürzende Neubauten

D.h. aber für den Zuhörer, dass man die Erwartungen anpassen muss. Es bringt ja nichts, zu Musik von John Zorn meditieren zu wollen. Und an Caféhaus-Musik darf man keine zu hohen Komplexitätsanforderungen stellen

Miles Davis – die filmische Biografie

„Man braucht Musiker um sich, die denken. Keine, die bequem sind. Ich kann keine bequemen Leute um mich haben. Nichts kommt von denen zurück, man kriegt gar nichts.“ – Miles Davis Miles sagte: „Keith, weißt du, warum ich keine Balladen mehr spiele?“ Ich sagte „Nein.“ Er sagte: „Weil ich so gern Balladen spiele.“ Daran erkennt man den Künstler. Er muss erkennen können, dass auch das, was er liebt, Neuem weichen muss. Miles hätte lieber eine schlechte Band gehabt, die furchtbare Musik spielt, als eine Band, die das spielt, was er zuvor gespielt hat. Und das geht sogar gegen seinen eigenen natürlichen Instinkt. Und das macht seine Musik zu einem Schöpfungsakt. – Keith Jarrett

„Spiel einfach Fis-G-Fis-G!“ „Das ist alles?“ „Ja.“ Wir spielten, dann hielt Miles die Band an und fragte: „Was machst du denn da? Willst du immer nur Fis und G spielen?“ Und ich sagte: „Sorry, aber ich spiele nur, was du gesagt hast. Ich kann auch gern mehr spielen.“ Wir fangen noch mal an, und diesmal spiele ich alles; Fis, G, As, A bis Z, jeden Ton auf meinem Bass.“ Miles unterbricht wieder und fragt: „Mann, was machst du denn da? Spiel einfach Fis und G und halt die Klappe.“ Und da merkte ich, dass er mich nur verscheißert. Er ist einfach cool. Am besten, ich ignoriere ihn und spiele, wie ich es für richtig halte. Ich spielte und diesmal zogen wir die Aufnahme voll durch. – Marcus Miller

John Cage

Diskussion mit Jochen Schmidt über Sinn und Unsinn bestimmter Werke von Cage. Dem Stück 4#33, in dem viereinhalb Minuten geschwiegen wird, kann man zumindest noch die Erfahrung von gemeinsam empfundener Stille zugute halten. Im „John-Cage-Orgelprojekt“, das sich über 600 Jahre hinziehen soll, ist die Wahrnehmung im Grunde ausgeschalten. Es geht eigentlich (wenn man guten Willen hat und Cage nicht reine Prätentiosität zuschreiben will) nur noch um ein Gedankenexperiment. Dafür braucht man auch keine Orgel mehr, sondern es genügt das Notenpapier.
Eine ähnliche Haltung konnte man auch bei Schönberg beobachten, der das Publikum verachtete, es aber hinnahm, denn „ein leerer Saal klingt nicht gut.“ Bei allem, was einem am Publikum stört – Snobismus, Ignoranz usw. usf, fragt sich doch, wozu ich mit meinen Werken als Künstler überhaupt an die Öffentlichkeit trete, wenn ich diese verachte.
Kunst, die nicht wahrnehmbar ist, ist de facto nicht existent. Wenn ich ein Konzert schreibe, das nur von Hunden wahrgenommen werden kann, existiert, es eben nur auf dem Papier. Beuys‘ Radikalismus hat uns zwar die Augen für Ästhetisierbare Material geöffnet. Aber Kunst braucht die kommunikative Anschlussfähigkeit. Eine Skulptur, und sei sie noch so schön, und kunstfertig geschaffen, bleibt Fingerübung, wenn sie niemand als der Künstler sieht.

Publikumsbeschimpfungen eines großen Improvisierers

Keith Jarrett in Frankfurt. Dreimal geht er von der Bühne und beschimpft sein Publikum: Ob es denn nichts gelernt habe. Typischer Künstler-Hochmut: Das Publikum wird als Masse betrachtet, das es eigentlich gar nicht verdient habe, dem Meister zuzuhören. Medien und Zuschauer hätten sich gegen ihn verschworen. Die eigene Unfähigkeit, auf die Welt mit Liebe zu reagieren, projiziert der Künstler auf alle anderen da draußen.
Auch wenn er sich der Begrenztheit seines Daseins und des Daseins der Welt bewusst ist und ihm deshalb jeder Moment so teuer ist, so kann man ihm dennoch getrost das Recht zu Beleidigung absprechen. Schade, wenn man sein Werk im Alter so schmälert.

Oper als Impro-Format

Wenn ein Ensemble einigermaßen singen kann und über einen in klassischer Musik bewanderten Pianisten verfügt, sollte es sich nicht scheuen, eine improvisierte Oper aufzuführen oder zumindest mit dieser Form zu proben. Sie ist nämlich nicht nur für den Zuschauer beeindruckend, sondern auch lehrreich in ihrer Form: Seltsamerweise gehen die Storys von Opern fast immer auf, selbst bei Gruppen, die mit dem Storytelling hadern. Wenn die Oper gut aufgeführt wird, können wir einem einfachen Schema folgen: Handlung im Rezitativ, gesteigerte Emotion in der Arie, immer hübsch im Wechsel. Man kommt gar nicht dazu, sich um den Verlauf der Story Gedanken zu machen oder vorauszuplanen. Man ist immer schön im Moment.

Mut/Angst

Angst kann einen regelrecht lähmen zu improvisieren. Mut hingegen beflügeln. Deutlich spürbar ist das in musikalischer Improvisation, vor allem beim Gesang. Wenn ich aufgefordert werde, z.B. eine zweite Stimme als Background zu improvisieren, dann habe ich damit in der Regel kein Problem. Wenn man mir aber sagt, ich dürfe dabei keinen Fehler machen oder ich müsse stets genau die Terz-Abstände einhalten, sonst sei das alles großer Mist, dann habe ich schon vorher die Garantie, dass ich scheitern werde. Wenn ich hingegen völlig frei bin, weiß ich aus Erfahrung, dass ich sehr genau sein werde.

Das Ego

In der Improvisation liegen alle Hürden, Klippen und Chancen des künstlerischen Schaffens offen. So auch die Eitelkeit des Künstlers. Wird im arrangierten Musikstück oder im geschriebenen Theaterstück das Ego des aufführenden Künstlers durch die Noten bzw. den Text gebändigt, müssen sich die Mitspieler bei der Live-Improvisation auf die Disziplin und die Unterordnung des Egos unter das Gesamtwerk verlassen können. Das gilt im übrigen auch für Soloimprovisationen.
Die Falle, in die der Impro-Spieler dabei so leicht tappt liegt darin, dass das Publikum egoistische Solo-Aktionen oft honoriert und den Spieler dann hinterher auch noch lobt.
Im modernen Jazz geben sie ja dem Ego bekanntlich dadurch Zucker, dass sie (oft völlig überflüssig) jedem Spieler sein Solo zubilligen. Die Zuhörer klatschen, nächstes Solo.
Beim Impro-Theater braucht der Spieler die Sensibilität des Autors, des Dramaturgen und des Regisseurs. Wenn du gerade nicht gebraucht wirst, dann halt die Klappe, geh von der Bühne. Bill Murray, war ein ganz großartiger „Unterstützer“ im Second City Theater. Sehr bescheiden und stets im Dienst der Szene, und deswegen bei seinen Mitspielern beliebt. (Halpern/Close: „Truth in Comedy“)
Das Lob der Zuschauer trügt oft bei der Improvisation. Höre genau hin, wofür sie dich loben. Für deine Witzigkeit? Dann hast du bestimmt was falsch gemacht. Zuverlässiger ist das Feedback der Mitspieler.