Meister und Schüler

In Eugen Herrigel „Zen und die Kunst des Bogenschießen“ thematisiert er das besondere Verhältnis von Meister und Schüler in Japan. Die Lehrer geben nur wenige Anweisungen, die die Schüler befolgen und über die sie nachdenken. Der Lehrer wird verehrt. Irgendwann kommt der Zeitpunkt, da der Schüler den Meister verlassen muss, um dann hoffentlich auf dessen Schultern stehen zu können.
Auch wenn man das nicht einfach übertragen kann, so doch immerhin, dass der Meister

  • sich eine gewisse Autorität erwerben muss
  • sich mit wenigen Anweisungen begnügen sollte und ansonsten nicht zu sehr im Weg stehen
  • Ruhe und Strenge braucht

Der Schüler

  • sollte die Rollen respektieren
  • die neuen und fremden Gedanken ausloten
  • das Spiel spielen

Das Dumme ist nur: Man tendiert ja doch dazu, die Autoritäten und Lehrinhalte immer wieder zu hinterfragen. Das hat auch seinen Sinn, aber man tue das zuhause. Und wenn nötig, verlasse man dann den Meister.

Radim Vlcek „Workshop Improvisationstheater“

Spielesammlung von Radim Vlcek „Workshop Improvisationstheater“. Wenn man nicht gerade Spiele und Übungen ad hoc erfinden will, erspart man sich so die umständliche Suche in eigenen Aufzeichnungen und im Internet. 350 Spiele und Übungen für Anfänger- und Fortgeschrittenen-Levels. Relativ wenig zu Verfeinerungen, was aber kein Mangel ist bei der Fülle. Ein paar grundlegende Fragen, die bisher in der deutschsprachigen Impro-Literatur noch nicht angesprochen wurden. Auf jeden Fall ein empfehlenswertes Handbuch, wenn man auf sprachliches Feingefühl keinen gesteigerten Wert legt. Zitat: „Hier geht es um Fun!“ Erläuterung dazu: „Ich finde die englischen Ausdrücke oft treffender als die deutschen Übersetzungen.“ Ja, ja, „fun“ ist bekanntlich ein derart schwieriges englisches Wort, dass sich selbst gestandene Übersetzer daran die Zähne ausbeißen.
Generelle die klassische in Deutschland anzutreffende Haltung zu Improtheater: Grundlage das Impro-Match, dessen Konventionen Vlcek an keiner Stelle infrage stellt. Kurzformen seien „seicht“, Langformen „tief“. Bei den Beispielen für szenische Inhalte, die er für witzig hält („Liebesleben der Backsteine“, „Kohls Gebiss wurde gestohlen“, „Huhn legt eklig grüne Eier“), frage ich mich, ob die deutsche Impro-Szene manchmal im Karnevals -Spaß ersäuft. Ist das nun einfach eine andere Art von Humor? Kann man das überhaupt kritisieren? Um nicht zu negativ zu enden, möchte ich sagen: Kauft das Buch! Es ist nützlich.

Negative Bestätigung

Viele gute Lehrer tun es entweder instinktiv oder bewusst: negative Haltungen zunächst bestätigen. Johnstone machte z.B. Spiele daraus: „Nur blockieren“, „Nur Fragen stellen“. Man könnte das ganze auch noch radikalisieren. Nina Wehnert berichtet gar von einem Contact-Impro-Lehrer, der zunächst den Widerstand und die Müdigkeit der Schüler bedient. Psychologischer Hintergrund: Ins Extrem getrieben werden alle Dinge öde, sogar das Müdesein. Hier liegt vielleicht ein guter Schlüssel für die Arbeit mit Einzelspielern, z.B. mit körperlichen und sprachlichen Gewohnheiten.

Schulenpopulen

Manchmal wird so getan, als sei eine Impro-Schule eine zwingende Notwendigkeit, um gut improvisieren oder Improtheater spielen zu können. Großartige Improvisierer wie Helge Schneider oder das Pärchen Dean Martin/Jerry Lewis beweisen das Gegenteil. Dasselbe gilt für Schauspiel. Schauspielschulen werden manchmal auf seltsame Weise fetischisiert. Natürlich haben sie ihren Wert. Talente aber lernen überall. Gute Schulen sind vielleicht ein effizienter Weg des Lernens. Sie sind aber keinesfalls, wie manchmal getan wird, eine Garantie für gute Leistung. Ein Schüler von XY zu sein, sagt überhaupt nichts. Selbst eine renommierte Schauspielschule abgeschlossen zu haben, beweist ja nur, dass man ein paar Prüfungen bestanden hat. Tatsächlich kann man sogar in manchen Impro-Biografien lesen, wie es jemand für qualitätsrelevant zu halten scheint, einen Kurs bei Keith Johnstone abgeschlossen zu haben. Arme Künstlerseele.

Fahr zur Hölle / Drop dead Keith

In „Theaterspiele“ („Impro for Storytellers“) beschreibt Keith Johnstone die seltsame Angewohnheit einiger Spieler, sich durch Blickkontakt zum Lehrer immer wieder abzusichern. Er empfiehlt dafür, den Schüler „Drop dead, Keith!“ sagen zu lassen. Ich hab es ein paar Mal versucht. Ohne Erfolg. Vielleicht sollte ich länger auf diesem Trick bestehen, andererseits funktioniert er möglicherweise auch nur für Johnstone.
Eine Schülerin suchte permanent Augenkontakt – nicht nur zu mir, dem Workshopleiter, sondern auch ständig zu den Mitspielern auf der Bühne und zu Zuschauern im Publikum. Wenn man sie bat, über die Zuschauer hinwegzusehen und diese gleichermaßen mit einzubeziehen, ging ihr Blick wie nach innen. Die vorübergehende Lösung: emotionale Beschäftigung der Spielerin.

Regeln und Freiheit

Etwas Grundsätzliches zum Lernen und Unterrichten. Impro-Unterricht sollte immer davon geprägt sein, Freiheiten zu eröffnen, statt zu verschließen. Um dies zu erreichen, kann es durchaus mal notwendig sein, bestimmte Dinge zu „verbieten“, wie z.B. in den gewöhnlichen Impro-Games eine bestimmte Regel aufgestellt wird, die bestimmte Züge gebietet und andere „verbietet“.
Manche Schüler denken, man wolle sie einengen. Z.B. wenn ich sie dazu auffordere, sich nicht körperlich selbst zu fesseln, sondern locker da zu stehen. Oder wenn man Schüler auffordert, auf den Mitspieler zu hören, anstatt einfach drauflos zu quatschen. Der springende Punkt ist in diesem Beispiel, dass die Information, die ich vom anderen bekomme, mich mehr bereichert und überrascht, als es mein eigenes Gerede tun könnte.
Aber auch Lehrer sind nicht frei von diesem Regelfetischismus, wenn sie z.B. glauben, eine Story könne nur auf eine bestimmte Art und Weise erzählt werden, ein Musical müsse auf eine bestimmte Art erzählt werden oder Schauspiel müsse auf eine bestimmte Art geschehen.
Sowohl Lehrer als auch Schüler sollten sich immer wieder neu befreien.

Technik und Freiheit

Improvisationstheater zu lehren bedeutet ja meist zweierlei: Improvisation lehren und theatrale Techniken lehren.
Wichtig ist in jedem Fall, dass die technischen Aspekte nicht überhand nehmen – auf Kosten der Freiheit, was oft bei Fortgeschrittenen geschieht. Umgekehrt brauchen wir eine ständige Erweiterung und Verfeinerung von Technik, um nicht künstlerisch stehenzubleiben.
Im Idealfall geht beides zusammen – man entdeckt freudig ein Stück Freiheit und schluckt die neue Technik wie nebenbei.

Akzeptieren / Blockieren

Im Workshop wieder Diskussion übers Akzeptieren, als ich ein Blockieren entferne, obwohl die Szene im Grunde funktionierte. Man kann natürlich bis zum Abwinken diskutieren, ob ein Angebot geblockt wurde oder nicht. Der Kern, so denke ich, liegt darin, dass 95% der Blockierungen aus Angst geschehen. Selbst wenn man mit den so entstehenden Szenen noch einigermaßen kreativ umgehen kann, katapultiert es die Szenen wesentlich besser, wenn nicht verneint wird. Ich kann mich eigentlich auch nicht erinnern, je eine Blockierung gesehen zu haben, die nicht aus Angst entstand, sich auf die Angebote des anderen einzulassen, wobei ich das Blockieren aus Arroganz („Meine Idee ist besser als deine“), als Teilmenge des Angst-Blockierens auffasse.

Unterrichten III

Beim Unterrichten bevorzuge ich das Bild des Basketballteams. Alle müssen

  •   in ständiger Bereitschaft sein, den „Ball“ (d.h. das Angebot) zugespielt zu bekommen
  •  jederzeit bereit sein, den „Ball“ weiterzuspielen, d.h. fortführende Angebote machen („Yes, and..“) und dafür wachsam sein, dass der Ball auch aufgefangen werden kann 
  •  sich als Team verstehen: Nur gemeinsam schaffen wir es.
  • hellwach bleiben, um zu lernen oder jederzeit einzuspringen. Das gilt besonders auch für die Spieler auf der „Reservebank“, d.h. Zuschauende im Workshop oder im Off stehende Mitspieler.