Impro im Alltag – eine Antwort auf Claudia Hoppe

In ihrem Blog-Eintrag vom 23. August 2017 wirft die Berliner Impro-Schauspielerin Claudia Hoppe die Frage auf, wie weit sich die heitere Sicherheit des Improvisierens in den Alltag übertragen lässt. Während wir beim Improtheater-Spielen, insbesondere bei Proben und Workshops, eine sichere Sphäre erschaffen, in der das Scheitern nicht nur toleriert, sondern geradezu gefeiert wird, trifft das ja, so Claudia Hoppe sinngemäß, im Alltag nicht zu: Wir stehen unter Beobachtung, werden kritisiert, und Scheitern ist oftmals eben keine Option.
Ich denke, dass sie hier ein wichtiges, heikles Problem anspricht, mit dem wir als Improspieler immer wieder konfrontiert werden: Auf der Bühne sind wir angstfrei und spontan, und vielleicht können wir den einen oder anderen Aspekt des Improvisierens auch in den Alltag retten, aber letztendlich strampeln wir uns ab wie die meisten anderen auch.
Allerdings haben wir eine Kleinigkeit unseren nicht-improvisierenden Mitmenschen voraus: Die Techniken und Geisteshaltungen, mit dem Scheitern kreativ umzugehen.
Allerdings ist die bewusste Übertragung des Impro-Handwerks nicht ganz so einfach wie man sich das manchmal denkt. Und das beginnt schon beim Improtheater selber. Ja, ein Improtheater-Workshop schafft im Idealfall eine sichere Sphäre. Man kann sich „freispielen“, Dinge ausprobieren, die sich am Ende vielleicht als völlig hirnrissig erweisen, man kann Unkorrektes sagen, ohne dass es einem übelgenommen würde.
Sobald wir als Improspieler auf die Bühne gehen, verlassen wir den sicheren Raum schon ein kleines Stück: Schließlich gibt es keine Garantie dafür, dass das Publikum uns für unsere Aufführung lobt. Eine schlechte Szene zu spielen und darüber herzlich zu lachen, ist das Eine. Aber was ist, wenn man einen ganzen Abend schlecht improvisiert hat? Was, wenn weder das Publikum noch die Mitspieler etwas mit der Leistung anfangen konnten (und du selber vielleicht auch nicht)?
Ich denke, dass Improvisation uns allenfalls die Geisteshaltung lehren kann, mit dem Scheitern umzugehen. Wir selber müssen es ausprobieren. Immer und immer wieder. Es ist nicht etwas, das man einmal gelernt hat und dann beherrscht. Wir selber schaffen uns unsere sichere Sphäre. Wir selber können die Heiterkeit des Scheiterns nach und nach ausdehnen. Wenn ich weiß, dass ich im Kurs ein Quatschlied enthusiastisch improvisieren kann, woraufhin alle klatschen, traue ich mich das vielleicht auch auf der Bühne. Und wenn es dort ein paar Mal funktioniert hat, werde ich nicht verzweifeln, wenn ich beim zehnten Mal keinen Applaus bekomme, sondern im Gästebuch steht: „Ihr seid so peinlich.“

Das Scheitern lernt man nicht nur im watteweichen Impro-Workshop, sondern gerade dadurch, dass man es mit in die harte, kritische Welt mitnimmt. Wenn es mir gelingt, nach und nach die verschiedenen Facetten des Lebens spielerisch aufzufassen, dann verliert das Scheitern seinen Schrecken. Eine Szene ist nur eine Szene. Eine Show ist nur eine Show. Ein Bewerbungsgespräch ist nur ein Bewerbungsgespräch. Eine Liebesnacht ist nur eine Liebesnacht. Und ja: Auch das Leben ist eben nur das Leben. Wir können ihm nichts abverlangen, wir können aber spielen mit dem, was es für uns bereithält. Das ist die so schwer umzusetzende Lektion die wir für den „Alltag“ aus unserem Improtraining herausziehen können.

Herbie Hancock: Wie Miles Davis aus Gift Medizin machte

„Right in the middle of his solo, I played the wrong chord, a chord that (…) sounded like a complete mistake. I did it and I put my hands around my ears. And Miles paused for a second, and then he played some notes that made my chord right, that made it correct, which astounded me. (…) Miles was able to make something that was wrong into something that was right. I couldn’t play for a minute. But what I realize only now is that Miles didn’t hear it as a mistake. He heard it as something that happened, just an event. And so that was part of the reality of what was happening at that moment, and he dealt with it. And since he didn’t hear it as a mistake, he felt it was his responsibility to build something that fit, and he was able to do that. And that taught me a big lesson not only about music but about life. We can look at the world as we would like it to be as individuals. You know, make it easy for me, that idea. You can look for that. But I think the important thing is that we grow. And the only we can grow is a mind that is open enough to be able to accept, to be able to experience situations as they are, and turn them into medicine, turn poison into medicine. Take whatever situation you have and make something constructive happen with it.“

„Mitten während seines Solos spielte ich einen falschen Akkord, einen Akkord, der wie ein totaler Fehler klang. Ich legte meine Hände auf meine Ohren. Miles hielt für einen Moment inne, und dann spielte er ein paar Noten, die meinen Akkord richtig klingen ließen, was mich total erstaunte. Miles war in der Lage, etwas Falsches zu etwas Richtigem zu machen. Ich konnte für eine Minute gar nichts mehr spielen. Aber erst jetzt wird mir klar, dass Miles das gar nicht als Fehler hörte. Er hörte es als etwas, dass gerade geschah, irgendein Ereignis. Es war quasi Teil der Wirklichkeit, die gerade geschah und mit der er umging. Und das lehrte mich eine wichtige Lektion nicht nur über die Musik, sondern übers Leben. Wir können die Welt so betrachten, wie wir sie gerne hätten, wir als Individuen. So nach dem Motto: Hauptsache für mich wird es einfacher. Danach kann man suchen. Aber ich glaube, das Wichtige ist, dass wir wachsen. Und die einzige Möglichkeit zu wachsen besteht darin, dass unser Geist offen genug ist, um die Situationen, so wie sie sind akzeptieren zu können, erleben zu können, und sie in Medizin zu verwandeln. Gift in Medizin zu verwandeln. Egal in welcher Situation du dich befindest, lass daraus etwas Konstruktives entstehen.“

Scheiter heiter, aber nicht mit meinem Format

Wenn wir bei Foxy Freestyle mit Gästen spielen, laden wir sie dazu ein, eines unserer aktuellen Lieblingsformate zu spielen und im Gegenzug uns in ihr Lieblingsformat einzuweihen, ohne große Probe, nur mit kurzer Besprechung der formalen Details vor der Show. Es zeigt sich, dass alle mit diesem Konzept recht zufrieden sind, mit folgender Einschränkung: Wenn es ein neues Format ist, dass die Gäste gerade in irgendwelchen Workshops unterrichten, sind sie oft geradezu überbehütend mit ihrem Format. Vielleicht weil sie es als ihr kleines Baby betrachten, das noch wachsen muss und das man nicht einfach dem derben Scheitern aussetzen möchte.

Aus dem Interview von Pam Victor mit David Razowsky

„I’ve never had abad show in 25 years.“ „Listen to your partner. …then listen to your heart… …then let your brain do what it’s supposed to do… …make sentences… …then say those sentences. …then be internally still and await the wonderful response that’s coming your way. That’s your new move.“ „Your ego is not allowed in the room. Your personality is not allowed in the room. Your politeness is not allowed in the room.“ Das komplette Interview hier: http://pamvictor.blogspot.de/2012/12/geeking-out-withdavid-razowsky.html

Arbeitsroutinen von Künstlern VII – Zeitlöcher

Fortsetzung der Lektüre Daily Rituals. How Great Minds Make Time, Find Inspiration, and Get To Work

Im gestrigen Eintrag zu Margaret Mead tauchte die Frage auf, wie man mit Zeitlöchern umgeht. Zeit, die man nicht mit dem Schaffen nutzen kann, vor allem Wartezeit. Die rote Ampel, der Bus, auf den man wartet, die Schlange in der Kaufhalle. Während ich Zuspätkommen bei Shows, Proben und anderen Kollektiv-Verabredungen als zumindest zu rechtfertigende Zumutung empfinde, bin ich im Laufe der Zeit großzügiger geworden, wenn ich einfach nur warten muss. Ich erinnere mich nicht, wann ich mich das letzte Mal wirklich gelangweilt habe. Denn gerade Situationen, in denen es nichts zu tun gibt, kann man so interessant auffüllen. Für uns Schauspieler zum Beispiel mit (ggf. für andere unsichtbaren) Körper- und Atem-Übungen. Lesen geht fast überall, für mich allerdings tatsächlich mit der Einschränkung, dass ich sitzen kann und einen Bleistift zum Anstreichen dabei habe. (Eine Macke von mir: Ich könnte nie Bücher mit Kugelschreiber oder Text-Marker anstreichen, auch wenn ich mir sicher bin, dass die Anstreichungen nie wieder entfernt werden. Soweit geht meine anerzogene Ehrfurcht vor dem Buch.) Wenn ich in vollen Bahnen stehen muss, schließe ich manchmal die Augen und trainiere mein Gedächtnis, indem ich versuche, mir die anwesenden Passagiere bildlich vorzustellen. Oder ich entwerfe Impro-Übungen mit geschlossenen Augen. Die besten Ideen kommen einem tatsächlich in „bus, bed, bath“ (verschiedene Quellen. Vermute, dass mit „bath“ der bathroom, also das Klo gemeint ist.) Auch die Reifung der Gedanken hat ihren Ort und ihre Zeit.
Im Übrigen ist das tatsächlich ein Grund, dass ich mich scheue, den Führerschein zu machen. Ich wäre wahrscheinlich viel zu sehr mit meinen Gedanken woanders, was nicht nur mein Leben gefährdete. Lesen könnte ich beim Fahren auch nicht. Hörbücher (das darf ich als aktiver der Branche eigentlich nicht sagen) kann ich nicht ausstehen.

Samuel Johnson (1709-1784)
Schrieb offenbar nachts nach 2 Uhr bei Kerzenlicht.
Vormittags im Bett, wo er auch Besuch empfing.
16-2 Uhr außerhalb des Hauses – Bars, Restaurants usw.

James Boswell (1740-1795)
Bemühte sich stets, morgens aufzustehen und an die Arbeit zu gehen, „als ob ein schönes Mädchen auf ihn wartete“. Dabei ging es darum, seine doch recht starke Neigung zu Faulheit und Schlendrian zu überlisten. In guten Zeiten gelang es ihm. In schlechten fühlte er sich „dreary as a dromedary“.

Immanuel Kant (1724-1804)
Von dem, was wir wissen, muss Kants Leben in äußerst geregelten Bahnen verlaufen sein. Immer dieselben Uni-Kurse lehren. Keine Reisen (außer ans nicht weit entfernte Meer). Regelmäßige Nachmittagsspaziergänge. Von Heinrich Heine stammt das Bild, die Königsberger würden ihre Uhren nach seinem Spaziergang stellen. (Wieviel von unserem Kant-Bild stammt eigentlich von Heine?)
Der strikte gesundheitsorientierte Tagesablauf  ist Kants schwacher körperlicher Grundkonstitution geschuldet. Man beachte: Er wurde fast 82 Jahre alt!
Aufstehen 5 Uhr. 2 Tassen schwacher Tee, eine Pfeife. Vorbereitung seiner Vorlesungen, die von 7-11 Uhr dauerten. Danach Mittagessen, die einzige wirkliche Mahlzeit des Tages, oft mit Freunden und Bekannten aus verschiedenen Lebensbereichen. Ab 15 Uhr Spaziergang und Freunde besuchen. Zwischen 19 und 21 Uhr nach Hause, wo er noch schrieb. 22 Uhr Licht aus.
Man beachte diese kurze, späte Schreibphase.

William James (1842-1910)
Mit 28 schrieb er sich die Warnung ins Tagebuch: „Erinnere dich, dass wir nur dann, wenn Gewohnheiten der Ordnung geformt werden, in die wirklich interessanten Tätigkeits-Gebiete voranschreiten können und schließlich wie ein Geizkragen Korn für Korn der willentlichen Entscheidungen ansammeln können; denn wenn auch nur eine Verbindung fehlt, bricht eine unendlich große Anzahl zusammen.“
Der größte Horror war für ihn Entscheidungsunfähigkeit, woran er selber litt.
Moderater Alkoholkonsum. Zigaretten und Kaffee gab er mit Mitte Dreißig auf.
Schlaflosigkeit mit Chloroform (!) bekämpft.

Henry James (1843-1916)
Schrieb zwischen Frühstück und Mittag. Im Alter diktierte er seine Texte, da er an Handgelenkschmerzen litt.
Nachmittags: Tee, Spaziergänge, Lesen.
Sofort nach Beendigung eines Buches begann er ein neues. Die Inspirationen verfolgten ihn.

Franz Kafka (1883-1924)
Lebenslanger Brotberuf. Meiste Zeit bei der „Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt“ von 8-14 Uhr.
Da er mit seiner Familie in beengten Verhältnissen lebte, musste er seine Konzentration auf die Nacht legen, wenn alle anderen schliefen.

Das Ego zweier großer Musik-Improvisierer

Vor einiger Zeit brachte ich die beiden hervorragenden Impro-Instrumental-Musiker H. und Z. zusammen. Beide hatten Großes voneinander gehört und erwarteten Großes voneinander. Die drei Stücke, die sie dann live performten, waren nicht schlecht, aber sicherlich unter ihrem Niveau. Hinterher beschwerten sich beide unabhängig voneinander, der andere wäre nicht richtig auf ihn eingegangen, beide fühlten sich in eine bestimmte Richtung gepusht. Interessanterweise habe ich, mit beiden schon im Duett musiziert – dilettierend auf Bass bzw. Klavier. Und hier war alles wunderbar: Die Musiker richteten sich nach mir, dem Schwächeren. Der Grund für dieses seltsame Verhalten war mir bis gestern etwas unklar.
Christina Schneider, der ich diese Geschichte erzählte, meinte gestern: Vielleicht hatten sie ja zu viel Respekt voreinander, in dem Sinne, dass sie fürchteten, ihre eigenen Schwächen könnten zutage treten. Vielleicht meinten sie, sich voreinander als Künstler rechtfertigen zu müssen. Das Ego tritt wieder der Kunst in den Weg.

„Trust Us! This is all made up“ (TJ & Dave)

Dave: „All of it is based on faith and trust, that they’re fine without me. […]We have this trust that, No matter what I say to you, you’re going to be fine. You’re really good. And there’s no way I can hurt you. You’re that good. And that allows for us to give each other the best.“

TJ: „We together have trust in the evening, that if we just stay out of its way, it will be just fine. […] It’s as though it’s going on before we even get there. We just kind of jump into it for an hour and then get out of it.“

Dave: „Both of our mind set is: Oh what is this, that’s already happening? […] We might find out what time of day it is and we might find out what the event is. what the event is Slowly we find out what has been happening all along.“

TJ: „Everything that corrupts it comes from fear. Fear is the root. It brings that ego to the forefront of How am I doing? How is it going?“

Dave: „If we force our ideas into it, then the rest of the time is spent justifying that, which is not exploring anymore. It’s just justifying. Why we try to relax is to walk out kind of empty to be available to whatever might be there, rather than ‘my great ideas’.“

TJ: „We believe that there’s the show is already going on. It is already in process. And we pickt it up at a moment, somewhere within this progression but that the show itself started a long time ago. We didn’t know it. And we don’t know which show we’re about to join already in progress. So we get to live it or physically represent it for 50-some-odd minutes. And then we leave it but it keeps on going. The people that were represented for that amount of time go on to have marriages and divorces and children and buy property and maybe die a natural death a long time in the future or die in some horrible accident soon after we see them. And there’s just millions and millions and billions of its all going on. And we end up, hopefully, getting lucky enough to be in a good one that’s chosen for us by this moment that happens at the beginning.“

Unbedingt anschauen: http://www.amazon.com/Trust-Us-This-All-Made/dp/B002Y27Q3G

Liebe, Kunst und Eitelkeit

N. achtete immer sehr genau auf den Applaus jedes Spielers. Dass G. manchmal mehr Applaus bekam, wurmte ihn so sehr, dass er jedes Mal einen Tag brauchte, um sich aus seiner Depression hochzuarbeiten. Er machte ein halbes Jahr Pause und erkundigte sich immer wieder, ob das Publikum ihn vermisse. Tatsächlich fragten ab und zu Zuschauer nach G., aber „ab und zu“ war ihm zu wenig.
Und irgendwann hatten sie ihn vergessen. Schließlich kamen sie ja auch in erster Linie wegen der Gruppe.
G. verlor die Lust an der Kunst. „Wenn mich die Leute nicht lieben, dann brauchen sie meine Kunst ja nicht.“

„And, in the end, the love you take is equal to the love you make.“

Eitelkeit verdirbt die Kunst. Immer wieder. Sie mag als Kickstarter ab und zu funktionieren. Auf Dauer ist sie wie ein Geschwür, die das Spielerische der Kunst zerstört.
Du kannst Liebe nicht erwarten. Du kannst Liebe nur geben. Wenn sie zurückkommt, ist’s ein Geschenk.

Dumm & Schlau

Dumm zu sein ist keine Entschuldigung. Lerne.
Schlau zu sein macht aus dir noch keinen guten Improvisierer. Manchmal stellt sich das Hirn dem Herz in den Weg. Denk dran, Spock, du bist zur Hälfte ein Mensch.
Jason Chin: „Long-Form Improvisation & The Art Of Zen: A Manual For Advanced Performers“

Das Lesen ersetzt nicht die Erfahrung

„Wir können sämtliche Sutra lesen und doch nicht lesen, was darin steht. (…) Es sind nicht die Texte, die das Erlebnis erschließen, sondern es ist das Erlebnis, das uns die Texte erschließt.“ (Brigitte D’Ortschy im Teshin zum 2. Koan aus „Die blaugrüne Felswand“)
Ohne die wiederholte Impro-Erfahrung, einschließ der Enttäuschungen, bleibt die Lektüre und die gedankliche Reflexion hohl. Ohne gedankliche Reflexion bleibt die Improerfahrung flach.

Die Demut der Stars

1985. Michael Jackson schreibt „We are the world“, das mit den damaligen US-Stars als Benefizlied aufgenommen werden soll. Man kann natürlich rätseln, wer das aus aufrichtigem Engagement heraus getan hat und wer seine Eitelkeit nicht beherrschen konnte, um bei einer großen Aufnahme mit dabei zu sein und sein Image aufzupolieren.
Michael Jackson selbst lässt die Music Awards sausen, um im Studio die Lead-Spur für die Chöre einzusingen. Dann, mitten in der Nacht kommen sie angefahren, teilweise direkt angejettet von der Preisverleihung, alle mit ihrem öffentlchen Winke-winke-Lächeln. Aber langsam tauen sie auf. Der Chor wird einstudiert, und man sieht einen riesigen Haufen Profis am Werk, uneitel und völlig in der Sache aufgehend.
Jeder gibt sein Bestes. Man spürt (zumindest auf den Making-Of-Video-Aufnahmen) nichts von Neid gegenüber denjenigen, die das Glück hatten, einen Solo-Part zu erwischen.
Eine kleine Unterbrechung der Solosequenzen, als Cyndi Lauper (der vermutlich Jüngsten des ganzen Teams) mit ihren Kettenklunkern die Aufnahme vermasselt. Alle lächeln nachsichtig.
Die Aufnahmen sind vorbei, einer der Musiker bittet einen anderen um ein Autogramm und löst eine Welle aus. Es stellt sich heraus, dass jeder ein Fan von jedem ist, und so verschwinden am Ende noch die Reste von Neid.


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Interviews

Nach dem letzten Interview, bei dem die Reporterin die Fragen ablas und stur weiterfragte, unabhängig von der Antwort, nahm ich mir eigentlich vor, beim nächsten Mal abzubrechen oder mein eigenes Spiel daraus zu machen.
Gestern nun ein eigentlich sehr sympathischer Typ, der für ein Internetradio arbeitet. Er liest stur ab, wiederholt auch, nachdem wir ihm schon zwei mal den Unterschied erklärt haben, seinen Faux Pas zu behaupten, Lesebühnen seien Poetry Slams. Dann die Höhe: Während ich antworte, dreht er sich um und redet mit seinem Kollegen.
Soll man da aufstehen und gehen? Oder großmütig sein und ihm trotz seiner 50 Jahre seine Rabaukenhaftigkeit verzeihen?

Talent und Üben

Helges Produzent Tom Täger: „Ich habe mal Cello-Unterricht gehabt. Und der alte Cellolehrer sagte dann ,Ach nu, jetzt ist gerade hier einer rausgegangen, der hat geübt.‘ Es stellte sich dann raus, das war Helge Schneider, der hat nie geübt, aber der war einfach besser.“
Ja, Helge Schneider begreift offenbar jedes Instrument auf Anhieb. Dass er aber nie üben würde, stimmt nicht. Er übt im Kopf, er spielt Musik. Für ihn sind Spielen und Üben eins.

Aus der vollen Leere schöpfen

Sich innerlich zu befreien, zu leeren, heißt nicht, dass wir leer und öde dastehen sollen. Das Ja-Sagen genügt nicht, wir brauchen auch Einsatzfreude. Das heißt, wir müssen unsere Fähigkeiten, unser Wissen einbringen, ohne andererseits unserer Eitelkeit zu gestatten, Wissen und Fähigkeiten zu blockierenden Elementen werden zu lassen.

„Empty your mind. Be formless, shapeless, like water. Now, you put water into a cup – it becomes the cup. Putting it into a tea-pot – it becomes the teapot. Look, water can flow, or creep, or drip or crash. Be water, my friend.“ – Bruce Lee… Weiterlesen

Impulse in Improvisation und Leben

Wie gehen wir mit unseren Impulsen um? Strategien:

  1. Ignorieren und unterdrücken: Die krassen Fälle dieser Strategie landen auf Lass-Deine-Wut-Raus-Seminaren oder leiden an Magenproblemen.
    Auf der Bühne haben solche Spieler Ladehemmung oder wirken unspontan.
  2. Sich hingeben: Im Extremfall gibt sich dieser Typus jedem Impuls hin, nichts Langfristiges wird beendet, jedem Vergnügen, jeder Sucht, jedem Tic wird nachgegeben.
    Auf der Bühne fallen diese Spieler dadurch auf, dass sie zwar schnell sind, aber auf die externen Impulse auf die immergleiche Art und Weise reagieren
  3. Handlungsoptionen verbreitern: Die ideale Form des mannigfaltigen Lebens. Fokus auf und Traing von positiven Reaktionen auf Impulse, komplexe Impulsverarbeitung.
    Auf der Bühne kennzeichnet diese Spieler eine große Palette an Reaktionen auf verschiedene Impulse aus.

Statt für die Bühne könnte man das auch für den Samurai-Kämpfer durchdeklinieren.

Stephen Nachmanovitch – Gregory Bateson

Stephen Nachmanovitch, Autor des von mir so geliebten Buchs „Das Tao der Kreativität“, das ich die Ehre hatte zu übersetzen, schrieb 1981 einen eindrucksvollen Artikel über seine Beziehung zu seinem geistigen und wissenschaftlichen Mentor Gregory Bateson. Die deutsche Version von „Gregory Bateson. Ein Porträt des englischen Anthropologen, Denkers, Sehers“ kann man jetzt hier nachlesen: Nachmanovitch-GregoryBateson-German.pdf

Wir sind alle nur Kinder

Wir würden unseren zwischenmenschlichen Stress reduzieren, wenn wir unsere Erwartungen aneinander reduzieren, so wie man ja auch an kleine Kinder keine hohen sozialen Erwartungen stellt – sie sind tollpatschig, unerfahren, ichbezogen.
Was wäre nun, wenn wir uns bewusst machen, dass in jedem von uns ein kleines Kind steckt? Dass wir unvollkommen sind, und trotz dieser Unvollkommenheit alle liebenswert sind. Stewardessen beherrschen diesen Trick:

„Der Crew eines Flugzeugs wird zum Beispiel
häufig empfohlen, dieses als ihr Wohnzimmer
und die Passagiere als ihre persönlichen Gäste
zu betrachten. Denn den eigenen Gästen gegenüber
hat man in der Regel automatisch posi-
tive Gefühle. Benimmt sich dann der eine oder
andere Passagier unfreundlich oder nörgelt am
Service, kann man so tun, als ob es sich um
Kinder handle – diese macht man für ihr quengeliges
Verhalten weniger verantwortlich, und
negative Gefühle kommen dann nicht so
schnell auf.“
Aus demselben Artikel aus „Gehirn und Geist“: http://www.wissenschaft-online.de/artikel/951556

Loslassen ohne Luft

Ein Apnoe-Taucher beschreibt auf Radio Eins, er könne jeden gesunden Menschen mit ausreichendem Lungenvolumen innerhalb eines Jahres trainieren, die Luft fünf Minuten anzuhalten. Will man länger als 6 Minuten die Luft anhalten muss man aber ein gewisses Alter erreicht haben! Denn dazu bräuchte man Erfahrung, man muss innerlich völlig loslassen können, die Hirnaktivitäten und dadurch dann auch die Körper- und Muskelaktivitäten auf ein Minimum zu reduzieren.

Amadeus

Den schönen Forman-Film Amadeus nun noch mal im Director’s Cut gesehen.
Interessant ist ja, dass gerade das Ringen Salieris um Ausdruckskraft ihn scheitern lässt. Seine Gebete sind nicht kontemplativ, sondern er fordert Gott heraus. So bleibt sein Verhältnis zur Kreativität ein negatives.

Entfremdung

Der Gedanke, dass es darauf ankommt, beim Schöpfen den Prozess statt das Produkt in den Vordergrund zu stellen, findet sich auch bei Marx im Konzept der „entfremdeten Arbeit“, der wir in der kapitalistischen Produktionsweise ausgesetzt sind. Marx dürfte den Begriff der Entfremdung von Hegel gemopst haben, der wiederum der erste deutsche Philosoph war, der ernsthaft chinesisches Gedankengut rezipiert und aufgenommen hat – Taoismus und Buddhismus.

Randy Dixon

Nach den Kurzauftritten bei der Eröffnungsshow wurde noch mal deutlich, dass Randy Dixon nicht nur ein beachtlicher Lehrer, Impro-Theoretiker und Formate-Erfinder ist, sondern auch ein begnadeter Spieler. Dabei ist es durchaus nicht so, dass er die größten Lacher auf der Bühne erntet, er stellt sich vielmehr völlig in den Dienst der Szene. Er verfügt über die große Fähigkeit, den gröbsten Unfug zu veredeln. Sein Spiel wirkt zu keinem Zeitpunkt angestrengt, eher sogar ein wenig unterspannt, aber nie langsam. Gut, dass es ihn gibt.

Willensfreiheit

Der Psychologe Julian Jaynes stellte 1970 die These auf, vor den Zeiten Homers „hätten sich die Menschen gar nicht als Agenten ihres eigenen Willens erlebt, sondern als eine Art Instrument der Götter.“ (zit. nach Gehirn und Geist 4/2008)
Im zen-orientierten Denken versucht man, sich zu leeren und auch im Protestantismus versucht man, sich als „Gefäß Gottes“ zu verstehen. Für unsere kreativen Zwecke bedeutet das, das Wollen zu minimieren und freudig das zuzulassen, was aus einem fließt.

Verzweiflung als notwendige Vorstufe zur Ergebenheit

Stephen Nachmanovitch beschreibt in Das Tao der Kreativität (Free Play) die Notwendigkeit der Ergebenheit, um innere Transparenz zu schaffen, den Fluss zu ermöglichen. Dies kann auch durch totale Verzweiflung geschehen.
Mit Andrés Atala Quezada diskutieren wir die Frage, ob man denn durch diese Verzweiflung immer wieder gehen muss, um zu wirklicher Ergebenheit zu gelangen. Oder ob man irgendwann auch seine Lektion gelernt haben kann und erkennt, dass Verzweiflung nicht nötig ist, wenn ich weiß, dass ich ohnehin früher oder später an mein Ziel komme, innere Gelassenheit und Humor mich also auch dahin führen.